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DIE DEUTSCHE BIBLIOTHEK – CIP-EINHEITSAUFNAHME

Ganzheitsmedizin II: Der Weg von Heilung, Gesundheit und Frieden im Innen und Außen Konzepte von Körper, Geist und Seele, Erde und Kosmos

Holistic Medicine II: The Way of Healing, Health and Peace in the Inner and Outside World – 2016

GANZHEITSMEDIZIN II: DER WEG VON HEILUNG, GESUNDHEIT UND FRIEDEN IM INNEN UND AUSSEN

hrsg. von Christine E. Herrera Krebber

im Auftrag von INFOMED Institut für Ganzheitsmedizin e.V. - München

Norderstedt: BoD, 2016

ISBN 978-3-7431-7051-3

Herstellung und Verlag:

BoD - Books on Demand GmbH, Norderstedt

Copyright:

© INFOMED Institut für Ganzheitsmedizin e.V. Christine E. Herrera Krebber

Melusinenstr. 2, D-81671 München, Germany

Herausgeber / Editor:

Christine E. Herrera Krebber

INFOMED Institut für Ganzheitsmedizin e.V.

Melusinenstr. 2, D-81671 München

Germany

Tel.: +49-89-740 61 962

Fax: +49-89-490 53 045

info@institut-infomed.de

www.institut-infomed.de

INHALT

CONTENT

EINLEITUNG & DANKSAGUNG INTRODUCTION & ACKNOWLEDGEMENT

Christine E. Herrera Krebber

Dieses Buch verspricht eine spannende Forschungsreise durch alle Kulturen unserer Welt, neueste Erkenntnisse ganzheitsmedizinischer Methoden und wissenschaftliche und philosophische Betrachtungsweisen.

So stellt gleich zu Beginn der Philosoph Dr. Kozljanič die wesentliche Frage nach dem Konflikt des angepassten Wissenschaftlers und das Irrationale, eben unerklärliche Phänomene, wie sie bei schamanischen Erfahrungen immer wieder auftreten. Denn die wissenschaftliche Praxis ist ihrer Idee nach rational: Es geht um intersubjektiv nachvollziehbare logische Argumentationen, um die methodische Begründung von Theorien, um die Überprüfung und Absicherung von Theorien sowie darum, sich durch vernünftigere Argumente überzeugen und durch nachvollziehbare Erfahrungen belehren zu lassen. Aber Dr. Kozljanič stellte fest, dass es zu einem irrationalen Verhalten besonders dann kommt, wenn die Wissenschaftler mit fachrelevanten Erfahrungen oder Ansichten konfrontiert werden, die sie vor dem Hintergrund ihrer schulischen Ausbildung und Berufspraxis aber nicht erklären, deuten oder sonstwie konform einordnen können. Seinen Ergebnissen nach hält man oft also in der wissenschaftlichen Forschungspraxis – gegen besseres Wissen und Gewissen – an einem überholten und absolutistischen Objektivitätsideal fest.

Paul Feyerabend sagte einmal, der objektive Grund des Wunsches nach wissenschaftlicher Objektivität sei der, sich andere Menschen vom Leibe zu halten. Und Hans Peter Duerr meinte, dass die wissenschaftlichen Objektivierungs- und Ausgrenzungsstrategien durch zwei Hauptmotive bestimmt seien: „Die Angst vor dem Leben und die Sehnsucht nach dem Tode“. (Zitate aus dem Kapitel Kozljanič)

Lassen wir uns noch ein Stück weiter auf die Erforschung des Unerklärlichen ein – denn der Mensch, seine Gesundheit, Heilung und Selbstheilungsphänomene sind wohl nicht allein durch objektive Studien zu begreifen. Der Forscher Elian Chalendu in diesem Buch nähert sich dem Thema spiralenförmig, und findet dann doch eine erstaunliche Erklärung für das Unerklärliche. Aus nahezu allen Kulturen der langen, matriarchal geprägten Urzeit des Menschen sind uns Bildnisse, Altäre und Tempel erhalten, die auf die Verehrung der Schlange weisen. In einigen Kulturen ist es mehr der Mythos vom Drachen oder Lindwurm, wobei man davon ausgehen kann, dass es sich dabei um den gleichen Archetyp in abgewandelter Form handelt.

Auch die weit verbreitete, abstraktere Symbolik der Spirale und spiralartiger Formen fallen in dasselbe Bedeutungsspektrum. Man findet Mythen und Praktiken des Schlangenkults noch in manchen der bestehenden indigenen Kulturen, u.a. in Afrika und bei Indianern quer von Nord- bis Südamerika. Diese gilt als Manifestation der Göttlichen Mutter, des gebärenden, lebensspendenden Prinzips der Existenz. Sie in uns, in diesem Körper zu erwecken, gilt als die tiefste Bestimmung des menschlichen Daseins.

Bemerkenswert ist die Tatsache, dass sogar bei Völkern, in deren Lebensraum keine Schlangen vorkamen (z.B. die Kelten Irlands), Schlangenmythen existierten.

Wie kommt die Universalität dieses Mythos zustande? Die globale Dimension dieses spezifischen Archetypus zeugt davon, dass es sich hier um mehr als irgendeine Idee oder willkürliche Vorstellung handelt, zumal ja die Verbreitung einer uniformen Lehre schon geographisch auszuschließen ist. Es muss sich um eine Art dem Menschen innewohnendes Wissen handeln. Chalendus Erkenntnisse nehme ich hier nicht vorweg, lassen Sie sich selbst in diesem Kapitel überraschen!

Viele Menschen aus Heilberufen haben sich seither auf den Weg gemacht, die Kluft, die Widersprüche zu überwinden.

So beobachtete Dr. med. Silvia Sitter: In meiner therapeutischen Praxis höre ich seit vielen Jahren Klagen meiner PatientInnen über für sie bedrückende Gespräche mit ihren ÄrztInnen, diese werden häufig als unbefriedigend oder sogar belastend empfunden und die PatientInnen fühlen sich in vielfältiger Hinsicht nicht verstanden oder als Objekt behandelt. Auch wenn das vielfach nicht so wahrgenommen wird, kann ärztliche Sprache auch “gewaltsame” Aspekte aufweisen – Worte können zu Verletzung und Leid führen.

Was aber passiert, wenn PatientInnen dennoch Erleben und Gefühle thematisieren? Sehr oft wird dies seitens der ÄrztInnen ignoriert. Dr. Sitter erkennt, dass ohne Kommunikation kann vielleicht Reparatur, nicht aber Heilen gelingen ... und der iatrogene - also durch das Medizinsystem selbst verursachte und den Patienten schädigende - Kommunikationsverlust ... ein alarmierendes Symptom für eine tiefgreifende geistige Krise des modernen Medizinsystems.

Dr. Karner schließt die Lücke zwischen Schulmedizin und einer ganzheitlichen Behandlung mit ihrem ganzheitlichen Ansatz und gibt damit ein Beispiel für viele Therapeuten: Es ist tatsächlich so, dass wir derzeit eine Annäherung haben zwischen den Schulmedizinern und den Ganzheitsmedizinern, und das freut mich sehr. In Freiburg z.B. haben wir ein Netzwerk mit den Strahlenheilkundlern, den Onkologen der Klinik und der Tumorbiologie und eben uns als Zentrum für ganzheitliche Medizin.

Und die Fachärztin für Allgemeinmedizin, Anke Jacobs, geht sogar noch einen Schritt weiter, sie definiert ihre Arbeitsweise in der Praxis als Intuitive Körper-Geist-Seele Medizin: Die Intuitive Körper-Geist-Seele Medizin bedient sich der intuitiven Fähigkeit des Arztes und des Patienten zur Ursachenfindung der Erkrankung, zum Erkennen der Seelen- und Herzenswünsche und unterstützend zur Wahl geeigneter Therapien. Denn ihre Beobachtung ist: Die Aktivierung der Seelenkraft und das Erfüllen der Seelen- und Herzenswünsche, also ein Leben und Handeln der inneren Wahrheit gemäß, entfaltet eine tiefe Heilkraft.

Darüber hinaus widmet sich die Zahnärztin Sophya Berthold mutig dem Unerklärlichen:

Um aus dem Circulus vitiosus auszusteigen, braucht es also einen neuen, ganzheitlichen Ansatz, und zwar auch im Geist und in der Seele. Während ihrer eigenen über 20-jährigen Arbeit stellte sie fest, dass die Grundlage von Krankheiten und Schmerzen ursprünglich nicht körperlicher Art sondern vielmehr Ursachen wie Trauma, Ahnenproblematik, Prägungen, Schuld, Gifte, Verzweiflung, Trauer oder Stress waren. Die Antworten dafür findet sie in Meridianen, Astrologie, Kinesiologie, Enneagrammen und schamanischen Ritualen.

Um ein ganzheitliches Verständnis zu entwickeln, machen wir in diesem Buch Reisen zu traditionellen Kulturen und sehen hinter den Schleier von Schicksal, Ahnen, Dämonen oder Verwünschungen.

Erstmalig reichten auch indigene HeilerInnen selbst ihre Texte für das Buch ein:

Die Kräuterheilkundige Curandera Vilma Adelaida Ania Aquino aus Peru schildert sehr genau die Anwendungen der Coca-Pflanze für körperliche Beschwerden – erklärt aber auch detailliert auf welcher Grundlage diese Heilung tatsächlich passiert (aus dem spanischen übersetzt): Zuerst wird eine Verbindung zwischen dem Patienten, dem Kosmos und dem/der Heiler/in hergestellt. Dies geschieht durch eine energetische Säuberung, so kann die Hilfeleistung der spirituellen Führer und Wächter von Hanan Pacha, der „Welt von Oben“, von Kay Pacha, der „Welt von hier“ und von Uku Pacha, der „Welt von Unten“, erbeten werden. Auf diese Weise können Antworten auf die Leiden und Beschwerden gefunden werden, die man ihnen vorstellt.

Durch den äthiopischen Psychologen aus Addis Abeba, Baye Berihun Asfaw, erfahren wir die Ursachen und Auswirkungen negativer übernatürlicher Ursachen: Die Klassifizierung erfolgt über die Erscheinungsform der bösen Geister. Bei pathogener Besessenheit treten Dämonen als Krankheit in Erscheinung. Menschen, die so besessen sind, sind bettlägerig, ernsthaft krank, verrückt, körperlich eingeschränkt oder haben irgendeine andere Form psychischer Krankheit.

Die Wege der Heilung sind jedoch unerschöpflich. Fabian Strumpf erforscht in diesem Band eine ungewöhnliche Methode: Der Haka-Ha ist ein Tanz aus der Tradition der neuseeländischen Māori. Es geht um die Verbindung zu den Ahnen, den Mut des Einzelnen, die Kraft der Gemeinschaft. Indem wir den Haka-Ha tanzen, können wir uns an unseren Ursprung erinnern, Haka-Ha ist zugleich wild, sinnlich und mächtig. Als Tanz verkörpert der Haka Präsenz, tiefe Verbundenheit und Hingabe an das Leben.

Hans-Martin Beck bringt es auf den Punkt: Kausay Pacha also „Universum, in dem alles aus lebendiger Energie besteht“. Alles, was existiert – von Menschen, Tieren, Pflanzen und Steinen über Handys, Glühbirnen oder Autos – ist lediglich eine Form von lebendiger Energie. Anders ausgedrückt: Alles lebt.

Alles lebt und ist miteinander verbunden – und so wünschen wir unseren Lesern inspirierende Momente in diesem Band GANZHEITSMEDIZIN II: Der Weg von Heilung, Gesundheit und Frieden im Innen und Außen.

An dieser Stelle möchte ich ganz besonders wieder dem Team von INFOMED danken, die etwa 80 Ehrenamtlichen (siehe S.684), die dieses Werk erst ermöglichen.

Die Ideen stammen aus dieser kreativen, visionären Gruppe, sie helfen kompetent bei Entscheidungen, stützen bei emotionalen Durchhängern und baden die viele Detailarbeit auch am Ende tapfer mit aus. Ganz besonders möchte ich meiner lieben Korrekturleserin Ingrid Madzgalla danken, die die ganzen 700 Seiten gleich mehrmals korrekturgelesen hat.

Und wiederum danke ich ganz herzlich meinem lieben Ehemann und meiner Familie, dass sie mich wieder so tatkräftig unterstützt haben.

Christine E. Herrera Krebber, München im Oktober 2016

HINWEISE DER HERAUSGEBER

Notes of the editor
Wichtiger Hinweis

Wir möchten und müssen Sie darauf hinweisen, dass der Schreibstil der Autoren weitgehend original belassen wurde, der auch Meinung desjenigen Autoren entspricht und nicht die Meinung der Herausgeber wiedergibt. Für Therapieempfehlungen, Rezepturen und Anweisungen sei an die eigene Urteilsfähigkeit des Lesers appelliert. Die Handlungsanweisungen verschiedener Völker und traditionelle Anwendungen sind als ethnographische Daten und nicht als Behandlungs- und Therapieempfehlungen zu werten. Die Herausgeber übernehmen keine Verantwortung für eigene Versuche der Leser.

Important Notes

Furthermore we would like and have to mention that the writing styles of our authors as well as their personal opinion are left in their original form and are not representing the editors opinion. Therapy recommandations, prescriptions and orders need to be judged by the readers; the actions and traditional rituals carried out by the different folks need to be seen as ethnographical facts and not to be understood as recommendations for treatments or therapies. The editors do not take over responsibility for experimental try-outs of the readers.

DIE HEILIGE SCHLANGE - ARCHETYP DER HEILUNG

Elian Chalendu

Aus nahezu allen Kulturen der langen, matriarchal geprägten Urzeit des Menschen sind uns Bildnisse, Altäre und Tempel erhalten, die auf die Verehrung der Schlange weisen. In einigen Kulturen ist es mehr der Mythos vom Drachen oder Lindwurm, wobei man davon ausgehen kann, dass es sich dabei um den gleichen Archetyp in abgewandelter Form handelt.

Auch die weit verbreitete, abstraktere Symbolik der Spirale und spiralartiger Formen fallen in dasselbe Bedeutungsspektrum. Man findet Mythen und Praktiken des Schlangenkults noch in manchen der bestehenden indigenen Kulturen, u.a. in Afrika und bei Indianern quer von Nord- bis Südamerika. Insbesondere trifft man dies im Schamanismus jener Völker des Amazonasgebietes an, wo die Heilpflanze Ayahuasca eine zentrale Stellung einnimmt, die als die Große Schlange und Mutter des Lebens angesehen wird. In Indien, wo sich viele uralte Rituale erhalten haben, wird weiterhin in vielen Tempeln den Nagas (Schlangengottheiten) gehuldigt. In allen mystischen Traditionen des Altertums, wie den Sumerern, Ägyptern, Indern, Mayas, Inkas u.a. steht der Einweihungsweg in Zusammenhang mit der Schlangenkraft. Am bekanntesten ist uns dies aus dem Yoga und Tantra, wo die Schlange Kundalini die in allem Lebenden, besonders aber im Menschen geborgene Urkraft ist. Diese gilt als Manifestation der Göttlichen Mutter, des gebärenden, lebensspendenden Prinzips der Existenz. Sie in uns, in diesem Körper zu erwecken gilt als die tiefste Bestimmung des menschlichen Daseins. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass sogar bei Völkern, in deren Lebensraum keine Schlangen vorkamen (z.B. die Kelten Irlands), Schlangenmythen existierten. Offensichtlich handelt es sich bei der Heiligen Schlange um mehr als das biologische Reptil. Die Heilige Schlange ist ein archaisches Urbild, eine Urkraft, die wir in uns tragen. Unter dem Einfluss von Ayahuasca z.B. begegnen auch modernen Menschen – die Zeit ihres Lebens nie etwas mit Schlangen zu schaffen hatten – innere Bilder von Schlangen und schlangenhaften Formen und sie erleben, wie diesen eine Kraft innewohnt, die tiefgreifende Heilprozesse auf körperlicher wie seelischer Ebene freisetzen. Oftmals sind es gar personifizierte Schlangenwesen, die mit den Menschen in direkte Kommunikation und Interaktion gehen.

Diese Erfahrungen werden auch im Nachhinein nicht als eine Halluzination gewertet, sondern als eine tatsächliche Begegnung mit einer anderen, ganz eigenen Realität. Schlangenwesen gelten in vielen Traditionen als jene Geister oder Gottheiten, die dem Schamanen Wissen über Heilverfahren und Pflanzenkunde übermitteln. Der Anthropologe Michael Harner berichtet von einem schamanischen Erlebnis, bei dem ihn Schlangenwesen bis zurück zum Ursprung unserer Erde führten und ihn unterwiesen, dass sie es waren, durch die das Leben auf der Erde entstanden ist.

Die älteste aller je gefundenen rituellen Kultstätten der Erde in der Kalahari-Wüste in Afrika wird bis in die Steinzeit, auf 70.000 Jahre rückdatiert. Sie stellt eine Schlange dar.

Man kann daher sagen, dass die Heilige Schlange den Menschen von Anfang an begleitet hat. Der Heiligen Schlange begegnen bedeutet, zurückzukehren ins Uranfängliche.

Wie kommt die Universalität dieses Mythos zustande? Warum gerade die Schlange? Was für eine Bedeutung liegt dahinter? Welch ein Mysterium birgt die ‚Serpens Sacra‘?

Die globale Dimension dieses spezifischen Archetypus zeugt davon, dass es sich hier um mehr als irgendeine Idee oder willkürliche Vorstellung handelt, zumal ja die Verbreitung einer uniformen Lehre schon geographisch auszuschließen ist. Es muss sich um eine Art dem Menschen innewohnendes, erspürtes Wissen handeln. Die Schlange hat offenbar mit etwas zu tun, das im Bewusstsein der Menschen dieser frühen Epoche zutiefst gegenwärtig war.

Um uns dies näher zu bringen, möchte ich zunächst dazu einladen, uns einmal in die Wahrnehmungswelt des Menschen der prähistorischen Zeit zurückzuversetzen. Er lebt in reiner, wild gewachsener Natur, ist umringt, umrankt von wuchernden Gebilden und wachsender Gestalt. Er sucht, er braucht das Wasser; es bedeutet für sein Leben alles. Des Abends sitzt er am Feuer und versenkt den Blick in ein wirbeliges, loderndes Spiel. Wie Strudel, wie Schlangen tanzen da die Flammen vor sich hin.

Er lebt in den Wäldern. Jeder Baum, jede Blume, die er heranwachsen sieht, findet in ihre Form durch eine sich aus sich selbst drehende Windung. In den Schatten und Winkelungen, in den endlosen Mischungen des allgegenwärtigen Grün, im Dunkel der langen Nächte tauchen Gestalten auf, fließende, flüchtige, schleierhafte Geschöpfe, die da und dort aus den Gewächsen lugen, um in ihnen wieder zu verschwimmen und verschwinden. Wundersam auch die geschmeidigen Gebilde der Wolken, aus denen dann und wann das Wasser bricht, das, was alles um ihn wachsen macht. In den Gewässern, in deren Nähe er seine Stätte aufschlägt, wird alles, was sich darin spiegelt, weich, wird wellig, löst sich von fester Form in flüssiges Bewegen. Und dieses Wasser selbst, das so wichtige, so wertvolle Wasser, ist weich und geschmeidig, es schwingt in Strudeln, schaukelt und schwappt, schlingert in Strömungen, wirft sich in Wellen, tost durch die Welt wie das Blut durch seinen eignen Leib.

Überall um ihn her nur runde, weiche, fließende, ondulierende Formen. Die Wahrnehmung des Menschen kann nicht ungleich sein der ihn umgebenden Welt. Er nimmt das Leben direkt wahr, über seinen Körper. Der abstrahierende Verstand mit seiner Fähigkeit, das in dieser Existenz Erlebte als von sich selbst getrennt interpretieren zu können, ist noch nicht das Maß der Dinge. Das Gradlinige und Rechtwinklige ist nicht da in dieser Welt, nirgendwo. So verlaufen wohl auch seine Denkprozesse nicht in festgefügten Schachteln, Kategorien, Folgerungen – nicht in Linien, sondern in Serpentinen. Es sind noch nirgendwo komplexe Gebäude errichtet; die menschlichen Mentalstrukturen kreieren keine konstruierten, komplizierten Konzeptionen. Sie strömen vor sich hin, wie eben alles strömt.

Vielleicht hilft es, sich einmal bildlich vorzustellen, was für Träume ein Mensch der damaligen Zeit wohl gehabt hat.

Alles um ihn her ist in lebender Bewegung, alles ist diese Bewegung. Was da lebt, das wächst und welkt in einem großen, steten gewaltigen, unaufhörlichen Wandel. Alle Gestalten tragen einen Strudel in sich, durch den sie sich bilden. Gestalt, das ist nichts Fixes, Starres, wie ein Auto oder Handy, derlei gibt es nicht. Gestalten sind gewunden. Selbst Steine – die statischsten aller natürlichen Gestalten – sind gerundet und gemustert gebildet, sind vom geschmeidigen Gefüge des Ganzen geprägt und darein gewoben. Lebende Gestalt ist nie ein fertiges, festes Produkt – es ist ein Prozess. Gestalt ist sich aus sich selbst drehendes in Gestalt gelangen – ist spiralisierendes Wachstum, bewegt sich in Wellen, formt sich in Spiralen, ist schlangenhafter Tanz. Und: er, der Mensch, ist aus ebendiesem Lebensgewebe geformt, befindet sich darin als Teil desselben. Sein eigener Körper ist in Spiralen gewachsen – er nutzt diese geschmeidige Spiralität die ganze Zeit, diese wilde Welt verlangt es ihm fortwährend ab, er dreht sich darin dauernd hin, her, auf, ab, rings und rundherum. Er, der Mensch, ist vollkommen eingebunden, eingewunden in diese elementare, urgeschöpfliche Welt. Sein Körper ist Teil des großen Körpers Erde. Er kann sich nicht getrennt davon erfahren, weil er getrennt davon nicht ist.

Die Bewegung, die sich in all den Lebensformen dieser Erde vollzieht, ununterbrochen vollzieht, ist die eben selbe, die sich in ihm, in seinem eigenen Leib vollzieht. Der Gestalten sind viele, doch das Geschehen gleich. Die innere Grundbewegung, durch die alles in Gestalt gelangt, ist die gleiche. Und eines schaut der Mensch tagtäglich: diese Bewegung überdauert den Tod der einzelnen Lebensform, sie ist lang vor der Geburt der Kinder wirksam und lange nach dem Verscheiden der Alten, sie war es vor dem eigenen Leben und wird es auch nach diesem sein. Diese Kraft ist immer in Bewegung, sie schafft immer Neues und das stets in Spiralen, in Wellen, in Windungen – in schlangenartiger Bewegung.

Alle organischen Prozesse auf Erden basieren auf diesen spiralisierenden „Schlangenwindungen“. Was aber ist das für eine Intelligenz, die dies bewerkstelligt? Ist sie, die fähig, unsern Leib zu schaffen, fähig, alles Leben zu schöpfen, uns in Wirklichkeit nicht weit überlegen? Ist sie nicht weiser und wissender als wir? Für den Menschen, der noch fernab von jeglichen menschgemachten Erfindungen und Errungenschaften lebt, sind das keine Fragen. Es ist die Realität.

Es ist nur, wenn wir uns dieser Wahrnehmungswelt öffnen, sie in uns selbst erschließen, dass wir begreifen können, was es mit dem Urbild der Heiligen Schlange auf sich hat. Sonst bleibt es ein rein intellektuelles Unterfangen, das dieses Phänomen als von uns selbst abgetrennt betrachtet; eben ein solches Vorgehen aber ist konträr zum Verständnis eines Wirklichkeitserlebens, das intuitiv, instinktiv, direkt, aus dem Bauch heraus kommt. Sucht man beispielsweise einen traditionellen Schamanen auf, zur eigenen Heilung oder zum Studium seiner Heilverfahren, so wird einem nichts anderes übrig bleiben, als sich ein gutes Stück in seine Welt, seinen Kontext und seine Behandlungsweisen einzulassen, es an sich selbst zu erfahren, um überhaupt wissen zu können, wie es zu diesen Heilphänomenen kommen kann. Ein rein wissenschaftliches Vorgehen lässt einen da letztlich nur dumm dastehen.

Was hören wir in den Weisen und Gesängen, die die indigenen Völker weit von alters her bis in unsere Tage hinübertradiert haben? Welche Art von Formen, welche Bilder entsprießen aus ihnen vor unserer inneren Sicht? Wie ist das Gefühl, das sie in uns erwecken? Welche Art Bewegungen locken sie aus unserm Leib hervor?

Was nehmen wir wahr, wenn wir einmal im Walde weilen, still und staunend, uns einfühlen ins Rundherum, es in unserm eignen Körper wiederfinden? Was, wenn wir uns im Wasser wild und frei bewegen, uns von den Wellen tragen lassen, wir das Flüssige als in uns fließend finden?

Was öffnet sich in uns, wenn wir uns in das Urbild der Schlange versenken?

In jedem Tier erschaut der Indigene – und besonders der urzeitliche Schamane – eine eigene, besondere Botschaft, ein jedes lebende Wesen enthüllt ihm seine Medizin1. Diese offenbart sich, wenn man das Tier beobachtet und dessen Art und Wesen als ein Sinnbild zu verstehen weiß. Vom westlichen Weltverständnis her könnte man sagen, dass das Verhalten des Tieres von der rein physisch-empirischen Ebene in ein psychisch-transzendentes Geschehen transferiert wird. Doch wiederum, er tut das nicht in einer solch abstrakten Weise, vielmehr erfasst er den Symbolgehalt des Geschehenden wie selbstverständlich, schlicht und natürlich – weil sie das selbe Leben miteinander teilen. Er ist mit dem Tier (der Pflanze, dem Mineral, Element …) innig in Fühlung. Die Kräfte, die zu dessen Bildung geführt haben, erfasst er über und in seinem Körper. Sie sind Teil seiner eigenen Wirklichkeit. Er erlebt sich als von dem sich um ihn Vollziehenden nicht als getrennt. Das Gewahrsein des sehr frühzeitlichen Menschen ist mit dem eines kleinen Babys vergleichbar, das zwischen sich und dem anderen nicht unterscheidet, ja einfach nicht unterscheiden kann – es erlebt Realität mehr wie eine endlos fließende, wabernde Masse.2 Ontogenetische und phylogenetische Entwicklung des Menschen weisen eine erstaunliche Fülle deutlicher Parallelen auf. Die Entwicklungspsychologie spricht im weiteren Verlauf, da das Kind mehr und mehr Formen differenziert, von der Phase, in der das Kind die Welt mythisch-magisch erlebt (nicht etwa: interpretiert). In diese – den allermeisten komplett unbewusst gewordene – Wahrnehmung müssen wir uns zurückfinden lassen, um wirklich zu verstehen.

Gewiss sprechen wir hier teilweise von Erlebnissen, die sich mehr im Schamanen und Heiler des Stammes abspielten als in irgendeinem, in dem, der sich aufmachte in den tiefen Wald, um dessen Mysterien zu lernen. Der Lehrmeister war die Natur selbst. Man meistert den Geist der Pflanzen, den Geist des Wassers, den Geist der Schlange erst, wenn man mit diesen Wesen wirklich gewesen ist. Der Mensch ist fähig, mit ihnen in Kommunion zu sein.

Derartige Wahrnehmungen gab es in ihrer Welt aber auch generell. Die Gegenwart geistiger Kräfte gilt in allen Urkulturen weltweit als selbstverständlicher, nicht hinterfragbarer Teil der Realität. Nicht umsonst war/ist der Schamanismus die von allen im Stamm akzeptierte Religiosität. Es existierte keine Stammeskultur, keine einzige, die nicht von einer tiefen, lebensbezogenen Spiritualität durchdrungen war. Diese Grundhaltung als irrelevante Phantasiegebilde abzutun ist doch recht phantastisch. Sie lebten in einer wirklich bestehenden Ebene der Wirklichkeit, nur eben in einer anderen als die, die wir für uns definiert haben. Sie wussten etwas.

Diese Wahrnehmungswelt – wenn wir es denn wagen, in sie hineinzutauchen – führt uns schon recht genau zu dem, was die Medizin der Schlange ist. Es ist ein intrazelluläres Erleben und Verstehen des Lebens selbst, ein instinktives Erfassen der natürlichen Formen und der ihnen jeweils innewohnenden Bedeutung. Es ist die Intelligenz des Physischen in uns, die die Intelligenz des Physischen um uns gewahrt und ihrer innewird, gewissermaßen intrasomatisch. Ein Beispiel dafür sind die sogenannten Spiegelneuronen, Nervenzellen, durch die wir die Befindlichkeit eines Gegenübers am eigenen Leib erfassen. Aus der modernen Körperarbeit ist bekannt, dass sich auch Körperstrukturen und - sensationen, die uns vom externen funktionalen Gebrauch quasi unbekannt sind, kinästhetisch (auf)spüren lassen. Die Körperbinnenwahrnehmung ist zu weit differenzierteren Leistungen fähig, als wir sie generell zu beanspruchen wissen.

In Betracht gezogen sei dabei die Tatsache, dass jegliche Form somatischer Sinnesbildung in unserem Schulsystem komplett fehlt (vom leistungsorientierten Sportunterricht abgesehen). Modernen Stadtkindern fehlt inzwischen gar jedweder Bezug zur Natur. Für den Indigenen ist dies von der Pieke auf Teil des täglichen Lebens. Seine Intuition ist wach, hellwach – sie muss es sein, er würde nicht weit kommen in dieser Wildnis, wäre er nicht irgendwie instinktiv angebunden an das Gesamtgeschehen. Zeichen deuten zu wissen ist für ihn weniger eine Frage des Glaubens als des Überlebens. So findet sich der Indigene in der unheimlichen Wildnis des Dschungels so gut zurecht wie wir uns in der Heimatstadt. Ohne besagte Gabe wäre es wohl undenkbar, dass Naturvölker zu einem solch umfangreichen Wissen um die Heilwirkungen der Masse an Pflanzen und anderer Naturderivate, einschließlich der mitunter sehr komplexen Misch- und Zubereitungsformen, gekommen sein könnten. Laboratorien gab es keine, und hätten sie alles erst einzeln durchprobiert, wären sie daran zuhauf erkrankt und krepiert. Sie verfügten über eine Art „höherer“ Führung – möglicherweise ist diese gar nicht unbedingt „höher“, sondern eher „nieder“, den Tiefen unserer Physis immanent.

Er vertraut dieser Führung, diesem Geist, diesen Geistern. Dies ist kein mentaler Glaube an eine möglicherweise irgendwo fernab existente Gottheit. So tickt der Mensch der Frühzeit nicht. Er glaubt, weil er direkt erlebt. Diesem direkten Erleben wurden dann im Laufe der Geschichte spezifische Namen zugeordnet, in jeder Kultur andere. Doch die dabei durch den Menschen wirkenden Kräfte sind von diesen Auffassungen oder Auslegungen unabhängig (eben deshalb sind die Vorstellungen der Anderswelt auch so reichhaltig und unterschiedlich). Es sind die Tiere um ihn her, die seine Mystik prägen, es sind die Bäume, die ihm Wege weisen, es sind die Geister, die er im Gehölz geborgen wähnt, deren Ruf er folgt, es sind die Elemente, die er ehrt. Sie sind nicht Formen außerhalb, sondern innerhalb des eigenen Erlebens. Eine Zersplitterung der Wirklichkeit in individualisiertes Ich und einer von ihm unabhängig funktionierenden Außenwelt ist im frühen Mensch, ähnlich dem Embryo oder Baby, nicht da. Er lebt in der realen Erfahrung wirkender Kräfte.

In diesem Zusammenhang sind die Phänomene von Interesse, die man sowohl bei sog. spontanen Erweckungen der Kundalini beobachtet als auch bei schamanischen Heilzeremonien und Trancen. Da rauschen durch den Körper plötzlich unwillkürliche, repetitive Bewegungen – wellenartig, bebend, zuckend, konvulsiv gar. Sie geschehen wie von alleine, ohne dass die Person diese Bewegungen macht, oft gar ohne dass sie es will und ohne dass sie es abstellen kann. Die schlangenartigen, elementar-organischen Grundgebilde des Lebens – dem zivilisierten Menschen sonst so fern – wachen da mit einem Male auf. Eine instinktive, von der Eigenkontrolle des Menschen unabhängige Lebenskraft bricht sich Bahn, tanzt wild und ungebändigt durch den Leib hindurch. In der Tat schaut es danach aus, dass da eine Schlange durch den Körper durchschießt, sich in ihm wälzt und windet. Es ist, wie wenn diese Urkraft - die „Schlangenmedizin“ - da durch einen hindurch arbeitet.

Wer dies erfährt, fühlt sich angebunden an ein Informationsfeld, das über seine übliche Wahrnehmung hinausgeht. Die von mir entwickelte Körperbewusstseinsmethode ‚being in the body‘ arbeitet spezifisch mit diesen serpentinen Urmustern. Endogene Bewegungsimpulse werden dabei bewusst in die Wege geleitet und achtsam begleitet. Sie haben einen reinigenden Effekt auf den Organismus; am Ende einer solchen Bewegungsreise fühlen sich Menschen regeneriert und verjüngt. Es ist denkbar, dass manche der Erfolge schamanischer und Trance-Heilungen auch auf die physiologischen Wirkungen dieser Bewegungsphänomene zurückzuführen sind.

Aus persönlicher empirischer Erfahrung konnte ich feststellen, dass diese physischen Phänomene eine gewaltige Kapazität zur Heilung unterschiedlichster Symptome bergen. Wie so oft geht die praktische Arbeit dabei dem Nachweis durch wissenschaftliche Erforschung voraus. Es sei allerdings auf die Untersuchungen von Dr. Valerie Hunt verwiesen, die bei ‚Continuum Movement‘ (das mit ähnlichen Bewegungsphänomenen arbeitet) nachweisen konnte, wie die Aktivierung solcher körperimmanenten Fließbewegungen bei paralysierten Menschen zur Eröffnung von für unmöglich gehaltenen Bewegungskapazitäten führte. Solche tranceartigen Phänomene galten nun in indigenen Kulturen nicht etwa als psychopathisch oder als obskures Randphänomen, sondern waren geradezu der Mittelpunkt der Heilarbeit. Die in diesen Zuständen erworbenen Informationen galten als autoritativ.

Die Zeit, von der wir sprechen, ist die matriarchale Zeit. Die Schlange steht für das urweibliche Prinzip. Sie ist eng an die Verehrung der Muttergöttin gekoppelt. Sie steht für die materielle Energie.3 Sie kündete schon damals vom Uranfänglichen, vom Urwissen, vom Ursprung alles Lebenden. Ein prototypisches Motiv der Schlange ist der Schöpfungsmythos. Durch die Schlange entstehen die Formen dieser Welt. Oft entsteigt sie darin dem Wasser oder dem Urozean. Ein Beispiel ist die kosmische Schlange Ananta (=„Endlos“), auf der der indische Gott Vishnu auf den Urgewässern ruht; dasselbe Motiv findet sich auch in vielen anderen Kulturen, wie in Ägypten, Mexico, Peru u.a. Die Schlange ist dem Wasser verbunden. Sie fließt über die Erde. Die Schlange ist wie die Bewegung des Wassers auf Erden. Sie erinnert den Erdenbewohner irgendwie an seinen Ursprung – und dieser Ursprung ist das Wasser. Wir sind daraus hervorgegangen (wiederum sowohl phylo- als auch ontogenetisch). Wir waren wirklich einmal ein sich windender Wurm im Wasser. Tatsächlich sind wir weit mehr Wasser als irgendein anderes Element. Über 75 % unseres Körpers besteht aus Flüssigkeit. Dass wir modernen Menschen uns primär als feste Körperstruktur erleben, obwohl wir das nur zum geringsten Teil sind, könnte man objektiv als Sinnestäuschung bezeichnen. Wir sind eigentlich flüssig. Es muss im Laufe der Jahrtausende eine Verdichtung und Verfestigung der Wahrnehmung stattgefunden haben, durch die wir lebende Dinge als fixe Gefüge zu betrachten begannen. Schaut man einmal auf die mythologische Geisteswelt, so fällt auf, dass diese immer recht wässrig, nie absolut festgelegt, in sich variabel ist. Mythische Wesen wissen sich zu wandeln.

Äußerlich erscheint eine lebende materielle Form fest – doch innerlich ist sie fließende Bewegung. Diese innere flüssige Bewegung hört nicht auf, solange etwas lebt. Materielles Leben ist eigentlich ein fließendes In-Bewegung-Sein. Dies ist das schöpferische Prinzip, könnte man sagen – die Art und Weise wie alles Lebendige in die Form gelangt, in der es sich befindet. Genau davon spricht uns das Urbild und die Mythologie der Heiligen Schlange – auf bildliche, mythologische Weise eben. Die Schlange zeugt von der in einer materiellen Form fließenden Bewegung. Sie steht weniger für eine einzelne, feste Form selbst denn für jenen inwendigen Schöpfungsprozess, durch den sich Struktur herausbildet. Selbst wenn diese Struktur sich in ein verfestigtes „Endprodukt“ geformt hat, ist sie immer noch innerlich flüssig, bildet sich beständig neu, formt sich immerfort, windet sich weiter Leben. Sogar jeder gedankliche Prozess ist, biologisch betrachtet, ein fließender Strom neuronaler Impulse durchs Nervensystem hindurch. Das Gehirn, die Zentrale unseres gesamten Denkens, Fühlens und Wahrnehmens besteht gar zu über 90% aus Flüssigkeit.

Und dazu badet unser Hirn und unser Zentralnervensystem die ganze Zeit in Wasser, in der cerebrospinalen Flüssigkeit. Unser gesamtes Wahrnehmen der Welt bewegt sich also essentiell im Wasser. In der craniosacralen Therapie kann man diese innige, fließende, wellenartige, ja ozeanische Körperbewegung spüren; wie eine Schlange drehen und winden sich die Körpergewebe da unter den Händen des Behandelnden (ohne dass er diese Bewegung etwa ankurbeln würde – er begleitet sie nur und geht mit ihr mit). Beobachten wir einmal, wie dieser Strang in seinem flüssigen Milieu hin- und herschwappt, gelangen wir wieder zum Schema einer Schlange. Eben dieser Körpermittellinie entlang soll sich die Kundalini-Schlange hochwinden. Sollte dies etwa ein grundloses Ungefähr sein? Betrachten wir die Entwicklungsbiologie des Embryos, sehen wir ganz zu Anfang der Gastrulation den sog. Primitivstreifen. Er ist der erste Ansatz der Körpermittellinie; daraus bildet sich später das Zentralnervensystem und die bindegewebigen Strukturen, die schließlich den ganzen Körper ausmachen werden. Die erste Erscheinung des Primitivstreifens wird mitunter auch als „Schimmer“ bezeichnet: er gleicht einer länglichen, ondulierenden Schlange.

Unter diesem Blickwinkel macht die Darstellung einer primordialen Schlange, aus der das Leben hervorgeht, einen sehr konkreten Sinn. Der Beginn unserer menschlichen Existenz war flüssig und fließend. Wie gesagt, wir waren alle einmal ein im Wasser wackelnder Wurm. Die erste Erfahrung unseres Lebens war dieses in warmem Wasser gewogen werden. Wir lagen im Bauche der großen Mutter gebettet. Da wurden wir. Die Erinnerung an diesen Ursprung ist weiter in uns gegenwärtig. Wir haben es ja selbst erlebt, durchlebt. Natürlich ist dies keine mentale Erinnerung – wir hatten ja anfangs noch nicht einmal einen Kopf. Erinnerungsvermögen geht aber bekanntlich weit über das hinaus, was wir bewusst denken. Das Embryo hat durchaus eine sehr tiefe, innigliche Erfahrung von Leben – eine viel tiefere vielleicht als der alle seine Eindrücke durchdenkende Erwachsene (der für das fließende Geschehen Leben quadratene Boxen gezimmert hat, in die hinein er alles, was ihm geschieht, hineininterpretiert). Diese Erinnerung an diesen heimelig-fließenden Ursprung kann tatsächlich wiedererlebt werden (eine Reihe therapeutischer Verfahren arbeiten damit); allerdings ist dies nur möglich, wenn der Mensch von seiner weit später herausgebildeten Konditionierung ausbricht und wieder in diese seine ursprüngliche Wahrnehmungswelt zurückfindet. Auf dieser „primitiven“ Ebene sind wir noch keine festgelegte Form, geschweige denn eine persönliche Identität; wir sind im Wachstum – genauso gut aber könnte man sagen: wir sind Wachstum. Wir sind ein Prozess, der aus sich selbst neues Leben werden lässt, bestehen aus einem innewohnenden, jedoch sehr zielgerichtet agierenden „Wissen“, wie es werden kann, was es werden will. Wobei Wollen wohl schon zu viel gesagt ist, es ist mehr ein Impuls, der in sich selbst schon das Momentum trägt, das es in die Gestalt gelangen lässt, die es zu sein bestimmt ist. Man kann ja kaum davon sprechen, dass die Natur, wenn sie einen Körper wachsen lässt, einen durchdachten Plan hat, den sie vorfertigt und dann umsetzt, wie wir das tun. Es ist mehr ein Geschehen, durch das sich etwas formt. Wie von selbst, doch dennoch einer genau bestimmten Richtung folgend. Eine Matrix, die sich entfaltet.

Der Grundbaustein aller lebenden Struktur ist die DNA, die sich uns als eine aus zwei ineinander verschlungenen Strängen bestehend darstellt. Hier stoßen wir auf ein weiteres Schlangensymbol – ich halte es für das Bedeutungsträchtigste und für den Schlüssel zur Erkenntnis der Heiligen Schlange: den zwei ineinander verschlungenen, sich aneinander windenden Schlangen. Dies ist der Caduceus, der Hermesstab. Wir finden dieses Symbol aber auch schon viel früher als bei den Griechen, so schon bei der ältesten bekannten Zivilisation, den Sumerern.

Die kolumbianischen Desana (ebenso wie andere Amazonasvölker) sprechen von den Zwillings-Schlangen als Erzeuger dieser Welt; sie werden rhythmisch sich von einer Seite zur anderen wiegend dargestellt und als im menschlichen Gehirn geborgen. Die Schlange ist das Symbol der Medizin – bis in unsere Zeit hinein. Hier hat sich das Bild dieses weithin verlorenen, urtümlichen Wissens über die Jahrtausende hinweg bewahrt. Im Caduceus winden sich zwei Schlangen eine Achse hoch. Auch bei den alten Indern findet man diese beiden Schlangen;

sie hießen dort Ida und Pingala, und sie winden sich links und rechts entlang der Körpermittellinie hinauf. Sie stehen für den maskulinen und femininen Pol des Lebens; im Hin und Her dieser polaren Kräfte weben sie das Leben. Vergleichen wir dieses globale archetypische Bild mit der Doppelhelix der DNA, ist augenscheinlich, dass dies dieselbe Form ist! Man bedenke dabei, dass dieses Symbol dereinst auf Stein gemeißelt wurde, später auf Papyrus gemalt; die Künstler der damaligen Zeit skizzierten nicht dreidimensional bzw. malten dreidimensionale Formen zweidimensional auf. Diese Skizzen sind Modelle von etwas Fließendem, Lebenden. Wir dürfen also durchaus davon ausgehen, dass diese beiden Schlangen sich dreidimensional ineinander verflechten. Dies entspricht sehr genau der DNA, jenem Grundelement der Materie also, aus dem sowohl unser Körper als auch alle anderen biologischen Formen gemacht sind. Ebenso genau entspricht es sinnbildlich der Bedeutung der Schlange als Schöpferin und Weberin alles Lebenden. So etwas kann kaum Zufall sein. Die Menschen der Alten Zeit haben da etwas gewusst – und da dies nicht wissenschaftlich belegt war, so wussten sie es eben aus einem anderen Grund. Vielleicht weil es so ist?

Die Medizin der Schlange steht also für die Urmatrix, aus der die Physis, aus der alles Leben entsteht. Wir beginnen nun vielleicht zu verstehen, warum das Symbol der Schlange eine solch zentrale Bedeutung hatte. Die Heilige Schlange ist das Wissen um die Schöpfung, die Schöpfung des Lebens.

Nirgendwo in uns findet sich die Schöpferkraft so manifest wie in der Sexualität, eine der vertrautesten Symbolisierungen der Schlange. In der Sexualität fließt die Schöpferenergie durch uns selbst hindurch; hier sind wir potentiell in der Lage, selbst Leben zu schöpfen. Ihr Erleben versetzt uns in einen über das Alltägliche hinausgehenden, intensivierten Bewusstseinszustand. Wir erfahren die Qualität der Schlangenkraft direkt und am eignen Leib. Hier wirkt, hier tanzt die Schlange und windet sich durch uns hindurch. Wir sind angebunden an einen Größeren Zyklus von Leben.

Die Schlange war immer assoziiert mit der Fruchtbarkeit. Zeugungskraft des Menschen und Gedeihen der Saat wurden dabei nicht als voneinander getrennt betrachtet, vielmehr als einander bedingend und befruchtend. Ihre Wechselwirkungen wurden im Ritual gefeiert und gestärkt.

In verschiedenen mystischen Traditionen meint die Schlange nicht nur das körperlich Sexuelle, sondern die darin schlummernde Potenz. Die bereits erwähnte Kundalini wird als eingerollte, schlafende Schlange im Geschlechtsbereich dargestellt, die durch energetische Praktiken erweckt und zum Aufstieg entlang der Körpermittellinie bis in die höheren, geistigen Zentren des Menschen geleitet werden kann. Das daraus resultierende spirituelle Erwachen wird beschrieben als das Erleben einer vollkommenen Einheit mit allem Leben.

Nicht nur im Einzelwesen, auch im Gesamten des Daseins gilt die Schlange als Mittlerin zwischen Himmel und Erde, als Energiebewegung zwischen dem Irdischen und dem Geistigen. Oft sieht man sie daher als Gefiederte Schlange dargestellt – die auf dem Erdboden Kriechende, befähigt, hoch hinaus in die Lüfte zu fliegen. Die bekannteste dieser Darstellungen ist der mesoamerikanische Gott Quetzalcoatl. Vermittels der Heiligen Schlange wird also eine Verbindung der hiesigen mit der jenseitigen Welt gewoben.

Die Schlange vereint die Gegensätze und fügt sie zusammen. Erinnern wir uns an ihre enge mythische Verbindung mit dem Element Wasser. Ihre Qualität ist das Flüssige und so schmiegt sie die oft so widersprüchlich erscheinenden Aspekte des Lebens in ein rhythmisch pulsierendes Ganzes. Sie fließt im Kreislauf des Lebens. Der Uroboros ist die sich selbst in den Schwanz beißende Schlange, die einen Kreis bildet. Der Kreis kennt keine Auftrennung, kein duales Gegeneinanderstehen, nur Verbindung aller Pole in ein eines Ganzes. Durch die Schlange schließen sich Anfang und Ende, Ursprung und Bestimmung, Geistmacht und Erdenkraft, Geburt und Tod.

Es ist dieses Rundsein im Innern der Seele, dies Erspüren, wie alles im Leben sich in einem immanenten, fließenden Zusammenhang befindet, dass einem leidenden Menschen das Gefühl einer inneren Sinnhaftigkeit der durchlaufenen Erfahrungen schenkt. Der Archetyp der Heiligen Schlange kann somit ein wegweisender psychologischer Heilfaktor sein.

Am anderen Ende des Lebensspendenden, Zeugenden und Schöpferischen steht der Tod. Die ewige Bewegung des Lebens ist die des Entstehens, Werdens und wieder Vergehens. Auf und Nieder, Hin und Her, ewiges Wellen und Wogen, das ist der Puls, in dem die Schlange wiegt. In indianischen Traditionen werden Menschen Krafttiere zugeordnet, die in schamanischen Reisen zu ihnen kommen; von jenen, die Träger der Schlangenkraft sind, wird gesagt, dass sie in besonderer Intensität und Stärke diese Zyklen zu durchlaufen haben. Erfahrungen von Verlust und Not – seien sie physischer, emotionaler oder geistig-spiritueller Natur – nehmen in ihrem Leben eine maßgebende, richtungsweisende Bedeutung ein. Sie sterben innere Tode. Doch ebenso gewiss finden sie aus diesen Tiefen immer, immer wieder heraus, neu geboren, neu gestaltet, transmutiert.

Dies ist die Schlange, die sich häutet, ihr altes Kleid, das ihr nicht länger dient, von sich streift, da sie von innen her ein neues schon gebildet, in dessen Glanz erholt sie weiter ihres Weges windet. Dieser stetige Prozess der Erneuerung lässt die Seele fortwährend erstarken, von immer tieferen Schichten her das Dunkel durchleuchten, durch das sie durchgegangen ist. Die Schlange steht für das Prinzip der Wandlung, der Erneuerung, der Metamorphose und Evolution. Sie ist der zyklische Transformationsprozess, der allem Lebenden zugrunde liegt.

Es ist dies, das sie die Heilerin sein lässt. Sie, die das Mysterium der Schöpfung in sich trägt, ist die, die immer wieder neu zu schöpfen, die zu heilen weiß. Die das Leben webt weiß, was tun, wenn es verletzt ist.

Menschen, die diese Zyklen durchlaufen, erwerben dadurch die Fähigkeit, anderen zu helfen. Jeder Heilprozess hat einen solchen zyklischen Verlauf. Es bedarf des Abstiegs in die Tiefen, ins Dunkel des eigenen Unbewussten, um dort die Medizin zu finden, ja zu brauen, die der Mensch benötigt, um über das Missgeschick, das ihn ereilt hat, hinauszugehen. Verloren fühlt sich der Mensch, wenn er an diesem Punkt nicht weiß, nicht spürt, dass es ein größeres Ganzes gibt, in das er eingewoben ist und in dessen Kontext das, was er durchlebt, einen Sinn hat. Der Sinn ist nicht ersichtlich, wenn man gerade unten ist. Man schaut ins Schwarz und weiß nicht weiter. Den Mut, durch diese Nacht hindurchzugehen, bringt man für sich allein oft nicht auf. Da kommt das Motiv der Schlange als Helferin und Schutzgeist ins Spiel. Die Schlange steht für das intuitive Wissen um die Verbundenheit des Ganzen, um die Bewegung, die jedes erdenkliche Dunkel mit dem Licht vernetzt. Sie ist die wellende Bewegung, die im Yin-Yang das Dunkle vom Hellen trennt – doch ebenso vereint.4 Die Funktion des Heilers ist, diese