Inhalt

Zum Geleit

Ein Haufen Emsigkeit

Im Rausch der Möglichkeiten

Gegenwartsschrumpfung

Gegen die Zeit

Ein Stück Ewigkeit, aber bitte sofort!

Das Ende des Zauberhaften

Die Lieblingsfrage

Was einem so zufällt

Vom Müssen zur Muße

Lange weilen statt Langeweile

Fern sehen statt fernsehen

Ballspielen und Unfug verboten!

Von Kairometern und, Zeitverweisen

Koffeinhaltige Entspannungsübungen

Lasst uns faul und bunter sein!

Mathematik der Entschleunigung

Faul zu sein ist harte Arbeit

Leseempfehlungen

Zum Geleit

Ist es unsere Art zu leben, die unser Verhältnis zum Nichtstun sprachlich geprägt hat? Oder ist es umgekehrt die Sprache, die es formte? Wie dem auch sei: Nimmt man das Wort »Faulheit« in den Mund, schmeckt es vergoren, muffig und widerwärtig – eben faulig. Das englische lazy geht viel frischer von der Zunge, das italienische pigro klingt gar wie eine Liebeserklärung. Wer jemals den 2015 verstorbenen Pino Daniele sein der Faulheit gewidmetes Lied »Pigro« hat singen hören, findet in dieser bezaubernden Musik den unumstößlichen Beweis dafür, dass das süße Leben eine Erfindung der Italiener sein muss – la dolce vita. Dennoch macht man sich mit einem Loblied auf die Faulheit nicht unbedingt Freunde – obwohl man sich dabei in guter Gesellschaft befindet. Und in der würde ich nur allzu gern bei dem ein oder anderen geistigen Getränk verweilen: Aristoteles zur Linken sitzend, daneben Lessing, im Klubsessel in der Ecke schmaucht Oscar Wilde genüsslich seine Zigarre, Tolstoi nippt an seinem Wodka – und keiner von ihnen unternimmt auch nur ansatzweise den Versuch, Woody Allen in seinem Redefluss zu stoppen. Was für ein Abend!

Einen Hauch dieser Stimmung wünsche ich Ihnen beim Lesen dieser Ode an die Muße, in der ich mit leichter Feder und philosophisch gerüstet, aber ohne Schweiß im Angesicht ein paar Steinchen aus dem Mauerwerk der hetzenden und getriebenen Moderne herausschnipse. Einbrechen wird das Bollwerk dadurch zwar nicht, aber das ein oder andere Guckloch könnte sich auftun und etwas vom Licht des Lebendigen hindurchlassen. Machen Sie es sich gemütlich, und lassen Sie diese Sonnenstrahlen auf Ihre Seele scheinen!

Giovanni Battista liebte die Tiere. Nicht von ungefähr gilt er als einer der ersten Tierschützer dieses Planeten, sah er doch Mensch und Tier gleichberechtigt auf einer Stufe. Man erzählt sich, dass er sogar manchmal Lämmer auf dem Weg zum Schlachthof gekauft habe, um sie vor einem allzu frühen Tod zu retten. Der 4. Oktober ist in Gedenken an ihn zum Welttierschutztag geworden, denn seine innige Liebe erstreckte sich auf alles, was kreucht und fleucht und planscht. Alles? Nicht ganz. Eine einzige Ausnahme machte er. Ein Geschöpf unserer Erde widerte ihn geradezu an, denn es war ihm einfach zu eifrig: die Ameise. Die wurde einst auch als Emse bezeichnet. Und was Giovanni Battista, der besser bekannt ist als Franz von Assisi oder – seit seiner Heiligsprechung am 4. Oktober 1228 – als heiliger Franziskus, absolut nicht leiden konnte, war diese unermüdliche Emsigkeit der kleinen Krabbler. Wenn Franziskus heute von weit oben auf die Welt schaute, was würde er wohl bei einem Blick auf Berlin, Hamburg, Frankfurt oder gar Stuttgart über uns Menschen denken? Ich wüsste es zu gern.

Zugegeben: Ameisen sind nützliche Tiere. Sie putzen ordentlich viel weg und halten den Wald sauber. Dass aber die Emsigkeit zu einem besonders charakteristischen Wesenszug einer Spezies geworden ist, die über deutlich mehr und besser vernetzte graue Zellen verfügt als ein ganzer Ameisenhaufen, erscheint mir nicht nur aus der Perspektive eines inzwischen außerirdischen Heiligen mehr als verschroben. Was ist da schiefgelaufen? Zumal der Arbeitseifer des Homo sapiens augenscheinlich nicht darauf ausgerichtet ist, den Wald oder gar die Welt sauber zu halten. Ein gewaltiger Teil menschlichen Schuftens läuft vielmehr darauf hinaus, dass der eigene Planet mit immer mehr Müll vollgestopft wird und dabei die über Millionen von Jahren eingelagerten Energiereserven so schnell verfeuert werden, dass selbst dem ansonsten ja eher gemächlich sich wandelnden Klima schwindelig wird. Was wirft das für ein Licht auf unsere Gattung? Wenn etwas wirklich peinlich ist, dann das. Die Welt wird das auf lange Sicht vermutlich irgendwie verkraften. Wenn wir so emsig weitermachen wie bisher, wird dies allerdings mit großer Wahrscheinlichkeit ohne uns stattfinden.

Und trotzdem singen wir Tag für Tag im Schweiße unserer Angesichter unermüdlich das Hohelied des Arbeitseifers und verteufeln die Faulheit und das süße Leben als Sünde. Von der Natur kann uns dieses Programm nicht in die Wiege gelegt worden sein. Angesichts eines Babys, das neben Essen, Trinken, Verdauen und Kuscheln die überwiegende Zeit dösend oder schlafend verbringt, soll mir jemand bitte einmal das Gegenteil beweisen. Dank meines Kinderreichtums kann ich aus persönlicher Erfahrung eindeutig belegen, dass diese natürliche Haltung eine Halbwertszeit hat, die ohne Gegendruck von außen in der Pubertät noch längst nicht erreicht ist. Schule könnte noch so interessant sein und würde doch nicht einem nochmaligen Umdrehen unter der Bettdecke vorgezogen werden. Nicht nur als Schüler, sondern mehr noch als Vater war ich oft kurz davor, den viel zu frühen Schulbeginn als eine Vorstufe der Folter anzuklagen oder zumindest die Festschreibung des Ausschlafens als Menschenrecht einzufordern.

Irgendeinen Grund muss es also geben, dass wir uns gemeinschaftlich so überzeugt gegen unsere eigene und die uns umgebende Natur entwickeln und verhalten. Gewichtig muss er sein, dieser Grund. Auf meiner langen Suche danach habe ich erfahren, dass ihm nicht eine einzelne Ursache zugrunde liegt, sondern sich unsere allgemeine Lebenshektik und Emsigkeit in einem erschreckend dicht gewobenen Netz gesellschaftlicher Vorgaben und entsprechender Entwicklungen verstrickt, das uns vor lauter Fäden kaum einen Ausblick ermöglicht, geschweige denn ein Entkommen daraus.

Damit es nicht zu einer anstrengenden Aufgabe wird, dieses Geflecht aufzudröseln – was diesem Buch unangemessen wäre –, habe ich mir erhofft, dass es doch so etwas wie eine Schere oder ein Messer geben müsste, mit denen sich die Fäden und Knoten zerschneiden ließen. Gefangen im dreidimensionalen gegenständlichen Denken bin ich allerdings nicht fündig geworden. Es brauchte einige Jahre ausgeprägter Muße, reichlich Geduld und den Aufbruch in eine Dimension, für die wir kein Sinnesorgan besitzen, die wir noch nicht einmal in der Lage sind, genau zu beschreiben: die Zeit. Bei einem ausgiebigen in die Luft und die Natur schauenden Nichtstun habe ich die Zeit, unsere vierte Dimension, als das erkannt, was alles erst lebendig macht. Ohne die Zeit bleibt ein dreidimensionaler Raum tot, starr und bedeutungslos. Wenn ich unseren Umgang mit der Zeit etwas gründlicher durchschaue, so meine ungefähre Ahnung, sollten sich mir sowohl die Angelegenheiten offenbaren, die für ein gutes Leben bedeutsam sind, als auch die Zusammenhänge, derentwegen bei uns so viel schiefläuft – oder sollte ich eher sagen: warum hier so viel schiefrennt?

Wieso fühlen sich so viele Menschen in unserem Kulturkreis so gehetzt? Weshalb haben so viele Menschen das Gefühl, wie in einem Hamsterrad zu rasen, ohne ihrem Lebenssinn auch nur einen Millimeter näher zu kommen? Warum verwenden wir unseren Verstand, unsere Kreativität und unsere Erfindungen nicht dafür, dass es uns und der Welt gut geht? Und vor allem: Wie kommen wir aus der peinlichen Nummer mit den Ameisen wieder raus?