Über das Buch

Kristen sagt meistens, was sie denkt, würde alles für ihre Freunde tun und hat außerdem ein großes Geheimnis: Sie steht kurz vor einem medizinischen Eingriff, der es ihr unmöglich machen wird, Kinder zu bekommen. Deshalb geht sie mit gemischten Gefühlen an die Aufgabe, die Hochzeit ihrer besten Freundin zu organisieren. Vor allem, als sie dabei Josh kennenlernt, den anderen Trauzeugen. Er ist witzig, sexy und niemals beleidigt von ihrer offenen Art. Allerdings träumt Josh von einem Haus voller Kinder. Kristen ist klar, dass sie nicht die Richtige für ihn ist. Doch die Anziehung zwischen Josh und ihr wird immer größer …

 

 

 

 

Dieses Buch ist all jenen Menschen gewidmet, die mich beim Schreiben aufgemuntert und ermutigt haben. Und Stuntman Mike.

Über Abby Jimenez / Franka Reinhart

Abby Jimenez lebt in Minnesota und ist die Gründerin der international erfolgreichen Konditorei »Nadia Cakes«, mit der sie zahlreiche Auszeichnungen gewann. Seit einiger Zeit ist sie außerdem als Autorin tätig.

Franka Reinhart ist akademisch geprüfte Übersetzerin für Englisch und hat u.a. Werke von Jane Casey, Morgan Matson, Colleen McCullough, Catherine Rider, Paul Theroux und Ella Mills ins Deutsche übertragen.

2
KRISTEN

Schwungvoll stellte Shawn einen Stuhl mitten in den Aufenthaltsraum der Feuerwache, setzte sich rittlings darauf und sah mich an. Viel näher konnte er gar nicht kommen und mir auf die Nerven gehen. Ich saß in einem der sechs braunen Ledersessel, die vor dem Fernseher standen. Mein Yorkshire Terrier Stuntman Mike stand knurrend auf meinem Schoß.

Shawn wackelte vielsagend mit den Augenbrauen unter seiner albernen Schmalztolle. »Na, wie sieht’s aus, Süße?«

Als ich mich nach vorn beugte und meinen Hund am Kopf kraulte, kam gerade Javier, der Leiter der Feuerwache, in die Küche. »Shawn, nur damit du Bescheid weißt: Falls ich mal auf Mund-zu-Mund-Beatmung angewiesen sein sollte und du der letzte Sanitäter auf dieser Erde wärst, dann wünsche ich mir zu meiner Beerdigung Spenden für den Tierschutz statt Blumen.«

Breit grinsend schenkte sich Javier einen Kaffee ein und Brandon, der mit seinem Buch im Sessel neben mir saß, lachte auf. »Ach, Shawn, zieh einfach Leine.«

Shawn stand auf, nahm seinen Stuhl und schob ihn zurück an den Tisch, während er irgendetwas vor sich hinmurmelte.

In diesem Moment kam Sloan aus dem Badezimmer gewirbelt. Sie trug den weißen Leinenrock, den sie sich gekauft hatte, als wir vorigen Sommer zusammen in Mexiko waren, und dazu bis zur Wade hoch geschnürte Sandalen. Damit sah sie aus wie eine griechische Göttin.

Aber meine beste Freundin war sowieso hinreißend. Blonde, lange Haare, den linken Arm voller knallbunter Tattoos und am Ringfinger einen funkelnden Klunker. Sie war mit Brandon verlobt, diesem genauso unverschämt attraktiven Feuerwehrmann.

Es war Sonntag und somit Familientag in der Feuerwache. Das hieß, dass die vier diensthabenden Jungs gemeinsam mit ihren Freunden und Angehörigen hier frühstückten. Sloan und ich waren an diesem Morgen jedoch die einzigen Gäste. Javiers Frau war mit den Töchtern in der Kirche und Shawn hatte keine Freundin.

Wie überraschend.

Rein formell war ich als Joshs Begleitung dabei. Er gehörte als viertes Mitglied zum Team, auch wenn ich ihn noch gar nicht kannte.

Josh war Brandons bester Freund. Er kam aus South Dakota und hatte gerade erst hier angefangen. Außerdem war er Brandons Trauzeuge, genau wie ich Sloans Trauzeugin war. Die Hochzeit fand am 16. April statt, in zwei Monaten schon. Da Josh die Verlobungsfeier verpasst hatte, war es ziemlich wichtig, dass wir uns umgehend kennen lernten.

Ich schaute nach der Uhrzeit. Mein Hunger wurde immer größer, und allmählich bekam ich schlechte Laune, denn bisher hatte ich lediglich einen Kaffee getrunken. Für das Frühstück heute war Josh zuständig. Allerdings war er immer noch nicht aufgetaucht.

Ich ärgerte mich also schon über ihn, noch ehe ich ihm zum ersten Mal begegnet war.

»Also«, begann Sloan und setzte sich in den Sessel neben Brandon. »Verrätst du mir, woher du das T-Shirt hast?«

Ich sah an mir herunter. Ich trug ein schwarzes Herrenshirt mit Werbung der Brauerei Wooden Legs, das ich in der Taille geknotet hatte. »Nö.«

Sie musterte mich skeptisch. »Du bist losgefahren, um Tampons zu besorgen, und kommst mit ’nem fremden Oberteil zurück. Muss ich mir Sorgen machen, weil du mir den Grund verheimlichst?«

Brandon hob den Blick von seinem Buch. Er war ein ausgeglichener Typ, den so schnell nichts aus der Ruhe brachte. Doch mit dem Bekenntnis, dass ich seinen neuen Wagen soeben mit meinem schwarzen Sumatra-Kaffee getauft hatte, würde ich mir vermutlich einen strafenden Blick von ihm einhandeln, was irgendwie noch schlimmer war als böse Worte.

Deshalb entschied ich mich dagegen.

Schließlich hatte ich sämtliche Spuren beseitigt. Und bei der Kollision, die ich durch mein Bremsmanöver nach dem kleinen Kaffeeunfall verursacht hatte, war schließlich kein Schaden an der Stoßstange entstanden. Somit musste er auch nichts davon erfahren.

Da mein Oberteil ohnehin mit Kaffee getränkt war, hatte ich es gleich benutzt, um den Rest aufzuwischen und stattdessen das Shirt des Parkplatzkaspers angezogen.

»Es ist von Tyler«, log ich. »Es riecht so gut nach ihm und ich hatte ein bisschen Sehnsucht.« Ich hielt meine Nase an den Kragen und schnüffelte demonstrativ daran.

Wow, es roch tatsächlich toll.

Dieser Typ war verdammt sexy gewesen. Erkennbar gut gebaut und durchaus attraktiv. Mit einem glattrasierten, jungenhaften Gesicht, was mich immer total anzog.

Meine Güte, ich war wirklich ausgehungert. Jetzt fing ich schon an, mir irgendwas mit fremden Männern zurechtzufantasieren. Der letzte Sex war aber auch verdammt lange her. Seit sieben Monaten war Tyler jetzt weg.

Sloans Gesichtsausdruck wurde schlagartig sanft. »Awwww. Wie süß. So schade, dass du morgen am Valentinstag nicht mit ihm zusammen sein kannst. Aber nur noch drei Wochen, dann hast du ihn für immer bei dir.«

»Jep. Dann ist sein Einsatz zu Ende und wir wohnen ganz offiziell zusammen.« Bei dieser Aussage bekam ich ein leicht flaues Gefühl im Magen, ließ mir jedoch nichts anmerken.

Lächelnd legte Sloan die Hand auf ihr Herz. Obwohl sie Tyler nicht sonderlich mochte, war sie dennoch eine große Romantikerin.

Plötzlich meldeten sich meine Krämpfe zurück und ich presste die Hand auf meinen Bauch. Wieder einmal plagte mich eine endlose Periode aus der Hölle. Zusammen mit meinem Hunger, dem Erlebnis von vorhin und nächtlichem Polizeibesuch um drei Uhr morgens bei mir zu Hause (den ich Sloan lieber verschwieg) verhagelte mir das endgültig die Stimmung. Ich war so müde, dass ich das Ladegerät statt ins Handy beinahe in meine Kaffeetasse gestöpselt hätte.

Sloan sah auf die Uhr, kramte wortlos in ihrer Handtasche und schüttelte schließlich zwei Schmerztabletten auf ihre Handfläche. Die reichte sie mir zusammen mit einem Glas Wasser – eine routinierte Übung, die wir im Laufe der fünf Jahre in unserer Zweier-WG perfektioniert hatten.

Ich schluckte die Pillen und schaute dann zu Brandon. »Gutes Buch?«

»Nicht übel«, antwortete er und betrachtete das Cover. »Soll ich es dir leihen, wenn ich fertig bin?« Dann schaute er an mir vorbei und sein Gesicht hellte sich auf. »Oh, hallo, mein Freund!« Ich folgte seinem Blick in Richtung Tür, wobei mir vor Schreck der Mund offen stehen blieb. Denn dort stand doch tatsächlich der gutaussehende Idiot von vorhin, mit lauter Einkaufstüten in beiden Händen.

Unsere Blicke trafen sich und wir starrten uns erstaunt an. Dann bemerkte er mein – also sein – T-Shirt, woraufhin sich seine Lippen zu einem Grinsen verzogen.

Ich stand auf und setzte Stuntman zurück auf den Sessel, während der Typ seine Einkäufe abstellte und auf mich zukam. Mit angehaltenem Atem wartete ich, wie er reagieren würde.

Brandon legte sein Buch ab und stand ebenfalls auf. »Josh, das ist Kristen Peterson, Sloans beste Freundin. Kristen, Josh Copeland.«

»Hallo! Nett, dich kennen zu lernen«, sagte er und drückte dabei meine Hand ein klein wenig zu fest.

Ich kniff die Augen zusammen. »Ja, freut mich auch.«

Josh dachte gar nicht daran, meine Hand loszulassen. »Sag mal Brandon, hast du dieses Wochenende nicht dein neues Auto gekriegt?«, wollte er wissen, ohne mich aus den Augen zu lassen.

Ich warf ihm einen warnenden Blick zu, doch seine braunen Augen blitzten angriffslustig.

»Stimmt. Willst du es sehen?«, fragte Brandon.

»Nach dem Frühstück gerne. Ich liebe den Geruch von neuen Autos. Meins riecht irgendwie nur nach Kaffee.«

Ich sah ihn finster an, doch sein Grinsen wurde nur noch breiter. Brandon merkte von alldem offenbar nichts.

»Hast du noch mehr zu tragen? Brauchst du Hilfe?«, erkundigte er sich. Sloan machte sich schon in der Küche zu schaffen und begann die Tüten auszupacken.

»Kein Problem, bin gleich fertig«, antwortete Josh und nickte mir kurz auffordernd zu.

»Ich geh schnell mit raus«, verkündete ich. »Ich hab was im Auto vergessen.«

Er hielt mir die Tür auf, und sobald sie sich wieder geschlossen hatte, fuhr ich ihn an: »Ich rate dir dringend, deine Klappe zu halten.« Dabei bohrte ich meinen ausgestreckten Zeigefinger in seine Brust.

Mir ging es weniger um den verschütteten Kaffee, sondern vielmehr darum, von der Tatsache abzulenken, dass ich meine Straftat verschleiern wollte. Ich log grundsätzlich nie, und kaum machte ich ein einziges Mal eine Ausnahme, war ich sofort erpressbar. Verdammt.

Josh zog eine Augenbraue hoch und beugte sich näher zu mir. »Du hast mein Shirt einfach behalten, das ist Diebstahl.«

Ich verschränkte die Arme. »Wenn du es jemals zurückhaben willst, dann behältst du das, was passiert ist, für dich. Immerhin bist du mir hinten drauf gefahren. Das sieht für dich nämlich auch nicht gut aus.«

Wieder verzog er die Lippen zu einem Lächeln, das ärgerlich anziehend war. Zu allem Überfluss hatte er auch noch Grübchen. Gottverdammte Grübchen.

»Ach ja, bin ich dir wirklich hinten draufgefahren? Bist du dir da ganz sicher? Dafür gibt’s nämlich überhaupt keine Beweise. Kein Schaden an seinem Auto. Kein Polizeibericht. Also, was ich erlebt habe, war nur eine hysterische Frau auf dem Supermarktparkplatz, der ich mit meinem Shirt aus einer Notlage geholfen habe. Und damit hat sie sich dann aus dem Staub gemacht.«

»Tja, da haben wir schon deinen ersten Denkfehler«, wies ich ihn zurecht. »Denn kein Mensch würde dir glauben, dass ich hysterisch war. Hysterie ist bei mir nicht vorgesehen.«

»Gut zu wissen.« Wieder beugte er sich nach vorn. »Dann passe ich meine Geschichte entsprechend an. Eine völlig ruhige, aber extrem unhöfliche Frau hat mich um Hilfe gebeten und mir dann mein Lieblingsshirt geklaut. Besser?« Sein Grinsen war jetzt so breit, dass er beinahe in Gelächter ausbrach.

So ein Arsch.

Ich presste die Lippen zusammen und trat noch einen Schritt auf ihn zu. Amüsiert nahm er zur Kenntnis, wie ich ihm eindeutig zu nahe kam. Doch er wich nicht zurück und ich stellte klar: »Du willst dein T-Shirt zurück. Und ich will, dass du den Mund hältst. Die Sache ist eigentlich ganz simpel.«

Er grinste mich an. »Vielleicht schenk ich dir das Shirt ja einfach. So schlecht steht es dir gar nicht.« Damit ging er lachend zu seinem Auto.

1
JOSH

An einer roten Ampel warf ich einen Blick auf die Textnachricht.

Celeste: Von mir kriegst du keinen Cent, Josh. Verpiss dich einfach.

»Verdammt«, murmelte ich und warf das Handy auf den Beifahrersitz. Wusste ich’s doch, dass sie das durchziehen und mich eiskalt abservieren würde. Mist.

Ich hatte ihr die gesamte Einrichtung des Hauses überlassen und sie lediglich darum gebeten, die Hälfte der Lowe-Rechnung zu bezahlen. Die Hälfte von dreitausend Dollar für Geräte, die ich ihr großzügig geschenkt hatte, statt sie zu verkaufen, obwohl die Zahlungen über meine Kreditkarte liefen. Und natürlich bekam ich bei dem ganzen Schlamassel dann irgendwie die Arschkarte, weil ich drei Monate nach unserer Trennung einen neuen Job anfing und dazu in einen anderen Bundesstaat zog.

Aus sicherer Quelle wusste ich, dass sie mittlerweile mit einem Typ namens Brad zusammen war.

Hoffentlich wusste dieser Brad meinen Edelstahl-Gasherd mit Doppelbackofen wenigstens zu schätzen.

Der Geruch von heißem Asphalt wehte durch die offenen Autofenster herein, während ich im zähen morgendlichen Verkehrschaos von Burbank steckte. Selbst sonntags waren die Straßen hier überfüllt. Wenn ich in Kalifornien überleben wollte, musste ich dringend meine Klimaanlage reparieren lassen – wofür mir allerdings gerade das nötige Kleingeld fehlte. Ich hätte einfach zu Fuß zum Supermarkt gehen sollen. Das wäre vermutlich schneller gegangen, und außerdem hätte ich kein Benzin verschwendet – noch etwas, was im Vergleich zu South Dakota hier locker das Doppelte kostete.

Vielleicht war dieser Umzug doch keine so gute Idee gewesen.

Die Gegend hier würde mich noch ruinieren. In Kürze musste ich den Junggesellenabschied meines besten Freundes ausrichten, dazu kam der Umzug, die höheren Lebenshaltungskosten … und jetzt noch dieser Ärger.

Die Ampel schaltete auf Grün und ich fuhr los. Plötzlich bremste der Pick-up vor mir unerwartet scharf, sodass ich gegen seine Stoßstange prallte.

Verdammt. Das ist ja wohl nicht zu fassen.

Innerhalb einer halben Minute stürzte mich dieser Tag gleich doppelt ins Unglück. Und dabei war es noch nicht einmal acht Uhr morgens.

Der andere Fahrer machte Anstalten, auf den Parkplatz eines Supermarktes abzubiegen, und signalisierte mit der Hand aus dem Fenster, dass ich ihm folgen sollte. Es war eine Frau, denn sie trug ein Armband am Handgelenk. Ihr Winken wirkte seltsam ironisch. Aber ihr Wagen war schon cool. Ein Ford F-150. Er hatte noch Händler-Kennzeichen. Was für ein Jammer.

Sie hielt an und ich parkte direkt dahinter, schaltete den Motor aus und wühlte im Handschuhfach nach meinen Versicherungsdokumenten. Währenddessen stieg die Frau aus, ging zum Heck des Wagens und begutachtete die Stoßstange.

»Hallo«, sagte ich und stieg ebenfalls aus. »Tut mir leid.«

Sie musterte mich vorwurfsvoll. »In der Fahrschule nicht aufgepasst, oder was? Erste Grundregel: Niemandem hinten reinfahren?« Provokant hob sie das Kinn.

Sie war relativ klein. Höchstens einssechzig. Und ziemlich schmal. Vorn auf ihrem Shirt prangte ein länglicher nasser Fleck. Sie hatte schulterlange braune Haare und braune Augen und war auffallend hübsch. Und auffallend angepisst.

Ich kratzte mir die Wange. Verärgerte Frauen waren eine besondere Spezialität von mir. Mit sechs Schwestern war ich auf diesem Gebiet gut trainiert.

»Wir sehen erst mal nach«, sagte ich betont ruhig, »was eigentlich passiert ist.«

Ich hockte mich zwischen unsere Autos und begutachtete den Schaden, während sie mit verschränkten Armen danebenstand. Ich sah zu ihr hinauf. »Es hat die Anhängerkupplung erwischt. Mit dem Wagen ist alles in Ordnung.« An meinem Auto war eine kleine Delle erkennbar, die aber nicht weiter schlimm aussah. »Das muss nicht über die Versicherung laufen, denke ich.«

Einen Strafeintrag im Verkehrsregister konnte ich mir jetzt auf keinen Fall leisten. Das wäre extrem ungünstig für meinen neuen Job. Ich richtete mich ein Stück auf und sah sie an.

Sie beugte sich hinunter und ruckelte an der Kupplung. »Gut«, antwortete sie und schien mit meiner Einschätzung zufrieden zu sein. »Sind wir dann also hier fertig?«

»Sieht so aus.«

Sie machte auf dem Absatz kehrt und steuerte eilig die Beifahrerseite ihres Wagens an, während ich mich in Richtung Supermarkt wandte. Sie beugte sich in die Fahrerkabine und legte sich bäuchlings auf den Sitz, sodass ihre Beine zur Tür herausragten. Dabei fiel einer ihrer Flipflops zu Boden.

Sie hatte einen ausgesprochen hübschen Hintern.

»Hey«, sagte sie und drehte sich zu mir um, als ich vorbeiging. »Statt mir auf den Hintern zu glotzen, könntest du dich nützlich machen und mir ein paar Servietten geben.«

Erwischt.

Ich zeigte mit dem Daumen über meine Schulter. »Äh, ich hab gar keine Servietten im Auto.«

»Dann lass dir was einfallen«, entgegnete sie ungeduldig.

Da ich mich ein wenig schuldig fühlte, weil ich so unverhohlen ihre körperlichen Vorzüge bewundert hatte – oder vielmehr weil ich dabei erwischt wurde –, beschloss ich dann doch, ihr behilflich zu sein. Ich ging zurück zum Auto und holte ein T-Shirt aus meiner Sporttasche. Als ich es ihr gab, riss sie es mir aus der Hand und verschwand damit wieder im Inneren des Fahrzeugs.

Ich blieb bei ihr stehen – zum einen weil sie mein Lieblingsshirt hatte und weil zum anderen wirklich nichts gegen ihren Anblick einzuwenden war. »Alles okay?« Ich versuchte an ihr vorbei auf den Vordersitz zu schauen, doch sie versperrte mir die Sicht.

Ein hellbraunes Hündchen mit weißem Kinn knurrte mich aus dem hinteren Fenster an. Es war eine von diesen winzigen Fußhupen. Sogar Kleidung trug er, wie ich amüsiert feststellte.

»Das Auto ist nagelneu, es gehört einem Freund von mir und ich hab Kaffee drin verschüttet«, informierte sie mich. Ihr anderer Flipflop war inzwischen ebenfalls auf den glühend heißen Parkplatz gefallen, sodass sie nun barfuß mit rotlackierten Zehennägeln auf dem Trittbrett stand. »Alles ist nass. Von daher ist überhaupt nichts okay.«

»Was ist dein Freund denn für ein Idiot? Es war schließlich ein Unfall.«

Sie fuhr herum und funkelte mich wütend an, als ob ich ihren Hund getreten hätte. »Nein, er ist kein Idiot. Ganz im Gegensatz zu dir. Wahrscheinlich hast du am Steuer mit dem Handy rumgemacht.«

Sie war angriffslustig. Ich musste mir ein Grinsen verkneifen und räusperte mich. »Ich habe nicht mit meinem Handy hantiert. Und fairerweise solltest du zugeben, dass du ohne erkennbaren Grund gebremst hast.«

»Weil ich anhalten musste.« Sie drehte sich um und widmete sich wieder dem befleckten Innenraum.

Ich nahm an, dass sie Kaffee verschüttet und deshalb vor Schreck eine Vollbremsung gemacht hatte. Aber ich wollte sie nicht unnötig reizen.

Ich schob die Hände in die Taschen und schaute über den Parkplatz. »Na dann. Hat mich gefreut, mit dir zu plaudern. Klemm mir das T-Shirt einfach unter den Scheibenwischer, wenn du fertig bist.«

Sie kletterte durch die Beifahrertür in den Wagen und knallte von innen die Tür zu.

Ich schüttelte den Kopf und ging lachend zum Supermarkt.

Als ich wieder herauskam, war sie samt meinem Shirt verschwunden.

3
JOSH

Da hier die Regel galt, dass man als Neuzugang gleich erst mal fürs Essen zuständig war, bereitete ich das Frühstück für die ganze Mannschaft der Wechselschicht zu. Mexikanische Gemüsepfanne mit Spiegelei, meine Spezialität. Als Neuling musste ich zunächst eine Probezeit absolvieren. Obwohl ich schon fünf Jahre Berufserfahrung hatte, war es erst meine fünfte Schicht in dieser Feuerwache. Das hieß, dass ich mich zuletzt an den Tisch setzen durfte und als Erster wieder aufstehen und abräumen musste. Ich war praktisch eine Art Lakai. Auch Toilettenputzen und Bettenbeziehen gehörte zu meinen Aufgaben.

Sloan und Kristen beschlossen mir zu helfen, und Brandon hatte ebenfalls Mitleid mit mir, sodass sie allesamt mit in der Küche standen, Arbeitsflächen abwischten und Essensreste von Tellern kratzten, während ich das Geschirr abwusch. Shawn und Javier dagegen blieben am Tisch sitzen und spielten Karten.

Während des Essens hatte mir Kristen die ganze Zeit vorwurfsvolle Blicke zugeworfen – allerdings nur, wenn sie sich unbeobachtet fühlte. Das war eigentlich ziemlich witzig. Und ich hörte nicht auf, sie zu necken. Soweit ich es mitbekommen hatte, gingen die anderen davon aus, dass das Shirt ihrem Freund gehörte – so hatte sie es ihnen zumindest erzählt.

Es war nicht meine Absicht, Brandon etwas von den Kaffeeflecken zu verraten, weil ich ihm die Freude an seinem neuen Auto nicht verderben wollte. Trotzdem machte es mir einen Riesenspaß, Kristen ein bisschen zu ärgern. Was sie ihrerseits keineswegs auf sich sitzen ließ, sondern sich großzügig revanchierte.

»Und du steuerst also das Löschfahrzeug, Josh?«, erkundigte sie sich beiläufig und wischte dabei den Herd ab.

»Ja, genau«, antwortete ich lächelnd.

»Kannst du das denn gut? Kriegst du es problemlos zum Halten, wenn’s sein muss?« Sie sah mich von unten her an.

»Das passt schon. Solange keiner vor mir auf die Bremsen steigt, geht das klar.«

Wütender Blick. Grinsen. So ging es immer weiter, ohne dass Sloan und Brandon etwas davon mitbekamen. Seit Wochen hatte ich mich nicht mehr so amüsiert.

Sloan reichte mir das Schneidebrett zum Abwaschen. »Bei der Hochzeit wirst du Kristen zum Altar führen.« Sie lächelte ihre Freundin an. »Sie ist nämlich meine Trauzeugin.«

»Hoffentlich bist du zu Fuß besser unterwegs als mit dem Auto«, murmelte Kristen vor sich hin.

Grinsend wechselte ich das Thema, ehe Sloan oder Brandon irgendwelche Fragen stellen konnten. »Wie heißt eigentlich dein Hund, Kristen?«

Das winzige Tier hatte das gesamte Frühstück über auf ihrem Schoß gesessen. Gelegentlich war sein Kopf über der Tischplatte aufgetaucht, wo er mit hängender Zunge ihren Teller begutachtete. Ein bisschen sah er aus wie ein fluffiger Ewok.

»Stuntman Mike.«

Erstaunt sah ich vom Spülbecken auf. »Tarantino?«

Überrascht fragte sie: »Du hast Death Proof gesehen?«

»Na klar. Gehört zu meinen Lieblingsfilmen. Mit Kurt Russel als Stuntman Mike. Und dein Hund hat irgendwie Probleme?«, erkundigte ich mich, denn der kleine Yorkie trug ein Leibchen mit dem Aufdruck I HAVE ISSUES.

»Ja, hauptsächlich mit Shawn.«

Ich musste lachen.

Sloan wischte ein paar Korianderstängel in ihre Handfläche und entsorgte sie im Müll, ehe Brandon den Sack herausnahm und zuknotete.

»Kristen betreibt einen Onlineshop namens Doglet Nation«, teilte mir Brandon mit. »Dort verkauft sie so Zubehör für Zwerghunde.«

»Ach ja? Was denn zum Beispiel?«, fragte ich und stellte einen Topf auf das Abtropfgitter.

Kristen nahm den Kaffeesatz heraus und entsorgte ihn im Biomüll. »Kleidung, Taschen. Und Gourmet-Leckerlis – von Sloan gebacken. Aber besonders gut laufen unsere Treppchen.«

»Treppchen?«

»Ja. Kleine Hunde schaffen es oft nicht, auf ein zu hohes Bett zu springen. Deshalb bieten wir maßgefertigte Treppchen an, die zur Schlafzimmereinrichtung passen. Farbe, Teppich, Stil.«

»Und das kaufen die Leute?« Ich stellte die letzte Schüssel zum Abtropfen auf das Gestell und zog die Gummihandschuhe aus.

»Ja, die werden sehr gern gekauft. Wenn jemand viel Geld für ein schickes Bett ausgibt, will er sich dann bestimmt keine hässliche Schaumstoff-Treppe aus der Zoohandlung daneben stellen.«

Ich nickte. »Hm, verstehe.«

»Ach übrigens – ich brauche dringend einen neuen Tischler«, merkte sie in Richtung Sloan an.

Sloan runzelte die Stirn. »Wieso? Seit wann denn das?«

»Seit Miguel vorige Woche gekündigt hat. Er hat eine feste Stelle gefunden und mich einfach im Regen stehen lassen. Dabei hab ich noch drei Bestellungen offen.«

Sloan schüttelte den Kopf. »Und was willst du machen?«

Kristen zuckte die Schultern. »Ein Stellenangebot im Netz posten. Ich hoffe nur, dass sich nicht irgendein Perverser meldet, der mich umbringen will, damit er meine Organe auf dem Schwarzmarkt verticken kann.«

Ich prustete los.

Brandon versah den Mülleimer mit einem neuen Beutel und nickte dabei in meine Richtung. »Josh ist übrigens Tischler. Ein ziemlich guter sogar.«

Sloan sah mich an. »Tatsache?«

Brandon kramte schon nach seinem Handy. Ich wusste genau, was jetzt kam. Die Bar, die ich in meinem Garten gebaut hatte. Und die jetzt Celeste gehörte. Und Brad.

»Hier«, sagte er und reichte sein Handy herum. »Das ist von ihm.«

Sloan nickte anerkennend. Dann wanderte das Handy zu Kristen, die erst das Bild aufmerksam betrachtete und dann zu mir herübersah.

»Nicht übel«, merkte sie missmutig an.

»Danke. Aber ich bin nicht auf der Suche nach einem Nebenjob«, wiegelte ich ab. An meinem freien Tag für einen Hungerlohn Hundetreppchen zu bauen, darauf hatte ich nun wirklich keine Lust. Und in meiner neuen Wohnung stand das Wohnzimmer immer noch voller Umzugskisten.

»Ja klar, wer braucht schon zweihundert Dollar für drei Stunden Arbeit?«, kommentierte Kristen abschätzig. »Miguel offenbar nicht.«

Ich stutzte. »Zweihundert Dollar?«

Sloan sprühte Allzweckreiniger mit Zitrusduft auf die Arbeitsfläche. »Manchmal sogar mehr – stimmt’s, Kristen? Hängt ganz vom Stil ab.«

Kristen warf ihrer besten Freundin warnende Blicke zu, um sie zum Schweigen zu bringen. Dann schaute sie wieder zu mir.

»Die Treppchen kosten vier- bis fünfhundert Dollar pro Stück, plus Versand. Die Einnahmen minus Materialkosten teile ich fifty-fifty mit meinem Tischler. Von daher ja. Manchmal ist es auch mehr.«

»Hast du Fotos von den Treppchen?«, fragte ich.

Wenig begeistert gab mir Kristen ihr Handy und ich scrollte auf ihrer Website durch die Bildergalerie mit winzig kleinen Treppchen, auf denen jeweils Stuntman Mike in unterschiedlichen Outfits posierte. Sie sahen ziemlich simpel aus. Das würde ich problemlos hinbekommen.

»Also, für so was hätte ich schon ein bisschen Zeit übrig. Wenn du keinen anderen findest, würde ich’s machen.« Ein paar Aufträge dieser Art, und ich könnte meine Schulden bei Lowe abbezahlen.

Doch Kristen schüttelte den Kopf. »Ich glaub, ich riskier’s doch lieber mit den Organhändlern.«

Sloan schnappte nach Luft, während Brandon Kristen und mich fragend ansah.

»Sicher?«, fragte ich und schaute ihr dabei in die Augen. »Vielleicht sollten wir mal beim Kaffee drüber reden?«

Kristen kniff die Augen zusammen. »Okay«, antwortete sie, als ob es ihr körperliche Schmerzen bereiten würde. »Dann baust du die Treppchen halt. Aber nur so lange, bis ich einen anderen Tischler finde. Und das werde ich ganz bestimmt.«

Sloan ließ ihren Blick zwischen uns hin und her wandern. »Gibt’s irgendwas, was ihr uns sagen wollt?«

»Ich hab ihn dabei erwischt, wie er mir auf den Hintern geglotzt hat«, antwortete Kristen wie aus der Pistole geschossen.

Ich zuckte die Schultern. »Stimmt. Ihr Hintern ist aber auch sehr formschön.«

Brandon lachte und Sloan musterte ihre beste Freundin. Kristen versuchte ein wütendes Gesicht zu machen, konnte aber nicht verbergen, dass das Kompliment sehr wohl bei ihr ankam.

Resigniert sagte sie schließlich: »Gib mir am besten deine Mailadresse. Dann kriegst du die Bestellungen. Wenn du fertig bist, sagst du Bescheid, damit ich die Versandetiketten vorbereiten und dir rüberschicken kann. Aber ich kontrolliere alles genau, bevor du es an FedEx übergibst. Also versuch gar nicht erst, schlampig zu arbeiten.«

»Moment mal, hast du denn keine Werkstatt?«, erkundigte ich mich. »Wo soll ich sie denn sonst bauen?«

»Wie wär’s mit einer Garage oder so was?«

»Ich hab nur eine Wohnung.«

»Mist. Tja, dann wird wohl nichts draus.« Sie grinste triumphierend.

»Du hast doch eine Dreiergarage, in der meistens kein einziges Auto steht. Kann er die denn nicht benutzen?«, merkte Sloan an, was ihr einen vorwurfsvollen Blick von Kristen einbrachte.

»Kann er«, kommentierte ich lächelnd.

Aus den Lautsprechern kreischte plötzlich ein lauter Signalton, gefolgt von roten Warnleuchten. Wir mussten zum Einsatz. Kristen hielt meinem Blick stand, während der Dispatcher die Einzelheiten durchgab. Schade eigentlich. Mit meiner launischen Trauzeugen-Kollegin hätte ich gern noch ein bisschen Zeit verbracht.

Brandon gab Sloan einen Abschiedskuss. »Wir räumen hier noch fertig auf«, sagte sie.

»Lass dir von Brandon meine Nummer geben«, wies mich Kristen mit verschränkten Armen an. Kein Händedruck für mich.

Da es ein medizinischer Notruf war, brauchten wir keine Brandschutzausrüstung und rannten direkt in die Fahrzeughalle. Ich spürte Kristens Blick im Rücken und musste grinsen. Sie hasste mich. Das schien bei allen Frauen in meinem Leben gerade an der Tagesordnung zu sein.

Abgesehen von Celeste waren meine sechs Schwestern und meine Mutter allesamt stinksauer über meinen Umzug. Selbst meine kleinen Nichten gaben sich am Telefon reichlich unterkühlt, wenn ich anrief. Obwohl sie erst sieben und acht waren, beherrschten sie es schon meisterlich, mir unterschwellig ihren Unmut zu zeigen.

»Und, wie findest du Kristen?«, wollte Brandon grinsend von mir wissen, als wir in den Einsatzwagen stiegen.

»Scheint ganz cool zu sein«, antwortete ich schulterzuckend und legte mein Headset an.

Brandon und ich hatten gemeinsam ein Jahr im Irak verbracht. Er kannte mich daher wie kein Zweiter. Normalerweise wäre Kristen genau mein Typ gewesen. Ich mochte zierliche, brünette Frauen – und eindeutig solche, die Klartext mit mir redeten.

»Einfach nur cool?«, fragte er, während er mit seinem Headset hantierte. »Hast du ihr deshalb auf den Hintern geglotzt?«

Javier setzte sich auf seinen Platz und lachte über Brandons Kommentar. Als Letzter stieg Shawn ein und kletterte ganz nach hinten. »Kristen ist rattenscharf. Wenn sie hier ist, gönn ich mir jedes Mal ’nen Blick auf ihren Arsch.« Er setzte sein Headset auf. »Allerdings hat mich ihr Köter schon mal gebissen.«

Wir lachten und ich ließ den Motor an.

»Sie interessiert sich nicht die Bohne für mich und hat sowieso einen Freund. Und im Moment bin ich auch gar nicht auf der Suche.« Ich betätigte den Toröffner. »Außerdem bin ich noch dabei, den Preis für meine letzte Beziehung zu zahlen.«

Im wahrsten Sinne des Wortes.

4
KRISTEN

Auf dem Heimweg wurde ich regelrecht verhört.

»Was zur Hölle läuft denn da zwischen dir und Josh?«, wollte Sloan wissen, sobald wir in ihrem uralten Corolla vom Parkplatz der Feuerwache fuhren. »Seit wann hast du ein Problem damit, wenn dir ein Typ auf den Hintern gafft?«

Hatte ich ja gar nicht. Ein echtes Problem waren für mich eigentlich nur Blumenkohl und Dummheit. Aber diesen speziellen Hinternglotzer wollte ich auf keinen Fall in meiner Nähe haben, denn wenn er mich weiter so ansah, würde es mir extrem schwerfallen, seine Blicke nicht zu erwidern.

Josh war so eine Art menschliches Äquivalent für eine Packung Eiscreme im Tiefkühlfach, wenn man gerade streng Diät hielt. Ich stand auf ihn, litt unter Sexentzug und hatte kein Bedürfnis, mich durch seinen Anblick weiteren masochistischen Qualen auszusetzen. Nur sehr wenige Männer kamen mit mir klar, wenn ich richtig angepisst war, und solche kleinen Scharmützel wirkten wie eine Art Vorspiel auf mich. Ich hatte wirklich keine Lust, mir damit täglich das Leben schwer zu machen.

»Wenn ich dir die Wahrheit sage, erfährt es dann sofort Brandon? Wie sieht’s inzwischen eigentlich aus mit deiner Loyalität, seit du verlobt bist?«

Sie lachte. »Nun erzähl schon.«

Ich vertraute ihr den Vorfall mit dem verschütteten Kaffee und dem T-Shirt an.

»Oh mein Gott«, stöhnte sie und bog auf den Topanga Canyon Boulevard ein. »Das darf Brandon auf keinen Fall erfahren. Niemals.«

Ich nickte zustimmend. »Definitiv nicht. Er hat mir sein Auto für eine dringende Tamponbesorgung geborgt, und ich krieg’s hin, darin Kaffee zu verschütten und auch noch in ’nen Unfall mit seinem besten Freund verwickelt zu werden.«

Normalerweise hätte ich Sloans Wagen genommen, aber der sprang gerade nicht an. Um damit zu fahren, musste man zahllose Extras beachten. Beim Gasgeben mit dem Zündschlüssel wackeln, die Tür mit der Schulter aufdrücken, nicht vor dem quietschenden Sicherheitsgurt erschrecken. Und ich wollte wirklich nicht auf dem Parkplatz des Supermarktes verbluten, nur weil ich den Motor nicht zum Laufen bekam. In ihrem Auto hätte ich beliebig viel Kaffee verschütten und Unfälle verursachen können, ohne dass es jemanden störte. Selbst ein Totalschaden wäre wahrscheinlich noch eine Wertsteigerung gewesen.

»Wieso kauft sich Brandon eigentlich ein neues Auto plus ein Motorrad, und du musst mit diesem Schrotthaufen rumfahren?«

»Ich mag mein Auto«, versicherte mir Sloan mit einem schiefen Grinsen. »Josh ist schon süß, oder?«

»Wenn ich keinen Freund hätte, würde ich sofort mit ihm in die Kiste springen.«

Sie holte erschrocken Luft und sah mich mit großen Augen an. Sloan war in Sachen Sex erheblich konservativer als ich. Deshalb gehörte es zu meinen Hobbys, sie damit zu schocken, und ich ließ keine Gelegenheit dazu aus.

Ich zuckte die Schultern. »Was denn? Ich wurde seit vorigem Jahr nicht mehr flachgelegt. Und sein Shirt riecht einfach fantastisch.« Wieder steckte ich die Nase in den Kragen. »Nach Testosteron und Zedernholz. Und hast du ihn beim Abwasch gesehen? Wie Mister Februar im sexy Feuerwehr-Kalender. Genau wegen solchen Typen hat meine Oma mich immer ermahnt, jeden Tag frische Unterwäsche anzuziehen, falls man mal unerwartet in einen Unfall verwickelt wird.«

Sie schüttelte den Kopf. »Du redest echt wie ein Mann.«

»Das wär ich auch gern. Dann hätte ich keinen Stress mit meinem kaputten Unterleib.« Ein neuer Krampf überkam mich, ich verzog das Gesicht und strich mir über den Bauch.

Sie hielt an einer roten Ampel und sah zu mir herüber. »Schlimmer als sonst?«

Das war es tatsächlich.

»Nee, das übliche Elend.«

Sloan musste nicht unbedingt die ganze Wahrheit erfahren. Sie gehörte zu den Menschen, denen die Sorgen anderer sehr nahegingen – vor allem bei Leuten, die ihr nahestanden. Ich hatte vor, ihr erst zu erzählen, was die Ärzte gesagt hatten, wenn sie aus den Flitterwochen zurückkam.

Es war unnötig, damit anderen das Herz schwer zu machen.

Eine Stunde, nachdem Sloan mich zu Hause abgesetzt hatte, rief Tyler an. Ich war gerade dabei, Mails zu beantworten. Meine Krämpfe waren nicht abgeklungen und ich fühlte mich sterbenselend. Ich brauchte vier Klingeltöne, um mich aufzuraffen, das Gespräch anzunehmen.

»Hallo Schatz«, meldete ich mich, euphorischer, als ich mich fühlte. Das war eins der Probleme an Fernbeziehungen mit Militärangehörigen – man konnte nicht allzu oft telefonieren. Deshalb musste man jede Gelegenheit nutzen, egal ob es gerade passte.

Und heute passte es eher nicht.

»Hey, Kris«, sagte er mit seinem ausgesprochen sexy klingenden Akzent, der sich immer ein bisschen französisch anhörte. Oder spanisch? Jedenfalls war es sein ganz eigener. »Das Carepaket ist angekommen. Damit hast du mir das Leben gerettet.«

Ich stellte meinen Laptop auf den Couchtisch und ging in die Küche. Stuntman Mike trottete mir hinterher. »Gut, ich hatte schon Angst, dass es nicht rechtzeitig da ist.«

»Am Freitag hab ich es bekommen. Ich kann’s kaum erwarten, bis ich diese Schoko-Espressobohnen jederzeit kriegen kann, wenn ich Lust drauf habe.«

»Ja.« Ich nahm einen Lappen samt Desinfektionsreiniger und öffnete den Kühlschrank. Normalerweise lief ich beim Telefonieren immer rastlos umher. Aber wenn ich gestresst war, fing ich an zu putzen.

Ich begann, Plastikdosen und Saftpackungen herauszunehmen und auf dem Boden abzustellen, während ich das Telefon zwischen Kopf und Schulter klemmte. »Ich besorge welche, dann findest du sie gleich in der Vorratskammer, wenn du wiederkommst.«

In Kürze würde es unsere Vorratskammer sein. Ich wusste nicht genau, warum mich das derart nervös machte. Ich schob den Mülleimer zum Kühlschrank und machte mich daran, Essensreste von Lieferdiensten zu entsorgen.

»Morgen ist Valentinstag«, säuselte er, um mich zu provozieren.

Verächtlich schnaubte ich in den Kühlschrank. Den Valentinstag hasste ich aus tiefstem Herzen, das wusste er genau. Reine Geldverschwendung. »Hoffentlich hast du nicht vor, mir Blumen zu schicken«, merkte ich trocken an.

Mit einem Lächeln in der Stimme fragte er: »Was soll ich dir denn stattdessen schicken?«

»Lieber was Praktisches, womit ich auch was anfangen kann, zum Beispiel ein Schwanzfoto.«

Er lachte. »Und, was läuft so zu Hause?«, erkundigte er sich.

Ich griff ganz nach hinten und bugsierte eine abgestandene Zweiliterflasche Sprite heraus. »Nicht allzu viel. Ach sag mal, hast du irgendwie Ahnung von Holzarbeiten?« Ich öffnete die Flasche mit einem Zischen, stellte sie kopfüber ins Spülbecken und wartete, dass sie sich leerte.

»Nein, wieso?«

»Ach, nur weil Miguel gekündigt hat«, murmelte ich.

»Was? Wieso denn?«

»Er hat ’nen anderen Job gefunden. Deshalb brauche ich jetzt einen neuen Tischler. Ich hab zwar jemanden in Aussicht, aber der ist nicht ganz ideal.« Ich hob das Fach mit den Grillsoßen aus der Tür. »Er hat keine eigene Werkstatt wie Miguel und müsste deshalb in meiner Garage arbeiten.«

»Ich hab nicht die leiseste Ahnung von Tischlerei, Kris. Aber stell doch eine Anzeige ins Netz und lade die Kandidaten erst zum Vorstellungsgespräch ein, wenn ich wieder da bin. Es gibt eine Menge Perverse da draußen, und du bist ganz allein im Haus.«

Ich musste wieder an meinen Notruf in der vergangenen Nacht denken, von dem ich Tyler allerdings nichts erzählen würde. Denn dann wäre er nur beunruhigt und konnte rein gar nichts tun.

Vorsichtig räumte ich die Senf- und Ketchupflaschen aus und begann das leere Fach im Spülbecken zu reinigen. »Wie sieht denn dein Schlachtplan eigentlich aus? Was denkst du, wie lange es dauert, bis du hier eine Stelle findest?«

Nicht dass er sich finanzielle Sorgen machen müsste – Tylers Familie war gut gepolstert. Aber wenn er nicht jeden Tag zur Arbeit ging, wusste ich nicht, wie ich mit so viel ungewohnter Nähe klarkommen würde.

Wir waren seit zwei Jahren zusammen, in denen er jedoch permanent irgendwo weit weg im Einsatz war. Kennen gelernt hatten wir uns in einer Kneipe, als er gerade Urlaub hatte. Also kannten wir gar nichts anderes als unsere Fernbeziehung. Einmal pro Jahr zwei Wochen Urlaub mit reichlich Sex und Ausgehen war das eine. Aber auf lange Sicht mit einem ständig anwesenden Partner zusammenzuleben, das war schon eine ganz andere Hausnummer.

Mich machte das alles verdammt unruhig. In Kürze würde ich keinen mehr oder weniger unsichtbaren Mann mehr haben, sondern einen, der schlagartig rund um die Uhr da war.

Und obendrein war es auch noch meine Idee gewesen.

Eigentlich hatte er vorgehabt, sich erneut beim Militär zu verpflichten, woraufhin ich jedoch klipp und klar gesagt hatte, dass ich in diesem Fall einen Schlussstrich ziehen würde. Ein weiterer Einsatz kam für mich nicht infrage. Aber in letzter Zeit befürchtete ich, dass ich das Kontrastprogramm ebenso wenig verkraften konnte. Natürlich liebte ich ihn. Es war nur eine so gravierende Veränderung.

»Wenn ich zurück bin, habe ich ein Gespräch im Außenministerium«, erklärte er. »Wird vielleicht eine Weile dauern, bevor sie mich übernehmen. Und bis meine Zuverlässigkeitsprüfung abgeschlossen ist, können wir ganz viel Zeit miteinander verbringen.«

Ich presste die Lippen zusammen und platzierte das Kühlschrankfach auf dem Trockengitter. »Ja. Vielleicht können wir in der Wartezeit ja eine Hütte im Big Bear Mountain Resort mieten. Oder auf Catalina Island. Es uns ein bisschen gut gehen lassen.«

»Nur nicht so bescheiden. Wozu in Kalifornien bleiben? Wir könnten auch ein bisschen Neuland erkunden.«

Er liebte das Reisen.

Ich lächelte matt und wandte mich dem nächsten Fach zu. Stuntman bellte. Wenn der Kühlschrank offenstand, war er immer ganz aufgeregt. Von mir bekam er zwar nie etwas daraus, aber vermutlich gönnte Sloan ihm ab und zu ein Stück Putenaufschnitt, wenn sie hier war.

»Na, ist das mein kleiner Erzfeind?«, fragte er. »Dieser Hund sollte sich dringend abgewöhnen, mich zu beißen.«

Ich ruckelte an dem Fach. Es bewegte sich nicht. »Ansonsten passiert was?«

»Ansonsten ab mit ihm ins Tierheim.« Er lachte, weil das natürlich ein Scherz war. Trotzdem ärgerte ich mich.

»Wie wirst du bloß mit bewaffneten Rebellen fertig, wenn du nicht mal ’nem zwei Kilo leichten Yorkie gewachsen bist?« Ich zog noch einmal an der Ablage, woraufhin sie sich mit klapperndem Inhalt aus der Tür löste.

»Wenn dieser pummelige Mops nur zwei Kilo wiegt, fress ich meinen Helm«, konterte er gut gelaunt.

Ich musste ebenfalls lachen und merkte, wie meine Anspannung allmählich nachließ. »Er hat einfach nur fluffiges Fell.«

»War nur ein Spaß. Du weißt doch, dass ich deinen Hund gerne mag.« Nach einer kurzen Pause sagte er: »Mi amor?«

Das war unser Spiel. Um meine Lippen zuckte ein Lächeln und ich schwieg. Ich stellte die Ablage auf dem Küchentisch ab und klappte die Kühlschranktür zu.

»Amore mio?«, fügte er auf Italienisch hinzu.

Ich schwieg immer noch, weil ich noch mehr hören wollte.

»Mon amour?«

Damit hatte er mich. Bei Französisch konnte ich nicht widerstehen.

Tyler war ein Militärskind. Seine Eltern waren als Diplomaten weltweit unterwegs gewesen. Schon als er sprechen lernte, jonglierte er mit vier Sprachen. Mittlerweile waren es neun. Von Beruf war er Linguist und zudem einer der intelligentesten Menschen, die ich kannte.

Er arbeitete als Simultandolmetscher, was ich sehr bewunderte. Er sprach auch Arabisch und Farsi, weshalb er im Nahen Osten enorm gefragt war. Man hatte sich sehr darum bemüht, ihn im Militärdienst zu halten, und es war schon bemerkenswert, dass er bereit war, das alles für mich aufzugeben.

Lächelnd lehnte ich mich mit dem Rücken gegen den Kühlschrank und ließ mich daran hinuntergleiten. »Ja?«

»Du bist nervös wegen meiner Heimkehr, stimmt’s? Ich hör dich doch putzen.«

Er kannte mich einfach zu gut. »Du etwa nicht? Ich meine, wenn wir ehrlich sind, ist das schon ein bisschen verrückt, oder? Wir haben noch nie mehr als zwei Wochen am Stück zusammen verbracht, und jetzt wollen wir gleich unter einem Dach wohnen. Was machen wir denn, wenn ich dir schrecklich auf die Nerven gehe? Und wenn du mich nach den ersten zwei Wochen am liebsten umbringen würdest?«

Oder wenn ich dich ermorden will?

Rein rational betrachtet war unser Vorhaben total sinnvoll. Er hatte keine eigene Wohnung. Wozu auch? Er würde ohnehin ständig hier sein. Und wenn er hier bei mir wohnte, konnte er auch Miete dafür zahlen.

Das mit dem Zusammenziehen war seit einem halben Jahr so geplant. Tyler und ich hatten uns dazu entschlossen, als Sloan und ich unsere gemeinsame Wohnung aufgaben und ich mir eine eigene Bleibe suchte. Insofern war der Plan also alles andere als neu. Doch trotzdem überwältigte er mich gerade.

»Verrückt wäre es, wenn ich noch mal zwei Jahre ohne dich am anderen Ende der Welt zubringen würde, Kris. Es ging doch nicht nur dir so, dass du die Nase voll davon hattest. Das wird super mit uns beiden. Und wenn nicht, dann sagst du Bescheid und ich verpiss mich wieder.«

Lachend rieb ich mir die Stirn. Meine Güte, was war denn nur los mit mir? »Tyler, geht’s dir auch manchmal so, dass du irgendwas total Durchgeknalltes machst und nicht damit aufhören kannst, damit du dich nicht als Versager fühlst?«

»Du bist die am wenigsten durchgeknallte Frau, die ich kenne. Das mag ich an dir am meisten. Vor so was nervös zu sein ist doch ganz normal. Immerhin ist es ein ziemlicher Schritt.« Dann wechselte er abrupt das Thema. »Und was macht deine Gesundheit? Hast du schon einen OP-Termin?«

»Ja, in zweieinhalb Monaten. In der Woche nach Sloans Hochzeit. Dann ist es vorbei mit der ständigen Anämie«, fügte ich hinzu.

»Sehr gut. Ich wär gerne schon zu Hause, um für dich da zu sein.«

»Ach ja? Gehst du dann Binden einkaufen, wenn ich welche brauche?«, fragte ich sarkastisch, weil ich genau wusste, dass solche Besorgungen an seiner Männlichkeit kratzten. Für Männer schien der Kauf von einschlägigen Hygieneprodukten eine echte Hürde zu sein. Was daran so schrecklich war, konnte ich allerdings nicht nachvollziehen.

»Jetzt lass uns mal nichts überstürzen.«

Lächelnd verdrehte ich die Augen. »Tja, du hast Glück, dass ich eigentlich nur eins im Sinn habe, wenn ich an dich denke. Ich spring hier vor lauter Sehnsucht schon im Dreieck.«

Er lachte. »Na, solange du keine anderen Leute bespringst.«

Unweigerlich schweiften meine Gedanken zu Josh ab.

Aber Tyler musste sich keine Sorgen machen. Ich dachte gar nicht daran, ihn zu betrügen. Das hatte ich noch nie getan und daran würde sich auch nichts ändern.

Seitensprünge waren absolut vermeidbar, wenn man nur ein klein wenig gesunden Menschenverstand besaß.

Indem man sich nicht in verfängliche Situationen begab, zum Beispiel durch Beauftragung eines attraktiven Feuerwehrmann-Tischlers, der in Kürze stundenlang direkt nebenan in der Garage arbeitete.

Josh würde sich als echter Stresstest für meine Willensstärke erweisen.

»Hör mal, Kris, ich muss jetzt Schluss machen. Ich versuch dich in ein paar Tagen wieder anzurufen. Mach dich nicht verrückt. Ich kann’s kaum erwarten, dich zu sehen. Und wenn ich da bin, dann leg ich dich flach«, fügte er noch hinzu.

Was meine Laune beträchtlich hob. Wie ausführlich er mich flachlegen konnte, hing allerdings entscheidend davon ab, wie sich mein beknackter Zyklus zu diesem Zeitpunkt verhielt. Aber schon allein die Aussicht war äußerst verlockend. »Ich bin schon ganz atemlos«, sagte ich grinsend.

»Ich liebe dich.«

»Ich dich auch.«

Wir legten auf und ich begutachtete das Chaos, das ich rund um den Kühlschrank angerichtet hatte. Stuntman saß mitten darin und musterte mich neugierig. Sein kleines weißes Kinn sah aus wie der Bart eines Nussknackers.

Alles ist gut. Es wird schon klargehen.

Trotzdem brachte ich anschließend drei Stunden damit zu, ausgiebig die Küche zu schrubben.