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Über dieses Buch:

In den schottischen Highlands 1432: Mit seinen letzten Atemzügen nimmt der Anführer des MacArthur-Clans seiner Tochter Blair das Versprechen ab, Graeme Campell zu ehelichen – den wilden Laird von Stoneheaven. Er soll sie vor ihren machtgierigen Verwandten schützen. Die schöne Blair weiß, dass sie sich fügen muss, doch sie schwört: Ihr Herz wird sie dem Laird niemals schenken! Je länger sie bei ihm bleibt, desto stärker wird jedoch die Versuchung, ihren Schwur zu vergessen und seinen leidenschaftlichen Küssen nachzugeben. Als sie entdeckt, dass jemand Graeme nach dem Leben trachtet, muss Blair sich endgültig entscheiden: Setzt sie alles aufs Spiel, um ihn zu retten?

Über die Autorin:

Connie Mason hat früh ihre Leidenschaft für das Lesen und Schreiben entdeckt. 1984 veröffentlichte sie ihren ersten Roman. Im Jahr 1990 wurde die Amerikanerin vom »Romantic Times Magazine« zur »Erzählerin des Jahres« gekürt. Die Bestsellerautorin hat bereits mehr als 50 historische Liebesromane erfolgreich veröffentlicht. Heute lebt Connie Mason mit ihrem Mann in Florida. Sie hat drei Kinder und neun Enkel.

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eBook-Neuausgabe Juli 2019

Ein eBook des venusbooks Verlags. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.

Dieses Buch erschien bereits 2006 unter dem Titel Die geheimnisvolle Prophezeiung bei Cora

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 2003 by Connie Mason

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2003 unter dem Titel The Laird of Stonehaven bei Leisure, New York.

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2006 Cora Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg

Copyright © der Neuausgabe 2019 dotbooks GmbH, München

Copyright © der Lizenzausgabe 2019 venusbooks GmbH, München

Copyright © der aktuellen eBook-Neuausgabe 2020 venusbooks Verlag. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.

By arrangement with Natasha Kern Literary Agency

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Langenbuch & Weiß Literaturagentur, Hamburg/Berlin.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock / kluikson / meunierd / Kanea / Stephen Robertson

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-95885-705-6

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Connie Mason

Die Gefangene des Lairds

Roman

Aus dem Amerikanischen von Traudi Perlinger

venusbooks

DIE PROPHEZEIUNG DER MACARTHURS

Dem Clan der MacArthurs wird dereinst eine Frau geboren, in deren Adern Feenblut fließt. Sie wird außergewöhnliche Gaben besitzen und eine mächtige Heilerin sein. Doch Feuer, Wasser und Stein werden sie auf die Probe stellen. Nur wenn sie diese Prüfungen besteht, wird sie von Gott gesegnet sein, und ihre Gaben werden wachsen.

Die Feenfrau muss sich aber auch vor der Liebe hüten, da sie ihre Kräfte verliert, falls ihre Liebe nicht erwidert wird. Findet sie jedoch ihre wahre Liebe und wird aufrichtig geliebt, besteht sie alle Prüfungen und lebt glücklich bis an ihr seliges Ende.

So lautet die Legende.

Prolog

Gairloch, Schottische Highlands, 1432

Er war nackt. Herrlich nackt. Er glich einer Heldengestalt aus der Sagenwelt, mit breiten Schultern, einem muskulösen Brustkorb und sehnigen Schenkeln. Gebannt wanderte ihr Blick über kraftvolle Arme zu schmalen Hüften, über einen flachen Bauch zu einem prallen Gesäß und verweilte schließlich an der Stelle zwischen seinen Schenkeln, wo seine prachtvolle Männlichkeit sich aus einem schwarzen Vlies reckte.

Sie sah wieder nach oben. Die Schatten teilten sich, und zum ersten Mal konnte sie sein Gesicht erkennen. Ein schönes Antlitz, von Verlangen gezeichnet. Die unverhüllte Begierde erschreckte sie, aber sie weigerte sich, ihre Furcht zu zeigen.

Bei aller Beklommenheit war sie von seiner männlichen Schönheit gefesselt: ebenmäßige Gesichtszüge mit durchdringend blauen Augen, geschwungenen Lippen und dunklem Haar, in dem rötliche Glanzlichter schimmerten.

Er näherte sich dem Bett. Ängstlich wich sie zurück, da sie ahnte, was er von ihr begehrte.

»Nein, das darfst du nicht tun.«

»Ich muss es tun.« Schon häufig war er ihr erschienen, hatte jedoch nie zuvor gesprochen, und das tiefe Grollen seiner Stimme flößte ihr Angst ein.

Wer war er?

»Ich kann dich nicht lieben«, flüsterte sie.

»Ich verlange keine Liebe.«

Er ließ sich auf dem Bett nieder, ihre Körper schmiegten sich aneinander. Sengende Hitze durchströmte sie. Sie schrie auf; das Feuer war unerträglich. Er spreizte ihr mit den Knien die Schenkel und schob die Hüften vor. Sie versuchte, sich ihm zu entziehen, er ließ sich indes nicht beirren.

Sie stemmte die Handflächen gegen seinen Brustkorb, um ihn abzuwehren. Aber ihre Finger griffen ... ins Nichts. Er war verschwunden. Nichts war geblieben, nur sein männlicher Duft und die Erinnerung, die sich ihrem Körper und ihrem Geist eingeprägt hatte ... und qualmender Rauch.

Ein Schrei entrang sich ihrer Kehle, als die Flammen an ihr hoch züngelten, ihr Fleisch versengten und ihr Haar knisternd entzündeten. Gesichter ohne Körper tanzten hinter einem Feuerkreis. Höhnische Fratzen, drohend und ängstlich zugleich. Männer, Frauen und Kinder stimmten einen gespenstischen Sprechgesang an:

»Brenn, Hexe, brenn.
Brenn, Hexe, brenn ...«

»Blair, wach auf! Du träumst schlecht.«

Blair MacArthur war erleichtert, dass man sie geweckt hatte. Dieser Angst einflößende, stets wiederkehrende Traum suchte sie heim, seit sie sich ihrer sonderbaren Kräfte bewusst geworden war. Doch diesmal war etwas anders gewesen.

Sie hatte sein Gesicht gesehen und seine Stimme gehört.

»Ich bin wach, Alyce.«

»War es wieder der Traum?«

»Ja, nur diesmal habe ich sein Gesicht gesehen.«

»Hast du ihn erkannt?«

»Er ist niemand, den ich kenne.« Sie ergriff Alyces von Gicht gekrümmte Hände. »Es wird bald etwas geschehen. Ich spüre es. Schnell, hol die Kerzen und den Beutel mit den Kräutern.«

»Aber nein, Blair, dein Vater hat dir verboten, die Geister zu rufen.«

»Meine Beschwörungen schaden niemandem«, widersprach Blair. »Meine Kräfte sind mir von Gott gegeben. Ich bin den Lehren der Kirche treu ergeben, genau wie jede andere gute Christin. Es wäre eine Sünde, wenn ich die Gaben leugne, die mir verliehen sind. Bitte, Alyce, ich muss wissen, welche Rolle der Mann aus meinem Traum in meinem Leben spielt.«

Mit bekümmerter Miene holte Alyce vier Kerzen aus der Truhe. Als sie damit zurückkehrte, hatte Blair den Teppich vor der Feuerstelle aufgerollt und einen Kreidekreis auf den Steinplatten freigelegt. Sie holte tief Atem und stellte sich in die Mitte des Kreises.

Alyce reichte ihrer Schutzbefohlenen den Leinenbeutel mit duftenden Kräutern. Dann stellte sie die Kerzen den vier Himmelsrichtungen entsprechend auf die Linie des Kreidekreises und zündete sie mit einem brennenden Span von der Feuerstelle an. Augenblicklich färbte sich die erste Kerzenflamme rot, die zweite blau, die dritte verbreitete einen silbrigen Schein, und die vierte leuchtete violett. Blair wandte sich dem Vollmond zu, der durchs offene Fenster hereinschien, verstreute die Kräuter im Kreis zu ihren Füßen und stimmte einen monotonen Sprechgesang an.

»Ihr guten Geister, geht in mich ein,
zieht den Vorhang vom künft'gen Sein,
zeigt mir die Wahrheit im Mondenschein.«

Mit diesem Spruch lud Blair die Geisterwesen ein, ihr Herz und ihre Seele zu erfüllen, bat sie, ihr Einblick in das Unbekannte zu geben, ihre Träume zu deuten und ihre Feinde zu erkennen.

Mit geschlossenen Augen atmete sie die Nachtluft in tiefen Zügen ein, bis sie eins wurde mit den Kräften der Natur und des Himmels. Eine Welle der Energie durchströmte ihren Körper. Sie erstarrte, ein Schrei entfuhr ihr. Die Vorhänge wehten in die Kammer, ihr dünnes Leinenhemd flatterte um ihre schlanken Beine, dann wurde es still, nichts regte sieh mehr, und vor ihrem inneren Auge entstand eine Vision.

Sie sah ihn. Der Mann aus ihren Träumen stand groß und kraftvoll vor ihr. Er trug das blau, grün und schwarz karierte Plaid des Campbell-Clans. Eine rote Aura umgab ihn, die Farbe von Krieg und Blutvergießen. War der Mann ein Krieger? Plötzlich wechselte die Aura von blutrot zu blau, die Farbe des Himmels und des Friedens.

»Wer bist du?« flüsterte sie.

Sie erhielt keine Antwort.

»Bist du meine Zukunft?«

Die Erscheinung lächelte.

»Ich kann dich nicht lieben. Es ist mir verboten.«

Sein Lächeln verspottete sie, seine Stimme klang herausfordernd. »Ist es tatsächlich verboten?«

Bevor sie eine weitere Frage stellen konnte, löste die Vision sich in Nebel auf, und ihr Halbbruder Niall zeigte sich, der Mann, der dazu bestimmt war, der Anführer des MacArthur-Clans zu werden, wenn ihr sterbender Vater seinen letzten Atemzug getan hatte. Ein böses Lächeln umspielte seinen verkniffenen Mund, kalt und grausam. Besitzergreifend streckte er die Arme nach ihr aus. Ihr Schrei brach den Bann.

»Was ist mit dir, mein Mädchen?« fragte Alyce besorgt. Die Kerzen verlöschten. Taumelnd trat Blair aus dem Kreis. »Was hast du gesehen?«

»Der Mann aus meinen Träumen ist ein Campbell.«

»Ein Verbündeter der MacArthurs«, sagte Alyce mit einem Seufzer der Erleichterung. »Was hast du noch gesehen?«

»Meinen Bruder Niall. Er will mir etwas antun,«

Alyce nickte wohl wissend. »Dein Bruder ist kein guter Mensch.«

»Wir müssen auf der Hut sein, Alyce. Sobald er der Clanführer ist ...«

»Horch!« zischte Alyce. »Ich höre aufgebrachte Stimmen am Tor. Verstehst du, was sie sagen?«

Die Frauen eilten zum Fenster, das den Blick auf das Burgtor freigab. Der Mond verblasste im blutroten Sonnenaufgang, und die lauter gewordenen Stimmen wiederholten die Worte aus Blairs Traum.

»Brenn, Hexe, brenn.
Brenn, Hexe, brenn.«

Kapitel 1

»Du hast den Verstand verloren, Graeme«, schalt Heath Campbell den Laird of Stonehaven. »Du kannst MacArthurs Tochter nicht heiraten. Hast du nicht von ihr gehört? Du warst zwar lange fort und hast in Frankreich an der Seite der Jungfrau von Orléans gekämpft, doch du erinnerst dich gewiss an die Prophezeiung der MacArthurs. Man munkelt, die Tochter von MacArthur ist als Feenfrau geboren.« Heath sprach so leise, dass seine Stimme kaum das Klirren der Pferdegeschirre übertönte. »Manche behaupten, sie sei eine Hexe.«

Unwirsch zog Graeme die dunklen Brauen hoch. »Ich glaube nicht an Hexerei und derlei Unsinn, Vetter.«

»Das solltest du aber«, knurrte Heath.

Graeme zwang sein Pferd mit einem Schenkeldruck in eine schnellere Gangart; es drängte ihn, Gairloch zu erreichen und Douglas MacArthur, den Anführer des Clans der MacArthurs, einen Verbündeten der Campbells, zu sehen.

»Douglas MacArthur liegt im Sterben«, erklärte Graeme entschieden, »und er fürchtet um das Leben seiner Tochter. Ich muss seinem Ruf Folge leisten. Wenigstens mit ihm sprechen will ich. Vielleicht kann ich ihm einen anderen Ehemann für seine Tochter vorschlagen.«

Heath schüttelte seine zottige Mähne. »Ich kann nicht glauben, dass du auch nur in Erwägung ziehst, eine Frau mit Feenblut zu heiraten.«

»Du gibst zu viel auf dummes Gerede«, spottete Graeme. »Blair MacArthur ist wegen ihrer Heilkunst berühmt. Man sagt ihr übernatürliche Kräfte nach, aber ich glaube nur das, was ich mit eigenen Augen sehe.«

»Was ist mit Johanna, der Jungfrau? Besaß nicht auch sie übernatürliche Kräfte? Sie behauptete sogar, Gott habe ihr den Auftrag erteilt, in den Krieg zu ziehen.«

Graeme hielt den Blick in die Ferne gerichtet, wo die aufgehende Sonne den Himmel in rosiges Licht tauchte. Er entsann sich nur zu gut des grauenvollen Schicksals der jungen Frau, an deren Seite er gekämpft und die er beschützt hatte, ohne sie vor ihrem schaurigen Ende auf dem Scheiterhaufen bewahren zu können. Seine blauen Augen verdunkelten sich, seine ebenmäßigen Gesichtszüge spannten sich an.

»Johanna war eine Heilige. Das weiß ich. Sie handelte im unerschütterlichen Glauben, Gott habe sie zum Kampf gerufen, und starb als Märtyrerin für ihre Überzeugung. Bis heute fällt es mir schwer, ihr tragisches Schicksal hinzunehmen. Keine Frau kann ihr gleichkommen. Aber Johanna lebt nicht mehr, und ich muss MacArthurs Ruf folgen. Er hat meinem Vater das Leben gerettet. Ich stehe in seiner Schuld.«

Wieder schüttelte Heath missbilligend den Kopf. »Dann hast du also tatsächlich die Absicht, die Hexe zu heiraten.«

»Zieh keine voreiligen Schlüsse«, entgegnete Graeme ausweichend. »Ich höre mir lediglich an, was MacArthur mir zu sagen hat.«

»Das Mädchen soll strähniges schwarzes Haar und eine hässliche Warze auf der langen Nase haben.«

»Hör auf damit, Vetter«, befahl Graeme unwirsch. »Ich treffe meine Entscheidung selbst.«

»Ja«, brummte Heath düster. »Es war ja auch deine Entscheidung, in einem fremden Land für eine fremde Sache zu kämpfen.«

»Es ist doch wohl besser, dass die Engländer mit ihren Armeen in Frankreich kämpfen, anstatt Krieg gegen Schottland zu führen. Ich habe nur getan, was ich für richtig hielt.«

»Und dabei hast du deine Pflichten im eigenen Land vernachlässigt. Von der schweren Verletzung, die dir englische Soldaten zugefügt haben, will ich erst gar nicht reden.«

»Onkel Stuart hat meinen Besitz während meiner Abwesenheit aufs Beste verwaltet. Und die Wunde ist längst verheilt.«

»Wie ich sehe, bist du entschlossen, dich auf diesen Wahnsinn einzulassen«, seufzte Heath. »Nimm dich in Acht, sonst spricht die Hexe einen Bannfluch über dich.«

Graeme seufzte resigniert. Sein Vetter gab zu viel auf abergläubischen Unsinn, darin unterschied er sich nicht von der Mehrheit des schottischen Volkes. Er selbst war zu weltverdrossen und abgeklärt geworden, um an böse Zauberkräfte und Hexerei zu glauben. Im Alter von achtundzwanzig hatte er während seines Aufenthalts im fernen Frankreich großes Leid erlebt und Erfahrungen gemacht, die ihm einen anderen Blick auf die Welt gelehrt hatten. Dort hatte er nicht nur feindliche Kämpfer getötet, sondern auch mit kultivierten Kurtisanen, mit gewöhnlichen Hafenhuren und einsamen Witwen das Lager geteilt. Schließlich war er der Jungfrau von Orléans begegnet, einem so unschuldigen und reinen Geschöpf, dass ihn deren gewaltsamer Tod bis in die Grundfesten erschüttert hatte.

Nach ihrem Ende auf dem Scheiterhaufen war er nach Schottland zurückgekehrt, um zu vergessen, doch die schreiende Ungerechtigkeit ihres Sterbens hatte ihm eine tiefe Wunde geschlagen, die nicht heilen wollte. Er hatte den Glauben an die Menschheit verloren. Für ihn gab es nur noch Schottland und Stonehaven. Zwar folgte er dem dringenden Ruf von MacArthur, wollte aber seine Tochter nicht heiraten, wenn es sich irgendwie vermeiden ließ. In seinem Leben gab es keinen Platz für eine Ehefrau. Einst hatte er sich dem heiligen Auftrag Johannas verschrieben. Nun wollte er sich den Rest seines Lebens dem Schutz der Highlands gegen die Übergriffe der Engländer widmen.

Als der hohe Turm der Burg endlich in Sicht kam, zügelte Graeme sein Pferd und registrierte verwundert die lärmende Menge, die sich vor dem Burgtor versammelt hatte. Er zog sein Schwert und gab seinen sechs bewaffneten Gefolgsmännern zu verstehen, es ihm gleichzutun.

»Wer sind diese Menschen? Kannst du verstehen, was sie rufen?« fragte Heath.

Langsam ritt Graeme näher. »Das gefällt mir nicht. Pass auf.«

»Das sind keine aus MacArthurs Clan«, stellte Heath fest. »Manche tragen MacKay-Plaids. Was führen die im Schilde?«, wollte er wissen.

»Keine Ahnung, aber ich finde es heraus«, antwortete Graeme und gab seinem Pferd die Sporen.

Als er nahe genug war, um zu verstehen, was die Menge rief, gefror ihm das Blut in den Adern.

»Brenn, Hexe, brenn.«

Mit einem Fluch auf den Lippen sprengte er mitten unter die Unruhestifter, die nach allen Seiten auseinander fuhren.

»Was hat das zu bedeuten?« donnerte er.

»Es ist wegen dieser Hexe Blair«, höhnte der Mutigste unter ihnen. »Ihre bösen Bannflüche schaden uns.«

»Ja«, rief eine Frau mit groben Gesichtszügen. »Mein Säugling wurde krank, nachdem sie einen Blick auf das Kind geworfen hatte. Sie ist eine böse Hexe.«

»Sie ging an meinem Feld vorüber, und das Korn verdorrte am Halm«, beschwerte sich ein Mann in abgerissenen Kleidern.

»Meine Kuh gibt keine Milch mehr«, behauptete ein anderer. »Die Hexe hat hier nichts zu suchen unter braven, anständigen Leuten.«

»Wer von euch hier gehört zum MacArthur-Clan?« fragte Graeme in die Runde.

Ausweichende Blicke und verlegenes Füßescharren waren ihm Antwort genug. Es war kein einziger MacArthur unter den Leuten, die so schwerwiegende Vorwürfe gegen die Tochter des Lairds erhoben. Wer waren diese Menschen? Wer hatte sie dazu angestiftet? Aus welchem Grund?

»Es gibt keine Hexerei«, rief Graeme aufgebracht. »Geht heim in euer Dorf.«

»Nicht, solange die Hexe lebt und ihre Bannflüche über uns spricht«, schrie ein Mann. »Tod der Hexe!«

Graeme hatte genug gesehen und gehört. Der Anführer der MacArthurs hatte Recht gehabt. An diesem Ort braute sich Unheil zusammen, er spürte die Gefahr wie ein Knistern in der Luft. Offenbar musste Blair MacArthur sich in Acht nehmen.

Mit grimmiger Miene schwang Graeme das Schwert über dem Kopf und rief mit einer Stimme wie Donnerhall: »Schert euch fort! Augenblicklich! Wenn ihr nicht sofort verschwindet, hetze ich meine Männer auf euch.«

Die Drohung genügte, um den Pöbel in die Flucht zu jagen.

»Glaubst du, wir sind das Pack los?« fragte Heath.

»Keine Ahnung. Irgendwer hat sie dazu aufgehetzt, und ich werde herausfinden, wer es war.«

Mit dem Schwertgriff schlug Graeme gegen das schwere Eichentor.

»Wer da?« fragte der Wächter durch die vergitterte Luke.

»Graeme Campbell. Dein Laird hat mich rufen lassen.«

Das Tor schwang auf, und Graeme und sein Gefolge wurde eingelassen. »Sind die Leute fort?« wollte der Torwächter wissen und spähte ängstlich den Weg entlang.

»Ja, ich habe sie vertrieben. Wo sind die Bewaffneten des Lairds?«

Der alte Mann schnaubte verächtlich. »Niall zwang die Männer, ihn nach Edinburgh zu begleiten. Auf der Burg gibt es nur noch eine Hand voll Bediensteter, die sich um den alten Laird und seine Tochter kümmern.« Er verriegelte das Tor. »Geht hinauf zum Turm. Der Laird erwartet Euch. Nur der Wunsch, mit Euch zu sprechen, hält ihn noch am Leben.«

Beim Überqueren des Burghofs verdrängte Graeme das beklemmende Gefühl bevorstehenden Unheils. Als er sich aus dem Sattel schwang, eilte ein Knecht herbei und führte das Pferd in den Stall, wohin ihm die Bewaffneten folgten. Ein alter Mann im MacArthur-Plaid öffnete Graeme die Pforte des Wohnturms. Sein Gesicht hellte sich auf, als er die Farben der Campbells erkannte.

»Seid Ihr Graeme Campbell?«

»Ja, ich bin es«, antwortete Graeme und trat über die Schwelle. »Dein Laird erwartet mich.«

»Ich bin Gavin. Setzt Euch und trinkt einen Schluck. Ich melde dem Laird Eure Ankunft.«

Graeme betrat die geräumige Halle und ließ sich auf einen Stuhl neben der offenen Feuerstelle fallen. Eine Magd erschien und reichte ihm einen Becher mit schäumendem Bier.

»Oder wollt Ihr doch lieber einen Schluck Würzwein?« fragte sie scheu.

»Nein, Mädchen«, antwortete Graeme. Obgleich ihm nach dem langen Ritt ein Schluck des starken Würzweins den Magen gewärmt hätte, wollte er bei der Unterredung mit Douglas MacArthur einen klaren Kopf haben.

Bierkrüge und Becher mit Würzwein wurden aufgetragen, nachdem seine Männer die Halle betreten und an langen Tischen Platz genommen hatten. Graeme aber blieb angespannt. Die Situation war wohl schwieriger als erwartet. Er warf flüchtige Blicke über die Schulter, als könne sich jeden Moment eine schwarzhaarige Hexe mit Hakennase über ihn beugen. Ungehalten schalt er sich einen Narren und leerte den Krug.

Die Schotten waren ein abergläubisches und misstrauisches Volk. Unwillkürlich musste Graeme an die merkwürdige Geschichte von einem Mann namens Jubertus denken, dem man nachgesagt hatte, Kinder getötet und ihre Leichen zu Pulver verrieben zu haben. Aus diesem Pulver, so munkelte man, habe er dann Dämonen in Kindergestalt geschaffen. Die Kirche verteufelte Hexerei als Frevel und Gotteslästerung – und jeder, der sich der Hexenkunst verschrieb, wurde mit dem Tod auf dem Scheiterhaufen bestraft. Beim Gedanken an Blair MacArthur überlief Graeme ein eisiger Schauer.

»Der Laird wünscht Euch zu sprechen«, hörte er Gavins Stimme hinter sich. »Folgt mir. Ich bringe Euch zu ihm.«

Aus seinen Grübeleien gerissen, sprang Graeme auf die Füße. »Ja, auch ich will ihn dringend sprechen. Wie geht es dem alten MacArthur?«

»Er ist schwach, aber klar bei Verstand. Ich fürchte, er wird uns bald verlassen. Denkt an meine Worte – wenn Niall MacArthur unser Laird ist, wird sich viel verändern ... und gewiss nicht zum Guten.«

Die Bitterkeit in der Stimme des Alten ließ Graeme aufhorchen. Das Wenige, was er über Niall MacArthur gehört hatte, warf kein gutes Licht auf den jungen Mann.

»Douglas ermüdet schnell«, warnte Gavin den Gast, während er ihn die Treppe zum Gemach seines Herrn hinaufführte.

»Ich bemühe mich, ihn nicht anzustrengen«, versicherte Graeme, als der Diener die Tür öffnete und beiseite trat.

»Ich bleibe in der Nähe, falls Ihr mich braucht«, sagte Gavin leise.

Graeme betrat das Gemach des alten Lairds.

»Schließ die Tür und komm näher«, forderte eine schwache Stimme.

Graeme trat an die Bettstatt. »Du hast mich rufen lassen, Laird MacArthur.«

»Danke, dass du gekommen bist, Graeme. Wie ich hörte, bist du in Frankreich verwundet worden.«

Graeme erkannte den abgezehrten, bleichen Mann im Bett kaum wieder. Der einst so kraftvolle MacArthur war nur noch ein Schatten seiner selbst. Seine tief in den Höhlen liegenden, fiebrigen Augen, die fahle Haut, die sich über seine vorspringenden Wangenknochen spannte, kündeten von seinem nahen Tod.

»Nicht der Rede wert«, antwortete Graeme. »Ein Lanzenstich im Schenkel, der längst verheilt ist.« Er zog sich einen Hocker ans Bett.

»Hast du meinen Brief gelesen?« fragte Douglas.

»Ja.«

»Mehr hast du mir nicht zu sagen? Lautet deine Antwort ja oder nein? Mir bleibt nicht mehr viel Zeit in dieser Welt. Ich sorge mich um das Wohl meiner Tochter. Du bist der einzige Mann, der stark genug ist, sie zu beschützen.«

Graeme überlegte, ob er ihm von der aufgebrachten Menge vor dem Burgtor berichten sollte, entschied sich indes dagegen, um den alten Mann nicht noch mehr zu beunruhigen.

Sein Schweigen schien den Kranken zu irritieren. »Du darfst nicht zögern! Ich verlange nicht viel von dir. Vergiss nicht, ich habe deinem Vater das Leben gerettet, als er 1425 in Gefangenschaft geriet und beschuldigt wurde, den Herzog von Albany unterstützt zu haben, damals, als König James in England gefangen war. Ich habe mein Leben aufs Spiel gesetzt, als ich vor dem Hohen Gericht geschworen habe, dass Ian Campbell dem König stets die Treue gehalten hat.«

»Ich weiß«, bestätigte Graeme, »und dafür schulde ich dir Dank. Aber was du von mir verlangst, ist ...«

»Vermutlich hast du den Aufruhr am Tor bemerkt«, unterbrach Douglas ihn. »Die Leute wurden aufgehetzt. Nichts von ihren Anschuldigungen stimmt. Meine Tochter ist keine Hexe, sie ist eine Feenfrau, und ihre Clanleute verehren sie wegen ihrer Heilkräfte.«

Mühsam stützte er sich auf einen Ellbogen und umklammerte den Arm seines Besuchers mit knochigen Fingern. »Ich liebe meine Tochter und muss verhindern, dass ihr ein Leid geschieht.«

Graeme zwang den Kranken sanft wieder ins Kissen zurück. »Wer will ihr Schaden zufügen, wenn sie so beliebt ist?«

»Hör mir gut zu, mir bleibt nicht viel Zeit. Du musst Blair heiraten und sie wegbringen, ehe Niall zurückkehrt. Ich gebe ihr eine stattliche Mitgift, dazu gehört auch mein fruchtbares Land auf der Isle of Skye.«

Graeme furchte die Stirn. »Willst du damit sagen, Niall will Blair etwas antun?«

»Ja. Er ist eifersüchtig und fürchtet ihre Kräfte. Nach meinem Tod, wenn er Anführer des Clans ist, will er sie MacKay zur Frau geben. Sosehr es mich schmerzt, das zu sagen, aber Niall ist kein guter Mensch.«

Graemes Stirn umwölkte sich noch mehr. »Wieso kann Niall sie gegen deinen Wunsch einem MacKay geben?«

»Ich bin seit langer Zeit krank, und Niall setzt alles daran, meine Autorität zu untergraben. Er hat sich das Vertrauen meiner Bewaffneten erschlichen, nachdem sie erkannt hatten, dass meine Tage gezählt sind und Niall meine Nachfolge als Laird antreten wird.«

»Was hat MacKay mit der ganzen Sache zu tun?«

»Niall hat sich mit MacKay zusammengetan. Ich kenne den Grund nicht, vermute jedoch, MacKay will Blair ihrer übernatürlichen Kräfte wegen zur Frau nehmen. Er erhofft sich, mit ihrer Unterstützung der mächtigste Anführer in den Highlands zu werden. Nicht ihr liebenswertes Wesen zieht ihn an, allein ihre Macht als Feenfrau und Heilerin begehrt er. Es ist mein innigster Wunsch, meine Tochter vor diesem Schicksal zu bewahren. MacKay ist nicht der richtige Mann für sie.«

»Es tut mir Leid, Douglas, aber ich habe nicht den Wunsch, mich zu verheiraten.«

»Bitte, du darfst mir diesen Wunsch nicht abschlagen, Graeme«, flehte der Todkranke. »Du bist meine einzige Hoffnung, Blair zu retten.«

Douglas begann zu röcheln, und Graeme fürchtete, der Laird der MacArthurs würde jeden Moment seine Seele aushauchen. Sein hohlwangiges Gesicht wurde grau, ein Zittern durchlief seinen hageren Körper.

»Nun gut, Douglas, ich heirate deine Tochter«, willigte Graeme ein, dem der Respekt verbot, dem Sterbenden diese letzte Bitte abzuschlagen. »Verkünde unsere Verlobung, und in ein paar Jahren heiraten wir.«

Verzweifelt suchte Douglas' fiebriger Blick die Augen seines Besuchers. »Nein! Du musst sie jetzt heiraten! Noch heute. Bevor Niall zurückkehrt. Du musst sie heiraten und die Ehe mit ihr vollziehen. Um Blair vor Nialls üblen Machenschaften zu schützen, darf es keinen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Vermählung geben. Sobald du Blair geheiratet und die Ehe vollzogen hast, musst du sie nach Stonehaven bringen.«

»Ist das auch Blairs Wunsch? Ist sie bereit, einen Fremden zu heiraten?«

Matt senkte Douglas die Lider. Graeme dachte bereits, Douglas sei in einen Dämmerschlaf gesunken, doch dann öffnete er erneut die Augen. »Blair ist eigenwillig, aber sie wird mir gehorchen. Kennst du die Prophezeiung?«

»Ja, ich habe davon gehört, nur glaube ich nicht an Feen und Hexerei.«

»Du musst noch etwas über Blair wissen. Sie hat sich vorgenommen, keinen Mann zu lieben. Die Legende sagt, eine Feenfrau verliert ihre Kräfte, wenn ihre Liebe unerwidert bleibt, deshalb wird sie sich dir widersetzen.«

Graeme dachte über die Worte des Sterbenden nach und war erleichtert, dass Blair nicht mehr von ihm erwartete als seinen Schutz. Der tugendhaften Jungfrau von Orléans gehörte seit Jahren sein Herz in reiner Liebe, und er trauerte noch immer um das unschuldige Mädchen, das geglaubt hatte, Gottes Stimme zu vernehmen. Er zweifelte daran, je wieder lieben zu können.

»Wie lautet deine Antwort, Graeme Campbell? Wirst du meine Tochter heiraten und sie beschützen?«

»Vielleicht sollte ich deine Tochter vorher kennen lernen«, entgegnete Graeme ausweichend.

»Ja«, sagte Douglas mit einem gequälten Stöhnen, »bloß warne ich dich, du darfst nicht zögern.«

Wie gerufen erschien Gavin in der Tür. »Soll ich deine Tochter holen lassen, Douglas?«

»Ja, Gavin, bitte Blair zu mir.« Der Sterbende fiel matt ins Kissen zurück.

»Warum heilt deine Tochter dich nicht?« fragte Graeme. »Wenn sie eine Heilerin ist, wie du behauptest, warum bist du so krank?«

Douglas lächelte wehmütig. »Ich bin ein alter Mann und habe meine ewige Ruhe verdient. Blair ist eine Heilerin, aber sie kann keine Wunder vollbringen. Gegen das Geschwür in meinen Eingeweiden kann auch ihre Heilkunst nichts ausrichten.« Seufzend schloss er die Augen. »Ich kann nicht ruhig sterben im Wissen, dass Blair der Willkür von Menschen ausgesetzt ist, die ihr Böses wollen. Aus diesem Grund habe ich dich zu mir gerufen, Graeme. Wirst du meine Tochter heiraten?«

Die Tür wurde geöffnet. »Du hast mich rufen lassen, Vater? Hast du Schmerzen? Soll ich dir eine Arznei geben, um deine Schmerzen zu lindern?«

Innerlich wappnete sich Graeme für die erste Begegnung mit der Feenfrau und drehte sich langsam um, in der Hoffnung, sie sei nicht so hässlich, wie Stuart sie beschrieben hatte. Er bezweifelte, bei einer hässlichen Frau liegen zu können, die obendrein im Ruf stand, eine Hexe zu sein.

Er kniff die Augen zusammen, blinzelte und starrte gebannt auf die Gestalt im Türrahmen. Das Mädchen war schlank und zierlich gebaut, eine überirdische Erscheinung. Silberblondes langes Haar umhüllte sie wie ein Geheimnis. Graeme folgte ihr mit Blicken, als sie sich der Bettstatt näherte. Sie bewegte sich nicht wie andere Frauen, sie schwebte durch den Raum. Ihr junges Antlitz war makellos, ihre Augen leuchteten in einem tiefen Veilchenblau. Graeme hatte noch nie ein schöneres Geschöpf gesehen als Blair MacArthur.

Sein bewundernder Blick verweilte auf ihrer fein geschnittenen Nase, den hohen Wangenknochen und glitt dann zu ihren geschwungenen rosigen Lippen und dem eigenwilligen, kleinen Kinn. Unter ihrem purpurfarbenen Gewand zeichneten sich weibliche Rundungen ab. Blair MacArthur war keine hagere, verhutzelte Hexe, sie war makellos schön wie eine Lilie.

»Komm näher, mein Kind«, bat Douglas und winkte mit knorriger Hand.

Den Besucher streifte Blair nur mit einem flüchtigen Blick. »Wie kann ich dir helfen, Vater? Hast du Schmerzen?«

»Nicht schlimmer als sonst, mein Kind. Ich möchte dir jemanden vorstellen.«

Erst jetzt wandte Blair dem Besucher ihre volle Aufmerksamkeit zu und erstarrte. Er war es. Der Mann aus ihren Träumen. Er verströmte die gleiche männliche Kraft wie der Geliebte aus ihren Visionen. Seine Brauen glichen dunklen Schwingen über Augen so blau wie das Meer, und seine schwarzen Locken schimmerten rötlich im Sonnenlicht. Er war größer als die MacArthurs, mit denen sie aufgewachsen war, und strahlte eine in den Bann schlagende Kraft und Lebendigkeit aus. Dieser Campbell verströmte Männlichkeit, Gefahr und eine befremdliche Sinnlichkeit, die sie beklommen machte.

Seine Hände waren groß und kräftig, die Beine wohlgeformt und muskelgestählt. Sie vermochte sich seiner männlichen Ausstrahlung nicht zu entziehen, konnte den Blick nicht abwenden.

»Das ist Blair?« fragte Graeme verdutzt.

In Douglas' schwacher Stimme schwang väterlicher Stolz. »Ja, das ist mein Mädchen. Blair, begrüße Graeme Campbell, den Gatten, den ich dir zugedacht habe.«

Blairs höfliches Lächeln wich völliger Verblüffung. »Aber Vater, was hast du getan?«

»Was jeder fürsorgliche Vater tun würde«, antwortete Douglas. »Graeme wird dich beschützen, wenn ich nicht mehr bin. Ich kann dich Niall nicht anvertrauen.«

Blairs Herz krampfte sich schmerzhaft zusammen. Was würde dieser Mann von ihr fordern? Die Prophezeiung ließ keinen Zweifel daran, dass eine unerwiderte Liebe ihr zum Verhängnis würde. Das Risiko, sich einem Mann hinzugeben, war deswegen ein zu großes Wagnis. Und in ihrem Leben war kein Platz für einen Ehemann, da sie sich der Heilung von Menschen verschrieben hatte.

Sie fuhr zu Graeme herum. »Habt Ihr ihm Eure Zusage gegeben?«

Verlegen trat er von einem Fuß auf den anderen. »Ich stehe in seiner Schuld. Diesen letzten Wunsch muss ich ihm erfüllen.«

»Wieso seid Ihr nicht längst verheiratet? Ihr seid alt genug.«

»Die gleiche Frage könnte ich Euch stellen«, entgegnete er gereizt.

»Das reicht!« knurrte Douglas. »Wirst du meine Tochter heiraten, Graeme Campbell?«

Blair reckte das Kinn. »Ich werde Graeme Campbell nicht heiraten ... auch keinen anderen.«

Douglas' letzte Kraft drohte zu schwinden, mühsam krächzte er: »Wäre dir Donal MacKay lieber? Ich wollte es dir nicht sagen, aber Niall hat dich dem MacKay versprochen.«

Ein Schauer des Widerwillens überflog sie. Blair wusste genau, warum MacKay sie haben wollte. Er würde sie zwingen, ihre übernatürlichen Kräfte für die falschen Zwecke einzusetzen. »Ich will MacKay nicht. Ich will keinen Mann.«

Schon gar nicht einen Mann wie Graeme Campbell. Ein Mann, der eine magische Anziehung auf sie ausübte. Ein einzigartiger Mann, den jede Frau lieben könnte. Doch eine Stimme in ihrem Inneren warnte sie, dass sein Herz einer anderen gehörte.

Wie könnte sie Graeme Campbell heiraten, ohne sich in ihn zu verlieben? Nur war ihre Verbindung mit dem Anführer der Campbells der letzte Wunsch ihres sterbenden Vaters. Konnte sie ihm diesen Wunsch abschlagen, ohne den Rest ihres Lebens von Schuldgefühlen gepeinigt zu werden?

Nein, das konnte sie nicht.

Schließlich musste sie Graeme Campbell nicht lieben. Und sie würde ihn nicht lieben.

»Ich würde gerne mit Blair unter vier Augen sprechen, bevor sie eine Entscheidung trifft«, sagte Graeme und unterbrach ihre Gedanken.

»Ja, aber das ändert nichts«, sagte Douglas. »Blair muss dich nehmen, sonst droht ihr der Tod.«

Mit einem vielsagenden Blick zu Blair wandte der Krieger sich zum Gehen, in der Erwartung, dass sie ihm folgte. Seine herrische Art erboste sie, gleichwohl fügte sie sich, da sie dem anmaßenden Kerl reinen Wein einschenken wollte.

»Wo können wir ungestört reden?« fragte Graeme über die Schulter.

»Hier drin.« Blair schlug den Vorhang zu einem Alkoven beiseite und trat ein. Der Besucher folgte ihr. »Was wollt Ihr mir sagen«, forderte sie unwirsch, »was mein Vater nicht hören soll?«

»Nur eins. Euer sterbender Vater befürchtet, dass Euch nach seinem Tod ein Unheil droht. Er hat mich gebeten, Euch zu heiraten, und ich bin bereit, ihm diesen letzten Wunsch zu erfüllen.« Sein Blick war selbstsicher und herausfordernd. »Wie steht es mit Euch?«

»Ich kann Euch nicht sein, was Ihr von mir erwartet«, sagte Blair leise. »Die Prophezeiung ...«

» ... ist ein Ammenmärchen. Ich glaube nicht an Legenden, Geister oder Feen. Und ich verlange keine Liebe von Euch, falls Ihr das befürchtet. Ich bin ein erfahrener Mann und weiß, wo ich meine Bedürfnisse stillen kann. Wenn Ihr keine intime Beziehung wünscht, bin ich damit einverstanden. Ich brauche keinen Erben. Ich habe viele Verwandte, die einmal meine Nachfolge antreten können.«

Ein Beben durchflog sie. »Aus Eurem Mund klingt eine Verbindung zwischen uns eiskalt.«

»Ich denke nur praktisch.«

»Liebt Ihr eine andere?«

Graeme richtete den Blick ins Leere, Trauer verschleierte seine Augen. »Ja, aber nicht so, wie Ihr denken mögt. Meine Liebe ist rein und wahrhaftig, auf einer höheren Ebene als irdische Liebe. Sie genügt mir.«

Blair überlegte kurz, welches Ideal einer tugendhaften Frau sein Herz gefangen hielt, drängte ihre Frage aber rasch beiseite. Die Antwort war ihr gleichgültig. Wenn sie gezwungen war, Graeme Campbell zu heiraten, wollte sie nichts über seine Gefühle wissen. Je weniger sie von ihm wusste, desto besser. Nur ihre Träume konnte sie nicht verdrängen, die so beeindruckend und deutlich gewesen waren.

So beeindruckend und deutlich, dass ihr Blick durch seine Kleidung drang und den sehnigen Körper des Kriegers sah. Vor ihrem inneren Auge tauchte wieder das Bild auf, wie er sich über sie beugte, bereit, in sie einzudringen. In ihrem Traum hatte sie sich ihm willig geöffnet. Eine heiße Flutwelle durchströmte sie, ein spitzer Schrei entrang sich ihr.

Graemes schroffe Stimme löschte die Vision. »Fühlt Ihr Euch nicht wohl?«

Sie zuckte zusammen und blickte in seine argwöhnisch verengten Augen. »Nein, mir geht es gut.«

Forschend musterte er sie. »Euer Vater sprach von Euren heilenden Kräften. Habt Ihr auch das Zweite Gesicht? Erlebt Ihr Visionen?« Seine Miene verhärtete sich. »Bevor Ihr mir antwortet, sollt Ihr wissen, dass ich nicht dulde, wenn Ihr Euch mit Hexenkram befasst. Wenn wir heiraten, lasse ich nicht zu, dass Ihr meiner Sippe mit Bannflüchen und ähnlichem Firlefanz Angst einjagt. Ihr könnt Krankheiten heilen, aber ich verbiete Theater mit Magie und Zauberei.«

Blair wandte sich ab. »Vielleicht sollte ich es doch lieber mit MacKay versuchen. Obwohl ich meine Gaben nicht wirklich begreife, kann ich sie nicht unterdrücken. Gelegentlich werde ich von Geisterwesen besucht.«

Graeme bedachte sie mit einem strafenden Blick. »Solches Gerede ist gefährlich.«

Blair straffte die Schultern und blickte unerschrocken zu ihm auf. »Ich sagte bereits, ich bin keine Hexe. Ich setze meine Gaben nicht für böse Zwecke ein und füge niemandem Schaden zu.«

»Wie dem auch sei, ich dulde weder Zaubersprüche noch Magie auf Stonehaven. Kommt, wir gehen zu Eurem Vater zurück.«

Blair sträubte sich, diesem Graeme Campbell zu gehorchen, den sie nicht kannte. Hinter seinem guten Aussehen verbarg sich offenbar ein harter, gefühlskalter Mann. Würde er ihr ein guter Ehemann sein? Er hatte versprochen, sie zu beschützen, mehr konnte sie wohl kaum von ihm erwarten. Er liebte eine andere, sein Herz würde ihr niemals gehören. Andererseits war es von Vorteil zu wissen, woran sie bei ihm war, so würde sie selbst ihr Herz gewiss nicht an ihn verlieren. Unter keinen Umständen durfte sie die Warnung der Prophezeiung vergessen.

»Einverstanden, Graeme Campbell. Ich werde Euch heiraten, damit mein Vater in Frieden sterben kann, zwischen uns wird es allerdings keine Intimitäten geben.«

Graeme wirkte eher belustigt als enttäuscht. »Wie du wünschst, Mädchen. Mir fällt es nicht schwer, mir eine Geliebte zu nehmen.«

Der Gedanke, dass Graeme mit einer anderen Frau das Bett teilte, versetzte Blair einen Stich. Aber wieso sollte sie das stören? Das wenige, das sie über den Laird von Stonehaven wusste, hatte sie aus ihren Träumen erfahren, Träume, die weniger aufschlussreich als erotischer Natur waren. Auch wenn sie es leugnen wollte, ihre geistigen Helfer hatten ihr deutlich zu verstehen gegeben, dass dieser Mann ihre Zukunft bestimmen würde.

»So soll es sein«, sagte sie. »Ich werde dich zu meinen Bedingungen heiraten, Graeme Campbell.«

»Und ich heirate dich, um meine Schuld bei deinem Vater zu begleichen«, antwortete er und bot ihr den Arm. »Wir wollen ihm die gute Nachricht überbringen.«

Gemeinsam betraten sie das Sterbegemach, wo Douglas das Paar sehnlichst erwartete.

»Habt ihr die Sache zwischen euch geklärt?« keuchte er mühsam.

»Ja, das haben wir«, verkündete Graeme.

»Ich wusste, dass du mich nicht im Stich lässt«, sagte Douglas. »Ich habe Gavin bereits nach dem Priester geschickt. Sogleich nach Vollzug der Ehe musst du Blair nach Stonehaven bringen.«

»Vollzug?« fragte Blair verwirrt.

»Muss das sein?« schloss Graeme sich ihrer Frage an.

»Ja. Es darf kein Zweifel an der Rechtmäßigkeit eurer Ehe bestehen, sonst könnte Niall sie für ungültig erklären lassen. Ihr müsst die Ehe unmittelbar nach der Trauung vollziehen«, sagte Douglas.

»Nein!« widersprach Blair eigensinnig.

»Du wirst mir gehorchen, Tochter«, forderte Douglas, und dann fixierte er Graeme. »Ich will dein Gelöbnis hören, Graeme Campbell. Willst du Blair zur Frau nehmen?«

Graeme warf Blair einen Blick zu. Ihre Schönheit faszinierte ihn. Dennoch beschlich ihn ein unangenehmes Gefühl bei dem Gedanken, wer sie war. Weder er noch Blair wünschten diese Heirat, obgleich er es nicht übers Herz brachte, dem sterbenden Laird diese letzte Bitte zu verweigern.

»Ich erfülle deinen Wunsch, Douglas«, versprach er. »Ich werde deine Tochter heiraten und sie nach Stonehaven bringen. Und ich schwöre bei meinem Leben, sie zu beschützen.«

Kapitel 2

Ein höfliches Klopfen an der Tür kündigte den Priester an. Ohne große Freude, allerdings mit beträchtlicher Verwunderung beobachtete Graeme das Eintreten eines grobknochigen Schotten, der das MacArthur-Plaid über seiner schwarzen Kutte trug. Der Hüne hatte flammend rotes Haar und einen roten Vollbart und glich eher einem der wilden Wikinger, die vor Jahrhunderten das Land erobert hatten.

»Gavin meint, du bist bereit für mich«, sagte der Priester mit dröhnender Stimme.

»Danke, Lachlan. Graeme Campbell erklärt sich mit der Heirat einverstanden«, krächzte Douglas. »Du kannst beginnen.«

Lachlan musterte Graeme eindringlich, dann streckte er ihm seine große Hand entgegen. »Ich bin Pater Lachlan MacArthur. Bist du gewillt, Blair zu heiraten?«

»Ja«, antwortete Graeme.

»Blair, bist du gewillt, Graeme Campbell zu heiraten?«

»Natürlich ist sie gewillt«, fuhr Douglas gereizt dazwischen.

Blair nickte knapp. Graeme fand, sie sah aus wie ein gefangenes Reh, das verzweifelt Ausschau nach einer Fluchtmöglichkeit hielt. »Ja, ich nehme Graeme Campbell.«

In diesem Augenblick betraten Gavin und eine ältere Frau das Gemach. Pater Lachlan nickte ihnen zu und begann, die rituellen Worte zu sprechen, die Graeme und Blair für immer vereinen sollten.

Die Zeremonie dauerte nicht lang, und als der Priester geendet hatte, breitete sich in Graemes Magengrube ein flaues Gefühl aus. Blair war nicht die Frau seiner Träume, doch nun hatte er sich verpflichtet, sie zu beschützen, bis der Tod sie trennte.

»Der Vollzug«, flüsterte Douglas matt. »Die Ehe muss umgehend vollzogen werden.«

Blair warf Pater Lachlan einen flehenden Blick zu, der ihre stumme Bitte mit einem Achselzucken abtat. »Die Forderung deines Vaters ist berechtigt, Blair. Es geschieht zu deinem eigenen Schutz. Graeme Campbell ist nun dein Ehemann, es ist keine Sünde.«

»Nun kann ich in Frieden sterben«, seufzte der alte MacArthur und fiel ermattet in die Kissen zurück. »Geh, mein Kind. Lachlan wird mir in meinen letzten Stunden Trost spenden.«

»Ich will dich nicht verlassen, Vater«, schluchzte Blair. »Lass mich bei dir bleiben.«

»Nein, Tochter. Meine Seele hat ihren Frieden gefunden, jetzt da ich endlich Gewissheit habe, dass Niall dir nichts mehr anhaben kann. Falls ich den Morgen noch erlebe, dann komm und verabschiede dich von mir. Wenn ich jedoch die Augen für immer geschlossen habe, trauere nicht um mich. Hinter mir liegt ein langes, erfülltes Leben. Denk daran, mein größter Wunsch ist, dich glücklich zu wissen. Nun tue, was ich dir sage, gehe mit deinem Gatten! Und du, Graeme Campbell, lass einen Sterbenden nicht im Stich. Ich sorge dafür, dass Blairs Mitgift auf dich überschrieben wird.«

Graeme, der spürte, dass es mit Douglas zu Ende ging, nahm Blair beim Ellbogen und führte sie aus dem Sterbegemach. »Wo ist deine Kammer?« fragte er rau.

»Aber doch nicht jetzt ... mitten am Tag. Mein Vater liegt im Sterben.«

»Es ist aber der Wunsch deines Vaters, Blair«, entgegnete Graeme ungerührt. »Es bleibt uns nicht viel Zeit. Dieser Vollzug wird stattfinden.«

Mochte sie noch so sehr mit dem Schicksal hadern, das ihr Vater ihr zugedacht hatte, musste Blair sich den Tatsachen stellen: Sie war Graeme Campbells Ehefrau. Ihre Vereinbarung, eine Scheinehe zu führen, war von ihrem Vater durchkreuzt worden, der dem Paar in dieser Hinsicht ebenfalls seinen Willen aufzwang.

»Ich tue es für meinen Vater, aber nur dieses eine Mal«, beharrte Blair.

»Einverstanden«, antwortete Graeme teilnahmslos. »Ich ziehe es vor, willige Frauen in meinem Bett zu haben.«

Sie überhörte seine kränkende Bemerkung und ging ihm voraus, einen langen, schwach beleuchteten Flur entlang, bis sie schließlich vor einer Tür stehen blieb, die sie nach einigem Zögern energisch aufstieß.

»Gib mir etwas Zeit, um ... mich vorzubereiten«, sagte sie.

Das Geräusch leiser Schritte im Gang ließ Graeme herumfahren. »Wer da?«

Mit einem Blick über seine Schulter vergewisserte Blair sich, dass keine Gefahr bestand. »Das ist nur meine Dienerin Alyce.«

»Ich helfe Blair. Lasst uns allein, Laird Campbell. Ich hole Euch, sobald die Braut bereit ist.«

»Gibt es einen Waschraum auf der Burg?« fragte Graeme.

»Ja, hinter dem Backhaus. Gavin zeigt Euch den Weg.«

»Ich werde mir die Wartezeit mit einem erfrischenden Bad verkürzen.« Er machte auf dem Absatz kehrt und entfernte sich.

»Das ist ein gutes Zeichen«, kicherte Alyce beim Anblick von Blairs verdutztem Gesicht. »Dein Bräutigam ist ein strammer Bursche. Er wird dir Vergnügen bereiten und dir gesunde Kinder machen.«

»Denkst du etwa, daran liegt mir?« entgegnete Blair aufbrausend. »Hast du die Prophezeiung vergessen? Ich muss Graeme den Zugang zu meinem Herzen verwehren. Er liebt eine andere und würde meine Liebe niemals erwidern, falls ich Zuneigung zu ihm fasse. Ich muss mich ihm verschließen, denn vergebliche Liebe würde meine Gaben schwinden lassen.«

»Na und?« spottete Alyce mit einer wegwerfenden Geste. »Das heißt noch lange nicht, dass du die Freuden des Ehebetts nicht genießen darfst. Dein Gatte ist ein ganzer Mann. Du kannst nicht von ihm verlangen, dass er wie ein Mönch lebt.«

»Ich weiß. Er hat meine Zusage, sich eine Geliebte zu nehmen. Dieser Vollzug geschieht auf den ausdrücklichen Wunsch meines Vaters. Doch diese Nacht wird die erste und letzte sein, die ich mit Graeme Campbell verbringe.«

»Törichtes Mädchen«, brummte Alyce. »Nun komm. Es ist Zeit, dich für die Hochzeitsnacht vorzubereiten, sonst wird dein Bräutigam ungeduldig.«

Vom Bad erfrischt, kehrte Graeme in die Halle zurück und machte es sich in einem Stuhl an der Feuerstelle bequem. Einer Magd, die ihn nach seinen Wünschen fragte, trug er auf, ihm einen Becher Wein zu bringen. Ihn dürstete nach einem gehaltvolleren Getränk als verdünntem Bier, bevor er sich an die Aufgabe machte, bei einer störrischen Jungfrau zu liegen.

Er starrte in die Flammen und grübelte über sein Schicksal nach, als sein Vetter sich zu ihm gesellte.

»Wirst du das Mädchen heiraten?« fragte Heath und zog sich einen Hocker heran.

»Ja«, antwortete Graeme, ohne nähere Auskunft zu geben. Heath stöhnte. »Verdammt, was für eine Schande. Hast du sie gesehen? Ist sie so hässlich, wie alle sagen?«

Brummend nahm Graeme einen kräftigen Schluck Wein, der ihm weich und warm durch die Kehle lief. »Sie sieht eher aus wie ein Engel, nicht wie eine Hexe.«

»Genau das habe ich befürchtet«, seufzte Heath. »Sie hat dich verhext. Komm, wir reiten los, bevor du noch tiefer in ihren Bann verstrickt wirst.«

»Die Braut erwartet Euch, Laird«, sagte Alyce, die sich den beiden Männern genähert hatte.

»Braut!« entfuhr es Heath. »Sag bloß, du hast die Hexe bereits geheiratet.«

Graeme erhob sich und streckte die Glieder. »Dein Rat kommt zu spät, Heath«, sagte er mit grimmiger Miene. »Meine Braut erwartet mich zur Hochzeitsnacht.«

Mit offenem Mund schaute der fassungslose Heath seinem Vetter nach, der mit schleppenden Schritten die Halle verließ.

Graeme folgte Alyce mit gemischten Gefühlen. Er hatte gegen seinen Willen eine Frau geheiratet, um einem sterbenden Mann einen Gefallen zu tun. Die Aussicht auf die bevorstehende Hochzeitsnacht stimmte ihn keineswegs erwartungsfroh. Blair hatte ihm ihre Abneigung deutlich zu verstehen gegeben, und eine unwillige Frau zu beschlafen, würde ihm alles andere als Vergnügen bereiten.

Dabei war sie so begehrenswert, dass sie das Verlangen jedes gesunden Mannes wecken konnte. Aber ihr Ruf, eine Hexe zu sein, schreckte ihn ab. Blair hatte freimütig gestanden, übernatürliche Kräfte zu besitzen, und obgleich er nichts von Aberglauben hielt, war er ein vorsichtiger Mann.

Vor ihrer Kammer, mit der Hand am Türgriff, zögerte er. Dann schalt er sich einen Narren, öffnete und trat ein. Das Wetter hatte sich verschlechtert, draußen stürmte und regnete es, und die dämmrige Kammer mahnte ihn geradezu unheilvoll, wen er geheiratet hatte. Nachdem seine Augen sich an das Zwielicht gewöhnt hatten, entdeckte er sie. Sie stand am Fenster mit erhobenen Armen, als umarme sie jemanden, den er nicht sehen konnte. Ein Frösteln rieselte ihm über den Rücken.