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VORWORT

»Wie schwanger« fühlt es sich für viele Menschen an, wenn sie einen riesigen Blähbauch haben. Am Morgen ist der Bauch meist noch flach, wird dann im Laufe des Tages größer und größer, bis am Abend Kleidung oder Gürtel nicht mehr so recht passen. Damit einher gehen oftmals Unwohlsein, »peinliche« Verdauungsgeräusche oder gar Bauchschmerzen und Veränderungen des Stuhlgangs. Das Ablassen von Luft nach oben oder unten kann kurzfristig helfen, löst aber nicht das grundsätzliche Problem und ist meist auch wenig sozialverträglich. Oft sind die Beschwerden so stark, dass sich die Betroffenen zurückziehen oder schämen, in Gesellschaft zu sein. Unzählige Patienten haben uns aufgrund dieser Problematik in den vergangenen Jahren aufgesucht und eindrückliche Fotos auf ihren Smartphones dargeboten: schwangere Bäuche ohne Schwangerschaft.

Für uns Grund genug, ein Buch zu schreiben, das sich umfassend mit diesem Thema befasst. Im theoretischen Teil erhalten Sie einen Überblick, was wir zum derzeitigen Stand der Forschung über Ursachen und Entstehung des Blähbauchs wissen. Gleichzeitig versuchen wir dabei die Thesen und Theorien abzugrenzen, die bislang (noch) nicht wissenschaftlich bewiesen werden konnten. Besonderes Augenmerk liegt aber auf den praktischen Hinweisen, wie Sie Ihre Beschwerden mittels Ernährungsanpassung lindern oder sogar vollständig beseitigen können. Diese basieren zum einen auf wissenschaftlichen Daten, zum anderen auf unserer langjährigen Erfahrung in der gastroenterologischen und ernährungsmedizinischen Praxis. Gerade diesen gemeinsamen Ansatz einer Betreuung durch Arzt und Ernährungsberatung möchten wir besonders hervorheben, da unserer Erfahrung nach hierdurch die größten Erfolge in der Behandlung von Patienten erzielt werden können.

Daher stellt dieses Buch ein Gemisch beider Sichtweisen dar, vertreten durch den Arzt Dr. med. Martin Wilhelmi und die Ernährungsberaterin Diana Studerus, die jeweils in dasselbe Ziel münden: den Blähbauch zu vertreiben und Beschwerdefreiheit zu erreichen durch fundiertes Wissen und eine individuell angepasste Ernährung. Inspiriert und mitgestaltet ist unser Buch durch Prof. Peter Gibson, der mit seinem Team in Australien die FODMAP-Diät erfunden hat – die derzeit stärkste Waffe im Kampf gegen den Blähbauch. Insgesamt soll eine praxisnahe und leichte Hilfe für alle Betroffenen angeboten werden. Kommen Sie daher mit auf unseren Flug durch die Welt der Darmgase, Blähbäuche und der Ernährungsmedizin: »Sit back, relax and enjoy your flight!«

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FODMAP – DOWN UNDER

Der Pilot des Airbus A380 drückt die Schubhebel nach vorne. Das Kerosin strömt in die Triebwerke, beschleunigt die Luft und schiebt die schwere Maschine immer schneller werdend über die Startbahn, bis sie sich langsam in die Luft hebt – in Richtung Australien. Mehr als 800 Passagiere sitzen auf ihren Plätzen. Der Umgebungsdruck nimmt ab und das Gas in ihren Därmen beginnt sich mit jedem gewonnenen Höhenmeter langsam auszudehnen. »Jet bloat«, meint eine der Stewardessen und lacht. Trinkt man am Boden ein Glas Mineralwasser, hat man in 10 km Höhe einen Gasballon im Bauch. »Wie schwanger fühlt man sich dann«, ergänzt sie.

Später sitzen wir an der Bar und sprechen schon wieder über Gas im Magen-Darm-Trakt. Die Stewardessen kichern und berichten, dass sie alle während der Flüge sehr häufig pupsen müssen. Es ist kaum zu vermeiden. Das Thema ist tabu und doch betrifft es alle. »Es kommt aber auch darauf an, was man isst und trinkt«, bemerkt die Chef-Stewardess. »Und man darf sich das Pupsen nicht verkneifen«, fügt eine andere hinzu, »sonst bläht man auf wie ein Ballon.« Noch zwölf Stunden bis Australien.

Wir sind auf dem Weg nach Down under, dem Land, in dem das Gas im Magen-Darm-Trakt erforscht wird wie nirgendwo sonst auf der Welt. Wir müssen ganz hinunter an den Südzipfel des Kontinents, nach Melbourne. Das Land ist riesig und der Flug endlos. Wenn man schon fast nicht mehr daran glaubt, erreicht man dann doch endlich die große Stadt direkt am Meer. In Melbourne treffen wir an der Monash University Professor Peter Gibson und sein Team, die »Entdecker« der FODMAP.

Gut gelaunt führt uns der sympathische Magen-Darm-Spezialist durch seine Sprechstunde. Immer sind eine Ernährungsberaterin und eine Psychologin an seiner Seite. Ein Psychoanalytiker erklärte uns dazu, dass dies unbewusst einer familiären Betreuung ähnele mit Vater- und Mutterfiguren und deshalb helfen kann, die Botschaften mit der nötigen familiären Autorität glaubwürdig und wirksam zu übermitteln – aha! Viele der Patienten und Patientinnen klagen über geblähte Bäuche, Flatulenz (übermäßiges Pupsen), aber auch Bauchschmerzen, Durchfall und andere Beschwerden. »Vor allem abends fühle ich mich wie schwanger«, wissen viele der Betroffenen zu berichten. Reizdarmsyndrom (RDS) oder im Englischen irritable bowel syndrom (IBS) ist die häufigste Diagnose bei diesen Patienten.

»Und die Umstellung der Ernährung ist der Königsweg, um diese Beschwerden zu lindern oder sogar vollständig zu vermeiden«, meint Peter Gibson lachend. In seiner Abteilung am Alfred Hospital in Melbourne türmen sich Lebensmittel aus aller Welt. »Wir messen den Gehalt an FODMAP in diesen Lebensmitteln und kennzeichnen sie«, erklärt die Laborassistentin, während wir durch die Kellergewölbe an vielen Maschinen vorbeikommen, die alle auf Hochtouren laufen. »Das ist zwar sehr aufwendig, aber so können wir den Menschen helfen, besser einzuschätzen, welche Lebensmittel mehr Beschwerden auslösen als andere«, fährt sie fort.

»Was sind denn nun diese FODMAP?«, frage ich Peter Gibson beim Kaffee. Eigentlich weiß ich das ja schon und kenne alle seine Veröffentlichungen, möchte aber seine Erklärung hierzu einfach mal persönlich hören. »Ganz einfach, das sind blähende Lebensmittel«, ist die Antwort. »Bestimmte Zuckerarten führen bei Menschen mit Reizdarm häufig zu Beschwerden.« FODMAP ist hierbei eine Abkürzung für fermentable oligo-di-monosaccharide and polyole. Diese Stoffe sind in vielen sehr verschiedenen Lebensmitteln wie Obst, Gemüse, Milch- und Getreideprodukten enthalten.

Jedes Böhnchen gibt ein Tönchen, wusste schon der Volksmund, genauso, dass Zwiebeln und Knoblauch zu Gas im Magen-Darm-Trakt führen. Was ist also neu an der Geschichte? »Neu daran ist, dass man praktisch alle Lebensmittel auf den Gehalt an FODMAP prüfen kann«, meint Peter Gibson. Die Studien hierzu waren dann aber auch entsprechend aufwendig. Patienten mit dem typischen Reizdarmsyndrom bekamen über mehrere Wochen Mahlzeiten entweder mit hohem FODMAP-Gehalt (eine standardisierte australische Diät mit viel Gemüse) oder eine Diät mit reduziertem FODMAP-Gehalt. Die Ergebnisse waren eindeutig: Die Gruppe der Versuchspersonen, denen eine Ernährung mit niedrigem FODMAP-Gehalt zugeteilt wurde, hatte kaum Beschwerden. Aufgrund dieser Untersuchungen wird die sogenannte Low-FODMAP-Diät in Großbritannien als Erstlinientherapie bei Reizdarmbeschwerden empfohlen. Andere Länder werden dieser Empfehlung wahrscheinlich folgen. Im praktischen Teil des Buches führen wir daher mit vielen Tipps und Tricks durch diese Diät.

Diana: »Ich muss mich hier einmal einschalten. Wenn Martin Diät sagt, meinen wir keine Abmagerungskur. Wir denken dabei an eine gezielte Ernährungsanpassung (englisch: diet) und erklären Ihnen im theoretischen Teil des Buches, wie Sie mit einer cleveren Nahrungsmittelauswahl dazu beitragen können, weniger unter Blähungen zu leiden. Mit einer Schlankheitskur hat das nichts zu tun, Sie werden mit einer FODMAP-armen Ernährung nicht abnehmen, aber Sie fühlen sich mit Sicherheit weniger ›wie schwanger‹!«

Martin: »Das stimmt! Wenn Sie abnehmen möchten, sind Sie bei uns falsch! Wir wollen den Blähungen den Garaus machen. Peter, wie seid ihr eigentlich auf die Abkürzung FODMAP gekommen?«

Peter: »Wir hatten ein Konzept entwickelt, das alle kurzkettigen Kohlenhydrate (bestimmte Zuckermoleküle), die im Darm nur sehr langsam aufgenommen oder auch gar nicht verdaut werden können, zusammenfasst. Diese Stoffe werden dann im Dickdarm von Bakterien fermentiert und führen bei Menschen mit hoher Empfindlichkeit zu Beschwerden. Hierbei traten insbesondere zwei Probleme auf: Zum einen handelt es sich bei den Bezeichnungen dieser Moleküle allesamt um Zungenbrecher, darum brauchte es ein einfach verständliches Wort. Zum anderen war es ein grundsätzliches Problem, von Begriffen wie Fruktoseintoleranz oder Laktoseintoleranz wegzukommen – und das ist es teilweise immer noch. Wir wollen, dass Menschen eher in Lebensmittelgruppen denken, nicht in einzelnen Substanzen. Also haben wir einen internen Wettbewerb in unserer Forschungsgruppe ausgeschrieben, um das beste Wort hierfür zu finden. FODMAP hat gewonnen! Man sagte uns zu Beginn, das sei ein hässliches Wort und niemand werde es sich merken können. Aber das Gegenteil war der Fall. Der Name war einprägsam und etablierte sich.«

Martin: »Ja! FODMAP ist der Hoffnungsschimmer für alle Blähbäuche und wir sind froh, dass das Konzept den Weg von Australien nach Europa fand. Eine weite Reise.«