Impressum

Torsten Kemme: Wie ich mich durchsetze – immer

E-book-Edition, Oktober 2013

© Copyright 2013 by 

Torsten Kemme,

Austraße 6, 88090 Immenstaad,

Tel. 0 75 45 / 16 58, Fax: 0 75 45 / 37 25,

e-mail: dr.kemme@gmx.de

Internet: www.kemme-booklets.com

published by epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

ISBN 978-3-8442-7059-4

Liste der geschilderten Situationen

Situation 1: Freundschaft – Strategie 2

Situation 2: Erstklässler – Strategie 12

Situation 3: Gehaltsgespräch – Strategie 13

Situation 4: Der Lieblingsschal – Strategie 1

Situation 5: Der besondere Mitarbeiter – Strategie 1

Situation 6 - Teil 1: Keine Zeit - Strategie 1

Situation 6 - Teil 2: Keine Zeit - Strategie 1

Situation 7: Kurzarbeit – Strategie 2

Situation 8: Der kluge Vorgesetzte – Strategie 2

Situation 9: Essen kochen – Strategie 3

Situation 10: Tom und der Gartenzaun – Strategie-Mix

Situation 11: Kostenvoranschlag – Strategie 4

Situation 12: Schwarze Kunst – Strategie 4

Situation 13: Verjüngungskur – Strategie 5

Situation 14: Das spendierte Eis – Strategie 6

Situation 15: Kritische Gesellschafter – Strategie 6

Situation 16: Sprachcomputer – Strategie 7

Situation 17: Gartenarbeit – Strategie 7

Situation 18: Falsche Währung – Strategie 7

Situation 19: Falsches Versprechen – Strategie 7

Situation 20: Praktikum – Strategie 9

Situation 21: Einmal nach Mailand – Strategie 9

Situation 22: Der Holzstoß – Strategie 10

Situation 23: Kleine Schritte – Strategie 11

Situation 24: Neuer Schichtplan – Strategie 11

Situation 25: Der widerständige Mitarbeiter – Strategie 12

Situation 26: Angst vor dem Zahnarzt – Strategie 12

Situation 27: Geschwindelte Katastrophen – Strategie 12

Situation 28 Probelauf – Strategie 13

Situation 29: Im Reisebüro – Kombi-Strategie 1/5

Situation 30: Sein und Schein – Verstärker 1

Situation 31: Die Suppe – Verstärker 2

Situation 32: Die Sonnenfinsternis – Verstärker 4

Situation 33: Projektwechsel – Verstärker 4

Situation 34: Spezialisten-Einsatz – Verstärker 4

Situation 35: Magnum-Eis – Verstärker 4

Situation 36: Autokauf – Verstärker 5

Situation 37: Die Zeitschaltuhr – Verstärker 5

Situation 38: Das Darlehen – Verstärker 6

Situation 39: Schuldenschnitt – Verstärker 6

Vorwort 1

Immer wenn es in meinem Leben ein „technisches“ Problem gibt, bin ich auf die Hilfe anderer angewiesen. Abgesehen davon, dass man in den meisten Fällen jeweils ein spezifisches Fachwissen haben muss, fehlt es mir generell auch an einem technischen Grundverständnis. Wenn es deshalb darum geht, einen defekten Gegenstand zu reparieren, z.B. ein Bügeleisen oder den Scanner- Anschluss an meinem PC oder einen der Lichtschalter, versuche ich es zwar auch, habe dabei aber bereits bei der Fehlersuche keine Ahnung, wie ich vorgehen könnte oder worauf ich zu achten habe.

Gottseidank ist da meine Frau das genaue Gegenteil von mir. Sie besitzt dieses Grundverständnis und hat sich im Laufe der Zeit ein beachtliches technisches Wissen angeeignet. Und sie ist neugierig, hartnäckig und erfinderisch. Ich habe mir deshalb angewöhnt, immer nach ihr zu rufen, wenn irgendetwas mal wieder nicht funktioniert. Sie kommt dann und in kürzester Zeit ist der Fehler meist behoben. Ich habe manchmal direkt den Eindruck, sie hat „technisch-magische“ Hände, dabei sind die so zart und feingliedrig, und die Technik steht sofort stramm, wenn meine Frau auftaucht. Das ist dann jedes Mal eine große Hilfe für mich.

Übrigens, jetzt befinden wir uns schon mitten im Thema. Denn mein Verhalten entspricht der Durchsetzungsstrategie „Bevorzugtes Verhalten nutzen“. In diesem Fall ist es das Verhalten meiner Frau. Sie hat eine Vorliebe, Haus- und Gartengeräte (z.B. Lichtschalter, Bügeleisen, PC, Rasenmäher) zu reparieren und sich dabei mit der technischen Logik auseinanderzusetzen. Es ist deshalb im Sinne der Strategie, die ich Ihnen später noch ausführlicher erklären werde, ein Leichtes für mich, sie davon zu überzeugen, dass (wieder einmal) irgendein Gerät zum Laufen gebracht werden müsse.

Aber ich erlebe auch häufig, dass der Handwerker, ein Fachmann auf seinem Gebiet, dann sagt: „Da kenn ich mich jetzt auch nicht mehr aus. Am besten Sie wenden sich an einen Spezialisten.“ Das ist nur zu verständlich. Jeder ist immer nur Fachmann auf einem begrenzten Gebiet, irgendwann hilft ihm sein technisches Grundverständnis dann auch nicht mehr weiter.

Bei uns drang bei starkem Regen Wasser durch das Dachfenster. Wir holten uns den Fensterbauer, der die porös gewordenen Dichtungen erneuerte. Es regnete weiter rein. Der dann beanspruchte Dachdecker stellte nur fest, dass das Regenwasser von weiter oben kam und unter den Dachziegeln bis zum Dachfenster runter lief und dort dann aus dem Gebälk runtertropfte. Aber die Ziegel waren alle in Ordnung. Erst der Flaschner stellte dann fest, dass starker Wind das Regenwasser oben am Schornstein immer hinter die Kaminverwahrung drückte. Er deckte die Stelle einfach mit einem Stück Blech ab und das Problem war gelöst.

In der Technik werden die einzelnen Disziplinen zwar immer perfekter, aber auch immer spezieller. Ein IT-Experte sagte mal zu mir, und das war schon vor Jahren: „Ich kenne eigentlich nur 5 Leute in Europa, mit denen ich mich über Fragen meines Fachgebiets unterhalten kann.“ Das war sicher übertrieben, aber es zeigt einen Trend auf, der schon seit Jahren zu spüren ist.

Während also unsere Fachleute auf ihrem Gebiet immer mehr wissen müssen und deshalb auch immer kundiger werden, ergreifen sie meist die Flucht, wenn es um ein „menschliches“ Problem geht. Psychologen-Kram, heißt es dann. Auch wenn sich jetzt in der nachrückenden Generation allmählich Gegentendenzen abzeichnen, ist die traditionelle Zurückhaltung immer noch stark vertreten.

Dabei ist diese Einstellung im Grunde nicht nachvollziehbar. Bei „menschlichen“ Problemen, meist sind damit zwischenmenschliche Schwierigkeiten gemeint, geht es letztlich immer um Beziehungen zwischen Menschen. Also geht es darum, Menschen zu verstehen, zum einen sich selbst und zum andern die Gegenseite. Wenn Sie ‚Menschen verstehen’ als Fachgebiet ansehen, werden Sie mir zustimmen: Im Gegensatz zur Welt der Technik haben wir es hier immer nur mit diesem einen Fachgebiet zu tun. Das ist schon mal eine große Erleichterung bei jeder Art von ‚Fehlersuche’. Ich weiß natürlich auch, dass sich hier viele verschiedene Disziplinen herausgebildet haben, die sich mit dem Menschen aus jeweils ganz unterschiedlichen Blickrichtungen beschäftigen. Aber ich meine hier mehr den Alltag, wo es immer wieder zu zwischenmenschlichen Problemen kommen kann, zu Missverständnissen, Auseinandersetzungen oder Konflikten. In all diesen Situationen hilft schon ein gewisses Grundverständnis vom Menschen. Ein solches Grundverständnis hat jeder von uns oder könnte es zumindest haben. Denn er bräuchte im Grunde nur auf sich zu schauen: auf seine Gedanken und Gefühle in kritischen Situationen, seine Werte, sein Anerkennungsbedürfnis, seine Ziele, einen bestimmten Nutzen zu erreichen, und auf sein Bestreben, gegenüber der Außenwelt ein wertvoller Mensch zu sein, ein Mensch mit bestimmten vorteilhaften Eigenschaften.

Wenn er das alles versteht, weil er es bei sich selber immer wieder erlebt, dann versteht er großenteils auch seine Mitmenschen und kann sie richtig einschätzen. Denn bei aller Unterschiedlichkeit, vor allem im Äußeren, im Grundsätzlichen gleicht ein Mensch dem anderen in hohem Maß. Ich schätze, das sind zwischen 50% und 70%.

Im Gegensatz zu „technischen“ Problemen kann ich einen Großteil „menschlicher“ Probleme lösen, ohne Fachmann sein zu müssen, einfach mit dem sog. gesunden Menschenverstand. Und ich habe mich selbst, um mir immer mehr Wissen über den Menschen anzueignen. Und schließlich kann ich davon ausgehen, dass dieses Fachgebiet nicht immer höhere Anforderungen an mich stellen wird, denn der Mensch ändert sich im Wesentlichen nicht. Wegen dieser Vorteile fällt es mir viel leichter, eine Lösung für ein „menschliches“ Problem zu suchen und auch zu finden als für ein „technisches“ Problem. In dem einen Fall habe ich eine echte Chance, in dem anderen brauche ich es erst gar nicht zu versuchen.

Bleibt jetzt nur noch die Frage: Wozu habe ich diese Einleitung geschrieben? Die Antwort ist einfach: In diesem Buch geht es um Menschen und darum, wie ich mich gegenüber meinen Mitmenschen erfolgreich durchsetze. Sie werden also „menschliche“, nicht „technische“ Probleme kennen lernen. Und Sie werden wider Erwarten schnell erkennen, wie einfach es ist, solche Probleme zu lösen. Das Besondere: Die Technik kann Ihnen nicht ‚danke’ sagen, aber die Menschen.

Ich möchte Sie deshalb ermuntern: Gehen Sie mit dieser für Sie vielleicht neuen  Sichtweise daran, dieses Buch zu lesen, und freuen Sie sich schon jetzt über die neuen Erkenntnisse, die sich bei Ihnen einstellen werden, und, damit verbunden, über Ihren neuen Mut und ihre Zuversicht, sich zwischenmenschlichen Schwierigkeiten zu stellen und akzeptable Lösungen für sie zu entwickeln.

Vorwort 2

Dieses Buch ist keine Autobiografie. Trotzdem könnte es für Sie wichtig sein, einige Dinge über meine Person zu wissen.

Zunächst: Ich habe ein wirtschaftswissenschaftliches Studium abgeschlossen und keinen Tag in meinem beruflichen Leben das dadurch erworbene Wissen praktiziert. In meiner mehr als zwanzigjährigen Manager-Praxis habe ich mich nur auf meinen gesunden Menschenverstand verlassen und dann natürlich zunehmend auf meine Erfahrung.

Zweitens, ich mag Menschen und weniger irgendeine Technik. Menschen sind so herrlich unvollkommen, sie haben ihre Träume und können sich so wunderbar einsetzen, wenn sie von irgendeinem Vorhaben begeistert sind. Die gleichen Symptome erlebe ich auch bei mir. Im Gedankenaustausch mit anderen und in der Zusammenarbeit mit ihnen kommt mir deshalb alles immer sehr vertraut vor. Es ist schön, mit Menschen unterschiedlichster Art zusammen zu kommen, denn nur dann erlebe ich die verschiedenen Reaktionen der anderen; d.h. ich begegne nicht nur immer meiner eigenen Spur; und das ist sehr anregend und inspirierend.

Drittens, ich bin ein unverbesserlicher Optimist und neugierig ohne Ende. Beides zusammen ist die beste Garantie dafür, dass ich in Abständen regelmäßig zu hohe Risiken eingehe und dann auf die Schnauze falle; und so ist es dann auch in meinem Leben passiert. Als Optimist stehe ich dann immer wieder auf, klopfe mir den Schmutz von der Kleidung und schaffe dadurch die Voraussetzung, bei nächster Gelegenheit wieder in den Dreck zu fallen.

Und schließlich, ich bin ein Spätentwickler, und das koste ich jetzt richtig aus. Der Manager-Beruf liegt bereits hinter mir, die Kinder sind inzwischen erwachsen, haben ihre eigene Familie gegründet und leben zwar auch in Deutschland, aber irgendwo ganz woanders. In diesem Alter pflegt man seinen inneren Frieden zu finden. Bei mir spielt sich das Gegenteil ab: Ich habe das spannende Gefühl, es geht jetzt erst richtig los und alles muss sich und wird sich verändern.

Warum erzähle ich Ihnen das? Weil alle vier Aspekte mich letztlich dazu „gezwungen“ haben, die in diesem Buch zusammen getragenen Erfahrungen zu machen. Weil ich mir bewusst geworden bin, über welchen Schatz an Erfahrungen ich verfüge. Einen Schatz, für den ich, um ihn zusammen zu tragen, ein halbes Leben gebraucht habe. Und weil mir zugleich klar geworden ist, dass Ihnen, lieber Leser und liebe Leserin, mit der Lektüre dieses Buches dieser Schatz in einem viel früheren Alter zur Verfügung steht, als das bei mir der Fall war. Welch eine Chance für Sie: Vergleichsweise jung und energiegeladen, besitzen Sie bereits jetzt dann den vollen Durchblick und können aus einem Wissen heraus handeln, das ich mir erst in all den Jahren angeeignet habe.

Manchmal denke ich, eigentlich müsste es heißen: „Wie oft setze ich mich durch?“ Um ehrlich zu sein: zu Beginn meines Lernprozesses sehr selten. Die Folgen waren dann auch ziemlich belastend: Ich hatte Stress, ärgerte mich darüber, dass immer wieder andere über mich und meinen Einsatz entschieden; ich brauchte viel Energie, um Konflikte durchzustehen und Widerstände auszuhalten, über lange Strecken brachte mir die Arbeit keinen Spaß und letztlich wurde ich immer kleinmütiger, je weniger erfolgreich ich mich durchsetzen konnte. Sie können das gar nicht verhindern: Ohne dass es Ihnen besonders bewusst wird, sinkt Ihr Selbstvertrauen und verkümmert Ihr Selbstbewusstsein. Und zuletzt trauen Sie sich gar nichts mehr zu und gehen jeder Auseinandersetzung aus dem Weg. Ja, es gab Zeiten, in denen ich ziemlich genau dem Bild eines angepassten Ja-Sagers entsprach, konfliktscheu und voller Angst und übergroßem Respekt vor all den Managern über mir. Wenn ich heute daran zurück denke, überkommt mich immer eine tiefe Traurigkeit und das Bedauern über die vielen ungenutzten Chancen. Was hätte ich alles erreichen und machen können, wenn ich nicht immer so kleinmütig und feige gewesen wäre! In einem Potentialgespräch sagte mir seinerzeit mein Vorgesetzter, der Personalvorstand: „Herr Kemme, was ist los? Können Sie nicht oder wollen Sie nicht? Sie stecken doch Ihre Bereichsleiter-Kollegen alle in die Tasche!“ Er hatte mich durchschaut! Genauso war es. Ich steckte tief in der Krise.

Von da an konnte es nur noch bergauf gehen. Und so kam es auch. Unmerklich, aber stetig. Ich dachte immer wieder nach, reflektierte meine schief gelaufenen Situationen und sammelte bewusst wertvolle Erfahrungen. Und ich schaute auf meine Manager-Kollegen, die sich erfolgreich durchsetzten konnten, und versuchte hinter die Geheimnisse ihrer Erfolgsrezepte zu kommen.

Es kam vieles zusammen: Erfahrungen aus ähnlichen Situationen, kluge Freunde, bewusstes Know-how, mein zunehmendes Alter, das ich immer zielführender einsetzen konnte, und schließlich meine persönliche Ausstrahlung, mit der ich in kritischen Situationen ebenfalls punkten konnte. Die Veränderungen in meiner beruflichen und persönlichen Situation waren unübersehbar: Ich konnte mehr gestalten, mehr entscheiden, eben mehr durchsetzen; ich hatte weniger Stress mit Widerstand und ungelösten Konflikten; die Arbeit brachte mir mehr Spaß, ich wurde ausgeglichener und fröhlicher, und plötzlich hatte ich auch wieder mehr Energie. Mein Selbstbewusstsein nahm zu, meine Ängste nahmen ab, von den Kollegen bekam ich mehr Anerkennung und schließlich hatte ich auch wieder Mut, neue Wege zu gehen. Und jetzt? Jetzt habe ich das Gefühl, ich könnte Bäume ausreißen. Es ist fantastisch!

Bleibt mir an dieser Stelle nur noch der Wunsch an Sie, dass Sie dieses Buch richtig durcharbeiten und dazu benutzen, sich vor wichtigen Entscheidungssituationen gut vorzubereiten, um dann erfolgreich Ihre Sicht der Dinge durchzusetzen. Steter Tropfen höhlt den Stein! Geben Sie nicht auf, wenn Ihnen anfangs nicht gleich alles gelingt. Denken Sie daran, wie lange es bei mir gedauert hat. Reflektieren Sie einfach immer nachträglich Ihr eigenes Verhalten und das der Gegenseite. Dadurch lernen Sie am meisten. Versuchen Sie zunächst „nur“, keinen Fehler zweimal zu begehen. Ich drücke Ihnen die Daumen, viel Erfolg!

Sich nicht um jeden Preis durchsetzen

Es gibt viele Möglichkeiten, anderen seinen Willen aufzuzwingen: Misshandlungen und Körperverletzung durch Folter und allgemeine Gewalttätigkeit, massive Drohungen für Leib und Leben, seelische Grausamkeiten, Freiheitsberaubung, Lüge, Betrug, demütigende Manipulation, Bestechung usw. Unabhängig davon, dass ein solches Vorgehen immer strafrechtliche Folgen nach sich zieht, ist diese Art des Sich-Durchsetzens nur ein momentaner Erfolg, im weiteren Verlauf ist mit Vergeltungsschlägen, allgemein mit negativen Folgen zu rechnen. Du gewinnst eine Schlacht, aber den Krieg hast Du dann schon verloren.

In diesem Buch geht es darum, Ihnen Strategien und Techniken an die Hand zu geben, mit denen Sie die jeweilige Gegenseite dauerhaft dazu gewinnen, Ihren Überlegungen zu folgen, Ihnen zuzustimmen und sich nicht benachteiligt zu fühlen. Mit Ihrer Fähigkeit, die andere Seite zu überzeugen, werden Sie immer Ergebnisse erzielen, mit denen beide Seiten zufrieden sind. Ihre Beziehung zum Anderen wird nicht beschädigt, sondern kann sich positiv weiter entwickeln, denn die Vertrauensbasis bleibt intakt.

Natürlich gibt es fließende Übergänge zwischen einer fairen Überzeugungsarbeit und einer nicht immer vermeidbaren leichten Manipulation. Aber dann ist entscheidend, zu welchem Zweck Sie die Gegenseite manipulieren und ob die Gegenseite dadurch einen Schaden erleidet. Diese Frage müssen Sie sich in solchen Situationen stellen. Dann ist Ihre moralische Autorität gefordert; denn alle Strategien und Techniken sind letztlich wertfrei. Gehen Sie also moralisch sorgfältig vor und werden Sie dem in Sie gesetzten Vertrauen gerecht. Dann gehören Sie immer nachhaltig zu den Gewinnern.

Der Handwerker-Fall

1. Der Vorgang

Die hier geschilderte Situation ist tatsächlich passiert. Sie zeigt, wie sich unmerklich eine Konfrontation entwickeln kann. Und ehe ich es bewusst bemerke, stecke ich in einer unangenehmen Auseinandersetzung. Entscheide ich mich, dem Konflikt aus dem Weg zu gehen und zu akzeptieren, was die Gegenseite fordert, habe ich zwar keinen unmittelbaren Ärger mehr; aber wenn ich mich ungerecht behandelt fühle, ist ein solches Nachgeben nicht gut für das eigene Selbstbewusstsein. Dann kann es noch über Wochen gehen, dass ich mir Vorwürfe mache, mich so verhalten zu haben. Und wenn ich bereit bin, mich mit allen Konsequenzen auf einen Streit mit der Gegenseite einzulassen, kostet das auch eine ganze Menge Kraft und Durchhaltevermögen. Wenn ich mich nicht besonders clever anstelle, kann das Ganze zu einer juristischen Auseinandersetzung ausarten. Und das belastet mich dann auch über Wochen.

Eine dritte Möglichkeit wäre, sich nicht alles gefallen zu lassen und gleichzeitig so geschickt vorzugehen, dass die Gegenseite Zugeständnisse machen muss und ein für beide Seiten akzeptables Ergebnis entsteht. Sich erfolgreich durchzusetzen, bedeutet also erstens, fürsorglich mit sich umzugehen, und zweitens, dem Anderen zu helfen, sein Gesicht nicht zu verlieren.

Jetzt zur Situation. Ich schildere sie Ihnen aus der Sicht eines Beteiligten, Schritt für Schritt, so wie sie sich entwickelt hat.

Meine Frau und ich hatten vor einiger Zeit festgestellt, dass unser Garagendach nach über 25 Jahren dringend einer Sanierung bedurfte. Immer wenn es regnete, drang das Wasser über undichte Stellen in die Garage und tränkte alle Gegenstände, die auf dem Betonboden herumstanden. Da wir Ende November noch einen Kurzurlaub in den sonnigen Süden geplant hatten und wir das Dach wetterfest haben wollten, bevor der Winter mit all seinem Regenwetter begann, mussten wir schnell handeln, denn jetzt hatten wir schon Freitag, den 11. November. Kurzer Hand riefen wir also einen Dachdeckermeister hier aus der Region an, den Herrn Gerhardt, und fragten ihn, ob er uns in seiner Terminplanung noch berücksichtigen könne. Wir hatten tatsächlich in diesem Jahr schon mehrfach die Erfahrung gemacht, dass die Handwerker hier in der Gegend wirklich viel zu tun hatten, die Leute überrannten sie förmlich mit Aufträgen. Aber wir hatten Glück. Gerhardt sagte ja und kündigte seinen Besuch für den kommenden Montag an.

Gerhardt kam am Montag und stieg gleich auf die Garage. Ein junger Mann, energiegeladen, entscheidungsfreudig und augenscheinlich ziemlich entschlossen, sofort unser Problem zu lösen. Wir waren vom ersten Augenblick an schwer von ihm beeindruckt. Nach einer kurzen Besichtigung meinte er, das Dach bräuchte eine grundlegende Sanierung. Dem stimmten wir zu, ohne Wenn und Aber. Ich meinte dann, wir hätten gern gewusst, was das denn ungefähr kosten würde. Denn in solchen Fällen holen wir uns immer mindestens noch ein weiteres Angebot von einem anderen Handwerksbetrieb ein und vergleichen dann. „Moment“, sagte Gerhardt und eilte zu seinem Lieferwagen. Gerhardt kletterte kurz hinters Steuer, machte da irgendetwas, schaute wohl irgendwo nach und kam dann mit schnellen Schritten wieder zu uns zurück. „1.900 plus Mehrwertsteuer“, sagte er kategorisch und schaute mich an, mit seinen stahlblauen blitzenden Augen. „Okay“, sagte ich und dann gingen wir ins Haus, um noch den Termin zu besprechen. Warum ich das alles etwas ausführlicher schildere? Weil bereits in den ersten Minuten unserer Begegnung einiges passiert ist, was sich später als Fehler herausstellte. Zum Beispiel hatte ich mich nicht klar genug ausgedrückt, dass ich nämlich ein detailliertes schriftliches Angebot haben wollte.

In der Terminfrage einigten wir uns darauf, dass Gerhardt uns kurzfristig anrufen würde, wenn klar war, wann er unseren Auftrag in seine Planung aufnehmen konnte. Wir waren einverstanden. „Es könnte sein, dass es noch in dieser Woche klappt“, sagte er zum Abschluss. Und das war uns natürlich Recht.

Am nächsten Tag sah man meine Frau und mich auf dem Garagendach dabei, wie wir die völlig vermooste Steinschicht auf die Seite schaufelten, darum hatte uns der Dachdeckermeister gebeten, und so die Schweißbahnen freilegten. Gerhardt konnte also gleich loslegen.

Am Spätnachmittag dieses Tages rief Gerhardt an und kündigte sein Kommen für den morgigen Mittwoch in der Früh an. Gut, dass wir das Dach schon frei geschaufelt hatten. Trotzdem, wir fühlten uns überrumpelt. Dann sagte ich ihm am Telefon, ich hätte eigentlich vorher noch einen detaillierten schriftlichen Kostenvoranschlag gehabt. „Den bringe ich morgen früh gleich mit“, sagte er. Ich zog meine letzte Karte, um Zeit zu gewinnen. Der morgige Tag sei recht ungeschickt für uns, denn das sei unser Hochzeitstag. Das stimmte tatsächlich, wir hatten an einem 16. November geheiratet. „Kein Problem“, sagte er, „ich arbeite den ganzen Tag draußen auf der Garage und habe alles dabei, was ich für die Arbeit brauche.“ „Es wäre uns trotzdem lieb, wenn wir den Termin noch etwas verschieben könnten.“ „Aber ich habe den Kranwagen schon für morgen gemietet.“ Der Kranwagen sollte das Material und Arbeitsgerät auf das Garagendach heben. Okay, also es war nichts mehr zu machen. Gerhardt war nicht mehr aufzuhalten, wir waren ja im Grunde selber schuld. Dann einigten wir uns noch, dass er bereits um halb acht komme, damit wir noch über seinen Kostenvoranschlag sprechen könnten.

Am nächsten Morgen stand Gerhardt pünktlich vor der Tür. Wir setzten uns an den Tisch und er überreichte mir seinen Kostenvoranschlag. Er enthielt nur eine Kosten-Position: „Garagendachsanierung ca. 40 qm pauschal“, ausgewiesen mit 1.900 Euro. Ich hatte mich bis dahin ziemlich naiv verhalten, aber jetzt fühlte ich mich doch über den Tisch gezogen. Hinter die Kostenposition hatte Gerhardt noch eine kurze Ablauf-Schilderung aufgeführt.

Ich war sprachlos. Keine Einzelpositionen, kein ausgewiesener Stundensatz, keine Trennung von Arbeits- und Materialkosten, die ja steuerlich jeweils unterschiedlich behandelt werden. Nichts, gar nichts. Ich fühlte mich nicht nur überrumpelt, sondern auch hinters Licht geführt. Ich fühlte, wie ich misstrauisch wurde. Ich sagte ihm, dass ich Detail-Infos erwartet hatte, ohne die könne ich mir kein Bild machen. Gerhardt reagierte völlig ungewöhnlich. Entweder hatte er nicht verstanden, dass es mir um Kostentransparenz ging, oder er wollte mich nicht verstehen, denn jetzt brach es aus ihm heraus: „Jetzt muss ich Ihnen etwas zeigen, worauf ich stolz bin, richtig stolz. Haben Sie hier einen Laptop?“ Meine Frau schob ihren Apple rüber. Gerhardt ging sofort ins Internet und steuerte eine Seite an, wo Kunden seine Auftragsabwicklung bewertet hatten. Durchweg alle Beiträge positiv. Hohe Qualität und prompte Abwicklung, hieß es immer. Wirklich überzeugend. „Sehen Sie, darauf kommt es mir an: Ich möchte meine Kunden begeistern, das ist meine Strategie!“ Ich freute mich mit ihm über die positive Resonanz, sagte ihm aber auch, wichtig sei auch das Vertrauen der Kunden vor der Auftragsvergabe. Und deshalb müsse es zu einem ehrlichen Gespräch kommen. Aber genau diesen Aspekt wollte Gerhardt gar nicht diskutieren, sondern jetzt drängte er auf Aufbruch. Er müsse noch zu einer anderen Baustelle, meinte er, bevor er hier anfange. Ich habe nie herausgefunden, ob das vielleicht doch nur eine Ausrede war, um aus dem Gespräch herauszukommen. Da Gerhardt aber heute auf jeden Fall hier bei uns seinen Auftrag abwickeln würde, hielt ich ihn auch nicht länger auf. Ich tröstete mich mit der Vorstellung, dass ich nur eine detaillierte Abrechnung akzeptieren würde; und dass ich nötigenfalls nur einen Abschlag leisten würde. Mit dieser Vorgehensweise hatte ich in der Vergangenheit schon mehrmals gepunktet, die Idee stammt aus dem Buch ‚Reich durch Vergleich’ von Wolfgang Rademacher aus dem Kirchmeier-Verlag.

Gerhardt kam schnell wieder zurück und begann mit seiner Arbeit. Er machte alles selber. Es gab niemanden, auch keine Hilfskraft, die ihm einfache Arbeiten abnehmen konnte. Zu meiner Frau sagte ich: „Schreib seine Stunden auf, damit wir später vergleichen können.“ Ab und zu ging ich zu ihm aufs Dach und ließ mir seine Vorgehensweise erklären. Die zu erledigenden Arbeiten waren vergleichsweise einfach, ein Geselle oder sogar ein Azubi, allerdings ein guter, hätte diese Arbeiten auch erledigen können. Ein Dachdeckermeister war im Grunde für diesen Job überqualifiziert. Muss mich mal bei der Handwerkskammer nach den Stundensätzen erkundigen, behielt ich als Gedanken im Hinterkopf.

Insgesamt schwante mir, dass 1.900 Euro für diesen Job wohl doch ziemlich hoch gegriffen waren. Aber eines musste ich Gerhardt lassen: Jeder Handgriff saß, er arbeitete sehr effizient. Wir kamen auch dazu, einiges Persönliche auszutauschen. So erfuhr ich, dass er erst 32 Jahre alt war, aber schon verheiratet und zwei Kinder. Und dann schon Dachdeckermeister! Donnerwettstock, das musste ihm erstmal einer nachmachen. Für mich als Spätentwickler war das eine beachtliche Lebensleistung. Und dann stellte sich heraus, dass wir beide am selben Tag Geburtstag hatten. Damit war klar, wir waren drauf und dran, zueinander eine Beziehung zu bekommen, die schon etwas über das übliche Normalmaß hinausging.

Trotz einer längeren Mittagspause und einigen zwischenzeitlichen Abwesenheiten war Gerhardt am Spätnachmittag mit der Arbeit fertig. Als wäre nichts gewesen, versprühte er weiterhin frische Energie und zeigte überhaupt keine Ermüdungserscheinungen. Er packte alles zusammen und verschwand fröhlich mit seinem nagelneuen Lieferwagen. Und so konnten meine Frau und ich am Abend anlässlich unseres Ehrentages noch ‚vornehm’ essen gehen.

Zwei Tage später kam die Rechnung. Sie war aufgebaut wie das Angebot, nur dass oben drüber ’Rechnung’ stand. Ach ja, und dann gab es weiter unten noch einen kurzen Satz: „Der Lohnanteil beträgt 550 € incl. MwSt.“ Damit hatte der Dachdeckermeister versucht, meinen konkret genannten Wünschen zu entsprechen; und war wohl gleichzeitig bemüht, bei seinen Pauschalinformationen zu bleiben.

In den nächsten zwei Tagen machte ich mich schlau. Bei der Handwerkskammer erfuhr ich, dass ein Meister einen Stundensatz von etwa 45 Euro hatte, und ein Geselle mit 18 Euro gut bezahlt ist. Da Gerhardt insgesamt 7 Stunden gearbeitet hatte, kam bei seiner Rechnung aber ein Stundensatz von über 78 Euro (550:7) raus. Im Grunde hätte Gerhardt die Arbeit aber nur als Gesellenstück berechnen dürfen, denn Überqualifiziertheit ist für den Stundensatz ohne Belang. Damit war klar, warum er immer nur mit einer Pauschalangabe gearbeitet hatte. Ganz schön dreist. Ich rechnete dann auch die anderen Positionen durch: Schweißbahn mit Doppellage und neuester Technik, Kran-Miete für 1 Stunde, Miete für eingesetztes Gerät und Anfahrpauschale. Außerdem setzte ich für den schnellen Termin einen Express-Zuschlag an. Heraus kam eine Summe von 1.630 Euro.

Damit war klar: Für die geleistete Arbeit würde ich keine 1900 Euro zahlen. Und: Es müsste ein persönliches Gespräch geben. Damit wollte ich verhindern, dass Gerhardt sofort mit einem Anwalt versuchen würde, die Gesamtsumme einzutreiben. Ich rief also 2 Tage später am Abend an und sagte ihm, wir müssten noch mal über die Rechnung sprechen. „Okay, machen wir es doch gleich am Telefon“, sagte er. Aber darauf war ich vorbereitet. Ich wusste, dass ich das ablehnen konnte, ohne ihn in den Widerstand zu treiben; dazu hatten wir doch eine fast schon persönliche Beziehung zueinander. Außerdem wusste ich, dass er die Dinge immer schnell erledigen wollte. „Ich glaube, es ist besser, wenn wir hier zusammen am Tisch sitzen und die Unterlagen vor uns haben. Den Termin können Sie wählen, ich hab Zeit.“ Wie erwartet, sprang er sofort darauf an. „Gut, ich bin in einer halben Stunde bei Ihnen.“

Ich raste nach oben, um mich schnell umzuziehen, statt Gammelklamotten ein frisches Hemd und mein Jackett. Eigentlich hatte ich ja genügend Zeit, aber ich wusste es besser. Und tatsächlich, nach 10 Minuten, kaum war ich in meine saubere Hose gestiegen, klingelte es. „Das ist aber eine kurze halbe Stunde“, sagte ich. Er meinte nur, er hätte danach noch einen anderen Termin. Wieder hatte er versucht, mich zu überrumpeln und sich dadurch Vorteile zu verschaffen. Wir gingen ins Wohnzimmer und setzten uns an den Tisch. Ich hatte mich gut vorbereitet, aber mir war auch bewusst, es gab eine Schwachstelle in meiner Argumentation. „Sie sind mit meiner Arbeit nicht zufrieden?“ fing er an. „Nein, das ist es nicht“, sagte ich, „Sie haben sehr gut und schnell gearbeitet. Mich interessiert, wie Sie auf die 1.900 Euro gekommen sind.“ „Das ist ein Pauschalpreis, alles inklusive. So rechne ich immer ab.“ „Ja, verstehe, aber Sie müssen doch irgendeine Basis dafür haben? Bei Ihrem Lohnkosten-Anteil von 550 Euro und 7 Stunden Arbeit komme ich auf einen Stundensatz von über 78 Euro. Ich habe mich bei der Handwerkskammer erkundigt: Ein Dachdeckermeister liegt bei etwa 45 Euro Stundensatz. Außerdem: Das war keine Arbeit, die einen Dachdeckermeister erfordert hätte. Da stimmen Sie mir doch zu, oder?“ „Das ist richtig“, sagte er, „aber Sie haben doch „okay“ gesagt, als ich Ihnen mein Angebot nannte.“ „Das können Sie so sehen, ich kann Sie nicht daran hindern“, erwiderte ich; das war meine Schwachstelle. „Aber mein mehrmals genannter Wunsch nach einem schriftlichen Kostenvoranschlag mit Einzelpositionen hat Ihnen ja gezeigt, dass ich Ihrem Angebot noch nicht definitiv zugestimmt hatte.“ „Sie wollen meine Rechnung nicht bezahlen. Aber ich werde Ihnen keine neue Rechnung ausstellen“.

Jetzt spürte ich, wie er in den Widerstand ging. „Kein Mensch will Ihnen Ihren verdienten Lohn vorenthalten, auch ich nicht. Ich habe Ihnen übrigens schon gestern 1.600 Euro überwiesen. (Das hatte ich tatsächlich.) Nein, mich interessiert einfach, wie Sie zu dieser Kalkulation gekommen sind. Denn ich bin insgesamt inklusive Mehrwertsteuer auf einen Betrag von 1.630 Euro gekommen. Dabei habe ich Ihnen sogar einen Express-Zuschlag zugestanden und den Meister-Stundensatz.“ Pause. Er dachte nach. Dann sagte er mit entwaffnender Offenheit: „Für eine Einzelgarage mit 20 qm nehme ich 950 Euro. Für Ihre Doppelgarage komme ich dann auf das Doppelte.“ Aha, jetzt war es klar. Alles mal 2: die Arbeitszeit, den Kranwagen, die Anfahrpauschale. Ich musste innerlich schmunzeln. Du bist ja ein richtiger Lausebengel, dachte ich. „Verstehe“, sagte ich, „deshalb hatten Sie gleich den Angebotspreis zur Hand; ich meine, als Sie vom Auto zurückkamen.“ „Ja klar“, sagte er, „ich habe nur kurz einige Positionen mit meinem Handy gecheckt.“

Das Gespräch war jetzt auf der Kippe. Mit dem Sachverhalt waren wir durch. Er fühlte sich ziemlich sicher, das merkte ich. Mein anfängliches Okay gab ihm dieses Gefühl. Wenn ich jetzt an den einzelnen Positionen rumgemeckert hätte, wären wir nicht weiter gekommen; im Gegenteil, das Ganze hätte sich verhärtet und wäre vielleicht ganz schnell in die juristische Betrachtung abgerutscht. Das wollte ich auf jeden Fall vermeiden. Außerdem hatte ich ihm gerade eben erst gesagt, dass ich ihm kein Geld vorenthalten wollte. Ich musste jetzt das Gespräch in andere Bahnen lenken. Ich sagte deshalb: „Es gibt noch einen anderen Grund, warum ich mich direkt mit Ihnen zusammensetzen wollte. Ich möchte Ihnen einfach sagen, dass Sie mit Ihrer Art, wie Sie auf mich eingegangen sind, bei mir keine Begeisterung geweckt haben, sondern eigentlich das Gegenteil. Trotz meinem Wunsch, ein detailliertes Angebot zu bekommen, haben Sie mich 3x, einmal mündlich und 2x schriftlich, mit einer Pauschal-Info abgespeist. Obwohl ich unvoreingenommen war, hat mich das bereits am Besichtigungstag stutzig und misstrauisch gemacht. Dieser Eindruck, dass Sie nicht ehrlich zu mir gewesen sind, sondern etwas verbergen wollten, hat sich dann bis heute verstärkt. Um es genau zu sagen: Ich habe mich die ganze Zeit von Ihnen über den Tisch gezogen und unter Druck gesetzt gefühlt, auf eine unredliche und unfaire Art. Ich kann nicht glauben, dass das auch zu Ihrer Strategie gehört. Denn das schafft kein Vertrauen beim Kunden.“

Ich war jetzt von den Sachfragen weg auf unsere Beziehung gewechselt. Und hatte ihn sehr persönlich angesprochen. Ganz unaufgeregt und ruhig; denn das war ich unserer Beziehung schuldig. Für meinen Gesprächspartner war das ungewohnt. Äußerlich hielt er sich bravourös und gab sich ziemlich cool, so nach dem Motto ‚Lass den Alten schwätzen, was soll‘s?’ Aber innerlich war er betroffen, das spürte ich. Vielleicht lag es auch daran, er hätte mein Sohn sein können, und im Moment sah er vielleicht mehr einen Vater als einen Kunden in mir.

„Und schließlich habe ich es als unfair empfunden, wie Sie mehrmals versucht haben, mich zu überrumpeln und am Nachdenken zu hindern. Das war am ersten Tag so, und am Morgen Ihres Einsatzes, und es war auch vorhin wieder der Fall, als Sie entgegen unserer Absprache bereits nach 10 Minuten vor der Tür standen.“ Meine Worte beruhten auf Fakten und den Eindruck, den sie bei mir erweckt hatten. Dagegen zu argumentieren, wäre ziemlich schwierig gewesen. Zwei Dinge sah ich ihm an: Erstens, er erwog seine Chancen, erfolgreich eine Gegenposition aufzubauen. Zweitens, ich hatte ihn gerade mit einem Fremdbild über sich konfrontiert, das nun überhaupt nicht mit seinem Selbstbild übereinstimmte. Auch hier gab es Handlungsbedarf. Er entschied sich offensichtlich dafür, etwas für sein Image zu tun. Vielleicht war das für ihn auch der einfachere Weg. „Okay“, sagte er, „was hatten Sie ausgerechnet?“ „1.630 Euro inklusive Mehrwertsteuer. Ihr Rechnungsgesamtbetrag liegt bei 2.211 Euro.“ „Einigen wir uns auf die Mitte? Also 1.900 Euro inklusive Mehrwertsteuer?“ Da war er wieder, der junge Dachdeckermeister, schnell, handlungsorientiert und gewinnend. Ich hatte noch nicht mal ja gesagt, da streckte er mir über den Tisch schon seine Hand entgegen. „Einverstanden“, sagte ich und schlug ein. Als er aus dem Haus trat, blickte er noch mal zurück und grinste etwas: „Ich schicke Ihnen eine neue Rechnung!“

2. Erkenntnisse

Natürlich könnte ich mir jetzt die Frage stellen: ‚Hast Du Dich jetzt eigentlich durchgesetzt?’ Also immerhin, seine Rechnung wollte ich auf keinen Fall bezahlen. Und das ist mir gelungen. Ich habe ohne Gewalt oder Drohung über 300 Euro weniger bezahlt. Obwohl mir bei der Auftragsvergabe zwei Anfänger-Fehler unterlaufen waren: Ich habe mich vorher nicht schlau gemacht und kein zweites Angebot eingeholt und dann noch locker „okay“ gesagt. Außerdem hatte er ja wirklich gut und schnell gearbeitet; also würde ich ihn auch in Zukunft gerne in Anspruch nehmen, wenn es bei uns am Haus etwas zu reparieren gab. Es ist immer gut, nachhaltige Beziehungen zu guten Handwerkern zu haben. Beim nächsten Mal würden wir beide umsichtiger und ehrlicher miteinander umgehen, davon durfte ich ausgehen. Schließlich hat auch er sein Gesicht wahren können. Sonst hätte er die Lösung am Schluss nicht so schnell vorgeschlagen. Also insgesamt auch auf längere Sicht ein rundes Ergebnis.

Schauen wir uns jetzt einfach mal an, wie ich diese Lösung erreichen konnte. Konzentrieren wir uns zunächst auf die großen Aspekte. Davon gibt es 3, die ich in meinem Gespräch mit dem Dachdeckermeister angewandt habe.

(1) Stichwort Beziehung: Ich habe die Beziehung zwischen ihm und mir ins Spiel gebracht.

(2) Stichwort Wunschbild: Ich habe mein Wissen über das (Wunsch-)Bild, das er von sich selber hat, genutzt, um es in Frage zu stellen.

(3) Stichwort Widerstand: Ich habe seine Widerstandshaltung berücksichtigt.

Stichwort Beziehung.

Ich hätte natürlich die Art seiner Kalkulation kritisieren können, von den Kosten der Einzelgarage auf die Kosten einer Doppelgarage zu kommen. Aber ich war mir nicht sicher genug, ob ich ihn damit zum Einlenken gebracht hätte. Er musste sich ziemlich sicher gefühlt haben, als er mir seine rechnerischen Überlegungen offenbart hatte. Denn das war ja schon richtig kess. Wenn ich an den Einzelpositionen herumgenörgelt hätte, wäre er möglicherweise in einen Widerstand gegangen, aus dem ich ihn nicht mehr hätte herausholen können. Nein, ich hatte viel größere Chancen, wenn ich ihm sagen würde, dass ich mich unehrlich und unfair behandelt gefühlt hätte. Größere Chancen warum? Na ja, zunächst gibt es einen Überraschungsvorteil. In solchen Gesprächen die Beziehung anzusprechen, ist absolut ungewöhnlich. Normalerweise bleibt man auf den Sachvorgang konzentriert (die Sach-Ebene). Zweitens, nur über diesen Dreh konnte ich bei ihm Betroffenheit erzielen. Wer sich aber betroffen fühlt, fängt an, – er kann gar nicht anders –, seine eigenen Vorstellungen, Überlegungen und Handlungsweisen infrage zu stellen. Für einen Gesinnungswandel zu meinen Gunsten ist das natürlich dann eine gute Voraussetzung.

Die Erfahrung sagt deshalb auch: die Beziehung ist wichtiger als die Sache. Stimmt die Beziehung, kann man jedes Sachproblem lösen. Liegt die Beziehung aber im Argen, gerät man auch bei den einfachsten Sachfragen aneinander. Hier muss dann erst mal wieder die Beziehung in Ordnung gebracht werden, wenn eine gute Zusammenarbeit möglich sein soll. Nach dieser Regel „Beziehung geht vor Inhalt“ habe ich die Thematik im Gespräch bewusst gewechselt. Zu dem Zweck bin ich von der Sachebene auf die Meta-Ebene gegangen. In diesem Zusammenhang heißt das, ich habe, fiktiv gesprochen, von einer übergeordneten Position aus auf die Beziehung zwischen dem Dachdeckermeister und mir geschaut und ihm zurückgemeldet, wie ich diese Beziehung erlebt habe. Die Meta-Ebene ist sehr gut geeignet, um den handelnden Personen die momentane Situation bewusst zu machen und den Zustand einer Beziehung anzusprechen. „Wir reden aneinander vorbei“ oder „Es macht mir richtig Spaß, mit dir zusammenzuarbeiten“, das sind Aussagen auf der Metaebene, sie schaffen Bewusstheit und geben den Beteiligten die Chance, so weiter zu machen oder sich anders zu verhalten.

Mit meiner kritischen Rückmeldung konnte ich dem Dachdeckermeister gleichzeitig signalisieren, was ich eigentlich als Kunde von ihm erwartet hätte: nämlich ein glaubwürdiges Verhalten. Dazu muss ich sagen: Jeder von uns lebt in ständigen Erwartungen an Andere, wie sie sich in ihrer Beziehung zu uns verhalten sollten. Und jeder von uns erlebt immer wieder, wie seine Erwartungen unerfüllt bleiben. Enttäuschungen dieser Art sind also nichts Ungewöhnliches. Ein argumentatives Gewicht bekommen sie nur, wenn ich sie immer wieder über eine längere Zeit erlebe. Das war hier der Fall: Der Dachdeckermeister Gerhardt hat mich gleich bei unserem ersten Zusammentreffen enttäuscht, und dann immer wieder. So entstand eine Historie, die dann meiner kritischen Rückmeldung erst ein größeres Gewicht verlieh.

Schließlich habe ich in diesem Teil des Gesprächs strikt darauf geachtet, Fakten von meiner persönlichen Bewertung zu trennen. Nachweisbare Fakten darf ich durchaus der kritisierten Person zuordnen und vorrechnen, z.B. was sie getan oder unterlassen hat. Wenn ich aber diese Fakten beurteile, dann ist das nur meine persönliche Sicht aus dem eigenen Erleben heraus. Das heißt, meine Beurteilung selbst ist keine unumstößliche allgemein feststellbare Tatsache. Deshalb habe ich im Gespräch immer wieder deutlich gemacht, wie sein Verhalten auf mich gewirkt hat (man spricht hier von sogenannten ‚Ich-Botschaften’); aber ich habe ihn kein einziges Mal persönlich angegriffen (z.B. „Sie sind ein unehrlicher Mensch!“). Das hätte ihn in den absoluten Widerstand getrieben. Aber gegen persönliche Eindrücke lässt sich schwer gegen argumentieren.

Stichwort Wunschbild.

Als mir Herr Gerhardt erzählte, wie und womit er seine Kunden begeistern wollte und bisher auch begeistert hat, nämlich mit Qualität und Schnelligkeit, hat er natürlich indirekt auch beschrieben, wie er von seinen Kunden gern gesehen werden wollte. Seine Kunden-Strategie spiegelt so einen Teil seines Wunschbildes über sich selbst wieder. Qualität und Schnelligkeit sind deshalb für ihn überaus wichtige Merkmale seiner Tätigkeit als Dachdeckermeister. Dabei spielt es überhaupt keine Rolle, ob das wirklich die entscheidenden Größen für den Erfolg sind. Wichtig ist nur, dass sein Wunschbild diese Merkmale enthält.