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Ein leichtfüßig erzählter Frauen-Roman in der

Edition BoD

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hrsg. von Vito von Eichborn

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Bücher für Entdecker

Books on Demand bietet Autoren ein neues Verlagskonzept. Viele Debütanten, etablierte Autoren und engagierte Verleger nutzen den Publikationsservice von Books on Demand und bereichern den Buchmarkt mit interessanten und außergewöhnlichen Titeln. Vito von Eichborn, einer der innovativsten Buchmacher Deutschlands, wählt als Herausgeber für die Edition BoD herausragende Neuerscheinungen aus. Lesen Sie selbst, welche Entdeckungen das Programm von Books on Demand möglich macht.

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Susanne Schulze-Ploog, Jahrgang 1957, hat sich als Diplom-Psychologin und Journalistin jahrelang mit Frauen-Themen beschäftigt, zuletzt als Chefredakteurin einer großen deutschen Frauenzeitschrift. Sie lebt als freie Autorin in Hamburg und Genua; Kontakt: www.wunderjahre.de.

Vito von Eichborn war Journalist, dann Lektor im S. Fischer Verlag, bevor er 1980 den Eichborn Verlag gründete, dessen Programm noch heute ein breites Spektrum umfasst: Humor, Kochbücher und Ratgeber, Sachbücher aller Art, klassische und moderne Literatur sowie die Andere Bibliothek. Nach seinem Ausstieg im Jahre 1995 war er u. a. Geschäftsführer bei Rotbuch / Europäische Verlagsanstalt und sechs Jahre Verleger des Europa-Verlags. Seit 2005 ist Vito von Eichborn selbständig als Publizist tätig und fungiert seit März 2006 als Herausgeber der Edition BoD. Im Jahr 2010 hat er seinen Lebensmittelpunkt nach Mallorca verlegt (siehe www.vitolibri.de).

Warum sollten wir schweigen,
wenn die Hormone das Leben
gerade so spannend machen?

Inhaltsverzeichnis

Meine Buchhändlerin sagte mir, »ja«, sagte sie …

Badezimmer-Abenteuer

Wenn die Binden Flügel kriegen

Warum gucken die so blöd?

Mit kneifender Hose

Zahnarzt oder Zungenkuss

Besuch beim Hobby-Gynäkologen

Bikini-Träume

Bikini-Nöte

Oh, süße Eifersucht

Bitterer Nachschlag

Pillen-Premieren

An der Gürtellinie

Der Anfang vom Ende

Alles nur Zahlen

Meine Buchhändlerin sagte mir, »ja«, sagte sie …

Ja, das hört sich gut an. Freche Frauenthemen gehen ja immer, nun schon seit über zwanzig Jahren. Aber dieser provokante Titel irritiert mich. Worum geht’s denn?“

„Unsere Ich-Erzählerin berichtet, wie es ihr erging – als Teenager und als reife Frau in den Vierzigern. Ich muss zugeben, dass ich als Mann etwas befangen bin bei intimen Schilderungen von puren Frauenfragen. Dies jedoch ist so liebevoll geschrieben, dass es auch für mich etwas Erhellendes hat. Dies sind keine Neuigkeiten, es geht um das Spüren. So ticken sie also, diese unbegreiflichen Wesen, wenn …“

„Nun also mal raus, noch mal: Worum geht’s denn überhaupt?“, unterbrach mich meine Buchhändlerin, wie sie es gerne macht.

„Also gut. Es geht um den ersten und den letzten Tampon im Leben einer Frau. Es geht um einen ekligen Zungenkuss und um Fragen des Gewichts, der Figur und der Diät. Um den werdenden und um den vollreifen Busen. Um Blut auf dem Flokati und um Sex im Alter. Um Bikini-Fragen damals und heute, um Eifersucht, ums Fremdgehen – kurz: um vieles, worüber ‚man nicht spricht’.“

„Ja, aber“, meine Buchhändlerin klang skeptisch, „das hört sich doch alles sehr banal an. So isses eben. Wieso …“

„Banal?“, unterbrach nun ich empört. „Gibt es für ein dreizehnjähriges Mädchen was Wichtigeres als die ersten Tage? Für die erfolgreiche Chefin was Wichtigeres als die Frage, ob ihr Mann fremdgeht? Sind Schule und Beruf nicht viel banaler als diese essentiellen Daseinsfragen?“

„Na ja, wenn man das so betrachtet“, meine Buchhändlerin schaute nachdenklich, „dann sind bei uns Frauen tatsächlich so alltägliche Fragen und Zusammenhänge wichtiger, als man sich das eingesteht.“

Ich holte Luft. Innerlich fühlte ich mich nun doch erleichtert, denn ich hatte das Gefühl, mich auf gefährlich vermintem Gelände zu bewegen.

„Was der Autorin halt so gut gelingt: Sie nimmt diesen intimen Begebenheiten jede Peinlichkeit. Das ist leichtfüßig erzählt, sehr verständnisvoll, auch für mich nachvollziehbar, geradezu lustig. Methodisch nutzt sie zweierlei Tricks: Zum einen wechselt sie zwischen den Geschichten und Erlebnissen der werdenden und der alternden Frau. Zum zweiten lässt sie die Erzählerin ihre Gedanken zu dem, was passiert, wie einen inneren Dialog formulieren, der in anderer Schrift gesetzt ist. Was denkt der Teenager über die Ratschläge der Mutter, was die Erfolgsfrau über die jüngeren Kolleginnen? Dabei schafft sie es, dass …“

Meine Buchhändlerin hörte mir überhaupt nicht mehr zu. Sie hatte das Buch genommen, hier und da hineingelesen, murmelte kaum verständlich: „Das ist ja wirklich luftig unterhaltsam“, und: „Aber ja, genau, das kenne ich …“ – als es an der Ladentür klingelte.

Mit dem Buch in der Hand düste sie zum Eingang – wenn Kunden kamen, war ich immer abgemeldet.

Ich kann nur hinzufügen, dass dies zunächst natürlich ein Buch vor allem für junge Frauen ist, die sich selbst wiederfinden. Aber auch unsereiner, vor allem werdende Männer, bekommt eine Ahnung, was die andere Hälfte der Menschheit so umtreibt.

Vergnügliche und erhellende Lektüre
wünscht
Vito von Eichborn

Badezimmer-Abenteuer

Mütter können ja so was von nervig sein. Vor allem, wenn man bald dreizehn ist und gerade heimlich „Bravo“ liest. Da war sie schon wieder, die Stimme meiner Mutter, dieses Mal aus dem Badezimmer: „Lenchen, jetzt komm endlich!“

„Klingt sie böse?“

„Nein.“

„Klingt sie streng?“

„Eigentlich wie immer. Ja.“

„Taubstellen ist also zwecklos?“

„Absolut. Wahrscheinlich sollst du die Wanne putzen.

Oder den Boden fegen. Oder den Waschbecken-Abfluss von Annes langen Haaren befreien.“

Nach diesem kurzen Selbstgespräch versteckte ich die „Bravo“ unter der Matratze und machte mich langsam auf den Weg über den Flur.

„Hoffnung!“

Der Wischeimer stand eindeutig schon benutzt auf dem Treppenabsatz. Dann blieben also höchstens noch die kleineren Putzarbeiten.

„Das ist mit der ‚Reichlich-Meister-Proper-Technik‘ schnell erledigt. Kein Problem.“

Aber ich hatte mich gründlich getäuscht. Statt Putz-Aufträge zu verteilen, wurde meine Mutter feierlich.

„Ich zeige dir was.“

„Ach so?“ Ich war ein bisschen beunruhigt. Sie stand neben der verbotenen Kommode! Das war ein mittelgroßes Holzteil mit schwerer Marmor-Platte obendrauf, Klapp-Tür und Schublade vorn. Zum Inhalt hatte es für mich und meine kleine Schwester Luise bis jetzt nur kurz und knapp geheißen: „Geht euch nichts an.“ Also hatten wir schon mehrfach die Tür geöffnet. Wir waren inzwischen Profis im Überlisten des Magneten. Wenn man nämlich nicht vorsichtig und langsam genug öffnete oder schloss, gab es dieses unangenehm laute „Plopp“, das uns leicht hätte verraten können. Aber da wir häufig checken mussten, ob sich hinter der Tür endlich etwas getan hatte, waren wir in Übung. Trotz der vielen Versuche entdeckten wir allerdings wenig Spannendes. Die in helles Papier gewickelten, etwa fünfzehn mal zwanzig Zentimeter großen Pakete schienen uns die Heimlichtuerei nicht wert. Manchmal war eins offen und wir konnten „Camelia“ lesen. Das sagte uns nichts. Wir untersuchten vorsichtig den Inhalt: Längliche Watteteile, umgeben von einem feinen Netz. Das Rätselraten nahm kein Ende.

„Meinst du, das ist was Unanständiges?“, fragte Luise.

„Muss ja. Sonst wäre es nicht geheim“, erklärte ich.

„Aber was kann man damit machen?“

„Keine Ahnung. Vielleicht was aus dem Buch.“

Das Buch war ein Taschenbuch mit Fotos aus der „Berliner Kommune 1“. Wir hatten es zufällig unter der Glaswolle in einer Abseite mit Faschingskostümen entdeckt. Als wir blätterten, staunten wir nicht schlecht. Alle paar Seiten entdeckten wir kleine Schwarz-Weiß-Fotos von Männern und Frauen, die nackt auf dem Teppich saßen oder über Sessellehnen hingen.

Das war unanständig.

„,Camelia‘ hab ich da nirgends gesehen.“ Luise war unzufrieden.

Was die Watteteile betraf, kamen wir einfach nicht weiter. Aber ich spürte, hier mit meiner Mutter nahte die Auflösung. „Plopp!“ Mein Herz klopfte etwas schneller, als sie die Kommoden-Tür öffnete. Hatten wir beim unerlaubten Nachgucken etwa Spuren hinterlassen?

„Plopp!“ Meine Mutter hatte es sich anders überlegt. Sie schloss die Tür wieder und ging zur hellgrünen Wäschewanne neben der Toilette. Sie nahm eine Unterhose heraus und zeigte mir einen kleinen dunklen Fleck, relativ weit vorn.

„Von einem schlecht abgewischten Po kann das nicht kommen.“

Es war der einzige Gedanke, der mir durch den Kopf schoss.

Und richtig. „Wenn das bei deiner Hose auch mal so aussieht, dann kriegst du deine Tage“, erklärte sie. Mir war es komisch, die Unterhose meiner Mutter zu begutachten, und ich war froh, als das Teil zurück in die Wanne wanderte.

Jetzt ging es wieder rüber zur Kommode. „Plopp!“ Sie griff eins der Watteteile, die ich gut kannte. „Das ist eine Binde.“

„Ach so.“ Ich war irritiert.

„Was soll eine Binde sein?“

„Die nimmst du und steckst sie in deine Unterhose.“ Ihr Blick fügte hinzu: „Und stell dich nicht an!“

„Ist gut.“ Denn von einer Sache war ich mit knapp dreizehn überzeugt: Es gibt Dinge, die findest du besser allein heraus, statt wie ein kleines Kind dauernd zu fragen: „Warum?“ Ich guckte so erwachsen wie möglich und beendete damit die unheimliche Kommoden-Besichtigung.

Auch wenn ich nicht viel schlauer war als vorher, hatte ich ja immerhin eine klare Ansage.

„Du darfst die Tür ab jetzt ohne Angst vor dem Magnet-Geräusch öffnen. Du gehörst zu den Großen, die die Erlaubnis von ganz oben haben.“

Die nächste logische Folge war: Schuhe mit Absätzen, Makeup-Erlaubnis nicht mehr nur zum Fasching, Teilnahme an der halbjährlichen Weinprobe in unserem Wohnzimmer …

Die erste Woche nach der offiziellen Binden-Genehmigung ging ich ungefähr dreimal so häufig zur Toilette wie sonst. Ich musste kontrollieren, ob es vielleicht schon so weit war. Aber es passierte gar nichts. Im Gegenteil. Statt meine Tage zu kriegen, entwickelte ich eine äußerst lästige Angewohnheit, die mich als Quasi-Erwachsene weit zurückwarf. Alle vier Wochen überfielen mich nachts wahnsinnige Kopfschmerzen und mir wurde schlecht. Heulend schlich ich die knarrende Holztreppe zum Schlafzimmer meiner Mutter runter und stand schluchzend an ihrem Bett. „Ich muss kotzen.“

Dann wurde im Dunkeln die Couch nebenan gerichtet, ich kriegte einen blauen Eimer und den Trost: „Morgen gehst du nicht zur Schule, schläfst aus. Mittags fühlst du dich schon wieder besser.“ Ein knappes Jahr dauerte diese monatliche Plage. Und während eine Schulfreundin nach der anderen nicht mehr jeden Dienstag zum Schwimmunterricht musste oder beim Turnen auch mal auf der Bank sitzen blieb, hatte ich sogar die Unterhosen-Beobachtung wieder komplett eingestellt. Allerdings wusste ich inzwischen sehr genau, was die Tage waren. Es blutet und tut weh. Deshalb kann man sich nicht bewegen und weil man die Binden braucht, kann man selbstverständlich auch nicht ins Wasser gehen. Da ich den Sportunterricht hasste, musste ich die gute Nachricht beim Mittagessen loswerden. „Wenn man seine Tage hat, kann man nicht turnen“, erklärte ich triumphierend.

„Quatsch!“, die Antwort kam dreistimmig von meiner Mutter und meinen beiden großen Schwestern. „Sehr wohl. Dann bleibt man auf der Bank sitzen und damit das nicht peinlich ist, sagt man als Erklärung einfach: ‚Kreuz‘.“

„Bewegung tut sogar gut, wenn man seine Tage hat. Also wirst du dich nicht auf die Bank setzen.“ Ich war enttäuscht. Nur in Sachen Schwimmunterricht machte meine Mutter mir Hoffnung.

„Da musst du tatsächlich nicht hin.“ „Warum das denn nicht?“ Die Schwestern waren schon wieder empört. „Wenn sie Tampons nimmt, kann sie natürlich schwimmen gehen.“

„Oh Gott!“

Vor Tampons hatte ich bis jetzt enormen Respekt. Ich wusste aus den vier Stunden Sexualkunde-Unterricht ohne Jungs, dass man sie in die Scheide stopft und dass man dabei das Jungfernhäutchen verletzen kann. Das schien mir nicht erstrebenswert.

Aber das würde ich bei Pellkartoffeln und Quark bestimmt nicht diskutieren. Also war ich sehr froh, als meine –zwanzig Monate jüngere – Schwester nun ein für sie entscheidendes Thema zur Klärung brachte.

„Darf ich mir heute bei Karstadt Schaumerdbeeren kaufen? Von meinem Geld“, fragte Luise. Ihr Vermögen steckte in Juanito, dem Fußball-Weltmeisterschafts-Maskottchen von 1970. Er stand im mexikanischen Nationaltrikot mit Sombrero auf dem Kopf und relativ gut gefülltem Bauch neben ihrem Mäusekäfig. Immer wenn sie aus dem Verkauf des Mäuse-Nachwuchses (fünfzig Pfennig pro Stück Maus) Geld einnahm, wanderte ein Teil davon in Juanito. Nun durfte sie über ihr kleines Mäuse-Einkommen eigentlich selbst entscheiden. Das Problem war ein anderes. Sie hatte sehr schlechte Zähne und brauchte deshalb eine Genehmigung für die Süßigkeiten. Die klebrigen Schaumerdbeeren waren ihr absoluter Favorit. Außer ihr konnte sich in der Familie niemand so richtig dafür begeistern und deshalb waren die erlaubten hundertfünfzig Gramm eine kluge Investition in einen sicheren Drei-Tage-Vorrat.

„Schon wieder?“, fragte meine Mutter.

„Wieso schon wieder?“ Die Wochen-Abstände zwischen ihren Karstadt-Ausflügen waren für meine Schwester gefühlte Monate, für meine Mutter gefühlte Stunden. Sie wollte Aufschub.

„Heute Nachmittag wird erst mal Unkraut gejätet.“

„Ich?“

„Du und Lenchen.“

Also wieder die „beiden Kleinen“. Es erwischte uns wirklich häufig. Aber heute war es mir schon egal. Warum nicht Unkraut jäten, wenn das Leben sowieso nicht so lief, wie ich mir das vorstellte? Pausenloser Sportunterricht bis zum Abitur, wöchentliches Ringetauchen bis zum Fahrtenschwimmer, zerstörtes Jungfernhäutchen …

Während wir Quecken aus dem Blumenbeet zogen, ging Luise der Sache auf den Grund.

„Hast du schon deine Tage?“

„Nein.“

„Sagst du mir, wenn du deine Tage hast?“

„Ja.“

„Ich kenn welche, die haben schon ihre Tage.“

„Ich auch.“

„Kann man nicht einfach so tun, als ob man seine Tage hätte?“

„Wüsste nicht, wie.“

„Na, einfach Binden tragen.“

„Die bleiben doch sauber, wenn man seine Tage noch nicht hat. Das ist Verschwendung. Das erlaubt Mutter nicht.“

Verschwendung war die größte Sünde in unserem Haus.

„Natürlich heimlich!“

„Wie denn heimlich? Das merken die anderen doch, wenn Binden fehlen.“

„Nur eine.“

„Nein.“

„Kannst es dir ja überlegen.“

Das klang ehrlicherweise bedrohlich. Denn Luise brachte so was fertig. Sie war mutiger in fast allem. Sie trug Hotpants. Ich Schlag-Jeans. Sie trug Knautschlack-Stiefel mit Schlangenleder-Muster. Ich Turnschuhe. Zwar war ihr in dieser Sache sicher klar, dass ich eine Art natürlichen Vorsprung hatte – und auch behalten sollte. Aber ihre Geduld war nicht endlos und wenn ich nicht aufpasste, würde sie vor mir eine Binde tragen. So viel wusste ich. Es passierte dann an einem Freitag im April.

Drei Monate vor meinem vierzehnten Geburtstag. Ich hatte keine Schmerzen.

Ich entdeckte nur nach der Schule den berühmten Fleck. „Dann brauchst du wohl eine Binde“, sagte ich noch auf dem Toilettenrand.

Ich atmete einmal tief durch und ging zur Kommode.

Ich achtete auf ein leises „Plopp“. Ich wollte das erst mal mit mir allein ausmachen.

„Legt man die Binde jetzt über den Fleck?“

Ich beschloss: Nein. Also Tür wieder zu. Plopp. Ich holte eine frische Unterhose aus meinem Wäscheschrank. Dann ging ich zurück ins Badezimmer, versteckte die Fleck-Hose ganz unten in der Wäschewanne. Ein letztes heimliches „Plopp“. Ich legte die Binde ein.

„Geschafft. Jetzt mach Schularbeiten!“

„Schularbeiten? Es ist Freitag!“

„Macht nichts. Das lenkt ab. Was willst du sonst tun?“

Ich setzte mich an meinen Schreibtisch und versuchte, mich zu konzentrieren. Bei den Mathe-Aufgaben klappte es gar nicht, also wechselte ich zu meinem Lieblingsfach Französisch. Aber auch da kriegte ich die Übersetzung nicht auf die Reihe.

„Das Teil zwischen den Beinen macht blöd.“

Ich fühlte mich den ganzen Nachmittag wie insgesamt in Watte gepackt. Nicht ganz auf dieser Welt. Abends hatten wir Ballett-Karten für „Romeo und Julia“. Ich saß auf einem roten Samtsessel in der Hamburger Staatsoper und fand den Rahmen für einen ersten Abend mit Binde sehr angemessen. Langsam hatte ich mich an das akute Gefühl zwischen den Beinen gewöhnt und entspannte mich etwas. Das hieß, ich kriegte von „Romeo und Julia“ nicht viel mit, denn nun ging das Grübeln los.

„Was ändert sich jetzt?“

Alles kreiste um diese Frage.

„Endlich kannst du mitreden, wenn es um die Tage geht.“

Zwar vermisste ich immer noch die von Schulfreundinnen dramatisch beschriebenen Krämpfe, aber ich war zuversichtlich, dass die schon noch kommen würden.

„Wärmflasche auf dem Bauch, keine weißen Hosen in dieser Woche … Alles jetzt auch dein Thema!“

Aber das konnte ja längst nicht alles sein.

„Vielleicht kommt nun auch Engtanzen in Frage.“

Tessie, meine beste Freundin, und ich hatten bisher fluchtartig jede Veranstaltung verlassen, wenn die Musik langsamer wurde. Bei „In the summertime“ von Mungo Jerry waren wir noch auf der sicheren Seite. Bei „Eloise“ von Berry Ryan wurde es schon brenzlig und höchste Gefahr drohte bei „Lady in Black“ von Uriah Heep. Dabei war es ein Mal passiert, dass ein Junge in mein Haar schnaufte.

„Dieser heiße Atem! Grausam. Und wie eklig muss dann erst Zungenküssen sein!“

Klar war ich schon verliebt gewesen. Aber sicherheitshalber erst monatelang in meinen Mathelehrer und dann in den schönsten Jungen aus der Klasse. Bei beiden hatte ich selbstverständlich absolut keine Chance.

„Oder guckt Michael in der letzten Zeit doch oft zu mir rüber?“

„Und wenn er tatsächlich küssen will?“

„Igitt! Fremde Spucke!“

„Aber irgendwann muss es sein. Wir können nicht ewig die Hälfte der Klassenfeste im Toilettenvorraum verbringen. Oder stundenlang auf der Bank vor der Schule warten, ob vielleicht Jungs vorbeikommen, und dann abhauen, wenn es endlich so weit ist. Das ist lächerlich. Kindergarten.“

Tessie hatte ihre Tage noch nicht.

Nach dem Wochenende waren mir zwei Dinge klar: Das Bluten ist nicht schlimm, weil keine Unmengen aus einem heraussprudeln, wie ich zwischenzeitlich befürchtet hatte. Aber Binden sind eine Pest. Sie stören in engen Hosen, verrutschen oder scheuern in weiten und es riecht nicht sehr angenehm. Am Montag ging ich nach der Schule in den Drogeriemarkt um die Ecke. Da gab es schon Selbstbedienung und ich konnte mich unauffällig und ungestört am Regal umsehen.

„‚Tampax‘ oder ‚o.b.‘?“

Diese Frage hatte ich längst entschieden. „Tampax“ mit Applikator kamen überhaupt nicht in Frage. Denn die Papphülsen zum Einführen waren nur etwas für Angsthasen. Alle Mädchen in meiner Klasse, die „Tampax“ nahmen, statt den eigenen Zeigefinger zu gebrauchen, mochte ich nicht. Mädchen, die quietschen, wenn Jungs in der Nähe sind. Die Trocken-Shampoo benutzen. Die sich nichts trauen. Es musste also „o. b.“ sein.

„Aber welche Größe?“

Es gab „normal“ und „super“.

„Selbstverständlich die kleinere!“

Das Jungfernhäutchen machte mir immer noch Sorge. Ich nahm eine Zehner-Packung „normal “ und ging zum Bezahlen.

Während ich in der Schlange stand, machte sich eine Stimme in meinem Kopf breit. Sie kam aus Richtung Kasse.

„Ach, das ist wohl das erste Mal, dass du Tampons kaufst?“

„Entschuldigung! Müsste man nicht gesiezt werden, wenn man Tampons kauft?“

„Du siehst nicht besonders erwachsen aus.“

„Bin ich aber. Und Tampons nehme ich schon ewig. Echt praktisch. ‚o. b.‘ – ‚ohne Binde‘ eben.“

Das hatte ich in „Bravo“ gelesen. Ein echter Trumpf. Wer wie aus der Pistole geschossen weiß, was die Abkürzung bedeutet, kennt sich garantiert auch mit der Handhabung bestens aus. Das sollte die Ziege in ihrem hellblauen Nyltest-Kittel überzeugen. Aber die imaginäre Fragerei ging weiter.

„Und warum kaufst du dann nur die kleinste Packung? Die reicht doch nicht mal für eine Periode.“

„Ich habe zu Hause noch genug. Die hier sind nur für unterwegs.“

Mir wurde heiß. Was, wenn die Verkäuferin nicht nur eine heimliche Stimme, sondern auch Röntgenaugen hatte? Sie würde die Binde in meiner Hose sehen. Sie würde wissen, dass ich spinne. Unglaublich peinlich. Als ich die Packung auf den Ladentisch legte, hatte ich weiche Knie.

„Hoffentlich hält die hellblaue Zicke die Klappe!“

Ein kurzer Blick, dann tippte die Verkäuferin fünfundneunzig Pfennig in die Kasse, steckte die Tampons in eine Papiertüte und sagte kein Wort.

„Noch mal gut gegangen.“

Mir war mulmig. Ich brachte beim Rausgehen nicht mal ein „Tschüß“ zu Stande. Ich nahm den Bus nach Hause. Mit jeder Haltestelle wurde es ernster. Ich war fest entschlossen, meine Entjungferung direkt nach dem Mittagessen hinter mich zu bringen. Es gab Hefeklöße mit Backobst, was eigentlich zu meinen Favoriten gehörte, aber heute kämpfte ich damit.

„Was ist los, willst du deinen zweiten nicht?“

Mein Bruder schöpfte Hoffnung auf eine Extra-Portion.

„Nein, kannst du haben. Ich muss abnehmen.“

„Hefeklöße machen nicht dick“, stellte meine Mutter klar.

„Trotzdem. Ich bin satt. Wilhelm kann ihn gerne essen.“ Freundliches Abgeben unter Geschwistern stand bei Muttern hoch im Kurs und so war die Diskussion damit beendet. Für den Rest des Essens sagte ich nichts mehr und hörte auch den anderen nicht zu. Ich bereitete mich still auf die nächste große Herausforderung vor. Ich musste Luise zuverlässig loswerden. Denn Zeugen brauchte ich nun wirklich nicht.

„Was machst du?“ Prompt kam die Frage, als wir vom Tisch aufstanden.

Die beste Antwort wäre „Flöte spielen“ gewesen. Denn das hasste Luise. Aber wie sollte ich Musik machen und gleichzeitig meinen ersten Tampon einführen? Also sagte ich: „Schularbeiten.“

„Jetzt schon?“

„Ja, ist ziemlich viel.“

„Wie lange?“

„Weiß nicht.“

„Ich habe nichts auf.“

Das war mehr als ärgerlich, denn dann war die Wahrscheinlichkeit groß, dass sie sehr bald in mein Zimmer kommen würde, um etwas zu suchen, was sie unterhalten könnte. Ihr Kofferradio oder meinen Kassettenrekorder oder die „Bravo“ unter der Matratze. Also machte ich lieber gleich ein großzügiges Angebot.

„Kannst die ‚Bravo‘ lesen. Aber pass auf, dass Mutter dich nicht erwischt!“

„Bin doch nicht blöd. Kann ich oben bei dir lesen?“

„Nee, das stört.“ Aber in dem Moment war völlig klar, dass ich die falsche Strategie gewählt hatte. Denn allein „Bravo“ zu lesen war viel zu aufregend und warf spätestens bei Dr. Sommer Fragen auf, die wir nur gemeinsam klären konnten. Sie würde also blitzartig auftauchen. Ich hatte nur eine sichere Möglichkeit: Ich musste die Entjungferung im einzig abschließbaren Raum im Haus durchführen. Im Badezimmer. Zur Vorbereitung setzte ich mich an meinen Schreibtisch und entfaltete die Gebrauchsanweisung für „o. b.“. Ich legte sie in mein Englischbuch.

„Hier wird man wenigstens gesiezt!“

„Sie können o. b. schon bei Ihrer ersten Periode benutzen.“

„Genau das habe ich vor.“

Ich hatte mich mit dem Gedanken der Selbst-Entjungferung in den letzten Stunden absolut angefreundet. Wenn es dabei blutet, hat es doch enorme Vorteile, wenn man die Sache allein hinter sich bringt.

„Das Jungfernhäutchen ist dehnbar. So dass o. b. normal eingeführt werden können, ohne das Jungfernhäutchen zu verletzen.“

„Glaube ich nicht.“

Ich drehte den Tampon zwischen den Fingern. Der o. b.-Umfang schien mir recht groß. Aber gut. Die Schritt-für-Schritt-Erklärung mit den Zeichnungen sah einfach aus. Ich packte Tampon und Anleitung in meine Hosentasche und machte mich auf.

„Wenn ein Bein hochgestellt wird, ist das Einführen leichter.“

„Fuß hochstellen? Wo soll ich das denn machen? Mit runtergelassener Hose?“

Dafür gab es im Badezimmer nur zwei Möglichkeiten: Toiletten- oder Badewannenrand. Für eine Entjungferung schien mir der Badewannenrand angemessener. Ich wickelte das Zellophan vom Tampon ab, zog heftig an dem Rückhol-Faden.

„Hält der?“

Meine zweite große Panik war, dass der Tampon für immer in mir stecken bleiben könnte.

„Mit dem Zeigefinger leicht schräg nach hinten in die Scheide einführen. Bei Widerstand die Richtung etwas ändern.“

„Das klingt nach Schmerz.“

Ich biss die Zähne zusammen und startete die Aktion.

„Au!“

Da war der Tampon noch nicht mal ganz drin. Ungefähr Höhe Jungfernhäutchen angekommen, stellte ich mir vor.

„Abbrechen?“

„Weitermachen!“

Ich verstärkte den Druck. Auch jetzt flutschte der Tampon nicht gerade, aber er nahm tatsächlich seinen Weg, ohne wieder irgendwo gegen zu rammen oder zu schmerzen.

„Ist der Tampon beim Gehen oder Sitzen noch zu spüren, muss er etwas tiefer eingeführt werden.“

Ich lief ein paar Schritte im Badezimmer auf und ab, setzte mich auf den Wannenrand. Nichts. Also schien alles zu stimmen.

„Und das Jungfernhäutchen?“

Ich nahm Klopapier, um zu gucken, ob Blut von der Stelle vor dem Tampon kommt. Nichts. Ich zog die Spülung und ging wieder in mein Zimmer. Das Gefühl war angenehmer als der erste Gang mit der Binde. Aber ich konnte mich am Schreibtisch wieder auf nichts konzentrieren. Ich versuchte gar nicht erst, Schularbeiten zu machen, blätterte nur mein Geschichtsbuch durch. Es war sehr langweilig, aber es war das mit den meisten Bildern. Nach einer Stunde ging ich ins Badezimmer und zog den Tampon wieder raus.

„Das funktioniert aber auch nicht gerade geschmeidig.“

„Ist doch klar. Denk an die Anleitung! Der soll drinbleiben, bis er sich vollgesogen hat.“

An meinem klebten nur Spuren von Blut und deshalb glitschte er nicht, sondern bot viel trockenen Widerstand.

„Blöde gepresste Watte. Kein Wunder, dass das klemmt, wenn eine Binde, auf die Größe eines Tampons geschrumpft, in der Scheide steckt.“

Ich nahm fast dankbar eins der ungeschrumpften Watteteile aus dem Schrank. Ich musste mich erst mal wieder sammeln. Am nächsten Tag schaffte ich schon drei Stunden und abends ging ich zu Luise. Ich hatte ihr schließlich etwas versprochen.

„Ich habe meine Tage. Und ich benutze Tampons.“ Für mich war dieser Satz gleichbedeutend mit: „Ich gehöre jetzt zu den Großen.“ Aus meiner Sicht eine schlechte Nachricht für Luise, denn jetzt war sie ganz klar die letzte „Kleine“ in unserer Familie.

Aber sie sah das anders. So wie wir uns gemeinsam von Lackschuhen am Sonntag, Samtkleidern zu Weihnachten und in den Kniekehlen hängenden Strumpfhosen im Winter verabschiedet hatten, war es für sie selbstverständlich, dass auch diese erstaunliche Weiterentwicklung direkt für uns beide galt.

„Endlich!“, sagte sie nur. Und nach einer kleinen Pause: „Ich dachte, du kriegst deine Tage nie.“

„Quatsch!“

„Wissen die anderen es?“

„Natürlich nicht.“

„Komm, wir sagen es ihnen am besten gleich!“ Sie sah offensichtlich keinen Grund, auch nur eine Sekunde länger im Kinder-Stadium zu verharren. „Anne und Margarethe fahren morgen in die Stadt, Schuhe kaufen.“

„Echt?“ In solchen Dingen war Luise clever. Und sie hatte Recht. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir mitdurften, würde durch die Nachricht enorm steigen. Besondere Einschnitte im Leben wurden in unserer Familie auch besonders gewürdigt. Die Chancen auf ein neues Paar Schuhe standen richtig gut!

„Bei Görtz gibt’s welche mit Block-Hacken und Riemen.“ Das musste Luise bei einer ihrer Karstadt-Touren erkundet haben.

Sie traute sich wirklich was. Denn Görtz war bis jetzt tabu für uns. Für die „beiden Kleinen“ wurde wegen der Lurchi-Hefte immer noch bei Salamander gekauft. Jetzt war auch mir klar: Je eher meine Mutter erfährt, dass ich in die Görtz-Liga aufgestiegen bin, desto besser. Luise ging vorweg und verkündete die Nachricht sofort, als sie meine Mutter an ihrer Nähmaschine entdeckte.

„Lenchen hat ihre Tage!“

„Habe ich mir schon gedacht.“

„Warum?“, fragte ich etwas enttäuscht.

„Du warst ein bisschen blass und wozu brauchst du sonst Binden?“

„Sie nimmt jetzt Tampons!“ Luise triumphierte. Wenigstens eine Exklusiv-Nachricht, die noch für ihren ÜberraschungsAngriff gut war. „Dürfen wir morgen mit in die Stadt?“

„Gut, dann fahren wir alle zusammen.“

„Alle zusammen. Es hieß: Alle zusammen!

Nicht: Die Großen fahren in die Stadt. Die beiden Kleinen bleiben zu Hause.“

Es hatte geklappt. Ob Luise und ich jetzt endlich dazugehörten?

Wenn die Binden Flügel kriegen

Da bin ich nun schon sechsundvierzig und Chefin und überhaupt, und trotzdem bin ich plötzlich wieder so unsicher wie zuletzt in der Pubertät. Kein Wunder, dass meine Assistentin leicht besorgt schaute, als ich zum dritten Mal innerhalb einer Stunde verkündete: „Ich muss erst noch zur Toilette.“ Zum Glück behielt sie wie immer die Nerven.

„Okay, dann gehe ich schon mal vor in die Redaktions-Konferenz.“ Sie würde die anderen vertrösten: „Frau Peters kommt gleich.“ Während ich in dem hellbraun gekachelten Raum saß und erst auf meiner Slip-Einlage, dann auf dem Stück grauen harten Verlags-Toilettenpapier verzweifelt nach noch so winzigen Spuren eines Flecks suchte.

„Wieder nichts. Das ist nicht zu fassen. Ich kann nicht schwanger sein! Ich hatte in den letzten drei Wochen keinen Sex.“

„Nein, schwanger nicht, aber …“

„Schluss!“

Ich zog entschieden die Jeans wieder hoch, verstaute die hellblaue Bluse im Bund, knotete meine Strickjacke um die Hüften, wusch die Hände, steckte mir im Spiegel die Zunge raus und ging in die Konferenz.

„Kann losgehen“, knurrte ich.