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Nr. 3046

 

Die Stadt im Sturm

 

Sie suchen nach einem Weg in die Zerozone – und finden die Index-Bewahrer

 

Leo Lukas

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog: Die Order des Advokaten

1. Ein Kind der Zerozone

2. Kein Treuefest für Remalhiu

3. Die Mutantenfrage

4. Die Macht der Fünf

5. Das Ende einer Dienstfahrt

6. Bei Eiern und Riesenspinnen

7. Im Auge des Sturms

Epilog: Der Schock

Stellaris 72

Vorwort

»Ein Roboter namens Ferdinand« von Michael G. Rosenberg

Leserkontaktseite

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Mehr als 3000 Jahre in der Zukunft: Längst verstehen sich die Menschen als Terraner, die ihre Erde und das Sonnensystem hinter sich gelassen haben. In der Unendlichkeit des Alls treffen sie auf Außerirdische aller Art. Ihre Nachkommen haben Tausende von Welten besiedelt, zahlreiche Raumschiffe fliegen bis zu den entlegensten Sternen.

Perry Rhodan ist der Mensch, der von Anfang an mit den Erdbewohnern ins All vorgestoßen ist. Nun steht er vor seiner vielleicht größten Herausforderung: Die Rückkehr von seiner letzten Mission hat ihn rund 500 Jahre weiter in der Zeit katapultiert. Eine sogenannte Datensintflut hat fast alle historischen Dokumente entwertet, sodass nur noch die Speicher seines Raumschiffes RAS TSCHUBAI gesichertes Wissen enthalten.

Weil er mehr über die aktuelle Situation wissen will, ist Rhodan mit der RAS TSCHUBAI in das sogenannte Galaxien-Geviert aufgebrochen. Dort haben die Mächte des Chaos, repräsentiert durch die Kandidatin Phaatom und ihr Hilfsvolk, die Phersunen, die aufseiten der Ordnungsmächte stehende Superintelligenz VECU ausgeschaltet und ihr Reich zertrümmert. Während die letzten Getreuen der VECU auf der Flucht sind, suchen Perry Rhodan und seine Leute einen Weg, die Milchstraße vor einem ähnlichen Schicksal zu schützen. Dabei betritt ein Einsatzteam DIE STADT IM STURM ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Monboddo der Hocker – Der Trotone hat eine einzigartige Fähigkeit und einen zweifelhaften Charakter.

Donn Yaradua – Der Metabolist leistet Überzeugungsarbeit.

Oxana Schmitt – Die Paraspezialistin begibt sich in die Stadt im Sturm.

Iwán/Iwa Mulholland – Das psionische Multitalent betätigt sich als Spurensucher.

Remalhiu ke-Keelac – Der Steward fühlt sich seinen Gästen auch ohne Schiff verpflichtet.

Perry Rhodan – Der Expeditionsleiter entsendet ein Einsatzteam aus mehr und weniger bewährten Personen.

»Es mag albern klingen, aber in der Freizeit habe ich mich gerne einer kleinen Sammlung antiker Spielzeuge gewidmet.

Mein Lieblingsstück war eine handgeschnitzte vier Meter lange Miniatur der SOL mit abkoppelbaren Einzelsegmenten. Eine der Kugelraumerzellen ließ sich aufklappen und mit winzigen Holzpüppchen der Besatzung befüllen – freilich alles andere als maßstabsgetreu.

Positiv gesehen sind sämtliche Stücke nun um fünfhundert Jahre antiker. Realistisch betrachtet werde ich sie nie wiederfinden. Wir haben jeden Besitz aufgegeben, der sich nicht an Bord der RAS TSCHUBAI befand. Kleidung, Sportgleiter, Häuser, was auch immer.

Wenn man so will, sind wir eine Bande armer, in der Zeit gestrandeter Schlucker.«

(Donn Yaradua im Gespräch mit Osmund Solemani,

kurz nach dem großen Zeitsprung)

 

 

Prolog

Die Order des Advokaten

 

Er hatte diesen Anblick erwartet und sich darauf gefreut. Dennoch stockte Jashol Zhaushun der Atem, als die PALAGUN ihre Überlichtetappe beendet hatte und die Sichtscheiben des Observatoriums transparent wurden.

Da war er.

Gigantisch. Schrecklich schön.

Überwältigend majestätisch.

Unfassbar, in mehrerlei Hinsicht: Der Abyssale Triumphbogen ließ sich durch keine Technologie orten. Er war ausschließlich normaloptisch wahrnehmbar, und auch das nur zu einem kleinen Teil.

Der Halo, der ihn umgab, bestand aus bewegten, sich rasch verändernden Strukturen in unzähligen Abstufungen rötlich-silberner, changierender Farben. Jashol Zhaushun wusste, dass sein Gehirn bei Weitem nicht ausreichte, um das Geschaute richtig oder gar vollständig zu interpretieren.

Deshalb waren seine Eindrücke subjektiv geprägt. Wabernde Muster, wie aus Rauchfahnen geflochten, wandelten sich zu zersplitternden Eisschollen, zu sich windenden Wurmkolonien, zu aufblühenden Kelchen dunklen Feuers.

Andere Beobachter vermeinten vielleicht, glosende Gewebe zu erkennen, erlöschende Sternbilder oder blitzende Spiegelscherben ... Die Phänomene verwehten gleich wieder und schienen doch eine festmaterielle Basis zu haben.

Vom eigentlichen Triumphbogen waren nur die Grundflächen sichtbar, als zwei nebeneinander angeordnete, zweidimensionale Kreisscheiben. Tatsächlich reichten die beiden Säulen in eine unmessbare Tiefe: in den Abyssus, wo sie sich trafen und vereinten.

Die Schwärze im Innern sprengte die Fesseln des Seins. Sie vermochte alles und jeden zu annihilieren und einem tieferen Zweck zuzuführen.

Es war, als hätte jemand mit kühnem, hartem Streich ein Doppelfenster ins Universum gestanzt. Zwei Bullaugen zu Bereichen jenseits der Unendlichkeit ...

Schleier wogten über die pulsierende Dunkelheit. Immer wieder verklumpten sie für wenige Augenblicke zu abstrusen Figuren. Die in die Kreisflächen einstürzende Vektormaterie erschien blass, in wechselnden, oft ungewöhnlichen, sonderbar berückenden Farben.

Jashol Zhaushuns Ergriffenheit wurde zusätzlich dadurch gesteigert, dass es sich um den allerersten Abyssalen Triumphbogen handelte, den sein Volk im Galaxien-Geviert errichtet hatte. Genau an diesem historischen Ort hatten die Phersunen ihren Siegeszug durch die Galaxis Ancaisin begonnen, mit dem Angriff auf Caitlast, die Hauptwelt des Sternwestlichen Konsulats der Cairaner.

Das Konsulat existierte seit jenem Tag nicht mehr, genauso wenig wie Caitlast. Der Planet war in Morphmaterie umgewandelt worden, er und sieben andere im System der weißgelben Sonne Huphurn. Übrig geblieben war einzig der äußerste Planet, Gattcan, eine öde, lebensfeindliche Fels- und Eiswelt.

Die Abyssalen Triumphbögen demonstrierten die technische Überlegenheit der Phersunen und der kosmischen Macht, mit der sie im Bunde standen: Phaatom, die auf dem Wege war, sich von einer hoch entwickelten Bewusstseinsform zu einem noch erhabeneren Zustand weiterzuentwickeln und die ob dieses Status auch als Kandidatin betitelt wurde.

Zugleich dienten sie dazu, der Kandidatin Phaatom Morphmaterie zuzuführen. Diese traf in Gestalt einzelner, beinahe lichtschneller Wolken ein. Sie bildeten scheinbar endlos lange, hauchdünne Fäden und Ströme, aber auch Würfel und andere Formen.

Rund drei Lichtstunden abseits des Triumphbogens tauchten die blassen Schemen auf. Sie bewegten sich auf ihn zu. Binnen durchschnittlich dreißig Stunden stürzten sie schließlich mit einem Zehntel der Lichtgeschwindigkeit in die Säulenflächen hinein.

So beschrieb man den Vorgang, in Ermangelung treffenderer Ausdrücke. Was genau geschah, blieb auch für Jashol Zhaushun, den Kommandanten der PALAGUN, ein Mysterium, ein kosmisches Wunder.

 

*

 

Abyssale Triumphbögen waren keine beständigen Gebilde. Vielmehr befanden sie sich gewissermaßen in einem Fließgleichgewicht. Die normal-materiellen Teile waren aus einem Stoff, den die Phersunen Phaatom-Gabe nannten, nach ihrer großen Mentorin, Schutzherrin und Förderin.

Zwischen den Kreisscheiben schwebte das Logistik- oder Speisezentrum des Bogens. Es hatte die Form einer Doppelpyramide aus zwei aneinandergesetzten Tetraedern.

Die abgerundeten Spitzen wiesen auf die beiden Säulenbasen. Von transparenten, 120 Meter durchmessenden Kuppeln aus beobachteten die Phersunen, zumal die Abyssalen Einspeiser, die Bewegungen der Vektormaterie.

Die Seitenlänge der Grundfläche betrug 900 Meter, die Höhe der einzelnen Pyramiden 1135 Meter. Das gesamte Speisezentrum bestand aus demselben, violett schimmerndem Metall Shillad wie die PALAGUN und die meisten anderen Raumschiffe der Phersunen.

Da der Abyssale Triumphbogen nicht anmessbar war, ließ sich auch die Entfernung zwischen dem Logistikzentrum und den beiden zweidimensional-kreisförmig erscheinenden Säulen nicht exakt definieren. Man musste zu einem nachgerade primitiven Trick Zuflucht nehmen. Indem man die normaloptisch erkennbaren Kreise mit ihrem Halo quasi »abpauste« und maßstabgetreu in eine Holografie der kosmischen Umgebung einsetzte, wurden die Dimensionen einigermaßen berechenbar.

Daraus ergab sich, dass die kreisförmigen Säulenflächen jeweils etwa 1200 Kilometer durchmaßen. Der Abstand zu den Beobachtungskuppeln betrug annähernd das Zehnfache.

Jashol Zhaushun ließ Funkkontakt zum Speisezentrum aufnehmen. Trotz des hyperenergetischen Chaos in der Umgebung des Triumphbogens kam rasch eine stabile Verbindung zustande.

»Sei gegrüßt, Kommandant der SEMSHAD-Einheit PALAGUN«, sagte der Phersune im Holo, der sich als Abyssaler Einspeiser Keufshol Whekoshi vorgestellt hatte. »Was führt dich zu uns?«

»Ein Auftrag des Advokaten der Kandidatin Phaatom, Synn Phertosh.«

»Er residiert in seiner Kanzlei unter dem Eis von Gattcan.«

»Das ist mir selbstverständlich bekannt. Wir wollten aber den Abyssalen Triumphbogen schauen und dessen Betreuern unsere Aufwartung machen, bevor wir Synn Phertosh abholen. So gebieten es Brauch und Schicklichkeit.«

»Würdig und recht.«

Einspeiser Keufshol Whekoshis reich verästeltes, an zahlreichen Stellen kunstvoll restauriertes Knochengeweih deutete auf ein hohes Alter hin. Gelangweilt vollführte er eine rituelle Geste.

Dann stutzte er. »Abholen? Der Advokat will uns verlassen?«

»Er hat mich über seine Zukunftspläne nicht im Detail informiert. Allerdings nehme ich an, dass Phertosh nicht ohne Grund gleich zwei Transportmittel angefordert hat.«

»Gerade wollte ich dich nach dem zusätzlichen Gefährt fragen, das deine PALAGUN mitführt. Mir sind schon allerlei Schiffstypen untergekommen, aber ein solches Modell noch nie.«

»Es handelt sich um die APPU, eine Sonderanfertigung.«

»Hat es nur den Anschein, oder wurde sie tatsächlich aus Phaatom-Gabe hergestellt?«

»Du täuscht dich nicht.«

»Ich gestehe, beeindruckt zu sein.«

 

*

 

Obwohl in der über 2,7 Kilometer langen PALAGUN geeignete Hangars vorhanden gewesen wären, haftete das Spezialschiff auf der Außenhülle.

Traktorstrahlen fixierten es. Ein schlauchartiger Korridor stellte die Verbindung zum Deltaraumer her.

Die APPU glich einer schlanken Spindel mit einem Maximaldurchmesser von 50 Metern bei einer Länge von 500 Metern. Ein Kubus mit hundert Metern Kantenlänge wurde von der Spindel durchbohrt, raumdiagonal von Ecke zu Ecke, sodass die übrigen sechs Ecken nach außen wiesen.

Er konnte sich zum einen wie zum anderen Ende der Spindel verschieben. Dabei wurden jeweils verschiedene maschinelle Komponenten aktiviert.

Rückte der Würfel beispielsweise zum Heck, ging die APPU in einen Überlichtmodus. Die Mittelposition war die Verteidigungsstellung.

Wie der Kernbestandteil eines Abyssalen Triumphbogens, vermochte sich auch die APPU in einen hochwertigen violetten Schutzschirm zu hüllen. Neben herkömmlichen Waffensystemen verfügte sie über ein Vektormaterie-Katapult, das faustgroße Klumpen von Vektormaterie verschoss.

Eine weitere Waffe, über die herkömmliche Schiffe der Phersunen nicht verfügten, war der Hyperparalysator. Er setzte schlagartig Geräte, die mit Hyperenergie arbeiteten, außer Funktion. Manche erlitten dabei irreparable Schäden.

Darüber hinaus hatte der Hyperparalysator einen teils lähmenden, teils desorientierenden, zumindest aber äußerst schmerzhaften Einfluss auf das Bewusstsein von Intelligenzwesen.

Jashol Zhaushun bedauerte, dass die APPU seiner Befehlsgewalt entzogen war. Er kannte eine Person an Bord der PALAGUN, auf die er diese Waffe liebend gern angewendet hätte ...

 

*

 

Im gesamten Huphurnsektor, einer Raumkugel von etwa zwanzig Lichtjahren Durchmesser, waren Flotten mit insgesamt mehr als 300 Einheiten der TUNUSH-, NURPHO- und SEMSHAD-Klassen stationiert.

Des Weiteren verzeichnete die Ortung einige Dutzend Raumschiffe verschiedener Bauart und Sternenvölker, die wohl als Pilger gekommen waren – sowie eine erstaunlich hohe Anzahl von fremden und phersunischen Wrackteilen. Der Großteil war zwischen dem Abyssalen Triumphbogen und der 17 Lichtminuten entfernten Sonne Huphurn verstreut.

»Hattet ihr kürzlich Probleme?«, fragte Jashol Zhaushun den Einspeiser.

»Nichts Gravierendes. Immer wieder mal versuchen irgendwelche Irren einen Anschlag auf den Triumphbogen. Erfolglos, wie du dir denken kannst.«

»Versteht sich.«

»Unterm Strich steht letztendlich weiterer Substanzgewinn der Kandidatin Phaatom.«

»Für sie geschieht, was geschieht«, murmelte Jashol Zhaushun reflexhaft. »Und dass es geschieht, ist eine Ehre.«

»Gleichwohl solltest du Baasheg Tettoresh, die Befehlshaberin der Schutzflotte, vielleicht nicht unbedingt auf die jüngsten Ereignisse ansprechen«, sagte Keufshol Whekoshi mit vertraulichem Unterton. »Der Advokat hat seine Kritik an einigen ihrer Handlungen recht deutlich zum Ausdruck gebracht.«

»Ich werde mich hüten.«

Sie tauschten noch einige Höflichkeitsfloskeln aus. Dann trennten sie die Verbindung.

Jashol Zhaushun begab sich in die Hauptleitzentrale. Wenig später meldete die Ortungsabteilung, dass vom Eisplaneten Gattcan eine kleine Personenfähre gestartet war und Kurs auf die PALAGUN nahm.

»Kommt er nun also endlich?«, erklang hinter Jashol Zhaushuns Rücken eine durchdringend quäkende Stimme.

Der Schiffskommandant musste sich nicht umdrehen, um sich zu vergewissern, wer gesprochen hatte.

 

*

 

Monboddo war kein Phersune.

Ob er wegen einer Marotte auf einen Sippennamen verzichtete oder solche generell von dem Volk, dem Monboddo angehörte, nicht verwendet wurden, war Jashol Zhaushun unbekannt. Er wusste über die Trotonen nur, dass sie der Kandidatin Phaatom als »stilles Hilfsvolk« dienten.

Das bedeutete: Sie waren nicht vollumfänglich über deren Eigenart, Kompetenz und Status informiert.

Die Trotonen, hieß es in den Datenspeichern der PALAGUN, lebten in der Galaxis Akashnad, hauptsächlich im System der Roten Sonne Oh. Der fünfte Planet war ihre Ursprungs- und Heimatwelt Opptrot.

Äußerlich glich Monboddo der Mehrheit der Trotonen, denen man nachsagte, zuverlässig, zurückhaltend und manchmal etwas überkorrekt zu sein. Er war 280 Zentimeter groß, wobei gut drei Viertel davon auf die vier langen Extremitäten entfielen. Sie fungierten wahlweise als Arme oder Beine und endeten in gelenkigen Greiffüßen.

Auf dem zylindrischen Leib saß ein ballonförmiger, bleicher, glatter und ungegliederter Kopf. Das sogenannte Sensorium fing Licht, auch solches im Infrarotbereich, sowie Schallwellen auf. Letztere erzeugte es auch.

Leider, dachte Jashol Zhaushun, der sich mittlerweile nun doch dem Störenfried zugewandt hatte.

»Verflixt, seid ihr Hirschlinge alle taub, stumm oder beides?«, krakeelte Monboddo. »Wie lange noch, will ich wissen, bis der Advokat an Bord kommt? Damit ich endlich einen vernünftigen Gesprächspartner habe! Ich darbe schon eine halbe Ewigkeit, weil ich mich nicht auf einem mir adäquaten Niveau unterhalten kann.«

»Er ist im Anflug«, sagte Jashol Zhaushun gepresst.

Wie gerne hätte er den unverschämten Kerl in die Schranken gewiesen!

Aber ihm war eingeschärft worden, dass Monboddo ähnlich kostbar und unersetzlich war wie die APPU. Entsprechend pfleglich musste er behandelt werden.

»Gebt mir unverzüglich Bescheid, sobald Synn Phertosh eingeschleust hat!«, befahl der Trotone.

»Sehr wohl.«

Während er mit wiegenden, grotesk ausladenden Schritten zur Schleuse ging, fügte Monboddo hinzu: »Übrigens, der Thermostat in meiner Kabinensuite funktioniert noch immer nicht einwandfrei. Die Temperatur differiert nachweislich um mindestens ein Drittel Grad von dem, was ich einstelle.«

»Ich schicke einen Techniker.«

»Aber nicht den Idioten, der mir beim letzten Mal die Sprudelwanne komplett verdreckt hat! Und wer auch immer kommt, soll gleich die dringend benötigten Medikamente mitbringen, die ich bei eurem Chef-Quacksalber bestellt habe.«

Das Schott glitt bereits zu, daher erübrigte sich eine Antwort. Obwohl sie nun wieder unter sich waren, wahrte Jashol Zhaushun vor seinen Offizieren weiterhin die Beherrschung.

Sicher brodelte in ihnen gleichermaßen mühsam unterdrückte Wut auf den Quälgeist, der die Besatzung der PALAGUN seit Tagen schikanierte. Im vollsten Bewusstsein, dass er durch seinen Sonderstatus unangreifbar war, forderte Monboddo Vergünstigungen aller erdenklichen Art.

Von den Arzneimittelchemikern der Bordklinik ließ er sich Medikamente zubereiten, die alle Kriterien von Rauschmitteln erfüllten. Die Ingenieure der Kybernetik-Abteilung mussten ihm ebenso maßgeschneiderte, robotische Gespielinnen bauen.

Auch in sämtlichen Küchen und Kantinen verfluchte man ihn heimlich, aber umso lautstärker, weil er pausenlos exotische Speisen und Getränke verlangte, mit nichts zufrieden war und jegliche Bemühung mit Schimpftiraden quittierte. Und so weiter.

Mehr als einmal war Jashol Zhaushun nahe daran gewesen, die Fassung zu verlieren. Insofern konnte er die Ankunft des Advokaten ebenfalls kaum noch erwarten.

Etliche Fragen brannten ihm auf der Zunge. Weshalb hatte Synn Phertosh nicht bloß einen Raumer der größten Schiffsklasse geordert, sondern zusätzlich die APPU und überdies den grässlichen Monboddo?

Was war so Besonderes an dem Trotonen, dass er sich ein dermaßen unmögliches Benehmen erlauben durfte? Nicht zuletzt: Aus welchen Gründen sah sich der Advokat der Kandidatin Phaatom gezwungen, seine Kanzlei im Stich zu lassen und mit der PALAGUN auf Reisen zu gehen?

Und schließlich: wohin?

1.

Ein Kind der Zerozone

20. bis 23. Oktober 2046 NGZ

 

Mein Name ist Oxana Schmitt. Ich gehöre zur Wissenschaftssektion der RAS TSCHUBAI, Unterabteilung Parapsychologie.

Ja, die Truppe. Unsere hochgeschätzten Kollegen von den sogenannten harten naturwissenschaftlichen Disziplinen nennen uns meist ein wenig spöttisch »Psi-Psychs«.

Matho Thoveno wiederum, der Chefmediker, ist sowieso davon überzeugt, er stellte die alleinige Krone der Schöpfung dar. Weshalb er bei den anderen keine Unterschiede macht: Er springt mit sämtlichen Besatzungsmitgliedern gleichermaßen autoritär um.

Aber ich will mich nicht beklagen. Im Großen und Ganzen hat die Zusammenarbeit der Vertreter verschiedener Disziplinen und Forschungsgebiete gerade in den letzten Tagen vorbildlich funktioniert.

 

*

 

Perry Rhodan und Gry O'Shannon hatten von ihrer Flucht aus dem Gefängnis des Advokaten jemanden mitgebracht; eine faszinierende Person, die bald im Mittelpunkt unseres wissenschaftlichen Interesses stand.

Es handelte sich um einen Menschen durchschnittlicher Größe, knabenhaft schlank und feingliedrig gebaut, wenngleich mit ausgesprochen kräftigen Händen. Die dichten, silbrig weißen, wie metallisch schimmernden Haare waren kurz geschnitten und nach hinten gekämmt.

Markante, hohe Wangenknochen. Breiter, voller Mund.

Dunkelblaue Augen, die ihr Gegenüber neugierig, aber ohne jede Angst musterten.

Das war Iwán oder, nein: und Iwa Mulholland. Mitnichten eine gespaltene Persönlichkeit; sondern ein, wie die medizinischen Untersuchungen bestätigt hatten, Terraner mit ausgebildeten männlichen wie weiblichen primären Geschlechtsteilen.

Laut Matho Thovenos Diagnose »ein echter Hermaphrodit, sowohl gebärfähig als auch mit Hoden bestückt, die voll funktionstüchtige Spermien produzieren.«

Unterhielten sich Männer näher mit ihm, erlebten sie ihn – aber auch er sich selbst – eher als männlich, ergo als Iwán. In der Gesellschaft von Frauen hingegen fühlte sie sich stärker als Iwa, also weiblich, und wurde auch so wahrgenommen.

Ganz schön verwirrend, ich weiß. Vielleicht auch deshalb verwendete Mulholland für sich üblicherweise das neutrale Personalpronomen es.

Nicht als Ausdruck eines Mankos oder Defizits: Ich hatte von Anfang an das Gefühl, dass Iwán/Iwa sein Doppelgeschlecht nicht als Nachteil, ja überhaupt als nichts Besonderes empfand.

Erste psychologische Tests ergaben Indizien für eine gewisse Entwicklungsverzögerung. Der Körper war voll ausgewachsen. Das Verhalten anderen gegenüber wirkte jedoch schüchtern und weltfremd, hin und wieder fast kindlich.

Perry Rhodan mutmaßte, Mulholland wäre nicht richtig erzogen, nicht oder kaum gefördert worden. Um das empirisch belegen zu können, fehlten uns freilich Vergleichswerte. Jedenfalls deutete einiges darauf hin, dass bei ihm wenig bis keine Erfahrung im sozialen Miteinander vorlag.

Auch deswegen ließ sich sein Alter schwer schätzen. Das Gesicht erschien mal jugendlich, mal reif, immer von einer eigenartigen Schönheit. Wenn es lächelte, kerbte sich die Haut neben den Mundwinkeln leicht ein, was ihm einen herben, aber keineswegs eindeutig maskulinen Ausdruck verlieh.

Rätselhaft war auch seine Herkunft. Es bezeichnete sich als »Sohn von Buatier Mulholland«.

Auf Nachfrage präzisierte er: »Nur der Sohn. Wessen Tochter ich bin, habe ich noch nicht ausgekundschaftet.«

Tatsächlich gab es einen Buatier Mulholland. Perry Rhodan hatte den Regenten des mobilen Raumhabitats Gongolis im Kugelsternhaufen Marala an der Peripherie des Milchstraßenzentrums persönlich kennengelernt.

Beiläufig war damals, vor fast genau einem Jahr, der Name Iwán gefallen, im vertraulichen Gespräch mit Buatiers Mutter Cecilia Mulholland. Ihr Enkel mache Fortschritte, hatte der Hôte von Gongolis gesagt; sie würden einander »hin und wieder an der Weggabelung« begegnen.

Gemäß Liga-Resident Reginald Bull lagen den Agenten des Nachrichtendienstes Ephelegon nämlich keinerlei Informationen über Nachkommen Buatier Mulhollands vor: Nach allem, was man wusste, hatte der Hôte keine Kinder.

 

*

 

Ob und wie sich dieser Widerspruch auflösen würde, stand noch in den Sternen.

Wir gingen gleichwohl davon aus, dass das mysteriöse, hermaphroditische Wesen in seiner Person eine Verbindung zwischen der Galaxis Ancaisin und der heimatlichen Milchstraße herstellte. Mehr noch, mit ihm schienen wir endlich eine Spur zur entführten Erde gefunden zu haben.

Iwán/Iwa hatte Perry Rhodan gegenüber bestätigt, seinen Vater Buatier »an einer Weggabelung« getroffen zu haben. Nicht auf Gongolis oder sonst wo in der Milchstraße, in Ancaisin oder an einem anderen Ort im Normalraum – sondern in der Zerozone.

Mit diesem Begriff bezeichnete Mulholland ein offenbar hyperphysikalisch entrücktes Medium oder Gefilde. Dort befand sich die Lounge, wo es geboren worden und aufgewachsen war. Dort hatte es sich für eine unbestimmte, weil nicht in herkömmliche Parameter übersetzbare Zeitspanne aufgehalten.

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Illustration: Swen Papenbrock

Und dort hatte es, quasi im Vorbeigehen, einen Weltenschatten entdeckt. Etwas wie das dunkle, optische Echo eines Planeten, mit charakteristischen Kontinenten und zahlreichen Einzelheiten, die Iwán – nicht Iwa – nachträglich gezeichnet hatte.

Skizzenhaft, ungelenk. Dennoch für Perry Rhodan unverkennbar: drei in verschiedene Richtungen gekippte Moai-Statuen, wie sie auf der Osterinsel Rapa Nui standen; der Eiffelturm; der Kreml mit der Himmelwärtsspirale aus rotem, arkonidischem Thantur-Glas.