Die Autorin

Sandra Pulletz – Foto © Privat

Sandra Pulletz wurde in Österreich geboren und lebt mit ihrer Familie auch heute noch dort. Bereits als Kind entstand der Traum, irgendwann Autorin zu werden. 2016 erschien ihr erstes Buch. Seitdem vergeht kein Tag, an dem sie nicht an einer neuen Geschichte tüftelt. Inzwischen sind zahlreiche Romane von ihr erschienen, hauptsächlich im Romance-Bereich.

Das Buch

Maires Leben besteht nur aus Arbeit, denn als Tierärztin auf der schottischen Halbinsel Skye, gibt es immer etwas für sie zu tun. Und dann sind da auch noch ihr Vater und das Farmhaus, die ihre Aufmerksamkeit verlangen. Der amerikanische Hilfsarbeiter Caden, der ihnen zur Hand gehen soll, kommt ihr da gerade recht. Nur, dass sie plötzlich Gefühle spürt, die sie seit Jahren nicht mehr hatte, überrascht Maire. Mit der Zeit kommen die beiden sich immer näher. Doch Caden ist nicht der, für den Maire ihn hält und die Lügen zwischen ihnen, drohen alles zu zerstören. Können sie gemeinsam der Wahrheit ins Auge blicken?

Sandra Pulletz

Ein Cottage in den Highlands

Liebesroman

Forever by Ullstein
forever.ullstein.de

Originalausgabe bei Forever
Forever ist ein Verlag
der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin
März 2020 (1)

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2020
Umschlaggestaltung:
zero-media.net, München
Titelabbildung: © FinePic®
Autorenfoto: ©
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ISBN 978-3-95818-560-9

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1. Kapitel


Maire

»Das hast du wunderbar hinbekommen«, sage ich stolz und streichle dem schwarzen Katzenbaby über den Kopf. Ich liebe meinen Job als Tierärztin einfach über alles.

Katzenmama Chipsy miaut und kümmert sich sofort wieder um ihre Jungen, die erst wenige Tage alt sind. Ein besonders kleines Katzenbaby tut sich mit dem Trinken schwer, weshalb mich Tina angerufen hat.

»Danke noch mal, dass du so schnell kommen konntest«, meint die junge Grundschullehrerin und streicht sich eine blonde Strähne aus dem Gesicht.

»Klar doch, dafür bin ich ja da«, erwidere ich amüsiert.

»Du hast recht, dennoch ist es keine Selbstverständlichkeit, dass der Tierarzt Hausbesuche macht. Zumindest war das in der Großstadt nicht üblich.« Tina sieht den neugeborenen Katzenbabys vergnügt zu, wie sie ihre Milch trinken. Auch das schwarze Tierbaby saugt nun beharrlich.

»Wir sind auf dem Land, hier gibt es weit und breit keine andere Tierärztin außer mich, was bedeutet, ich bin für sämtliche Tiere verantwortlich.« Ich packe meine Arzttasche zusammen und tätschle Tina sanft die Schulter. »Mach dir keine Sorgen, Chipsy hat alles im Griff. In der nächsten Zeit braucht sie vor allem viel Ruhe, die wird sie sich also nehmen. Und das Sorgenkind hat sich, wie es aussieht, schon neu orientiert.«

Tina nickt. »In Ordnung.«

»Wenn du möchtest, schaue ich morgen noch einmal kurz vorbei«, biete ich ihr an, da ich merke, dass sie sich dennoch sorgt.

»Das wäre wunderbar. Am Vormittag ist nur Cliff zu Hause, er passt auf Chipsy und die Kätzchen auf. Ich komme gegen Mittag von der Schule.«

»So früh schon?« Ich wundere mich, denn normal ist bis halb vier Unterricht und Tina hat eine lange Anfahrt. Schulen auf Skye sind rar gesät.

»Kurzer Tag!« Sie lächelt. »Meine Nachmittagsstunden entfallen morgen.«

»Alles klar, ich rufe an, bevor ich komme.« Schon öffne ich die Tür und verlasse das kleine Backsteingebäude.

Jetzt heißt es Feierabend für mich und ab nach Hause. Nur noch für Notfälle bin ich erreichbar, die sind allerdings bei uns auf dem Land keine Seltenheit.

Ich fahre die Dorfstraße entlang und überlege, ob Dad etwas gekocht haben könnte. Zumindest habe ich einen Mordshunger und freue mich auf eine warme Mahlzeit nach dem langen Tag.

Zwar haben wir eigentlich eine Köchin beschäftigt – Mrs Oliver –, aber sie muss zurzeit ihren Mann pflegen, der kürzlich einen Schlaganfall erlitten hat. Natürlich habe ich dafür vollstes Verständnis, aber ich vermisse ihre Kochkünste, denn mein Vater hat in der Küche zwei linke Hände. Und ich selbst habe kaum Zeit, um mich nach der Arbeit noch an den Herd zu stellen; an der Lust fehlt es mir auch. Dazu kommt, dass ich ebenfalls nicht sonderlich gut kochen kann.

Als ich vor unserem Hof parke, sehe ich schon den Schornstein rauchen, das bedeutet, Dad ist längst zu Hause und hat zumindest die Stube eingeheizt. Wie fein, denn ich muss zugeben, dass ich friere, obwohl es Sommer ist. Aber das heißt in Schottland ja auch nicht unbedingt, dass es kein schlechtes Wetter gibt oder es kühl sein kann.

Ich steige aus, hole meine Sachen vom Beifahrersitz und marschiere auf unser Farmhaus zu. In der Dämmerung sieht es zauberhaft aus mit seiner weißen Fassade und dem dunklen Dach. Die rote Tür ist das Tüpfelchen auf dem i.

Eingebettet in der wilden Naturlandschaft verspricht unser Zuhause Gemütlichkeit. In Wahrheit zieht es aber in allen Räumen und es ist ständig kalt.

Ich öffne die Tür und trete ein. Ein sonderbarer Geruch empfängt mich. Was zum Teufel stinkt hier so?

»Dad?«, rufe ich durch den Flur, aber er rührt sich nicht. Also bewege ich mich schnurstracks in die Küche. Aus dem Backofen steigt Rauch auf, sodass ich hinstürze, ihn ausschalte und ein wenig öffne, dann sofort das Fenster aufreiße und nach meinem Vater suche.

Schließlich finde ich ihn in der Stube. Er sitzt zusammengesunken auf dem Sofa, was mich zum Schmunzeln bringt. So lieb und hilflos sieht er also aus, wenn er schläft. Ich bewege mich auf ihn zu und rüttle sanft seinen Arm.

Er schnellt hoch. »W-was ist? Feuer?« Er rümpft die Nase.

»Nicht ganz«, erwidere ich. »Aber ich fürchte, das Abendessen ist ruiniert.«

»Nicht doch …«, schimpft er. »So ein Mist. Ich schwöre, ich habe mich nur eine Minute ausruhen wollen.«

»Schon gut«, meine ich. »Es ist ja nichts passiert. Warst du am Nachmittag auf der Weide?«

Er nickt. »Aye! Ich wollte die Sträucher kürzen, aber ich habe nur einen winzigen Bruchteil geschafft.«

»Ach Dad, mute dir nicht immer solche Schwerstarbeiten zu!« Mahnend schwinge ich den Zeigefinger vor seiner Nase.

»Ich kann ohnehin kaum mehr etwas tun.« Er tippt auf sein Knie. »Diese dumme Arthrose kostet mich jegliche Kraft und Ausdauer.«

Ich seufze tief. Armer Dad!

»Wo ist Shelly?« Unsere Hündin habe ich bisher nirgendwo entdeckt.

»Ich glaube, sie schläft auf dem Teppich in meinem Zimmer«, sagt mein Vater belustigt.

»Ach!« Die beiden sind wirklich ein gutes Team. Einer schläfriger als der andere. Oder sie streunen beide umher.

»Und was essen wir nun?«, will Dad wissen und steht auf.

»Eine gute Frage. Ich schaue mal in den Kühlschrank. Ruh du dich noch ein wenig aus«, sage ich sanftmütig und reiche ihm eine Zeitschrift.

»Du bist ein Schatz«, erwidert er und lächelt.


In der Küche stelle ich fest, dass der ekelhafte Geruch sich verflüchtigt hat. Ich wage es und blicke in das Backrohr, um herauszufinden, was sich darin befindet. Die verkohlten Reste lassen sich nicht identifizieren und ich stelle die Auflaufform einfach draußen auf die Fensterbank.

Im Kühlschrank finde ich nur wenig Brauchbares. Wann waren wir denn das letzte Mal einkaufen? Ich kann mich nicht erinnern … Zwar haben wir auch Gemüse und Obst am Hof, aber irgendwie ist auch davon nichts in die Küche gewandert.

Schließlich ziehe ich eine Packung Eier heraus und finde noch einige Speckreste. Es gibt schlicht Bacon and Eggs. Dazu schneide ich für jeden eine Scheibe Brot ab und lege diese auf die Teller. Ich seufze. Was gäbe ich für ein Brot von Mrs Oliver … Wenn sie gebacken hat, roch es den ganzen Tag im Haus danach. Einfach herrlich!

Zwar habe ich früher mit meiner Mum oft gemeinsam Brot gebacken, aber dazu fehlt es mir schon lange an Energie. Außerdem hat diese Aufgabe ja dann Mrs Oliver übernommen, was mir sehr gelegen gekommen ist.

Ich serviere das Essen in der Stube, wo Dad zu einem Lied summt, das aus dem Radio dudelt.

»Danke, das sieht köstlich aus«, sagt er, als ich ihm seinen Teller hinstelle.

»Ach, Dad!« Ich setze mich neben ihn. »Das ist doch nur ein schnelles Gericht. Nichts Besonderes.«

»Du verkaufst dich unter Wert«, befindet er bloß und nimmt gleich einen Happen vom Ei.


Nach dem Essen spüle ich das schmutzige Geschirr und springe dann unter die Dusche. Der lange Arbeitstag hat seine Spuren hinterlassen und muss dringend abgewaschen werden.

Eigentlich müsste mal wieder der Boden gewischt werden, denke ich, als ich danach durch den Flur laufe. Momentan habe ich aber null Freizeit und komme ständig spät nach Hause.

Auch an diesem Abend bin ich zu nichts mehr fähig und mir fallen nach wenigen Seiten lesen die Augen zu.


Caden

Ich hämmere in die Tasten des Laptops, nur um eine Minute später den gesamten Absatz wieder zu löschen. Verflucht noch mal!

Der ganze Vormittag ist rum, ich habe kaum etwas getippt und dafür einen Bärenhunger. Bloß, dass niemand etwas gekocht hat. Wer hätte das auch tun sollen? Ich lebe allein, eine Frau habe ich nicht an meiner Seite und die gute Mrs Hobbs, die manchmal meine Wäsche macht, kann ich ja wohl schlecht fragen, ob sie mich auch noch bekocht. Außerdem muss ich zugeben, dass ich eigentlich gar nicht ungern selbst am Herd stehe, aber für mich allein lohnt sich der Aufwand nicht.

Seufzend lehne ich mich in meinem Drehstuhl zurück und lasse meine Gedanken um den gelöschten Text kreisen. Mir will keine bessere Idee einfallen und langsam werde ich wütend auf mich selbst. Hilfe, ich stecke mitten in einer Schreibblockade!

Das eindringliche Klopfen an meiner Apartment-Tür ist mir als Abwechslung herzlich willkommen, auch wenn ich keinen Besuch erwarte.

Dass mein Freund Larry Steinbeck davorsteht, überrascht mich doch ein wenig.

»Larry, altes Haus!« Verwundert begrüße ich ihn, muss aber sogleich grinsen, denn er hat sich überhaupt nicht verändert, seit wir uns zuletzt gesehen haben. Seine Leidenschaft für Texas sieht man ihm schon von Weitem an. Zugegeben, der Cowboyhut steht ihm ausgezeichnet.

Er tippt zum Gruß mit zwei Fingern daran. »Howdy, Kumpel! Darf ich eintreten?«

»Na klar!«, sage ich beinahe schon übermütig, da ich mich über den spontanen Besuch freue.

Seit ich hierhergezogen bin, hat mich ehrlicherweise noch nie jemand besucht. Dabei wohne ich seit fast zwei Jahren in meinem neuen Apartment.

»Nette Aussicht«, meint Larry, der an der breiten Fensterfront stehen bleibt und erst mal nach draußen sieht. Er zieht sich den Hut vom Kopf und hält ihn mit einer Hand fest.

»Genau, deshalb habe ich die Unterkunft genommen.« Ich trete neben ihn und blicke auf den Hafen von Portland, der recht belegt ist.

»Wie läuft das Schreiben?«, erkundigt sich mein alter Freund.

»Es … geht so …«, sage ich vage. »Deshalb bist du aber nicht hier, oder?« Schon öfter mal habe ich Larry ausgeholfen und Texte zu seinen Immobilien geschrieben.

Er lacht und dreht sich zu mir. »Nicht direkt. Aber wenn du schon so fragst …« Hüstelnd sieht er sich im Raum um. »Können wir uns setzen?«

»Natürlich«, erwidere ich schnell und biete ihm einen Platz an meinem winzigen Esstisch an, der vollgeräumt mit alten Zeitungen ist. »Tut mir leid …« Schnell nehme ich den Stapel und lege ihn auf die Kommode.

»Kein Problem. Du bist wohl sehr beschäftigt, was?« Larry lässt sich auf den Holzstuhl nieder und zieht einige Papiere aus seiner Aktentasche.

»Das sieht mir doch nach Arbeit aus«, sage ich und gehe zur Glasvitrine, die neben dem Sideboard im Wohnbereich steht. »Dazu empfehle ich ein Glas Bourbon.«

»Du weißt, wie man Geschäfte macht!«, erwidert Larry belustigt.

Ich schenke zwei Gläser ein und setze mich meinem Gast gegenüber. »Also, rück mit der Sprache raus!«

»Gut, ich will nicht lange um den heißen Brei reden. Erstens will ich dich bitten, ob du mir bei einem Projekt mit dem Text helfen kannst.«

»Ich wusste es«, unterbreche ich ihn und schmunzle. »Das mache ich gern. Es ist eine willkommene Abwechslung für mich.«

»Fein, das hilft mir wirklich. Du schreibst einfach zu gut!« Er schiebt mir einige Blätter her und ich werfe einen flüchtigen Blick darauf. Ein Grundstück mit dazugehöriger Farm. »Ganz der alte Larry!«

»Du kennst mich doch. Für die richtige Investition ist mir nichts zu schade. Ich habe Insiderinformationen bekommen. Das Grundstück steht bald zum Verkauf und ich will zuschlagen. Die Gegend eignet sich wunderbar für eine Steinbeck-Unterkunft.«

Ich nicke. »Wo ist das? Sieht mir nach Umland aus.«

»Schottland.«

»In Europa?«, frage ich verblüfft.

»Na, kennst du sonst noch ein Schottland?« Er grinst.

»Nein«, gebe ich zu.

»Tja, die Zeit ist reif, sich auszubreiten, finde ich. Steinbeck-Hotels werden bald die ganze Welt erobern.«

»Okay …« Mehr fällt mir dazu nicht ein. Manchmal bin ich ein wenig neidisch auf meinen Freund. Er hat sich ein echtes Imperium aufgebaut mit seinen Immobilien.

»Da wäre nur eine kleine Sache …« Larry beugt sich etwas über den Tisch und fixiert mich. »Bevor ich das Grundstück kaufe, möchte ich mich vergewissern, dass es sich lohnt.«

»Das ist doch selbstverständlich«, sage ich. »Es sieht idyllisch aus.« Ich kann mir gut vorstellen, dass er dort eine Lodge hinstellt oder das Farmhaus zu einer ausbaut.

»Gut, dass du das auch so siehst. Ich habe nämlich keine Zeit, um selbst rüberzufliegen …«

Ich stocke. Will er wirklich auf das heraus, was ich gerade denke?

»Es wäre mir sehr geholfen, wenn du das erledigen könntest.« Er lehnt sich zurück und blickt mich abwartend an.

»I-ich?«, stammle ich. Was soll ich dazu sagen?

»Hättest du Zeit?«

Ich wiege den Kopf hin und her. »Um ehrlich zu sein, habe ich einen Termin für die Abgabe meines neuen Buches und es läuft nicht gut …«

Larry nickt verständnisvoll. »Ich verstehe. Das Grundstück und die Umgebung zu inspizieren beansprucht nicht so viel Zeit. Du hättest in dieser Idylle bestimmt genug Möglichkeiten, um an deinem Manuskript arbeiten zu können. Der Umgebungswechsel wird dir guttun, davon bin ich überzeugt.«

»Ich … ich weiß nicht … ich müsste das erst mit meiner Agentin klären«, stammele ich verlegen.

»Die Unterkunft dort würde ich übernehmen.« Larry zwinkert mir zu. »Ein Taschengeld ist ebenfalls drin.«

Obwohl das Angebot verlockend klingt, zögere ich. Wobei es meiner Agentin ja egal sein kann, an welchem Ort ich arbeite. Dennoch kann ich nicht so einfach von hier verschwinden. Oder doch?

»Ich sehe schon, du brauchst etwas Zeit zum Überlegen, Kumpel.« Larry erhebt sich und nimmt seine Aktentasche.

Langsam stehe ich ebenfalls auf und geleite meinen Freund zur Tür. »Ich melde mich.«

Larry gibt mir einen Klaps auf die Schulter. »Wenn du in der Zwischenzeit mal am Text arbeiten könntest, wäre das wunderbar.«

Ich nicke. »Mache ich natürlich. Danke für den Besuch.«

»Ich danke dir. Schicke Wohnung übrigens.« Mit einem Zwinkern verabschiedet er sich und marschiert hinaus.

Über das Schottland-Angebot denke ich den halben Tag nach. Es will nicht aus meinen Gedanken weichen und deshalb tippe ich kein einziges Wort an meinem Manuskript. Das wurmt mich natürlich und ich schiebe die mögliche Reise gedanklich beiseite. Allerdings hilft diese Aktion auch nicht, denn mir fällt nichts ein, was ich schreiben könnte. Es ist zum Verrücktwerden!

Das Loch in meinem Magen erinnert mich daran, dass ich immer noch nichts gegessen habe. Kurzerhand wähle ich die Nummer des Lieferservices, bei dem ich häufig etwas bestelle.

Nach nur fünfzehn Minuten klingelt es und der Lieferjunge eilt die Treppe hoch. »Hi, Mr Baker. Einmal die Penne Carbonara für Sie.« Er überreicht mir eine Tüte und ich gebe ihm im Gegenzug dafür einen Zehn-Dollar-Schein. »Den Rest kannst du behalten. Danke dir!«

»Ich habe zu danken. Guten Appetit!« Grinsend dreht er sich um und verschwindet wieder.

Mit der Tüte in der Hand gehe ich zur Küchenzeile, nehme einen Teller aus dem Schrank und richte die Nudeln an. Das Gericht dampft und riecht verlockend, was meine Laune ein wenig hebt.

Als nach dem Essen mein Handy klingelt, wundere ich mich, ob das etwa Larry ist, der eine Entscheidung fordert. Es ist aber Katy, meine Agentin. Sofort bildet sich ein Knoten in meinem Hals.

»Hallo?«, frage ich in den Hörer.

»Caden! Wieso meldest du dich nicht? Ich warte gespannt auf die ersten Kapitel!«, plappert Katy los, ohne sich groß mit Small Talk aufzuhalten.

»Ja … weißt du …«, stammele ich und der Knoten wird immer größer. Wie soll ich ihr bloß erklären, dass ich kaum etwas zustande gebracht habe?

»Und wo bleibt eigentlich der Plot? Den wolltest du doch zügig schicken? Bisher habe ich nur ein paar Anhaltspunkte von dir bekommen, mein Lieber. Du weißt ja, dass wir schon ewig zusammenarbeiten, deshalb vertraue ich dir auch blind, aber ein wenig mehr an Informationen wäre schon angebracht.« Sie spricht, ohne auch nur einmal Luft zu holen.

»Ich werde dir gleich mal was senden«, verspreche ich und spüre, wie sich meine Wangen erhitzen. Herrje, ich habe noch gar nichts, was ich senden kann.

»Tu das. Und schick mir deinen genauen Veröffentlichungsplan, damit ich mir ein Bild machen kann.« Sie holt tief Luft. »Man liest sich!« Schon legt sie auf.

Frustriert blicke ich aus dem Fenster. Wie zum Teufel soll ich dieses Schreibproblem lösen?

Ein riesiges Schiff fährt am Hafen ein und ich bin ein wenig neidisch auf die Touristen, die gleich aussteigen und einen aufregenden Tag an Land verbringen werden.

Ob Larry recht hat und ich in Schottland neue Ideen bekommen könnte?

Kurzerhand google ich nach Bildern dieses Landes und bin beeindruckt. Saftiges Grün, viele Wiesen und Hügel. Sieht verlockend aus. Ein Fleckchen zum Nachdenken.

Noch einmal sehe ich mir die Fotos des Grundstücks an, die Larry mir dagelassen hat. Es liegt zwischen Berg und Küste. Wirklich beeindruckend.

Bevor ich es mir anders überlege, rufe ich Larry an.

»Howdy, Kumpel! Ich hätte nicht gerechnet, so schnell von dir zu hören.«

»Hey! Ja, ich würde dein Angebot gern annehmen.« Kaum sind die Worte heraus, kribbelt es vor Aufregung leicht in meinem Bauch. Dieses Gefühl habe ich ewig nicht mehr gespürt.

»Wunderbar! Ich buche dir einen Flug und organisiere die Unterkunft. Alles Weitere sehen wir dann. Ich rufe dich zurück!«

»In Ordnung, danke dir!« Ich lege auf und erhebe mich. Aufgeregt laufe ich durch die Wohnung, aber ich merke, dass mir das nicht genügt. Deshalb verlasse ich das Apartment und marschiere zum Hafen. Die frische Luft tut mir gut. Ich frage mich, wieso ich das nicht öfter mache.

Ein spontaner Spaziergang bringt Abwechslung. Ich kann das Schiff von vorhin entdecken, das bereits angelegt hat. Plötzlich bin ich auf die Touristen nicht mehr neidisch, denn bei mir selbst steht in Kürze eine Reise an. Darauf freue ich mich schon.


Maire

Mein Wecker reißt mich früh aus dem Schlaf, denn es gibt viel zu tun. Zunächst bereite ich für Dad und mich das Frühstück zu. Es gibt simplen Toast und Marmelade. Beim Herausholen des Glases stocke ich für einen Augenblick. Es ist die letzte Marmelade, die Mum und ich gemacht haben. Meinen Augen zwicken und ich habe Angst gleich loszuheulen. Nach der Brombeersaison vor zwei Jahren ist Mum an einer plötzlichen Hirnblutung gestorben. Der Schock sitzt noch immer tief. Dabei kann ich mich noch an die glücklichen Tage erinnern, an denen Mum mit mir die Beeren gesammelt hat. Wir hatten dabei jede Menge Spaß und waren von oben bis unten voll bekleckert, da wir natürlich eine Verkostung der Früchte vorgenommen und fleißig davon genascht hatten. Anschließend haben wir zusammen die Marmelade eingekocht und abgefüllt.

Nun sind die Vorräte so gut wie aufgebraucht und ich habe keine Energie, um neue Marmelade zu machen. Die Erinnerungen an Mum schmerzen zu sehr.

Dad unterbricht meine Gedanken, als er die Küche betritt. »Guten Morgen, Liebes. Hast du gut geschlafen?«

»Bestens, danke. Setz dich, Frühstück ist gleich fertig.«

»Wir müssen uns bald etwas überlegen«, brummt er.

Ich drehe mich zu ihm um. »Was meinst du?«

»Ich fürchte, Mrs Oliver wird nicht mehr kommen können.«

»Wegen ihrem Mann?«

Dad nickt. »Ich denke, er wird ihre ganze Aufmerksamkeit beanspruchen.«

»Oh … bestimmt hast du recht. Dann suchen wir eine neue Köchin«, sage ich schnell. Doch Dad seufzt nur schwer und schenkt sich eine Tasse Kaffee ein.

Als das Telefon klingelt, springe ich vom Tisch auf. »Maire McDougal am Apparat, was kann ich für Sie tun?«

»Hi, Maire, hier Besse. Hör zu, ich denke, eine unserer Hennen hat sich am Flügel verletzt.«

»Oh, ich komme gleich vorbei und sehe es mir an«, meine ich.

»Du bist ein Schatz! Bis dann!« Besse legt auf.

Dad blickt mich fragend an.

»Eins von Besses Hühnern ist verletzt. Ich fahre gleich rüber«, erkläre ich.

»In Ordnung. Kommst du danach wieder?«

»Ich glaube nicht, ich muss dann in die Praxis und nach dem Rechten sehen. Abrechnungen und so weiter stehen auch noch an.«

»Du bist sehr fleißig«, lobt mich Dad. »Ich … wir … müssen dennoch reden, wenn du mal Zeit hast.«

»Okay … über was denn genau?«

»Über unsere Zukunft«, antwortet Dad schlicht.

Ich hebe fragend die Augenbrauen, aber aus meinem Vater ist nichts weiter herauszubekommen. »Gut, ich nehme mir Zeit für dich, wenn ich heute Abend nach Hause komme. Passt das?«

Dad nickt und beißt in seinen zweiten Toast.

Ich schenke ihm ein entschuldigendes Lächeln und erhebe mich. »Sorry, ich muss los. Bis später!«

»Ruf mal an! Damit ich weiß, wann ich mit dir rechnen kann.«

»Mache ich! Bye!« Ich drücke ihm ein Küsschen auf die Stirn und mache mich für den Arbeitstag fertig.

Zuerst fahre ich rüber zum Hof von Besse und Jazz. Die beiden betreiben eine beachtliche Hühnerzucht.

Zum Glück ist es bei dem verletzten Tier nichts Wildes und ich kann bald weiter in die Praxis fahren.

Die Papiere stapeln sich auf dem Tisch. Ich brauche dringend eine neue Assistentin, denn kaum schalte ich das Telefon an, klingelt es pausenlos. Die ersten drei Anrufer sind bloß irgendwelche Vertreter für Tiermedikamente, für die ich keine Zeit habe.

Sally, meine rechte Hand, ist vor Monaten in den Mutterschutz gegangen und bisher habe ich keinen Ersatz gefunden. Es ist zum Verzweifeln.

Ich sortiere die Papiere grob, aber dann betritt jemand die Praxis.

»Eamon, wie schön dich zu sehen!« Freudig gehe ich auf den großen bärtigen Schotten zu und werfe einen Blick in den Käfig, den er trägt.

»Hi, Maire. Bunny hat eine verletzte Pfote. Kannst du sie mal ansehen?«

»Klar doch.« Ich hole das Kaninchen heraus und trage es in den Nebenraum, wo sich die medizinischen Geräte und Utensilien befinden.

»Zahlt sich die Praxis überhaupt aus?«, will Eamon plötzlich wissen.

»Wie meinst du das?«

»Nur so … ist es nicht leichter, wenn dich die Leute einfach anrufen und du kommst vorbei?« Er räuspert sich. »Ich meine, das tust du doch ohnehin immer?«

Eigentlich hat er ja recht, aber ich brauchte einfach einen Rückzugsort und Platz für all meine Unterlagen und Geräte, als ich die Praxis eröffnet habe. Außerdem würde ich lieber häufiger in der Praxis arbeiten, aber auch hier macht mir die fehlende Assistentin einen Strich durch die Rechnung.

»Na ja, es hat sich so ergeben«, sage ich schlicht. Schon bin ich mit der Untersuchung von Bunny fertig. »Es ist nichts Schlimmes und wird von selbst heilen. Ich säubere die Wunde noch schnell.«

»Da bin ich ja froh. Trotzdem vielen Dank.« Er nickt. »Wie viel schulde ich dir?«

»Oh … ich muss erst die Rechnung schreiben …« So wie alle anderen der letzten Monate, füge ich in Gedanken hinzu. »Ich sende sie dir dann.«

»Tu das. Also, dann wünsche ich dir noch einen schönen Tag!« Er steckt Bunny wieder in den Käfig und verlässt die Praxis.

Keine zwei Minuten später kommt Silvia gut gelaunt mit ihrem Kater herein. »Zeit für die Kastration!«

»Du hast recht, das habe ich mir sogar eingetragen!«

»Er hat auch ganze zwölf Stunden nichts gefressen«, fügt meine alte Schulfreundin stolz hinzu.

»Perfekt.« Ich übernehme den Patienten und bereite alles für die Narkose vor. Schon ist das Tier eingeschlafen und ich mache mich an die Arbeit.

Danach habe ich Zeit, um mit Silvia eine Tasse Tee zu trinken. Wir müssen warten, bis die Katze wieder aufwacht, was ein wenig dauern kann.

»Zum Glück ist das nun erledigt. Der Haufen an Hundejungen reicht mir zu Hause. Einen Wurf Katzen kann ich nicht gebrauchen.« Sie lacht so schwungvoll, dass ihr Pferdeschwanz hin und her baumelt.

Ich grinse und nicke wissend. »Wie geht’s der jungen Hundemutter denn?«

»Ach, Poppy geht es prima und den Babys auch.«

»Klingt gut! Und wie läuft es so bei dir und Dustin?«, erkundige ich mich weiter.

»Alles prima. Dustin und ich denken auch an Nachwuchs«, sagt sie leicht verlegen.

»Das klingt wunderbar!« Zugleich spüre ich einen kleinen Stich in meinem Herz. Ich wünschte, ich wäre auch so weit, um an eine eigene Familie zu denken, aber mir fehlt ein Partner. Schnell wische ich diesen aufkeimenden Gedanken weg. Ich habe weder die Zeit noch den Nerv für einen Freund. Bis wir ans Kinderkriegen denken könnten, würde sowieso viel Zeit ins Land gehen … Und ich bin noch gestresst von Gil, meinem Ex-Freund, obwohl wir uns bereits vor mehr als drei Jahren getrennt haben. Ich wollte nach dem Studium zurück in mein Heimatdorf und Gil in die weite Welt.

»Bist du sicher?« Silvia gibt mir einen Stubs. »Du siehst so verzwickt aus.«

»Ach, tut mir leid. Ich habe nur einen Augenblick an Gil gedacht …« Den Satz beende ich erst gar nicht.

»Oje, was für ein Idiot! Musst du immer noch an ihn denken?«

»Nur ganz selten«, antworte ich ehrlich. Es tut zwar weh, wenn ich an ihn denke oder besser gesagt, wie er mich behandelt hat, aber alles nur noch halb so wild.

»Tut mir leid, das wollte ich nicht …«

»Schon gut«, breche ich das Gespräch ab. »Wie geht es Dustin in seinem Job?«

»Alles paletti.« Sie lächelt. »Im Ernst, es läuft prima. Eben hat er Kontakte nach Amerika geknüpft. Wenn das gut startet, dann kommen bestimmt bald weitere Aufträge aus den USA rein.«

»Wow, das ist ja toll!« Ich freue mich für Dustin. Er ist ein guter Kerl.

»Aye, das Immobiliengeschäft ist wie für ihn gemacht.« Silvia strahlt.

Ich stimme ihr zu, frage mich aber, ob es in der Umgebung wirklich so viele Immobilien und Grundstücke zu verkaufen gibt, dass es sich lohnt.

»Zurzeit ist er in Inverness, dort jagt er einem Auftrag hinterher«, erzählt Silvia lächelnd.

»Ach, reist er oft?«, erkundige ich mich und ärgere mich zeitgleich ein wenig. Seit meiner Rückkehr nach Kilmuir habe ich mich wirklich verkrochen, anstatt mit alten Bekannten und Freunden Zeit zu verbringen. Mehr als ein Small Talk bei den Tierbesuchen ist nicht drin und oft habe ich es selbst dabei eilig.

»Aye, er verkauft Grundstücke und Häuser im ganzen Land.«

Ich nicke. Dachte ich es mir doch, dass er viel herumkommt.

»Und für euch …«, beginnt Silvia, bricht aber ab, denn ihr Kater bewegt sich.

»Er wacht auf«, sage ich erfreut und gehe schnurstracks auf ihn zu, um zu sehen, ob es ihm gut geht.

Etwas später kann Silvia mit ihrem Liebling die Praxis schon verlassen. Der Eingriff ist bestens verlaufen.

»Grüße an Dustin, Poppy und die Hundebabys. Ich komme bald mal vorbei, um sie mir anzusehen!«

»Ist recht. Bye!«

Schon ist es Zeit für meine Mittagspause. Da ich nichts vorbereitet habe, muss ich mir etwas zu essen organisieren, was in diesem Dorf gar nicht so einfach ist. Schnell eile ich rüber zu Brendas Gemischtwarenladen, aber ich bin zu spät, das Geschäft hat über Mittag zu. Ich lasse die Schultern hängen und frage mich, was ich nun tun soll. In den Pub gehen? Mir bleibt wohl keine andere Wahl, denn viel mehr Möglichkeiten gibt es in unserem Dorf nicht, um an ein warmes Gericht zu kommen. Oder wenigstens zu einem Snack. Brenda hat auch nichts Warmes in ihrem Laden im Angebot.

Mein Magen knurrt bereits und deshalb werfe ich einen letzten Blick aufs Handy, um sicherzustellen, dass mich niemand angerufen hat, und will rüber zum O’Carolines.

Doch mit einem Mal wird die Tür zum Laden hinter mir aufgerissen.

»Maire! Habe ich doch richtig gesehen. Willst du zu mir?«

Ich drehe mich um und blicke in das hübsche Gesicht der Dreißigjährigen.

»Hi! Das wollte ich, aber du bist ja schon in deiner wohlverdienten Pause …«

Sie macht eine wegwerfende Handbewegung. »Quatsch! So dringend habe ich die nicht nötig. Und dich bekomme ich viel zu selten zu sehen. Komm rein!«

Ich zögere eine Sekunde, nehme dann aber das Angebot an.

Hinter mir schließt Brenda die Tür wieder und schaltet das Licht an.

»Wie geht es dir denn?«, erkundigt sie sich und bewegt sich zum Tresen.

»Ganz gut. Und wie sieht es bei dir aus?«

»Passt soweit alles«, sagt sie mit einem Lächeln. »Was kann ich für dich tun?«

»Ich wollte mir einen Happen zu essen holen«, erkläre ich. »Und dann auch gleich einiges für zu Hause einkaufen.«

»Wunderbar. Machen wir gemeinsam Mittagspause!« Brenda bedeutet mir mitzukommen.

»Aber … ich will dich nicht stören«, erwidere ich schnell. Ihre Einladung überrumpelt mich und ich muss zugeben, dass ich nicht zu den spontansten Menschen gehöre.

»Unsinn! Ich freue mich.« Sie geht voraus und öffnet die Hintertür, die in das zum Laden gehörige Haus führt. Kaum trete ich ein, dringt ein wohlriechender Duft an meine Nase. »Was ist das?«

»Nichts Besonderes, ein Pie mit Resten von gestern«, erklärt Brenda und geht voraus in die Küche.

Ich marschiere ihr und dem Duft direkt hinterher. Wann hat dieses himmlische Gericht das letzte Mal auf unserer Speisekarte gestanden?, frage ich mich. Doch die Antwort kommt schneller als erwartet: Als Mum noch lebte! Mrs Oliver hat nie Pie für uns gemacht, aus welchen Gründen auch immer.

»Sieh mal, ich habe die alten Küchenschränke neu lackiert«, meint Brenda und präsentiert mir diese stolz.

»Schick!« Anerkennend nicke ich. Das zarte Gelb sieht wirklich toll aus und verleiht der Küche ihren eigenen Sonnenschein. »Ich fürchte, ich war schon länger nicht mehr hier.«

Brenda zieht die Brauen zusammen. »Das kannst du laut sagen! Du arbeitest viel zu viel!«

So deutlich wollte ich das gar nicht vor Augen geführt bekommen. »Hast ja recht«, gebe ich zu.

»Früher, als wir noch Kinder waren, haben wir uns täglich gesehen«, klagt sie und holt den Pie aus dem Rohr.

Mir läuft das Wasser im Mund zusammen. »Es tut mir wirklich leid … aber die Arbeit ist ein Fulltime-Job …«

»Weiß ich doch«, erwidert sie schnell. »Und alle sind begeistert von dir!«

»Außerdem ist da noch die Farm … und Dad«, zähle ich weiter auf.

»Stimmt, wie geht es deinem Vater, dem alten Yorick?« Brenda teilt das Gericht auf zwei Portionen auf. Als sie den Blätterteig durchschneiden will, knackt er frech.

»Mal besser, mal schlechter.« Ich seufze und suche nach dem Besteck. »Er kann immer weniger tun und hat immer mehr Schmerzen.«

»Bestimmt vermisst er deine Mum sehr«, fügt Brenda hinzu und stellt die beiden Teller auf den Esstisch, der sich vor einem winzigen Fenster in der Küche befindet. »Setz dich!«

Ich gehorche und lege zu jedem Teller das Besteck.

Brenda bringt noch Servietten sowie zwei Gläser Wasser und lässt sich auf die alte Holzbank nieder.

»Wo sind eigentlich deine Eltern?«, erkundige ich mich.

»Ach, die sind unterwegs. Auf ihre alten Tage haben sie die Lust aufs Reisen entdeckt.« Sie nickt mir zu. »Mahlzeit!«

»Guten Appetit«, wünsche ich und koste sogleich, da mein Magen förmlich nach Essen schreit. »Schmeckt himmlisch«, schwärme ich mit vollem Mund.

Meine Freundin lächelt zufrieden. »Danke.«

»Und wo sind deine Eltern hingefahren?«, will ich dann wissen.

»Auf die Isle of Mull

»Oh!« Ich muss schmunzeln. »Das ist ja gar nicht so weit weg wie ich dachte.«

»Tja, sie wollen erst mal die Heimat erkunden«, meint Brenda amüsiert.

Ich nicke und betrachte sie einen Moment lang. Sie hat sich in den Jahren, seit ich sie kenne, kaum verändert. Immer noch trägt sie dieselbe Haarlänge und Frisur. Einen selbst geschnittenen Pony und einen frechen Pferdeschwanz. »Wie sieht es eigentlich mit den Männern aus?«

Brenda stockt und sieht mich verdutzt an. »Na, kennst du irgendeinen vernünftigen Kerl in der Umgebung?«

Ich lache auf. »Nein.«

»Dann hast du ja deine Antwort.« Sie trinkt einen Schluck. »Im Ernst, ich glaube, ich ende als alte Jungfer.«

»Na, na!«

»Ehrlich! In ganz Kilmuir samt Umland findest du nicht einen akzeptablen Junggesellen. Dabei wünsche ich mir so sehr eine Familie. Einen Mann an meiner Seite und mindestens fünf Kinder.«

»Fünf? Da hast du ja einiges vor!«

»Na und ob! Und wie sieht es bei dir aus? Hast du in der Zwischenzeit jemanden gefunden?«

»Nein, und wenn, wüsste es längst das ganze Dorf. Aber ich lege auch keinen großen Wert auf einen Mann.«

»Auf eine Frau etwa?«, erkundigt sich Brenda und mustert mich.

»Blödsinn!« Lachend tue ich ihre Aussage ab. »Ich habe einfach keine Zeit für jemanden. Zu viel Arbeit und zu viele Sorgen mit der Farm. Uns fehlt es an Arbeitskräften …«

Meine Freundin nickt. »Das kann ich verstehen.«

Eine halbe Stunde später verabschiede ich mich von ihr. Vorsorglich habe ich noch einige Lebensmittel mitgenommen, da unser Kühlschrank zu Hause leer ist und Dad bestimmt nicht einkaufen gegangen ist. Ich lagere alles in der Tierpraxis zwischen und warte auf den nächsten Patienten. Danach fahre ich bei Tina und Cliff vorbei, um nach Chipsy und den Katzenbabys zu sehen. Es ist alles bestens und läuft gut.

Nach einem arbeitsreichen Tag düse ich nach Hause und treffe Dad hinter dem Hügel, auf der Weide bei den Schafen. Er sieht erschöpft aus und hat dunkle Augenringe.

»Hi, Dad! Na, wie war dein Tag?«

Er schreckt auf. »Oh, hallo, mein Kind. Es gab nichts … Besonderes …«

»Wie geht es den Tieren?« Ich drehe eine Runde und stelle fest, dass sich die Schafe prächtig machen.

»Lass uns zurück zur Farm gehen«, sagt Dad dann.

Ich blicke hinüber zum Meer. Die Sonne ist am Untergehen. Am Horizont sind dunkle Wolken zu erkennen und der Wind frischt auf. »Gute Idee!«

Drinnen sortiere ich die gekauften Vorräte und mache Nudeln zum Abendessen. Mittlerweile prasselt der Regen ans Küchenfenster und ich bin froh, dass ich heute nicht mehr rausmuss.

Das Essen braucht nicht lang, schon können wir gemeinsam speisen. Doch irgendetwas an Dad scheint heute anders zu sein. Er wirkt so in sich gekehrt und redet kaum.

»Ist was passiert?«, frage ich.

»Wie? Nein … nur … also …« Er stottert herum und winkt ab.

»Du wolltest heute Morgen schon etwas besprechen«, erinnere ich ihn. »Etwas, das sich um unsere Zukunft dreht.«

»Ach ja. Ist nicht so dringend … aber hör zu, da gibt es noch eine Kleinigkeit, über die ich dich informieren will.«

»Raus damit!«, sporne ich ihn an. Bestimmt möchte er sich mit mir wegen der neuen Arbeitskräfte besprechen, die wir dringend benötigen.

Kaum setzt er zum Reden an, klingelt mein Handy.

»Tut mir leid, ich muss da rangehen«, entschuldige ich mich. »Maire McDougal.«

»Maire! Hier Blake. Du … musst kommen! Ein Notfall! Scotty geht es schlecht. Er … kotzt nur und winselt.«

»Oje, das arme Tier. Hat er irgendwas Seltsames gefressen oder so?«, vermute ich.

»Keine Ahnung«, antwortet Blake aufgelöst.

»Ich bin unterwegs!«

Ehe ich Dad erklären kann, um was es geht, ist er bereits aufgestanden und holt mir meine Arzttasche.

»Vielen Dank!« Ich gebe ihm ein Küsschen auf die Wange. »Bis später!«

»Pass auf dich auf!«, ruft er mir noch hinterher.

Hastig fahre ich die Straße zu Blakes Haus entlang. Ich bin mir nicht sicher, wie schlimm es um Scotty steht, aber ich will auf keinen Fall wertvolle Zeit verlieren, sollte er etwas Giftiges gegessen haben. Leider wohnt Blake etwas abgelegen und ich muss den einspurigen Weg nehmen. Der Asphalt ist nass, deshalb zügle ich das Tempo.

Plötzlich leuchtet mir ein Scheinwerfer direkt ins Auge. Das gibt’s doch nicht! Wieso fährt der Idiot weiter, anstatt in der Parkbucht zu warten? Er muss mich doch schon lang gesehen haben. Ich habe eindeutig Vorrang! Mir bleibt nichts anderes übrig, als den Wagen zu stoppen.

Das andere Auto bleibt ebenfalls stehen und blockiert die ganze Straße.

Ich hupe wütend, aber das bringt nichts. Deshalb steige ich aus und eile direkt auf den Fahrer des anderen Gefährts zu, der nun auch aussteigt. Ohne auf den Regen zu achten tritt mir ein groß gewachsener, breitschultriger Mann entgegen.

»Was bildest du dir ein?«, rufe ich. »Ich habe es eilig und außerdem Vorfahrt!«

Als ich nur noch einen halben Meter von ihm entfernt bin, stoppe ich und rutsche prompt auf der nassen Straße aus.