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Bücher für Entdecker

Books on Demand bietet Autoren ein neues Verlagskonzept. Viele Debütanten, etablierte Autoren und engagierte Verleger nutzen den Publikationsservice von Books on Demand und bereichern den Buchmarkt mit interessanten und außergewöhnlichen Titeln. Vito von Eichborn, einer der innovativsten Buchmacher Deutschlands, wählt als Herausgeber für die Edition BoD herausragende Neuerscheinungen aus. Lesen Sie selbst, welche Entdeckungen das Programm von Books on Demand möglich macht.

Mehr Infos auch auf www.bod.de.

Friedhelm Kober wurde 1944 in Pforzheim geboren. Nach dem Studium der Chemie und der Promotion an der TU Karlsruhe kam er an die TU Darmstadt, wo er habilitierte und als wissenschaftlicher Assistent und Dozent tätig wurde. Seit 1984 ist er Professor für das Fach „Anorganische Chemie“. Er ist verheiratet und hat zwei erwachsene Söhne. Neben seiner Fachwissenschaft interessiert sich der Autor vor allem für Geschichte, weshalb auch sein erster Roman einen historischen Hintergrund hat.

Vito von Eichborn war Journalist, dann Lektor im S. Fischer Verlag, bevor er 1980 den Eichborn Verlag gründete, dessen Programm noch heute ein breites Spektrum umfasst: Humor, Kochbücher und Ratgeber, Sachbücher aller Art, klassische und moderne Literatur sowie die Andere Bibliothek. Nach seinem Ausstieg im Jahre 1995 war er u.a. Geschäftsführer bei Rotbuch/Europäische Verlagsanstalt und sechs Jahre Verleger des Europa-Verlags. Seit 2005 ist Vito von Eichborn selbständig als Publizist tätig und fungiert u.a. seit März 2006 als Herausgeber der Edition BoD.

Dieses Buch widme ich
meiner lieben Frau Ingeborg,
mit der ich in Liebe verbunden bin.

Inhaltsverzeichnis

Die Tränen einer Göttin

Die Ankunft eines Fremden

Die Herrin des Waldes

Eine unerwartete Besucherin in der Schmiede

Bei den Saxen

Kolgrims Enkel nach dem Gesetz

Frida

Eilak

Helche

Der kleine große König

Die Rache eines Königs

Das Bild der Honoria

Tho…ris…mund…!

Werter Freund aus fernen Jugendtagen

Die Schlacht auf den Feldern von Catalaunum

Ach, wie schön: endlich, endlich eine gute Nachricht

Die Belagerung von Rom:

kurz und erfolglos, aber folgenreich

Der Retter Roms

Traurige Heimkehr

Meine Buchhändlerin sagte mir,
»ja«, sagte sie …

Ja, historische Romane haben, schon seit dem Parfüm, ungebrochene Konjunktur. Worum geht‘s denn bei dieser Freya?« »Das ist die germanische Göttin der Liebenden, die immer, wenn eine Liebe zerbricht, bittere Tränen weint. Und, ja, viele Liebende werden in diesem Roman auseinandergerissen, viele müssen sterben und …«

»Aber germanische Götter sind ja nun überhaupt nicht angesagt«, hackte sie wie so oft dazwischen. »Angesagt sind historische Heldinnen. Losgetreten hat das alles Die Päpstin. Soll ich mal loslegen, was die Flut der Epigonen sich alles einfallen ließ?«

Ich nickte nur, und sie legte los: »Die Protagonistinnen reichen von der Wanderhure bis zur Hebamme. Ich mach‘s mal alphabetisch: Brillenmacherin, Buchmalerin und Burgunderin, Glasbläserin und Goldhändlerin, Kaffeeprinzessin, Kastellanin und Königsmacherin, weiter: Philosophin, Pilgerin, Rebellin, Samenhändlerin, Tatarin, Templerin, Wunderheilerin …«

Sie holte Luft, und ich unterbach: »Okay, das war ein Lehrstück, wie der Buchmarkt funktioniert.

Aber nein, hier haben wir einen klassischen, männlichen Helden, und es geht nicht um die Götter. Wohl aber geht es um die Germanen, genauer gesagt um das fünfte Jahrhundert, um die Hunnen und die Römer und die Briten …«

»Ist das nicht ein bisschen viel auf einmal?«, warf sie spöttisch dazwischen. »Wie wär‘s mal mit so etwas wie einer Handlung?«

»Na gut, voilà:

Ein fremder Schmied, Xenos, wird halb tot in der Hütte von Ada und Kiso in Britannien aufgenommen. Es gelingt ihm, das Vertrauen von Morgana zu erringen, der Schwester von König Arthus und mächtigen Herrin des Waldes. Und an zahlreichen Abenden berichtet er ihr von seinem abenteuerlichen Leben.

Die Saxen fielen in Britannien ein und erschlugen seinen Vater, er wuchs als säxischer Bastard mit Namen Odo bei seiner Mutter auf.

Als Zehnjähriger wurde er von säxischen Kriegern geraubt, die ihn übers Meer mitnahmen. Er bekam den Namen Widukind und wuchs wie ein Sohn bei einem säxischen Fürsten auf, bis das Unglück seinen Lauf nahm: Dieser Fürst hatte seinen Vater erschlagen und seine Mutter geschwängert. Widukinds große Liebe und Schwester wird ermordet. Er erwürgt den Mörder und flieht.

Nach langer Irrfahrt gelangt er zu den Hunnen, wo er in die germanische Leibgarde des Weltherrschers Attila aufgenommen wird.«

»Da ist ja wirklich schwer was los«, war meine Buchhändlerin beeindruckt. »Hat das denn auch reale historische Hindergründe? Die Leser historischer Romane legen großen Wert auf Stimmigkeiten, sie wollen nicht nur unterhalten werden, sondern auch etwas lernen über die Geschichte.«

»Aber ja, das ist gründlich recherchiert. Es ist die Zeit der zunehmenden Christianisierung im Norden, die Sitten und Gebräuche werden lebendig geschildert, ebenso die blutigen Kämpfe. Und unser Held spielt zentrale Rollen in überlieferten Geschehnissen durch ganz Europa. Er rettet Attila vor dem Mordanschlag seines Bruders, der historisch verbürgt hingerichtet wird, er kämpft in der grauenhaften Massenschlacht von Catalaunum, und er zieht mit Attilas mordenden Horden bis vor Rom, wo Xenos die entscheidende Wende in der Verhandlung mit Papst Leo herbeiführt.

Auch die Liebesgöttin Freya hat alle Hände voll zu tun«, schloss ich knapp, denn meine Zuhöhrerin hatte mir das Buch aus der Hand genommen und zu lesen begonnen.

»Ja, über diese Zeit kenne ich keinen historischen Roman, das klingt reizvoll. Und dass mal wieder ein richtiger altmodischer Held auftritt, ist nach all den Weibern ja mal eine Erholung«, murmelte sie ganz unfeministisch. »Auf Klio, die Muse der Geschichtsschreibung, wird hier grade ein Trankopfer ausgebracht …«

Die Türglocke unterbrach sie, abrupt ließ sie mich stehen, reale Kunden sind eben wichtiger als die mitreißenden Abenteuer von Xenos.

Für letztere wünsche ich, ergänzend zur Leselampe, flackerndes Kerzenlicht, Sturm vor der Tür, perfekt dekantierten Rotwein und eiserne Nerven.

Vito von Eichborn

 

Faust zu Wagner:

Mein Freund, die Zeiten der Vergangenheit
Sind uns ein Buch mit sieben Siegeln;
Was ihr den Geist der Zeiten heißt,
Das ist im Grund der Herren eigner Geist,
In dem die Zeiten sich bespiegeln.

Die Tränen einer Göttin

Die Göttin Freya ist die schönste Gestalt in der sonst so düsteren Mythologie der Germanen, in der so viel von Mord, Totschlag und brutaler Gewalttätigkeit berichtet wird. Die schöne Göttin entstammt dem Göttergeschlecht der Wanen, die – anders als die stets kriegsbereiten und herrschsüchtigen Götter aus dem Geschlecht der Asen – den Menschen, den Tieren und den Pflanzen wohlgesinnt sind, die nur heilen und helfen, die aber nicht streiten und nicht herrschen wollen, denen Wissen und Wahrheit wichtiger sind als Macht und Gewalt.

Doch leben Freya und ihr Bruder Freyr, die Geschwister aus dem Göttervolk der Wanen, schon seit ewigen Zeiten als Geiseln bei den Asen, von denen sie aber geschätzt und geliebt werden, denn die meisten, die sie kennen, sind den beiden in Verehrung, in Freundschaft und in Liebe zugetan; und sogar die Riesen, die ewig unversöhnlichen, ungeschlachten, groben Widersacher der Menschen und der Götter, lassen sich von Freyas Schönheit und Lächeln bezaubern. Nur Loki, der Lästerer und Spötter, nennt Freya eine untreue Hexe, doch wer hört schon auf Loki!

Jung und schön ist Freya, eine Lichtgestalt ist sie wie Freyr, ihr Bruder, der strahlende Gott der Sonne und des Lichts, der die Fluren segnet, Licht und Regen spendet und den Streit unter den Menschen schlichtet. Sie trägt ein Geschmeide, das ihr die Zwerge geschmiedet haben, in dem der Regenbogen in allen Farben glänzt, sie besitzt ein Schwanenhemd, das sie hoch über der Erde durch die Lüfte trägt, doch auf der Erde wird Freyas Wagen von flinken Katzen gezogen, denn die Katze ist Freya heilig.

Einst galt Freya als die höchste unter den Göttinnen, denn sie wurde von Odin, dem mächtigsten aller Götter, verehrt und geliebt, und zusammen mit Odin führte Freya vor den Walküren reitend die im Kampf gefallenden Krieger nach Walhall. Doch der finstere Odin verließ seine schöne, junge Geliebte und versteckte sich vor ihr. Freya suchte Odin überall im Himmel der Götter und in der Welt der Menschen, aber sie konnte ihn nicht finden und in bitterer Trauer weinte die schöne Göttin Tränen, die überall zur Erde fielen. Doch Freya, die von Odin enttäuschte und verlassene Frau, machte es sich zur Aufgabe, künftig die Schutzherrin der Liebenden zu sein, sie zu schützen und ihre Hand über sie zu halten. Immer und überall, wo zwei Liebende sich finden, sieht es Freya, sie freut sich, sie lächelt und sie stellt die Liebenden unter ihren Schutz.

Aber wenn zwei Liebende sich nicht finden, wenn sie ihre Liebe nicht leben dürfen oder wenn sie getrennt werden, wenn der Mann die Frau, wenn die Frau den Mann verlässt und eine Liebe zerbricht wie damals, als Odin Freya verließ und sie ihn suchte, ohne ihn finden zu können, dann weint Freya und wieder fallen ihre Tränen aus dem Himmel der Götter auf die Erde der Menschen.

Die Ankunft eines Fremden

Kiso wurde gegen Morgen durch ein leises Klopfen an die Tür seiner Hütte und durch schwache Hilferufe aus dem Schlaf gerissen. Auch Ada, Kisos Frau, war aufgewacht, sie setzte sich auf ihrem Lager auf und starrte in der Dunkelheit ängstlich in Richtung Tür. »Öffne nicht!«, flüsterte sie ihrem Mann zu. »Öffne nicht! Vielleicht ist es ein Dämon … oder ein Bote, den sie geschickt hat. Du kennst sie doch!« Ada umarmte ihren Mann und versuchte, ihn festzuhalten.

»Kein Dämon, kein Bote von ihr ruft um Hilfe«, flüsterte Kiso. »Ein Bote von ihr würde die Tür eintreten. Und sie stehen nicht so früh am Morgen auf, zechen bis tief in die Nacht. Und ein Dämon?« Kiso lachte leise: »Ein Dämon käme mitten in der Nacht, bestimmt nicht früh am Morgen. Eine Holztür würde ihn nicht aufhalten und er würde nicht an die Tür klopfen, nicht um Hilfe rufen. Ich werde nachsehen.« Kiso entzog sich der Umarmung seiner Frau, er stand auf, tastete sich in der Dunkelheit durch den kleinen Raum zur Tür und schob den Riegel zurück. Die Tür sprang auf und ein Mann, der sich von außen gegen die Tür gelehnt hatte, fiel Kiso in die Arme. Kiso ließ den Fremden, der groß und schwer war, behutsam auf den Boden gleiten und versuchte, ihn in die Hütte zu ziehen. Kiso, der den Mann am Wams gepackt hatte, hatte bemerkt, dass der fremde Mann ein Kettenhemd unter dem Lederwams trug. Kiso erschrak: ›Ein Krieger?‹, dachte er. ›Die Ritter des Königs wagen sich nicht in unseren Gau, dürfen gar nicht hierher kommen. Also doch ein Bote der Herrin, der sich auf dem Weg verletzt hat? Dann wird sie uns die Schuld geben, wenn er stirbt. Und was will der von uns?‹ Kiso bereute schon jetzt, nicht auf seine Frau gehört und die Tür geöffnet zu haben.

»Ada, mach schnell die Lampe an!«, rief Kiso seiner Frau zu und bemühte sich, den bewusstlosen Mann über die Schwelle in die Hütte zu ziehen. Dann schloss er ängstlich die Tür. Im schwachen Schein des Lämpchens konnten Kiso und Ada sehen, dass der Fremde, der bewegungslos mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden lag, ein Wams aus Leder, kurze Hosen und verschmutzte Sandalen trug. Seine langen Beine waren nackt und mit Schlamm und Schmutz bespritzt; auch das Wams des Fremden war schmutzig und abgerissen.

Aus einer Wunde am Rücken, dicht unterhalb des linken Schulterblattes, war Blut gesickert und hatte das Wams des Fremden durchtränkt. Vorsichtig versuchte Kiso, die Wunde unter dem Wams zu ertasten, um sie versorgen zu können, doch der Fremde erwachte dabei aus seiner Ohnmacht, er stöhnte und keuchte in der Sprache des alten Volkes, aber mit einem fremden Zungenschlag: »Zieh mir Wams … und Kettenhemd aus. Schneide die Pfeilspitze … aus der Wunde. Du wirst wissen, wie man das macht. Nimm … mein Messer! Sieh dich vor! Es… ist scharf.« – »Ich sehe keinen Pfeil«, antwortete Kiso, doch er fand das Messer, das der Mann in einer Lederscheide am Gürtel trug. Als Kiso das Messer im Licht der Lampe sah, ließ er es ängstlich fallen. Die Klinge zeigte Wellen und Linien, die im Licht des Lämpchens schimmerten und sich sogar zu bewegen schienen.

»Was ist das?«, flüsterte Kiso ängstlich, der solch eine Klinge noch nie gesehen hatte. »Was ist das für ein Messer? Seid Ihr …?« Kiso räusperte sich, er schluckte und sagte dann mit fester Stimme: »Herr, es steckt kein Pfeil in der Wunde. Vielleicht nur die Pfeilspitze?« Als Ada die Klinge sah, machte sie ein Schutzzeichen des alten Volkes, das vor bösen Geistern schützen sollte. Das Zeichen des Kreuzes kannte Ada zwar auch, doch bei Gelegenheiten wie dieser verwendete sie immer noch die vom König und dessen Priestern verbotenen, uralten Zeichen ihres Volkes. Auch Ada hatte solch eine Klinge noch nie gesehen und sie war sicher, dass der Fremde mit den Dämonen im Bunde stehen musste.

»Nimm das Messer … schneide die Pfeilspitze heraus, wenn sie noch steckt«, stöhnte der Fremde, der Adas Geste gesehen hatte. »Das Messer hat ein Schmied gemacht … kein Teufel … ich habe die Klinge geschmiedet … hörst du … beeil dich!« Vorsichtig zogen Kiso und Ada dem Mann Wams und Kettenhemd aus, vorsichtig tastete Kiso die Wunde im Rücken des Fremden nach der Spitze eines Pfeils ab, doch konnte er zu seiner Erleichterung keine finden. Das Kettenhemd, vermutete Kiso, das der Fremde unter seinem Wams getragen hatte, hatte den Pfeil nur so tief eindringen lassen, dass er den Mann zwar verletzt hatte, aber nicht in der Wunde stecken geblieben war.

»Mach zwei kleine Einschnitte … einen nach oben, einen nach unten … dann zieh die Spitze aus der Wunde … sie steckt nicht tief. Das Panzerhemd hat dem Pfeil die Wucht genommen. Verdammte Bogenschützen!« Trotz seiner Schwäche und Schmerzen hatte der fremde Mann einen Ton in der Stimme, als ob er es gewohnt sei, Befehle zu geben – und dass man ihnen gehorchte. »Ihr habt eine Wunde, nicht tief, aber die Spitze eines Pfeils steckt nicht mehr im Fleisch, doch viel Blut habt Ihr verloren. Euer Wams ist rot von Eurem Blut. Ihr habt Glück gehabt … und ein gutes Kettenhemd«, antwortete Kiso. ›Er ist ein Krieger‹, dachte er. ›Aber er ist kein Ritter des Königs. Die würden sich nicht in unser Dorf wagen. Und so abgerissen und heruntergekommen, wie der ist … Und er trägt auch kein Schwert, nur das kleine Messer mit dieser unheimlichen Klinge. Und das Kettenhemd trägt er verdeckt unter dem Wams. Auch das tut kein Ritter des Königs.‹

Der Fremde stöhnte vor Schmerz und versuchte, sich aufzurichten, wobei sich die Muskeln seiner Schultern und seines Rückens verkrampften. Kiso sah, dass er eine dünne silberne Kette um den Hals trug, die eine kleine silberne Scheibe mit einem eingravierten Halbkreis und drei kleinen Punkten zeigte: das Symbol des Mondes und der Sterne, das uralte Zeichen der Mondgöttin, zu der auch Kiso und Ada beteten. Kiso war erleichtert. ›Ist er doch einer von uns?‹, fragte er sich. Kiso entnahm einem kleinen Beutel, den er am Gürtel trug, ein Pulver, das er über die Wunde streute. Der Druide hatte das Pulver den Männern des Dorfes gegeben. Sie alle trugen es beständig bei sich, um es bei kleinen Verletzungen griffbereit zu haben. Kiso wusste aus eigener Erfahrung, dass das Pulver in den Wunden zwar unangenehm brennen und dunkel gefärbte Narben hinterlassen, aber auch die Blutungen stillen und die Wundheilung fördern würde. Einen Verband konnte Kiso nicht anlegen, da er kein Verbandszeug hatte. »Ich könnte Euch morgen zum Druiden begleiten«, sagte Kiso. »Er kann einen Verband anlegen.« Kiso nickte nachdenklich: »Das wird aber eine hässliche Narbe geben, Herr. Wie gut, dass Ihr sie auf dem Rücken und unter Eurem Wams haben werdet.« Der Fremde lächelte gequält: »Darauf kommt es mir nicht an. Sieh dir meinen Rücken an!«

Das Messer mit der unheimlichen Klinge hatte Kiso auf dem kleinen Holztisch seiner Hütte abgelegt. Ängstlich blickten er und Ada auf die Klinge, deren Zeichen sich im flackernden Licht des Lämpchens zu bewegen schienen, als würden sie leben. ›Und er ist doch ein Dämon oder mit ihnen im Bunde‹, dachte Ada.

Ada schüttete in einer Ecke des Raumes – so weit entfernt von ihrer eigenen Schlafstelle wie nur möglich – Stroh auf dem Boden auf, Kiso half dem Mann zu seinem Schlafplatz. »Legt Euch auf Bauch und Brust, Herr, nicht auf den Rücken«, riet Kiso dem Mann. »Die Wunde ist noch offen, es könnte Schmutz hineingelangen. Wir haben kein Verbandszeug. Wir sind arme Leute.«

Ada erschrak, als sie die Schulter des Fremden sah. Der Mann trug dort zwei kleine dunkelblaue Tätowierungen. Eine zeigte einen Mond und drei Sterne; das Bild entsprach dem auf dem silbernen Amulett, das der Fremde um den Hals trug. Aber darunter hatte er eine zweite Tätowierung: zwei gekreuzte Äxte. Ada schlug sich erschrocken die Hand auf den Mund, sie zog ihren Mann zur Seite und sagte leise: »Der Mond und die drei Sterne … ein Zeichen des alten Volkes, ein gutes Zeichen. Aber die gekreuzten Äxte, das Kriegszeichen der Saxen!« Auch Kiso hatte die Tätowierungen gesehen, auch er hatte einen Schrecken bekommen und er war sich jetzt sicher, dass dieser Mann ein Krieger der Saxen sein musste, doch er legte den Finger auf den Mund, schüttelte den Kopf und gab Ada zu verstehen, sie solle keine Fragen stellen, sondern so tun, als habe sie die Tätowierungen nicht bemerkt.

Der Fremde hatte sich stöhnend auf das Stroh fallen lassen. Ada deckte ihn mit einem Wolltuch zu, ließ aber die Wunde unbedeckt. »Es ist Sommer, Herr, Ihr werdet auch so nicht frieren«, sagte sie und trat schnell zurück. Der Mann war ihr unheimlich und sie wünschte schon längst, ihr Mann hätte ihm die Tür ihrer Hütte nicht geöffnet.

»Mein Messer … gebt mir mein Messer zurück!«, befahl der Fremde. Obwohl er verletzt und hilflos am Boden lag, beeilte sich Kiso, ihm das Messer zu geben, denn die Stimme des Mannes hatte wieder einen befehlenden Unterton. Der Fremde, der mit dem Gesicht nach unten auf dem Stroh gelegen hatte, richtete sich auf, er stützte sich auf den Ellbogen, nahm sein Messer und steckte es in die Lederscheide an seinem Gürtel: »Ich gebe es ungern aus der Hand. Wenn ihr vielleicht noch einen Schluck Wasser für mich hättet …?«, fragte er.

Ada beeilte sich, aus einem bereitstehenden Bottich eine Kelle Wasser zu schöpfen und sie dem Fremden zu reichen. Der Mann trank, er lächelte und nickte Ada freundlich zu: »Ich danke dir«, sagte er. Dann nickte er Kiso zu: »Dir auch. Ihr habt mir geholfen … beide. Ich werde das nicht vergessen. Und ich sage das nicht nur so daher.«

Kiso wagte es, den Fremden zu fragen: »Ein Pfeil muss Euch verletzt haben, doch Ihr habt noch viele blaue Flecken auf dem Rücken. Waren das auch Pfeilschüsse? Haben sie Euch getroffen? Hat das Kettenhemd sie abgehalten? Und auch viele Narben habt Ihr. Wie Ihr gesagt habt: Auf die eine mehr oder weniger kommt es nicht an.« Doch eine Erklärung, auf die Kiso gewartet hatte, wollte der Fremde nicht geben.

Kiso sah den Mann fragend an: »Und Ihr tragt ein Kettenhemd. Aber Ihr habt es unter dem Wams getragen. Das ist unbequem … und ungewöhnlich.« – »So? Ist es das?« Wieder wollte der Fremde keine Antwort geben. Kiso nahm seinen Mut zusammen: »Wer seid Ihr?«, fragte er. »Was führt Euch in unser Dorf? Seid Ihr ein Krieger … der Saxen? Ihr tragt doch ihr Zeichen! Aber auch das Zeichen unserer Göttin. Doch wenn Ihr nicht antworten wollt …« – »Nein. Jetzt nicht.« Trotz seiner schroffen Antwort, die keine Antwort war, lächelte der Fremde freundlich: »Später gern.«

Kiso fürchtete sich vor dem Mann und bedauerte, mit seinen Fragen in ihn gedrungen zu sein. »Wenn Ihr nicht wollt, müsst Ihr nicht antworten. Unsere Gastfreundschaft ist Euch gewiss«, versicherte er ihm. »Und ich bin bestimmt nicht neugierig.« Der Fremde lächelte angestrengt: »Aber du stellst Fragen, viele Fragen. Ich werde sie dir beantworten, aber nicht jetzt. Doch meinen Namen will ich euch nennen.« Der Fremde schien nachzudenken: »Den Namen, den mir meine Mutter gab, habe ich vergessen. Meinen zweiten Namen gaben mir die Saxen und die Hunnen … ein säxischer Name. Er würde in euren Ohren nicht gut klingen.« Der Mann lächelte: »Meinen dritten Namen gaben mir die Saxen, andere, Jahre später … ›Nebelbezwinger‹. Mein Meister Polybios nannte mich ›Xenos‹, was ›Fremder‹ und ›Gastfreund‹ zugleich bedeutet. So sollt auch ihr mich nennen.« Der Fremde lächelte gequält: »Ich bin euch noch ein Fremder, doch ich hoffe, euer Freund zu werden.« Kiso beeilte sich, seinen Namen und den seiner Frau zu nennen: »Ich heiße Kiso. Sie hier, meine Frau, heißt Ada.Wir werden Euch ›Xenos‹ nennen, Herr.« – »Kiso! Ada!«, sagte der Fremde und versuchte, trotz seiner Schmerzen zu lächeln. »Ich bin kein Herr. Und es ist nicht nötig, dass ihr mit mir redet wie mit eurer Herrin. Ihr habt doch eine Herrin? Kann ich noch einen Schluck Wasser haben?«, fragte der Mann.

Als der Fremde getrunken hatte, wollte er sich aufsetzen, doch schien ihn die Wunde im Rücken so sehr zu schmerzen, dass er sich stöhnend wieder auf Brust und Bauch legte. Er drehte das Gesicht ein wenig zur Seite, sodass Ada und Kiso ihn besser verstehen konnten: »Die Kriegsknechte eures Königs waren hinter mir her, haben mich gejagt. Sie wollten mich töten … hängen. Ich war auf der Flucht. Dabei habe ich mir die Pfeilschüsse eingefangen. Ich habe seit Tagen kaum geschlafen, nichts gegessen. Hierher werden sie sich nicht wagen, oder?« Der Fremde blickte fragend zu Kiso hoch, doch der nickte mit dem Kopf: »Seid unbesorgt. Unsere Herrin hat sich das ausbedungen: Kein Priester und kein Ritter des Königs darf den Gau unserer Herrin betreten. Und noch keiner hat es bisher gewagt.« – »Noch keiner hat das«, bestätigte Ada. Kiso lachte verächtlich: »Alle haben Angst vor unserer Herrin. Aber wenn Ihr so lange nichts gegessen habt, wie Ihr sagt, habt Ihr gewiss Hunger. Wir haben freilich nicht viel, kein Fleisch, keinen Braten, auch keinen Fisch, nur Brot und Ziegenmilch. Aber wenn Ihr Hunger habt …« – »Auch etwas kalten Hafer- und Hirsebrei habe ich noch, wenn Ihr mögt«, ergänzte Ada schnell.

Der Fremde bedankte sich: »Ich danke euch! Ich habe gewiss schon Schlechteres gegessen, auch gehungert. Dann möchte ich schlafen, wenn ihr erlaubt. Ich bin sehr müde. Ich bleibe hier auf dem Stroh und esse liegend … nach griechisch-römischer Art.« Der Fremde hatte gelacht zu seinen Worten, doch sein Scherz war verschwendet, denn weder Ada noch Kiso wussten, dass die Römer und Griechen bei ihren Festen im Liegen essen und trinken.

Als der Fremde gegessen hatte, legte er sich auf das Stroh zurück. »Ich stehe in eurer Schuld. Wenn meine Wunde verheilt ist, werde ich euch und den anderen Dörflern helfen … wenn ihr das wollt. Ich bin ein Schmied, ich kann Nägel machen, eure eisernen Geräte richten, die Pflüge, die Messer, Äxte, Beile … was ein Schmied eben macht. Es fehlt doch ein Schmied bei euch, hat man mir gesagt, einer, der es wissen muss, der Waffenmeister des Königs. Ihr kennt ihn? Er hat mich hierher geschickt, und zu eurer Herrin.« – »Ihr … Ihr seid ein Schmied?«, fragte Kiso. »Und zu … zu unserer Herrin hat man Euch geschickt?« Kiso sah den Mann erstaunt an. »Ihr habt doch eine Herrin?«, fragte der Fremde. Als Kiso und Ada zustimmend nickten, lächelte der Mann: »Seht ihr, ich wusste das.« Der Fremde sah Kiso an: »Eure Schmiede steht leer. Ich wollte mich dort verstecken, bin vor Schwäche zusammengebrochen. Muss lange dort gelegen haben und habe ich mich dann ins Dorf geschleppt.« Der Fremde nickte: »Es sieht so aus, als habe in der Schmiede schon lange kein Schmied mehr gearbeitet. Aber lasst mich nur wieder gesund werden. Und jetzt lasst mich schlafen.« Der Mann legte den Kopf auf das Stroh und war sofort eingeschlafen.

Ada nahm den Fellvorhang ab, mit dem sie nachts das kleine Fenster verhängt hielt, sodass der frühe Sommermorgen die Hütte mit seinem dämmrigen Licht erfüllte, doch schien dies den Schlaf des Fremden nicht zu stören. Ada und Kiso setzten sich an ihren Tisch und aßen ihr bescheidenes Frühstück.

»Er kann kein Mann unseres Volkes sein«, flüsterte Ada. »Sieh ihn dir an! Er überragt dich um Haupteslänge, hat rotblonde Haare, einen rötlichen Bart, er ist kräftig und breitschultrig und er …«, Ada senkte die Stimme zu einem kaum hörbaren Flüstern, »… er trägt das Zeichen der Saxen auf seiner Schulter.« – »Und er ist ein Magier«, flüsterte Kiso. Auch Kiso fürchtete sich vor dem Fremden, er dachte an das Messer und an die unheimlichen Zeichen auf dessen Klinge: »Einer der Männer hat erzählt, dass in südlichen Ländern Magier mithilfe der Dämonen des Feuers den Stahl so schmieden, dass er hart und biegsam zugleich wird … und dass er solche Zeichen annimmt wie die auf der Klinge seines Messers.« Kiso deutete zum Strohlager, wo der Fremde schlief. »Doch sie schmieden ihre Klingen nur für Fürsten und Könige. Sie werden von diesen reich belohnt. Und sie hüten ihr Geheimnis.«Leise flüsternd sprach Kiso weiter:»Er ist bestimmt einer dieser Schmiede, deshalb wurde er auch von den Mönchen des Königs verfolgt.« – »Nein, Kiso, das kann nicht sein.« – »Und warum nicht, Frau?« Ada schüttelte den Kopf: »Er ist freundlich, er lacht, hat sich bedankt, er hat Schmerzen. Und er hat uns seine Hilfe angeboten, das tut ein Zauberer nicht. Und er hat rötliche Haare, er sieht aus wie ein Saxe, aber nicht wie ein Magier aus den südlichen Ländern. Und er spricht unsere Sprache, auch wenn er manche Worte merkwürdig ausspricht.« Ada sprach leise weiter: »Aber ich fürchte mich vor ihm. Ich habe solch einen Menschen noch nie gesehen … doch, schon: die Saxen. Aber er ist so ganz anders als die Saxen. Sollen wir nicht die anderen Männer holen, solange er noch schläft?« – »Frau! Sei still!« Kiso legte seiner Frau schnell die Hand auf den Mund, er sah ängstlich zu dem Fremden hinüber und schüttelte den Kopf: »Das tun wir nicht. Das wäre ein Bruch des Gastrechts und das war unserem Volk immer heilig.« – »Ja … schon. Wenn du meinst.« Noch einmal schüttelte Kiso den Kopf: »Er hat um Einlass gebeten, hat gewartet, bis ich die Tür geöffnet habe, hat nicht gedroht. Warten wir, bis er wieder erwacht ist.« Kiso und Ada beschlossen, ihre Arbeit auf den Feldern aufzunehmen und den Fremden schlafen zu lassen.

Der Fremde schlief bis zum späten Nachmittag, dann stand er auf und wollte sein Lederwams anziehen, aber sein linker Arm und die linke Seite schmerzten so sehr, dass er es bei dem Versuch beließ. Der Mann stand in der Tür der Hütte, als Kiso und Ada von der Feldarbeit zurückkamen. Sie erschraken, als sie ihn sahen. Die Männer und Frauen des alten Volkes sind klein, fast schwächlich, auch die Männer haben dünne Arme und Beine und nur ein spärlicher Bart wächst ihnen. Männer und Frauen haben glatte Haare, die in der Jugend schwarz sind, aber schon bald grau und weiß werden. Früh gehen die Menschen von der schweren Arbeit gebückt mit krummem Rücken. Doch der Fremde hatte starke Arme und breite Schultern, seine rotblonden Haare hatte er zu einem Zopf gebunden wie die meisten Krieger der Saxen, allerdings trug er den Bart nicht lang und struppig wie die Saxen, sondern hatten ihn kurz geschnitten nach Art der Römer. Kiso und Ada konnten sehen, dass der Fremde die Jünglingsjahre hinter sich gelassen hatte und ins Mannesalter eingetreten sein musste, aber doch noch ein junger Mann war.

Der Fremde grüßte Ada und Kiso freundlich. Als er den fragenden Blick seiner beiden Gastgeber sah, deutete er lächelnd auf das Amulett und erklärte: »Das einzige Geschenk, das ich von meiner Mutter erhalten habe. Könnt ihr mir helfen, mein Wams anzuziehen? Die Wunde schmerzt zu sehr, wenn ich den linken Arm anhebe. Mein rechter Arm … seht selbst!« Der Mann hob den rechten Arm und führte schnelle, kreisende Bewegungen aus. Kiso überlegte, ob der Fremde ihm nur zeigen wollte, dass sein Arm gesund war, oder ob dies als Drohung aufzufassen sein sollte. Der Mann wäre sehr wohl in der Lage – das hatte Kiso verstanden – ihn auch mit nur einem Arm niederzuschlagen. »Mein Kettenhemd …« Der Fremde lachte Ada und Kiso freundlich an: »Ich lasse es in eurer Hütte, wenn ihr erlaubt. Ich werde es hier wohl nicht brauchen, hoffe ich.«

Wie schon in der Nacht zuvor konnte Kiso sehen, dass Brust und Rücken des Mannes von zahllosen kleinen Narben übersät waren. Er konnte sich nicht vorstellen, welche Verletzungen solche Narben hinterlassen haben könnten. Auch liefen diese kleinen Narben alle in einer einzigen Richtung von oben nach unten, wogegen die Narben, welche Peitschenhiebe hinterlassen, an die Kiso zunächst gedacht hatte, quer zum Körper verlaufen. Auch waren die meisten dieser Narben zu klein, um von Peitschenhieben verursacht worden zu sein. Kiso hatte jetzt, im hellen Tageslicht, auch bemerken können, dass der Fremde das Kettenhemd unter seinem Wams längere Zeit auf der Haut getragen haben musste, denn es hatte kleine Verletzungen und Quetschungen verursacht, sodass Brust und Rücken des Mannes an vielen Stellen immer noch stark gerötet waren. Der Fremde bemerkte Kisos fragenden Blick, gab aber keine Erklärung, sondern griff schnell zu seinem Wams und ließ sich von Ada beim Anziehen helfen.

»Ihr müsst Euer Kettenhemd wohl längere Zeit auf dem Leib getragen haben«, sagte Kiso. »War das nicht lästig? Die harten Ringe haben sich an vielen Stellen in die Haut gedrückt, sogar kleine Verletzungen und Schnitte konnte ich sehen. Vielleicht hätte ich auch darüber das Pulver des Druiden reiben sollen?« – »Ach, das sind doch nur Kratzer!« Der Fremde lachte: »Ja, ich habe das Panzerhemd unter dem Wams getragen, wie du bemerkt hast, und musste es anbehalten, denn ich konnte kaum den Arm heben. Und es hat mir das Leben gerettet. Man hielt mich für tödlich getroffen.«

Doch warum er das Kettenhemd unter dem Wams getragen hatte, erklärte der Mann nicht, Kiso aber wagte nicht, noch einmal danach zu fragen. Ada versicherte dem Fremden: »Ich wollte Euer Wams noch waschen und nähen, bevor Ihr es anzieht.« Doch der Mann wehrte lachend ab: »Es sei dir gedankt, aber das ist nicht nötig. Ich habe den Schlamm und Schmutz selbst entfernt und mich auch gewaschen. War wohl nötig nach drei Tagen im Wald und auf der Flucht. Oder waren es vier?« Der Fremde lächelte bitter: »Auch die Zeit davor … Später vielleicht mehr davon.« Dann sah der Fremde Kiso an: »Können wir heute noch zur Schmiede gehen?« Kiso sah jetzt auch, dass der Mann eine Zahnlücke hatte, doch schien die Wunde noch frisch zu sein: »Hat man Euch einen Zahn ausgeschlagen?«, fragte er. »Auch hier hilft das Wundpulver. Soll ich es Euch noch einmal geben?« Doch der Fremde ließ beide Fragen unbeantwortet, er sagte nur verächtlich: »Die Gerechtigkeit eures Königs!« Dann sah er sich um: »Kiso, wo geht‘s zur Schmiede?«

Kiso beeilte sich, dem Fremden zu versichern, dass er ihm gern den Weg zu der verlassenen Schmiede zeigen werde, und die beiden Männer machten sich auf den Weg, um das letzte Licht des späten Nachmittags nützen zu können. Bei Dunkelheit, versicherte Kiso ängstlich, würden er und die anderen Dorfbewohner sich noch nicht einmal in die Nähe der Schmiede wagen, die etwas abseits von den anderen Hütten auf einer kleinen Wiese vor dem Dorf, nahe dem Waldrand gelegen war.

Auf dem Weg zur Schmiede fragte Kiso den Fremden: »Verzeiht, aber ich konnte mir Euren Namen nicht merken, den Ihr uns genannt habt. Er klingt ungewöhnlich für unsere Ohren.« – »Mein Name ist ›Xenos‹. Du wirst ihn dir merken.« Der Fremde lächelte: »Und wenn nicht, werde ich ihn dir gern noch einmal nennen. Ich höre diesen Namen gern, denn er erinnert mich an einen Mann, der mich geliebt und vieles gelehrt hat. Bei ihm habe ich auch das Schmiedehandwerk erlernt. Aber erzähle mir von eurem alten Schmied.« – »Ungern … nur ungern.« – »Tu es trotzdem!«

Kiso berichtete von dem verstorbenen Schmied des Dorfes: »Unsere Herrin hat ihn mitgebracht, als sie hierher kam und ihr Haus, das Haus eines Römers, der einst hier lebte, wieder aufgebaut und eingerichtet hat. Der Schmied war ein streitsüchtiger und herrischer Mann. Er hat uns verachtet, obwohl auch er wie wir alle ein Mann des alten Volkes war.«

Mit zorniger Stimme erzählte Kiso: »Er hat unseren Frauen und Mädchen nachgestellt, wo er nur konnte. Ein widerlicher Kerl. Wenn er nicht ein Günstling der Herrin gewesen wäre! Aber die Herrin hat ihn geschützt, sie hat ihn hin und wieder besucht in seiner Schmiede. Mit ihrem ganzen Tross ist sie gekommen, aber nur sie hat die Schmiede betreten dürfen und nur sie hat es gewagt. In der Schmiede hat unsere Herrin sich mit dem Schmied beraten. Er hat behauptet, geheimes Wissen zu besitzen, das sogar über das Wissen der Herrin hinausgehen würde. Wir haben ihn aber nie gemocht. Keiner von uns hat die Schmiede betreten.« – »Und warum?«, fragte Xenos.

Kiso senkte seine Stimme zu einem ängstlichen Flüstern: »Der Schmied beherrschte die schwarze Magie. Er wollte die Dämonen des Feuers bannen, wollte sie zwingen, ihm zu dienen. Wir haben sie oft im Rauch und Feuer im Schornstein der Schiede auf- und niedersteigen sehen. Warum lacht Ihr?« – »Nichts! Erzähle nur weiter!«

»Die Dämonen haben fürchterliche Rache an ihm genommen: Wir fanden ihn eines Morgens am Boden seiner Schmiede liegend. Er hatte die Augen offen, er war nicht besinnungslos, aber er konnte auch nicht mehr sprechen und sich nicht mehr bewegen. Er hat uns nur zornig aus seinen hervorquellenden Augen angeglotzt. Nach einigen Tagen ist das Aas endlich krepiert … gestorben, meine ich. Wir haben das der Herrin erst gemeldet, nachdem wir seine Leiche weit weg von hier im Moor versenkt hatten.«

Kiso seufzte: »Doch seit diesem Tag sind alle Dörfer hier ohne Schmied, er war der einzige weit und breit. Er hat auch die Waffen der Wachmänner gerichtet, welche unserer Herrin dienen. Ich weiß nicht, wer jetzt deren Waffen richtet.«

Nach einer kleinen Pause fügte Kiso an: »Das ist freilich unsere kleinste Sorge, aber unsere Pflüge, unsere Messer und Beile … Wir haben auch keine Nägel mehr, schon lange nicht mehr. Doch! Ihr könntet uns schon helfen.« – »Das werde ich, gerne werde ich das.Ist es noch weit?« Der Fremde sah sich um: Die Männer und Frauen, die nicht mehr auf den Feldern arbeiteten, zogen sich scheu und ängstlich in ihre Hütten zurück, als sie Kiso und dessen Begleiter sahen. Auch einige Kinder hatten Kiso und den Fremden gesehen. Sie begleiteten neugierig die beiden, aber sie hielten Abstand. Die Kinder waren wie alle Kinder des alten Volkes klein und schwarzhaarig, sie hatten die gebräunte Haut des alten Volkes, sie waren schmutzig und mager und sie trugen verschlissene Fetzen. Keines der Kinder hatte Schuhe oder Sandalen an den Füßen, aber wie die Kinder in aller Welt waren sie neugierig.

Der Fremde deutete auf einen der Knaben: »Wer ist sein Vater?«, fragte er Kiso. Der Knabe, nach dem der Fremde gefragt hatte, überragte die anderen Kinder um Haupteslänge, er hatte helle Haut, Sommersprossen und blonde Haare. »Er sieht so ganz anders aus als die anderen Kinder.« – »Kai, der Knabe heißt Kai. Seine Mutter gab ihm diesen Namen, nicht der Vater. Ein Name des alten Volkes, obwohl der Knabe … lassen wir das.« Trotz des Respekts, den Kiso vor dem Fremden hatte, wagte er zu fragen: »Kanntet Ihr vielleicht seine Mutter?«, doch war er erleichtert, als der Fremde trotz der anzüglichen Frage nicht ärgerlich wurde, sondern lachend auf den Scherz einging: »Ich verstehe den Sinn deiner frechen Frage, Kiso, aber ich bin sicher nicht der Vater des Knaben, bin ich doch erst gestern in euer Dorf gekommen. Also … wer ist sein Vater, wer ist seine Mutter?«

»Wir wollten sie und ihren Balg nicht im Dorf haben, einige von uns wollten sogar beide im Moor ertränken, doch die Herrin verbot es ihnen, als sie davon hörte. Seit dieser Zeit lebt die Frau mit ihrer Brut in einer Hütte am Rande des Dorfes. Sie steht in der Gunst der Herrin. Wir wissen nicht, warum das so ist. Die Herrin besucht sie sogar hin und wieder und sie lässt ihr heimlich Brot und Korn bringen, auch Fische und Wild.« – »Das war nicht die Antwort auf meine Frage, Kiso. Wer ist sein Vater?«

Kiso ließ sich Zeit bei seiner Antwort: »Seine Mutter lebt schon lange Zeit ohne Mann. Der wurde erschlagen bei einem Überfall der Saxen. Der Knabe wurde neun Monate nach diesem Überfall geboren – genau neun Monate, wenn Ihr versteht, was ich damit sagen will.« –»Freilich! Ist nicht schwer zu erraten: Das alte Lied … das alte Leid. Aber erzähle weiter.«

Kiso sah seinen Gast ängstlich von der Seite an: »Der Knabe ist ein Saxe. Ihr kennt die Saxen? Ihr seid … seid Ihr nicht selbst einer?«

Der Fremde war ernst und nachdenklich geworden: »Ja, ich kenne die Saxen, ich habe lange genug unter ihnen gelebt. Sie sind gute Menschen, wenn sie an ihrem Herdfeuer sitzen, aber sie kennen keine Gnade, sie schonen nicht Mann oder Weib, wenn sie auf Kriegsfahrt sind. Sie erschlagen die Männer, vergewaltigen die Weiber und rauben, was sie tragen können.«

Kiso sah seinen Begleiter fragend an: »Ihr sprecht die Worte bisweilen seltsam aus oder gebraucht auch Worte, die ich nicht verstehen kann. Auch meine Frau sagt das. Erklärt Ihr mir, was ›Gnade‹ ist? Ich kenne dieses Wort nicht.« Kiso zögerte: »Und das war nur die halbe Antwort auf meine Frage.«

Jetzt lachte der Fremde: »Gnade … das ist ein Begriff, ein Wort ist es, das die Priester des neuen Glaubens oft und gerne benützen. Du kennst doch die neue Religion? Hat nicht euer König schon längst die alte Lehre verboten und will euch zwingen, den neuen Glauben anzunehmen?« Kiso blieb still, doch der Fremde sah ihn lächelnd an: »Du kannst offen mit mir reden. Weißt du: Mir gelten die Religionen alle gleich, aber die Priester des Königs …« – »Ich mag sie nicht«, sagte Kiso schnell.

Der Mann ließ eine Pause entstehen, dann sagte er mit Verachtung in der Stimme: »Ich mag sie auch nicht. Und was ist nun ›Gnade‹? Ach, lassen wir das! Vielleicht ergibt sich später die Gelegenheit, dir das zu erklären. Und wenn nicht …« Der Fremde machte eine wegwerfende Handbewegung. »Nicht so wichtig.«

»Wir sind da. Das hier ist die Schmiede«, sagte Kiso und stieß die Tür der Schmiede vorsichtig mit weit vorgestrecktem Fuß auf. »Hier liegt alles noch so, wie es der tote Schmied hat liegen lassen, als die Dämonen ihn geschlagen und wir ihn aus seiner Schmiede getragen haben. Keiner von uns traut sich hierher seit jener Zeit – und zuvor hat es auch keiner gewagt.« Immerhin wagte es Kiso jetzt, in Begleitung des Fremden, der keine Angst zu haben schien, die Schmiede zu betreten. »Lasst die Tür offen!«, sagte Kiso schnell. »Sonst ist es zu dunkel in der Schmiede.« –»Und du würdest dich fürchten«, ergänzte der Fremde lachend. »Ist es nicht so?« – »Schon. Ein wenig.«

Der Fremde sah sich in dem verlassenen Raum um: An einer Stelle schien das Dach undicht geworden zu sein, denn auf dem Boden hatte sich eine schlammige Pfütze gebildet, an vielen Stellen wuchsen Gras oder Moos und die herumliegenden Werkzeuge hatten Rost angesetzt; einige dürften wohl unbrauchbar geworden sein. Über allem lag ein moderiger Geruch, durchmischt mit dem Gestank nach erkaltetem Feuer und Rauch, der immer noch von der Esse aufzusteigen schien. Auf dem ledernen Blasebalg hatte sich eine dicke Staubschicht abgelagert, und als der Fremde ihn probeweise betätigte, wirbelte er eine dichte Staubwolke auf, sodass er und Kiso husten mussten.

Kiso wollte ängstlich aus der Schmiede flüchten, weil er aus einer Ecke eine huschende Bewegung gesehen und ein Rascheln vernommen hatte: »Die Dämonen! Die Dämonen des Feuers! Sie sind immer noch hier«, flüsterte er und deutete in die Ecke, in der er die Bewegung gesehen hatte.

Der Fremde ging in die Ecke, in der Kiso die Dämonen vermutete, und drehte sich lachend um: »Kiso! Das sind keine Dämonen. Ein Mäusenest! Du musst dich nicht fürchten.« Kisos Begleiter sah sich noch einmal in der verlassenen Schmiede um: »Wo ist das schwarze Holz?«, fragte er, doch Kiso blickte ihn verständnislos an: »Das schwarze Holz? Was meint Ihr?« – »Ein Schmied braucht Feuer, Kiso, um das Eisen zu schmieden.« Der Fremde deutete auf den Herd und den Blasebalg: »Und dazu braucht er Holz, trockenes Holz, noch besser schwarzes Holz … Holzkohle. Oder habt ihr hier die brennbaren, schwarzen Steine, die es in eurem Land geben soll? Die wären freilich noch besser.« Kiso geriet ein wenig in Verlegenheit: »Der Schmied hat das Holz im Forst der Herrin geschlagen. Er durfte das, sie hatte es ihm erlaubt. Wir wagen uns nicht in den Forst der Herrin. Der Schmied hat das Holz in dem Schuppen neben der Schmiede gelagert. Und wir haben es …« – »Ich verstehe.« Der Fremde war seinem Gastgeber lachend ins Wort gefallen: »Ihr habt euch das Holz genommen und wohl längst alle Vorräte aufgebraucht. Das ist schlecht. Wie soll ich Eisen schmieden ohne Feuer?« Der Mann sah Kiso fragend an: »Und wo ist der Forst eurer Herrin? Glaubst du, ich darf dort auch Holz schlagen wie der alte Schmied?« – »Ihr solltet es nicht wagen, diesen Forst zu betreten.« Kiso schüttelte ängstlich den Kopf: »Die Dämonen, die den Wald bewachen, werden Euch in einen Baum verwandeln oder in eines der Tiere des Waldes … wenn Ihr Glück habt. Und wenn nicht, verwandelt Euch die Herrin in eines der widerlichen, unreinen Tiere, die unter der Erde leben müssen. Niemand von uns hat es jemals gewagt, auch nur einen Fuß in diesen Wald zu setzen.« Der Fremde lachte: »Ach, Kiso! Ich bin durch diesen Wald gerannt, getorkelt. Ich war schwach, verwundet durch einen Pfeilschuss und hilflos. Ich wäre eine leichte Beute gewesen, doch kein Dämon hat mich angegriffen … nur die Dämonen, die in uns wohnen.« – »In uns?«, fragte Kiso und sah seinen Begleiter verständnislos an, doch der schüttelte den Kopf: »Nicht so wichtig. Aber kein Schmied ohne Feuer … und kein Feuer ohne Holz.« Immer noch kopfschüttelnd erklärte der Fremde: »Wenn ich Schmiedearbeiten für euch machen soll, müsst ihr mir von dem Holz abgeben, das ihr euch genommen habt – wenn ihr es noch habt. Oder ich werde selbst Holz schlagen und Holzkohle machen müssen. Gehen wir! Ich habe genug gesehen.« Kisos Gast seufzte: »Das wird noch viel Arbeit werden.«

Auf dem Weg zurück zu Kisos Hütte wurden die beiden wieder von einer Kinderschar in respektvollem Abstand begleitet, unter ihnen auch der Knabe mit dem Aussehen eines Saxen. Er näherte sich Kiso und ließ sich von diesem ansprechen: »Du willst doch etwas von uns, Kai. Sag es, du musst dich vor dem fremden Mann nicht fürchten«, sagte er zu dem Knaben, aber Kisos Gast merkte sehr wohl, dass Kiso trotz seiner gut gespielten Freundlichkeit Vorbehalte gegen den Knaben hatte. Der Knabe sah traurig zu Boden: »Meiner Mutter geht es nicht gut«, sagte er ängstlich. »Sie ist schwach, kennt mich kaum noch. Sie redet nicht mehr mit mir, sie hustet … manchmal Blut.« Die Stimme des Knaben zitterte. Kiso und sein Begleiter sahen, dass er mit den Tränen kämpfte.

»Das klingt nicht gut«, flüsterte der Fremde Kiso zu. »Können wir die Frau besuchen?«, fragte er. »Vielleicht kann ich der Frau helfen. Bei meinem Lehrer habe ich nicht nur die Schmiedekunst erlernt. Ich verstehe mich auch auf die Heilkunst … ein wenig.« Kiso weigerte sich, die Frau zu besuchen: »Ich muss zurück zu Ada. Der Junge wird dir den Weg zeigen«, sagte er. »Ich betrete die Hütte dieser Frau nicht. Sie ist die Mutter eines säxischen Bastards.«

Kisos Begleiter fuhr herum und wollte eine scharfe Antwort geben, die ihm auf der Zunge lag, doch er beherrschte sich: »Freilich. Aber sie ist auch eine Frau deines Volkes, die sich nicht hat wehren können gegen die Gewalt, die man ihr angetan hat. Und wo warst du, als sie vergewaltigt wurde? Hast du ihr zu helfen versucht? Oder bist du mit den anderen davongerannt? Und in dem Knaben fließt auch das Blut deines Volkes. Hast du daran schon gedacht?«, fragte er Kiso, dann drehte er sich um und wartete eine Antwort nicht ab. Der Fremde sah den Knaben freundlich an: »Kai ist dein Name? Ich heiße Xenos. Du musst keine Angst vor mir haben. Gehen wir zu deiner Mutter. Vielleicht kann ich ihr helfen. Zeigst du mir den Weg?«

Die Hütte, in der Kai und seine Mutter lebten, stand etwas abseits von den anderen Hütten der kleinen Siedlung, sie war klein und so nieder gebaut, dass der Fremde sich bücken musste, als er eintrat. Auf einem ärmlichen Lager aus Stroh lag eine dunkelhaarige Frau, sie hatte die Augen geschlossen und schien tief zu schlafen. Ihr Gesicht wirkte eingefallen und die Knochen des Schädels zeichneten sich schon unter der fahlen Haut ab.

»Wenn sie hustet, spuckt sie Blut«, flüsterte der Knabe. »Und sie isst nichts mehr, spricht nicht mehr mit mir. Ihr Kopf ist heiß und sie schläft nur noch. Wir haben nichts mehr zu essen, nur noch alte Rüben … kein Brot, keine Milch. Könnt Ihr sie heilen?« Der Fremde sah Kai traurig an: »Ich fürchte, dass deine Mutter krank ist, sehr krank. Ich werde ihr … nein, ich werde ihr nicht helfen können. Deine Mutter wird uns schon bald für immer verlassen müssen. Sie wird zur Erdmutter zurückkehren.«

Der Knabe verstand und begann zu weinen, doch der fremde Mann drückte ihn an sich: »Ich werde Kiso bitten, dass die Weiber des Dorfes sich um deine Mutter kümmern. Sie kann nicht alleine bleiben. Auch du kannst nicht allein bleiben … du kommst mit mir. Deine Mutter braucht Ruhe.« Fürsorglich zog der Fremde die schmutzige Decke der Kranken etwas höher, er streichelte der schlafenden Frau zärtlich die Wange und machte eines der Heilszeichen des alten Volkes über ihr. Dann ging er mit Kai zu Kisos Hütte.

Vor Kisos Hütte standen die Männer des Dorfes, sie redeten und stritten mit Kiso und schienen ärgerlich und aufgeregt zu sein, doch als sie den Fremden und Kai sahen, verstummten sie sofort, wichen einige Schritte zurück und starrten die beiden feindselig an. Kai drehte sich um und wollte davonlaufen, doch der Fremde hielt ihn zurück: »Komm mit!«, sagte er. »Du kannst nicht immer davonlaufen.«

Die Männer der Siedlung waren kurz zuvor mit dem Ältesten des Dorfes zu Kisos Hütte gekommen: »Du beherbergst einen Saxen«, hatte der Älteste Kiso vorgeworfen. »Warum tust du das? Er soll das Dorf verlassen.« – »Oder wir werden ihn erschlagen!«, hatten die Männer gebrüllt. Kiso hatte widersprochen: »Er kam in friedlicher Absicht. Er ist auf der Flucht, wird gejagt von den Priestern des Königs. Die mögt ihr doch auch nicht. Und er ist verletzt, er war hungrig und durstig. Wollt ihr das Gastrecht missachten?«

Doch die Männer hatten gemurrt, zu groß war der Hass auf die Saxen: »Schlagt ihn tot, den Saxen!«, hatte der eine oder andere von ihnen gerufen, doch nun, als der Saxe vor ihnen stand, wagte keiner auch nur ein Wort zu sagen.

Der Älteste des Dorfes trat vor. Er war ein alter Mann mit krummem Rücken, er war vom Alter und der harten Arbeit auf den Feldern so weit vornübergebeugt, dass er den Kopf weit in den Nacken legen musste, um dem Saxen ins Gesicht sehen zu können. Dann senkte er den Kopf wieder und sagte in der Stille, die nun eingetreten war, gut vernehmbar: »Wir achten das Gastrecht. Es ist ein uraltes, ein heiliges Gesetz unseres Volkes. Aber wir lieben die Saxen nicht … was du verstehen wirst. Wir geben dir drei Tage. Dann musst du das Dorf verlassen haben.« Der Älteste verstummte und wartete auf eine Antwort, doch er fürchtete sich vor diesem Mann. Auch die Männer, die sich vor Kisos Hütte versammelt hatten, wagten es nicht, etwas zu sagen, sondern sahen nur ängstlich zu Boden. Groß war ihre Angst vor der Gewalttätigkeit der Saxen, die sie schon oft hatten erleben und erleiden müssen.

Der Fremde sah sich kurz um, dann sagte er mit leiser Stimme: »So soll es sein. Ich gehorche deinem Befehl. Ich werde schon morgen oder den Tag danach euer Dorf verlassen. Doch zuvor hört mich an: Eure Weiber müssen sich um Kais Mutter kümmern.« Der Saxe schob den Knaben, der sich ängstlich hinter ihm zu verstecken versucht hatte, vor sich: »Seine Mutter ist krank, sie braucht Pflege und sie ist eine Angehörige eures Volkes. Es ist eure Pflicht, euch um sie zu kümmern.« Der Mann legte beide Hände auf die Schultern des Knaben: »Und wenn die Erdmutter die Frau zu sich holt, müsst ihr euch auch um ihn kümmern. Er ist doch fast noch ein Kind.« Der Fremde hob seine Stimme etwas: »Was aber mich betrifft: Wenn ihr mir erlaubt, werde ich meinem Gastgeber Kiso meinen Dank abstatten, indem ich noch einige Schmiedearbeiten für ihn ausführe. Danach werde ich gehen.« – »Du bist ein Schmied?«