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Frances Reynold

Hätte aber die Liebe nicht...


Der Liebe meines Lebens, die viel Ähnlichkeit mit der jungen Heldin hat.


BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Wenn ich die Sprache der Menschen und Engel redete,

(Korintherbrief 12.31b ff von Paulus aus Ephesus, ca. 53 und 55 nach Christi Geburt) 

Ich zeige euch jetzt einen anderen Weg, einen der alles übersteigt:

 Kapitel 1

Das Wetter spielte verrückt, es regnete, wie aus Kübeln. Auf der Autobahn war noch alles in Ordnung, das Wetter war nicht gut aber durch die automatische Steuerung und die klare Leitlinie auf ihrem Schirm, konnte sie sich beim Fahren entspannen und ihren Gedanken nachgehen.Was bedeutete der Anruf ihrer Mutter? War ihr Vater nur krank oder lag er bereits im Sterben? Obwohl, da hätte ihre Mutter anders geklungen.Warum musste sie aber auch in so eine abgelegene Gegend ziehen, ohne Arzt oder Krankenhaus. Obwohl sie wusste, dass ihre Mutter ihren Vater nie in ein Krankenhaus gebracht hätte. Dafür war sie viel zu konservativ.

Jetzt konnte sie kaum noch die Straße erkennen, trotz höchster Stufe des Wischers. Gut, dass sie wenigstens das altmodische Navy dabei hatte, gerade richtig für diese verlassene Gegend.Immer wieder fragte Juliane sich, obwohl es nun schon vier Jahre her war, wie sie sich auf diesen Deal hat einlassen können: Rücktritt ihrer Mutter zu ihren Gunsten, vorausgesetzt sie stimmt der Unterbringung ihres Vaters bei der Mutter in diesem alten Landgut, aus längst vergessenen Tagen, zu.

Vater, eine Bezeichnung, die es in dieser Form schon lange nicht mehr gab, oder kommt das wieder? Die Regeln lockern sich, die Gesellschaft wird toleranter, der Paragraph 175 wird immer löchriger und verliert zunehmend an Bedeutung. Die Mischpärchen leben immer ungezwungener zusammen und die Solidaritätskundgebungen mit Heterobeziehungen werden immer häufiger. Wenn ihre Patentante nicht wäre hätte sie schon in der letzten Legislaturperiode den Paragraphen abgeschafft und die Mischehe legalisiert.Dann hätte sich ihre Mutter offen zu Otto bekennen können und die Heimlichtuerei hätte ein Ende. Die Aktivitäten von Otto ihrem Vater wären keine Gefahr mehr gewesen, eigentlich.Sie hatte Sandrine Kommentar in der Zeitung „Eurania Aktuell“ fast wortwörtlich im Kopf. In einem Interview hatte sie ihre Einstellung zum § 175 erklärt, wenn auch eher diplomatisch. Als daraufhin die Journalistin Sandrine interviewte und sie zitierte, kam eine mehr als klare Retourkutsche von ihrer Patentante. Auf die Frage,„Was wäre wenn es  den § 175 nicht mehr gäbe?“

„Vor allem stände auch für die Heterosexuellen Paare nichts im Wege, ihre nähere Umgebung durch Zusammenleben in eheähnlichen Verhältnissen zu belästigen. Ausgeprägter als in anderen Bereichen hat die Rechtsordnung gegenüber der Heterosexualität die Aufgabe, durch die sittenbildende Kraft des Strafgesetzes einen Damm gegen die Ausbreitung eines lasterhaften Treibens zu errichten, das, wenn es um sich griffe, eine schwere Gefahr für eine gesunde und natürliche Lebensordnung, wie die gleichgeschlechtliche Gemeinschaft, der Menschheitsentwicklung bedeuten würdeEin nicht wieder gut zumachender Rückfall in die Zeit als Männer die Frauen unterdrückten um ihren widerlichen Gelüsten zu frönen und die ganze Welt mit  ihren Aggressionen, Kriegen, Morden und Totschlag zu zerstören.“

Damit war der Vorstoß als erste Amtshandlung hinfällig, das Problem Otto, Hetero und Mischehe blieb. Dass Otto nicht in Rente gehen wollte war ein zusätzliches Problem. Nach der Farm, der Fabrik, dem Hospiz und der Umstellung auf Haushaltshilfe, hätte er nach mehr als 50 Jahren in die Retraite gehört. Ihn da raus zu holen war  ein Problem. Sie musste von Sandrine die Retraitebescheinigung schreiben lassen, obwohl ihr Vater heimlich zu der Mutter zog, anstatt, wie offiziell bekundet mit dem Wohnmobil Eurania zu verlassen.

Kaum war er auf dem Gut hatte er schon die fatale Idee etwas daraus zu machen und hatte auch noch Erfolg damit. Er hatte die brach liegenden Felder mit dem von irgendeinem Kumpel und Technikfreek wieder flott gemachten Traktor umgepflügt, gedüngt, geharkt und Rollrasen eingesät. Damit hat er einen neuen Modetrend kreiert, der in der guten Gesellschaft inzwischen als absolutes Muss gilt. Vorbei und out, der praktische, pflegeleichte Kunstrasen, nein in der Familie, die etwas auf sich hält, muss überall zu horrenden Preisen der Rollrasen her. Natürlich hat der Name ihrer Mutter beim Marketingkonzept eine wichtige Rolle gespielt. Lief ja auch alles unter ihrem Namen. Klar, dass da die high society  das haben musste was die Ex-Kanzlerin als gut, gesund, klimabewusst und umweltschonend anpries. Otto war ihre Mutter so wichtig, dass sie fast schon eifersüchtig auf ihn werden könnte, wenn sie sich nicht der Liebe ihrer Mutter so sicher wäre. Dass Ihre Mutter wegen Otto sogar mit ihrer bis dato besten Freundin und Vertraute gebrochen hatte, ihre Patentante störte sie auch, weil sie Sandrine sehr mochte. Irgendwie hat sie auch das Gefühl, da war noch mehr als nur das Thema Otto und der doofe Paragraph 175. Darüber hatten die beiden schon früher ihre Differenzen, ohne dass es deswegen zum Bruch ihrer Beziehung gekommen wäre. Nie hätte sie diesem Kompromiss ihren Segen geben dürfen, dabei musste sie grinsen.

Bei Segen dachte sie automatisch an Paula ihre beste Freundin und oberste Priesterin in Eurania. Selbst sie durfte nichts von der Geschichte mit ihrem Vater wissen. Etwas, das die ansonsten gelungene Partnerschaft, der Kanzlerin Eurania mit der höchsten Priesterin, schaden würde, wenn es denn publik werden würde. Ein gelungenes Fressen für die ehrgeizige, nach mehr Macht strebende Verena, der Polizeichefin und Innenministerin.. Nicht so einfach mit der Gewaltenteilung zwischen Kirche und Staat.Die Töchter machten da auch keine Ausnahme. ihre Töchter Diana und Tamara, die Tochter von Paula, scheinen sich prächtig zu verstehen. Tamara hatte einen guten Einfluss auf ihre Tochter. Die ist manchmal ziemlich verträumt und hat geradezu altmodische Ansichten in Sachen Gerechtigkeit, Partnerschaft, Macht. Das hat sie bestimmt von ihrer Oma, womit sie wieder beim Thema wäre. Dabei liebte sie ihre Tochter über alles. Dazu musste sie weder den Vater kennen noch mit ihm zusammen leben. So ein Schwachsinn wäre ihr nie in den Sinn gekommen. Sie hatte ihre Tochter auf ganz normalem Weg bekommen, im richtigen Alter von 23, hat sie sich befruchten lassen. Gut natürlich hat sie sich von ihrer Patentante beraten lassen und ja, sicher, hat sie bei der Wahl des Samens ein bisschen bevorzugt auf die Geschichte und Herkunft des Spenders schauen dürfen. Dafür sind Patentanten schließlich da, die gleichzeitig Ärztin, Chefin, und Ministerin des Gesundheitswesens sind.

Misst, jetzt hatte sie die Einfahrt auf die Nebenstraße, die bereits zum Anwesen gehörte, verpasst. Wenden und zurück. Ein Glück, das in dieser verlassenen Gegend kaum Verkehr warNach 500 Meter erreichte sie das Gut. Die Einfahrt ist mehr als großzügig. Ein Torbogen markiert den Anfang des Hofes. Die Gebäude stehen in einem offenen U. Gerade vor ihr befindet sich das Haupthaus. Eine breite Treppe führt zu einem Säulengestützten überdachten Eingang. Links das ehemalige Gesindehaus, ein langgestreckter zweistöckiger Bau, rechts die Stallungen, mit Scheune, Geräteschuppen, Ställe und die kleinere alte Reithalle. Eine neuere größere ist weiter rechts, etwas verborgen hinter der alten.

 In den Stallungen befindet sich ihres Wissens nur zwei Pferde, die sich ihre Mutter als Reiterin hält, daher auch die Reithalle. In der Scheune stehen nur noch der Oldtimer-Traktor und die Gerätschaften für die eigentliche Aufgabe des Hofes: Rollrasen anpflanzen.

 In Juliane wächst die Unruhe, was wird sie diesmal wieder erwarten, wenn sie ihre Mutter sieht, den Vater. Irgendwie hat sie über ihr eigenes Leben, die Termine als Kanzlerin, die Beziehung zu Paula und die Zufriedenheit über ihre Laufbahn, ihr Ansehen im Parlament, vergessen, wie es wohl ihrer Mutter geht. Schließlich sind beide nicht mehr gar so jung, trotz aller medizinischen Fortschritten. Sie versucht ihr aufkommendes schlechte Gewissen zu unterdrücken, schließlich hat sie ja bisher immer auf die Anrufe ihrer Mutter reagiert und geholfen, wo es ging, wenn auch nicht immer ohne Vorwürfe an die Adresse ihrer Mutter. Mit ihrem sogenannten leiblichen Vater hat sie, nach dem sie erfahren hatte, dass er es ist, seltsamerweise kaum mehr persönlich gesprochen, obwohl sie ihn als „Angestellten“ immer als Vertrauten behandelt hatte. Eine mehr als fragliche Reaktion ihrerseits. Darüber wollte sie jetzt lieber nicht nachdenken. Wie würde es ihr gehen, wenn sie zu spät käme und Otto tot wäre?


hätte aber die Liebe nicht….

Kapitel 2

 „Liebe Marion, du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich dir diesmal das Durchhaltevermögen zutraue, auch wenn ich schon wieder nachgebe?“

„Mama, glaub mir, das ist genau das was ich will, du hattest recht, die Veranlagung steckt in mir, das Hospiz ist der Anfang. Ich werde alle Stationen durchlaufen. Vergiss mein dummes Geschwätz von wegen alles ödet mich an. Ich weiß jetzt wo ich hin will. Ich ziehe das durch. Ich weiß das es hart wird, aber diesmal gebe ich nicht auf“

„Dein Wort in Scheckhina`s Ohr. Aber du bist meine Tochter, da gebe ich die Hoffnung nicht so schnell auf, dass du es diesmal ernst meinst. Morgen fängst du auf der Geburtenstation an.“

„Danke Mama, du bist die Beste“

Kein Wunder, denkt sich Sandrine, so viele Mütter hat sie ja nicht und wenn es nach ihrem Kopf geht, war ich schon immer die Beste. Sie liebt ihre Tochter über alles. Sie ist hübsch mit ihren schlanken 1,65, kastanienbraunen Haaren, warme dunkle Augen in denen oft der Schalk aufblitzt. Nie hätte sie dieses Gefühl für möglich gehalten, als sie seinerzeit ihre Schwangerschaft festgestellt hatte. Sie unterdrückte ein zufriedenes Lächeln, damit ihr skeptischer Gesichtsausdruck weiter bestehen blieb. Sonst meint Marion doch gleich wieder, dass sie schon gewonnenes Spiel hat. Umso mehr, da sie bereits die entsprechenden Anweisungen im Hospiz getroffen und ihre Tochter angekündigt hat. Sandrine nimmt sich vor, ihre Tochter so richtig ran zu nehmen. Die wird sich wundern, wie es auf der Geburtenstation zugeht. Nichts mit nur süße kleine neugeborene Strampler baden und den glücklichen Müttern auf den Bauch legen.

Wenn sie es genau betrachtet geht es in der Geburtenabteilung nicht viel anders zu als in der Retraite, nur sind die Patienten viel Jünger. In Gedanken ist sie bereits unterwegs in das Hospiz. Heute stehen drei Kandidaten für die Retraite auf der Liste und nur für zwei sind Plätze frei, sofern sie die richtige Wahl treffen. Die freien Plätze in den Retraiteeinrichtungen sind ein großes Problem. Ein Umstand, der leider bei den gestiegenen Lebenserwartungen, auch bei Männern, inzwischen chronisch ist.Trotzdem muss das Verfahren so abgewickelt werden als wäre alles in Ordnung. Sie hat die Verantwortung und den Jahresplan sanktioniert in dem der Haushaltsplan keinen zusätzlichen Bedarf für diese Einrichtungen vorgesehen hat. Die Wahl der Kandidaten für eine Einrichtung oder die vermeintliche Freiheit, eine ihrer unliebsamsten Beschäftigungen, für die sie allein die Verantwortung trägt.

Bisher weiß nur die Ex-Kanzlerin und ihre ehemalige beste Freundin von den Problemen und ihrer individuellen Lösung, was letztendlich zum Bruch und ihrer Abdankung geführt hat. Oft vermisst sie ihre Freundin schmerzlich. Mit ihrem Patenkind versteht sie sich zwar sehr gut, aber nie könnte sie Juliane in diese Probleme involvieren, geschweige denn in die Lösung. Oft fällt es ihr schwer in ihrem Bereich die heile Welt zu sehen, die draußen im Staat vorherrscht. Sandrine ist die oberste Ärztin des Gesundheitswesens in Eurania und hat die volle Verantwortung über alle Abläufe bezüglich der Ärztlichen Versorgung von der Geburt bis zum Tod von Frau und Mann. Neben der Kanzlerin hat sie die größte Verantwortung und natürlich auch die Macht. Schließlich liegt die Welt nicht nur in Scheckhina`s Hand sonder auch in der der Ärzte. Ihre einzige Schwäche ist ihre Tochter. Die schafft es immer wieder sie um den Finger zu wickeln und ihren logischen, messerscharfen Verstand in den Muttergefühlen untergehen zu lassen. Dabei hätte sie nie daran gedacht, dass ihre Tochter diese Gefühle in ihr wachrufen könnte. Schon gar nicht nach der mehr als zweifelhaften Entstehung dieser Tochter. Bei dem Gedanken daran schüttelte sie unwillkürlich den Kopf. Eine Reaktion, die Marion kurz befürchten ließ, dass es sich ihre Mutter doch noch anders überlegen könnte. Ein guter Grund, die erste Gelegenheit beim Schopf zu packen und Fakten zu schaffen. Als bei Ihrer Mutter das Handy klingelt, saust Marion los.

...wäre ich dröhnendes Erz.....

Kapitel 3

 Juliane fährt vor das Haus und noch bevor sie aussteigen kann, kommt ihrer Mutter auf sie zugelaufen, natürlich in Begleitung ihrer riesigen dänischen Dogge und deren Freundin, eine kleine Havaneserhündin. Ein Anblick der Juliane sonst immer zum Schmunzeln brachte. Die kleine Hündin, Cindy, konnte locker unter der Dogge Kyra durchlaufen, trotzdem hatte sie eindeutig das Sagen.

Ihre Mutter, eine große blonde Frau, hatte den Gang, einer Zwanzigjährigen. Aufrechte Haltung und ihre ganze Körpersprache verriet Autorität. Selbst von Nahem würde ihr keiner die 60 Jahre ansehen. Ihre blauen Augen um die sie Juliane immer schon beneidet hatte, ihre waren eher graugrün, blitzten vor Temperament, selbst unter der offensichtlichen Anspannung. Die beiden nebeneinander sahen eher wie Geschwister aus, als wie Mutter und Tochter.

„Schnell, Kind, komm ins Haus, hier ist es ungemütlich und deinem Vater geht es nicht besser!“ Juliane steigt aus und läuft notgedrungen ihrer Mutter hinterher.

 Gleich links im Erdgeschoß des großen Haupthauses stand die Tür zum Empfangszimmer offen. Direkt dahinter kamen die beiden Frauen in das großzügig als Wohnzimmer eingerichtete Kaminzimmer oder auch Bibliothek genannt. Der Vater lag auf der gemütlichen Couchgruppe, nahe dem offenen riesigen Kamin in dem ein Feuer brannte. Er liegt bewegungslos und mit geschlossenen Augen. Ein Griff an das Handgelenk sagt Juliane, dass er lebt. Dabei sieht sie auch, die schiefen Mundwinkel. Der Verdacht wird immer klarer, ihr Vater hat einen Schlaganfall. Schnelle Hilfe ist angesagt, dafür kommt nur eine in Frage, Sandrine. Die einzige, die wissen darf, dass dieser Mann überhaupt hier ist und die helfen kann.

Juliane hatte zwar 6 Semester Medizin studiert, bevor sie erkannte, dass sie für die Volkswirtschaft eindeutig mehr Interesse und Begabung hatte. Mit einem Schlaganfall, sei es auch nur ein leichter, was sie hoffte, war sie eindeutig überfordert. Juliane greift zum Handy und weiß genau, dass dieser Anruf nur noch mehr Komplikationen hervorruft, ihr Leben entscheidend beeinflussen wird. Noch ein Punkt, der sie angreifbarer macht, abhängiger, wenn auch von einer Freundin, die auch noch ihre Patentante ist. Ganz zu schweigen davon, was Verena daraus machen könnte, wenn sie dahinter käme

 Da zögert sie, muss sie wirklich anrufen? Würde ein Abwarten nicht alle ihre Probleme lösen, ein zweiter Schlaganfall das leidige Thema ein für alle mal aus der Welt schaffen. Sie bräuchte nur nichts tun. Das Problem würde für alle Zeiten unter dem Rollrasen verschwinden, Sandrine müsste nur den Papierkram erledigen, was in diesem Fall ihr eher ein Vergnügen wäre.

 Sie schaut ihre Mutter an. Wenn sie von dem besorgten Blick absieht, sieht diese Frau mit ihren fast 60 ausgesprochen gut aus. Groß, schlank, blond, eine Figur, der sie ansieht, dass ihre Mutter nach wie vor aktiv ist, sportlich, modebewusst, eine tolle Frau. Sie schaut ihr in die Augen und sieht darin neben der Verzweiflung noch etwas anderes, Sorge, Misstrauen aber auch eine tief empfundene Liebe um dem Mann der da hilflos liegt und der nach ihrer Aussage ihr Erzeuger ist. Der Blick erinnert sie an den Tag vor mehr als 5 Jahren, als ihre Mutter, vollständig unerwartet, sie zu sich in ihr Büro rief.

„Ich werde zu deinen Gunsten zurücktreten“ waren ihre Worte, mit der üblichen direkten Art, gegenüber ihrer Tochter, ohne Umschweife auf den Punkt zu kommen.

„Es gibt dafür nur eine Bedingung“ fährt sie nach einer kurzen Pause fort. Juliane hatte vor Überraschung noch kein Wort hervorgebracht und starrte sie nur an.

„Du musst verhindern, dass Otto in die Retraite eingeliefert wird, ich will ihn bei mir haben, er ist dein leiblicher Vater“

Ihr Blick war damals genauso entschlossen und irgendwie verzweifelt gewesen. Juliane hatte keine Ahnung, was in Ihrer Mutter damals vorging. Warum will sie diesen Mann um sich haben. Wie kommt sie dazu ihr plötzlich von einem leiblichen Vater zu erzählen, was 30 Jahre lang kein Thema war, sie gar nicht interessierte. Der Machtmensch Mutter wollte auf ihre Macht, ihren Erfolg, ihr Lebenswerk verzichten. Schließlich hatte sie Eurania zu der Weltmacht gemacht das es inzwischen war. Im Alter von nur knapp 55, hätte sie noch gute 20 Jahre weiter machen können. Warum wollte sie den Mann nicht in einem gut eingerichteten Haus unter bringen? Da gibt es alle Betätigungsmöglichkeiten, die sich ein Mann in seinem Alter von 60 nur vorstellen kann. Da wäre er umsorgt, gepflegt, frei, ohne Verpflichtungen. Sie hätte ihn ja dort besuchen können, wenn das auch nicht üblich ist und selten in ihren Kreisen vorkommt. Zusätzlich wäre das bestimmt auch publizistisch gut zu verwerten gewesen, wenn die Kanzlerin sich so um ihre ehemaligen Bediensteten kümmert. Nein, sie wollte ihn um jeden Preis bei sich haben.

 Juliane reizte natürlich mit ihren 35 aus dem Schatten ihrer Mutter zu treten und die Verantwortung alleine zu übernehmen. Lang genug war sie als persönliche Assistentin ihrer Mutter zwar in fast alles eingeweiht. Sie kannte sich aus, war beliebt und damals schon mit Paula zusammen. Sandrine war zwar in erster Linie die Freundin ihrer Mutter, aber als Patin von Juliane, ihr sehr zugetan und sie verstanden sich sehr gut. Sandrine war auch letztendlich die, die auf die Idee kam den Mann offiziell als Rentner in der Retraite einzuweisen. Ein Totenschein wäre damals viel zu auffällig gewesen, da zu viele von dem langjährigen Diener im Haus von Juliane und ihrer Mutter Helene wussten und ihn kannten. Auch wäre die Gefahr einer Untersuchung seitens Verena, viel zu groß gewesen. Schließlich hatte sich Verena Hoffnungen auf die Nachfolge von Helene gemacht. Die jüngere Frau und Tochter der Kanzlerin im Alter von 35 als Nachfolgerin zu erklären, war ein Schlag ins Gesicht. Das wurde auch nicht dadurch besser, dass das Parlament sie nach 6 Monaten in diesem Amt bestätigte. Verena blieb ihre erbitterte Rivalin und das als Innen- und Verteidigungsministerin.

 So wurde eine frühzeitige Pensionierung von Otto als weitere Vergünstigung und humanitäre Einstellung der damaligen Kanzlerin publizistisch vermarktet. Für Juliane unerklärlich blieb nur, warum sich damals Sandrine von Ihrer Mutter abgewendet hatte, obwohl sie doch vorher alles zusammen unternommen hatten. Beide wollten darüber nicht sprechen. Soweit Juliane wusste, hat sich ihre Mutter aber bis zum heutigen Tag strikt daran gehalten, mit Sandrine keinen Kontakt mehr zu unterhalten.

 „Du weißt ich kann das nicht. Ruf du an, Juliane, wenn ich dir auch nur für 5 Cent etwas bedeute, auch wenn du nur Probleme bekommst, du hast mir versprochen für mich da zu sein, mir zu helfen, selbst wenn der Mann dir gleichgültig ist, tue es für mich“ Als hätte sie ihre Gedanken gelesen.

Juliane drückt auf die Verbindungstaste. Dabei spürt sie, etwas verwirrt, dass sie nicht weiß, ob ihr dieser hilflose Mann wirklich nichts bedeutet. Ja als Kind erinnert sie sich hat sie mit ihm gespielt, er war immer da, hat sie zum Kinderhort und später in die Schule gebracht. Er war bei den Schulaufführungen und Sportveranstaltungen immer dabei. Oft allein, ohne ihre Mutter, die viel weniger Zeit für sie hatte. Wenn sie sich beim Sport verletzt hat, hat er sich um sie gekümmert, zur Ärztin gefahren, wenn nötig, ihr das Essen ans Bett gebracht und er saß auch neben ihrem Bett, wenn sie von schlechten träumen geplagt im Fieber aufwachte. All das hat sie als selbstverständlich betrachtet, er war ja ihr persönlicher Diener. Er war Otto, ihr Diener, Blitzableiter bei schlechter Laune, für alles zuständig, an allem Schuld aber auch ihr Vertrauter, bei den ersten Geheimnissen. Als sie auszog und sich ihr eigenes Leben aufbaute, blieb er zurück und geriet in Vergessenheit. Wirklich in Vergessenheit, oder hinterließ er nicht eine Lücke, die auch ihre Freundin Paula nie ganz schließen konnte?

 Darüber wollte und konnte sie jetzt nicht nachdenken. Sie musste mit Sandrine klar kommen. Das würde nicht leicht sein. Hoffentlich ging sie ans Phone. Was wäre, wenn sie strickt ablehnt? Nein das konnte sie nicht, sonst käme auch sie in Erklärungsnöte, woher dieser Mann kommt. Sie hatte Glück, nach 4 Rufen hörte sie die Stimme ihrer Patin:

 „Hallo, Innen- und Gesundheitsministerium, du sprichst mit Sandrine.“

 „Sandrine, hier ist Juliane, Du musst mir helfen. Ich bin bei Meiner Mutter und Otto hat wahrscheinlich einen Schlaganfall. Er stirbt, wenn du nicht kommst und hilfst. Bitte komm schnell“

oder eine dröhnende Pauke.

Kapitel 4

 Marion muss die Neuigkeit los werden, an wen anders als an ihre Freundin Rahel. Bei der Polizeistation, an der Rahel gerade ihr Praktikum bei ihrer Mutter Verena machte, bekommt sie die Aussage, dass Rahel bereits ins Hospiz versetzt ist Der eigentliche Grund ihres Sinneswandels war ja gerade der Umstand, dass Rahel ihr vor Wochen schon erklärt hatte, dass sie im Hospiz ein weiteres Praktikum machen wollte. Ihre Mutter Verena hat keine Probleme damit, dass sich Rahel für nichts und alles interessiert. Im Gegenteil, sie fördert die vielseitigen Interessen ihrer Tochter und will nicht sehen, dass sich Rahel für nichts entscheiden kann und sich durch die wechselnden Praktika nur vor der Verantwortung drückt ihr Leben in eigene Hände zu nehmen.

 Sie schwingt sich auf ihr Emobil und ist in weniger als drei Minuten dort. Da sie alle kennt, ist auch die Schranke kein Problem. Die Diensttuende Pförtner begrüßt sie mit einem: „Du hast es aber eilig, wo soll’s denn hingehen?“ Marion registriert etwas erstaunt, dass es nicht mehr der alte Pförtner Fernando ist und auch nicht seine Vertretung, der muss neu sein.

„Weißt du wo Rahel gerade ist?“ fragt sie etwas schnippisch

„Heute Mittag war sie für den Kontrollraum in der Samenspende eingeteilt.“  Kam die zurückhaltende Antwort. Als Pförtner weiß man nie, wie diese jungen Dinger von den Mächtigen gerade drauf sind. Einmal machen sie auf Kumpel, dann wieder ist jedes persönliche Wort verkehrt. Was soll’s, so sind sie eben. Er lässt sie rein, natürlich weiß er wen er vor sich hat und will nicht gleich anecken. Schließlich ist er erst seit drei Tagen da und hat gerade erst die Einarbeitung mit Fernando hinter sich.

 Aha, denkt sich Marion, auf die Einarbeitung von Neuen ist Verlass, die wissen immer gleich wen sie vor sich haben. Schon toll so eine Mutter zu haben, ab Morgen habe ich freien Zugang zum Hospiz, das wird super. Sie betritt das längliche, drei Stockwerk hohe Gebäude durch einen Seiteneingang.

 In dem langen Flur sieht sie von weitem einen jungen Mann auf sich zukommen, was im Hospiz nichts Außergewöhnliches ist. Trotzdem verzögert sich automatisch ihr schritt. Irgendetwas an der Haltung und dem Schritt des Jungen ist anders, selbstbewusster, fast schon herausfordernd. Auf gleicher Höhe angekommen, bleibt er auch noch stehen.

„Hi, ich heiße Rod, arbeite auf der Farm und kenne mich hier gar nicht aus. Ich habe mich in diesem Irrgarten von Gängen verlaufen, kannst du mir sagen, wie ich hier rauskomme?

Marion steht wie versteinert. Sie blickt in seine leuchtend blauen Augen, fühlt ihre weichen Knie, ein Gefühl als müsste sie diesen Mann kennen und ist entgegen allen anderen Gewohnheiten fast sprachlos. Versteht auch nur „rauskommen“, hat keine Ahnung wieso sie so reagiert und den Jungen anstarrt.

„Iii-ich bin Marion, geh einfach vorne rechts, da kommst du durch einen Nebenausgang raus und siehst die Pforte.“

Bin ich eine doofe Kuh, schalt sich Marion. Wie komme ich dazu einem fremden Jungen, der nicht bei uns angestellt ist meinen Namen zu nennen. Und dann noch so dumm herumzustottern. Wieso stottere ich rum anstatt einfach weiter zu gehen oder „weiß nicht“ zu sagen?

 Sie schaut dem Mann nach und sieht, wie er tatsächlich durch den Nebeneingang verschwindet, durch den sie hereingekommen ist. Sie sieht seine schmalen Hüften und breite Schultern. Der Mann bewegt sich, wie einer, der durchtrainiert ist, sich seiner Kraft bewusst ist. Geschmeidig ohne zu schleichen und doch fast lautlos. Als er nach der Tür greift, sieht sie sein Profil, gerade Nase, kräftiges Kinn, breite Backenknochen, dunkelblondes wuscheliges Haar, das zum Reingreifen einlädt. Seine Hand auf der Türklinke ist braun und kräftig. Kurz bevor er die Tür öffnet dreht er sich noch mal nach ihr um und lächelt ihr zu. Erschrocken macht Marion kehrt und läuft den Gang runter.

Das war bestimmt schon mein erster Fehler. Was ist, wenn sich herumspricht, dass ich mit fremden Jungs spreche? Ach was, ich spinne, kommt nicht wieder vor und den sehe ich bestimmt nicht wieder, sah halt gut aus, das ist alles. Da vorn ist die Tür zum Kontrollraum, in dem sie bestimmt ihre Freundin findet. Sie reist die Tür auf, ohne anzuklopfen und stürmt hinein.

 Rahel macht schon den Mund zu einem geharnischten Protest auf, als sie ihre Freundin erkennt, kann sich trotzdem einen Kommentar nicht ganz verkneifen.

„Na so stürmisch, mir hat Mama das Anklopfen beigebracht“ Marion küsst sie auf den Mund.

„Nur nicht schimpfen, ich habe tolle Neuigkeiten“

„Das ist gut, bisher läuft es hier gar nicht gut. Habe gerade wieder so einen Knaben im „Melkraum“ gehabt, bei dem gar nichts lief. Muss noch den Bericht fertig machen- War ein Muster von einem Mann und ideal für große gut geratene Kinderlein“. Das wird aber wohl nichts.

 Marion verkneift sich einen Kommentar, da sie, bei aller Freundschaft, die spitze Zunge ihrer Freundin fürchtet und nicht gleich zum Einstand ihren Spott ernten möchte. Sie verschiebt ihr Problem auf später und kommt sofort auf ihr Thema zu sprechen.

Das Wichtigste ist, sie war endlich mit ihrer Freundin Rahel zusammen. Das würde toll werden, zusammen mit ihr war alles spannend, lustig und so einfach. Sie liebte es mit Rahel etwas zu unternehmen. Mit ihr zu lachen und Pläne zu schmieden. Deswegen plapperte sie auch ohne Rücksicht auf ihre Freundin los und malt sich in den buntesten Farben aus, was sie alles im Hospiz zusammen unternehmen könnten, ihre Zusammenarbeit, die gegenseitige Unterstützung und Ergänzung, kurz sie ließ ihrer Fantasie freien Lauf.

 „Lass mich noch kurz den Bericht vom letzten Kandidaten fertig schreiben, dann können wir ins Café und du erzählst mir alles.“

Rahel wandte sich dem Bildschirm vor sich zu, drückte ein paar Tasten und war mit dem Rechner der Verwaltung verbunden, in den sie den dritten, erfolglosen Versuch der Samenspende ihres letzen Kandidaten eintragen sollte. Den Umstand, dass dieser nicht geklappt hat war die neben den Kenndaten des Mannes; IQ, Augen- und Haarfarbe, Größe, Statur, Ausbildung, Hobbys, natürlich das Wichtigste. Und genau da rutschte das Häkchen an die falsche Stelle.

Das sie damit eine Kette von Ereignissen in Gang setzte, die ihre Welt verändern würde und nicht nur ihre, ist ihr zum Glück dabei nicht bewusst.

Allerdings hatte sie gerade die Entertaste gedrückt. Als ihr der Fehler auffiel:

„Mist, Marion, du mit deinem Gerede hast mich total durcheinander gebracht. Jetzt habe ich „Ja“ anstatt „Abbruch“ gedrückt. Er hat nicht gespendet sondern abgebrochen, es hat nicht funktioniert.“ Fieberhaft versuchte sie den Bericht zurück zu holen, allerdings ohne Erfolg. Marion war kurz verstummt und schaute ihre Freundin verständnislos an.

„Was ist denn so schlimm, rufe die Verwaltung an und hole den Bericht zurück oder die sollen den korrigieren“, meinte sie locker.

„Das geht nicht, die Verwaltung ist direkt mit dem Zentralrechner verbunden, da ist jede  Manipulation ausgeschlossen und nur mit Meldung an die obere Hospizleitung eine Änderung möglich.“

„Das wäre ja meine Mutter, das regle ich schon.“

„Glaubst du im Ernst deine Mutter findet es toll, dass deine erste Handlung im Hospiz eine Zentraldatenbankmanipulation zur Folge hat?“

„Mist, du hast recht. Und wenn du einfach eine Samenspende ablieferst, ich meine von einem anderen, der hat halt etwas weniger geliefert.“ Meinte Marion abschließend grinsend.

„Dummes Huhn, das merken die bei der Analyse sofort, dass die DNA nicht übereinstimmt.“

„Dann muss eben Samen von dem Knaben her, ich habe es verbockt, ich besorge dir den Samen.“

„Wie willst du das denn machen, ich kenne weder seinen Namen, der ist immer anonym, noch wo er arbeitet?“

„Ich aber, habe ihn auf den Flur getroffen und weiß sogar seinen Namen, wenn er gesagt hat „ich arbeite auf der Farm und kenne mich hier nicht aus“, kann er nur die eine meinen, so viele gibt es hier ja nicht.“ Marion strahlte obwohl sie keine Ahnung hatte, wie sie das machen sollte.

„Natürlich gibt es hie im Umkreis von 100 Meilen nur die eine Farm, das weiß ich auch. Aber wie willst du das bewerkstelligen?“

 „Du sagst mir wo er hineinspritzen soll und ich sorge dafür, dass er es tut“.

„Ach ja, und was 100 verschiedene Pornos und Bilder mit Sexszenen bei drei Versuchen nicht geschafft haben, willst du hinbekommen?“

 „Hast du nicht erzählt, dass einige Jungs nichts mit den Sex unter Männern nichts anfangen können und eher auf Mädchen stehen? Vielleicht ist das so einer und er steht auf mich?“

„Mach bloß kein Scheiß, das kann gefährlich werden, nicht umsonst werden die erfolglosen Spender aussortiert und in der Akte gekennzeichnet, das habe ich mir zumindest erzählen lassen.“

„Quatsch, das sind Ammenmärchen, bei uns wird niemand gekennzeichnet, das widerspräche den allgemeinen Menschenrechten und würde vom Weltrat schwer verurteilt.“

„Gib mir was du brauchst und ich schiebe los, denke das kann nicht ewig warten, du musst schließlich liefern.“

Marion war gut darin selbstbewusst aufzutreten, selbst wenn ihr das Herz bis zum Hals klopfte. Das hatte sie gelernt, musste sie, sonst hätte sie gegen ihre Mutter nie eine Chance gehabt. Früh übt sich….