Lebenshilfe zu Glück
und Gesundheit in der

Edition BoD

hrsg. von Vito von Eichborn

Martina Behm, Jahrgang 1974, lebt als Strickdesignerin und Autorin mit ihrer Familie in Hamburg. Ein Leben ohne Wolle mag sie sich schon lange nicht mehr vorstellen.

Vito von Eichborn war Journalist, dann Lektor im S. Fischer Verlag, bevor er 1980 den Eichborn Verlag gründete, dessen Programm noch heute ein breites Spektrum umfasst: Humor, Kochbücher und Ratgeber, Sachbücher aller Art, klassische und moderne Literatur sowie die Andere Bibliothek. Nach seinem Ausstieg im Jahre 1995 war er u.a. Geschäftsführer bei Rotbuch / Europäische Verlagsanstalt und sechs Jahre Verleger des Europa-Verlags. Seit 2005 ist Vito von Eichborn selbständig als Publizist tätig und fungiert u.a. seit März 2006 als Herausgeber der Edition BoD. Weitere Informationen unter www.vitolibri.de.

Meine Buchhändlerin sagte mir, „ja“, sagte sie…

Ja, das Thema Stricken hört sich reizvoll an. Das ist ja nicht mehr schlicht die Herstellung von Maschen – sondern gerade bei jungen Leuten die coole Renaissance der Handarbeit. Aber Anleitungs-Ratgeber gibt’s wohl genug. Worum geht’s in diesem Buch?“

„Die Autorin will vor allem Mut machen, nach dem Motto:, Stricken ist etwas, das wir nicht müssen – sondern das wir uns gönnen.‘

Es stimmt ja einfach: Heute ist es nicht mehr wie in den Siebzigern zu Beginn der Ökobewegung eine demonstrative Konsumverweigerung, sondern auch im schicken Café angesagt., Die Welt‘ schrieb: Basteln ist das neue Yoga. Natürlich enthält es starke kontemplative Werte. Martina Behm berichtet auch vom Yarn bombing der Woll-Aktivisten, anderswo auch Urban oder Guerilla Knitting genannt. Da werden Telefonzellen, Zaunpfosten, Bäume und Parkbänke, bestrickt‘ – gewissermaßen als sympathische gewaltlose Weltverbesserung. Offensichtlich wird dies zur Spaß-Bewegung, die von der Straßenkunst schon bis in die bildende Kunst im Museum reicht; es wird spannend, wohin sich das weiterhin entwickelt. Und inzwischen…“

„Aber das Buch ist doch nicht abstrakte Theorie, oder?“, unterbrach mich meine skeptische Buchhändlerin, wie sie das immer macht. „Mal einfach: Worum geht’s?“

„O nein, dies ist nicht abstrakt, es ist eher ein Plädoyer: Stricken macht das Leben bunter, schafft Freundschaften, spendet Wärme. Ja, es macht schön und schlau. Die Autorin schreibt sehr anschaulich und lebendig, erzählt auch von eigenen Vorlieben und Abneigungen.

Für viele Frauen wurde die Schwangerschaft zur Initialzündung. Und das eigene Baby mit den schönsten selbst gestrickten Sachen einzukleiden und zu umgeben führt später oft dazu, dass im Familien- und Freundeskreis die Socken und Schals inflationär zunehmen. Martina Brehm plädiert dafür, einen ganz eigenen Stil zu suchen und die üblichen Strick-Klischees weit hinter sich zu lassen. Sie berichtet vom gnadenlosen Kampf gegen die Motten, den alle Strickerinnen kennen; man kann sogar Schlupfwespeneier kaufen, um die Tierchen gegen die Motten einzusetzen. Und sie erzählt von nationalen und internationalen Treffen der Strickerinnen, vom ständigen Dazulernen, auch von Möglichkeiten im Internet.“

„Da fällt mir ein, ich las grade von einer wissenschaftlichen Untersuchung in Harvard, dass Stricken gut ist gegen Stress und Bluthochdruck“, ergänzte meine kluge Buchhändlerin, „ja, das bringt mich drauf, meine Wollsammlung mal wieder zu vervollständigen und ganz was Neues zu versuchen. Ich hätte gerne für hier im Laden ein paar bunte Westen und…“

Sie brach ab und ließ mich stehen, wie immer, wenn die Glocke an der Tür läutete. Ich schlenderte hinterher und hörte sie zur Kundin sagen: „Was ist Glotzen oder Sport gegen Stricken? Vor hundert Jahren gab’s doch schon mal eine Art-and-Crafts-Bewegung. Ich habe den Eindruck, das wird der nächste Hype in unserer westlichen Welt. Ich finde das toll.“

Ich auch. Die Autorin hat mich überzeugt. Wer dieses Buch liest, wird Stricken nie wieder für omamäßig gestrig halten, sondern für sich selbst und den Rest der Welt für segensreich.

Frohes Stricken

wünscht

Vito von Eichborn

Inhalt

Stricken macht schön

Ja, Stricken macht schön (und natürlich auch schlau, aber das ist ein anderes Thema). Nun könnte die Leserin, die Beauty-Tipps aus Frauenzeitschriften gewohnt ist, fragen: Wie kann es sein, dass eine Tätigkeit, bei der man stundenlang gemütlich auf dem Sofa sitzt und nur Finger und Unterarme bewegt (sieht man vom Einfangen herumkullernder Wollknäuel mal ab), schön macht? Die Fettverbrennung wird dadurch jedenfalls kaum angekurbelt. Der Puls bewegt sich deutlich unterhalb des Intervalls, das für aerobes Training empfohlen wird – außer vielleicht in den Momenten, in denen die Strickerin merkt, dass sie vor etwa 30 Reihen vergessen hat, mit den Abnahmen für die Armschrägen zu beginnen. Anti-Falten-Effekte sind nur dadurch zu erwarten, dass die Strickerin wahrscheinlich ein entspanntes, frohes Gesicht dabei macht. Aber das alles meine ich auch gar nicht.

Stricken macht schön, weil die meisten Frauen, wenn sie auch für sich selbst und nicht nur Socken stricken, vorher überlegen müssen, was sie stricken möchten: ein Tuch mit aufwändiger Spitze, einen lässigen Loopschal, einen Oversize-Pulli oder ein Bolerojäckchen. Sie müssen ein Strickmodell auswählen, das ihnen nicht nur gefällt, sondern auch gut steht. Und sind damit gezwungen, sich selbst mal ganz genau anzugucken: Habe ich breite Schultern oder eher schmale? Ist mein Bauch rund oder flach? Wo ist die breiteste Stelle meiner Hüften? Stehen mir lange, großzügige Strickmäntel oder eher knappe, kurze Kleidungsstücke? Bin ich der Typ für bunte Vögelchen auf meiner Strickjacke, oder mag ich den klassischen Look von Zopfmustern? Wer sich einen Pullover, eine Jacke oder eine Weste stricken möchte, wird sich diese Fragen zwangsläufig stellen. Vielleicht zum ersten Mal im Leben. Denn anders als jemand, der sich ausschließlich und auch gern mal spontan in Boutiquen, Kaufhäusern oder beim Klamottendiscounter mit neuen Kleidern versorgt, muss eine Strickerin genau planen und überlegen. Schließlich wird sie nicht nur das Geld investieren, das sie für das Garn ausgibt, sondern auch Tage und Wochen ihrer Lebenszeit.

Wenn am Ende der vielen Stunden Strickzeit ein Kleidungsstück entstanden ist, in dem sie sich nicht mag oder das ihr nicht passt, war es leider vertane Zeit. Und so gern viele Strickerinnen von sich behaupten, sie strickten, weil es so schön beruhigend und meditativ sei und sie gern das weiche Garn in den Händen hielten: Jede wünscht sich, dass ihr Werk nicht nur tragbar ist, sondern so großartig aussieht, dass es die bewundernden Blicke ihrer Mitmenschen (und nicht nur die der anderen Strickerinnen) auf sich zieht.

Hat die Strickerin sich also für ein Modell entschieden, muss ein passendes Garn her – in der richtigen Farbe. Welcher Ton steht mir? Beim Herumprobieren mit verschiedenfarbigen Strängen vor dem Spiegel (unbedingt bei Tageslicht!) kommen da so manche Aha-Erlebnisse. Das schöne, leicht ins Türkis changierende Blau, das ich so gerne mag, lässt mich leider blass und krank aussehen. Eine Nuance dunkler, mit einem Stich ins Graue, steht es mir fabelhaft – weil es sich in den Farben meiner Iris wiederfinden lässt. Knallrot steht mir so lala, aber mit einer pinkfarbenen Mütze auf dem Kopf gehe ich morgens ungeschminkt aus dem Haus und sehe trotzdem frisch und gesund aus, weil es genau der Ton ist, den meine Wangen annehmen, wenn mir etwas peinlich ist. Und so lernt eine Strickerin nach und nach, welche Farben sie schöner machen. Und sie findet das, was so viele wollen und so wenige haben: einen eigenen Stil. Das Wissen darum, worin sie nicht nur gut aussieht, sondern auch und viel wichtiger: wie sie selbst. (Mir haben die Bücher der Stilexperten Brenda Kinsel und David Zyla bei der Suche sehr geholfen.)

Jedes Mal, wenn ich zu einem Stricktreffen gehe, treffe ich ausgesprochen schöne Frauen. Keine Normschönheiten, wie sie auf Plakatwänden zu sehen sind, aber Frauen, die man gerne anguckt. So wie Katrin, die neulich zu ihren rötlichen Locken und grünbraunen Augen ein Tuch aus handgefärbter Malabrigo-Wolle trug, das damit wunderbar harmonierte. Oder Julia, die ihre tiefseegrünen Augen mit handgestrickten Pullovern, Schals und Mützen in Blasstürkis bis Grellgrün richtig schön zum Leuchten bringt. Und Bente, die ihren ganz eigenen Stil mit Strickjäckchen im 50er-Jahre-Look perfektioniert hat und dabei einfach nur hinreißend aussieht. Frauen, denen man anmerkt, dass sie sich in ihren Klamotten wohlfühlen, sehen toll aus. Und unter Strickerinnen sind solche Frauen viel häufiger anzutreffen als unter Shopaholics oder Strohstern-Bastlerinnen. Wetten?

Mehr Mut

Ich weiß noch, wie ich früher Strickzeitschriften durchgeblättert habe: Lochmuster, Knotenstich, Patentmuster, Zöpfe – bloß nicht! Hatte ich noch nie ausprobiert, hatte meine Oma mir nicht beigebracht, wusste ich nix mit anzufangen. Außerdem konnte ich mir gar nicht vorstellen, wie einfaches Vertauschen der Reihenfolge der Maschen solche gleichmäßigen Zöpfe produzieren sollte. Und dann würde mir möglicherweise noch alles von den Nadeln rutschen, ich würde mit der Strickschrift durcheinanderkommen, und es würde nicht gleichmäßig aussehen, und dann wäre die Mühe umsonst. Nee. Ich suchte mir Anleitungen mit rechten und linken Maschen oder farbigen Einstrickmustern aus. Vor mehrfarbigen Mustern hatte ich keine Scheu, denn es erschien mir völlig logisch, wie das funktioniert: Zwei verschiedene Farben auf den Fingern, die abwechselnd laut Strickschrift gestrickt wurden, Hinreihen rechts, Rückreihen links. Dass mehrfarbiges Stricken mit linken Maschen im angloamerikanischen Strickraum quasi als unmöglich und um jeden Preis zu vermeiden gilt, habe ich erst Jahre später erfahren (und den Grund dafür bis heute nicht verstanden).

Umso merkwürdiger erscheint es mir jetzt, dass ich jahrelang glaubte, ich „könnte keine Zöpfe“. Bis ich irgendwann ein Paar Handwärmer mit einem ganz feinen, filigranen Zopfmuster sah, die ich un-bedingt haben musste. Weil sie so wunderschön waren („VeryTerhi“ von der niederländischen Designerin Yarnissima). Und so nahm ich meine Nadeln und meine Wolle und legte los: Die Zöpfchen waren einzelne Maschen, die in einem Zickzackmuster über den Handrücken wanderten. Ab und zu war es fummelig, mal ging mir eine Masche verloren, mal musste ich zurückribbeln, weil ich mich in der Zeile der Strickschrift geirrt hatte. Aber langsam, Runde um Runde, wuchs der fingerlose Handschuh, und ich war fasziniert. Davon, wie großartig das aussah, was ich da gerade schuf. Und davon, wie einfach es doch war – mit genügend Geduld und dem Wissen, dass sich jeder Fehler beheben lässt. Warum hatte ich jahrelang geglaubt, ich könnte keine Zöpfe stricken? Warum hatte ich mich nie an verschränkte Maschen, unsichtbare Zunahmen und in der Runde gestrickte Daumen herangewagt? Im Nachhinein muss ich sagen: Ich war feige. Ich traute mir zu wenig zu, obwohl ich natürlich weder zu dumm noch zu ungeschickt dafür war.

Seit meiner Erfahrung mit den Mini-Zöpfen bin ich beim Stricken viel mutiger geworden: Ich habe in der Runde gestrickte Teile mit der Schere aufgeschnitten, mit provisorischen Anschlägen herumgespielt, Socken von der Spitze aus gestrickt und mir eine zwei Meter lange Spitzenstola gemacht. Ich habe Fingerhandschuhe und ganze Pullover mit Zopfmustern gestrickt.

Ich weiß jetzt, dass ich mich nur trauen muss. Und dass es kein Drama ist, wenn zwischendurch etwas noch nicht ganz so gut funktioniert. Nicht nur beim Stricken.

Stricken beruhigt

Morgens, fünf Uhr siebzehn. Zeit, aufzustehen, findet meine kleine Tochter, schließlich ist es in Norddeutschland Mitte Juni schon längst hell um diese Zeit. Egal, dass ich noch bis abends um halb zwölf neue Socken für ihren Bruder gestrickt habe und nachts mindestens dreimal wach war, weil das eine oder andere Kind lautstark nach Mama verlangte. Ich bin todmüde. Ich will schlafen. Aber die kleinen, quakenden Kräfte, die ich zwar irgendwann selbst in die Welt gesetzt, aber leider längst nicht so unter Kontrolle habe, wie ich es mir wünsche, verlangen, dass ich wach bin. Kann man nichts machen. Höchstens ganz schnell einen Espresso trinken und hoffen, dass der Kreislauf bald wieder mitmacht.

Beim Frühstück kriegt mein Sohn einen Brüllanfall, weil seine Brötchenhälfte in zwei Teile zerbrochen ist. Ein paar Stunden später, als die Kinder und ich zum Bus müssen, klatscht einer dieser Sommerregen herunter, bei denen man sich schleunigst irgendwo verstecken muss, um nicht völlig durchnässt zu werden. (Hinweis: Nach vorne offene Bushaltehäuschen reichen dafür nicht aus.) Später habe ich einen Termin für ein Telefoninterview mit einer Dermatologie-Professorin, die meistens irgendwo zwischen Paris und Abu Dhabi herumreist, um Vorträge zu halten, und dementsprechend wenig Zeit hat, aber die Leitung ist mausetot. „Störung“, sagt mein Telefon. Kann keiner was für, kann keiner was gegen machen. Ist dreißig Minuten später wieder gut, aber die Professorin muss jetzt los zu ihrer Vorlesung und hat leider erst zwei Wochen nach meinem Abgabetermin wieder Zeit.

Am Nachmittag, als ich die Kinder aus der Kita holen will, hat der Bus Verspätung und ist proppenvoll – wie immer, wenn es regnet. Und die Erzieherin beschwert sich über die häufigen Wutanfälle meines Sohnes und hält ein Elterngespräch außer der Reihe für angebracht. Abends, als die Kinder im Bett liegen und ich, bevor schon wieder jemand nach mir ruft, ein paar Minuten Nachrichten gucken kann, sind da Euro-Krisen, Tsunamis, Kernschmelzen, Hungersnöte, Diktatoren, Massenpaniken. Schreckliches, Unerträgliches, worauf ich leider genauso wenig Einfluss habe wie auf die Launen meiner Kinder oder den Berufsverkehr. Ich kann zwar spenden, die richtigen Parteien wählen, unfähige Bürgermeister aus dem Amt jagen, fair gehandelte Dinge kaufen und hoffen, dass sich damit irgendwann etwas ändert. Aber in Wahrheit fühlt es sich doch an, als ob ich kaum etwas bewirken könne, sowohl in meiner kleinen als auch in der großen Welt. Solche Ohnmachtsgefühle, das wissen Psychologen, bedeuten Stress: Auf Dauer einer Situation ausgesetzt zu sein, die man nicht ändern kann, macht Menschen fertig. Mich manchmal auch.

Was dagegen hilft, ist, sich einen kleinen, geschützten Ort zu suchen, an dem man die Dinge eben doch in gewissem Maße kontrolliert. Mag lächerlich klingen, ist aber so. Das kann zum Beispiel das Gemüsebeet sein, in dem nur Radieschen, Karotten, Dill und Rucola wachsen dürfen, Vogelmiere und Giersch aber sorgfältig ausgezupft werden. Das kann die Modelleisenbahn sein, die in einer Miniaturlandschaft herumkurvt, welche ganz genau nach den Vorstellungen ihres Besitzers entstanden ist. Das kann der Donauwellenkuchen sein, den ich meinem Mann jedes Jahr zum Geburtstag backe und bei dem ich genau weiß, was ich tun muss, damit die Schokoladenglasur nicht bretthart wird (Butter in die Kuvertüre!). Und natürlich mein Strickzeug.