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Siegfried Jäger / Jens Zimmermann (Hg.)
in Zusammenarbeit mit der Diskurswerkstatt im DISS

Lexikon
Kritische Diskursanalyse

Eine Werkzeugkiste

Edition des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung im UNRAST-Verlag, Münster

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Die Edition DISS wird im Auftrag des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung herausgegeben von Gabriele Cleve, Margarete Jäger, Siegfried Jäger, Jobst Paul, Thomas Quehl, Alfred Schobert (†) und Iris Tonks.

 

Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

 

 

 

Siegfried Jäger / Jens Zimmermann (Hg.) in Zusammenarbeit mit der Diskurswerkstatt im DISS – Lexikon Kritische Diskursanalyse. Eine Werkzeugkiste

1. Auflage 2010

Edition DISS Bd. 26

 

 

eBook UNRAST Verlag, Dezember 2019

ISBN 978-3-95405-050-5

 

© UNRAST-Verlag, Münster

www.unrast-verlag.de | kontakt@unrast-verlag.de

Mitglied in der assoziation Linker Verlage (aLiVe)

 

 

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme vervielfältigt oder verbreitet werden.

 

Umschlag: Peter Heuer

Satzgestaltung: ImPrint Verlagsservice, Jörn Essig-Gutschmidt, Münster

Inhalt

Vorbemerkung zu diesem Lexikon

Das Netz der Begriffe der KDA

1. Vorbemerkung

2. Einige Bemerkungen zu den theoretischen Grundlagen Kritischer Diskursanalyse

3. Zu den methodischen Grundlagen Kritischer Diskursanalyse

4. Der politische Einsatz der Diskursanalyse

Lexikon Kritische Diskursanalyse (KDA):
Eine Werkzeugkiste

Literaturverzeichnis

1. Werke Michel Foucaults

2. Sekundärliteratur

Anmerkungen

Vorbemerkung zu diesem Lexikon

Das hier vorgelegte Begriffslexikon mit einer knappen und überblickshaften Einführung in die Kritische Diskursanalyse (KDA) ist ein Gemeinschaftswerk der TeilnehmerInnen der Diskurswerkstatt im Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS) im Jahr 2008/09. Die AutorInnen entstammen verschiedenen kulturwissenschaftlichen Fachrichtungen, neben der Sprachwisssenschaft, nahezu allen kulturwissenschaftlichen Disziplinen. Es handelt sich um Studierende und DozentInnen bzw. wissenschaftliche MitarbeiterInnen verschiedener Universitäten, wissenschaftlicher Institute und Zeitschriftenredaktionen, nämlich um:

Emel Cetin (E.C), André Gasch (A.G.), Katrin Huck (K.H.), Margarete Jäger (M.J.), Siegfried Jäger (S.J.), Zeynep Ece Kaya (Z.E.K.), Helmut Kellershohn (H.K.), Hanna Neumann (H.N.), Jobst Paul (J.P.), Christian Pietzek (C.P.), Thorsten Schlee (T.S.), Mareike Stickdorn (M.S.), Iris Tonks (I.T.), Vassilis Tsianos (V.T.), Regina Wamper (R.W.) und Jens Zimmermann (J.Z.).

Die aufgeführten Begriffe werden mit den Namenskürzeln der Mitarbeiterinnen gezeichnet.

Herausgegeben wurde das Lexikon von Siegfried Jäger und Jens Zimmermann, die auch die Redaktion der Beiträge vorgenommen haben. Dabei wurde in die jeweiligen Texte nur behutsam eingegriffen, wodurch sich eine gewisse Heterogenität in Herangehensweise und Stil ergab, was aber bei der Vielzahl der AutorInnen unvermeidbar war. Die Redaktion konzentrierte sich auf die Klarheit und Verständlichkeit der vorgelegten Definitionen.

Bearbeitet wurden rund 200 Begriffe zur angewandten Diskurstheorie, wie wir sie bei der Durchführung diskursanalytischer Projekte im DISS verstehen und wie sie zunehmend auch außerhalb des DISS verwendet werden. Dazu kommen einige Begriffe, die nicht auf den ersten Blick diskurstheoretisch begründet zu sein scheinen, wie etwa der Begriff »Rassismus«, den wir aber deshalb aufgenommen haben, weil er einen in den Sozialwissenschaften gebräuchlichen Begriff diskurstheoretisch modifiziert. Teil jeder Definition sind Verweise auf andere Begriffe in diesem Lexikon, die durch die Markierung → gekennzeichnet werden.[1]

Die Definitionen stützen sich letztlich auf die Arbeiten des französischen Philosophen Michel Foucault und deren weiteren Ausbau in diskurstheoretisch argumentierenden Untersuchungen im DISS und außerhalb des DISS, so dass die jeweiligen Begriffsdefinitionen sich nicht ausschließlich auf die Kritische Diskursanalyse. Eine Einführung von Siegfried Jäger (im Folgenden KDA) beziehen, sondern auch auf eine Reihe anderer Arbeiten, die die KDA teilweise fortschreiben.[2] Zu betonen ist daher auch, dass die Methode der KDA nicht am Grünen Tisch entworfen worden ist, sondern sich allmählich im Gefolge der Durchführung von Projekten kontinuierlich entwickelt hat. Man wird zu manchen Begriffen in den Werken Foucaults zudem andere oder teilweise abweichende Definitionen finden, was auch daran liegt, dass Foucault selbst seine Begriffe oft nicht einheitlich und eindeutig verwendet und immer wieder variiert.[3]

Dieses Lexikon ersetzt keine Einführung in die KDA, sondern ist eine Hilfe zum besseren Verständnis der KDA und zur größeren Sicherheit bei der Durchführung von konkreten Analysen. Begriffe, daher auch die hier vorgestellten, machen insgesamt die diskursanalytische »Werkzeugkiste« der KDA aus. Sie repräsentieren keine endgültigen Wahrheiten; die Werkzeugkiste lädt zum Gebrauch und zur Weiterentwicklung im Sinne weiterer Präzisierung ein.

Die Tauglichkeit oder auch die Mängel der vorliegenden Definitionen werden sich nicht zuletzt bei der Durchführung konkreter Diskursanalysen erweisen.

Da die KDA kein sprachwissenschaftliches Projekt ist, sondern ein Projekt qualitativer Sozial- und Kulturforschung, das sich auch einer Reihe sprachwissenschaftlicher Instrumente bedient, stellen wir sie uns als ein interdisziplinäres Projekt vor. Es ist darum bemüht, weitere sozial- und kulturwissenschaftliche Forschungsansätze inhaltlich aufzunehmen und in die grundlegenden diskurstheoretischen Überlegungen Foucaults zu integrieren. Sie geht damit bewusst über die →Diskurslinguistik hinaus, die sich allein oder doch fast allein auf linguistische Begrifflichkeiten und Verfahren beschränken möchte.[4]

Sich an Foucault orientierende Diskursanalyse ist inzwischen ein anerkanntes wissenschaftliches Paradigma und hat sich seit ersten Anfängen in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts etwa seit Mitte der 80er Jahre in allen kulturwissenschaftlichen Disziplinen bewährt, wobei selbstverständlich eine Vielzahl von Varianten entstanden ist, die miteinander in produktivem Wettstreit stehen. Die Vielfalt der Ansätze zeigt z. B. das Handbuch sozialwissenschaftliche Diskursanalyse von Keller und anderen (Keller u. a. 2001, 2006) und erfährt laufend weitere Ausdifferenzierungen, insbesondere auch im Gefolge weiterer diskursanalytischer Projekte. Der Duisburger Ansatz, der seit 1985 immer wieder fortgeschrieben worden ist[5], teilweise auch in enger Kooperation mit der Diskurswerkstatt Bochum/Dortmund unter der Leitung von Jürgen Link und seiner Zeitschrift kultuRRevolution, hat sich zu einem äußerst praktikablen Methodenkonzept entwickelt und große innere Konsistenz erreicht, auch deshalb, weil er seine Gegenstände so ausgewählt hat, dass ihre Analyse politisch – und das heißt für uns auch gesellschaftskritisch – Sinn macht. Der einführende Überblicksartikel möchte dies im Einzelnen begründen. Er ersetzt die Einführung in die Kritische Diskursanalyse nicht, spannt aber das theoretische und methodische Netz auf, in dem die einzelnen Begriffe zu verorten sind und das insofern den Hintergrund für die folgenden Begriffsdefinitionen darstellt. Dabei ist es unvermeidlich, dass in dieser Einleitung einige zentrale Begriffe verwendet werden, die auch in dem folgenden Lexikon auftauchen.

Das Netz der Begriffe der KDA[6]

1. Vorbemerkung

Das vorliegende Lexikon der KDA verfolgt die Absicht, die begrifflich-theoretische und methodologische Werkzeugkiste der KDA offenzulegen und systematisch einsehbar zu machen. Damit die lange Liste der Begrifflichkeiten der KDA als ein theoretischer Zusammenhang erkennbar bleibt, in dem jeder der Begriffe seinen besonderen Stellenwert hat, sei einmal auf die KDA selbst verwiesen, zum anderen aber soll die folgende Einleitung diesen Zusammenhang, also gleichsam das begriffliche Netz der KDA, zumindest in der Skizze voranstellen.

Die Kritische Diskursanalyse (KDA) versteht sich als ein Konzept qualitativer Sozial- und Kulturforschung, wobei sie sich zugleich auf linguistische Phänomene bzw. die Linguistik und weitere Disziplinen bezieht, zumindest auf eine Reihe interessanter Instrumente aus den Human- und Sozialwissenschaften.[7] Diese sind immer, ob sie es zugeben oder nicht, politisch, auch wenn sie beanspruchen, rein deskriptiv vorzugehen. Reine Beschreibung verfestigt den Status Quo und lässt ihn als selbstverständlich erscheinen. Dem gegenüber ist davon auszugehen, dass Human- und Sozialwissenschaften immer schon gesellschaftliche Wirklichkeit gedeutet haben, und das geschah und geschieht immer auf dem Hintergrund eines Wissens, das das jeweilige, auch wissenschaftliche Subjekt im Lauf seines Lebens erworben hat, das an es weitergegeben worden ist und während seines Lebens mancherlei Veränderungen erfahren hat. Dies zu reflektieren, wenn es um die Deutung von (gesellschaftlicher) Wirklichkeit geht, zu wissen, dass man auch als WissenschaftlerIn immer dazu Position bezieht, auch wenn man sich dessen vielleicht nicht bewusst ist, hat Leitlinie aller Wissenschaft (und nicht nur der Wissenschaft) zu sein.

Der Historiker Ulrich Brieler spricht von der »Unerbittlichkeit der Historizität« (Brieler 1998) und meint damit, dass in jede wissenschaftliche Aussage auch die jeweilige historische Position des Sprechenden eingeht.

Michel Foucault konstatiert: Der Wissenschaftler

»wirkt oder kämpft auf der allgemeinen Ebene dieser Ordnung der Wahrheit, die für die Struktur und das Funktionieren unserer Gesellschaft fundamental ist. Es gibt einen Kampf ›um die Wahrheit‹, oder zumindest ›im Umkreis der Wahrheit‹, wobei … gesagt werden soll, daß ich unter Wahrheit nicht ›das Ensemble der wahren Dinge, die zu entdecken oder zu akzeptieren sind‹ , verstehe, sondern ›das Ensemble der Regeln, nach denen das Wahre vom Falschen geschieden und das Wahre mit spezifischen Machtwirkungen ausgestattet wird‹; daß es nicht um einen Kampf ›für die Wahrheit‹ geht, sondern um einen Kampf um den Status der Wahrheit und um ihre ökonomisch-politische Rolle. Man darf die politischen Probleme der Intellektuellen nicht in den Kategorien ›Wissenschaft/Ideologie‹ angehen, sondern in den Kategorien ›Wahrheit/Macht‹.« (Foucault 1978a, S. 53)

Das aber heißt, da wir der Wirklichkeit keine Wahrheiten entnehmen können, dass wir sie immer nur deuten können und es immer einen Kampf um unterschiedliche Deutungen geben wird. Mit anderen Worten: Wissenschaft ist immer schon politisch. Das bedeutet nicht, dass wir als WissenschaftlerInnen und damit Forschende nicht auf klare Begriffe angewiesen wären, und somit bedeutet es auch keine Beliebigkeit. Es bedeutet aber, dass kein Begriff und keine Theorie den Anspruch auf immer gültige Wahrheit stellen kann. Es gibt keine Werturteilsfreiheit. Man beachte dazu auch die Diskussion Max Webers zum Konzept der »Idealtypen«, mit denen seiner Ansicht nach oft über lange Zeiträume hinweg sinnvoll gearbeitet werden kann, die gelegentlich aber auch der Revision bedürfen. So spricht er von der Notwendigkeit der »Konstruktion von Zusammenhängen, welche unserer Phantasie als zulänglich motiviert (…) erscheinen« (Weber1985, S. 192).[8]

Mag dieses Verständnis von Wahrheit und Begriff irritieren, so vielleicht auch die Charakterisierung dieses Konzepts als inter- und transdisziplinär. Es lässt sich auf Inhalte aller Art ein, auf Themen der Wissenschaften und der Medien, auf Themen der Politik wie des Alltags. Insofern kann man die KDA auch als eine Abteilung der Cultural Studies ansehen, die sich als prinzipiell kontextuell, theoriegeleitet, interventionistisch, inter- und transdisziplinär sowie selbstreflexiv verstehen.[9]

Vor diesem sehr allgemeinen Hintergrund soll zunächst eine knappe Skizze des diskurstheoretischen und diskursanalytischen Ansatzes folgen, mit dem wir im Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS) diskursanalytisch verfahrende Projekte zum Politiker-, Medien- und Alltagsdiskurs entwerfen und umsetzen.[10]

2. Einige Bemerkungen zu den theoretischen Grundlagen Kritischer Diskursanalyse

2.1. Diskurs, Macht und Herrschaft

Unser Konzept von Diskursanalyse orientiert sich an den Schriften Michel Foucaults, der selbst zwar keine explizite Methode der Diskursanalyse entwickelt hat und sich zudem vornehmlich (aber nicht nur) mit Diskursen der Wissenschaften befasst hat, während wir versucht haben, ein Verfahren zu entwickeln, das sich für die Analyse von Diskursen auf allen diskursiven Ebenen eignet, also für Wissenschaft, Medien, Politik, Alltag und auch für fiktionale Diskurse.[11] Dabei haben wir auch die Rezeption Foucaults in angrenzenden (Sozial-)Wissenschaften[12] und in der germanistischen Sprachwissenschaft zur Kenntnis genommen und berücksichtigt.[13]

Den für eine kulturwissenschaftliche Orientierung der Diskursanalyse wohl fruchtbarsten Ansatz im Gefolge Michel Foucaults haben der Literaturwissenschaftler Jürgen Link und sein Team entwickelt.[14] Ihnen wie uns geht es vor allem um die Analyse aktueller Diskurse und ihrer Macht-Wirkung, um das Sichtbarmachen ihrer (sprachlichen und ikonographischen) Wirkungsmittel, insbesondere um die Kollektivsymbolik, die zur Vernetzung der verschiedenen Diskursstränge beiträgt, um das Konzept des Normalismus, und insgesamt um die Funktion von Diskursen als herrschaftslegitimierenden und -sichernden Techniken in der real existierenden kapitalistischen bzw. globalisierten Gesellschaft.[15]

Dabei ist insbesondere die normalisierende Wirkung von Diskursen zu beachten. Moderne Industriegesellschaften sind, wie Jürgen Link nachdrücklich gezeigt hat, normalisierte Gesellschaften, die durch ein Wechselspiel von flexibel- und protonormalistischen Dispositiven gleichsam auf Kurs gehalten werden. Link (1995a) konstatiert:

»Die historische Spezifik des Normalismus (…) erweist sich darin, daß er (…) als ›response‹ auf das ›challenge‹ der modernen Dynamik verstanden werden muß. Normalitäts-Dispositive sind in allen Einzelsektoren und im integrierenden (interdiskursiven) Bereich kompensierende, ›versichernde‹ Dispositive gegen die tendenziell ›exponentiellen‹ und damit tendenziell ›chaotischen‹ growth-Kurven der Moderne.« (Link 1995a, S. 26)[16]

Die knappste Definition von Diskurs bei Link lautet: Diskurs ist »eine institutionell verfestigte redeweise, insofern eine solche redeweise schon handeln bestimmt und verfestigt und also auch schon macht ausübt und verfestigt« (Link 1986a, S. 60, Kleinschreibung und Hervorhebungen im Original.) Eine Modifikation nach erneuter Lektüre der AW erfolgte in Link 2005a, 18. Dort heißt es: Diskurse sind »geregelte, ansatzweise institutionalisierte Redeweisen als Räume möglicher Aussagen, insofern sie an Handlungen gekoppelt sind und dadurch Machtwirkungen ausüben.« Die Präzisierung besteht vor allem darin, dass in dieser Modifikation von Redeweisen als Räumen möglicher Aussagen gesprochen wird und nicht mehr allein von Redeweise, die Handeln bestimmt.

Mit beiden Begriffsdefinitionen wird betont, dass Diskurse nicht als Ausdruck gesellschaftlicher Praxis von Interesse sind, sondern weil sie Machtwirkungen ausüben. Dies tun sie, weil sie (ansatzweise) institutionalisiert, geregelt und an Handlungen gekoppelt sind.[17]

Der angesprochene Aspekt des Zusammenhangs von Diskurs und Macht ist allerdings sehr komplex, denn »Machtwirkungen übt eine diskursive Praxis in mehrfacher Hinsicht aus. Wenn eine diskursive Formation sich als ein begrenztes ›positives‹ Feld von Aussagen-Häufungen beschreiben lässt«, so begründen Link/Link-Heer diese Kopplung, »so gilt umgekehrt, daß mögliche andere Aussagen, Fragestellungen, Blickrichtungen, Problematiken usw. dadurch ausgeschlossen sind. Solche, sich bereits notwendig aus der Struktur eines Spezialdiskurses ergebenden Ausschließungen (die ganz und gar nicht als manipulative Intentionen irgendeines Subjekts … mißdeutet werden dürfen!) können institutionell verstärkt werden.« (Link/Link-Heer 1990, S. 90) Diskursanalyse zielt demnach auch kritisch auf Macht und Machtverteilung, insbesondere aber auf Herrschaft, wobei Foucault Herrschaft dann am Werke sieht, wenn Machtverhältnisse blockiert werden.

»Der Unterschied zwischen Macht und Herrschaft besteht darin, daß Macht die gesamte Gesellschaft wie ein Netz überzieht, so daß man sagen kann, daß alle Menschen in einer Gesellschaft über Macht verfügen, und sei ihr Anteil daran noch so gering; von Herrschaft ist dagegen zu sprechen, wenn aufgrund der ungleichen Verteilung von Macht Menschen über Menschen bestimmen und sie z. B. ausgrenzen und ausbeuten können etc.« (KDA 129f., Fußnote 129)

Zur Frage der Macht der Diskurse hat Foucault einmal gesagt:

»Es ist das Problem, das fast alle meine Bücher bestimmt: wie ist in den abendländischen Gesellschaften die Produktion von Diskursen, die (zumindest für eine bestimmte Zeit) mit einem Wahrheitswert geladen sind, an die unterschiedlichen Machtmechanismen und -institutionen gebunden?« (WW, 8)

Diskurse üben als »Träger« von (jeweils gültigem) »Wissen« Macht aus; sie sind selbst ein Machtfaktor, indem sie Verhalten und (andere) Diskurse induzieren. Sie tragen damit zur Strukturierung von Machtverhältnissen in einer Gesellschaft bei.

Zu diesem komplexen Problem des Verhältnisses von Macht und Wissen soll Foucault etwas ausführlicher zu Wort kommen:

In seinem Vortrag Was ist Kritik? (Foucault 1992) erläutert Foucault:

»(…) niemals darf sich die Ansicht einschleichen, daß ein Wissen oder eine Macht existiert – oder gar das Wissen oder die Macht, welche selbst agieren würde. Wissen und Macht – das ist nur ein Analyseraster. Und dieser Raster ist nicht aus zwei einander fremden Kategorien zusammengesetzt – dem Wissen einerseits und der Macht andererseits (…). Denn nichts kann als Wissenselement auftreten, wenn es nicht mit einem System spezifischer Regeln und Zwänge konform geht – etwa mit dem System eines bestimmten wissenschaftlichen Diskurses in einer bestimmten Epoche, und wenn es nicht andererseits, gerade weil es wissenschaftlich oder rational oder einfach plausibel ist, zu Nötigungen oder Anreizungen fähig ist. Umgekehrt kann nichts als Machtmechanismus funktionieren, wenn es sich nicht in Prozeduren und Mittel-Zweckbeziehungen entfaltet, welche in Wissenssystemen fundiert sind. Es geht also nicht darum, zu beschreiben, was Wissen ist und was Macht ist und wie das eine das andere unterdrückt oder mißbraucht, sondern es geht darum, einen Nexus von Macht-Wissen zu charakterisieren, mit dem sich die Akzeptabilität eines Systems – sei es das System der Geisteskrankheit, der Strafjustiz, der Delinquenz, der Sexualität usw. – erfassen läßt.« (32f.)

An anderer Stelle führt er aus:

»… die Macht ist nicht eine Institution, ist nicht eine Mächtigkeit einiger Mächtiger. Die Macht ist der Name, den man einer komplexen strategischen Situation in einer Gesellschaft gibt. … Die Macht kommt von unten, d. h. sie beruht nicht auf der allgemeinen Matrix einer globalen Zweiteilung, die Beherrscher und Beherrschte einander entgegensetzt und von oben nach unten auf immer beschränktere Gruppen und bis in die letzten Tiefen des Gesellschaftskörpers ausstrahlt. Man muß eher davon ausgehen, daß die vielfältigen Kraftverhältnisse, die sich in den Produktionsapparaten, in den Familien, in den einzelnen Gruppen und Institutionen ausbilden und auswirken, als Basis für weitreichende und den gesamten Gesellschaftskörper durchlaufende Spaltungen dienen.« (WW, 114)

Und er fährt fort:

»Wo es Macht gibt, gibt es Widerstand. Und doch oder gerade deswegen liegt der Widerstand niemals außerhalb der Macht. » (WW, 116; s. zu Foucaults Verständnis von Macht ausführlich ebd., 113-118)

Hier wird deutlich, wie man sich das Verhältnis von Macht und Diskurs vorstellen kann. Macht wird diskursiv transportiert und durchgesetzt. Dabei ist davon auszugehen, dass »die Welt des Diskurses … nicht zweigeteilt (ist) zwischen dem zugelassenen und dem ausgeschlossenen oder dem herrschenden und dem beherrschten Diskurs. … Die Diskurse ebensowenig wie das Schweigen sind ein für allemal der Macht unterworfen oder gegen sie gerichtet. Es handelt sich um ein komplexes und wechselhaftes Spiel, in dem der Diskurs gleichzeitig Machtinstrument und -effekt sein kann, aber auch Hindernis, Gegenlager, Widerstandspunkt und Ausgangspunkt für eine entgegengesetzte Strategie. Der Diskurs befördert und produziert Macht; er verstärkt sie, aber er unterminiert sie auch, er setzt sie aufs Spiel, macht sie zerbrechlich und aufhaltsam.« (122)

Neben dem Konzept der Macht und – bei gewissen Überlappungen – verwendet Foucault auch den Begriff der Herrschaft. Dieser wird von Foucault in verschiedenen Zusammenhängen verwendet. Einerseits findet der Begriff Verwendung immer dann, wenn die Machtverhältnisse größere Dimensionen annehmen, etwa auf staatlicher Ebene. Andererseits wird der Begriff auch benutzt, um auf eine Blockierung im freien Spiel der Machtverhältnisse hinzuweisen. Die Analyse von Machtbeziehungen

»stößt manchmal auf etwas, das man als Herrschaftstatsachen oder als Herrschaftszustände bezeichnen kann, in denen die Machtbeziehungen, anstatt veränderlich zu sein und den verschiedenen Mitspielern eine Strategie zu ermöglichen, die sie verändern, vielmehr blockiert und erstarrt sind. Wenn es einem Individuum oder einer gesellschaftlichen Gruppe gelingt, ein Feld von Machtbeziehungen zu blockieren, sie unbeweglich und starr zu machen und jede Umkehrung der Bewegung zu verhindern – durch den Einsatz von Instrumenten, die sowohl ökonomischer, politischer oder militärischer Natur sein mögen –, dann steht man vor etwas, das man als einen Herrschaftszustand bezeichnen kann. Gewiss existieren in einem solchen Zustand die Praktiken der Freiheit nicht oder nur einseitig oder sind äußerst eingeschränkt und beschränkt.« (DE 4, 878)

Im Rahmen von Herrschaft trifft die →Repressionshypothese zu, die davon ausgeht, dass Macht auch in modernen Gesellschaften oft in Verbindung mit Verboten und Zwang steht, so dass Veränderung oder gar Widerstand fast unmöglich wird (s. auch →Genealogie, →Disziplinarmacht). »Der Unterschied zwischen Macht und Herrschaft besteht darin, daß Macht die gesamte Gesellschaft wie ein Netz überzieht, so daß man sagen kann, daß alle Menschen in einer Gesellschaft über Macht verfügen, und sei ihr Anteil daran noch so gering; von Herrschaft ist dagegen zu sprechen, wenn aufgrund der ungleichen Verteilung von Macht Menschen über Menschen bestimmen und sie z. B. ausgrenzen und ausbeuten können etc.« (KDA 129f., Fußnote) Die KDA greift diese komplexen Zusammenhänge auf und begründet damit die Notwendigkeit von Kritik.

2.2. Diskurs und Subjekt

Welche Rolle, so möchte man fragen, spielt in diesem Zusammenspiel das →Subjekt? Foucault argumentiert hier völlig eindeutig:

»Man muß sich vom konstituierenden Subjekt, vom Subjekt selbst befreien, d.h. zu einer Geschichtsanalyse gelangen, die die Konstitution des Subjekts im geschichtlichen Zusammenhang zu klären vermag. Und genau das würde ich Genealogie nennen, d.h. eine Form der Geschichte, die von der Konstitution von Wissen, von Diskursen, von Gegenstandsfeldern usw. berichtet, ohne sich auf ein Subjekt beziehen zu müssen, das das Feld der Ereignisse transzendiert und es mit seiner leeren Identität die ganze Geschichte hindurch besetzt.« (Foucault 1978b, 32)

Hier wird deutlich: Foucault bzw. seine Diskurstheorie leugnet nicht, wie ihm oft zum Vorwurf gemacht worden ist, die Existenz von Subjekten. Er will zu einer Geschichtsanalyse gelangen, die die Konstitution des Subjekts im geschichtlichen Zusammenhang, im sozio-historischen Kontext, also in synchron-aktueller und diachron-historischer Perspektive zu klären vermag. Das tätige, handelnde und deutende Subjekt ist also voll dabei, wenn es um die Realisierung von Machtbeziehungen geht. Es denkt, plant, handelt, konstruiert, interagiert und fabriziert. Und als solches hat es auch das Problem, zu bestehen, d.h. sich durchzusetzen, seinen Ort in der Gesellschaft zu finden. Man könnte auch vom Subjekt als Akteur sprechen. Das Subjekt agiert aber im Rahmen eines wuchernden Netzes diskursiver Beziehungen und Auseinandersetzungen. Dies bedeutet denn auch nicht, dass das Subjekt den Diskursen schlicht ausgesetzt ist, von ihnen in seiner Subjektivität/Identität schlicht determiniert wird. Und dies bedeutet auch nicht, dass diese Überlegungen nicht zu erklären vermöchten, wieso es unterschiedliche Subjekte/Identitäten gibt.[18] Die diskursiven Bedingungen, die mit den unterschiedlichen Lebens- und damit Lernbedingungen einhergehen, führen zu einer Vielzahl unterschiedlicher und sich verändernder Subjektivierungsprozesse und damit auch Subjektpositionen, die jederzeit selbst wieder kritisch hinterfragbar sind.

Der Diskurs als ganzer ist eine regulierende Instanz; er formiert Bewusstsein. Er tut dies als rhyzomartig mäandernder »Fluss von ›Wissen‹ bzw. sozialen Wissensvorräten durch die Zeit«, der durchaus auch einmal rückwärts fließen, zeitweilig oder auch restlos versiegen kann. Diskurse sind keine wesenhaft passiven Medien einer In-Formation durch Realität und nicht Materialitäten zweiten Grades, nicht ›weniger materiell‘ als »echte« Realität. Diskurse sind vielmehr vollgültige Materialitäten ersten Grades unter den anderen. Sie enthalten Vorgaben für die Subjektbildung und die Strukturierung und Gestaltung von Gesellschaften.

2.3. Die Materialität der Diskurse: Diskurs und Wirklichkeit

Diese Charakterisierung der Diskurse als materiell bedeutet zugleich, dass Diskurstheorie eine strikt materialistische Theorie darstellt. Man kann Diskurse auch als gesellschaftliche Produktionsmittel auffassen. Sie produzieren Subjekte und, vermittelt über diese, als »Bevölkerung« gedacht, gesellschaftliche Wirklichkeiten.

Es geht bei der Diskursanalyse folglich auch nicht (nur) um Deutungen von etwas bereits Vorhandenem, also nicht (nur) um die Analyse einer Bedeutungszuweisung post festum, sondern um die Analyse der Produktion von Wirklichkeit, die durch die Diskurse – vermittelt über die tätigen Menschen – geleistet wird. Dies deshalb, weil die Diskurse die Applikationsvorgaben, oder – einfacher gesagt- das Wissen für die Gestaltung von Wirklichkeit bereitstellen.

Foucault und mit ihm die KDA lehnen die Vorstellung ab, dass Diskurse die Wirklichkeit einfach widerspiegeln. Wie man sich das Verhältnis von Diskurs, Handeln und Wirklichkeit vorzustellen hat, wird wohl am einleuchtendsten in Foucaults Begriff des →Dispositivs deutlich, worauf an dieser Stelle aber nur hinzuweisen ist.[19]

2.4. Wer macht die Diskurse?

Wer aber, einfach gefragt, macht die Diskurse? Welchen Status haben sie?

Das Subjekt macht den Diskurs nicht, eher ist das Umgekehrte der Fall. Der Diskurs ist überindividuell. Alle Menschen stricken zwar am Diskurs mit, aber kein einzelner und keine einzelne Gruppe bestimmt den Diskurs oder hat genau das gewollt, was letztlich dabei herauskommt.

Eine solche Bestimmung mag manchem gegen den Strich gehen, der die Einzigartigkeit des Individuums vor Augen hat und an die Autonomie des Subjekts glaubt. Auch ist zu bedenken, dass es deshalb nicht leicht ist, diesen Gedanken nachzuvollziehen, weil wir – in Abgrenzung zum Sprachidealismus – gelernt haben, dass Sprache als solche Wirklichkeit nicht verändert. Wenn wir jedoch menschliches Sprechen (und menschliche Tätigkeit generell) als Tätigkeit im Rahmen gesellschaftlicher Tätigkeit begreifen, als eingebunden in historische Diskurse, nach deren Maßgabe Gesellschaften ihre Praxis organisieren, und »wirkliche Wirklichkeit« als in Auseinandersetzung mit dem »Rohstoff« der Wirklichkeit (Materie) entstanden und entstehend begreifen, dürfte sich die Vorstellung leichter einstellen, dass Diskurse ebenso Macht ausüben wie Macht durch das Einwirken mit Werkzeugen und Gegenständen auf Wirklichkeit ausgeübt wird.

3. Zu den methodischen Grundlagen Kritischer Diskursanalyse

Zunächst ein paar grundsätzliche Bemerkungen. Die KDA schließt sich an die folgenden Ausführungen Foucaults an:

»Methodologische Überlegungen (…) sind sozusagen Baugerüste, die als Übergang dienen zwischen einer Arbeit, die ich gerade abgeschlossen habe, und einer weiteren. Das ist nicht eine allgemeine Methode, die für andere oder für mich definitiv gültig wäre. Was ich geschrieben habe, sind keine Rezepte, weder für mich noch für sonst jemand. Es sind bestenfalls Werkzeuge – und Träume.« (DE 4, 53)

Damit vertritt Foucault kein Konzept der methodischen Beliebigkeit. Es gehe ihm zwar um →Wahrheit, schreibt er, was für ihn ein sehr schwieriges, ja sogar das zentrale Problem sei. »Gleichzeitig«, so fährt er fort, »benutze ich jedoch ganz klassische Methoden: die Beweisführung oder zumindest das, was in historischen Zusammenhängen als Beweis gelten darf – Verweise auf Texte, Quellen, Autoritäten und die Herstellung von Bezügen zwischen Ideen und Tatsachen; Schemata, die ein Verständnis ermöglichen, oder Erklärungstypen. Nichts davon ist originell. Insoweit kann alles, was ich in meinen Büchern sage, verifiziert oder widerlegt werden, nicht anders als bei jedem anderen historischen Buch.« (55)

In diesem Zusammenhang bezeichnet er sich auch als »glücklichen« und »fröhlichen →Positivisten«. Aber, wie gesehen, er bleibt bei diesem fröhlichen Positivismus nicht stehen. Er erlaubt sich Kritik, verbunden mit Wertungen und sogar mit Träumen, Träumen zum Beispiel von einer besseren Welt, von einem guten Leben oder gar Träume vom Glück.

Die konsequente Behandlung der Positivitäten eines Diskurses soll es ermöglichen, zu einer besonderen Haltung der Kritik zu gelangen.

Bereits die Erfassung der Diskurse fördert eine kritische Perspektive zu Tage, indem dabei die impliziten und nicht gesagten Voraussetzungen und als Wahrheiten vertretenen Setzungen oder zu Unrecht Konsens beanspruchenden Aussagen sichtbar gemacht werden können.

So gilt auch für die KDA, dass eine kritische Wissenschaft nur über die Beschreibung von Sachverhalten zu einer Kritik gelangen kann, die nicht auf metaphysische oder transzendentale Aspekte zurückgreift. Denn es gilt auch, die »blinden Flecken« der Wissenschaften, sowie deren Machtwirkungen kritisch beleuchten zu können.

Die vorangegangenen Überlegungen, die hier nur skizzenhaft vorgestellt werden können, prägen die vorgeschlagene Analysemethode, inklusive der vorgeschlagenen Instrumente der Formanalyse bzw. der Analysekategorien.

3.1. Die Struktur des Diskurses

Zunächst zur Struktur des Diskurses allgemein. Diskurse sind eng miteinander verflochten und miteinander verschränkt; sie bilden in dieser Verschränktheit ein »diskursives Gewimmel«, das zugleich im »Wuchern der Diskurse«[20] resultiert und das Diskursanalyse zu entwirren versucht.

Es stellt sich zunächst die Frage, wie Diskurse trotz ihres »großen Wucherns« und ihrer Heterogenität und Verflochtenheit überhaupt analysiert werden können. Dazu macht die KDA die folgenden terminologisch/pragmatischen Vorschläge, die dazu geeignet sind, die prinzipielle Struktur von Diskursen durchschaubarer und infolgedessen erst eigentlich analysierbar werden zu lassen. Es handelt sich dabei um Analysekategorien und nicht etwa um Signifikanten realer Gegebenheiten und Prozesse.

 

Diskursstränge

Im gesellschaftlichen Gesamtdiskurs tauchen die verschiedensten Themen auf. Thematisch einheitliche Diskursverläufe (in der Regel mit einer Vielzahl von Unterthemen bzw. bestehend aus unterschiedlichen Diskursfragmenten) werden als Diskursstränge bezeichnet. Ihre Analyse fördert »Aussagen« und deren Verteilungen zu Tage, wobei unter Aussagen homogene Inhalte zu verstehen sind. Foucault (AW, 115ff.) unterscheidet belanglose und eher zufällige Äußerungen (Geplapper) von (festen) Aussagen, die er auch als »Atome oder auch Kerne des Diskurses« bezeichnet. Aussagen sind also nicht als »Sätze« zu verstehen, sondern immer nur als der inhaltlich gemeinsame Nenner, der unter Berücksichtigung der jeweiligen Kontexte aus Sätzen und Texten gezogen werden kann. Denn, wie Foucault sagt, »(d)ie Sprache existiert nur als Konstruktionssystem für mögliche Aussagen«. (AW, 124)

Diskursanalyse zielt auf die Ermittlung von Aussagen, indem sie Diskursfragmente gleicher Inhalte, getrennt nach Themen und Unterthemen, empirisch auflistet und deren Inhalte und Häufungen sowie ihre formalen Beschaffenheiten zu erfassen sucht und interpretiert.

 

Diskursfragmente

Als Diskursfragment bezeichnet die KDA einen Text oder Textteil, der ein bestimmtes Thema behandelt, z.B. das Thema Ausländer/Ausländerangelegenheiten (im weitesten Sinne). Diskursfragmente verbinden sich demgemäß zu Diskurssträngen. Ihre Erfassung bildet die Grundlage für die Bestimmung von Aussagen.

 

Diskursive Ereignisse und diskursiver Kontext

Zwar haben alle Ereignisse diskursive Wurzeln; sie lassen sich auf bestimmte diskursive Konstellationen zurückführen, deren letztendliche Vergegenständlichungen sie darstellen. Als diskursive Ereignisse sind jedoch nur solche Ereignisse zu fassen, die (vor allem medial und politisch) besonders herausgestellt werden und als solche Ereignisse die Richtung und die Qualität des Diskursstrangs, zu dem sie gehören, grundlegend beeinflussen. Ein Beispiel wäre der Mord an dem holländischen Filmemacher Theo van Gogh im November 2004, der den europäischen Einwanderungsdiskurs erheblich veränderte und verschärfte und selbst ferner liegende Diskurse wie den zur Frage des EU-Beitritts der Türkei stark (negativ) beeinflusste.

Die Ermittlung diskursiver Ereignisse kann für die Analyse von Diskurssträngen auch deshalb sehr wichtig sein, weil ihre Nachzeichnung den diskursiven Kontext markiert bzw. konturiert, auf den sich ein aktueller Diskursstrang bezieht.

 

Diskursebenen

Die jeweiligen Diskursstränge operieren auf verschiedenen diskursiven Ebenen (Wissenschaft(en), Politik, Medien, Literatur, Erziehung, Alltag, Geschäftsleben, Verwaltung etc.).[21] Man könnte solche Diskursebenen auch als die sozialen Orte bezeichnen, von denen aus jeweils ›gesprochen‹ wird. Dabei ist zu beobachten, dass diese Diskursebenen aufeinander einwirken, sich aufeinander beziehen, einander nutzen etc. So können etwa auf der Medien-Ebene Diskursfragmente eines wissenschaftlichen Spezialdiskurses oder auch des Politikerdiskurses aufgenommen werden etc.

 

Diskurspositionen

Die Kategorie der Diskursposition, mit der ein spezifischer politischer Standort einer Person oder eines Mediums gemeint ist, erweist sich als sehr hilfreich dafür, die Vielstimmigkeit der untersuchten Diskurse bestimmen zu können. Margarete Jäger definiert die Kategorie der Diskursposition wie folgt:

»Unter einer Diskursposition verstehe ich den Ort, von dem aus eine Beteiligung am Diskurs und seine Bewertung für den Einzelnen und die Einzelne bzw. für Gruppen und Institutionen erfolgt. Sie produziert und reproduziert die besonderen diskursiven Verstrickungen, die sich aus den bisher durchlebten und aktuellen Lebenslagen der Diskursbeteiligten speisen.« (M. Jäger 1996, 47)

Solche Diskurspositionen lassen sich erst als Resultat von Diskursanalysen ermitteln.[22] Zugleich ist darauf hinzuweisen, dass Diskurspositionen innerhalb eines herrschenden bzw. hegemonialen Diskurses relativ homogen sind, was bereits als Wirkung des jeweils hegemonialen Diskurses verstanden werden kann. Deutlich davon abweichende Diskurspositionen lassen sich Gegendiskursen zuordnen.

 

Diskurs(strang)verschränkungen

Sicher stellt der gesellschaftliche Gesamtdiskurs ein äußerst verzweigtes und ineinander verwurzeltes Netz dar. Diskursanalyse verfolgt das Ziel, dieses Netz zu entwirren, wobei in der Regel so verfahren wird, dass zunächst einzelne Diskursstränge auf einzelnen diskursiven Ebenen herausgearbeitet und analysiert werden. Beispiel: Der mediale Einwanderungs-Diskurs(strang).

Zu beachten ist, dass ein Text thematische Bezüge zu verschiedenen Diskurssträngen enthalten kann und in der Regel auch enthält. Mit anderen Worten: In einem Text können Diskursfragmente aus unterschiedlichen Diskurssträngen enthalten sein; diese treten also in aller Regel von vornherein bereits in verschränkter Form auf. Eine solche Diskursverschränkung liegt vor, wenn ein Text klar verschiedene Themen anspricht, aber auch, wenn nur ein Hauptthema angesprochen ist, bei dem aber Bezüge zu anderen Themen vorgenommen werden. Solche Verschränkungen können spezifische Effekte haben.

3.2. Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Diskursstränge