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Über dieses Buch:

Als Michael ein kleiner Junge war, liebte er nichts so sehr wie ein Buch über das Leben der Insekten: wie sie Nester bauen, wie sie sich paaren … Nun, als erwachsener Mann, ist er immer noch davon besessen – und überzeugt, dass seine Zeit gekommen ist. Aber noch ist Anna, die Frau, die er zu seiner Königin auserkoren hat, mit einem anderen Mann zusammen. Bevor Michael sich also in ihr Leben schleichen kann – ganz langsam und behutsam, bis es für sie kein Entkommen mehr gibt – muss er noch etwas anderes tun. Denn jedes Insekt weiß instinktiv, wie es jagt und wie es tötet …

Sind Sie bereit für einen Blick in die Abgründe, die sich hinter der freundlichen Fassade eines Mannes verbergen? »Dieser Thriller hinterlässt bleibenden Eindruck.« The Irish News

Über die Autorin:

Julie Parsons wurde 1951 als Tochter irischer Eltern in Neuseeland geboren. Sie war noch ein Kind, als ihr Vater unter ungeklärten Umständen auf hoher See verschwand – ein Trauma, das sie nie loslassen sollte: »Ich werde niemals herausfinden, was mit meinem Vater geschehen ist, und vielleicht erzähle ich auch deswegen Geschichten, in deren Mittelpunkt Geheimnisse stehen – um sie selbst aufklären zu können.« Julie Parsons studierte in Dublin und arbeitete später als Radio- und TV-Produzentin, bevor sie als Schriftstellerin erfolgreich wurde. Ihr Debüt »Mörderspiel«, auch bekannt unter dem Titel »Mary, Mary«, wurde in 17 Sprachen übersetzt und ein internationaler Bestseller. Julie Parsons lebt heute in der irischen Hafenstadt Dun Laoghaire.

Die Autorin im Internet: www.julieparsons.com

Bei dotbooks veröffentlichte Julie Parsons ihre psychologischen Thriller »Mörderspiel«, »Todeskälte«, »Giftstachel«, »Eiskönigin«, »Seelengrund« und »Sündenherz«.

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eBook-Neuausgabe Dezember 2018

Die englische Originalausgabe erschien 1999 unter dem Titel The Courtship Gift bei Macmillan, London. Die deutsche Erstausgabe erschien 1999 unter dem Titel Die Insektenforscherin im Lichtenberg Verlag.

Copyright © der Originalausgabe 1999 by Julie Parsons

Copyright © der deutschen Erstausgabe 1999 Lichtenberg Verlag GmbH, München

Copyright © der Neuausgabe 2018 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung von Bildmotiven von shutterstock/Paul Behan und shutterstock/Dean Drobot

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)

ISBN 978-3-96148-403-4

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Julie Parsons

Giftstachel

Thriller

Aus dem Englischen von Doris Styron

dotbooks.

Kapitel 1

Michael hatte sie beide schon wochenlang beobachtet, den Mann und seine Frau, in dem großen roten Backsteinhaus in der belebten Straße, dessen Rückseite zum Fluß hinausging. Er stand im Park, drüben am anderen Ufer, und sah die schattenhaften Figuren hin und her gehen. Der Mann – groß und hager, grauhaarig, mit einem mageren, faltigen Gesicht. Die Frau war jünger, hatte lange Beine, eine schmale Taille und runde Brüste wie Äpfel, die er nur einmal zu Gesicht bekommen hatte, als sie aus der Dusche stieg und nach einem Handtuch griff.

Er hatte sie zu Haus und bei der Arbeit beobachtet. Hatte ihn gesehen, wie er auf dem gemieteten Parkplatz in der Tiefgarage den Wagen verließ und schnell zum Aufzug ging, einen Stoß bräunlicher Akten unter den Arm geklemmt, während die Aktentasche gegen sein Bein stieß. Hatte sie gesehen, wie sie mit einem Stoß Bücher und einem großen Korb eilig aus dem Haus trat. Sie schnallte sie auf den Gepäckträger eines alten Fahrrads, summte dabei vor sich hin, zog die Handschuhe an und streifte eine weiche Wollmütze über ihr helles Haar. Er hatte sie in dem Museum beobachtet, in dem sie ihre Tage verbrachte. Hatte beobachtet, wie sich die Gelb-, Rot- und Blautöne ihrer Kleider in den Glasscheiben und dem polierten Mahagoni der aufgereihten Schaukästen spiegelten. Hatte ihn beim Lunch und beim Dinner beobachtet, in hohen Räumen, in denen sich sanftes Licht in Silberbestecken und funkelnden Kristallgläsern brach. Und die Selbstzufriedenheit und Überlegenheit derjenigen, mit denen er da speiste. Sie schnippten mit den Fingern nach dem Kellner, Brötchen lagen ausgehöhlt auf dem weißen Tischtuch, wo runde Rotweinflecken ineinanderliefen. Er horchte auf sein lautes, selbstbewußtes Lachen, spürte die kleinen Anzeichen von Unsicherheit auf, wenn das Gesicht sich entspannte, dunkle Ringe unter den Augen und Falten, die sich um den Mund tiefer abzeichneten.

Er kannte ihn. Wartete auf ihn. Wartete auf sie. Bis das Haus still war, dann schlüpfte er durch die hintere Tür hinein. Es war leichtsinnig, sie so unverschlossen zu lassen. Er stand in den Räumen mit den schweren Möbeln. Spiegel mit Goldrahmen, Sideboards aus Mahagoni, ein Flügel im Erker des Wohnzimmers, verblaßte, staubige Gemälde mit Gestalten in Kleidern aus dem achtzehnten Jahrhundert. Er ging langsam hinauf. Öffnete nacheinander alle Türen, fand das große, sorgfältig gemachte Bett. Bücher auf dem Tisch. Ein Korb mit ausrangierter Kleidung. Er bückte sich und ließ die Hände über Seide, Leinen und Spitze gleiten. Und legte seinen Kopf auf das Kissen, wo ihrer gelegen hatte, verschränkte die Arme über der Brust, ließ die Finger über den Baumwollbezug gleiten und kreuzte die ausgestreckten Beine.

Er dachte an das Gewesene und an das, was kommen würde.

Kapitel 2

Es konnte kein Unfall gewesen sein. Sie konnte das einfach nicht glauben. Solche Unfälle passierten nicht einfach so. Aber die Polizei hatte es ihr – natürlich inoffiziell – gesagt. Sie hatten sie nach der Obduktion angerufen und ihr mitgeteilt, es werde noch eine gerichtliche Untersuchung der Todesursache geben, aber die vorläufigen Ergebnisse seien klar. David war an einer anaphylaktischen Schockreaktion gestorben. An einem Bienenstich.

»Sie wußten doch, daß er allergisch war, nicht wahr? Und er wußte es auch, oder?«

Und sie sagte ja, natürlich. Und sie erinnerte sich, wie er darüber gelacht und gesagt hatte, es sei fabelhaft, er würde also nie Gartenarbeit machen müssen. Und er sagte, er könne auch keinen Honig essen, er hasse den Geschmack, die widerwärtig süße Klebrigkeit, genauso hasse er den Gedanken daran, wie die Biene den Nektar aus der Blume in ihren Magen sauge, dann wieder einen Tropfen heraufhole, ihn im Mund halte und dann so lange kaue, bis das Wasser verdunstet und nur noch konzentrierter Zucker übrig sei.

»Pfui, ekelhaft.«

Er ließ die wichtige Rolle der Bienen bei der Befruchtung und alle ihre nützlichen Eigenschaften nicht gelten.

»Wie grausam, so ein Bienenstock. Findest du nicht auch? Wie die Bienen selektiert und von der Königin beherrscht werden und wie die neue Königin dann zusticht und alle ihre Rivalinnen umbringt. Wie in einem faschistischen Staat. Findest du nicht?«

Eine der ersten Unterhaltungen, die sie je geführt hatten. Vor Jahren, mindestens fünfzehn, vielleicht mehr. Als sie noch ein Teenager und er einer der bevorzugten Besucher ihrer Tante Isobel war. An einem hellen Sommertag, als es im Garten summte und brummte. Alles war in Bewegung, Flügel schlugen, Münder öffneten sich und gingen wieder zu, der ganze Kreislauf von Geburt, Tod, Vernichtung und neuem Leben lief hier ab. Dem menschlichen Auge verborgen, nicht hörbar für das menschliche Ohr.

Und sie hatte gedacht, sie könne ihn beeindrucken, hatte ihm gesagt, sie würde Insektenforscherin werden, wenn sie mit der Schule fertig sei.

»Aha, Wissenschaftlerin?« Belustigt hatte er sich in seinen Liegestuhl zurückgelehnt und einen Schluck aus dem großen Glas neben sich genommen. »Besser du als ich.«

Sie war verärgert aufgestanden und hatte sich brüsk abgewandt, war aber trotzdem froh, daß sie den Badeanzug aus eng anliegendem Stretchstoff anhatte, der gerade so hoch hinaufreichte, daß noch die blassen, festen Halbmonde ihrer Haut zu sehen waren.

Vor so vielen Jahren. Inzwischen waren sie durch ihre Erfahrungen ganz andere Menschen geworden. David sah alt und müde aus, wie er da auf der Seite lag und Arme und Beine an sich gezogen hatte, als wolle er sich gegen etwas schützen. Sein graues Haar stand steif über seiner Stirn. Er hatte sein Hemd ausgezogen, das als zerknittertes Häufchen neben ihm lag. Seine Brust- und Rückenmuskeln waren flach und schlaff, seine Haut sehr weiß, außer an den Stellen mit den bösen roten Flecken auf dem ganzen Oberkörper. Seine Augen waren weit geöffnet, das strahlende Blau matt wie mit feiner Gaze verhangen.

Aber die chemischen Reaktionen seines Körpers blieben trotz des Alters immer noch dieselben, ebenso wie die tödliche Reaktion auf das Gift, das die Biene ihm eingespritzt hatte. Sie berührte seine Wange. Seine Haut fühlte sich kalt und hart an. Sie mußte plötzlich an den kleinen, hüpfenden Gummiball denken, den sie als Kind besessen hatte. Sie dachte daran, wie sie ihn mit einem Schläger in den Himmel hochgeschleudert hatte, fast bis zum Dachfirst von Isobels Haus. Wie sie dagestanden, hinaufgestarrt und auszumachen versucht hatte, wo er landen würde. Wie sie, geblendet von der grellen Sonne, herumgewirbelt und wie ihr von der schnellen Bewegung übel geworden war. So übel wie ihr jetzt davon wurde, wie Davids Gesicht sich anfühlte und von dem Blick seiner offenstehenden Augen und dem unangenehmen Geruch, der das kleine Zimmer erfüllte.

Kapitel 3

Natürlich war es vorgesehen, daß sie den Toten finden sollte. So war es immer mit einem Brautgeschenk. Michael hatte es in einem der Kinderlexika gelesen, die seine Großmutter für ihn aufbewahrte. Für die Zeit im Sommer, wenn er Ferien von seiner Schule in London hatte und sie besuchte. Es hieß »Das Buch der Wunder – Was und Warum?« Es war ziemlich altmodisch, mit einem Titelbild von einem Jungen mit sehr kurzem Haar, einem weißen Hemd und einem Modellflugzeug. Großmama hatte einen ganzen Stoß davon auf dem Bücherregal hinter dem Schwarzweißfernseher. Der Name seiner Mutter stand mit großen, geschwungenen Buchstaben darin, aber die Bücher sahen nicht so aus, als habe sie je irgend jemand gelesen. Die Seiten waren glatt und sauber, obwohl sie so rochen wie alles andere in Grannys Haus: nach Feuchtigkeit, gebratenem Essen und dem Desinfektionsmittel, das sie für das Klo hinterm Haus verwendete.

Die Sache mit dem Brautgeschenk war in einem der illustrierten Teile des Buchs gewesen. Insekten– alle Größen und Formen. Was sie fressen, wie sie ihre Nester bauen, wie sie sich paaren. Das interessierte ihn. Er wußte Bescheid über Paarung – bei Insekten, Tieren und Menschen. Seine Mutter verdiente damit ihren Lebensunterhalt, hauptsächlich nachts, obwohl sie keine Kinder mehr bekam. Er sollte eigentlich schon schlafen in dem kalten kleinen Hinterzimmer. Und sie war im vorderen Zimmer, das immer warm und vom Licht der rosa Lampe auf dem Tisch erleuchtet war. Sie wartete meistens, bis sie dachte, er sei eingeschlafen, bevor sie wegging. Und meistens schlief er auch tatsächlich, aber die Geräusche holten ihn wieder zurück. Die Haustür schlug zu, schwere Schritte auf der schmalen Treppe. Männerstimmen, Lachen. Dann ein Lichtspalt vom Treppenabsatz, der auf sein Gesicht fiel, als sie auf Zehenspitzen in sein Zimmer kam und im Schrank herumkramte, um die Blechbüchse zu suchen, in der sie ihr Geld aufbewahrte. Sie hielt sie hoch, so daß das zerkratzte Blech glänzte, als sie den kleinen Schlüssel umdrehte und die gefalteten Banknoten wegschloß. Sorgfältig steckte sie sie wieder unter einen Stoß alter Decken.

Einmal kroch er aus dem Bett auf den Treppenabsatz hinaus und lauschte. Er stieß mit dem Zeh gegen das abgestoßene Cremeweiß der Tür, und sie ging auf. Und er sah einen Mann ohne Kleider vor dem Feuer stehen, und sein Ding stand heraus. Rot und hart. Er legte schnell die Hand auf den Mund, um sein Kichern zu unterdrücken, so lächerlich sah der Mann aus. Und dann sah er seine Mutter. Und sie hatte auch keine Kleider an.

Das war die Paarung. Das war es. Wie die Hunde auf der Gasse und die Katzen in der Wellblechhütte im Garten. Und die Insekten in dem Buch.

Von da stammte die Idee mit dem Brautgeschenk. Er hatte gelesen, daß das Männchen dem Weibchen ein Geschenk machen mußte, damit sie ihn auserwählen würde statt irgendeinen anderen. Das konnte ein Stück von einem Blütenblatt sein oder ein in ein kleines Seidenpaket verschnürtes Samenkorn oder ein anderes totes Insekt, etwa eine Fliege, die er aus einem Spinnennetz gestohlen hatte. Und statt wegzulaufen würde sie ihre Aufmerksamkeit auf die dargebotene Beute richten. Und sie würde sie fressen und stillhalten. So daß er alles mit ihr machen konnte, was er wollte.

Kapitel 4

Es war ein gewöhnlicher Mittwochabend, als David starb. Sie war gegen sechs vom Museum nach Haus gekommen und war in Eile, weil sie vor der Chorprobe um halb acht noch Abendessen kochen wollte, und ein bißchen irritiert über die Nachbarin, die mit einem langen, gepolsterten Kuvert in der Luft herumwedelte, als sie in ihrer Tasche nach dem Schlüssel wühlte.

»Der Briefträger hat es mir gegeben. Ich wollte es eigentlich nicht annehmen. Ich habe ihm gesagt, er hätte eine Nachricht in den Kasten werfen sollen und Sie hätten es von der Post abholen können, aber er hat darauf bestanden, es dazulassen.«

»Ja.« Anna sah der Frau ins Gesicht. Bösartige Neugier lag darin. »Das hat er getan? Ein bißchen bequem, der Gute, hm? Und Sie sollen dann seine Arbeit machen. Vielleicht sollte man mal ein Wörtchen mit seinem Vorgesetzten reden?«

»Nein, nein, das meine ich nicht«, wand sich Mrs. Donnell und preßte ihre Hände gegeneinander. »Nein, das ist schon in Ordnung.« Ihre Gesichtszüge erschlafften, und mit einem Mal war ihrer feinen, faltigen Haut ihre Einsamkeit anzusehen.

»Hätten Sie vielleicht ein kleines bißchen Zeit – für eine Tasse Tee oder so?«

Aber Anna war schon im Haus, lief eilig die Treppe hoch zur Dusche und ließ das kleine Päckchen und die übrige Post für David auf den Schreibtisch in seinem Arbeitszimmer fallen.

Er kam heim, als sie gerade wieder am Gehen war.

»Das Abendessen steht im Backofen«, rief sie und schlug die Hintertür zu. »Bis später. Hab' dich lieb.«

Es war auch die Nacht, in der der Komet zu sehen war. Er folgte ihr, als sie eilig die Anglesea Road hinunterging, tief zog sich eine lange, gelbe, verwischte Spur über den nördlichen Himmel. Er begleitete sie, als sie auf der Ballsbridge über den Dodderfluß und unter den Platanen nach links zum Gemeindesaal in der Clyde Road ging. Er wartete auf sie, als sie auf ihren Platz neben Zoë schlüpfte, den Mund öffnete und anfing zu singen. Die Generalprobe vor der Aufführung der Matthäuspassion an Ostern. Tränen stahlen sich aus ihren Augenwinkeln, als fünfzig Stimmen in der Leidenskraft der Musik zusammenklangen.

Sie ging danach nicht mit den anderen etwas trinken. Sie wurde erneut von dem Licht am Himmel angezogen.

»Siehst du ihn?« Sie packte Zoës kräftige Schulter und drehte sie in die Richtung des Kometen. »Ist er nicht schön?«

Zoë zuckte mit den Achseln. »Kleine Eisstückchen, das ist alles. Teilchen aus gefrorenem Wasser. Nicht so wahnsinnig aufregend.«

Aber Anna war schon unterwegs und ging auf die dunkle Stelle zu, wo der Herbert Park lag. Sie kroch durch ein Loch im Zaun, ging schnell über das Fußballfeld, so weit wie möglich weg von den störenden Lichtern der Stadt.

Es war kalt, zu kalt für Mitte April. Klarer Himmel ohne Wolken, ideal zum Sternebeobachten. Die jungen Blättchen an den Rosen waren unter dem Reif gefroren, der auch die ovale Wasserfläche des Teichs mit einer ganz dünnen Eisschicht wie aus gesponnenem Zucker überzogen hatte. Ihre Schritte auf dem Gras knirschten laut, ihr Atem hing in weißen Dampfwölkchen vor ihr in der Luft, während in der Ferne das metallische Summen des Stadtverkehrs zu hören war.

Sie konnte von dieser Stelle aus die Rückseite ihres eigenen Hauses sehen. Es war die dritte Gruppe von Kaminen, von dem dunklen Einschnitt ab gezählt, wo die Gasse zwischen der Anglesea Road und dem Fluß lag. Sie hielt einen Augenblick inne und sah hinauf. Im Zimmer unten war Licht, dann leuchtete plötzlich im obersten Stock das Fenster von Davids Arbeitszimmer gelb auf. Hoch über dem Garten. Sein Umriß bewegte sich, dann stand er einen Moment still und sah aus dem Fenster. Kann er mich sehen? fragte sie sich und fühlte sich plötzlich seinen Blicken ausgesetzt und verwundbar, denn sie wußte, daß das, was sie tat, ihm nicht recht wäre. Du forderst ja dein Unglück heraus, würde er sagen. Allein in der Nacht herumzulaufen, dummes Mädchen.

Sie wandte sich ab und ging zum dunkelsten Teil des Parks, weit weg vom Lichtschein der Straßenlampen. Sie sah zum Himmel hinauf. Die Milchstraße zog sich wie eine zart glitzernde Spirale von der einen Seite des Horizonts zur anderen, und der Mond, ein fleckiger Heliumballon, schwebte gen Süden. Während im Norden der Hale Bopp hing. Viertausend Jahre, nachdem er zuletzt von den Bewohnern dieses Planeten gesehen worden war. Zu einer Zeit, als der längste und der kürzeste Tag allen bekannt und für die Menschen etwas Besonderes war, die riesige Steine Hunderte von Meilen herumschleppten, um sie zu Zeichen zu ordnen, deren Bedeutung immer noch nicht enträtselt war. Die in Staunen und Furcht vor dem lebten, was kommen würde, und für die das Leben noch eine lange Reihe unerforschlicher Rätsel und Geheimnisse und noch unbeantworteter Fragen war.

Rätsel, ungelöste Fragen? Sie ging von Davids Leiche weg und kauerte sich in einer Ecke des Zimmers zusammen. Sie hatte die Hände vors Gesicht geschlagen, als einer der Polizisten, die bald nach dem Krankenwagen angekommen waren, versuchte, sie zu beruhigen, vernünftig mit ihr zu reden und herauszufinden, wo sie gewesen war, als ihr Mann starb. Sie merkte, daß sie ihr nicht glaubten, als sie ihnen sagte, sie habe mitten im Herbert Park gestanden und den Kometen beobachtet.

»Er ist doch nachts geschlossen, oder?« sagte einer von ihnen, bevor der mit der hellen Haut, den Pockennarben und dem dunkelroten Haar ihn unwirsch ansah und ihr den Arm um die Schulter legte. Sie lachte. Aber das breite Lächeln auf ihrem Gesicht, das jetzt schneeweiß war, verwandelte sich in offene Hysterie.

»Nehmen Sie mich doch fest«, sagte Anna und legte den Kopf in die Hände, während ihre Schultern zu beben anfingen und sie in Schluchzen ausbrach. Die Kriminalbeamten starrten sich hilflos an und warteten, bis der Arzt aufstand und den Mann auf dem Boden für tot erklärte, dann zurücktrat, um den Sanitätern Platz zu machen, damit sie ihre schwere Last hinuntertragen konnten.

Kapitel 5

Normalerweise dauerte es zwei Tage, bis die Todesnachricht in die Zeitungen kam. Wegen der Obduktion gab es in solchen Fällen eines plötzlichen Todes eine ganze Reihe von Formalitäten zu beachten. Und dann erst wurde das Bestattungsunternehmen eingeschaltet, das die Familie daran erinnerte, daß es irgendeine öffentliche Bekanntmachung geben müsse.

Um aber auf jeden Fall sicherzugehen, kaufte er jeden Tag beide Tageszeitungen und sah sie sorgfältig durch. Nur für den Fall, daß eine kleine Notiz drinstünde, eine wie in der Irish Times auf Seite vier auf der linken Seite oder irgendwo unten auf Seite sieben im Independent.

Und seine Gründlichkeit wurde belohnt. In beiden Zeitungen fand sich ein kleiner Artikel, aus dem hervorging, daß der »bekannte Dubliner Rechtsanwalt David Neale« nach einem Unfall zu Hause gestorben war. Seine akademischen und beruflichen Erfolge wurden aufgezählt, manche seiner Fälle und auch sein Interesse für Sport wurden erwähnt. Er war an einem erfolgreichen Rennpferd beteiligt gewesen und hatte in der internationalen Jugendmannschaft Rugby gespielt. Der übliche Quatsch. Er ließ seine Frau Anna zurück. Am nächsten Tag kam die offizielle Meldung:

NEALE, David Sebastian (Ballsbridge, Dublin 4),
am 11. April 1997 plötzlich verstorben.
Schmerzlich vermißt von seiner geliebten Frau Anna,
seinem Bruder James,
Tanten und Onkel,
Schwägerin und einem großen Freundeskreis.
Näheres zur Beisetzung folgt.

Das mußte er sich ausschneiden und mit den anderen Anzeigen aufheben. Für Zeiten, wenn er das Gefühl hatte, als hätte er es im Leben nicht weit gebracht, wenn er glaubte, seine Fähigkeiten nicht ausgeschöpft zu haben und auf der Leiter des Erfolgs nicht so weit gekommen zu sein, wie alle seine Lehrer es ihm zugetraut hatten. Und wie all die netten Frauen es sich erhofften, die auf ihn aufgepaßt und ihn bemuttert hatten, gegen deren dicke Schenkel er sich preßte, während sie zuhörten, wie er vorlas, und die seine Rechenaufgaben durchsahen, denen er leid tat und die in der Pause, wenn sie Aufsicht hatten, über ihn sprachen.

»Ein netter Kerl, dieser Michael Mullen, nicht? So intelligent, hübsch sieht er aus, ein ganz ein Süßer.«

»Es ist jammerschade.«

»Frauen wie sie sollten keine Kinder haben dürfen.«

»Es würde aber nichts bringen, ihn ihr wegzunehmen. Er ist trotzdem besser dran bei seiner Mama, egal wie sie ist.«

Das würde ihnen wohl nicht gefallen, all diesen Miss Clarks, Miss Jones und Miss Prescotts, wenn sie sehen könnten, was er trieb.

Aber letzten Endes war es ihm sowieso egal. Denn er war ganz zufrieden, vielen Dank für die Nachfrage, doch, ganz froh und vollkommen zufrieden.

Kapitel 6

Sie hatte es im Haus nicht ausgehalten. Die ersten paar Tage jedenfalls nicht. Sie konnte den Gedanken an das Zimmer da oben nicht ertragen, an die Flecken auf dem Teppich, wo er gestorben war. Sie war vom gemeinsamen Schlafzimmer in das direkt darunterliegende, kleine Wohnzimmer gezogen, das auf den Garten hinausging, und hatte sich auf der Couch ein Bett hergerichtet. Zwei Decken und ein Kissen. Mit einer Wärmflasche gegen das Frösteln.

Sie hatte in dieser Nacht, nachdem sie ihn weggebracht hatten, dagelegen und keinen Schlaf finden können. Immer wenn sie die Augen schloß, sah sie nur Davids Gesicht vor sich – Mund und Augen weit offen. Er starrte sie an, versuchte zu sprechen, und seine Hände krallten sich in ihre Kleider und zogen an ihr. Als sie dachte, nun sei es nicht mehr zu früh, rief sie Zoë an und bat sie, sie abzuholen und mit sich nach Haus zu nehmen.

Allerdings war es dort nicht viel besser. Sie waren lieb und taktvoll, Zoë, ihr Mann und Tom, ihr fünfjähriger Sohn. Aber was konnten sie sagen oder tun? Wie konnten sie ihr erklären, warum ihr Mann gestorben war? Sie merkte, daß sie ihr auswichen wie einem Stück scharfem, spitzem Glas, an dem sie sich die Haut aufreißen konnten, wenn sie ihnen zu nah kam. Und schließlich konnte sie die Bemerkungen, die sie sich zuflüsterten, wenn sie dachten, sie sei zu Bett gegangen, nicht mehr ertragen, genausowenig wie die langen Seufzer, die in jedem Raum auf sie zu warten schienen. So kehrte sie doch nach Haus zurück oder vielmehr in Davids Haus, das ihr früher mehr als irgendein anderer Ort wie ein Zuhause vorgekommen war.

Drinnen war es jetzt warm. Helles Sonnenlicht fiel durch die vorderen Fenster und den bunten Glaseinsatz in der Tür und malte farbige Vierecke auf den cremefarbenen Teppich im Flur. Sie stand auf der Stufe vor dem Haus, die Tür stand offen, und wartete. Sie horchte. Davids Standuhr tickte langsam und gleichmäßig, als sei sie das Herz des Hauses, dachte sie, als sie hineintrat und die Tür hinter sich zudrückte. Sie horchte wieder. Wartete auf Musik von oben oder vom Flügel im Wohnzimmer. Sie machte einen weiteren Schritt und rief.

»David. Bist du da?«

Aber nur Schweigen.

Schweigen auch oben. Nichts zu hören als die knarrenden Bretter des Fußbodens, wenn sie den Fuß vorsichtig auf die nächste Stufe setzte und eine Hand am glatten Holz des Geländers hochgleiten ließ. Und sie blieb vor seinem Arbeitszimmer stehen und drückte die Tür auf.

Es war genauso, wie sie es vor drei Tagen zurückgelassen hatte. Sie ging weiter und hob seinen Stuhl auf, der noch umgekippt dalag. Sie sammelte die Papiere auf, die auf dem Boden verstreut waren. Die Irish Times war zweimal ordentlich gefaltet. Er muß das Kreuzworträtsel gemacht haben, dachte sie. Jedes Kästchen war ausgefüllt, ein fein säuberliches, komplettes Gitter. Sie sah ihn vor sich, wie er die Zeitung auf dem Knie balancierte und sich mit einem Fuß am Schreibtisch abstützte, während sein Stuhl gefährlich nach hinten kippelte. Sie stapelte die Zeitungen ordentlich neben der alten Reiseschreibmaschine, die er immer noch benutzt hatte, obwohl die Tasten verbogen und die Buchstaben verschwommen waren.

Sie ließ sich auf alle viere nieder, blieb mit ihrem Wollrock an den harten, unebenen Holzbrettern hängen, als sie herumkroch und die Sachen aufhob, die überall herumlagen. Ein schwerer Glasaschenbecher, ein Zigarrenstummel und ein Häufchen Asche, das schon zertreten und verschmiert war. Eine umgefallene Henkeltasse. Angetrockneter Kaffee wie eine klebrige Haut auf dem Boden und ein zerbrochenes Glas. Sie hob die Scherben auf. Der Rest des Inhalts hing noch daran. Sie roch an ihren Fingern, Cognac, dachte sie. Wieder betrachtete sie die Sachen auf dem Boden. Eine Schere, Büroklammern, zwei Kugelschreiber, und als sie die Hand ausstreckte und ein gerahmtes Foto von ihr, das weiter weg in der Ecke gelandet war, aufheben wollte, sah sie die Biene. Irgendwie hatte die Polizei sie übersehen, als sie den Rest mitgenommen hatten. Sie kroch langsam weiter vor, nahm sie sorgfältig mit einer Büroklammer wie mit einer Pinzette hoch. Sie ging jetzt in die Hocke und betrachtete sie. Es war eine Königin. Größer als die anderen, die Drohnen und Arbeiterinnen. Sie wurde in eine besondere Brutzelle gelegt und dann mit Futtersaft, Gelée Royale und mit Vitaminen, Eiweiß, Zucker, DNA, Nukleinsäuren und Fettsäuren gefüttert. Damit sie wuchs und wuchs und dann Eier für den Bienenstock legte, im Sommer waren es jede Woche Tausende. Und wenn sie zu alt für die Fortpflanzung war, wurde sie ausgestoßen.

Sie erhob sich, setzte sich auf Davids Stuhl und legte das Insekt auf seinen Schreibtisch. Die Königin war in einem einfachen Holzkästchen angekommen. Anna wußte sofort, was es war. Ein Nachbar ihrer Tante, der jeden Sommer Honig machte, hatte ihr einmal eines gezeigt. Das getrennte Fach für die Königin, das Zuckerstück, das ihr als Nahrung diente, und das größere Abteil für die Arbeiterinnen, die mit ihr auf die Reise geschickt wurden. Fünfzig oder so, hatte er gesagt, die sich um sie kümmerten und sie versorgten. Sie waren gestorben, um diese Königin zu schützen. Sie selbst war an Hunger und Kälte gestorben, unfähig, ohne sie zu überleben. Anna sah sie sich genauer an. Der Stachel der Biene war intakt wie eine Spritze und besaß keinen Widerhaken wie der der anderen Bienen. Sie konnte immer wieder stechen und mußte trotzdem nicht sterben. Sie riß sich dabei nicht den Hinterleib auf, wie es die gewöhnlichen Bienen für die Sicherheit der anderen taten. Die Königin stach immer nur aus einem Grund: Um die anderen Königinnen, ihre Rivalinnen, zu töten, die weniger weit entwickelt als sie in ihren Zellen lagen und noch nicht fliegen konnten.

Sie erinnerte sich, daß sie das Päckchen mit den anderen Briefen auf seinen Schreibtisch gelegt hatte. Sie hatte es sich an jenem Abend angesehen, als sie die Treppe hinaufging. Sie drehte es mehrmals und betastete es wie ein Kind ein Weihnachtspäckchen. Kein Hinweis auf den Inhalt. Davids Name und die Adresse waren aufgedruckt, aber kein Absender. Dokumente, juristische Unterlagen, vielleicht ein Buch, hatte sie gedacht, wenn sie überhaupt etwas gedacht hatte. Noch mehr Arbeit für zu Hause. Zu viel in letzter Zeit. Sie lehnte sich jetzt zurück, ließ die Arme auf dem glatten Holz der Stuhllehnen ruhen, wie er es immer getan hatte. Ihre Hände hingen hinunter, ihre Finger waren locker und entspannt. So wie seine. Sie schlug die Beine übereinander, die Zehen des rechten Fußes stießen gegen den Boden, und sie wippte mit dem Bein auf und ab, wie er es immer getan hatte. Sie stellte sich vor, wie das Päckchen auf dem Schreibtisch gelegen hatte. Sie konnte seine Hände mit den langen, dünnen Fingern vor sich sehen. Sie hielten eine Zigarre, führten die Henkeltasse mit Kaffee an die Lippen, er nahm einen Schluck aus dem Glas. Er hob das Päckchen hoch, nahm eine Schere, um es mit der scharfen Spitze aufzureißen, und zog das Kästchen heraus. Er hatte bestimmt nicht sofort gewußt, was es war. Er hatte so etwas noch nie gesehen. Er drehte es um, sah das Gittergewebe, die kleinen abgetrennten Fächer. Und dann hatte er den Deckel zurückgeschoben. Und was hatte er dann getan? Es fallen lassen? Gegen die Wand geworfen, so daß die Bienen wild wurden? In der Zimmerluft hing noch der Geruch seiner Angst. Auf seiner Stirn begann der Schweiß auszubrechen. Ein Geruch, den sie erkannten und auf den sie sofort reagierten. Sie flogen auf ihn zu, um ihn abzuschrecken. Um ihn von ihrer Königin fernzuhalten. Und was hatte er dann wohl getan? Geschrien und geschrien, als der erste Stachel mit dem Widerhaken eindrang. Riß sich das Hemd vom Leib, weil er versuchen wollte, sich die Stacheln herauszuziehen. Seine Arme fuchtelten hilflos in der Luft herum, während er sich in seiner Todesqual wand und krümmte. Sie wußten sehr wohl, wie man angriff. Sie hatte einmal welche im Garten ihrer Tante gesehen, die sich auf eine Wespe stürzten, weil sie ihren Honig stehlen wollte. Alles war in wenigen Minuten vorbei gewesen.

So, wie es für David gewesen sein mußte. Die allergische Reaktion auf das Bienengift, die seinen Kreislauf kollabieren ließ. Sein Herz, das nichts mehr zu pumpen hatte. Kein Motor mehr, der das Blut durch die Adern seines Körpers fließen ließ. Kein wertvoller Sauerstoff, der in jede seiner Körperzellen gelangte. Sein Gehirn, das anfing auszusetzen, seine Gehirnzellen, die abstarben. Seine Atmung, die durch die Schwellung in seinem Hals abgeblockt wurde. Sein Abgleiten in ein tiefes dunkles Loch, sein Ringen nach kostbarer, erlösender Luft, die ihn nun nicht mehr retten konnte.

Aber sie begriff es immer noch nicht. Warum verließ er nicht das Zimmer, als er die Bienen sah? Warum unternahm er nichts, um sie loszuwerden? Warum öffnete er nicht das hohe Fenster, das auf den Garten hinausging? Warum versuchte er nicht, das Kästchen samt seinem verhängnisvollen Inhalt hinauszuwerfen?

Sie stand auf und sah hinaus in den Garten hinunter. Sie entriegelte den Messinggriff und drückte kräftig dagegen. Es rührte sich nichts. Sie drückte noch einmal und noch einmal. Noch immer nichts. Sie hielt inne, die Hände gegen die Glasscheibe gepreßt, und sah weit unten den Rasen. Ihre Handflächen waren feucht, ihr Herz pochte heftig, ihre Knie wurden weich. Sie trat einen, zwei, drei, vier Schritte zurück und hielt sich an der Ecke des Schreibtischs fest. Sie mußte etwas tun gegen das hilflose Gefühl abzurutschen und wegzugleiten. In diesem Zimmer hatte sie sich nie recht wohl gefühlt. Es lag zu hoch oben über dem Garten, den Bäumen und dem Fluß. Sie wartete, bis sie wieder ruhiger atmen konnte und ihr Puls langsamer wurde, dann zog sie sich nach vorn, eine Hand griff über die andere, während sie sich an Davids schwerem Mahagonistuhl festhielt und sich am Bücherregal an der Wand und dann am Fensterbrett entlangtastete. Sie faßte nach den Messinggriffen des Fensters, drückte es wieder hoch, so daß es sich lockerte und aufging – nur so weit, um etwas Luft hereinzulassen. Dann trat sie schnell vom Fenster zurück, damit sie nicht in den Garten hinunter oder über den Fluß auf das gleichmäßige Grün des Parks sehen mußte.

»Also weißt du, du solltest nicht allein hierbleiben. Das ist nicht gut für dich.« Anna saß mit James, Davids jüngerem Bruder, in der Küche. Wenn sie die Augen schloß, konnte sie sich vorstellen, er sei David, der wieder da und bei ihr war. Derselbe Akzent, dieselben tiefen Kehllaute, wenn er sprach. Aber da hörte die Ähnlichkeit auch schon auf.

»Man würde euch nie für Brüder halten«, sagte sie und sah, wie die Röte von seinem Kragen bis zum Haaransatz seiner hohen, gewölbten Stirn in sein massiges, weißes Gesicht stieg. Er zuckte mit den Schultern, öffnete seine Aktenmappe und legte Akte um Akte auf den Küchentisch.

»Ich glaube, ich nehme noch Tee«, sagte er, »bevor ich dir erkläre, wie heikel deine Lage ist.«

Es mußte also ausgerechnet James sein, der ihr offenbarte, wie sehr David sie getäuscht hatte. Er war Davids Testamentsvollstrecker. Sie erinnerte sich an ein Gespräch, das sie mit David kurz nach ihrer Heirat geführt hatte. Oder vielmehr ein Gespräch, das er mit ihr zu führen versucht hatte. Sie lag damals, einen Arm auf dem Ellbogen aufgestützt und den Kopf in ihrer Hand, vor dem Feuer und las. David saß hinter ihr auf dem Sofa und redete über Testamente und Geld und das Haus. Seine Worte trieben über sie hinweg wie dunkle Wolkenfetzen.

»Hörst du mir zu?« Er stupste sie mit der Schuhspitze in den Rücken. »Hörst du mich?«

Sie antwortete nicht. Sie betrachtete im Schein des Feuers ihre Hand. Ihre Adern glühten in einem grellen Pink. Sie drehte ihre Hand hin und her, während Davids Stimme hinter ihr weitergrollte. Sie lauschte dem Rhythmus, dem Tonfall, der veränderten Tonlage. Aber nicht den einzelnen Worten. So wie sie damals den Stimmen aus dem Salon ihrer Tante gelauscht hatte. Die heisere und zögerliche Stimme ihres Vaters, die kaum hörbare ihrer Mutter und die von Isobel laut und zornig, so daß sie rückwärts die ganze lange Treppe wieder hinaufkroch bis zu dem Absatz, wo sie ihre Lieblingspuppe zurückgelassen hatte. Sie wollte damals nicht wissen, was sie sagten, und sie wollte jetzt nicht wissen, was David sagte. Alles, was sie wollte, war vor dem Feuer liegen und die Wärme auf ihrem Körper spüren. Das war alles, was sie wollte. Damals und jetzt.

Sie saß in der Küche, James gegenüber. Draußen war es hell und sonnig, der Himmel reingewaschen und lichtblau. James breitete die Papiere auf dem Tisch aus. Vor sieben Tagen war die Beerdigung gewesen, und sie waren Seite an Seite hinter Davids Sarg hergegangen. Sie hatte getan, was man von ihr erwartete, hatte einen möglichst unauffälligen schwarzen Rock mit Jacke getragen, hatte ihren Platz in der vordersten Bankreihe neben James und seiner Frau eingenommen und hörte zu, wie einige der besten Freunde und Kollegen Davids stockend Lesungen und Bibeltexte vortrugen. Sie hatte im Fond des großen schwarzen Wagens gesessen, dessen zerschlissener Ledersitz sie in die Schenkel pikste, während Isobel sich die nächste Zigarette anzündete. Sie kauerte zusammengesunken an der Wagentür, eine geduckte, in ihren Gram verbissene Gestalt. Ihre klar geschnittenen Gesichtszüge waren kaum wiederzuerkennen, nur noch eine teigige, von Falten durchzogene. Masse. Sie fuhren schweigend aus der Stadt hinaus zum neuen Friedhof in der Nähe einer unfertigen Wohnsiedlung. Anna warf, wie es Sitte war, die erste Handvoll trockener Erde auf den polierten Holzsarg. Sie landete lautlos und stieg als Staub wieder in die stille Frühlingsluft. Sie wollte bleiben, bis die Totengräber David zugedeckt hatten, aber James nahm sie am Arm und zog sie weg, führte sie zum Auto zurück und fuhr sie zu sich nach Haus.

Sie hatte dagestanden mit einem Glas Wein, das sie krampfhaft festhielt, und hörte um sich herum ein Dutzend Unterhaltungen, die rhythmisch lauter und leiser wurden, gelegentlich füllte lautes Lachen eine verlegene Pause. Und sie hatte sich gefragt, wer all diese Leute waren, die ihr sagten, wie leid ihr Verlust ihnen tat, die beim Abschied ihre Wange berührten und ihr die schlaffen Hände drückten und deren Zusagen von Hilfe und Trost so hohl klangen wie die schmerzende, gähnende Leere, die sie in sich fühlte.

»Sieh mal, hier.« James zeigte immer wieder auf Bankauszüge und Bilanzaufstellungen. Briefe, die breite rote Aufkleber von Inkassobüros und der Dubliner Bezirksverwaltung trugen.

»Hast du wirklich nichts gewußt, hattest du nicht einmal einen Verdacht?«

Sie hob hilflos die Schultern und sah an seinem ordentlichen blonden Haarschopf vorbei zu dem Topf Dachwurz, der draußen auf dem breiten Fenstersims stand. Sempervivum hießen die fleischigen, sternförmigen Rosetten. Immerlebend. David hatte ihr einmal erzählt, die Römer hätten sie auf Dächern gepflanzt, um sich gegen den Blitz zu schützen. Er hätte sich an ihre Weisheit halten sollen, dachte sie, während James einen weiteren bedrohlichen Brief hochhielt.

»Du hast verdammtes Glück«, sagte er. »Ich verstehe nicht, wie er es fertiggebracht hat, so lange Kredit zu bekommen.«

»Aber er hatte Geld. Er hatte immer Geld. Viel Geld. Und er gab es immer aus, kaufte alles Mögliche. Bilder, Möbel, Wein. Du weißt ja, wie er war. Und außerdem gab es ja die Miete von den Häusern in der Dame Street. Sein Büro nahm nur den ersten Stock ein, der Rest muß doch ziemlich viel eingebracht haben.«

James lächelte ihr zu. Er erinnerte sie plötzlich daran, wie David ausgesehen hatte, als sie ihn kennenlernte. Als die Haut um seine Augen noch glatt war, nur eine leichte Andeutung der Linien, die sie später faltig und zerknittert wie ein zerknülltes Taschentuch aussehen ließen.

»Das wußtest du auch nicht? Ach komm, du mußt es gewußt haben. Ich kann es gar nicht glauben, daß du, so wie die Dinge in unserer heutigen Zeit liegen, nicht gewußt hast, was da los war.«

Aber was war gewonnen, wenn man Bescheid wußte? Das Wissen darum machte es nur schlimmer. So war es Anna schon immer vorgekommen. Lieber nicht wissen, daß der Vater krank, die Mutter verzweifelt und die Tante, Vaters Schwester, zornig war. Lieber nicht wissen, was sie über einen redeten in jenen dunklen Winternächten, wenn ihre Stimmen sich erhoben und wieder leiser wurden hinter der Salontür, während sie sich auf der Fensterbank des Treppenabsatzes zusammenrollte und beobachtete, wie die Sterne die Formen des Tapetenmusters annahmen in dem Zimmer, wo sie nun schlief und wo früher einmal das Zimmer ihres Vaters gewesen war, als er in ihrem Alter war.

»Was?« Sie hielt ihm verwirrt die Handflächen entgegen, wobei das Sonnenlicht die Linien auf der hellen Haut hervorhob. »Ich wußte nichts. Ich habe dir doch gesagt, daß wir nie darüber redeten.« Weil sie nie mehr über irgend etwas redeten. Stille im Haus, noch stiller als die Stille jetzt.

»Er hat das Haus in der Dame Street letztes Jahr verkauft. Und«, er blätterte wieder in dem Stoß Papiere, »er hat sein Boot verkauft und das Stück Land, das deine Tante ihm schenkte, als ihr geheiratet habt.«

Sie stand auf, ging zur Tür, öffnete sie und trat auf die geflieste Terrasse hinaus. Blütenblätter vom Apfelbaum sprenkelten den hellgrünen, nassen Rasen mit Weiß und Rosa und lagen braun und schmutzig auf den Steinen zu ihren Füßen. Es würde dieses Jahr keine gute Ernte geben. Das Frühjahr war zu kalt und windig gewesen. Schlechtes Wetter für die Bestäubung. Die Bienen mochten das nicht, flogen nicht, wenn die Sonne nicht schien.

»Hörst du mir zu, Anna, hast du verstanden, was ich gesagt habe? Du wirst schwierige Entscheidungen treffen müssen.« James hatte seinen Taschenrechner herausgenommen und zählte eine lange Zahlenreihe zusammen.

»Ich kann immer noch nicht begreifen, wie er so sterben konnte. Du?«

»Hör. mal, Anna, bitte, ich versuche dir zu helfen. Du mußt dich aber ein bißchen auf die Sache konzentrieren. Es gibt nur einen Ausweg aus diesem ganzen Chaos. Du wirst Davids Bilder und die guten Möbel verkaufen müssen. Es tut mir leid, daß ich dir so schlechte Nachrichten überbringen muß, aber das Haus wirst du auch verkaufen müssen.«

Davids Haus. Wo er, so schien es, immer schon gewohnt hatte. Lange bevor sie sich in jenem Sommer kennenlernten, als er Isobel besuchen kam und sie von der Schule nach Haus gekommen war. Und er hatte mit ihr geflirtet, sie geneckt und versprochen, sonntags mit ihr auszugehen. Er fuhr die lange Einfahrt zur Schule hinauf und stellte sich ihrer Hausmutter vor. Ich bin Annas Cousin, sagte er, streckte die Hand aus und sah so groß und aufrecht und stark und gut aus. Sie wußte, daß alle anderen Mädchen vom Fenster des Schlafsaals aus zusahen. Neidisch, eifersüchtig. Wie hatte die arme, klägliche Anna Bartholomew es nur geschafft, so jemanden zu finden, der sie ausführte? Die Jungen, die auf dem Spielfeld herumstanden, waren auch neidisch. Auf seinen schwarzen BMW und die Lässigkeit, mit der er sich gegen die glänzende Karosserie lehnte. Er ließ die Tür für sie aufschwingen, übersah ihre bewußt unansehnliche Schuluniform und vergewisserte sich, daß ihre Beine in den dicken, dunkelblauen Strümpfen und ihre Füße in den schweren Schnürschuhen sicher an Ort und Stelle standen, bevor er sie schwungvoll zuschlug.

Sie hatten keinen Sex miteinander an jenem ersten Tag, als er sie hierher brachte. Da war eine Frau im Wohnzimmer, als David die Haustür aufstieß und Anna an der Hand hineinführte. Er stellte sie einander vor. Das ist Marion, sagte er. Er küßte sie auf den Mund, zog sie an sich und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Sie lächelte und öffnete dabei ihren hübschen Mund, um ihre weißen Zähne zu zeigen.

»Sie ist phantastisch, Anna, eine wunderbare Köchin, kannst du riechen, was wir zum Lunch bekommen?« Fleisch, gebratenes Fleisch, dunkelbraun lag es da auf der Platte, mit einer gelben Kruste obendrauf, knusprig und saftig. Und Kartoffeln in einer schimmernden Bratensoße. Das Wasser lief ihr im Mund zusammen, so daß sie heftig schlucken mußte.

»Danke, für mich nicht«, hatte Anna gesagt, als David ihr einen Teller reichte. »Ich bin Vegetarierin.«

»Aha? Seit wann?«

Sie zuckte die Achseln. »Seit einem Monat oder so.«

»Prinzipien oder eine Laune?«

Wieder ein Achselzucken. »Such's dir aus.«

Es war ein Spiel gewesen, dieses Mittagessen, und sie hatte gewonnen. Sie begriff das Ausmaß ihres Sieges nicht gleich. David hatte sie hingehalten und geneckt, sie verwöhnt, so daß sie kein Interesse an Jungen in ihrem eigenen Alter hatte. Das blieb auch die ganzen Jahre so, die sie an der Universität verbrachte. Selbst als sie nach England gegangen war, um ihren Doktor zu machen, hatte er ihr geschrieben, hatte sie in ihren schäbigen Studentenbuden besucht, ihr Geschenke gemacht und Geld gegeben. Er hatte sie gequält mit seinen Schmeicheleien und seiner Treulosigkeit, bis zu jenem Tag, als er ihr gesagt hatte, daß er sie liebe und sie heiraten wolle. Damit sie sich sicher, wohl und geborgen fühle. Ihre Hand lag in seiner, ihr Kopf lehnte an seiner Schulter, sein Körper war schwer und hielt sie fest wie die Gewichte, mit denen man wilde Blumen preßt.

Bis zu jenem Abend, als sie die Haustür aufschloß und in den Flur trat. Musik hörte, die sie erkannte. Bachs Konzert für zwei Violinen und Streichorchester. Sie hielt inne, um zu horchen. Etwas stimmte nicht. Die Platte war eine seiner Lieblingsplatten. Alt und zerkratzt, verbogen und beschädigt.

»Ich kauf' dir eine CD, das ist doch viel bessere Qualität, ja?«

»Nein, ich mag sie, es klingt echter. Wie eine richtige Vorstellung, nicht so vollkommen.«

Aber jetzt war die Nadel hängengeblieben. Derselbe halbe Takt wiederholte sich immer wieder. Sie horchte und rief ihn.

David, David, die Platte.

Sie nahm ihren Mantel ab, hängte ihn an den geschnitzten Pfosten am Ende des Geländers, rief noch einmal.

David, hörst du das nicht?

Sie setzte den Fuß auf die erste Stufe, ging schnell die erste Treppe hoch, am Schlafzimmer mit der dunklen, offenen Tür vorbei. Sie schaltete das Licht auf dem Treppenabsatz an und eilte schneller die nächste Treppe hoch. Die Musik wurde immer lauter. Ein Knacken, der Takt begann, dann brach er mittendrin ab und fing wieder von vorne an. Wieder rief sie ihn.

David, David, die Musik.

Und sie ging weiter die Treppe hinauf, die sich wie eine Spirale nach oben wand. Die Geigen wurden immer lauter, als sie näher kam. Was konnte er nur tun? Welches verrückte Spiel spielte er? Dieselbe schwachsinnige Tonfolge erklang immer wieder, als sie die Tür aufstieß und im selben Augenblick den alten Plattenspieler auf dem niedrigen Tisch sah, dessen Arm über die verbeulte, rotierende Plastikscheibe hüpfte. Und David auf dem Boden. Seine offenen Augen, die sie anstarrten, als sie ihn anschrie.

Die Musik, die Musik, mach doch die Musik aus.

Kapitel 7

Billy Newman war David Neale nie begegnet. Aber er kannte dessen Frau. Die Berührung ihrer Hand, den Duft, der von ihr ausging, wenn sie sich zu ihm beugte, er wußte, wie ihr Ellbogen sich anfühlte, wenn sie zusammen spazierengingen und ihr Schritt so gut zusammenpaßte. Sie hatte ihren Mann ein paarmal erwähnt. Einmal, als sie die Dame Street zusammen hinuntergingen und die Köpfe zusammensteckten, damit sie einander bei dem Verkehrslärm verständigen konnten. Sie war mit ihm stehengeblieben, hatte seine Hand vom Hundegeschirr gelöst, ihm den Handschuh ausgezogen, seine Finger auf etwas Kaltes, Glattes gelegt und ihn die tiefen Ritzen im Metall abtasten lassen. Sie fragte ihn, was er erkennen könne, und er hatte innegehalten, bis er die Formen im Kopf zusammengesetzt hatte. Das D und das A und das V und das I und noch ein D. Ja, hatte sie gesagt. David – und führte seine Finger die nächste Zeile entlang und wartete, bis er das Wort buchstabiert hatte. Rechtsanwalt, sagte sie und dann, sollen wir reingehen? Aber er hatte ihr gesagt, er wolle das nicht. Er hätte es etwas eilig, obwohl sie beide sehr wohl wußten, daß das nicht stimmte. Billy hatte es nie eilig, wenn er mit Anna zusammen war. Und sie hatte gesagt, natürlich, kein Problem, und ob er eine Tasse Tee bei Bewleys trinken wolle, bevor sie wieder ins Museum zurück müsse.

Er nahm an, Anna hätte ihm Bescheid gesagt, daß ihr Mann gestorben war, aber er hatte sie seit einer Woche oder so nicht mehr gesehen. Er erfuhr es trotzdem, als er bei der alten Winnie, die neben ihm wohnte, am Nachmittag seinen Tee trank. Ihr gemeinsames Ritual bestand darin, daß er jeden Dienstag und Donnerstag bei ihr eingeladen war, wenn sie wie gewöhnlich von dem kleinen Friedhof in Donnybrook zurückgekehrt war. Sie war dann immer ganz durchgefroren, und wenn er die faltige Haut ihrer Hände streifte, waren sie eiskalt, obwohl sie, wenn sie Unkraut jätete oder die welken Blätter von den schmutzig-grauen Grabsteinen fegte, gefütterte Gartenhandschuhe trug. Sie klopfte an seine Wand, wenn sie soweit war, und er legte Grace das Geschirr an – nur damit sie sich anständig benehmen und nicht etwa Winnies Katze nachjagen würde – und setzte sich auf den Stuhl, den sie sorgfältig so für ihn hingestellt hatte, daß er ihn gleich fand. Er saß aufrecht da mit beiden Füßen auf dem abgetretenen Teppich und den Handflächen auf den Knien, während der Duft des Toastbrots, das sie in ihrer kleinen Küche mit Butter bestrich, ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ. Er horchte auf das Plätschern der Flüssigkeit, die von der Kanne in die Porzellantassen lief, die sie immer benutzte.

»Milch?« fragte sie dann mit ihrer höflichen, leisen Stimme, und er sah in ihre Richtung und sagte: »Ja, bitte.«

»Zucker?«

Diesmal nickte er und lauschte, ob er das kaum hörbare Klirren der Zange hören konnte, wenn sie zwei Stück Zucker in seinen Tee tat und schnell umrührte und wenn der Löffel einen Laut wie ein winziges Glöckchen machte. Bei der alten Winnie war es immer ruhig. Sie hörte kein Radio und sah auch nicht fern. Sie las lieber die Zeitung, die Irish Times, jeden Tag wählte sie die Artikel und Meldungen aus, die sie ihm vorlesen würde, während er seinen Tee trank und sein Toastbrot aß, das mit ihrem selbstgemachten Pflaumenmus bestrichen war. Bei der alten Winnie war es warm und sauber und ruhig. Manchmal schlief er ein, nachdem er gegessen hatte. Und sie bügelte. Das tröstliche Zischen und das dumpfe Aufsetzen des schweren Bügeleisens auf dem Tuch drangen in sein Bewußtsein und drifteten wieder weg, während sein Kopf nach vorn sank, die einzige Farbe – Rot –, an die er sich erinnern konnte, bevor er Meningitis bekommen hatte, durchflutete seine Träume, bis er plötzlich hochfuhr, die Augen öffnete und wieder im Dunkeln war.