Cover

Fjodor M. Dostojewski

 

 

 

 

ARME LEUTE

 

 

 

ROMAN

 

 

 

Aus dem Russischen von

Hermann Röhl

ARME LEUTE wurde im englischen Original zuerst veröffentlicht in der Zeitschrift Peterburgski Sbornik, 1846.

 

Diese Ausgabe wurde aufbereitet und herausgegeben von: apebook

© apebook Verlag, Essen (Germany)

 

www.apebook.de

 

1. Auflage 2020

 

Anmerkungen zur Transkription: Der Text der vorliegenden Ausgabe folgt der Übersetzung von Hermann Röhl. Zeichensetzung und Rechtschreibung der Erstübertragung wurden weitestgehend beibehalten.

 

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.d-nb.de abrufbar.

 

 

 

Dieses Buch ist Teil der ApeBook Classics (Nr. 0072): Klassische Meisterwerke der Literatur als Paperback und eBook. Weitere Informationen am Ende des Buches und unter: www.apebook.de

 

ISBN 978-3-96130-196-6

 

Buchgestaltung: SKRIPTART, www.skriptart.de

 

Alle verwendeten Bilder und Illustrationen sind – sofern nicht anders ausgewiesen – nach bestem Wissen und Gewissen frei von Rechten Dritter, bearbeitet von SKRIPTART.

 

Alle Rechte vorbehalten.

© apebook 2020

 

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

ARME LEUTE

Impressum

Vorwort

Erster Abschnitt

Zweiter Abschnitt

Dritter Abschnitt

Vierter Abschnitt

Fünfter Abschnitt

Eine kleine Bitte

A p e B o o k C l a s s i c s

N e w s l e t t e r

F l a t r a t e

F o l l o w

A p e C l u b

L i n k s

Zu guter Letzt

 

 

 

Nein, diese Romanschriftsteller! Statt etwas Nützliches, Angenehmes, Erfreuliches zu schreiben, graben sie allerlei Geheimnisse aus der Verborgenheit aus! . . . Ich würde ihnen geradezu verbieten zu schreiben! Was hat man davon: Man liest und versinkt unwillkürlich in Gedanken, und dann kommt einem aller mögliche Unsinn in den Kopf! Wirklich, ich würde ihnen verbieten zu schreiben; einfach ganz und gar verbieten würde ich es ihnen.

 

Fürst W. F. Odojewski.

Den 8. April.

 

Meine teure Warwara Alexejewna!

 

Gestern war ich glücklich, über die Maßen glücklich, unglaublich glücklich! Wenigstens einmal im Leben haben Sie auf mich gehört, Sie Eigensinn! Am Abend so um acht Uhr wachte ich auf (Sie wissen, liebes Kind, daß ich nach dem Dienste gern ein oder zwei Stündchen schlafe), stellte die Kerze auf den Tisch, legte meine Papiere zurecht, machte die Feder rein, hob auf einmal zufällig die Augen in die Höhe – wahrhaftig, das Herz fing mir ordentlich an zu hüpfen! Also haben Sie doch verstanden, was ich wünschte, was mein Herz begehrte! Ich sah ein Eckchen des Rouleaus an Ihrem Fenster zurückgeschlagen und an den Balsaminentopf gehängt, genauso wie ich es Ihnen damals andeutete; und zugleich schien es mir, daß auch Ihr Gesichtchen einen Augenblick am Fenster sichtbar würde, daß auch Sie aus Ihrem Zimmer nach mir hinblickten, daß Sie an mich dächten. Und wie bekümmert war ich darüber, mein Täubchen, daß ich Ihr hübsches Gesichtchen nicht ordentlich unterscheiden konnte! Es hat eine Zeit gegeben, wo auch ich gut sehen konnte, liebes Kind! Das Alter ist keine Freude, meine Teure! Jetzt flimmert es mir immer vor den Augen; wenn ich am Abend ein bißchen gearbeitet und etwas geschrieben habe, so sind mir am andern Morgen gleich die Augen gerötet, und die Tränen fließen mir, so daß ich mich vor Fremden geradezu geniere. Aber vor meinem geistigen Blicke leuchtete Ihr Lächeln auf, mein Engelchen, Ihr gutes, freundliches Lächeln, und in meinem Herzen hatte ich ein ganz ebensolches Gefühl wie damals, als ich Sie küßte, liebe Warwara, – erinnern Sie sich wohl, mein Engelchen? Wissen Sie, mein Täubchen, es schien mir gestern sogar, als drohten Sie mir mit dem Finger. Stimmt das, Sie Schelmin? Schreiben Sie mir das alles jedenfalls recht ausführlich in Ihrer Antwort!

 

Nun, und wie denken Sie über unsere Erfindung mit Ihrem Rouleau, liebe Warwara? Allerliebst, nicht wahr? Sitze ich bei der Arbeit, oder lege ich mich schlafen, oder wache ich auf, immer weiß ich, daß auch Sie an mich denken, sich meiner erinnern und selbst gesund und heiter sind. Lassen Sie das Rouleau herunter, so bedeutet das: »Gute Nacht, Makar Alexejewitsch; es ist Zeit, schlafen zu gehen!« Ziehen Sie es in die Höhe, so bedeutet das: »Guten Morgen, Makar Alexejewitsch, wie haben Sie geschlafen? Wie ist Ihr Befinden, Makar Alexejewitsch? Was mich betrifft, so bin ich, Gott sei Dank, gesund und munter!« Sehen Sie, mein Herzchen, wie geschickt das ausgedacht ist; da brauchen wir uns gar keine Briefe zu schreiben! Schlau, nicht wahr? Und das ist meine Erfindung! Was meinen Sie, verstehe ich mich auf diese Dinge nicht meisterhaft, Warwara Alexejewna?

 

Ich vermelde Ihnen, liebe Warwara Alexejewna, daß ich diese Nacht recht gut geschlafen habe, womit ich sehr zufrieden bin. Es war das ganz gegen mein Erwarten, da man ja in neuen Wohnungen nach dem Umzug meist nicht besonders schläft: Es ist einem alles nicht so, wie man's haben möchte! Als ich heute aufstand, fühlte ich mich frisch und munter wie ein Falke und war seelenvergnügt. Was ist das heute für ein schöner Morgen, liebes Kind! Bei mir steht das Fenster offen; die liebe Sonne scheint; die Vögelchen zwitschern; die Luft ist von Frühlingsduft erfüllt und die ganze Natur wie neu belebt – na, und auch alles übrige war hier dementsprechend, alles in Ordnung, frühlingsmäßig. Ich habe mich heute sogar recht angenehmen Träumereien überlassen, und diese meine Träumereien bezogen sich alle auf Sie, liebe Warwara. Ich verglich Sie mit einem Vögelchen unter dem Himmel, das zur Freude der Menschen und zur Verschönerung der Natur geschaffen ist. Und dann dachte ich noch, liebe Warwara, daß wir Menschen, die wir in Sorge und Unruhe leben, eigentlich die Vögel unter dem Himmel um ihr sorgloses, unschuldiges, glückliches Dasein beneiden müßten, – na, und dann dachte ich noch manches von derselben Art, dem Ähnliches; das heißt, ich stellte lauter solche kühnen Vergleiche an. Ich habe da ein Büchelchen, liebe Warwara, in dem ist ganz dasselbe, genau dasselbe sehr ausführlich geschildert. Ich schreibe dies deswegen, weil es ja verschiedene Arten von träumerischen Gedanken gibt, liebes Kind. Jetzt ist nun Frühling; da sind auch die Gedanken alle so angenehm und klar und erfinderisch, und es kommen einem zärtliche Phantasien, und man sieht alles in rosigem Lichte. Deswegen habe ich dies alles niedergeschrieben; übrigens habe ich es alles aus dem Büchelchen entnommen. Dort äußert der Verfasser einen ebensolchen Wunsch in Versen und schreibt:

 

»Oh, wär ich doch ein Vogel, ein Falke oder Aar!«

 

Na und so weiter. Da stehen auch sonst noch allerlei Gedanken, die ich weglasse! Aber was ich sagen wollte: Wohin gingen Sie denn heute morgen, Warwara Alexejewna? Ich hatte mich noch nicht fertiggemacht, um zum Dienst zu gehen, als Sie schon, wirklich so fröhlich wie ein Vögelchen im Frühling, aus dem Zimmer und über den Hof gingen. Wie freute ich mich, als ich Sie so sah! Ach, liebe Warwara, liebe Warwara! – Grämen Sie sich nur nicht zu sehr; Tränen, sagt das Sprichwort, helfen nicht gegen das Leid; das weiß ich, liebes Kind, das weiß ich aus Erfahrung. Jetzt haben Sie ja schöne Ruhe, und auch Ihre Gesundheit hat sich ein bißchen gebessert. – Na, was macht Ihre Fedora? Ach, was ist das für eine gute Person! Schreiben Sie mir doch, liebe Warwara, wie Sie mit ihr dort jetzt hausen, und ob Sie mit allem zufrieden sind. Fedora ist ein bißchen brummig; aber stoßen Sie sich daran nicht, liebe Warwara! Das muß man ihr nicht übelnehmen. Sie hat ein so gutes Herz.

 

Ich habe Ihnen schon von unserer Teresa hier geschrieben; das ist auch ein gutes, treues Wesen. Ich beunruhigte mich so wegen unserer Briefe, wie wir die einander zukommen lassen könnten; und nun hat uns Gott zu unserem Glücke diese Teresa gesandt. Sie ist eine gutherzige, sanfte, schweigsame Person. Aber unsere Wirtin ist geradezu erbarmungslos; sie überlastet sie mit Arbeit wie einen Packesel.

 

Na, aber in was für eine Räuberhöhle bin ich hier hereingeraten, Warwara Alexejewna! Ist das eine Wohnung! Ich wohnte früher, wie Sie wissen, in vollständiger Abgeschiedenheit, ganz still und friedlich; wenn in meinem Zimmer eine Fliege flog, so konnte man es hören. Hier dagegen ist viel Lärm, Geschrei und Spektakel! Aber Sie wissen ja noch gar nicht, wie das hier alles eingerichtet ist. Stellen Sie sich also einen langen Korridor vor, ganz dunkel und unsauber. Auf seiner rechten Seite ist eine Wand ohne Fenster und Türen, links aber sind lauter Türen und Türen; wie in einem Gasthofe ziehen sie sich in langer Reihe hin. Na also, die dahinter liegenden einzelnen Zimmer werden vermietet, und es wohnen in einem jeden zwei, auch drei Personen. Ob hier Ordnung herrscht, danach fragen Sie nur lieber gar nicht: Es ist die reine Arche Noä! Es scheinen jedoch gute Menschen zu sein; sie sind alle so gebildet, ja gelehrt. Da ist ein Beamter (er ist irgendwo auf literarischem Gebiete tätig), ein sehr belesener Mann; er redet von allem möglichen: von Homer, von Brambäus und von allerlei anderen Schriftstellern; ein kluger Mensch! Auch zwei Offiziere wohnen hier; sie spielen fortwährend Karten. Ferner ein Schiffsfähnrich und ein Lehrer des Englischen. Warten Sie nur, ich werde Ihnen ein Amüsement bereiten, liebes Kind; ich werde sie Ihnen in einem späteren Briefe schildern, das heißt, wie jeder von ihnen beschaffen ist, mit allen Einzelheiten. Unsere Wirtin ist eine sehr kleine, unreinliche alte Frau, die den ganzen Tag über in Pantoffeln und im Negligé umhergeht und den ganzen Tag über auf Teresa schilt. Ich wohne in der Küche, oder es wird weit richtiger sein, wenn ich mich folgendermaßen ausdrücke: Neben der Küche ist ein Zimmer (unsere Küche aber ist, wie ich Ihnen bemerken muß, rein, hell und sehr hübsch), ein kleines Zimmerchen, so ein bescheidenes Winkelchen . . . oder noch besser gesagt: die Küche ist groß und dreifenstrig, und da ist nun parallel mit der Seitenwand eine Halbwand gezogen, so daß gewissermaßen noch ein Extrazimmer herauskommt; es ist ganz geräumig und bequem und hat ein Fenster und alles; mit einem Worte: recht behaglich. Na, das ist also mein Winkelchen. Aber glauben Sie nicht, liebes Kind, daß die Sache doch noch so einen geheimen Haken hätte, weil es die Küche ist. Ich wohne ja allerdings eigentlich in der Küche, nur hinter einer Halbwand; aber das macht nichts; ich bin von allen abgesondert und wohne ganz still und ruhig für mich. Ich habe mir in meinem Zimmer ein Bett, einen Tisch, eine Kommode und zwei Stühle aufgestellt und ein Heiligenbild aufgehängt. Es gibt freilich auch bessere Wohnungen, vielleicht sogar viel bessere; aber die Bequemlichkeit bleibt doch die Hauptsache, und ich bin ja um der Bequemlichkeit willen hierher gezogen; glauben Sie nicht, daß ich einen andern Grund gehabt hätte. Ihr Fensterchen liegt mir gegenüber, auf der andern Seite des Hofes, und der Hof ist nur schmal; da kann ich Sie denn mitunter flüchtig sehen, und das ist eine Aufheiterung für mich trübseligen Gesellen. Außerdem ist es auch billiger. Das geringste Zimmer kostet hier bei uns mit Beköstigung fünfunddreißig Rubel Papier. Das ist nichts für meinen Beutel! Mein Logis aber kostet mir sieben Rubel Papier und die Beköstigung siebzehn und einen halben Rubel, das macht vierundzwanzig und einen halben Rubel, und früher bezahlte ich dreißig Rubel und mußte mir dabei vieles versagen; Tee trank ich nicht immer, während mir jetzt für Tee und Zucker genug Geld übrigbleibt. Wissen Sie, meine Teure, keinen Tee zu trinken ist einem gewissermaßen peinlich; hier sind alle Mieter ziemlich bemittelt, und da geniert man sich. Ich trinke ihn eigentlich um der andern Leute willen, liebe Warwara, um des anständigen Aussehens, um des guten Tones willen; sonst wäre es mir ganz gleich; ich bin kein Genußmensch. Und rechnen Sie dann noch etwas für Taschengeld (denn dies und das braucht man ja doch, na z. B. ein Paar Stiefel oder ein Kleidungsstück), dann bleibt auch nicht viel übrig. So geht mein ganzes Gehalt darauf. Aber ich murre nicht und bin zufrieden. Mein Gehalt reicht aus. Es hat schon mehrere Jahre ausgereicht; manchmal bekommt man ja auch eine Gratifikation.

 

Na, nun leben Sie wohl, mein Engelchen. Ich habe ein paar Töpfe mit Balsaminen und Geranium gekauft – sie sind nicht teuer. Aber vielleicht haben Sie auch Reseda gern? Reseda ist auch zu haben; schreiben Sie mir nur; und wissen Sie, schreiben Sie mir nur möglichst ausführlich! Machen Sie sich übrigens nur keine Gedanken über mich, liebes Kind, daß ich ein solches Zimmer gemietet habe. Nein, es ist die Bequemlichkeit gewesen, die mich dazu veranlaßt hat; nur die Bequemlichkeit hat mich dazu verführt. Ich spare mir ja Geld, liebes Kind; ich lege etwas auf die hohe Kante; ich habe schon ein kleines Sümmchen. Achten Sie nicht darauf, daß ich ein so stiller Mensch bin, daß es scheint, eine Fliege könnte mich mit ihrem Flügel umwerfen. Nein, liebes Kind, ich bin nicht schwächlich und besitze durchaus einen Charakter, wie er sich für einen Menschen von ruhiger, fester Sinnesart geziemt. Leben Sie wohl, mein Engelchen! Da habe ich Ihnen nun beinah zwei Briefbogen vollgeschrieben, und es ist die höchste Zeit, daß ich in meinen Dienst gehe. Ich küsse Ihre Fingerchen, liebes Kind, und verbleibe

 

Ihr ergebenster Diener und treuester Freund

 

Makar Dewuschkin.

 

P. S. Eine Bitte: Antworten Sie mir möglichst ausführlich, mein Engelchen! Ich schicke Ihnen anbei ein Pfündchen Konfekt, liebe Warwara; verspeisen Sie es mit Gesundheit, und machen Sie sich um Gottes willen keine Sorgen um mich, und seien Sie mir nicht böse! Nun, also leben Sie wohl, liebes Kind!

 

 

Den 8. April.

 

Geehrter Herr Makar Alexejewitsch!

 

Wissen Sie wohl, daß ich mich zuletzt doch noch mit Ihnen ernstlich werde überwerfen müssen? Ich versichere Ihnen, bester Makar Alexejewitsch, daß es mir sehr peinlich ist, Ihre Geschenke anzunehmen. Ich weiß, wie vieles, was Sie selbst notwendig brauchen, Sie sich deswegen versagen und entbehren müssen. Wie oft habe ich Ihnen nicht gesagt, daß mir nichts mangelt, absolut nichts, und daß ich auch außerstande bin, Ihnen die Wohltaten zu vergelten, mit denen Sie mich bisher überschüttet haben. Und wozu schenken Sie mir diese Blumentöpfe? Nun, die Balsaminen, das mag noch angehen; aber wozu auch noch Geranium? Man braucht nur ein unvorsichtiges Wörtchen fallenzulassen, wie zum Beispiel von diesem Geranium, da gehen Sie gleich hin und kaufen welches; das ist doch gewiß teuer? Aber was hat es für prachtvolle Blüten! Dunkelrot und von so schöner Form! Wo haben Sie dieses allerliebste Geranium nur herbekommen? Ich habe es mitten aufs Fensterbrett gestellt, an den sichtbarsten Platz, auf den Fußboden aber werde ich ein Bänkchen stellen und auf das Bänkchen noch mehr Blumen; lassen Sie mich nur erst selbst reich werden! Fedora kann sich gar nicht genug freuen; unser Zimmer ist jetzt das reine Paradies, alles so sauber und hübsch! Nun, und das Konfekt, wozu das noch? Wahrhaftig, als ich Ihren Brief las, habe ich gleich gemerkt, daß da bei Ihnen etwas nicht richtig war: Frühling und Wohlgerüche kommen darin vor, und die Vögelchen zwitschern. Ei, ei, dachte ich, ob da nicht doch noch Verse kommen? Wahrhaftig, es fehlen nur noch Verse in Ihrem Briefe, Makar Alexejewitsch! Zärtliche Empfindungen und rosafarbene Schwärmereien – alles ist da! An das Rouleau habe ich überhaupt nicht gedacht; es ist gewiß von selbst hängengeblieben, als ich die Blumentöpfe umstellte; sehen Sie wohl!

 

Ach, Makar Alexejewitsch, was Sie auch immer reden mögen, und wie Sie mir auch immer ihre Ausgaben vorrechnen mögen, um mich zu täuschen und mir zu beweisen, daß Sie alles nur für sich ausgeben, mir können Sie doch nichts verheimlichen und verbergen. Ich sehe klar, daß Sie sich um meinetwillen des Notwendigen berauben. Was ist Ihnen denn nur zum Beispiel eingefallen, daß Sie sich ein solches Logis gemietet haben? Da werden Sie ja doch gestört und belästigt, und Sie haben es eng und unbequem. Sie lieben die Einsamkeit; aber was haben Sie hier für ein Getreibe um sich? Und Sie könnten doch bei Ihrem Gehalte weit besser wohnen. Fedora sagt, Sie hätten früher unvergleichlich besser gewohnt als jetzt. Haben Sie denn wirklich ihr ganzes Leben so verbracht, in solcher Abgeschiedenheit, unter Entbehrungen, freudlos, ohne ein freundschaftliches, herzliches Wort, in einem gemieteten Zimmerchen bei fremden Leuten? Ach, mein bester Freund, wie leid tun Sie mir! Schonen Sie wenigstens Ihre Gesundheit, Makar Alexejewitsch! Sie sagen, daß Sie schwache Augen haben; so schreiben Sie doch nicht bei Kerzenlicht! Wozu tun Sie denn das? Ihr Diensteifer wird Ihren Vorgesetzten gewiß auch ohne das bekannt sein.

 

Noch einmal bitte ich Sie inständig, nicht so viel Geld für mich auszugeben. Ich weiß, daß Sie mich lieben; aber Sie sind selbst nicht reich . . . Heute bin ich ebenfalls vergnügt aufgestanden. Es war mir so froh zumute. Fedora arbeitete schon lange und hatte auch mir eine Arbeit verschafft. Ich freute mich so darüber; ich ging nur aus, um Seide zu kaufen, und setzte mich dann an die Arbeit. Den ganzen Vormittag war mir so leicht ums Herz; ich war so heiter! Aber jetzt sind wieder lauter schwarze, traurige Gedanken da, und das Herz tut mir weh.

 

Ach, was wird noch aus mir werden, welches wird mein Schicksal sein? Es ist eine gar zu drückende Empfindung, daß ich in solcher Ungewißheit lebe, daß ich gar keine gesicherte Zukunft habe, daß ich nicht einmal ahnen kann, was mir bevorsteht. Und der Rückblick auf die Vergangenheit ist schrecklich. Da liegt so viel Leid, daß mir bei der bloßen Erinnerung das Herz bricht. Mein Leben lang werde ich unter Tränen mich über die bösen Menschen beklagen, die mich zugrunde gerichtet haben!

 

Es wird dunkel. Ich muß mich wieder an die Arbeit machen. Ich hätte Ihnen gern noch über vieles geschrieben; aber ich habe keine Zeit; die Arbeit muß zu einem bestimmten Termine fertig sein. Ich muß mich beeilen. Briefe sind ja gewiß etwas sehr Hübsches; es ist einem dann gleich nicht so öde und langweilig zumute. Aber warum kommen Sie niemals selbst zu uns? Warum tun Sie das nicht, Makar Alexejewitsch? Sie haben es ja doch jetzt nah, und etwas freie Zeit werden Sie doch auch manchmal erübrigen können. Bitte, kommen Sie! Ich habe Ihre Teresa gesehen. Sie scheint recht krank zu sein; sie tat mir leid, und ich gab ihr zwanzig Kopeken. Ja! Beinah hätte ich es vergessen: Schreiben Sie mir doch möglichst ausführlich alles, wie es Ihnen geht, und wie Sie leben. Was für Leute haben Sie da um sich, und leben Sie mit ihnen in gutem Einvernehmen? Ich möchte das gern alles wissen. Denken Sie daran, und schreiben Sie es mir jedenfalls! Heute werde ich absichtlich eine Ecke des Rouleaus zurückschlagen. Legen Sie sich nur recht früh schlafen; gestern habe ich noch bis Mitternacht bei Ihnen Licht gesehen. Nun leben Sie wohl! Heute herrschen bei mir Melancholie und Kummer und Traurigkeit. Das ist nun einmal die Signatur dieses Tages. Leben Sie wohl!

 

Ihre

 

Warwara Dobrosjolowa.

 

 

Den 8. April

 

Geehrtes Fräulein Warwara Alexejewna!

 

Ja, liebes Kind, ja, meine Teure, es ist mir armem Menschen wieder einmal ein unerfreulicher Tag beschieden gewesen! Ja, Sie haben mich alten Mann zum besten gehabt, Warwara Alexejewna! Aber ich bin selbst daran schuld, ganz allein daran schuld! Ich hätte mich auf meine alten Tage mit meinen paar Haaren auf dem Kopfe nicht auf bedenkliche Liebschaften einlassen sollen . . . Und ich will noch das sagen, liebes Kind: Der Mensch ist manchmal wunderlich, sehr wunderlich. Und, all ihr lieben Heiligen! wovon fängt er dann nicht mitunter an zu reden! Aber was kommt dabei heraus, was ist das Resultat? Ein Resultat hat es gar nicht, und herauskommen tut dabei ein solcher Unsinn, daß uns Gott behüten möge! Ich errege mich deswegen nicht übermäßig, liebes Kind; es ist mir nur verdrießlich, an all das zurückzudenken, und ich ärgere mich, daß ich Ihnen einen so blumenreichen, dummen Brief geschrieben habe. Auch zum Dienste ging ich heute mit einem geckenhaften Gefühl des Stolzes; ein solcher heller Glanz erfüllte mein Herz. Meine Seele war ohne allen Grund ganz feiertäglich gestimmt; es war mir so froh zumute! Ich machte mich mit Eifer an die Akten – und was wurde dann aus dieser ganzen Stimmung? Sowie ich um mich blickte, war alles wie früher, trüb und grau. Da waren dieselben Tintenflecke, dieselben Tische und Akten, und auch ich selbst war ganz derselbe; ich war vollständig derselbe geblieben, der ich gewesen war, – also was hatte ich für einen Grund gehabt, auf dem Pegasus herumzureiten? Und woher war das alles gekommen? Daher, daß sich die Sonne zeigte und der Himmel sich blau gefärbt hatte! Nur daher! Und wie kann man da von Wohlgerüchen des Frühlings reden, wenn auf unserm Hofe unter unsern Fenstern alles mögliche herumliegt! Also war mir das alles nur dummerweise so vorgekommen. Aber es passiert dem Menschen ja manchmal, daß er sich in seinen eigenen Gefühlen irrt und Unsinn zusammenschwatzt. Der Grund dafür ist kein anderer als eine übermäßige dumme Glut des Herzens. Nach Hause ging ich nicht sowohl, sondern schleppte mich vielmehr nur so; ich hatte ohne eigentlichen Grund Kopfschmerzen bekommen; es kam also eben immer eins zum andern. Ich hatte wohl Zug in den Rücken bekommen. Ich Dummkopf hatte mich über den Frühling gefreut und war im leichten Mantel ausgegangen. Aber hinsichtlich meiner Gefühle haben Sie sich geirrt, meine Beste! Den Ausdruck derselben haben Sie völlig falsch aufgefaßt. Was mich erfüllt, ist ein väterliches Wohlwollen, nur ein rein väterliches Wohlwollen, Warwara Alexejewna; denn infolge Ihrer traurigen Verwaistheit nehme ich bei Ihnen die Stelle eines leiblichen Vaters ein; das sage ich aus tiefster Seele, aus reinem Herzen, unter Berufung auf unsere Verwandtschaft. Wie es auch damit stehen mag, bin ich doch ein entfernter Verwandter von Ihnen; und mag auch unsere Verwandtschaft noch so weitläufig sein, so bin ich doch immerhin Ihr Verwandter und jetzt Ihr nächster Verwandter und Beschützer; denn dort, wo Sie das nächste Recht hatten, Schutz und Beistand zu finden, haben Sie nur Verrat und Kränkung gefunden. Was aber die Verse betrifft, so muß ich Ihnen sagen, liebes Kind, daß es sich für mich auf meine alten Tage nicht schickt, mich noch mit dem Versemachen abzugeben. Verse sind dummes Zeug! Für Versemachen bekommen heutzutage in den Schulen die Kinder sogar Schläge . . . sehen Sie, so steht das, meine Teuerste.

 

Was schreiben Sie mir da von Bequemlichkeit, Warwara Alexejewna, und von Ruhe und allerlei solchen Dingen? Liebes Kind, ich bin nicht wählerisch und mäklerisch und habe nie besser gelebt als jetzt; also warum sollte ich jetzt auf meine alten Tage anspruchsvoll werden? Ich esse mich satt und habe Kleider auf dem Leibe und Schuhe an den Füßen, und wozu sollte ich mir irgendwelche besonderen Vergnügungen zuwenden? Ich bin nicht von gräflicher Herkunft! Mein Vater war kein Adliger und hatte mit seiner ganzen Familie eine geringere Einnahme als ich. Ich bin nicht verwöhnt! Übrigens war, die Wahrheit zu sagen, in meiner alten Wohnung alles unvergleichlich viel besser; es war freier, liebes Kind. Allerdings ist auch meine jetzige Wohnung gut, sogar in mancher Beziehung vergnüglicher und, man kann sagen, abwechslungsreicher; ich sage nichts gegen sie; aber doch denke ich mit Bedauern an die alte zurück. Ich bin eben ein alter, das heißt wenigstens schon ein bejahrter Mann! Da gewöhnt man sich an alte Dinge, als ob sie mit einem verwandt wären. Wissen Sie, die Wohnung war ja nur klein; die Wände waren . . . na, was ist da zu sagen! . . . Die Wände waren so, wie alle Wände sind; um die handelt es sich jedoch nicht; aber die Erinnerung an mein ganzes früheres Leben dort stimmt mich wehmütig. Sonderbar: Es war eine schwere Zeit für mich, und doch ist die Erinnerung daran gewissermaßen angenehm. Selbst das, was schlecht war, und worüber ich mich manchmal ärgerte, auch das wird in der Erinnerung sozusagen von dem Schlechten gesäubert und tritt in reizvoller Gestalt vor meine Einbildungskraft. Wir führten ein stilles Leben, liebe Warwara, ich und meine alte Wirtin, die nun tot ist. Auch an diese meine Alte denke ich jetzt mit einem Gefühle der Trauer zurück! Sie war eine brave Frau und nahm mir für die Wohnung nicht viel ab. Sie pflegte immer aus allerlei Stoffresten mit ellenlangen Stricknadeln Bettdecken zu stricken; das war ihre einzige Beschäftigung. Beleuchtung hielt ich mir mit ihr gemeinsam, und daher arbeiteten wir an ein und demselben Tische. Sie hatte eine Enkelin namens Mascha; ich habe sie noch als ein kleines Kind in der Erinnerung; jetzt wird sie ein Mädchen von dreizehn Jahren sein. Sie war ein so mutwilliges, lustiges Ding; immer brachte sie uns zum Lachen; so lebten wir zu dreien zusammen. An langen Winterabenden pflegten wir uns an den runden Tisch zu setzen, Tee zu trinken und uns dann an die Arbeit zu machen. Die alte Frau aber erzählte manchmal Märchen, damit Mascha sich nicht langweilen und Possen treiben möchte. Und was waren das für Märchen! Da konnte nicht nur ein Kind, sondern auch ein vernünftiger, verständiger Mensch mit Interesse zuhören. Und ob! Ich selbst zündete mir manchmal eine Pfeife an und hörte so eifrig zu, daß ich die Arbeit darüber vergaß. Die Kleine aber, unser Wildfang, wurde ganz nachdenklich; sie stützte ihr rosiges Bäckchen auf die Hand, öffnete ihr hübsches Mündchen, und wenn es ein Märchen zum Fürchten war, schmiegte sie sich ganz dicht an die alte Frau an. Uns aber war es eine Freude, sie anzusehen; wir beachteten es gar nicht, wie das Licht herunterbrannte, und hörten es nicht, wie manchmal draußen der Wind heulte und der Schneesturm wütete. Wir führten ein angenehmes Leben, liebe Warwara; und so verlebten wir beinahe zwanzig Jahre zusammen. – Aber da bin ich ins Schwatzen hineingekommen! Ihnen gefällt ein solches Thema vielleicht nicht, und auch für mich hat die Erinnerung etwas Melancholisches, besonders jetzt: es ist Dämmerzeit. Teresa wirtschaftet mit irgend etwas geräuschvoll herum; ich habe Kopfschmerzen, und auch der Rücken tut mir ein bißchen weh; ja, auch meine Gedanken sind von so wunderlicher Art, als ob sie mir ebenfalls weh täten; es ist mir heute traurig zumute, liebe Warwara! – Was schreiben Sie mir da, meine Teure? Wie kann ich denn zu Ihnen kommen? Was würden die Leute sagen, mein Täubchen? Ich müßte doch über den Hof gehen, und unsere Hausgenossen würden es bemerken und Nachforschungen anstellen, – es würde Gerede und Klatscherei geben; sie würden der Sache einen falschen Sinn beilegen. Nein, mein Engelchen, es ist schon besser, wenn ich Sie morgen bei der Abendmesse wiedersehe; das wird vernünftiger und für uns beide unschädlicher sein. Seien Sie mir nur nicht böse, liebes Kind, daß ich Ihnen einen solchen Brief geschrieben habe; ich habe ihn soeben noch einmal durchgelesen und dabei gesehen, daß alles zusammenhanglos ist. Ich bin ein alter Mensch ohne gelehrte Bildung, liebe Warwara; in meiner Jugend habe ich nicht allzuviel gelernt, und jetzt würde in meinen Kopf nichts mehr hineingehen, wenn ich von neuem anfinge zu lernen. Ich bekenne, liebes Kind, daß ich kein Meister in der Schilderung bin, und weiß, ohne daß mich jemand darauf hinweist und verspottet, daß, wenn ich etwas Amüsantes schreiben will, nur Unsinn herauskommt. – Ich sah Sie heute am Fenster; ich sah, wie Sie das Rouleau herunterließen. Leben Sie wohl, leben Sie wohl, Gott behüte Sie! Leben Sie wohl, Warwara Alexejewna!

 

Ihr uneigennütziger Freund

 

Makar Dewuschkin.

 

P. S. Satiren werde ich jetzt über niemand schreiben, meine Teuerste. Ich bin zu alt geworden, liebe Warwara Alexejewna, um ohne Not die Zähne zu fletschen! Man würde sich auch über mich lustig machen, nach dem russischen Sprichworte: Wer einem andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein.

 

 

Den 9. April.

 

Geehrter Herr Makar Alexejewitsch!

 

Aber schämen Sie sich denn nicht, mein Freund und Wohltäter Makar Alexejewitsch, sich Ihren melancholischen Launen in dieser Weise hinzugeben? Haben Sie sich wirklich beleidigt gefühlt? Ach, ich bin oft unvorsichtig; aber ich hätte doch nicht gedacht, daß Sie meine Worte als spöttischen Scherz auffassen würden. Seien Sie überzeugt, daß ich es niemals wagen würde, über Ihre Jahre und Ihren Charakter zu spotten. Das ist alles nur infolge meiner Unbedachtsamkeit geschehen, und besonders weil ich in so melancholischer Stimmung war, und was tut man nicht alles in solcher Stimmung! Ich habe meinerseits gedacht, Sie selbst hätten sich in Ihrem Briefe ein bißchen lustig machen wollen. Ich bin furchtbar traurig geworden, als ich sah, daß Sie mit mir unzufrieden sind. Nein, mein bester Freund und Wohltäter, Sie irren sich, wenn Sie mich im Verdacht der Gefühllosigkeit und Undankbarkeit haben. Ich weiß in meinem Herzen sehr wohl all das zu schätzen, was Sie für mich getan haben, indem Sie mich gegen schlechte Menschen und deren Haß und Verfolgungen schützten. Ich werde lebenslänglich für Sie beten, und wenn mein Gebet zu Gott gelangt und der Himmel es erhört, so werden Sie glücklich sein.

 

Ich fühle mich heute sehr unwohl. Ich habe abwechselnd Fieberhitze und Schüttelfrost. Fedora ängstigt sich sehr um mich. Sie genieren sich ganz ohne Grund, zu uns zu kommen, Makar Alexejewitsch. Was geht das andere Leute an! Sie sind mit uns bekannt, das genügt! . . . Leben Sie wohl, Makar Alexejewitsch! Mehr zu schreiben habe ich jetzt nicht, und ich könnte es auch nicht: Ich bin sehr unwohl. Ich bitte Sie noch einmal, mir nicht zu zürnen und von der steten Hochachtung und Anhänglichkeit überzeugt zu sein, mit denen ich die Ehre habe zu verbleiben

 

Ihre ergebenste, gehorsamste

 

Warwara Dobrosjolowa.

 

 

Den 12. April.

 

Geehrtes Fräulein Warwara Alexejewna!

 

Ach, liebes Kind, was machen Sie für Geschichten! Sie jagen mir ja jedesmal einen solchen Schrecken ein. Ich schreibe Ihnen in jedem Briefe, Sie möchten sich in acht nehmen, sich warm anziehen, bei schlechtem Wetter nicht ausgehen und in jeder Hinsicht vorsichtig sein; aber Sie hören nicht auf mich, mein Engelchen! Ach, mein Täubchen, Sie sind ja noch das reine Kind! Sie sind ja so schwächlich, so schwächlich wie ein Strohhalm; das weiß ich. Wenn nur ein bißchen Wind weht, dann werden Sie gleich krank. Darum sollten Sie sich in acht nehmen, selbst auf Ihre Gesundheit bedacht sein, die Gefahr vermeiden und nicht Ihren Freunden Kummer und Sorge machen.

 

Sie drückten den Wunsch aus, liebes Kind, Näheres über meine Lebensweise und über meine ganze Umgebung zu erfahren. Mit Freuden beeile ich mich, Ihren Wunsch zu erfüllen, meine Teuerste. Ich fange vom Anfang an, liebes Kind; dann wird mehr Ordnung in meiner Darstellung sein. Erstens also, in unserm Hause ist die Treppe beim Vordereingang sehr passabel: sie ist rein, hell und breit, alles von Eisen und Mahagoni. Fragen Sie mich dagegen nicht nach der Hintertreppe: das ist eine feuchte, schmutzige Wendeltreppe; die Stufen sind ausgetreten und die Wände so schmierig, daß die Hand daran kleben bleibt, wenn man sie anfaßt. Auf jedem Absatz stehen zerbrochene Kasten, Stühle und Schränke; alte Lappen hängen zum Trocknen da; die Fensterscheiben sind zerschlagen; es stehen Kübel mit allerlei Unreinigkeiten umher: mit Schmutz, Kehricht, Eierschalen und Fischblasen; es herrscht ein übler Geruch . . . kurz, es ist nicht schön.

 

Die Lage der Zimmer habe ich Ihnen bereits beschrieben; man kann nicht anders sagen, sie ist bequem, das ist die Wahrheit; aber es ist in ihnen eine drückende Luft, das heißt, nicht eigentlich daß es schlecht röche, sondern es ist, wenn man sich so ausdrücken kann, ein etwas fauliger, scharf-süßlicher Geruch. Der erste Eindruck davon ist ein unangenehmer; aber das hat nichts zu besagen; man braucht sich nur ein paar Minuten bei uns aufzuhalten, dann geht dieser Eindruck vorüber, und man spürt nicht einmal, wie er vorübergeht; denn man fängt selbst an so zu riechen, und die Hände riechen so und alles, was man an sich hat, – na, und da gewöhnt man sich daran. Aber Zeisige können bei uns nicht leben, sondern sterben bald. Der Schiffsfähnrich hat schon den fünften gekauft; aber sie vertragen unsere Luft nicht, dagegen ist nichts zu machen. Unsere Küche ist groß, geräumig und hell. Allerdings ist vormittags etwas Fettdunst darin, wenn Fisch oder Rindfleisch gebraten wird, und auch sonst geht es beim Wirtschaften nicht ohne üblen Geruch ab; dafür ist sie am Abend das reine Paradies. In der Küche hängt bei uns immer alte Wäsche auf Leinen; und da mein Zimmer nicht weit davon ist oder eigentlich einen Teil der Küche bildet, so stört mich der Wäschegeruch ein wenig; aber das tut nichts: mit der Zeit werde ich mich schon daran gewöhnen.