Cover

Der exzellente Butler Parker
– 1 –

Parker löst die Blitze aus

Günter Dönges

Impressum:

Epub-Version © 2020 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74093-134-6

Weitere Titel im Angebot:

Josuah Parker öffnete die Tür und sah auf den ersten Blick nur Blumen. Das leicht gerötete Gesicht hinter dem Bouquet war ihm durchaus vertraut. »Ob Mylady wohl etwas Zeit für mich hat?« erkundigte sich Chief-Superintendent McWarden.

»Mylady hat soeben ihre schriftstellerische Arbeit unterbrochen, um eine Tasse Tee zu nehmen, Sir«, teilte der Butler mit und ließ den angesehenen Yardbeamten ins Haus.

»Sie wollen mir wohl zum Geburtstag gratulieren, mein lieber McWarden?« flötete Agatha Simpson. »Leider haben Sie sich im Datum geirrt.« »Keineswegs, Mylady«, entgegnete McWarden und nahm Platz. »Mit diesem Angebinde wollte ich mich nur für die gute Zusammenarbeit der letzten Monate bedanken.«

»Solche Großzügigkeit kennt man ja gar nicht an Ihnen, McWarden«, gab die passionierte Detektivin zurück. »Ich möchte wetten, daß Sie wieder mal in der Patsche stecken und meine Hilfe brauchen.«

»Offen gesagt: ein gewisser Fall raubt mir die letzten Nerven«, bekannte McWarden irritiert.

»Das will nicht viel besagen«, überspielte die Hausherrin ihre sofort entflammte Neugier. »Sie regen sich doch über jede Kleinigkeit auf.«

»Mag sein, Mylady«, schluckte McWarden die Stichelei. »Jedenfalls hat die Kleinigkeit, um die es in diesem Fall geht, den Innenminister persönlich auf den Plan gerufen. Auch im Verteidigungsministerium rotieren sie schon.«

»Darf man vermuten, daß es sich um Waffendiebstahl handelt, Sir?« schaltete Parker sich ein und legte seiner Herrin ein Stück Schwarzwälder Kirschtorte vor.

»Es geht um ein neu entwickeltes Lasergerät...«, setzte der Chief-Superintendent an.

»Laser?« unterbrach Agatha Simpson. »Was verstehe ich unter Laser, Mister Parker?«

»Wie Mylady sich fraglos erinnern dürften, stellt das Wort ›Laser‹ eine Abkürzung dar«, gab der Butler höflich Auskunft. »Gemeint ist das Prinzip der ›Lichtverstärkung durch stimulierte Emission von Strahlung.«

»Ich weiß, Mister Parker«, nickte Agatha Simpson sachverständig. »Und wer soll mit dieser simulierten Strahlung missioniert werden?«

»Der scharf gebündelte Lichtstrahl eines Lasergerätes läßt sich im medizinischen, technischen und militärischen Bereich außerordentlich vielseitig einsetzen, falls meine Wenigkeit nicht irrt«, versuchte Parker, seiner technisch unbedarften Herrin das Thema näherzubringen.

»Genau!« bestätigte McWarden. »Bisher waren der Verwendung von Lasergeräten aber Grenzen gezogen, weil sie auf eine starke Energiequelle angewiesen sind. Die handliche und kaum fünf Kilo schwere Neuentwicklung der Londoner Firma ›Hitec‹ kommt dagegen mit normalem Tageslicht aus, das durch spezielle Solarzellen gesammelt und in elektrische Energie umgewandelt wird.«

»Die Erfindung eines tragbaren Gerätes dürfte die Einsatzmöglichkeiten dieser Technik sozusagen schlagartig erweitern«, merkte der Butler an.

»Eben!« nickte der Chief-Superintendent bekümmert. »Was die Ingenieure von ›Hitec‹ entwickeln wollten, war ein Schweißgerät, das im Urwald ebenso problemlos arbeitet wie auf dem Mond. Was herauskam, läßt sich aber auch als lautlose Mordwaffe von geradezu unheimlicher Präzision mißbrauchen.«

»Die militärische Brisanz dieser Erfindung dürfte kaum zu unterschätzen sein, Sir«, ließ Parker sich vernehmen.

»Das ist der Grund, weshalb sich auch der Verteidigungsminister eingeschaltet hat, Mister Parker«, erläuterte McWarden. »Man will auf jeden Fall verhindern, daß die Erfindung einer fremden Macht in die Hände fällt.«

»Muß man davon ausgehen, daß das genannte Gerät entwendet wurde, Sir?« erkundigte sich Parker.

»Kein Gerät«, korrigierte der Chief-Superintendent. »Es gibt bisher nur einen Prototyp, der sich noch im Besitz des Unternehmens befindet. Aber die Einbrecher, die nachts den Computer der ›Hitec‹ anzapften, haben sich sämtliche Konstruktionsunterlagen ausdrucken lassen.«

»Eine Methode, die auf professionelles Arbeiten schließen läßt«, warf Parker ein. »Darf man fragen, Sir, ob Sie bereits einen Verdacht haben?«

»Ich weiß im Moment nur eins«, gestand McWarden. »Ich muß um jeden Preis verhindern, daß die Papiere ins Ausland geschafft werden. Sonst kann ich meinen Schreibtisch im Yard räumen.

»Keine Sorge, McWarden«, tröstete Lady Agatha den Yardbeamten. »Ich werde die Ermittlungen übernehmen und für Sie die Kastanien aus dem Feuer holen.«

»Um Himmels willen«, rief McWarden entsetzt. »Der Innenminister hat mich zu strengster Vertraulichkeit verpflichtet. Eigentlich habe ich Ihnen schon jetzt zu viel erzählt.«

»Sie wollen also gar nicht, daß ich Ihnen helfe?« reagierte Mylady eingeschnappt. »Warum kommen Sie dann?«

»Ich wollte Sie nur bitten...«, begann der Chief-Superintendent, aber Agatha Simpson fiel ihm ins Wort.

»Also doch!« grollte sie. »Drücken Sie sich präzise aus und kommen Sie endlich zur Sache, McWarden. Meine Zeit ist kostbar.«

»Ich wollte Sie nur bitten, mir ein Gespräch mit Mister Pickett zu vermitteln«, nahm McWarden den zweiten Anlauf. »Bei seinen weitreichenden Verbindungen zur Londoner Szene hat er vielleicht etwas gehört.«

»Und deshalb halten Sie mich von der Arbeit ab?« entrüstete sich die ältere Dame. »Entweder übertragen Sie mir die Ermittlungen ...«

»Ausgeschlossen!« erwiderte McWarden gereizt. Die Gesichtsfarbe des korpulenten Mittfünfzigers ließ allmählich an eine reife Tomate denken. »In einer Sache von derartiger Brisanz kann ich keine Amateure ...«

»Amateure?« wiederholte die Hausherrin erregt. »Sie dürfen sich glücklich schätzen, daß ich mir immer noch einen gewissen Respekt vor den Beamten Ihrer königlichen Majestät bewahrt habe, McWarden. Sonst müßte ich mich beleidigt fühlen.«

»Aber Mylady«, versuchte McWarden die resolute Dame zu beschwichtigen. »Das Wort ›Amateur‹ ist doch keine Beleidigung.«

»Ich fasse es aber so auf«, belehrte Agatha Simpson ihren Gegenüber. »Wer ist Ihnen denn ständig um mindestens eine Nasenlänge voraus?«

»Das ist die Höhe!« ereiferte sich der Chief-Superintendent. »Mit Ihnen ist heute nicht vernünftig zu reden, Mylady. Ich gehe!«

McWarden trat den Rückzug in Richtung Diele an, wo Parker bereits mit Hut und Mantel wartete.

»Man wünscht weiterhin einen angenehmen Nachmittag, Sir«, sagte Parker mit unbewegter Miene, als er den Besucher hinausließ.

McWarden murmelte Unverständliches. Im Gehen klopfte er sich Blütenstaub und Blätter vom Anzug, die Myladys Wurfgeschoß hinterlassen hatte. Ohne sich noch mal umzuwenden, stieg er in seine schwarze Limousine und brauste davon.

*

»Mister McWarden werde ich zeigen, was es heißt, eine Lady Simpson herauszufordern, Mister Parker«, grollte die Detektivin. »Noch heute wird er die gestohlenen Papiere auf einem Silbertablett serviert bekommen. Und die ganze Einbrecherbande dazu.«

Die resolute Dame saß im bequemen Fond von Parkers hochbeinigem Monstrum.

»Eine Amateurin hat er mich genannt, Mister Parker«, konnte sie sich nicht beruhigen. »Vielleicht hätte ich doch meine vornehme Zurückhaltung aufgeben sollen. Jeder andere hätte nach einer solchen Äußerung unweigerlich Bekanntschaft mit meinem Glücksbringer gemacht.«

Was Mylady zärtlich als »Glücksbringer« bezeichnete, war ein solides Hufeisen, das von einem stämmigen Brauereipferd stammte. Dieser gewichtige Talisman steckte in ihrem Pompadour, einem Lederbeutel von fast zierlichem Format, den die Detektivin treffsicher einzusetzen wußte.

»Ein solcher Schritt hätte zweifellos weitreichende Folgen gezeitigt, falls der Hinweis gestattet ist«, merkte Parker an. Er saß in würdevoller Haltung am Lenkrad und steuerte sein schwarzes, eckiges Gefährt durch den nachmittäglichen Stadtverkehr in Richtung Osten.

»Wenn ich McWarden blamiere, ist das auch viel wirkungsvoller«, entschied die ältere Dame. »Ich werde ihm mal wieder demonstrieren, daß er gegen mich keine Chance hat.«

»Unter keinen Umständen würde meine Wenigkeit Mylady widersprechen«, versicherte der Butler wahrheitsgemäß und bog in die Whitechapel Road nach Stepney ein. Jetzt konnte es nicht mehr weit sein.

Gleich nach McWardens überstürztem Abgang hatte Agatha Simpson ihn gebeten, die Adresse der Firma »Hitec« aus dem Telefonbuch herauszusuchen. Fünf Minuten später war das Duo aus Shepherd’s Market aufgebrochen.

»Hier dürfte es sein, Mylady«, meldete Parker über die Sprechanlage in den mit einer Panzerglasscheibe abgetrennten Fond. Gemächlich ließ er seinen Wagen auf dem Besucherparkplatz ausrollen.

Die schmucklosen Hallen und betonierten Hofflächen der Firma Hitec waren von einer übermannshohen Backsteinmauer mit Stacheldrahtkrone umgeben. Der Pförtner in der verglasten Kabine neben dem stählernen Rolltor hatte sich derart in das Studium seiner Sportzeitung vertieft, daß er Mylady und ihren Butler überhaupt nicht Vorbeigehen sah.

Wenig später hatten die Besucher eine Tür mit der Aufschrift »Vorzimmer des Geschäftsführers« erreicht.

››Sie wünschen?« erkundigte sich die schon etwas angejahrte Vorzimmerdame mißtrauisch und musterte das skurrile Paar von Kopf bis Fuß. Der Anblick, den die Besucher boten, war aber auch alles andere als alltäglich.

In seinem steifen, schwarzen Zweireiher, die schwarze Melone auf dem Kopf und den altväterlich gebundenen Regenschirm am angewinkelten Unterarm, wirkte Josuah Parker wie ein hochherrschaftlicher Butler aus vergangenen Zeiten.

Während Parker alterslos schien, von eher durchschnittlicher Statur war und nur leichte Neigung zum Bauchansatz zeigte, verfügte seine Herrin über eine eindrucksvolle Fülle, die durch ein derbes Tweedkostüm mühsam gebändigt wurde. Agatha Simpson, die ihr Alter seit Jahren mit sechzig angab, steckte in rustikalen Schnürschuhen und trug ein wucherndes Filzgebilde auf dem Kopf, das sie hartnäckig als Hut bezeichnete, obwohl es eher einem mißratenem Napfkuchen glich.

»Mylady wünscht, den Herrn Geschäftsführer zu sprechen«, teilte der Butler mit einer knappen Verbeugung mit.

»Mister Clenwick ist in einer Besprechung«, gab die Dame hinter dem Schreibtisch kühl zurück. »Worum handelt es sich denn?«

»Das ist streng vertraulich und geht nur Mister Penstick und mich an«, beschied Mylady sie mit herablassender Geste.

»Sie meinen vermutlich Mister Clenwick?« vergewisserte sich die Sekretärin.

»Natürlich, wen denn sonst?« reagierte die Detektivin ungeduldig. »Im übrigen ist eine Lady Simpson nicht gewohnt, daß man sie warten läßt. Also sagen Sie Ihrem Mister Penstick, daß er sich gefälligst beeilen soll.«

»Aber...« Die Frau wollte protestieren, doch in diesem Augenblick wurde die Tür zu Clenwicks Büro geöffnet. Zwei unauffällig gekleidete Herren mit undurchdringlichen Gesichtern querten grußlos das Vorzimmer und verschwanden in Richtung Aufzug.

Der etwa 45jährige Mann im dunkelblauen Nadelstreifenanzug mit akkurat sitzender Krawatte und kurzgeschnittenem Blondhaar, der die beiden mit einem Kopfnicken verabschiedet hatte, machte einen nervösen und übernächtigten Eindruck. Die hellblauen Augen im gebräunten Gesicht streiften Agatha Simpson und Josuah Parker mit einem überraschten Blick.

»Sie wollen zu mir?« fragte er, schon wieder auf dem Rückweg in sein Büro.

»Chief-Superintendent McWarden hat mir die weiteren Ermittlungen in Ihrer Sache übertragen, Mister Penstick«, schwindelte die Detektivin ungeniert.

»Mylady genießt einen außerordentlichen Ruf als Detektivin«, setzte Parker hinzu, als er Clenwicks ungläubigen Blick bemerkte.

»Ist Mister McWarden denn krank geworden?« wunderte sich der Firmenchef, während er seinen Besuchern Platz anbot und die Tür zum Vorzimmer schloß. »Ich war sehr froh, als er die Ermittlungen persönlich in die Hand nahm, weil er mir als außerordentlich fähiger Kriminalist geschildert wurde.«

»Der gute McWarden ist wohlauf«, beruhigte Agatha Simpson ihr Gegenüber und ließ sich wohlig seufzend in einen üppig gepolsterten Ledersessel fallen. »Er hat nur eingesehen, daß er ohne meine Hilfe in dieser brisanten Sache nicht weiterkommt.«

»Mister McWarden wird schon wissen, was er tut«, schluckte Clenwick arglos die faustdicke Lüge. »Was kann ich für Sie tun, Mylady?«

»Mylady wünscht, zunächst die Bekanntschaft jener Herren zu machen, die an der Entwicklung des tragbaren Lasergerätes führend beteiligt waren«, sprang der Butler in die Bresche, als er das Zögern seiner Herrin bemerkte.

»Das sind nur zwei«, gab Clenwick zur Antwort. »Unsere Oberingenieure Rowes und Longdale. Alle übrigen Mitarbeiter der Abteilung haben lediglich Details bearbeitet und hatten keinen Überblick über das Gesamtprojekt«