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Impressum

© Anton Affentranger

Alle Rechte vorbehalten.

Karikaturen: Peter Gut, Winterthur

ISBN 978-3-907146-65-1

eISBN 978-3-907146-81-1

Printed in Germany

www.muensterverlag.ch

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Anton Affentranger

Baustellen

Innensichten eines Unternehmers

Dieses Buch ist all denen

gewidmet, die es bevölkern:

CEOs, Berater, Analysten,

Journalisten, Managern,

Büezern, Verwaltungsräten,

Heuschrecken, Investmentbankern,

Marathonläufern,

Freunden und meiner Familie.

Inhalt

Vorwort

1.CEOFünf Pinselstriche

2.BeraterUm Mäuse geht es hier

3.AnalystenFünf Analysen

4.PresseFünf Schlagzeilen

5.FührenFünf Modelle

6.BüezerEine Hommage

7.BoniEin Plädoyer

8.VerwaltungsratSechs Bekenntnisse und ein Appell

9.NachhaltigkeitMein Schlüsselerlebnis

10.HeuschreckenEin Erfahrungsbericht

11.MarkeFünf Botschaften

12.LeverageSechs Wirkungen und eine Frage

13.ZeitEine Phänomenologie

14.Familie & FreundeEine Typologie

15.MarathonEin Laufbericht

Nachwort

Ein kleines Glossar

Literatur

Vorwort

Von Francis Cheneval

Baustellen – Anton Affentranger gibt seinem Buch einen ebenso vieldeutigen wie tiefsinnigen Titel. Eine Baustelle entsteht, wenn nach langjähriger Planung und dem mühsamen Gang durch die Ämter ein Bauprojekt endlich in Angriff genommen werden kann. Der Begriff steht in dieser Bedeutung für ein erreichtes Zwischenziel, einen Punkt auch, von dem es in vielerlei Hinsicht kein Zurück mehr gibt. Aber die Baustelle ist gleichzeitig nur ein Anfang eines langen Prozesses, eine Chiffre für das Unfertige. Der Titel des Buches scheint hauptsächlich für diesen Sinn gewählt. Obschon aus der eigenen Erfahrungsperspektive geschrieben, bilden die Erzählungen kein abgeschlossenes autobiographisches Narrativ des Autors. Im Leben bleibt alles in Arbeit und es selbst besteht aus Bruchstücken. Der Titel ist jedoch in diesem Wortsinn viel zu bescheiden, denn der Autor hat in seinen Baustellen zahlreiche Reflexionen auf den Punkt gebracht, eine Fülle von abgeschlossenen Gedanken und erfahrungsgesättigten Schlussfolgerungen formuliert. Vieles hat der Unternehmer in seinem spannenden Wirtschaftsleben zum Abschluss gebracht – nicht nur so manch reale Baustelle.

Aber das subjektive Erleben und systematische Nachdenken bleibt etwas Unvollendetes, das der Autor trotz fertiger Buchform auch so verstanden haben will. Nach jeder Baustelle kommt die nächste. Das Abgeschlossene wird sofort zur Episode. Jedes fertige Projekt, jede Bilanz, jeder Jahresabschluss, jeder Marathon, auch jeder trefflich erfasste Gedanke bleibt Fragment in einer rätselhaft weitertreibenden Bewegung des Lebens. Seine Gedanken sind Innensichten, die nie auf die Ebene einer allgemeinen Theorie gehoben werden. Er legt keine Managementlehre vor, sondern einen mit Analysen angereicherten Erlebnisbericht. Gerade deshalb erscheint mir dieses Buch für diejenigen, die sich noch mitten im Trubel des unternehmerischen Wirtschaftens befinden so wertvoll. Der Autor bringt sich mit seiner ganz persönlichen Erfahrung, seiner Existenz und Gefühlswelt ein und führt seine Ausführungen stets zielstrebig auf allgemein relevante Reflexionen hin. Diese sind prägnant, klar, erstarren aber nie zu abgehobener Lehre. Oft bricht das Argument an dem Punkt ab, wo der Leser die definitive, letztgültige These oder Gesamtbilanz zu einem Thema erwarten würde. Anton Affentranger enthält sich und gibt nur die Denkrichtung an, zu gut kennt er die Grenzen menschlichen Erkennens und Entscheidens – besonders in Bezug auf die Zukunft.

Betrachtungen eines wirtschaftenden Menschen. Mit diesen Worten liesse sich das hier vorgelegte Buch auch auf den Punkt bringen. Es sind dem Leben abgerungene Einsichten in die Kunst des Wirtschaftens und dem Wirtschaften abgerungene Einsichten in die Kunst des Lebens. Anton Affentranger schreibt als Mensch, der die conditio oeconomica auf die conditio humana hin reflektiert, der sein Leben zielstrebig und konsequent dem freien Wirtschaften gewidmet hat und uns – zum Glück – etwas davon mitteilt. Er schreibt aus vielerlei Perspektiven: als junger Angestellter, höherer Manager, als CEO, als Familienmensch, als Freund, Marathonläufer, und natürlich in ganzer Fülle als Unternehmer. In Bezug auf die Baustellen von einem ökonomischen Humanismus zu sprechen, würde der Absicht des Autors zwar nicht gerecht – einen abstrakten Ismus in die Welt zu setzen ist das Letzte was er hier im Auge hat. Dennoch ist das, was hier vorliegt im Ganzen das Kompendium des humanistischen Unternehmers. Das abstrakte Modell des gewinnmaximierenden homo oeconomicus wird nicht ganz beiseite geschoben, denn ohne Profit geht es nicht. Anton Affentranger weiss aber, dass der real wirtschaftende Mensch sich nicht auf den idealtypischen homo oeconomicus reduzieren lässt. Der wirtschaftende Mensch steht als ganze Person im Leben. Er tätigt nicht nur punktuelle Transaktionen mit unpersönlichen Gegenübern, sondern braucht und pflegt dauerhafte, sinnstiftende Beziehungen mit Kunden, Angestellten, Familienmitgliedern, Freunden – ja sogar mit Konkurrenten, denn einer allein kann keinen Tennismatch spielen. Besonders einprägsam finde ich in dieser humanistischen Perspektive des Wirtschaftens seine Gedanken über Büezer, Nachhaltigkeit, Zeit und über Freundschaft und Familie. Man wird immer wieder an Cicero’s Sinnspruch erinnert: Ich bin Mensch, nichts Menschliches ist mir fremd.

Wenn ein so genannter Wirtschaftskapitän ein Buch schreibt, weckt dies gewisse voyeuristische Begehrlichkeiten auf Gerüchte und persönliche Abrechnungen. Sie werden in diesem Buch enttäuscht. Was der Autor vorlegt – die ihn gut kennen haben es nicht anders erwartet – ist ein mit wenigen, sehr präzisen Strichen gemaltes Gesamtbild des zeitgenössischen Marktwirtschaftens. Die Analysen sind scharf, schonungslos besonders im Benennen eigener Irrtümer, ehrlich, nüchtern, manchmal düster, alles in allem aber doch leidenschaftlich optimistisch. Etwas anderes als freies Wirtschaften kann sich Anton Affentranger nicht vorstellen, trotz sozialromantischer Seitenblicke auf Che Guevara und Karl Marx. Aber dieses packende, selbständige Wirtschaften schildert er ohne Illusionen bezüglich der Irrtumsanfälligkeit, Willensschwäche und Boshaftigkeit mancher Menschen. Er macht auch verständlich, dass es sich in der harmloseren Variante um unvermeidbare Interessenkonflikte von Menschen in verschiedenen Rollen mit unterschiedlichen Anreizen handelt.

Es gibt in diesem Buch eine tiefsinnige Mäuse-Parabel über die parasitären Formen des Wirtschaftens im Bereich des staatsnahen Lobbyismus und Beraterwesens – eine extraction industry, die es auch dort gibt, wo weit und breit keine Bodenschätze zu finden sind. Die Moral der Geschichte besteht aber für den Autor nicht in der Anklage der Akteure dieser Wertabschöpfung ohne Skin in the Game, sondern in einer Ermahnung, dass es die Berater nur wegen der grossen Nachfrage gibt. Letztere hat ihren tieferen Grund in der Suche nach Auslagerung von Verantwortung, ein praktisch flächendeckendes Phänomen, wie er schreibt. Anton Affentranger ist ein Meister im Offenlegen von Konstellationen, die mit den Worten des Philosophen und Wirtschaftsnobelpreisträgers Amartya Sen als Rational-fool-Phänomene betrachtet werden können. Jeder Akteur handelt aus seiner Interessenperspektive rational, aber das Interaktionsresultat ist irrational. Zum Beispiel: Verantwortung ist ein Risiko, das alle rationalen Akteure diversifizieren und vielseitig auslagern, eben meist auf Berater, die ihrerseits keine Verantwortung tragen, weil sie keine Entscheidungen fällen. Es wird allenthalben erwartet in diesem Sinn zu handeln, wer es nicht tut, kommt in Schwierigkeiten. Daraus entsteht aber auf der Ebene aller Interaktionen das Systemrisiko der nicht mehr möglichen Zuschreibung von Verantwortung und letztlich der Verantwortungslosigkeit. Einem einzelnen Akteur kann aus dessen Perspektive nicht vorgeworfen werden irrational zu handeln. Alle in diesem Sinn handelnden Akteure müssen sich aber vorwerfen lassen, die Sorge für das Gesamtresultat der Interaktion – Rousseaus volonté générale – nicht im Auge zu haben.

Man erahnt an manchen Stellen, dass sich hinter den Schilderungen auch schmerzhafte Enttäuschungen über andere Menschen verbergen: L’enfer, c’est les autres (Sartre). Diese Erlebnisse des seelisch Abgründigen könnte den Autor zu manch sehr persönlicher Abrechnung verleiten. Aber dazu kommt es in diesem Buch nicht. Anton Affentranger bleibt bezüglich persönlicher Anfeindungen Herr seines Schweigens, um nicht Sklave seiner Worte zu werden. Die Erklärung dazu liefert er auch selber. Er vermehrt die Anzahl schlechter Menschen nicht dadurch, dass er sich zu ihnen gesellt. Er behält den Kompass im Auge, bleibt pragmatisch und zielt auf das, worum es sich lohnt zu wirtschaften: die menschlichen Beziehungen und nachhaltige Entwicklung der Gesellschaft.

Es gibt in diesem Buch viele höchst relevante Kernaussagen, auf die hier nur exemplarisch hingewiesen werden kann. Zentral scheint mir zum Beispiel die Analyse der Entkoppelung von Real- und Finanzwirtschaft. Die Diagnose ist nicht originell. Das Besondere an Anton Affentrangers Schilderungen ist, dass er den Sachverhalt aus der Sicht des Bankiers analysiert und allen die es hören wollen, erklärt, dass die Entkoppelung von Real- und Finanzwirtschaft der Logik der Finanzwirtschaft keineswegs notwendig inhäriert, sondern widerspricht. Die Bankiers, so Affentranger, sollten sich allerdings auf das Einmaleins des Projektfinanzierungsgeschäfts besinnen. In diesem gilt es ein Unternehmensprojekt zu verstehen, seine Chancen und Risiken abzuwägen, Eigen- und Fremdmittel zu strukturieren, Finanzprodukte zu kreieren und Kredit zu spenden ohne die Verknüpfung von Projekt und Kapital aus den Augen zu verlieren. Finanzielle Mittel und die Laufzeiten der Kredite müssen immer mit dem realen Projekt abgestimmt bleiben. Natürlich sind die Möglichkeiten des Irrtums zahlreich, aber aus diesen punktuellen Irrtümern ergäbe sich noch keine systematische Entkoppelung von Real- und Finanzwirtschaft. Ich bin sicher, dass wir in diesem Buch eine einschlägige Argumentation vorgelegt bekommen, dass die Entfremdung von Real- und Finanzwirtschaft der raison d’être der Finanzwirtschaft entgegen läuft und korrigiert werden könnte.

Eindrücklich sind auch Anton Affentrangers Aussagen über Nachhaltigkeit. Auch hier gilt: Der Inhalt der Botschaft ist nicht neu. Bestechend ist aber mit welcher Konsequenz er als Firmenchef sich dem Thema annimmt. Er beschreibt seine späten Lernerfahrungen und sein Umdenken. Mehr noch, er unterzieht sein – und unser aller – unzureichendes Umhandeln einer schonungslosen Analyse und ergreift Partei für die klimabewusste Jugend. Weghören oder Überlesen ist für Verantwortungstragende in Wirtschaft und Politik schwierig, denn es spricht einer, der die wirtschaftlichen Aspekte des Problems versteht, einer aus den Reihen der Wirtschaftselite.

In Max Webers Monumentalwerk Wirtschaft und Gesellschaft findet sich eine in Vergessenheit geratene Passage zur innerweltlichen Askese. Weber beschreibt mit diesem Ausdruck den Idealtypus eines Menschen, der hart arbeitend und geduldig ein Unternehmen entwickelt und die Steigerung des Werts auf die Entwicklung des Unternehmens abstimmt. Gewinn wird nicht kurzsichtig, sondern nachhaltig angestrebt und im Erfolgsfall stets wieder investiert. Obschon dieser wirtschaftende Mensch keine Weltflucht in eine Einsiedelei begeht, zur besten Gesellschaft gehört, mit grossen Summen Geld und Kapital hantiert und selbst viele wertvolle Dinge besitzt, führt er im persönlichen Bereich ein enthaltsames Leben. Er hat keine Zeit für – und bekundet kein Interesse an ausschweifendem Konsum, er pflegt eine innerweltliche Askese, wie Weber sagt. Im zeitgenössischen Verschwendungs- und Finanzblasenkapitalismus ist dieser Weber’sche Idealtypus stark in Vergessenheit geraten. Ich war stets davon ausgegangen, dass es ihn überhaupt nur in Max Webers Theorie gibt – bis ich Anton Affentranger kennenlernte.

Seine Daseinshaltung und Lebensführung bestätigten mir zwei Dinge. Erstens, dass es zumindest Annäherungen an den innerweltlich asketischen Idealunternehmer tatsächlich gibt und zweitens, dass er nicht unbedingt Calvinist sein muss. Zuerst lernte ich Anton Affentranger als Laufpartner und Coach im Marathontraining kennen. Das erste was mir auffiel, war wie weit er laufen kann, ohne Wasser zu trinken. Mit der Zeit wurde mir klar, dass er sich nicht nur auf Langstreckenläufen wenig zugesteht. Wer mit ihm unterwegs ist, muss bereit sein, ohne Flüssigkeit durch die Wüste zu rennen, um dann bei der Oase umso trefflicher belohnt zu werden. Anton Affentranger ist einer, der sich sehr wenig gönnt, der sich selber und den eigenen Leuten das Äusserste abverlangt, der beinhart aber fair für das eigene Unternehmen und die eigene Belegschaft kämpft und diejenigen mit Anerkennung belohnt, die mit ihm – aber bitte mit eigener Meinung und Wahrhaftigkeit – durchhalten. Lange ausruhen lässt er niemanden, zu allerletzt sich selber, denn es gilt unverzüglich die nächste Baustelle in Angriff zu nehmen.

Francis Cheneval

ist Inhaber des Lehrstuhls für Politische Philosophie an der Universität Zürich. Er beschäftigt sich derzeit hauptsächlich mit Demokratietheorie der internationalen Beziehungen, Eigentumsrechten und unternehmerischen Rechten.

CEO

Fünf Pinselstriche

I.Was er ist

Noch jedes Mal, wenn ich Einreiseformulare auszufüllen hatte, musste ich auch meinen Beruf angeben. Immer habe ich gezögert: Was ist eigentlich mein Beruf? CEO, der ich viele Jahre gewesen bin? Umschreiben diese drei Grossbuchstaben tatsächlich eine Profession? Im Zweifelsfall, also sehr oft, habe ich einfach meinen erlernten Beruf lic. nat-oec, Nationalökonom, in die dafür vorgesehenen Kästchen eingefügt. Meist auch in Grossbuchstaben. Dann geschah stets das Gleiche. An welcher Einreisekontrolle ich auch stand – die Grenzbeamten legten ihre Stirn in Furchen, reagierten mit Unverständnis. Schrieb ich jedoch in Majuskeln CEO haben die Männer in Uniform ehrfürchtig genickt und mich anstandslos durchgewinkt.

Dabei ist das C, der erste der drei Lettern heute inflationär wie nie. Mehr noch: Nicht wenige sprechen von einer regelrechten C-Suite, die sich in den Teppichetagen der Unternehmen breitgemacht hat. Seit Urzeiten gibt es etwa den CFO, den Chief Financial Officer als alter Ego des CEO. Das ist vielleicht tatsächlich ein Beruf. Bei ihm ist wenigstens klar, wozu es ihn gibt. Und wofür er zuständig ist. In den Organigrammen der Firmen findet sich heute auch der CMO, der Chief Marketing Officer, der Marketier, der Marken und Märkte zu managen hat. Neuerdings gibt es auch den COO, den Chief Operating Officer. Ich habe mich immer wieder gefragt, was wohl der tiefere Unterschied zwischen operating und executive sein soll – eine überzeugende Antwort habe ich bis heute nirgends bekommen. Beim CSO ist das mittlere S das eigentliche Fragezeichen. Bei einigen Unternehmen steht es für scientific, bei anderen für strategic oder auch für security. Geradezu desinformativ ist der Titel des CIO, des Chief Information Officer. Der ist nämlich gewöhnlich mitnichten für Information zuständig, sondern für Informationstechnologie, während ersteres vielleicht ein CCO, der Chief Communications Officer zu erledigen hat. Allerdings könnte sich hinter dem CCO-Kürzel auch ein Chief Customer Officer verbergen, der sich um Angelegenheiten rund um die Kunden zu kümmern hat. Möglicherweise ist der CCO aber auch der Chief Creative Officer, der oberste Kreative also. Und auch beim CIO ist die Angelegenheit keineswegs eindeutig. Es gibt schliesslich auch diesen anderen CIO, den Chief Investment Officer, der für die Investitionen zuständig ist und entsprechend wenig mit Communications oder Information zu tun hat.

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Persönlich habe ich eine Schwäche für den anderen CEO. Den Chief Evangelist Officer, der im Silicon Valley inzwischen in ansehnlicher Population verbreitet ist. Dieser Leiter der Innovations-Abteilung lustwandelt gewöhnlich als Vordenker für neue Trends durch Etagen und Flure des Unternehmens. Und nicht nur bei Facebook existiert heute auch der CHO, als Chief Happiness Officer so etwas wie der Gute-Laune-Häuptling für griesgrämige Mitarbeiter. Ich bin überzeugt: Viele weitere Chiefs habe ich vergessen aufzulisten – sie mögen es mir nachsehen. Die in der C-Suite wohnende Spezies ist einfach zu unübersichtlich geworden. Genauso übrigens wie die Head-Hunters, die sich wohl aus dem gleichen Grund auf dieses C-Level spezialisiert haben.

Der oberste in dieser Suite ist jedoch der CEO. Unweigerlich kommt mir da der Kontrabass in den Sinn, jenes tiefe und grösste Streichinstrument und Titel des gleichnamigen Einakters des deutschen Erfolgsautors Patrick Süskind. «Die Kontrabässe», heisst es dort, «das bin ich. Beziehungsweise wir. Die Kollegen und ich. Staatsorchester. Insgesamt sind wir acht. Manchmal werden wir verstärkt von ausserhalb auf zehn. Auch zwölf ist schon vorgekommen, das ist stark, kann ich Ihnen sagen, sehr stark. Zwölf Kontrabässe, wenn die wollen – theoretisch jetzt –, die können Sie mit einem ganzen Orchester nicht in Schach halten. Aber ohne uns geht erst recht nichts. Können Sie jeden fragen. Jeder Musiker wird Ihnen gern bestätigen, dass ein Orchester jederzeit auf den Dirigenten verzichten kann, aber nicht auf den Kontrabass.»

Eine herrliche Sequenz, die auf fast philosophische Art die Frage stellt, ob ein Orchester einen Dirigenten überhaupt benötigt. Die Analogie zum CEO im Unternehmen liegt dermassen auf der Hand, dass mir dieses grossartige Theaterstück vielfältige Inspirationen für zahlreiche Vorträge gegeben hat. Natürlich lässt sich die Frage stellen, ob ein Orchester seinen Dirigenten braucht – oder ob es nicht eher umgekehrt ist. Ebenso lässt sich fragen: Braucht ein Unternehmen einen CEO – oder eher der CEO sein Unternehmen? So gesehen kann ja kein Zufall sein, dass der Dirigent ein verhältnismässig junges Phänomen aus dem 19. Jahrhundert darstellt. Aus der gleichen Zeit datiert übrigens auch die Erfindung des CEO. Orchester wie Unternehmen existierten jedoch bereits viel früher.

Mit einigem Recht kann der Kontrabass bei Süskind denn auch konstatieren: «Ich kann Ihnen bestätigen, dass sogar wir im Staatsorchester gelegentlich vollständig am Dirigenten vorbeispielen. Oder über ihn hinweg. Manchmal spielen wir sogar über den Dirigenten hinweg, ohne, dass er es selber merkt. Lassen den da vorne hinpinseln, was er mag und rumpeln unseren Stiefel runter. – Aber das am Rande.» Auch hier sind die Parallelen offensichtlich. Ein CEO, der sein Unternehmen nicht hinter sich hat, dreht sich im Hamsterrad. – Aber das am Rande.

Und nun? Was ist der CEO? Der Officer, der Bannerträger, dem die ganze Organisation zu folgen hat? Ist im 21. Jahrhundert irgendwie antiquert. Der Chief, der über allem thront? Wirkt ebenfalls wie aus der Zeit gefallen. Am ehesten ist er wohl der Executive. Der Ausführende, die «vollziehende Gewalt», wie sie in der Staatstheorie definiert ist. Vielleicht handelt es sich beim CEO aber einfach nur um diejenige Person, die im Maschinenraum seiner Firma ab und an Sand ins Getriebe zu schütten hat, damit Bestehendes hinterfragt und Neues möglich wird – und dann, nach erfolgter Aufrüttelung, selbstverständlich auch dafür besorgt ist, dass der knirschende Sand wieder weggeputzt wird? Möglicherweise ist er aber einfach nur das Gesicht, welches an der Jahrespressekonferenz seiner Firma gegenüber den Medien die Geschäftsergebnisse zu präsentieren hat – obwohl Zahlen eher die Domäne des CFO sind?

Wer sein Tun als CEO etwas überhöhen will, kann sich an den italienischen Philosophen Luciano Floridi halten. Der an der University of Oxford lehrende Wissenschaftler meint: «Ein CEO ist immer zugleich Philosoph und Künstler. Wie ein Philosoph muss ein CEO Freude daran haben, ungelöste Probleme anzupacken, die zwar durch Fakten und Zahlen bestimmt werden, aber nicht allein durch diese gelöst werden können. Und wie ein Künstler muss ein CEO kreativ sein und innovative Lösungen entwickeln, die unternehmerisch umsetzbar, für die Aktionäre einträglich und für die Stakeholder akzeptabel sind.»

Das klingt doch schon nach einem durchaus akzeptablen, ja simplen, weil einsichtigen Stellenbeschrieb für einen CEO. Auf den ersten Blick jedenfalls. Es ist aber auch so, dass Unternehmen heute komplexe Organisationen darstellen. Die Aufgaben sind vielfältig. Das Eigenleben in Abteilungen und Tochterfirmen ausgeprägt. Der Personalkörper bunt gescheckt. Alles und alle sollten wichtig sein und ihre Bedeutung jeden Tag unter Beweis stellen können. Andernfalls stellt sich die Frage: Warum ist dieser Mitarbeiter noch da, oder wird jene Aufgabe noch erfüllt? Deshalb habe ich an unseren internen Welcome Days – an diesen wurden neue Mitarbeitende begrüsst und in das Unternehmen eingeführt – immer erklärt, wir alle, die hier arbeiten, sind wichtig und entscheidend für das Überleben und die Prosperität unserer Firma: meine Assistentin, der Projektleiter, der CIO und auch alle anderen C’s. Ich habe das immer ernst gemeint – und meine das auch heute.

Und, ja: Der CEO ist auch wichtig. Vielleicht nicht in jedem Augenblick das Wichtigste. Aber manchmal entscheidend. Nicht mehr. Nicht weniger.

II.Für was er zuständig ist

Als CEO eines Bau- und Baudienstleistungsunternehmens wie Implenia scheint klar, wofür der Mann an der Spitze alles zuständig ist – zumindest nach dem Massstab dessen, was an Informationen von aussen bis zu ihm durchdringt. Da gab es regelmässig elektronische Post von wildfremden Personen ohne Beziehung zur Firma, die dem Chef einmal deutlich sagen wollten, dass auf seinen Implenia-Baustellen «grösste, nicht tolerierbare Unordnung» herrsche. Ein Puff also, wie der Schweizer zu sagen pflegt. Vom lokalen Projektleiter gab es Schelte, wenn einer unserer Lastwagenfahrer es wieder einmal versäumt hatte, bei dem gelben Zebrastreifen sofort auf die Bremsklötze zu stehen, wenn Passanten in stattlicher Entfernung aufkreuzten. Ein namhafter Journalist hat mir einmal einen elegant formulierten Brief zukommen lassen, in dem er sich in deutlichen Worten über ein seiner Meinung nach ungebührliches Verhalten eines unserer Bauarbeiter beklagte – natürlich mit der Aufforderung einer schriftlichen Stellungnahme des CEO zu diesem nicht tolerierbaren Vorfall zu erhalten samt personellen Konsequenzen für den überführten Sünder.

In der Optik dieser Aussenwelt ist der CEO immer zuständig. Und zwar für alles und jedes. Wehe, der reagiert nicht umgehend und in adäquater Form. Die Tonalität verschärft sich dann schlagartig. Im milderen Fall etwa so: «Was meint denn dieser CEO, wenn er nicht einmal auf mein SMS reagiert?» In der Innenwelt des Unternehmens ist die Erwartungshaltung an den CEO keineswegs eine andere. Dort ist er für alles zuständig, was nicht im Reglement steht. Gewissermassen als Hüter der letzten Fragen. Etwa: Welche politischen Parteien soll die Firma unterstützen? Oder: Wie hoch darf das Budget für das Personalfest dieses Jahr sein? Natürlich sind das alles Fragestellungen, die das Unternehmen im Innersten in Frage stellen.

Es gab aber natürlich immer auch positives Feedback. In Erinnerung blieb mir jener Tourist, der im Sommer im europäischen Norden unterwegs war und mir per SMS einen Foto-Schnappschuss zuschickte: stolzer Schweizer auf dem Bild mit dem Margeriten-Logo der Schweizer Implenia. Auslöser für diese patriotische Gefühlsaufwallung ist selbstverständlich auch der CEO.

Was mich zu einer ersten Erkenntnis führt: Der CEO ist zuständig für alles. Und wer für alles zuständig ist, ist zuständig für nichts. Peter F. Drucker, der im Jahre 2005 verstorbene Begründer der modernen Managementlehre, meinte kurz vor seinem Tod, die Menschen sähen im CEO eine Art unternehmensinternen Coach oder Springer, der immer dann zur Stelle sei, wenn es Probleme zu lösen gäbe. Diese irrige Vorstellung wollte der Altmeister zertrümmern und hinterliess Fragmente seiner Gedanken zur Rolle des CEO. Teile davon publizierte Peter F. Drucker noch unter dem Titel The American CEO als Kolumne im Wall Street Journal. Darin heisst es: «Der CEO ist das Bindeglied zwischen dem Inside, das heisst der Organisation und der Aussengesellschaft der Wirtschaft, Technologie, Märkte, Kunden, Medien, öffentliche Meinung. Innen gibt es nur Kosten. Ergebnisse und Einnahmen kommen nur von aussen.»

So richtig diese Gedanken auch sein mögen. Interessant wurde es immer dann, wenn Lieferanten beim CEO intervenierten. Sind diese nun innen, weil sie frei nach Peter F. Drucker bekanntlich Kosten produzieren? Oder aussen wie Kunden oder Märkte? Nach dem Inhalt von deren Interventionen zu urteilen, betrachteten sich viele der Lieferanten schon fast als Teil des Unternehmens. Der CEO, fanden diese oft ohne rot zu werden, solle doch schauen, dass Konditionen und Preise endlich besser würden. Ich müsse ja daran interessiert sein, langfristige Lieferantenbeziehungen aufzubauen, wurde mir beschieden. Regelmässig wurde ich auch zu irgendwelchen Veranstaltungen eingeladen – als würden heute keine rigiden Compliance-Bestimmungen Gültigkeit besitzen. Vielleicht kann darüber hinwegsehen, wer sich als Freund des Hauses sieht.

Ähnliche Haltungen poppten auf, sobald die Politik intervenierte. Dann wurde es wirklich spannend. Warum, hiess es in solchen Fällen an die Adresse des CEO, bekommt ein ausländischer Lieferant den anstehenden Auftrag? Wo doch die angesehene lokale Unternehmung gewissermassen vor der Türe zu finden wäre? Nie fehlte dann auch der Hinweis, ein Bauunternehmen wie Implenia erhalte doch öffentliche Aufträge, die mit Steuergeldern finanziert seien. Es wurde nicht immer nur subtil gedroht, so dass der CEO schon verstand, dass es Politiker sind, die öffentliche Bauvorhaben auslösen.

Bei den Kunden war es dann meist exakt umgekehrt. Dort lautete die zentrale, oftmals als Frage verkleidete Forderung: Was hat der kundenfreundliche CEO zu bieten? Kann er den Preis weiter nach unten drücken, da er doch alles Interesse haben muss, den Auftrag auch zu bekommen? Wenn er das – aus welchen Gründen auch immer – nicht tat, stand schon die nächste Frage im Raum: Über was für Kompetenzen verfügt ein solch unbeweglicher CEO überhaupt? Oder vielleicht schlimmer noch: Wieso ist der überhaupt noch da?

Diskussionen mit und über Kunden. Ein Evergreen, den jeder CEO kennt. Genauso wie deren Hinweis darauf, wer denn am Schluss die Rechnungen im Unternehmen zahlt, wenn nicht der Kunde? Oder gar der Fingerzeig, dass kein anständiger Unternehmer seinen Kunden über den Tisch zieht. Ist ersterer ein Bauunternehmer wie der Implenia-CEO, hat der meist ein ganz anderes Problem. Gerade bei Grossprojekten ist oftmals gar nicht mehr erkennbar, wer nun der Kunde eigentlich ist. Eine juristische Person, die durch verschiedene abstrakte Instanzen vertreten wird? Oder eine spezifische Person, ein Funktionsträger, etwa die Rechtsabteilung des Kunden?

Das Resultat: ein Wirrwarr an Verantwortlichkeiten und Kompetenzen. Jeder Beteiligte versucht, seine persönliche Raison d’être zu finden und zu halten. Manche kommen dabei gewaltig unter die Räder. Und den letzten in der Reihe beissen die Hunde – im Baugewerbe ist das oftmals der Projektleiter. Ein armer Tropf. Ab einem bestimmten Punkt des Baufortschritts spürt er den heissen Atem der Juristen im Nacken, die nun in Stellung gehen, um für ihre Kundschaft finanziell noch irgendetwas, egal was, herauszuschlagen. Zu Recht, aber oftmals halt auch zu spät mag der sich fragen: Warum, zum Kuckuck, ist dieser Vertrag nicht wasserdicht? Hat den vor der Unterzeichnung denn keiner auf Herz, Nieren und Risiken abgeklopft? Wenn dann noch allerhand Kontrolleure, so genannte Risk-Manager oder selbsternannte Experten aus irgendwelchen Löchern aufpoppen, ist die Antwort klar und wohl auch klar, wie diese Angelegenheit weitergeht.

An Sitzungen wird in der Folge von allen Beteiligten plötzlich alles Mögliche fleissig protokolliert. Man weiss ja nie, wozu das noch gut sein kann, wenn es gilt, eigene Ansprüche durchzusetzen. Dass es nur darum geht, wird unserem gebeutelten Projektleiter spätestens klar, wenn sich die eingeschriebenen Briefe häufen – der Fall des Bauvorhabens ist nun zum Rechtsfall promoviert. Oder in anderer Perspektive dorthin degradiert. Jetzt, wo die Verantwortung für das grosse Ganze allen Beteiligten entglitten und bis zur Unkenntlichkeit atomisiert ist, hilft nur noch eines: die höchste Instanz anzurufen. Und das ist bekanntlich der CEO.

Ob der den gordischen Knoten durchschlagen kann? Ich sage: meist nicht. In vielen Fällen ist es zu spät, die Streithähne bereits unrettbar ineinander verkeilt. Und dann ist da ja oftmals, frei nach Peter Handke, auch die Angst des CEO beim Elfmeter – nur wer nichts tut, hält seinen Kasten rein. So wie beim Krimi des österreichischen Autors auch klar wird: Der Tormann, der sich völlig ruhig verhält, bekommt vom Schützen den Ball in die Hände geschossen. Wieso also soll sich unser CEO exponieren, wenn er sich doch besser versteckt und die Verantwortung teuer und elegant an die Gerichte weiterschiebt? Also hier braucht es den CEO nicht. Nicht mehr. Auseinandersetzungen von Mann zu Mann per Handschlag aus der Welt zu schaffen – irgendwie fühlt sich ein CEO heute dafür nicht mehr zuständig.

Auf Hochtouren läuft in der Gegenwart dafür das Reklamationswesen mit dem CEO als Türsteher an der Klagemauer. Ich hatte oft den Eindruck ein grosszügig dimensionierter Reklamationskorb zu sein. Zielscheibe unzufriedener Kunden. Objekt der Anklage enttäuschter Mitarbeitenden, wenn diese eine ihnen vermeintlich zustehende Beförderung oder eine Lohnerhöhung nicht erhalten haben. Diese Beschwerden kamen in der Regel mit der Androhung einer Kündigung falls nicht sofort positiv behandelt. Immer freitagnachmittags hat sich meine E-Mail-Box in solchen Angelegenheiten besonders hartnäckig gefüllt. Schneller jedenfalls wie an anderen Wochentagen. So als galt es am CEO kurz vor dem Wochenende noch schnell den eigenen Frust abzureiben. Natürlich gab es auch die berechtigten Reklamationen. In solchen Fällen ist ein CEO mit Fingerspitzengefühl von durchschlagendem Vorteil – gewissermassen als Chief Beschwerde Officer (CBO). Der CEO, der sich darüber beklagen will, sollte sich vor dem grossen Wehklagen daran erinnern, dass er für seinen Job gut bezahlt ist.

III.Wem er gehört

Heute herrschen Kommunikationstechniken. Auch über den CEO. Unsere rund zehntausend Mitarbeitenden hatten meine E-Mail-Adresse. Potenziell hatten also zehntausend Menschen die individuelle und kollektive Möglichkeit, in meiner Mailbox eine Nachricht zu deponieren. Natürlich mit dem Anspruch, dass das Anliegen behandelt wird. Sofort.

Mit der Send-Taste kann jeder in der Firma über jede Hierarchie hüpfen. Es stellt sich die Frage: Frisst Technik Hierarchie? Man könnte das so sehen. Ich selbst bin beruflich noch in einer Zeit gross geworden, in der die Hierarchie noch unverrückbar gewesen war. Eine Todsünde beging, wer diese einfach übersprang. Etwas nostalgisch füge ich an: Alle waren auf die Hierarchie angewiesen. Dadurch waren Kompetenzen klar geregelt, die Firma überblickbar. Berechenbarer vielleicht auch.

Heute lässt sich die Hierarchie höchstens noch durch einen gewissen Zynismus bedienen – indem ein Email-Schreiber fast maliziös ein CC, ein BCC mit der Adresse seines Chefs oder gar des CEO einfügt. Der erhält sowieso immer zahlreichere copys. In der gütigen Vorstellung seiner Mitarbeitenden soll der CEO ja informiert sein. Bescheid wissen über alles, was in seinem Laden passiert. So landen dann pro Tag Dutzende, ja Hunderte von elektronischen Briefen im Account des CEO. Das ist kein Ausdruck von besonderer Wertschätzung. Nicht einmal ein Zeugnis eines Mitteilungsbedürfnisses. Seien wir ehrlich: Hier werden im besten Fall unüberlegt Gedanken, im schlechteren Fragen, ja Verantwortung von links nach rechts, von unten nach oben verschoben. Ohne, dass etwas Wesentliches geschehen würde. Management by Mail. Oft sekundiert durch Management by WhatsApp. Und wie oft habe ich dann noch sehr viel später von einem Gegenüber zu hören bekommen, er habe mich vor Monaten in einem Mail einkopiert. Und einfach nie mehr etwas gehört.

Immerhin zeigt das: Im Zeitalter des überquellenden elektronischen Briefverkehrs, in der flüchtigen digitalen Welt scheint der CEO doch noch ein Fixpunkt zu sein, der Orientierung geben soll. Die Marke einer Firma – wenige Buchstaben oder ein paar Striche, die sich zu einer Bildmarke zusammenfügen: sie mögen schön sein, oder auch nicht. Sie bleiben aber ein abstraktes Gebilde. Oft ein seelen- und emotionsloses. Der Mensch bleibt hungrig nach der Antwort auf die Frage: Welches Gesicht gehört zu dieser Marke?

Ist hier in unserer virtuellen Umgebung endlich noch ein Platz für den CEO aus Fleisch und Blut? Sicher ist: Manche taugen als Identifikationsfigur. Andere nicht. Sie lösen Emotionen aus. Positive oder negative. Manchmal strahlen sie. Strahlen etwas aus. Lassen sich von Emotionen tragen. Machen unverständliche Fehler, die Aussenstehende im Kopf nicht aushalten. Bekennen Farbe, wo sich keiner mehr traut. Das gibt zu reden. Und zu schreiben. Wir lesen dann immer sonntags darüber. Oder in Büchern. Erinnern Sie sich noch an Nieten in Nadelstreifen. Deutschlands Manager im Zwielicht, Günter Oggers Bestseller über die Herrschaft der Mittelmässigen aus den 1990er Jahren? Die gibt es selbstverständlich auch. Die Gesichtslosen. Aber selbst diese produzieren Emotionen. Weil sie aus Fleisch und Blut sind. Nicht virtuell. Zumindest noch nicht.

Und wenn sich der CEO dann für Sponsoring engagiert, wird er sichtbar. Erfahrbar. Er tut es vielleicht nicht nur aus selbstlosen Gründen. Sondern, weil in der Firma ja so vieles verteilt und damit weitgehend von ihm abgeschnitten ist – die Finanzen sind beim CFO, das Personal beim HR. Und so fort. Beim Sponsoring aber: Da kann er sich hemmungslos einbringen. Dieses zur Chefsache erklären. Ich beispielsweise habe mir in meiner Zeit als CEO die Freiheit genommen, den Laufsport zu unterstützen. Insbesondere den Marathon. Das Gesicht der Unternehmung wurde bald einmal mit dem Gesicht des Läufers verbunden.

Natürlich produzierte dieses Gesicht innerhalb der Firma Emotionen. Meist in Fragen gekleidete. Muss bei uns einer nun Marathon laufen, um Gnade zu finden beim CEO und Karriere zu machen? Müssen nun alle zu Asketen werden? Karg und gesund leben? All das wirkte nach aussen und nach innen. Und zwar unabhängig vom realen Wahrheitsgehalt solcher Befürchtungen.

Wir halten also fest: Der CEO gibt dem Unternehmen ein Gesicht. Sein Gesicht ist öffentlich. Wird von jedem gesehen. Ist von überall sichtbar. Ein solches Gesicht gehört gewissermassen jedem.

Wird auch gehört, was dieses zu sagen hat?

IV.Was er sagt

Der CEO organisiert die Sitzung der Konzernleitung. Fixiert die Traktanden. Leitet das Meeting. Führt das Wort. Er bestimmt die Tonalität und gibt den Takt an. Ist das heute noch wichtig wie ehedem? Ich habe meine Zweifel.

Diese Art der Top-down-Hierarchie ist in der Gegenwart wohl nicht mehr notwendig. Vielleicht auch gar nicht mehr möglich. Die Vitalität einer Firma kommt nicht mehr vom CEO. Sondern schöpft sich aus der Fähigkeit der Firma Kreativität laufend und schnell zu erzeugen. Eine einzelne Person, und sei es der CEO persönlich, kann nicht mehr allein entscheidend sein. Die Schlüsselfrage ist nicht mehr, ob die Konzernleitung unter der Leitung des CEO die richtige Traktandenliste abarbeitet. Sondern, ob es gelingt, innerhalb der Firma kreative Teams zu Höchstleistungen zu bringen.

Zu Ende gedacht: Was der CEO sagt, ist nicht mehr entscheidend. Mehr noch: Im Grunde braucht es ihn nicht mehr. Genauso wenig wie das Unternehmen in seiner klassischen hierarchischen Form. Das ist natürlich eine Provokation. Aber nicht ganz aus der Luft gegriffen. Virtuelle Modelle einer mitunter auch firmen- und grenzübergreifenden Zusammenarbeit ermöglichen die schnelle Entwicklung von Ideen und deren Umsetzung in marktfähige Produkte. Das Beste setzt sich durch. Da gibt es keine Rolle mehr für den klassischen CEO. Es spielt auch keine Rolle mehr, wie er seine Konzernleitungssitzungen leitet und was er dort von sich gibt. Dieser CEO ist überflüssig geworden. Punkt.

Damit könnte meinerseits alles gesagt sein zum Thema CEO. Wäre da nicht Jürgen Dormann, der den Technologiekonzern ABB 2001 durch eine existenzbedrohende Krise zu steuern hatte. Vor einigen Jahren hat mir ein Freund dessen Sammlung von CEO-Briefen geschenkt. Immer freitags schrieb er einen ein- bis zweiseitigen Brief an über hunderttausend ABB-Mitarbeitende, der in 15 Sprachen übersetzt und per E-Mail versandt wurde. Er schrieb über Missstände und Versäumnisse. Über Fortschritte und Hintergründe der ABB-Strategie. Von den Mitarbeitern erhielt er Feedback und Ideen. Der CEO hat auch darauf wieder geantwortet.

Mich haben diese Briefe fasziniert: nicht nur, weil sie in einer To be, or not to be-Zeit für ABB geschrieben worden sind. Sondern vor allem, weil sie in einer existenzbedrohenden Zeit den Beweis erbracht haben: Es ist nicht gleichgültig, was der CEO zu sagen hat. Gerade in der Krise braucht es eben doch Führung durch das Gesicht, welches als CEO an der Spitze der Firma steht.

Ich begann ebenfalls Briefe zu schreiben. Es sollten dies spontane Briefe sein: keine Regelmässigkeit, kein Rhythmus. Ich schrieb diese Briefe jedes Mal, wenn ich das Bedürfnis hatte etwas zu sagen. Es waren meistens kurze und manchmal aber auch weniger kurze Schreiben. Es ging um Aufträge, um Stimmungen oder – leider auch – um Leben und Tod – als ich über tödliche Unfälle und Arbeitssicherheit auf Baustellen schrieb. Die Sammlung dieser Briefe habe ich anlässlich meines Weggangs von Implenia unter dem Titel Pinselstriche publiziert und meinen engsten Mitarbeitern und Freunden als Abschiedsgeschenk zugestellt. Es waren Pinselstriche, mehr nicht. Ein Spot auf meine und unsere gemeinsame Geschichte. Manchmal wahr, manchmal auch nur ein Strich. Im Nachhinein betrachtet manches Mal sogar eine Sinnestäuschung. Aus diesen Pinselstrichen ist dann auch die Idee für dieses Buch entstanden. Ein Angebot, dass auch ein CEO vielleicht einmal etwas zu sagen hat. Möglicherweise ist es etwas hoch gegriffen, wenn der Philosoph Luciano Floridi über den CEO als Vordenker und Erzähler notiert: «Früher oder später ist eine mitreissende Geschichte nicht mehr zu trennen von der Person, die sie erzählt.» Bei Jürgen Dormann war das für mich so. Bei mir gilt wie gesagt: Es ist der Pinselstrich eines Angebots. Und Lesen ist freiwillig.

V.Was übrig bleibt