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Mord eines Anderen

Klaus Heimann

edition oberkassel

Trauzeuge Sigi

Allerbester Laune laufe ich bei Guido auf. Er ist und bleibt mein Lieblingskneipier. Seit meiner Verletzung, damals in Namibia, bin ich das erste Mal den kompletten Weg von Zuhause auf eigenen Beinen hergekommen. Ein runder Kilometer: Das geht mittlerweile mit meinem Knie. Ein tolles Gefühl! Mein Zäpfchen schreit zur Feier des Tages nach Benetzung – allerbeste Voraussetzung für einen Abend an Guidos Tresen, zusammen mit meinem Kumpel Ecki, Eckhard Schulz, dem Schutzpolizisten.

Eine Superneuigkeit habe ich mitgebracht. Möhrchen und Erich heiraten! Gestern hat mich meine Ex-Kollegin angerufen. Ich soll ihr Trauzeuge sein! Natürlich habe ich spontan zugesagt. Sie sind mir so ans Herz gewachsen, die beiden. Jeder auf seine Art. Ich freue mich riesig für das nicht mehr ganz so taufrische Glück. Hat das gedauert! Ob Erich sich endlich die Hörner abgestoßen hat? Dass Möhrchen so lange Geduld mit ihm hatte – unfassbar! Frauen haben in Liebesdingen eindeutig einen längeren Atem als Männer.

Ecki schiebt seine Plauze durch den Eingang. Mit ausgebreiteten Armen kommt er auf mich zu. »Sei mir gegrüßt, Ruhestandsritter!«

Mein Tresenkumpel umklammert mich und drückt mich herzlich. Dabei tätschelt er meine Schultern. Ich erwidere die Begrüßung auf dieselbe Art.

»Guido, Pils und Sammet!«, bestellt Ecki. Gleich einen Samtkragen zum Bier? Der hat was vor heute Abend.

»Wat gibbet Neuet?«, fragt mein Kumpel, nachdem wir unseren Stammplatz auf den Barhockern vor dem hufeisenförmigen Tresen aus dunklem Holz bezogen haben.

Ich halte Ecki ein bisschen hin. »Da kommst du nie drauf.«

»Du verlässt Lotte!«, revanchiert er sich für meine Hinhaltetaktik mit einem Spruch unterhalb der Gürtellinie. Er weiß ganz genau, wie absurd das ist!

»Spinnst du?«

Das klingt wohl so empört, wie ich es meine, denn Eckis Lächeln verschwindet aus seinem massigen Gesicht.

»War nicht so gemeint. Ich weiß ja, wie sehr du an deiner besseren Hälfte hängst. Jetzt raus mit der Sprache – ohne lange Fisimatenten: Was ist los in der Welt?«

»Möhrchen und Erich heiraten!«

»Nein?«

»Ja!«

»Das gibt’s doch nicht.«

»Ich soll ihr Trauzeuge werden.«

»Nein?«

»Doch!«

Ecki bemerkt, wie wenig geistreich seine Reaktion ausfällt. Derart auf den Mund gefallen ist er sonst nie. Hat ihn wirklich umgehauen, die Neuigkeit. »Wie lange kennen die sich jetzt?«

»2007 hat Möhrchen bei uns angefangen. Als wir den Haarzopf-Fall bearbeitet haben. Die unbekannte Männerleiche auf dem Friedhof.«

»Und der Erich hat seitdem nie auf Angriff geschaltet?«

»Doch. Einmal.«

Die Erinnerung an diese Episode ist mir etwas peinlich, denn ich war nicht ganz unschuldig daran gewesen. Im Grunde hatte ich Erich auf den Trichter gebracht, es bei Möhrchen zu versuchen. Mich hatte ein Anflug von Spitzbübigkeit befallen.

»Ach, ja! Ich weiß wieder. Wir haben hier mit Atze zusammen am Tresen gestanden. Damals, als du Idiot meintest, den Nordkap-Fall auf eigene Faust lösen zu müssen. Da hast du uns auf genau diesem Fleck brühwarm erzählt, dass du dem Erich eure Kollegin schmackhaft gemacht hast. Was haben wir uns beömmelt!«

An keine dieser beiden Heldentaten erinnere ich mich gerne. Weder an den Nordkap-Fall noch an meinen Verkupplungsversuch. Ich bin leicht angesäuert.

»Schön, dass du wieder im Film bist.«

»Jau. Das war eine Geschichte!«

»Jetzt scheint es jedenfalls ernst zu sein.«

»Das hätte ich nie für möglich gehalten. Wie viele Weiber hat Jungfrauentraum Erich verschlissen? Durchschnittlich zwei pro Jahr? Seit seinem vierzehnten Lebensjahr? Oder sollte ich besser fragen: Wie viele Weiber haben Erich seitdem verschlissen?«

»Einige Dutzend waren es allemal. Und eine dreistellige Anzahl an Fehlversuchen. Mindestens.«

Ecki reibt sich das Kinn.

»Verflucht, der Erich. Spaß hat er gehabt. Aber auch den miesesten Katzenjammer. Kann der überhaupt die Pfoten von anderen Röcken lassen?«

»Das will ich stark für ihn hoffen. Sonst kriegt er es mit mir zu tun!«

In meinem Tonfall liegt etwas Bedrohliches. Möhrchen hat immer unter meinem besonderen Schutz gestanden. Erich soll sich wagen, ihr wehzutun!

»Ich habe Möhrchen neulich vor dem Polizeipräsidium gesehen. Abgenommen hat sie. Bestimmt fünfzehn Kilo. Ist zwar nach wie vor nicht wirklich schlank, aber mit ihrer roten Wuschelmähne und den riesigen blauen Augen immerhin eine markante Erscheinung.«

»Als sie bei uns anfing, da hat sie soeben das höchstzulässige Gewicht für eine Kriminalpolizistin auf die Waage gebracht. Sie hat dann ziemlich schnell zugelegt. Aber ihr Herz, das ist aus Gold!«

»Na, na. Bist du etwa eifersüchtig auf den stolzen Bräutigam?«

»Ich gönne Möhrchen alles Glück im Leben. Wenn dieses Glück Erich heißt, dann soll es Erich sein.«

Mein Kumpel rechnet nach: »Der Knispel ist deutlich älter als seine Auserwählte, stimmt’s?«

»Möhrchen wird Ende dreißig sein. Erich geht langsam auf die Fünfzig zu, schätze ich.«

»Mit fünfzig solltest du wirklich anfangen, an deinen Lebensabend zu denken. Gar nicht so dumm, der Erich. Erst austoben, dann was Solides. So viel Bauernschläue hätte ich dem unterleibsgesteuerten Kerl eigentlich gar nicht zugetraut, wenn ich ehrlich bin. Hut ab!«

Jetzt muss ich lachen.

»Der Erich soll eine Vernunftsehe eingehen? Niemals! Auch wenn ich mich mit der Vorstellung schwertue: Es wird Liebe sein.«

»Nach über zehn Jahren, die er Möhrchen jetzt kennt? Bei dir piept’s wohl!«

»Insgeheim war Möhrchen immer in Erich verknallt. Aber die kleine Rote ist ein Verstandesmensch. Sie wusste die ganzen Jahre über, dass ihre Zeit kommen würde. Treu wie sie ist, hat sie wahrscheinlich nichts anderes zwischendurch angefangen. Jedenfalls hat sie nie etwas davon erzählt.«

Ecki schüttelt den Kopf, dass sein Doppelkinn ins Zittern gerät. Er sieht mir heute irgendwie so aus, also ob er Möhrchens fünfzehn Kilo übernommen hat.

»Wie kann man sich selbst so kasteien? Zehn Jahre für einen Typen aufsparen? Für einen wie Erich? Unfassbar!«

»Verstehe einer die Weiber!«

»Da haste recht. Verstehe einer die Weiber!«

Das Einvernehmen bezüglich ausgesprochener Wahrheiten schreit nach Schnaps und Bier. Da kommt es gerade recht, dass Guido die erste Rutsche des Abends vor uns auf den Tresen stellt.

Der Boonekamp schwimmt wie eine Ebenholzscheibe auf dem eiskalten Korn. Ein Könner, der Guido, wie er den Samtkragen einschenkt. Ich greife zum Schnaps und sehe Ecki in die Augen. »Prost, mein Freund!«

Mein Kumpel spiegelt meine Geste. »Prost. Hau wech, ehe kleine Kinder drangehen.«

In einem Zug wandern die beiden Aperitifs ihrem Bestimmungszweck entgegen. Ihnen folgen die Longdrinks. Wir wischen uns synchron die Münder ab und Guido steht unaufgefordert sofort wieder am Zapfhahn.

»Im Job hat er ja eher mäßigen Erfolg gehabt, der Erich«, erinnert sich mein Kumpel. Das hatte sich offensichtlich bis zur Schutzpolizei herumgesprochen.

»Stimmt. Eine ausgesprochene Spürnase besaß er nie. Aber willig und fleißig ist er. Da will ich ihm nichts Schlechtes nachsagen.«

»Wenn dem der Sinn nicht immer nur nach Weibern gestanden hätte, wäre vielleicht etwas aus ihm geworden. Kann ja jetzt was werden. Der Erich wird solide. Ich fasse es immer noch nicht.«

Meine Gedanken schweifen zurück in meine aktive Zeit bei der Mordkommission im Polizeipräsidium Essen. Wir waren ein gutes Team. Hautkommissar Siegfried Siebert, von den meisten kurz Sigi gerufen, das Recherche-As Theodora Schmittkowski, Spitzname Möhrchen, und mein junger Kollege, Erich Terschüren. Ich denke an die Fälle, die wir bearbeitet und aufgeklärt haben. Und plötzlich fällt mir der Mord in Essen-Stoppenberg wieder ein.

»Einmal ist uns Erichs Affinität zum schönen Geschlecht immerhin nützlich gewesen.«

Ecki überlegt. Sodann klart seine Miene auf. »Ach ja. Weiß wieder. Ein unverschämtes Glück hat der Knabe bei diesem Fall aber auch gehabt.«

»Immerhin hat er spontan geschaltet.«

»War das nicht – warte – 2010? Als die Kulturhauptstadt lief?«

»Richtig. RUHR.2010. Es war Sommer. Am Freitag vor dem Wochenende, an dem sie die A40 gesperrt haben, wurden wir zum Tatort gerufen.«
Mein Sportkamerad beim Tresenturnen erinnert sich.

»War vonseiten der Organisatoren eine Glanzleistung. Samstagnacht wurde die A40 gesperrt. 20.000 Tische und 40.000 Bänke haben sie entlang von 60 Kilometern Autobahn aufgebaut. Diese Zahlen werde ich nie vergessen. Ein logistisches Meisterstück mit tausenden Helfern. Am Sonntag ist das halbe Ruhrgebiet über die gesperrte Autobahn flaniert. Es war gigantisch. Früh am Montag war der Spuk wieder vorbei. Alles zurück auf null. Der Berufsverkehr am Montagmorgen lief wie gewohnt.«

Ich sehe es noch vor mir. »Überall auf der Welt, sogar in China, wurden Bilder von dieser Veranstaltung gesendet. Eine richtig euphorische Stimmung herrschte danach. Da hat das Ruhrgebiet ein fettes Ausrufezeichen gesetzt!«

»Vorher hatten sie dieses andere Projekt. Na, wie hieß das gleich? Wo sie die gelben Ballons über den stillgelegten Kohleschächten gehisst haben?«

»Ich glaube, ‚Schachtzeichen‘ hieß das. Je nachdem, wo man stand, sah der ganze Pott aus wie mit riesigen Stecknadeln gespickt.«

Ecki wird nachdenklich. »Eine Woche nach dem Still-Leben auf der A40 passierte jedoch das Unglück bei der Loveparade in Duisburg. Ich hatte an beiden Tagen Dienst. Erst diese friedlichen Bilder von glücklichen Menschen auf der Autobahn und am Samstag danach das blanke Entsetzen. Wenn du da einen lieben Menschen verloren hast, kriegt dein Leben einen Knick. Schrecklich.«

In jedem Jahr sollte die Loveparade, eine Technoparade mit hunderttausenden Besuchern, in einer anderen Stadt des Ruhrgebiets stattfinden. Nach Essen und Dortmund, wo sie einigermaßen reibungslos verlief, wäre Bochum an der Reihe gewesen. Die Stadt hatte die Veranstaltung abgeblasen, weil sie nicht die Verantwortung für eine Horde Raver in den engen Straßen des Zentrums tragen wollte. Das hatte den Bochumer Entscheidern einiges an Häme eingebracht. Als nächster Austragungsort war Duisburg vorgesehen. Im Jahr der Kulturhauptstadt.

Der Erwartungsdruck, der auf den Duisburgern lastete, war deshalb enorm. Die Loveparade sollte schließlich eine der großen Nummern im Kulturhauptstadtjahr werden. Letztlich war es meiner Einschätzung nach dieser Druck, der zur späteren Katastrophe führte. Über zwanzig Tote und hunderte Verletzte waren das Ergebnis einer Fehlplanung, die den Platzbedarf der anströmenden Besuchermassen falsch bewertet hatte. Viele Teilnehmer litten noch heute unter den Folgen der traumatischen Erlebnisse.

»Jetzt haben sie endlich einen Prozess auf die Beine gestellt. Soll der größte in der bundesdeutschen Justizgeschichte sein. Eigens dafür haben sie Räumlichkeiten der Düsseldorfer Messe angemietet.«

Ecki schaut mich aus skeptischen Augen an. »Meinst du, da kommt was bei heraus?«

»Da sind eine Menge Fehler begangen worden. Im Grunde hat wohl jeder in der Kette der Beteiligten ein bisschen dem politischen Druck nachgegeben. Ob der nun tatsächlich bestand oder von den Akteuren nur empfunden wurde – egal. Duisburg wollte glänzen.«

Veranstalter und Stadtspitze hatten seinerzeit keine Verantwortung für die tragischen Vorfälle übernommen. Ein unwürdiges Gezerre entstand. Die Menschen wünschten sich eine Gallionsfigur, die als Hauptverantwortlicher herhalten sollte. Der Duisburger Oberbürgermeister wurde später aufgrund seines Verhaltens im Nachgang der Loveparade durch ein Bürgerbegehren abgewählt. Im Prozess war er nicht als Angeklagter, sondern als Zeuge vorgeladen worden. Auf der Anklagebank saßen Angestellte der Stadt und Mitarbeiter des Veranstalters.

»Ich verstehe die Betroffenen. Es kann einfach nicht sein, dass niemand für diese tragischen Vorfälle bestraft wird. Das entspricht einfach nicht unserem Empfinden von Recht und Ordnung«, sinniere ich.

»Ob man am Ende mit dem Urteil zufrieden sein wird? Es muss diesen Prozess geben, das sehe ich ein. Der Opfer wegen. Dass man ihnen zeigt, dass man wenigstens versucht, Schuld festzustellen und sie Personen zuzuordnen. Ehe die ganze Chose verjährt. Ob die Sache damit zur Ruhe kommt – da hege ich meine Zweifel. Duisburg wird diese Narbe noch lange mit sich herumschleppen.«

Meine Gedanken schweifen ab. »Fürchterliche Geschichte.«

»Ja. Grausam, diese Loveparade.«

»Die meine ich jetzt nicht. Ich muss gerade an den Stoppenberg-Fall denken.«

Guido stellt frisches Pils vor uns hin. Ich komme ins Erzählen.

Aufgescheucht

Das Diensthandy riss mich aus einem Traum. Ich war vor einem bewaffneten Schurken geflüchtet und hing zappelnd an einer Fensterbrüstung – wie ein Stummfilmstar. In dem Moment, in dem mich meine Kraft verließ und ich loslassen musste, retteten mich die Akkorde von »Lady in Black«, die Erich mir als Klingelton aufgespielt hatte.

Dem Absturz knapp entronnen, wälzte ich mich im Halbschlaf zum Nachttisch und nahm das Gespräch an. »Siebert.«

Die Einsatzzentrale meldete sich am anderen Ende.

»Ein Toter in Stoppenberg. In einem Büro. Die Kollegen sind bereits unterwegs …«

Die geschäftige Stimme gab mir die Adresse durch.

Lotte knipste ihre Nachttischlampe an.

»Wie spät ist es?«

»Kurz vor fünf. Schlaf weiter.«

»Du hast gut reden. Was ist denn los?«

»Was meinst du denn, was los ist, wenn um diese Zeit das Diensthandy rappelt?«

»Wieder ein Toter?«

»Wie meistens, Schatz.«

»Du hast einen scheiß Job, weißt du das?«

»Einer muss ihn tun. Schlaf jetzt weiter.«

Lotte schaltete ihre Nachttischlampe wieder aus. Im Dunkeln schnappte ich mir das Handy, schälte mich aus der Bettdecke und tappte, mich mit einer Hand an der Wand vortastend, möglichst geräuschlos in den Flur. Erst dort bemerke ich, dass ich etwas Wesentliches übersehen hatte. Meine Klamotten hingen am Schlafzimmerschrank, Unterwäsche und Socken lagen darin. Mist. Kommando zurück.

Ich bin nicht unbedingt sattelfest, was die Einsortierung meiner Wäsche angeht. Sie im Dunkeln aus dem Schrank zu fischen, wäre zum Scheitern verurteilt. Da machte ich lieber gleich Licht.

Lotte stöhnte auf und zog sich die Bettdecke über den Kopf.

»Wenn du die Elefantenherde im Zoo abgeliefert hast, sag Bescheid.«

Mit leicht schlechtem Gewissen, nahm ich mir das, was ich brauchte, und verließ schnellstmöglich unser eheliches Schlafzimmer. Als ich die Tür hinter mir schließen wollte, hörte ich ein hysterisches: »Licht aus!« Ein verflixt mieser Start in den Morgen!

Ein wenig trug Lotte selbst die Schuld. Warum bestand sie hartnäckig darauf, dass die Jalousien immer komplett heruntergelassen waren? Durch kleine Schlitze wäre um diese Stunde im Juli genug Helligkeit eingedrungen, um mich zu orientieren. So wie im Wohnzimmer, wo ich ohne irgendwelche Morgentoilette in meine Beutestücke schlüpfte, bevor ich Erich alarmierte.

»Terschüren.«

Oh, Mann. Den hatte ich auch aus den Träumen geholt.

»Morgen Erich. Wir müssen nach Stoppenberg. Ein Toter.«

»Scheiß Bullenjob. Komme.«

Ich gönnte mir wenigstens einen Kaffee. Für etwas zu beißen war es mir definitiv zu früh.

Eine halbe Stunde später stand Erich mit seinem Wagen vor dem Haus. Ich hatte das Fahren vor Jahren drangegeben. Erklären kann ich das nicht. Jedenfalls war es mir recht, dass der geduldige Erich den Part des Chauffeurs übernahm. Für mich war es praktisch so und mein jüngerer Kollege war einverstanden mit dieser Aufgabenteilung.

Wir fuhren zu der Adresse, die mir von der Zentrale durchgegeben worden war. Gesprochen wurde nicht viel. Ein Mord und wir fuhren zum Tatort. Alles wie üblich.

Um diese Zeit herrschte noch wenig Verkehr und so erreichten wir bald den Parkplatz vor dem nichtssagenden, überschaubaren Bürokomplex. Er bestand aus zwei Baukörpern. Zur Straße hin lag ein schmales, zehngeschossiges Hochhaus mit einer dunklen Fassade. An eine seiner Ecken war rechtwinkelig nach hinten raus ein viergeschossiger Anbau angeklebt. Seine Wände trugen einen nach dem Prinzip der Maximierung von Langweiligkeit ausgewählten, beigefarbigen Anstrich zur Schau. Beide Gebäude verband auf allen Etagen des niedrigeren Hauses ein vollverglaster Übergang.

Drei Autos parkten auf der geräumigen Fläche vor dem Anbau: Ein ausgesprochen prollig aufgemotzter Mercedes Brabus, ein klappriger Twingo und ein Polizeifahrzeug. Erich stellte seinen BMW neben dem Einsatzwagen ab. Ein blutroter Sonnenball kletterte in diesem Moment seitlich des Gebäudes über den Horizont, durchdrang die das Gelände begrenzende Birkenreihe und tauchte den Asphalt des Parkplatzes in warmes Morgenlicht. Eigentlich eine viel zu anheimelnde Stimmung, um einer Leiche gegenüberzutreten.

Die beiden Kollegen aus dem Einsatzwagen drückten sich am Eingang des Anbaus herum.

Der unangenehmen Pflicht gehorchend, stiegen wir aus und liefen zu ihnen hinüber. Ein paar Waschbetonstufen führten vom Parkplatzniveau zum Portal hinunter. Da mir die Uniformierten nicht bekannt vorkamen, wies ich mich ihnen gegenüber aus.

»Wir kommen nicht rein«, informierte mich der Ältere.

»Was heißt das?«

»Jemand hat uns von drinnen angebimmelt. Das hat die Anruferin jedenfalls behauptet; dass sie in diesem Gebäude ist. Hat einen Toten in den Räumlichkeiten der Firma, die ihren Sitz hier hat, gemeldet. kerdet-IT heißt der Laden. Jetzt macht keiner auf. Die Tür ist elektronisch gesichert. Da brauchen wir Hilfe.«

»kerdet-IT? Nie gehört.«

»Sehen Sie: dort oben!«

Ich folgte dem Blick des Mannes. Richtig: Knapp unterhalb des flachen Dachs war ein entsprechender Schriftzug aus Leuchtbuchstaben angebracht.

Ich deutete auf die in der Glasfront mittig eingebaute Tür. »Die ist elektronisch gesichert?«

»Nein. Die ist offen und führt in eine Art Vorraum. Schauen Sie, dort drinnen, die Drehtür. Da kommen wir nicht rein. Nebendran steht ein Kartenleser auf einer Säule.«

»Was meinen Sie: Ist die Frau, die uns alarmiert hat, wirklich da drin?«

»So hat es uns die Zentrale mitgeteilt.«

»Ihr habt bestimmt ein Megafon im Auto«, meldete sich Erich zu Wort. In technischen Dingen ist er mir im Denken immer eine Nasenlänge voraus. Aber meistens nur in technischen Dingen.

»Klar.« Der jüngere Polizist setzte sich in Bewegung.

»Wie lange steht ihr hier schon?«, fragte ich den Verbliebenen.

»Maximal eine halbe Stunde. Wir haben es auf der gegenüberliegenden Seite probiert. Da gibt es einen weiteren Zugang. Das scheint eine Art Notausgang zu sein. Ist verrammelt. Im Hochhaus vorne sitzt eine andere Firma. Dort ist keiner. Also sind wir hierher zurück.«

»Wissen Sie mehr darüber, was uns hier erwartet?«

»Nur, dass es diesen Anruf bei der Zentrale gab. Eine Frauenstimme, schwer verständlicher Akzent. Die hat was von Tod und Mord gefaselt und die Adresse durchgegeben.«

»Anzunehmen, dass die drinnen ist. Da oben scheint mir Licht zu brennen.«

»Wenn sie nach dem Anruf nicht verduftet ist …«

Der Schutzbeamte kehrte mit dem Megafon in der Hand zurück. Seltsam unaufgeregt dafür, dass es um einen Mord gehen sollte. Die Burschen hier schienen starken Tobak gewohnt zu sein.

Ich nahm dem Mann das Gerät aus der Hand, trat ein paar Schritte zurück und richtete den Trichter auf das einzige Fenster, das von innen erleuchtet war.

»Achtung, Achtung! Hier spricht die Polizei. Öffnen Sie uns bitte die Tür.«

Wir warteten eine Minute. Nichts geschah.

Neuer Versuch: »Achtung, Achtung! Hier spricht die Polizei. Kommen Sie bitte zum Eingang und lassen Sie uns hinein. Wir sind sonst gezwungen, die Tür gewaltsam zu öffnen.«

Aufmerksam beobachtete ich das verdächtige Fenster. War da gerade ein Schatten quer durch die Lichtquelle gehuscht?

Irgendetwas tat sich da.

Die nächste halbe Minute lief zäh wie Honig aufs Morgenmüsli. Dann tauchte schemenhaft eine kleine Person im Inneren des Gebäudes auf. Millimeterweise – in Zeitlupe – wurde die Drehtür in Gang gesetzt. Eine zierliche Asiatin, bekleidet mit dem grünen Kittel einer Gebäudereinigungsfirma, erschien im Vorraum. Unsicher griff sie an die Drückerplatte der Außentür.

Der ältere der beiden Polizisten nahm der Frau die Arbeit ab. Er zerrte die Tür mit Schwung auf. Beinahe wäre die Asiatin ausgestreckt vor uns hingefallen, denn sie ließ den Griff auf ihrer Seite zu zögerlich los. Sie fing sich im letzten Moment und stand verunsichert vor uns. Ihre Miene trug den schreckhaften Ausdruck eines aufgescheuchten Rehs.

»Guten Morgen. Siebert mein Name. Kripo Essen. Hier, mein Ausweis. Haben Sie uns verständigt?«

Die Frau nahm mir den Ausweis ab und musterte ihn von allen Seiten, während sie ihn mit beiden Händen umkrampfte. Ich war mir nicht sicher, ob sie etwas damit anfangen konnte. Es schien mir eher, als suche sie einen x-beliebigen Gegenstand, an dem sie sich festhalten konnte. Verstört gab sie mir den Ausweis zurück.

»Gehen hinein«, war das Einzige, was die Asiatin hervorbrachte. Dabei wedelte sie mir mit einer checkkartengroßen Plastikkarte zu, auf der ihr verblasstes Konterfei prangte.

Ich begriff.

»Waren Sie alleine im Haus?«

Die Frau nickte.

»Komm mit«, beorderte ich Erich an meine Seite.

Meinem jungen Kollegen war anzusehen, dass Leichen überhaupt nicht sein Ding sind. Wenn er es irgendwie schafft, mogelt er sich regelmäßig um die Inaugenscheinnahme unserer Kundschaft herum.

Ich munterte ihn auf: »Los, Erich, Haltung!«

Anschließend wandte ich mich der Asiatin zu. »Kommen Sie. Zeigen Sie uns, was da los ist. Wo müssen wir hin?«

Die Reinigungskraft bedeutete uns, in den Vorraum hineinzugehen. Sie folgte uns und blieb vor dem Kartenleser neben der Drehtür stehen.

Mir fiel sofort die Kamera unter der Decke auf, die diesen Bereich überwachte. Unsere Begleiterin hielt ihren Plastikausweis vor ein Leuchtfeld. Ein kurzes elektronisches Piepsen ertönte. Ihm folgte ein leises Klicken. Der Verriegelungsmechanismus hatte den Zugang freigegeben.

Die Asiatin schickte mich mit einer Geste in das offene Segment der Drehtür vor. Ich schlüpfte hindurch. Als ich das Treppenhaus dahinter betrat, verriegelte sich die Tür wieder. Für jemanden, der von drinnen kam, wäre es unmöglich gewesen, das Haus zeitgleich mit meinem Hineingehen zu verlassen. Die Anlage ließ nur jeweils eine Person passieren. Ich merkte mir diese Tatsache gut. Die Funktionsweise dieser Drehtür konnte wichtig für uns werden, wenn es einen Mord aufzuklären gäbe.

Ein erneutes Piepen und Klicken. Erich stand neben mir. Ihm folgte als Letzte die Reinigungskraft.

»Müssen wir nach oben?«

Die Asiatin nickte.

Ich ging auf den Aufzug zu, aber ein Zupfen an meinem Arm hielt mich davon ab, die Taste zu betätigen.

»Dürfen nicht, wenn alleine«, klärte mich die Asiatin auf. Sie zeigte auf die Treppe daneben. Wieselflink ging sie voran, ehe jemand von uns reagieren konnte. Im Grunde waren wir zu dritt wohl kaum alleine. Was blieb uns bei diesem Vorwärtsdrang übrig, als der Frau ohne Widerworte hinterherzutrotten?

Auf den Etagen führten vom Treppenflur aus metallene Türen in die Räumlichkeiten des Gebäudes. Im obersten Stockwerk angekommen führte uns die Asiatin in den dahinter liegenden, langen Gang. Er schien die komplette Längsachse des Anbaus zu durchmessen und wurde lediglich durch ein paar Türspalte in spärliches, warmes Morgenlicht getaucht. Mit einer Ausnahme: Ziemlich am Ende des Gangs drang kalte Neonbeleuchtung ins Dunkel. Das war die Lichtquelle, die mir bereits von unten aufgefallen war.

Die Reinigungskraft zeigte auf das offen stehende erste Büro, das rechts vom Gang abzweigte. Vorsichtig ging ich in den Raum hinein. Erich blieb bei der Frau stehen.

Ich schien mich in einer Art Vorzimmer zu befinden. Ein Kübel mit mehreren Blattpflanzen stand dekorativ im Weg, ein Schreibtisch quer daneben. Davor standen zwei mit schwarzem Leder bezogene Stühle, Marke unbequem. Rechts zweigte ein weiteres Zimmer ab. Ich spähte um die Ecke. Sofort sah ich, worum es ging. Im Durchgang lag ein Mensch. Blutüberströmt.

»Hier liegt einer«, rief ich Erich zu.

»Tod?« Es war eine verzagte Stimme, die Gewissheit einforderte. Erich und sein Respekt vor Leichen!

»Werde ich gleich wissen. Hol schon mal den Arzt.«

Ich hörte, wie Erich zum Handy griff und die Rechtsmedizin verständigte. Unterdessen ging ich neben der blutverkrusteten Person in die Hocke. Ein Mann. Mittleres Alter. Er war auf’s Gesicht gefallen. Hinterkopf und Rücken waren mir zugewandt. Sein rechter Arm lag unter seinem Körper, sein linker auf meiner Seite, die Hand im Bereich des Gesäßes. Ich ertastete den Puls. Das wäre unnötig gewesen. Die Kälte seiner Haut verriet alles.

Möglichst ohne meine Fußstellung zu verändern und den Leichnam zu berühren, suchte ich den Toten nach einer Verletzung ab. Als ich mich etwas über ihn vorbeugte, klärte sich die Todesursache sofort. Waagerecht über seinen Hals verlief eine klaffende Wunde, von der ich aus meiner Position nur das linke Ende sehen konnte. Sie war verantwortlich für das viele Blut.

»Erich, ruf auch die Staatsanwaltschaft an. Und die SpuSi. Mord! Und such einer um Himmels Willen den Hausmeister. Ist ja kein Zustand so. Die müssen uns unten die Tür freigeben.«

Mein junger Kollege erledigte auch das.

Ich hatte genug gesehen, rappelte mich hoch und ging zurück in den Flur. Erich informierte mich über das Ergebnis seines Telefonats: »Die unten sagen, da ist die Plakette eines Sicherheitsdienstes angebracht. Sie kümmern sich drum, dass jemand die Drehtür entriegelt.«

»Hier können wir nix mehr machen. Gehen wir nach draußen. Kommen Sie bitte auch mit.«

Wir verließen den Tatort gemeinsam mit der Asiatin, die ängstlich mal zu Erich, mal zu mir hinüberblickte. Unten ließen wir uns von ihr auf die gleiche Weise wie beim Hereingehen die Drehtür freischalten. Zuletzt huschte sie wie ein Mäuschen hinter mir her.

»Begleite die Dame doch bitte zu deinem Auto und nimm ihre Personalien auf. Danach stell ihr noch die üblichen Routinefragen, du weißt ja: Wann und wie sie die Leiche gefunden hat, ob sie den Mann kennt, ob jemand bei ihr war und so weiter und so weiter.«

Erich schob mit der Asiatin zu seinem BMW ab. Der war beschäftigt.

Ich gesellte mich zu den wartenden Schutzpolizisten, um mich mit ihnen zu besprechen. Der Jüngere war der Ungeduldigere. »Was ist los da oben?«

»Mord. Ein Mann mittleren Alters. Sieht so aus, als habe man ihm die Kehle durchgeschnitten.«

Der Ältere tippte auf das Schild eines bekannten Sicherheitsdienstes, das an der Hauswand angebracht war.

»Von denen kommt gleich einer. Das Haus ist an deren Alarmsystem angeschlossen.«

Vor allen anderen fand als Nächstes Doktor Remigius zu uns, der Rechtsmediziner. Ich bat ihn zu warten, bis jemand den Verriegelungsmechanismus unterband, denn ich wollte Erichs Gespräch mit der Asiatin nicht unterbrechen. Es war wahrscheinlich ohnehin schwer genug, das Wichtigste aus ihr herauszubringen. Der für seine Eile bekannte Rechtsmediziner fügte sich schweigend. Es war nicht zu erkennen, ob ihm das Warten etwas ausmachte.

Bald darauf fuhr ein Lieferwagen des Sicherheitsdienstes vor. Eine Frau Ende der Dreißiger – bekleidet mit einem Blaumann – , entstieg der Fahrerkabine. Sie stiefelte mit auffällig burschikosem Schritt auf unsere kleine Gruppe zu.

»Hallo. Ich soll aufsperren?«

Das Wort an sie zu richten, fiel wohl mir zu.

»Guten Morgen. Geht das so, dass wir hier einen Mann postieren und die Türen den Tag über offen bleiben? Ich erwarte noch eine ganze Menge Leute, die das hier angeht.«

»Logo. Ich sperre Ihnen den Eingang neben der Karusselltür auf und setze den Alarm außer Kraft. Dann können Sie nach Herzenslust hineinspazieren, wann und mit wie vielen Männekes Sie wollen.«

»Nur zu!«

Eine zweite Tür hatte ich vorhin nicht bemerkt. Jetzt, darauf aufmerksam gemacht, sah ich sie. Die Angestellte der Sicherheitsfirma verschwand mittels einer dieser elektronisch lesbaren Karten im Haus. Keine fünf Minuten später trat sie wieder hinaus.

»Bitteschön. Ran an die Arbeit!«

Ganz schön forsch die Dame angesichts des Umstandes, dass dort oben eine Leiche lag. Wusste sie überhaupt davon?

»Hat man Ihnen gesagt, warum die Polizei hier ist?«

»Nöö. Ich soll nur aufsperren.«

»Da oben liegt ein toter Mann.«

»Ach du Scheiße.« Die Forsche wurde kalkweiß im Gesicht. Sie fasste sich an die Stirn und drohte einen Moment, nach hinten wegzukippen. Dann fing sie sich.

»Jetzt muss ich mich erst mal setzen. Du ahnst es nicht!«

»Kann sein, dass wir bei Gelegenheit ein paar Fragen an Sie haben. Später.«

Die Frau nickte. Sie machte auf dem Absatz kehrt und schleppte sich zu ihrem Lieferwagen zurück. Aus ihren Bewegungen war alles Burschikose verschwunden.

Erich hatte die Vernehmung der kleinen Asiatin offensichtlich abgeschlossen. Er stieg gleichzeitig mit ihr aus dem Auto. Anschließend verabschiedete er sie höflich. Mit Frauen kann er es. Egal mit welcher. Die Asiatin stieg in den Twingo ein. Sie startete den Motor und brauste los wie mit einem Rennwagen. Die war wahrscheinlich heilfroh, endlich verschwinden zu dürfen.

Erich kam zu uns herüber. »Fertig!«

»Über das Ergebnis deiner Befragung reden wir später. Wir begleiten Sie jetzt hoch, Herr Doktor Remigius. Sie beide bleiben hier und rufen mich an, wenn jemand kommt.« Ich steckte dem älteren Polizisten eine meiner Visitenkarten zu, damit er im Bedarfsfall meine Nummer parat hätte.

Diesmal benutzten wir den Aufzug. Remigius ist kein Freund großer Umstände. Er war beinahe schneller aus dem Büro des Toten zurück als ich vorhin.

»Vor mindestens acht Stunden gestorben. Hat nicht lange gelitten. Todesursache dürfte eindeutig sein.«

Ich führte die Handkante quer über meinen Kehlkopf. »Krrrk!«

»So sieht es aus. Bericht kommt schätzungsweise Dienstag oder Mittwoch. Frohes Schaffen.«

Weg war er, der Doc.

Mein Handy stimmte »Lady in Black« an. Unser Mann von der Pforte war dran. »Hier ist eine Dame, die sagt, die Geschäftsführerin von kerdet-IT zu sein. Die Sicherheitsfritzen haben sie informiert, dass etwas nicht stimmt. Soll ich sie hochschicken?«

»Nein, lieber nicht. Wir kommen runter. Ins Gebäude geht mir jetzt niemand mehr, ehe die SpuSi alles durchkämmt hat.«

Ich drückte den Kollegen weg und winkte Erich, mir zu folgen.

Die Chefin, die sich als Gerlinde Detering vorstellte, entpuppte sich als gepflegte Dame Ende dreißig. Sie passte beinahe in Erichs Beuteschema, wäre ihr Körperbau nicht ein wenig schwerfällig gewesen. Ziemlich formell gekleidet. Anthrazitfarbenes Kostüm, weiße Bluse. Ihrem Äußeren sah man an, dass die tägliche Übung des Aufhübschens heute Morgen etwas kurz gekommen war. Aus ihrem nachlässig zusammengebundenen Pferdeschwanz fiel eine blonde Haarsträhne unters Kinn und ihre Augenpartie hatte keine Farbe zu sehen bekommen.

»Guten Morgen. Was ist hier vorgefallen? Die haben mich aus dem Bett geholt und es dringend gemacht.« Dem herrischen Ton von Frau Detering merkte ich an, dass sie die Rolle der ersten Geige gewohnt war.

»Guten Morgen. Mein Name ist Siebert. Das ist mein Kollege Terschüren. Kripo Essen. Was vorgefallen ist? Dort oben liegt ein toter Mann in einem der Büros.« Auf das Vorzeigen meines Dienstausweises verzichtete ich.

Das Forsche im Tonfall der Frau wich. »In welchem Büro?«

»Oberstes Stockwerk, erstes Büro rechts.«

Erschrocken zuckte Gerlinde Deterings Hand vor den Mund. Ihre Pupillen verengten sich. »Harald?«

»Wer bitte ist Harald?«

»Mein Geschäftspartner. Harald Kerner. Der Name unseres Unternehmens setzt sich aus den Anfangsbuchstaben unserer Nachnamen zusammen: Kerner-Detering-IT. kerdet-IT. Ist er es?«

»Wir wissen noch nicht, wer der Mann ist. Gehört ihm das Büro?«

»Ja. Das ist seins.«

»Alter und Haarfarbe?«

»Harald ist dreiundvierzig. Braune, volle Haare. Er ist ein wenig eitel mit seinen Haaren und trägt sie ziemlich lang.«

»Das könnte der Tote sein. Ich habe ihn nur von hinten gesehen.«

»Wie ist er …?« Leute, mit denen wir in solchen Situationen zusammentreffen, ließen diesen Satz häufig offen.

»Es sieht danach aus, dass man ihm die Kehle durchgeschnitten hat.«

»Wer tut so etwas?« Tränen traten in die mittelbraunen Augen der Geschäftsfrau.

»Tja, wer tut so etwas? Das hätten wir gerne von Ihnen gewusst. Aber noch wissen wir ja nicht einmal sicher, ob der Mann dort oben Harald Kerner ist. Wir stehen ganz am Anfang.«

»Muss ich was machen?«