Mensch, Geschichte, Abenteuer proudly presents:

Seht, die Wikinger!

2. Auflage

ISBN:

978-3-844-83498-7

Text & Gestaltung:

Thomas Bauer

Gastbeitrag:

Manfred Wirth

Konzeptionelle Gegenlesung:

Michael Kind

Einband und Zeichnungen:

Matthias Dittmann

Lektorat:

Susanne Triems

Wissenschaftliche Beratung, geschichtliche Plausibilitätsprüfung:

Dr. Helmuth Bauer, Ralf Bosselmann

Druckvorlagen / Systemlösungen:

Gunther Junghanns

Verlag, Druck & Herstellung:

BoD – Books on Demand-GmbH, 22848 Norderstedt

© Thomas Bauer

2012 - 2016

Abdruck, Nachdruck und Vervielvältigung dieses Buches sowie Übersetzung, elektronische Wiedergabe und Speicherung – auch in Teilen – bedürfen der ausdrücklichen Zustimmung der Verfasser.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

Inhaltsverzeichnis von „Seht, die Wikinger!“

Von der Ära der wilden Wikinger

E in Ausruf voller Furcht und Panik hallte vor mehr als Tausend Jahren durch das frühe Mittelalter: „Bei allen Göttern – die Wikinger kommen!“. So oder zumindest so ähnlich ließen die Menschen ihrer Furcht freien Lauf, wann immer sie eine Flotte an Drachenschiffen näherkommen sahen. Längst war inzwischen allen bekannt, um wen es sich bei jenen Fremden handelte. Unter rotweißen Segeln und von Trommeln angetrieben, stachen die sogenannten Nordmänner in See, schwere Hörner verkündeten von ihrem Kommen. Erst segelten sie über das offene Meer, dann die zahlreichen Flüsse hinauf und schließlich an die unterschiedlichsten Küsten der Welt: um zu kämpfen, um zu rauben, und um ihren Göttern Heil zu bringen; diesen heidnischen Gestalten einer fremdartigen Mythologie.

Das jedenfalls war der Eindruck der Christenheit, als sie Mitte des neunten Jahrhunderts zum ersten Mal mit den Wikingern aus dem rauen Norden konfrontiert wurde. Vielleicht hat man bis zu dieser Zeit geglaubt, dass es sie gar nicht gibt. Immerhin soll es doch viel zu kalt da oben sein, dort wo das Land aus einer rauen See hervorsticht, wo die Nebel sich wie aus dem Nichts erheben und Eis und Gletscher ein solches Ausmaß haben, dass sie weit bis in den Himmel ragen.

Über diese scheinbar ferne Welt wusste man hierzulande nicht sehr viel, was gleichermaßen für deren Bewohner galt, die in der gleichzeitig nördlichsten Ecke des heutigen Europas zu Hause waren. Die Begegnungen, die sich zwischen den Christen und den Wikingern ereigneten, waren stets von historisch kurzer Dauer. Eingeprägt hat sich lediglich die rohe Gewalt dieser wüsten und furchtlosen Fußsoldaten, die mit ihren Schiffen so schnell wieder verschwanden, wie sie gekommen waren, nachdem sie Dörfer und Städte in Klump gehauen hatten. Das war der Eindruck, der sich von und über die Wikinger gefestigt hat und über viele Jahrhunderte lang weder hinterfragt noch kritisch angezweifelt wurde.

Und dieser Ruf hat sich, wenn wir ehrlich sind, in weiten Teilen der Öffentlichkeit bis heute gehalten. Noch immer erscheinen uns die Wikinger fremd. Noch immer wissen wir nur Einzelheiten, die uns aber kaum davon abhalten, sie als kriegsfreudige Haudegen pauschal zu klassifizieren. An all den Vorbehalten und Vorurteilen wiederum ist denn auch tatsächlich etwas Wahres dran: als die Wikinger im Jahr 845 die Hammaburg erreichten, blieb in der einst aufblühenden Stadt an der Nordsee, die heute als Hansestadt Hamburg bekannt ist, so gut wie kein Stein mehr auf dem anderen liegen. Für ganze drei Jahrhunderte wurde sie durch diese Katastrophe zurückgeworfen – und ihrem Aufstieg ein brutales Ende gesetzt. Wer wird darum nicht den Wi- kingern nachsagen wollen, dass sie ein Volk ohne Sinn und Verstand gewesen sind, welches es im Grunde genommen zu nichts anderem gebracht hat, als seine Zeit mit Rauben und plündern totzuschlagen?

Jetzt ist es aber erst einmal genug. mag die frühe Christenheit mit den Wikingern durchaus Häßliche Erfahrungen gemacht haben, so rechtfertigt dies aber noch lange nicht, dass die Chronisten in den Klöstern und Pfalzen ihnen immerzu nur Böses angedichtet haben. größtenteils unerwähnt blieben in den subjektiven Überlieferungen nämlich die Tugenden der Nordmänner, deren Traditionen auf einer altgermanischen Gesellschaftsordnung beruhten und die in ihrem Tatendrang den anderen Kulturen in Europa im Grunde in nichts nachstanden. Wer hat denn zuerst die Welt gesehen? Waren es die unter dem wissenschaftlichen Diktat der Kirche geknechteten West- und Ostfranken, die noch lange bis in die Neuzeit an eine Erde in Schienenform glaubten? Oder hatten hier viel eher die Wikinger die Nase vorn, die zur ersten Jahrtausendwende als erste Kolonisten den amerikanischen Kontinent besiedelten, einen lebhaften Handel und kulturellen Austausch mit den Völkern des Okzidents und Orients unterhielten und Gegenden erkundeten, wo noch nie ein Mensch zuvor gewesen ist? Trotz dieser beachtlichen Leistung hat man sie zumeist vorwurfsvoll als Heiden vorverurteilt, als Seeräuber und Mörder gescholten, sie gefürchtet und dabei bekämpft.

Die klassische, einflußreich Zeit der Wikinger dauerte übrigens gar nicht so lange. Zu stark war am Ende die Macht des Christentums, das über die nordischen Gewohnheiten und Glaubensansichten triumphieren sollte. Gut zwei Jahrhunderte währte ihre Ära in Europa – dann waren die Wikinger fürs Erste auch schon wieder vergessen. Aber auch heute noch erzählt man sich gerne Geschichten über sie und weiß so manche Dinge zu berichten: über Thor, das Thing, die Frauen und den Met. All diese Dinge und die besonderen Eigenschaften, die den Wikingern vor Tausend Jahren zugrunde gelegt werden, werden heute hoch gelobt und tragen zum Kultstatus jener alten Nordgermanen bei, den sie nicht nur hier in Deutschland in vor allem zunehmenden Maß genießen.

Das Interesse an der nordischen Kultur im Allgemeinen ist jedoch noch lange nicht ausgeschöpft. So vieles mehr gibt es zu erzählen, schwerpunktmäßig zu beleuchten oder in konstruktiven Diskussionen auszutauschen. Für die Autoren dieser Buchreihe hat es sich darum geboten, über die Vergangenheit der einstigen Nordmänner eine Abhandlung zu verfassen. Neben den vielen Fakten, Zahlen und Zusammenhängen, die man in so einer Schrift erwähnen kann, sollten auch fach- und manchmal zeitfremde Anmerkungen nicht fehlen, um das Gesamtbild nach möglichst vielen Gesichtspunkten hin abzurunden. Das ist es, was wir hier geschaffen haben und was dem Leser nun vollendet vorliegt: eine anschauliche Niederschrift, in der man gerne blättert und sie derart liest und aufschlägt, als wäre es ein kleines, gutes Buch.

God fornøyelse!

Die Autoren

der Reihe Mensch, Geschichte, Abenteuer.

In grauer Vorzeit

Lange Zeit bevor der Ansturm der Wikinger auf die christlichen Königreiche in Europa begann, haben sich im Herkunftsland jener Naturgesellen die ersten Menschen eine Heimat geschaffen. Von den Gestaden der eisigen Ostsee bis an die aus Gletschern entstandenen eindrucksvollen Fjorde, die praktisch kaum zu bewohnen waren, reichen die archäologischen Überbleibsel aus jener frühen Epoche der Geschichte Skandinaviens. Es handelt sich dabei um sehr frühzeitliche Kulturen, die dort im hohen Norden siedelten. Männer und Frauen, Kinder und Alte. Man könnte meinen, sie alle waren Wikinger von Anfang an, aber an jene bärtigen Krieger war zu diesem Zeitpunkt noch lange nicht zu denken. Überhaupt war zu Beginn der Besiedlung noch gar nicht abzusehen, ob Skandinavien jemals bewohnbar bleiben würde. Doch was vorerst noch nicht sicher war, sollte bald schon eines fernen Tages Wirklichkeit werden.

Zu aller Anfang ähnelte die nordische Welt vielmehr einer kalten Wüste; kahl, leblos und monoton, einem für Menschen ungünstigen Platz zum Überleben. In dieser Frühgeschichte unseres Planeten ereigneten sich, vor allem in jenen nördlichen Breitengraden, noch immer lebensfeindliche Naturphänomene. Über viele Jahrtausende war das Leben eine Geisel dieser Ereignisse; abhängig von den Launen höherer Gewalten und schutzlos ihren Folgen ausgeliefert. Kosmische Gesetze, und nicht die Menschheit selbst, bestimmten über Wohl und Verderben eines jeden neuen, bitteren Tages. Das Überleben war oft eine Frage des Glücks; und nicht nur von Stärke und Talent abhängig. Die Natur kann grausam und undankbar sein, sie ist aber niemals parteiisch orientiert oder von persönlicher Vorteilnahme motiviert, wenn es darum geht, den Lebewesen hier auf Erden und dazu zählt nun einmal der Mensch und somit auch der freie Nordmann das Leben zu verhageln.

Bald aber lichteten sich die Schleier und majestätisch erhob sich über Skandinavien die Sonne. Aus dem ewigen Eis drangen alsbald Rufe Rufe aus der Steinzeit; ausgestoßen von jenen noch urzeitlichen Stämmen, die an den Fjorden und an der Küste der Halbinsel ein einfaches, aber dennoch aufregendes Leben führten. Sie stellen gewissermaßen die ersten Menschen dar, die im Hohen Norden Fuß fassten. Mit ihren historisch belegten ersten Besiedlungsversuchen haben sie einen einmaligen Weg eingeschlagen, dem andere Zivilisationen folgen sollten. Alsbald begann ein Wettlauf unter ihnen. Wer erreichte das Land als Erster? Wer setzt sich durch und behauptet sich gegenüber den anderen? Nur die zähesten unter den neu ankommenden Siedlern, das war ihnen allen insgeheim wohl klar, würde in dieser rauen Welt überleben können. Wer waren diese frühen Völker? Wie lange haben sie es dort ausgehalten? Wie hat wohl deren Alltag ausgesehen, und wann war ihre Gesellschaft soweit entwickelt, dass die Geschichte endlich von den Wikingern sprechen konnte – von jenen Männern und Frauen, die einst in grauer Vorzeit aus den skandinavischen Weiten kamen?

Im Zeitalter des ewigen Eis

W enn wir über die Wikinger und ihre Epoche, in der sie maßgeblich Geschichte schrieben, sprechen, dann beziehen wir uns auf einen Zeitraum, der mehr als 1 000 Jahren vor uns liegt. Laut der christlichen Kalenderrechnung hat die Ära der Wikinger im achten Jahrhundert ihren Anfang genommen und Mitte des elften Jahrhunderts ihren Niedergang erlebt. Als in halb Europa gerade eine neue Ära anbrechen sollte, nämlich die des hohen Mittelalters, ging die der Wikinger schon wieder zur Neige. So alt ist also die Geschichte der Seekrieger, die sich innerhalb von gut 300 Jahren ereignet und trotz der vergleichsweise kurzen Dauer reichlich Eindruck hinterlassen hat. Über die Wikinger jedenfalls steht sowohl in christlichen als auch in arabischen sowie in nordischen Quellen geschrieben. Die reine Zahl ihrer Schiffsfahrten über das Meer ist beeindruckend. Sie zählen mit Abstand zu den spektakulärsten Unternehmungen des Mittelalters und stehen in ihrem historischen Gegenwert den Ereignissen in anderen Feudalstaaten in gar nichts nach, sondern übertreffen, was die vielen Entdeckungen und Fahrten zur See betrifft, diese sogar bei weitem.

Eine so prägende Zeit wie die der Wikinger kam freilich kaum aus dem Nichts zustande. Sie hat ihre Wurzeln in einer Vorgeschichte; in etwas, das vorangegangen war und sich zumeist aufgrund von Umwelteinflüssen außerhalb der jeweiligen Gemeinschaft ausgebildet hat. Die Geschichte lehrt, dass selbst kleine Geschehen – oft waren es Zufälle und Kleinigkeiten – als ein wichtiger Bestandteil eines gesamthistorischen Verlaufs anzusehen sind. Dieser eine, besondere Bestandteil, dieses Puzzle im großen Ganzen, hatte einen oftmals wesentlichen Einfluss auf die Geschicke ganzer Generationen. Das konnte im Einzelfall zum Beispiel eine epochale Erfindung gewesen sein; die alles bis dahin Vorhandene in den Schatten stellte oder ein gewonnener Konflikt; der alle Widersacher beseitigte – oder aber ein von allen Seiten gesegnetes Land mit optimalen Bedingungen, das aufgrund seiner geographischen Voraussetzungen das Erblühen einer menschlichen Zivilisation mehr als begünstigte und im rechten Moment als Heimat zur Verfügung stand.

Wir wissen sehr wohl, wie wichtig dieser Punkt sein kann. Land war das Einzige, für das es sich zu kämpfen wirklich lohnte! Das lehrt uns zumindest unsere Vergangenheit. Von stets entscheidender Bedeutung – so lautet eine ungeschriebene Bedingung für eine wechselhafte, spannende Geschichte – war eine freie „Keimzelle“ in Form von riesigen und unberührten Landschaften, die nur darauf warteten, von den Menschen eines bestimmten Volkes zuerst besiedelt und später mit allen Vor- und Nachteilen vereinnahmt zu werden. In neudeutscher Sprachgewohnheit ist damit die „Location“ gemeint, der „Place“, wo sich unserer Vorstellung nach unsere Vorfahren denn einst niederließen. Alle längst vergangenen Kulturen unserer Ahnen waren diesem Grundsatz unterworfen, als sie im Frühstadium ihrer Entwicklung aus der Wiege der Menschheit heraus, dem heutigen Afrika, zu einer Reise aufbrachen und den Schritt in eine ferne Zukunft wagten. Ihre Wanderungen haben die Menschheit in alle Himmelsrichtungen und in jede heute bewohnte Region der Welt geführt. Dabei haben unsere Vorfahren vor mehr als 15 000 Jahren alte Landverbindungen passiert, die in diesen Tagen nur noch auf dem Papier existieren, und dadurch andere Kontinente und Gegenden erreicht. Man denke dabei nur an Japan, Amerika oder Neuseeland, die stellvertretend für die Reiselust jener Menschen stehen. Auf die gleiche Art und Weise fanden sehr viel auch die Vorfahren der heutigen Skandinavier auf die nördlichste Halbinsel Europas und in den weithin offenen Gebieten schließlich ihre neue Heimat.

Es liegt dem Menschen einfach im Blut, dass er nicht lange an einem Ort verweilt. Nur so ist die Tatsache zu erklären, dass die Geschichte unserer Urahnen seit jeher schon groß angelegte Wanderungen verzeichnet. Die urafrikanischen Wanderungen, also der Aufbruch der Menschheit aus Afrika, gehört dabei zu den waghalsigsten aller Unternehmungen. Über Tausende Kilometer hinweg machten sich die Stämme auf die Reise ins Unbekannte. Sie waren unterwegs, um sich einen Traum zu erfüllen, auf der Suche nach der letzten aller Grenzen, und unterwegs zu einem Ziel, das sie niemals in einem Leben, sondern erst nach einigen Generationen erreichen sollten.

Zu sehen ist die Halbinsel Skandinavien, das als Ursprungsgebiet der Wikinger gilt. Ebenfalls zu sehen sind einige der zum gesamtskandinavischen Einflussgebiet gehörenden Gegenden wie Island, Dänemark und küstennahe Gebiete von Osteuropa.

Natürlich verlief die frühzeitliche Besiedlung der Erde keineswegs so frei und fröhlich! Es gab Hunderte Gründe, warum etwas schiefgehen konnte, und genau so viele, warum auch etwas schiefgegangen ist. Und selbst nachdem unsere Vorfahren ihren Platz auf der Welt – ihre eigene „Location“ – gefunden hatten, verstrichen viele Tausend Jahre, bis sie ethisch und geistig so entwickelt waren sowie einen solchen Grad an technischen Fortschritt errungen hatten, dass die Völker landauf und landab zu jenen selbständigen Souveränen wurden, wie wir sie heute kennen. Das alles hat in der Frühzeit der Geschichte angefangen, und auch wenn sich die Menschheit noch außerstande sah zu erahnen, wie es ihren Nachkommen einst ergehen würde, so fühlten sie sich in ihrem Unternehmen von höheren Motiven geleitet. Und was den Vorfahren der heutigen Chinesen eben am Gebiet des heutigen China und den urzeitlichen Deutschen eben an Deutschland gefiel, das war auch für jene wilden Stämme wichtig, die einstmals über alte Kontinentalverbindungen nach Norden wanderten und sich in einer der wohl ungezähmtesten Gegend der Welt niederließen.

Dass Skandinavien indirekt nicht nur die Kultur der Wikinger hervorbrachte, sondern zuvor auch mehreren germanischstämmigen Völkern ein Zuhause bot, hatte sich selbst damals schon – ohne die modernen Möglichkeiten der Kommunikation – in der Alten Welt herumgesprochen. Schon die alten Römer hatten von jenem Erdteil gewusst, der mit besonderen geologischen und geographischen Aspekten ausgezeichnet war. Zu Zeiten der Antike gab es mehrere Bezeichnungen für den umgangssprachlich sogenannten „Hohen Norden“. Scantinavia sagten die Römer, Skandza die Goten, und die Hellenen und anderen Völker im Mittelmeerraum glaubten an dieses teils noch sagenumwobene Land nordöstlich von Britannien unter dem geheimnisvollen Namen Thule. Und jenes Thule gibt es im Grunde nach wie vor. An dessen Stelle hatten später zwei große Staaten, nämlich Norwegen und Schweden, ihre Herkunft gefunden und zur Namensfindung Skandinaviens beigetragen. Nach wissenschaftlicher Meinung und wegen einer Vielzahl von Gründen können jedoch Dänemark und Finnland nicht dazu gerechnet werden. Wie dem auch sei: Die Halbinsel der Tausend Seen und Gletscher ist seit mehr als zwei Jahrtausenden ein wohl bekannter Begriff. Sie hat eine anerkannte, einflussreiche Geschichte, ist wunderbar anzusehen und zählt, was den heutigen allgemeinen Lebensstandard angeht, zu den angesehensten Regionen dieser Erde. Skandinavien ist schon seit langer Zeit bewohnt, und die Menschen, die einstmals dort gelebt haben und deren Vergangenheit uns nun in einem gewissen Zeitraum besonders interessiert, das sind jene frühen Skandinavier, die wir heute als Wikinger kennen.

Die Wikinger und ihre alte Kultur erfahren in unseren Breitengraden immer wieder gelegentliche Beachtung. Im Allgemeinen werden mit ihnen eine Vielzahl von Errungenschaften gleichgesetzt, die bei näherer Betrachtung keine andere Gesellschaft in der Geschichte aufweisen kann. Man nehme da zuerst den charakteristischen Wikingerhelm, jene ovale, metallene Kopfbedeckung samt – so nimmt man es zumindest an – den seitlich angebrachten Rinderhörnern. Bekannt, und im Gedächtnis der Nachwelt haften geblieben, sind die Bärenfelle als Kleidung dieser Männer. Die scharfe Streitaxt, das zweischneidige Schwert und das dicke Holzschild dürfen dabei nicht vergessen werden, genauso wenig wie ihr Glaube an alte, heidnische Gottheiten. Lange Haare, ein wild wuchernder Bart, der sie grimmig aussehen ließ, und schließlich ihre schlechten Manieren – all das sind Merkmale der Wikinger. Sie sind ein Beispiel für ihre unnachahmliche Lebensweise, über die mancher den Kopf schütteln mag, die jedoch allen Unkenrufe und einem zuweilen breiten Desinteresse zum Trotz wahrlich Geschichte geschrieben hat, was nicht jeder jeden Tag vollbringen kann.

All das gehört unwiderlegbar zu den Wikingern, und war in dieser Weise auch nur in ihrem Kulturkreis anzutreffen. Dass ihre Waffen und ihr Gebaren zuweilen von anderen Völkern in abgewandelter, veränderter oder sinngemäßer Form verwendet worden sind und dass gewiss ein wechselseitiger Kulturaustausch sowohl den Wikingern als auch ihren Nachbarn zugutekam, liegt zwar nahe, ist durchaus logisch, ändert aber dennoch nichts an der eigenständigen Verwendung jener Güter durch die Mannen im hohen Norden. Kreativität und Einfallsreichtum waren den Wikingern nicht fremd, im Gegenteil. Sich anzupassen, stetig weiterzuentwickeln, war unbedingt notwendig für das eigene Überleben. Und damit hatten die Wikinger alle Hände voll zu tun. Denn sehr viel von dem, was jene Nordmänner einst geschaffen haben, beruht in weiten Teilen auf ihrer Erfahrung und den Lehren aus dem täglichen Mit- einander. Es sind das Klima und die Umwelt Skandinaviens, die ihnen stets zu schaffen machten und einen unausweichlichen Kampf ums Überleben aufzwangen.

Und das ist auch das Geheimnis ihrer Welt. Winde und Frost, Sturm und Regen haben die Menschen zu Wikingern gemacht. Wie genau, erfahren wir noch. All das jedenfalls hat in einem wahrlich packenden Moment seinen Anfang genommen, der noch heute von Dauer und Bedeutung ist, der sich in der frühen Phase unserer Geschichte seinen Weg bahnte und das Antlitz Skandinaviens – und das Befinden Europas – praktisch über Nacht veränderte. Dieser Moment kann gar nicht übersehen werden, denn er hat der Menschheit ein weiteres Tor geöffnet, um sich nun andernorts zu entwickeln. Es ist die Rede von der Abschmelzung der nordischen Gletscher, von einem weiteren, weltweit ausschlaggebenden Klimawandel und vom Übergang der bisher letzten Kaltzeit in die Warmzeit der Gegenwart.

Während der letzten Eiszeit lag hierzulande noch einiges im Argen. So reichte der Golfstrom, der für ein mildes Klima sorgt, damals noch nur bis zum nördlichen Mitteleuropa. Die Gletscher, die vom Norden ausgehend sich über die skandinavische Halbinsel legten, erstreckten sich zeitweise bis ins südliche Deutschland, und als die ersten Menschen nach Amerika wanderten, haben sie mutmaßlich eine Landverbindung passiert, die aus reinem Eis bestand und in Nordeuropa begann.

Genau genommen begann die Geschichte unseres Planetens vor 4,6 Milliarden Jahren, als kosmische Elemente, unter ihnen Gase und Staub, sich im Laufe ihrer Umdrehung um die Sonne zu einem festen Himmelskörper verdichteten. Damals besaß die Erde noch keine feste Oberfläche und war schutzlos dem Ansturm von Asteroiden und Kometen ausgesetzt. Erst vor etwa 2,5 Milliarden Jahren entwickelte sich allmählich eine Atmosphäre, bildete sich die Erdkruste heraus. Erst dadurch wurde die Entstehung des Lebens möglich, welches vor 500 Millionen Jahren dann seinen Anfang nahm.

Die Erde im Wandel

Wir haben eben angedeutet, dass es nur ein kurzer Augenblick, ein flüchtiger Moment – gemessen an der gesamtgeologischen Geschichte dieses Planeten – gewesen ist, in welchem sich die klimatischen Bedingungen in großen Teilen der Nordhalbkugel dramatisch veränderten. Was wir hier des Verständnisses halber nüchtern als Sekundenbruchteil zusammenfassen, wird der zeitlich exakten Wirklichkeit natürlich nicht gerecht. Es dauerte genauer genommen ca. 3 000 Jahre, ehe der erdgeschichtlich jüngste Klimawandel durchgehend seine volle Wirkung entfaltet hatte. Und jene 3 000 Jahre sind eine lange Zeit: sie nehmen etwa ein Viertel in der Geschichte des modernen Menschen ein.

Als sich so vor ungefähr 12 000 Jahren nun ein wahrer Wetterumschwung ankündigte, wechselte sich – wie schon zuvor in anderen Erdzeitaltern geschehen – in den nördlichen Breiten eine Periode der Kaltzeit, der sogenannten Glaziale, mit einer Ära der Warmzeit, der Interglaziale, ab. Wie in einem typischen Jahreszeitenwechsel, nur sehr viel tiefgreifender und länger andauernd als sonst, gingen Winter und Frost und es kamen Sommer und Sonne. Die Gletscher, die unlängst ganz Skandinavien vereisten, schmolzen ab, und die erstarrten Böden und Seen der Halbinsel erwachten in neuer Frische. Dabei handelt es sich um ein völlig normales, klimatisch bedingtes Naturphänomen, welches in der Vergangenheit aber stattgefunden hat, obwohl das Eiszeitalter der Erde – die größte aller natürlichen Klimaperioden – eigentlich noch nicht abgeschlossen war. Das ist es übrigens auch heute noch nicht! Denn im Gegensatz zu unserem persönlichen Empfinden ist das derzeitige „Wohlfühl-Klima“ mit seinen vergleichsweise milden Wintern kein Zustand für alle Ewigkeit. Wir leben zwar tatsächlich in einer Phase des weltweiten Klimawandels, der in naher Zukunft einen Anstieg der Temperatur auf der Erde bewirkt und gegenwärtig heiß diskutiert wird. Dieser Wandel findet jedoch nur in einer akuten Warmphase innerhalb des aktuellen Eiszeitalters statt, und ist nicht von unendlicher Dauer. Die längeren Kalt- und die kürzeren Warmphasen wechseln sich einander immer ab, was sowohl in einem Warmals auch in einem Eiszeitalter geschieht. Das Klima dieses Planeten wird sich darum – und das ist sicher – in naher Zukunft erneut verändern; unabhängig von allen durch den Menschen verursachten Prozessen. Gegen Ende des vorherrschenden Interglazials (Warmzeit) in schätzungsweise zwei- bis viertausend Jahren sagen Wissenschaftler das Absinken der globalen Durchschnittstemperatur voraus, das mit einer allmählichen, landübergreifenden Gletscherbildung einhergeht, so, wie es einst der Fall gewesen ist, als noch vor zwölftausend Jahren unter anderem auch Skandinavien mit Eis vollkommen überzogen war.

Man muss jene gewaltigen Kräfte wohl erst einmal auf sich wirken lassen, die damals praktisch vom Nordpol bis an die Küste Norddeutschlands das weite Land und alle Meere in eisigem Atem gefangen hielten. Da man selbst die Kälte der Frühzeit nicht mehr spüren kann und keine Abbildungen von der Natur jener Zeit existieren, helfen nur noch blumige Worte weiter. Als ob das übrigens so einfach wäre! Wir reden hier nicht über sieben Monate mit einer Temperatur von etwa -20 °C. Jene Kaltzeit, jenes Glazial, das Skandinavien förmlich in Fesseln schlug, hatte eine Dauer von etwa 100 000 Jahren. Einhunderttausend Jahre, in denen nichts anderes als Eis die nördliche Halbinsel zittern ließ.

So und nicht anders muss man sich jene Tage und Nächte vorstellen: Grässliche Winde, die peitschten und wüteten, über eine endlose Eiswüste bis an den Rand des Horizonts. Am Tage gab es nichts anderes als blendendes Licht. Kein Baum und kein Strauch prägte diese kalte Einöde. In der Nacht verlor sich das Land in Dunkelheit, und eine Kälte zog auf, die wie Feuer auf der Haut brannte und derart die Luft zusammenzuziehen vermochte, dass einem der Atem gefror. Hunderte Kilometer weit reichen jene Gletscher, an deren Oberfläche die Rufe der Wildnis einfach abprallten. Kein Laut war zu hören, bis auf den des Windes. Auf eisiger Oberfläche schlitterte die Zeit einfach dahin. 100 000 Jahre, die nicht vergehen wollten. Einhunderttausend Jahre im ewigen Eis. Fern und abseits des frühmenschlichen Lebens, als bereits erste Zivilisationen im Entstehen begriffen waren, dämmerte Skandinavien und seine angrenzenden Regionen wie in einem tiefen Winterschlaf dahin. Während in anderen Gegenden auf der Erde ein gemäßigtes Klima vorherrschte, das optimale Bedingungen für ein Überleben bot, war von all dem im späteren Land der Wikinger noch überhaupt nichts festzustellen. Wie das wohl sein kann, fragt man sich doch zwangsläufig, wenn die schemenhafte Vorstellung einer Welt aus Eis einen einfach nicht mehr in Ruhe lässt. Wie war es möglich, dass halbe Kontinente erstarrten und eigentlich unbewohnbar waren, währenddessen an anderen Orten, mitunter gar nicht allzu weit entfernt, von Schnee und Eis keine Rede sein konnte. Was wir an dieser Stelle haben wollen, sind stichhaltige Erklärungen und plausible Hintergründe für dieses offensichtlich faszinierende Phänomen.

Sowohl für die allumfassenden Eiszeitalter – die das Schicksal unseres blauen Planeten seit Millionen von Jahren bestimmen – als auch für die sich während dieser Zeit abwechselnden Glaziale und Interglaziale sind mehrere geophysikalische Vorgänge verantwortlich. Nicht immer haben sie gleichermaßen Einfluss auf das ganze weltweite Geschehen. Es ist erwiesen, dass vor allem innerplanetarische Bewegungen auf die großen Zeitalter Einfluss nehmen, während die weitaus kürzeren Kalt- und Warmphasen eher aufgrund kosmischer Phänomene zustande kommen. Zur kurzweiligen Veranschaulichung dieser Prozesse greifen wir nachfolgend auf eine Ära in unserer Erdgeschichte zurück, die zwar ganz und gar nicht in unserer unmittelbaren zeitlichen Nähe liegt, nichtsdestotrotz aber für die historische Entwicklung Skandinaviens den Grundstein gelegt hat.

Ständige Bewegungen innerhalb der Erdkruste waren einstmals die Ursache dafür, weshalb die Erde in die Periode des sogenannten Känozoischen Eiszeitalters eintrat, das bereits seit 30 Millionen Jahren andauert. Jene Bewegungen äußerten sich vor allem in der Verschiebung der Kontinentalplatten, was die Entstehung neuer Gebirgsketten auf den Kontinenten verursachte und zur Schließung beziehungsweise Öffnung von Meeresstraßen führte. Diese Meeresstraßen wiederum transportierten warmes, sauerstoffhaltiges Wasser, das sich während der fortdauernden Plattenbewegung auf die globale Umwelt auswirkte und in einem komplizierten, langandauernden und auch schwer zu beschreibenden geophysikalischen Prozess für den Anbruch des Känozoischen Erdzeitalters sorgte. Paläoklimatologen sind der Meinung, das außerdem weitere geologische Aktivitäten – die noch tiefer in der Vergangenheit stattgefunden haben, wie beispielsweise der Vulkanismus am Ende der Kreidezeit – zur Herausbildung des nun herrschenden Eiszeitalters beitrugen und sich über Millionen von Jahren hin auswirkten.

Von ganz Skandinavien ist besonders Norwegen durch die letzten Warm- und Kaltzeiten der vergangenen Jahrtausende förmlich mitgerissen worden. Die lichtbeständigen Gletscher, die in weiten Teilen unberührte Landschaft sowie zahlreiche Fjorde und Küstenabschnitte sind charakteristisch für die geologischen Prozesse und die geographische Vielfalt der skandinavischen Halbinsel. Hier im Bild zu sehen ist ein glazialgeprägtes Kerbtal am Buerbreen-Gletscher.

Eiszeitalter, in denen wenigstens ein Pol der Erde vergletschert ist, gab es in der Geschichte dieses Planeten bereits in siebenfacher Anzahl. Das jüngste von ihnen, in dem wir gegenwärtig leben, ist das Känozoische Eiszeitalter, das seit etwa 30 Millionen Jahren andauert. Vor ihm existierte die Karoo-Eiszeit, Anden-Sahar-Eiszeit, Gaskiers Eiszeit, die Marinoische Eiszeit, die Sturtische Eiszeit sowie die Huronische Eiszeit, welche vor etwa 2,4 Milliarden Jahren begann. Zwischen den einzelnen Eiszeitaltern herrschten mehrere Hundert Millionen Jahre dauernde Epochen eines sogenannten Akryogenen Warmklimas, während dem es auf der Erde kaum vereiste Gebiete gegeben hat.

Im Känozoischen Eiszeitalter kam es bald zur Vergletscherung und einer massiven Bildung von Eis am Süd- und Nordpol, also im Bereich der Arktis und Antarktis. Dafür verantwortlich waren die einzelnen Kaltphasen, die man wissenschaftlichen Kreisen Glaziale nennt. Ursache dieser nur Tausende Jahre währenden Abschnitte waren hierbei aber kosmische Ereignisse, die – im Gegensatz zu den Kontinentalbewegungen – lediglich „kurzfristig“ auf das Geschehen hier auf der Erde einwirkten und in ihrer genauen Wirkungsweise und in ihren Verlauf bislang noch nicht vollständig erforscht worden sind. Ihre Auswirkungen allerdings sind insofern ansatzweise gut erfasst, als zumindest in diesem Zusammenhang kein Zweifel an ihrem Einfluss auf das irdische Klima besteht.

Die Sonne, die als massereichstes astronomisches Objekt im Sonnensystem – sie umfasst ganze 99% der greifbaren Materie – enorme gravimetrische Auswirkungen besitzt und als Energiespender praktisch diesen Planeten am Leben erhält, wirkt sich natürlich auch auf das tägliche Wetter und auf die Warm- und Kaltphasen aus. Sie befreite vor gut 10 000 Jahren Skandinavien vom Eis. Die Sonne als Stern in diesem Sonnensystem unterliegt periodisch auftretenden Aktivitätszyklen. Dabei schleudert sie nach einer Serie astrochemischer Verbrennungsvorgängen vermehrt Plasma ins All und gibt eine stärkere Strahlung und Wärme ab. Diese stellaren Auswürfe treffen schließlich auf der Erdoberfläche ein und beeinflussen dort in einem eingeschränkten Maße das Klima, was wiederum den Übergang von einem Glazial, einer Kaltphase, in ein Interglazial, eine Warmphase, verursacht.

Obschon von der Sonne gewaltige Kräfte ausgehen könnten, die das Leben auf diesem Planeten und die Erde selbst mit einem Hieb zerschlagen würden, hat sich das Gestirn dieses Sonnensystems bislang aber ziemlich zurückgehalten. Nach derzeitigem Kenntnisstand nämlich sind die Sonnenaktivitäten der letzten Millionen Jahre nur teilweise für den Wandel der Warm- und Kaltphasen verantwortlich. Die Neigung der Erdachse spielt hierbei eine entscheidendere Rolle. Denn vor allem verläuft die Bahnbewegung der Erde um die Sonne keinesfalls in einer stabilen Position. Selbst kleinste Schwankungen, die aufgrund der wirkenden Gravitation jedem astronomischen Objekt im Kosmos widerfahren, haben irgendwann eine andere Achsenneigung unseres Planeten und damit einen abweichenden Eintrittswinkel der Sonnenstrahlung zur Folge. Dadurch ergeben sich Konsequenzen für die Vegetation und die klimatischen Bedingungen. In einem nahezu konstanten zeitlichen Abstand – aller paar Tausend Jahre – kippt die Erde also um mehrere Grad, während sie die Sonne umkreist. Dadurch konzentriert sich die Sonnenenergie auf jeweils einen anderen Teil der Erdoberfläche – in unserem Fall die Skandinavische Halbinsel – und beeinflusst dadurch das örtlich vorherrschende Klima, insbesondere in Hinblick auf den Verlauf des Eiszeitalters. Die Veränderung der Neigung der Erdachse unterliegt übrigens einem festen Zyklus. Sie hat einen zeitlich exakten und vorhersehbaren Anfang und findet nach vielen Jahren wieder zu ihrem Ausgangspunkt zurück.

Die kosmischen Einflüsse der Sonne und die Bahnbewegung der Erde sind demnach die Ursachen für das Auftreten der Glaziale und Interglaziale. Sie lassen auf eine Kaltphase eine Warmphase, auf einen langen Winter einen kurzen Sommer folgen, und prägen so den klimatischen Verlauf des Känozoischen Eiszeitalters – einer Epoche, in der die Erde in weiten Teilen eisfrei und später wieder in weiten Teilen vergletschert war.

Für ein sich mit Geschichte beschäftigendes Buch kann es durchaus erstaunlich sein, dass wir bisher recht eindringlich von geographischen und geologischen Bedingungen unseres Planeten berichtet haben. In der Hoffnung, unsere Leser nicht schon zu Anfang verschreckt zu haben, möchten wir diese Thematik nunmehr abschließen. Fürs Erste ist es genug mit Frost und Kälte.

Völlig verschwinden werden die davon handelnden und hier genannten Fakten aber auch in den kommenden Abschnitten nicht. Sie sind nämlich im weiteren Verlauf dieses Buches – das sich dann wirklich hauptsächlich den Wikingern widmen wird – immer wieder von Bedeutung und sollen als Hintergrundwissen nützlich sein, sowohl in Bezug auf die Wandlung Skandinaviens zu einem lebensfreundlichen Ort als auch für das bessere Verstehen der Wikinger und ihrer ganz eigenen Kultur. Und weil sich niemand alles merken kann oder vielleicht der eine oder andere den obigen Abschnitt über die Eiszeit – frecherweise – überblättert hat, fassen wir die hier genannten Fakten kurz und bündig nochmals zusammen:

Die geologische bzw. klimatische Geschichte unseres Planeten wird von der Wissenschaft in mehrere Abschnitte eingeteilt. Dabei kommen gewöhnlich nur schwer zu merkende lateinische Bezeichnungen für jeweils eine Epoche der Erde in Betracht. Zu nennen wären da das Mesozoikum, das Archaikum oder das Känozoikum – hier nur als einige weniger drastische Beispiele aufgezählt. Bezogen aber auf das globale Wetter; auf geographisch-klimatische Lebensbedingungen, gibt es unabhängig von den geologisch-spezifischen Epochen nur zwei mögliche Abschnitte, die die Geschichte der Erde geprägt haben: Ein Warmzeitalter und ein Eiszeitalter. Bei beiden handelt es sich um Epochen mit einer Dauer von Millionen von Jahren. Die Warmzeitalter waren in der Mehrzahl und beeinflussten vordergründig das Klima dieser Welt. Zur Zeit allerdings ist genau dies nicht der Fall, denn seit Dutzenden Millionen Jahren schon herrscht das Känozoische Eiszeitalter vor. Bei einem Eiszeitalter generell handelt es sich aber keineswegs um eine ununterbrochene Epoche voller Dauerfrost. Es sind die natürlichen, temperaturbedingten Schwankungen, die ein Eiszeitalter in mehrere ineinander übergehende Phasen von Kalt- (Glazial) oder Warmzeiten (Interglazial) formal einteilen.

Im Verlauf eines Glazials kommt es stets zu einer starken Gletscherbildung, die am Nord- und Südpol sowie ind den Gebirgsregionen beginnt, sich über Jahrhunderte hinziehen kann und die in der Vergangenheit zuweilen sogar bis zu einem Drittel der Erdoberfläche mit Eis bedeckt hielt. Die dieser Kaltphase nachfolgende Warmzeit wiederum bewirkt einen Rückgang des Eises, führt zum Ansteigen der globalen Durchschnittstemperatur und einem gemäßigten Klima in selbst polnahen und hochbergigen Gebieten. Allerdings sind die Wetterbedingungen in den einzelnen Zeitaltern keinesfalls gradlinig und streng nach einer einzigen, durchgängigen Temperatur ausgerichtet. Selbst in einer bestehenden Kalt- oder Warmzeit waren in der Vergangenheit kurzfristige, temperaturbezogene Schwankungen die Regel. Sie wurden von irdischen als auch astronomischen Naturprozessen verursacht und wechselten sich immer wieder ab. Bei diesem Zyklus handelt es sich um ein natürliches Phänomen, das – bezogen auf den Menschen als das evolutionsmäßig ranghöchste Lebewesen – so gut wie gar nicht beeinflusst werden kann.

Eine umstrittene, heiß diskutierte These besagt indes, dass die Erde einstmals für mehrere Tausend Jahre sogar vollkommen in Eis gepackt war. Ein durchaus beängstigendes Szenario. Sehr wahrscheinlich war der Mensch in seinem frühen Entwicklungsstadium sogar akut vom völligen Aussterben bedroht! Viel hätte damals sicher nicht gefehlt. Ob die als „Schneeball Erde“ bezeichnete und bis jetzt nur durch Indizien untermauerte Vermutung stimmt, ist derzeit nicht ganz klar. Beängstigend wirkt sie dennoch und verdient es darum um so mehr, wissenschaftlich intensiv analysiert zu werden. Wahrscheinlich bedarf es dazu noch Jahre der Forschung, bis die Wahrheit über die These dieses umstrittenen, aber vielleicht doch möglichen Horrorszenarios ans Licht kommt und den Menschen der Gegenwart, diese Beinahe-Katastrophe als Mahnung, an den Wert und die Vorzüge eines verantwortungsbewussten und umweltfreundlichen Lebens erinnert.

Klimatische Veränderungen ereignen sich zwar tatsächlich seit Millionen von Jahren auf diesem Planeten. Aller hartnäkkigen Ablehnungen zum Trotz jedoch kann nicht mehr bestritten werden, das der Mensch in seiner Gesamtheit einen erheblich negativen und seit Beginn der Industrialisierung rasant wachsenden Einfluss auf das irdische Klima nimmt. Vorrangig geschieht dies durch die Freisetzung von Kohlenstoffdioxid, dessen Ausstossentgegen aller frommen Beteuerungenbisher von Jahr zu Jahr immer zugenommen hat. Im Jahr 2011 wurden so etwa 34 Milliarden Tonnen CO2und damit eine Milliarde Tonnen mehr als 2010freigesetzt. Für diese Menge waren weitestgehend China, die USA, Indien, Russland, Japan, Deutschland, Südkorea, Kanada, Saudi-Arabien sowie der Iran und Großbritannien verantwortlich.

Bei einem Gletscher handelt es sich eigentlich nur um eine große Ansammlung aus massivem Eis, das sich einst aus Schnee gebildet hat und aufgrund extremer Temperaturen sowie durch äußeren Druck verdichtet wurde. Obwohl die meisten von ihnen in den Kaltphasen unserers Eiszeitalters enstanden, bilden sie sich teilweise auch heute noch. Hier zu sehen ist der Fuß des Folgefonna, Norwegens drittgrößtem Festlandgletscher aus der Region Hardanger mit einem Ausmaß von 214 km2.

Ein Rückblick auf das Eiszeitalter

Zum Abschluss unseres Exkurses möchten wir noch auf den geographischen Zustand Skandinaviens zu sprechen kommen, der die ökologische Beschaffenheit der nördlichen Halbinsel lange Zeit prägte, bevor es mit dem schon mehrmals erwähnten Anbruch der derzeitigen Warmphase vor gut 12 000 Jahren zu einem allmählichen klimatischen Wandel gekommen war.

Gletscher, Eis und eine klirrende Kälte – dies waren die entsprechenden Charakteristika Skandinaviens in den letzten Tagen einer zu Ende gehenden Epoche, die für 100 000 Jahre die Halbinsel zu einem der lebensfeindlichsten Orte der damaligen Welt gemacht hatte. Kaum ein Lebewesen sah sich in der Lage, den extremen Wetterbedingungen – eisige Winde, eine Durchschnittstemperatur von -40° Celsius und eine gegen Null tendierende Luftfeuchtigkeit – vor Ort etwas entgegenzusetzen. Nicht einmal die kräftige und gegenüber der Natur abgehärtetesten Säugetiere hatten eine Überlebenschance in dieser Wüste aus Eis, in der eine Vegetation praktisch nicht vorhanden war. Nichts vermochte durch den Boden zu brechen. Alles lag unter Eis begraben. Mit Ausnahme kleinzelliger Lebewesen, wie Flöhe, deren Bedürfnisse bekanntlich als äußerst anspruchslos einzuschätzen sind, hat nichts und niemand sonst in der Kaltphase Skandinaviens längere Zeit verharren, ja geschweige denn auch nur überleben können. Auf einer Oberfläche, die aus Eis bestand, ließ sich kein Haus errichten, und in Böden, die gefroren waren, ließ sich nichts anpflanzen. Das Interesse der Menschen, in dieser wahrhaft unbequemen Zeit in Skandinavien für alle Ewigkeit leben zu wollen – wir suchen es mit großer Sicherheit vergeblich.

Die mächtigen Gletscher, die am Nordpol beginnend sich über die ganze nördliche Breite bis hin über die Ostsee ausdehnten und das Binnenmeer mit einer Tiefe von 459 m gänzlich bis zum Grund gefrieren ließen, hatten nicht nur die Kontrolle über den Lebensraum auf ihrer Oberfläche inne. Verborgen vor aller Augen spielten sich im Inneren dieser monströsen Kolosse eine Vielzahl von strukturellen Verschiebungen und biologisch-chemischen Vorgängen ab. Diese wirkten sich auf die kontinentale Oberfläche aus – und ließen Skandinavien nach dem langen Prozess des Abschmelzens in einem anderen Licht erstrahlen.

Die wuchtigen und zumeist tonnenschweren Gesteine, die im norddeutschen Raum, in Kanada und natürlich erst recht in Skandinavien und zumeist an ungewöhnlichen Plätzen anzutreffen sind, kennen wir als Findlinge. Es handelt sich dabei um ein besonders widerstandsfähiges Material, das im Zuge stetiger Gletscherbewegungen immer wieder geformt, verschoben, gepresst und später vom abschmelzenden Eis an Ort und Stelle liegengelassen wurde. Heute, in der Gegenwart, ist Skandinavien „übersät“ mit Findlingen. Und nicht nur diese Steinbrocken, die in ihrer Schlichtheit den einen oder anderen Beobachter zum Nachdenken verführen, hat die ausgehende Kaltzeit für die Nachwelt zurückgelassen. Eindrucksvoller als alle Findlinge zusammen sind die Fjorde – Meeresarme, die das Festland berühren, und zu Hunderten ihre Bahn in das Innere der Halbinsel hineinziehen. Entstanden sind diese Strukturen im letzten Glazial, als die Gletscher noch über das Festland ragten und dabei Sand, Stein und Geröll formten. Nachdem sich das Eis zurückgezogen hatte, blieben tiefe Schlunde zurück, die sich bis zu drei Kilometer in das Festland der Halbinsel gebohrt haben. Kühles Meerwasser strömte schließlich in jene freiliegenden Buchten ein und bildete einen Meeresarm: Ein Fjord war entstanden, und nicht nur einer allein. Vor allem die Westküste Norwegens entwickelte sich zu einem wahren Sammelpunkt an Fjords, dass die Gestade des heutigen Norwegens von der südlichsten Spitze bis hoch zum Nordkap einem riesigen Sägeblatt ähneln. So hat das Aussehen Norwegens also schon lange vor seiner Besiedelung, in tiefsten und fast unendlich dauernden Wintern, seine bis heute charakteristisch gebliebenen Merkmale erhalten.

Zum Schluss bleibt nur noch eine Anmerkung zur Oberfläche Skandinaviens, die durch die schiere Masse des Eis lange Zeit nachdrücklich geformt worden ist. Land, welches Jahrtausende unter Gletschern begraben lag, musste dem Druck dieser Massen irgendwann nachgeben. So ist es auch auf der Halbinsel geschehen. Ganze Regionen der Erdoberfläche wurden in die obersten Schichten des Erdmantels gedrückt – ohne Erbarmen quetschten die Gletscher Erde und Steine tiefer in die Erdoberfläche. Das Land glich einer Berg- und Talbahn allererster Güte. Erst nach Ende des letzten Glazials erholte es sich wieder. Täler und Seen, ganze Berge und Ebenen richteten sich allmählich auf. Bis an die 800 Meter haben sie in den letzen Jahrtausenden an Höhe dazu gewonnen, und jedes Jahr kommen im Durchschnitt 10 Millimeter dazu.

Der ganze Spuk rund um das Zeitalter des Ewigen Eis, das Skandinavien lange so unerbittlich im Griff hielt, endete auf einmal praktisch über Nacht. Vor annähernd 12 000 Jahren wurde ein neues Kapitel aufgeschlagen. Die in der Geschichte der Erde jüngste Kaltphase wurde durch kosmische Auswirkungen wie auf einen Schlag verdrängt. Endlich war ein Interglazial an der Reihe. Der Zyklus innerhalb des Känozoischen Eiszeitalters ging über in die nächste Etappe. Das Klima Skandinaviens änderte sich – zeitlich abrupt, nach kosmischem Maßstab. Das Eis verschwand. Vegetation entstand. Pflanzen wuchsen, Wiesen und Bäume gedeihten. Die Halbinsel ergrünte im Laufe der nächsten Jahre. Dann ging es weiter, und Tiere hielten Einzug. Sie wurden heimisch, sie vermehrten sich. Der Kreislauf des Lebens kam in Schwung, und mit ihm hielt der Mensch Einzug in den Norden.

Ein Findling stellt zumeist einen massiven Steinblock dar, der während der Gletscherbildung in weiten Teilen der Erde zumeist aus bestehenden Felsformationen entrissen wurde und nach Abtauen der Eismassen an Ort und Stelle liegenblieb. Charakteristisch für Findlinge ist ...

... die durch permanente Reibung glatt geschliffene Oberfläche. Sie können je nach ihrer Beschaffenheit eine Masse von wenigen Hundert Kilogramm bis hin zu mehreren Tausend Tonnen erreichen. Der in der kanadischen Provinz Alberta liegende Big Rock gehört mit seinen 15 000 Tonnen Gewicht zu den massivsten Findlingen auf der Welt.

Die Ankunft der Menschen