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Stefan Wilfert

HEIMLICHE
HAUSTIERE

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Ich danke meinem Bruder Dr. Michael Wilfert
für die fachliche Durchsicht des Buches.
Sollten noch Fehler vorhanden sein,
so gehen sie auf meine Kappe.
S. W.

INHALT

VOR ALLEM

ES GIBT KEIN UNGEZIEFER

Lieblingsspeise: Leim Leder Leinen

SILBERFISCHCHEN

Wirklich winzige Wiederverwerter

HAUSSTAUBMILBE

Scheues Schreckstarren-Schweinchen

KELLERASSEL

Buchliebhaber Billigflieger Bienenretter

BÜCHERSKORPION

Allgemeine Allesfresserin

STUBENFLIEGE

Fabelhaftes Forscher-Format

TAUFLIEGE

Schmuckloser Schrank-Schmetterling

KLEIDERMOTTE

Motte mag Müsli

DÖRROBSTMOTTE

Blinder Blutsauger

BETTWANZE

Globaler Glücksbringer

MARIENKÄFER

Fressgieriger Frauenmöger

MENSCHENFLOH

Unangefochten unbeliebt und unkaputtbar

DEUTSCHE SCHABE

Stabile Staatenbildung

AMEISEN

WorldWideWeb

SPINNENTIERE

VOR ALLEM

Als wir Menschen die Bühne des Lebens betraten, da hatte die Evolution schon vier Milliarden Jahre Zeit gehabt, um auszuprobieren. Und alles was um uns herum so kreucht und fleucht hat eine Geschichte hinter sich, vor allem eine Erfolgsgeschichte. Die haben schon einiges erlebt, die Insekten und Käfer und Spinnen und die vielen anderen, die für uns eher lästig, manchmal sogar sehr lästig sind. Dabei zeigen sich da unten im Bereich der Milli- und Zentimeter wahre Meisterwerke an Statik, Effizienz und Nachhaltigkeit. Die sind das lebendige Beispiel für einen verantwortungsvollen Umgang mit den Ressourcen, die ihnen zur Verfügung stehen. Jede noch so kleine Nische an Möglichkeiten wird besetzt und genutzt. Und wenn wir Menschen den Krabblern und Flüglern neue Nischen anbieten durch unser Hiersein und Sosein, dann müssen wir uns nicht wundern, dass die viel lebenserfahreneren Kleinstlebewesen die auch nutzen. Kurzum, sie sind kaum kleinzukriegen, schließlich sind sie schon klein. Und wenn wir da so drastisch eingreifen, dann tun wir das häufig mit chemischen Kampfmitteln, die in unserer Lebenswelt eigentlich verboten werden sollten. Wir Menschen sind besondere Lebewesen, denn wir haben eine Wahl, wir können uns entscheiden für das Richtige. Alle anderen können nur reagieren, wir können agieren. Und statt die Fliegenklatsche zu nehmen und mit Hand und Fuß auf den kleinen Mitbewohnern herumzutreten und draufzuhauen, wäre vielleicht ein Moment des Innehaltens angesagt, zum Beispiel mit diesem Buch von Stefan Wilfert. Wenn Ihre kleinen Mitbewohner Sie stören, dann sammeln Sie sie und bringen sie einfach nach draußen. Ich bin mir sicher, Sie fühlen sich viel besser, denn Sie wissen, Sie haben etwas Gutes getan. Alte Pfadfinderweisheit: Jeden Tag eine gute Tat. Noch besser: Warum denn nur eine?

Prof. Dr. Harald Lesch

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ES GIBT KEIN UNGEZIEFER!

Der wahrhaft Ethische nimmt sich die Zeit, einem Insekt, das in einen Tümpel gefallen ist, ein Blatt oder einen Halm zur Rettung hinzuhalten. Und er fürchtet sich nicht, als sentimental belächelt zu werden.

Albert Schweitzer

Früher waren Insekten für mich eine alltägliche Sache. Immer wieder gab es Spinnen in der Wohnung, am Efeu der Hauswand kletterten schon mal Heuschrecken hoch und gelangten durchs offene Fenster in meine Wohnung. Fuhr ich stundenlang auf der Autobahn, war die Front voller toter Insekten. Vieles wäre noch davon zu erzählen. All das sehe ich heute nicht mehr. Kaum Spinnen in der Wohnung, Heuschrecken oder Asseln überhaupt nicht mehr, und die toten Insekten auf der Windschutzscheibe sind extrem weniger geworden. Und richtig bemerkt habe ich den Schwund der Insekten, als mir auffiel, dass es weniger Vögel in meiner Umgebung gibt. Da liegt natürlich der Schluss nahe, dass dem so ist, weil sie weniger Nahrung finden. Das ist aber nur ein Aspekt des Vogel-Verschwindens.

Bei den Insekten ist es durch Studien belegt. Es gibt immer weniger. Viele haben ein schlechtes Image und sind vor allem leicht zu erwischen. Viele Menschen demonstrieren für die Erhaltung der Landschaft. Gehen dann nach Hause und erschlagen eine Spinne, Kellerassel oder Fliege. Das aber ist alles eine Seite derselben Medaille.

Dieses Buch handelt hauptsächlich von Insekten. Es beschreibt einige von ihnen, wie sie sind, was sie tun, worin ihre Stellung im Naturkreislauf besteht. Für viele von uns sind sie unnütze, lästige, ja schädliche Tiere. Aber Insekten haben innerhalb der Natur eine wichtige Funktion. Fünfunddreißig Prozent unserer Nahrung hängt von Insektenbestäubung ab. Achtzig Prozent der Wildpflanzen werden von Insekten bestäubt. Für sechzig Prozent der Vögel dienen sie als Nahrung. Manche können tatsächlich Schaden anrichten, oft sind sie aber nur »Lästlinge«, fallen einem also lästig ohne konkret zu schaden. In unserem immer mehr verstädterten Leben ist für sie kein Platz mehr. Obwohl sie allgegenwärtig sind. Aber eben immer weniger.

Deutsche, holländische und britische Forscher präsentierten nach jahrzehntelangen Untersuchungen im Oktober 2017 in dem renommierten online Journal PLOS ONE eine Studie, die zeigt, dass es ein massives Insektensterben auf der ganzen Welt gibt. Man spricht von sechsundsiebzig Prozent Rückgang bei den fliegenden Insekten, also Bienen, Wespen, Käfer, Motten und Fliegen. Die Werte wurden verglichen mit denen des Jahres 1989. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass diese Werte in Schutzgebieten, dreiundsechzig an der Zahl, erhoben wurden. Also in Gebieten, in denen es den Tieren relativ gesehen besser gehen müsste als in nicht geschützten Ökosystemen. Die Frage ist nun nicht mehr, ob es ein solches Insektensterben gibt, sondern dass es darum geht, wie man dieses dramatische Problem stoppen kann. Klimawandel als Grund wird verneint, da sich wärmeres Klima in der Regel für die Entwicklung von Insekten positiv auswirkt. Relevante Beweise gibt es nicht, aber die Wahrscheinlichkeit wird als sehr hoch beschrieben, dass der intensive Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft darauf einen großen Einfluss hat.

»Pestizide spielen mit Sicherheit eine ganz große Rolle. Wir können davon ausgehen, dass es besonders bei kleinen Naturschutzgebieten durch Verfrachtung über die Luft zu einer Kontamination der Fläche kommt.« Das erklärte Jan Christian Habel vom Lehrstuhl für Terrestrische Ökologie der TU München in einem Fernseh-Interview. Ein Warnhinweis speziell für Landwirte und Agrarpolitiker, aber auch für uns alle.

»Die Intensivierung der landwirtschaftlichen Produktion, zum Beispiel mit Agrochemikalien, ist eine plausible Ursache für den dramatischen Rückgang der Insektenbiomasse«, meinte dazu Teja Tscharntke, Leiter der Abteilung Agrarökonomie der Georg-August-Universität Göttingen. »Große Felder, nur noch wenige schmale Feldränder, kaum Hecken und Gehölze, sowie nur noch vereinzelte Brachen und kaum mageres Grünland führen dazu, dass außerhalb der Schutzgebiete kaum noch Nahrungs- und Nistressourcen zur Verfügung stehen.«

Wir wissen seit langem, wie wichtig ein ökologisches Gleichgewicht ist. Fällt eine Art aus, wirkt sich das auf das Gesamtsystem aus. Fallen die Insekten aus, fällt die Bestäubung aus. Viele Pflanzen bilden dann keinen Samen mehr und sterben aus. Und damit haben auch die Körnerfresser bei den Vögeln Probleme. Und es ist nicht übertrieben zu sagen, sterben die Insekten aus, stirbt der Mensch aus! Sie sind diejenigen, »die am Hebel der Welt sitzen«, sagt der amerikanische Wissenschaftsjournalist David MacNeal von den Insekten. Sie ernähren uns, räumen den Dreck weg. »Insekten führen dem Boden … wieder Nährstoffe zu. Wenn es sie nicht gäbe, wäre die Menge an Verwesung und Fäulnis überall furchtbar«, meint MacNeal in einem Interview mit dem Wissenschafts-Magazin National Geographic.

Das, was wir so allgemein und unbedacht »Ungeziefer« nennen, ist oft nicht schädlich, sondern sogar nützlich. »Ungeziefer« heißt übersetzt, die Tiere passen uns nicht in den Kram. Also weg damit. Genau so wie das »Unkraut« im Gartenbeet oder auf der Terrasse. Weg damit.

Wir wissen so vieles über Löwen, Tiger, Schlangen, Hunde, Katzen etc., aber über Insekten, die uns wirklich jeden Tag begleiten, wissen wir im Allgemeinen nichts. Das Image der meisten Insekten ist miserabel verglichen mit dem von Löwen, Elefanten oder Adlern zum Beispiel. Drum wundert es auch nicht, wenn kein Staat der Welt ein Insekt in seinem Staatswappen trägt!

Seit etwa 20 000 Jahren baut sich der Mensch Häuser. Und errichtet damit gleichzeitig ein Heim für Tiere. Nicht nur für seine »normalen« Haustiere, sondern eben auch für Haus-Tiere. Eine Unterscheidung hier Haus, dort Natur lässt sich nicht anstellen. Menschliche Behausungen sind eine Art Dschungel in Miniform! Lebewesen mit Augen und Fühlern, mit oder ohne Flügel, langsam oder schnell kriechend, krabbelnd und knabbernd sind um uns herum. Tag und Nacht! Würde man ein Haus umdrehen und kräftig schütteln, wir würden uns wundern, wie viele kleine, kleinste und viele für uns unsichtbare Tiere da herauspurzelten!

Machen wir also einen Besuch bei Familie Mustermann. Die Familie wohnt in einem Haus im ersten Stock. Drei Zimmer, Küche, Bad. Natürlich steht an der Wohnungstür das Schild mit dem Namen »Mustermann«. Was bedeutet, hier in der Wohnung leben die Mustermanns. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Denn in der Wohnung leben noch viel mehr Lebewesen.

Unter dem Namensschild der Mustermanns müssten noch einige andere Namens- bzw. Klingelschilder sich befinden. Zum Beispiel Schilder von »Familie-«:

imageSilberfischchen

imageHausstaubmilbe

imageKellerassel

imageBücherskorpion

imageStubenfliege

imageTaufliege

imageKleidermotte

imageDörrobstmotte

imageBettwanze

imageMarienkäfer

imageMenschenfloh

imageDeutsche Schabe

imageAmeisen

imageSpinnentiere

Um nur einige zu nennen! Denn die Liste müsste noch sehr viel länger sein. Entomologen, also Insektenkundler, der North Carolina State University haben fünfzig freistehende Häuser untersucht und dabei ein eindeutiges Ergebnis erzielt: Die Wohnung lebt! In fünfhundertundfünfzig Räumen krochen sie mit Taschenlampen, Knieschonern, Glasfläschchen und Absauggeräten herum, um alles Lebendige oder lebendig Gewesene einzusammeln. So haben sie insgesamt knapp sechshundert Arten von Insekten, Milben, Tausendfüßer, Krebs- oder Spinnentieren identifizieren können. Im Durchschnitt wurden pro Haushalt etwa einhundert verschiedene Arten eruiert. Und wie schön: die wenigsten von ihnen waren Schädlinge! Wobei der Begriff »Schädling« von Zoologen sowieso nicht verwendet wird. Er stellt eine menschliche Bewertung dar! In der Regel ist im Gegenteil der Mensch der »Schädling«, da er mit seiner von ihm konstruierten Umwelt vielen Tieren den Lebensraum nimmt.

Und dabei könnten Insekten einmal in Zukunft zur Lösung des Hungerproblems der Welt beitragen.

Noch verursacht bei uns die Vorstellung Ekel, Insekten zu essen. Aber: Grillen und Heuschrecken enthalten viel Eiweiß. Und auch viele Mineralien und die für den menschlichen Körper wichtigen, ungesättigten Fettsäuren sind in den etwa eintausendneunhundert essbaren Insektenarten enthalten. Die Weltgesundheitsorganisation WHO spricht von derzeit einhundertvierzig Ländern, in denen Käfer, Raupen und Heuschrecken im Kochtopf landen. Für viele Afrikaner und Asiaten sind Insekten-Speisen normal. Rund fünfundsechzig Prozent der Weltbevölkerung isst Insekten! Seit 2017 sind in der Schweiz als erstem Land Europas Züchtung und Verkauf von bestimmten Insekten erlaubt. In Zürich können Sie einen Insekten-Burger essen!

Auf unserem Planeten leben geschätzt eine Trillion Insekten. Und eine große Menge davon folgt dem Menschen in seine Behausungen, wo der Mensch seine Nahrung aufbewahrt. In Deutschland leben etwa dreiunddreißigtausend bekannte Insektenarten. Und da sie keine Lobby haben, werden es immer weniger. Wie schon erwähnt, wahrscheinlich übergroßer Einsatz von Pestiziden unter anderem macht Insekten das Leben nicht nur schwer, sondern teilweise auch unmöglich. Und sterben die Insekten aus, haben zum Beispiel Vögel, Fledermäuse, Igel, Spitzmäuse oder Fische weniger zu fressen. Und der Mensch? Je weniger Insekten es gibt, um so weniger will der Mensch mit ihnen leben. Weil er nicht mehr an sie gewöhnt ist. Je weniger Insekten, desto größer der Ekel, wenn welche auftauchen! Es sind eben keine putzigen Kuscheltiere, die man streicheln, mit denen man auf dem Sofa herumtollen kann. Wir haben uns schon sehr weit von der Natur entfernt, sollten in dieser Hinsicht aber gelassener werden und versuchen mit den Insekten zu leben und sie nicht gleich als »Ungeziefer« abtun! Denn es sind faszinierende Tiere, die einem viele interessante Überraschungen bieten, wenn man sich mit ihnen beschäftigt. Je mehr Wissen man über sie hat, desto mehr wächst auch die Hochachtung vor diesen Tieren, die teilweise schon seit Abermillionen Jahren existieren.

Insekten, sie sind immer und überall! Wie die amerikanischen Wissenschaftler in den fünfzig Häusern nachgewiesen haben. Und wer hätte das erwartet: Nur fünf von den erwähnten fünfhundertundfünfzig untersuchten Räumen waren frei von den heimlichen Untermietern! Sicher lässt sich dieses Ergebnis nicht eins zu eins auf Deutschland übertragen. Eine derartige Untersuchung wurde bei uns noch nicht angestellt. Aber: Im Prinzip kann man durchaus ähnliche Werte erwarten.

Man könnte diese Aufzählung noch fast bis ins Unendliche weitertreiben, wenn wir noch die Bakterien, Viren und anderen Mikroben dazurechnen würden. Da gibt es die größte Artenvielfalt. Aber das würde dann doch zu weit führen. Nur um einen kleinen Eindruck davon zu vermitteln: Auf jede einzelne Körperzelle des Menschen kommen zehn Bewohner! In unserem Mund tummeln sich schon etwa einhundert Milliarden Bakterien!

Auf alle Fälle gilt: »Wir sind nicht alleine«! So heißt es immer, wenn es um die Frage von möglichen Außerirdischen geht. Die Behauptung stimmt demnach einhundertprozentig für unsere »innerirdischen« Behausungen. Neben der Katze von Familie Mustermann hat die Familie eben noch jede Menge heimliche Mitbewohner. Die sie in der Regel nicht sieht. Und die sich genauso wohl fühlen in der Wohnung wie sie selbst. Zoologen übrigens nennen diese tierischen Mitbewohner unter unserem Dach Intradomalfauna, von »intra« für innen und »domus« das Haus. Und den Satz »wir sind nie alleine« können wir also noch weiter ausführen: »Wir waren nie alleine und wir werden nie alleine sein.«

Schauen wir zum Beispiel einmal genauer auf Küche, Bad und Keller. Und was fällt einem da ein? Dass da die Waschmaschine steht? Nein! Sondern dort finden wir Silberfischchen.

Sie protestieren, weil es bei Ihnen sauber zugeht? Da können Sie noch so putzen, Silberfischchen sind Lebenskünstler. Ein bisschen Feuchtigkeit, ein wenig Nahrung, das reicht. Und das schon mal vorweg, sie sind in keiner Weise schädlich! Genauso wie etwa der Bücherskorpion oder die Hausspinne. Mag man diese Mitbewohner überhaupt nicht, kann man sich trösten: einen absoluten Schutz gegen sie gibt es nicht. Ein Ratschlag: freunden Sie sich mit Spinnen an. So eine Hausspinne kann pro Jahr schon mal bis zwei Kilogramm(!) Insekten verspeisen!