Über das Buch

Über Privilegien und Prinzipien, Gott und andere Größen, deutsche Wahrheiten und jüdischen Witz – Gregor und Gabriele Gysi sprechen über ihren Vater Klaus Gysi

Klaus Gysis Leben ist geprägt von den Extremen des 20. Jahrhunderts: 1912 als Berliner Arztsohn in bürgerliche Verhältnisse geboren, wird er in jungen Jahren zum überzeugten Kommunisten und muss während der Nazizeit wegen seiner Überzeugungen, aber auch als Jude um sein Leben fürchten. Er sieht die DDR als große Chance und wird zeitlebens an ihren politischen Widersprüchen leiden: als Mitbegründer des Aufbau Verlages und späterer Verlagsleiter, Kulturminister, als Botschafter in Italien und Staatssekretär für Kirchenfragen. Funktionär – und Feingeist. Genosse – und Lebemann.Vor allem aber auch: Vater. Seine Tochter, die Schauspielerin Gabriele Gysi, und sein Sohn, der Politiker Gregor Gysi, zeichnen ein vielschichtiges Bild ihres Vaters.

Über Gabriele Gysi und Gregor Gysi

Gabriele Gysi, geboren 1946, lebt als Schauspielerin und Regisseurin in Berlin. Nach dem Studium wurde sie an die Volksbühne Berlin unter der Intendanz von Benno Besson engagiert und spielte während dieser Zeit auch bei Frank Castorf in Anklam. 1984 verließ sie die DDR und ging als Schauspielerin zu Claus Peymann nach Bochum. Seit 1987 inszeniert sie an verschiedenen Theatern im deutschsprachigen Raum und ging 2006 zu Frank Castorf an die Volksbühne zurück, wo sie zuletzt als Chefdramaturgin tätig war. Heute arbeitet sie freischaffend an verschiedenen Theatern und unterrichtet an der Universität für Film und Fernsehen in Potsdam-Babelsberg.

Gregor Gysi, geboren 1948, Rechtsanwalt und Politiker. Vertrat als Rechtsanwalt u. a. Robert Havemann, Rudolf Bahro und andere Regimekritiker. 1989–1993 Parteivorsitzender der PDS. 1990–2002 und 2005–2015 Fraktionsvorsitzender der PDS und der Partei die Linke. MdB ist er weiterhin. Von Dezember 2016 – Dezember 2019 Präsident der Partei der Europäischen Linken. Zahlreiche Publikationen. Bei Aufbau erschienen zuletzt die Autobiographie »Ein Leben ist zu wenig« und »Marx & wir«.

Hans-Dieter Schütt, 1948 in Ohrdruf geboren, Studium der Theaterwissenschaften in Leipzig, war in der DDR Redakteur und Chefredakteur der Tageszeitung »Junge Welt«. 1992 bis 2012 Redakteur der Tageszeitung »neues deutschland«. Veröffentlichte Essays, Biographien und zahlreiche Interviewbücher.

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Gabriele Gysi
Gregor Gysi

Unser Vater

Ein Gespräch

Herausgegeben von Hans-Dieter Schütt

Inhaltsübersicht

Informationen zum Buch

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Genosse Weltbürger

Kapitel I: Man rennt nicht gleich weg, nur weil man klüger ist

Kapitel II: Da saß er ganz allein in der ersten Reihe des Theaters

Kapitel III: »Schön, dass es in Ostberlin einen Casanova gibt«

Kapitel IV: So viele Mittelpunkte der Welt, wie es Menschen gibt

Klaus Gysi

Verwendete Literatur:

Bildnachweis:

Impressum

Wenn ich beschloss, dann musst ich erst beginnen.

Ruh suchend, ging ich fort von meinem Bett.

Wo ich verlor, da sollt ich meist gewinnen.

Hungerverzehrt stand auf ich vom Bankett.

Ich fühl mich fliegen, doch ich möchte gehen.

Tief im Erfassen, handelnd wie ein Narr.

Freudeverzückt mitten in Höllenwehen.

Was ich ganz scheine, dessen bin ich bar.

STEPHAN HERMLIN

Ja, wir haben schon in interessanten Jahrzehnten gelebt, freilich auch gefährlichen, man konnte schnell unter die Räder kommen. Und Kommunismus in unseren Jahren, was für ein Acker, na ja. Und sehen wir uns an, wie sich die Reihen gelichtet haben, die Reihen der Matadoren. Und was noch nicht unter der Erde ist, das ist am Ende seiner Kunst. Es war schon was los zwischen Kriegsende und Ende Kalter Krieg. Ich rede sehr optimistisch, vielleicht ist er noch nicht zu Ende.

HORST DRESCHER

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»Immer Zusammenhalt.« Familie Gysi, 1991. Hinten (v. l.): Birgid Gysi, Irene Gysi, Monika Koepp (damals Lebensgefährtin von Gregor Gysi). Vorn (v. l.): Klaus Gysi, Gabriele Gysi, Gregor Gysi, sein Sohn George

Genosse Weltbürger

Alles war gewonnen, alles war verloren,

als die Mauer fiel.

GÜNTER GAUS

Nach Johannisthal, in den Südosten Berlins, fahre ich nicht, um ein Streitgespräch zu erleben: Es geht im wortwörtlichen Sinne familiär zu. Gabriele und Gregor Gysi werden sich über ihren Vater Klaus Gysi unterhalten. Ein kalter Tag. Es regnet. Regen, der gegen ein balkonbreites Fenster schlägt, bekommt sofort einen Anhauch von Prunk. Kraft, diesen Regen auszulösen, trifft auf Kraft, ihn abzuhalten. Drinnen ist es angenehm. Gemütlich. Das Wort auszusprechen – würde mir hier das als kleinbürgerlich angerechnet?

Erst Kekse, dann Gulasch. Dem Bruder sieht man die Lust an, bei der Schwester zu essen. Die Schwester genießt, dass es der Bruder genießt. Ältere Schwester, jüngerer Bruder. Ich kann als Einzelkind nur ahnen, dass dies seine ganz eigenen Energiefelder hat.

Ein Gespräch über Klaus Gysi. Ein Leben von 1912 bis 1999. Der studierte Volkswirtschaftler war Chefredakteur, Herausgeber, Aufbau-Verlagsleiter, Kulturminister, Botschafter, Staatssekretär; politisch entwickelte er sich zum Kommunisten, zum Antifaschisten, zum SED-Genossen, zum demokratischen Sozialisten. Das Gespräch über den Vater ist ein Gespräch über Träume, in denen Traumata lauerten wie Viren in (scheinbar) sauberster Gegend. Kein Parteisoldat war er. Kein fraglos Diensthabender. Nein, sehr gelenk noch, wenn es um ein Befolgen ging; sehr locker, auch wenn die geschlossene Reihe angesagt war. Sehr geschickt zudem, wenn eine rhetorische Pose stärker wirken sollte als das verunsicherte Ich. Ein Mann der Konferenz wie der Conference. Dieses Leben durchmaß einen Krieg, vier deutsche Staaten, drei Parteien. Alles erträumt, vieles gesehen, vieles verloren, nichts Wesentliches aufgegeben. Tugend oder Makel?

Nun, da sie über ein Vierteljahrhundert nicht mehr existiert, kann die DDR ausgemalt werden in allen nur verfügbaren Farben. Hell und dunkel. Zu hell, zu dunkel. Nicht hell genug, nicht dunkel genug. Je nachdem, wie man selber gelebt hat oder gelebt haben möchte. Die Fakten des Aufbaus, des Untergangs sind bekannt. Legendenverfasser und Enthüller gingen beizeiten ans Werk, das Heulen der Reißwölfe haben wir gehört, die Tagebücher der wahren und falschen Helden sind veröffentlicht, die Kommissionen gaben Bericht, die Literatur suchte in Provinzen den Weltgehalt, die Filmindustrie hat marktbewusst kolportiert. Einige Gräben von damals konnten zugeschüttet werden, andere ziehen sich als Zeichen der Unversöhnlichkeit noch immer durch die Landschaft.

Was mich an diesem Gesprächsnachmittag bewegt, was mir mit dem Dialog zwischen G. G. und G. G. einmal mehr klar wird: Wahre Freiheit ist mehr, als man darf; es ist auch die Freiheit einer persönlichen Erinnerung, die im eigenen Leben mehr sieht als nur den individuellen Beleg eines geschichtlichen Urteils. Solches Erinnern – etwa an den eigenen Vater – muss freilich auch dort, wo es sich verteidigt, Frage bleiben. Es muss die Spannung aushalten wollen zwischen Selbstbehauptung und Selbstzweifel. Erinnerung lässt sich nicht fesseln – und möge doch Verstrickung nicht leugnen. Erinnerung ist Sand im Getriebe. Immer bleibt Leben eine Reihe von Wendepunkten, an denen etwas geschah, was so nicht unbedingt hätte geschehen müssen. Aber wir sind nun einmal das, was mit uns, in uns, durch uns geschah – wie steht dies im Verhältnis zu dem, was nicht hätte geschehen müssen? Und wie wird Leben wirklich so erzählbar, dass sich Selbstgestaltung behaupten und möglicherweise sogar Logik belegen lässt? Kinder fragen sich selbst, und sie spüren: Die Fragen vereinen sie mit den Eltern, die nicht mehr antworten. So bleiben die Fragen, das ist die wesentliche Antwort, die das Leben gibt. Immer, überall.

Klaus Gysi war zu fantasievoll für das rein Pragmatische, und er war zu energievoll für ein Dasein nur auf dem Bremspedal der Vorsicht. Er war in allen politischen Funktionen ein Techniker, der zugleich Artist zu sein hatte. Er war gern Artist. Er wurde von seiner Partei dorthin gerufen, wo es brannte, und seine Aufgabe bestand oftmals darin, das Feuer gleichsam in Papiertüten außer Reichweite zu schaffen. Durchstellen – mit Diplomatie. Durchgreifen – mit Feinsinn.

Schriftstellerin Brigitte Reimann sprach vom »schlauen kleinen Faun«. Der »Spiegel« im Nachruf 1999: »Er war jahrzehntelang das eloquente kultur- und kirchenpolitische Aushängeschild der DDR.« In der »Zeit« schrieb Christoph Dieckmann: »In der DDR machte Klaus Gysi eine erstklassige Karriere zweiter Qualität. Ein verlässlicher Opportunist der Macht, die er durchschaute, aber nie verriet. Über allem waltete ein Höheres: Glaube.« Elmar Faber, nach Gysi und Fritz-Georg Voigt der fünfte Aufbau-Chef (bis 1992): Gysi sei ein »Bohemien in sozialistischer Zeit« gewesen, ein »Filou, auf welchem Parkett er auch auftrat«. Der Genosse Weltbürger.

Am 16. August 1945 sitzen er sowie der Journalist Heinz Willmann, der Verlagsbuchhändler Kurt Wilhelm und der Verlagskaufmann Otto Schiele bei einem Berliner Notar, sie gründen den Aufbau-Verlag. 1250 Reichsmark Anfangskapital. Exilierte Kommunisten in Moskau hatten dieses Unternehmen vorgedacht.

In einem Gespräch mit Johannes R. Becher und Klaus Gysi fragt der Chef der sowjetischen Militäradministration, Professor Sergei Tjulpanow, wieso im ersten Verlagsprogramm die deutsche Klassik vertreten sei. Ist denn solche Überforderung ein guter Beginn? Goethe quasi gleich im Grundbuch? So viel Erhabenheit, so viel Hoheitston, da die Trümmer noch rauchen? Geht es nicht bescheidener? Es ist Gysi, der darauf verweist, dass die Nazis ihre verbrecherischen niederen Ziele just mit den hehren Klassikern verbrämt hatten – und deshalb sei die neue Ordnung zu genau jener Literatur verpflichtet, die eine Ehrenrettung der himmelhoch singenden Maßstäbe betreibe.

Die Gründer treten ihre Anteile kurz darauf an den von Johannes R. Becher geleiteten »Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands« ab – dieser Bund hat von der sowjetischen Militäradministration auch die Verlagslizenz erhalten. Gysi wird die Monatsschrift »Aufbau« leiten. Bertolt Brecht und Georg Lukács, Victor Klemperer und Bernhard Kellermann gehören zu den ersten Autoren. Auch Ernst Wiechert und Ehm Welk. Dietrich Bonhoeffers Gedichte aus der Haft erscheinen.

Bald schon regen sich jene, die von Hitler verjagt worden waren, Widerstand geleistet hatten und nun eine Übervorteilung der Bürgerlichen fürchten – die Arbeiterschriftsteller: Willi Bredel, Hans Marchwitza, Adam Scharrer, Hans Lorbeer, Erich Weinert. Letzterer verweigert demonstrativ die Mitgliedschaft im Kulturbund. Die Organisation wird gedrängt, sich deutlicher als Standort der SED auszuweisen. Wilhelm Pieck rügt die ideologische Zurückhaltung des Kulturbundes, auch der »Aufbau« publiziere zu wenig klassengebunden. Pieck nennt Johannes R. Becher sogar einen »politischen Ignoranten«. Starker Tobak. Becher konstatiert verhalten traurig »eine unzulässige Überheblichkeit führender Genossen … ich möchte sogar sagen, dass unsere Intellektuellenarbeit zurückbleibt hinter der Arbeit, die wir vor 1933 auf diesem Gebiet geleistet haben«.

Die früh sich verschärfende Ideologisierung vertreibt den Verlagsleiter Kurt Wilhelm, er setzt sich zwei Jahre nach Kriegsende nach Stuttgart ab. Sein Nachfolger heißt Erich Wendt, Schriftsetzer und Staatssekretär. Ihn beerbt Walter Janka, der Typograf aus Chemnitz, im mexikanischen Exil Leiter des Verlages »El Libro Libre«. Klaus Gysi wird 1957 der vierte Aufbau-Chef sein. Zu seinen Amtszeiten kommt Ruetten & Loening hinzu, ein Verlag, den von 1951 bis 1956 Gysis Frau Irene geleitet hatte. Aufbau wird das größte belletristische Unternehmen der DDR. Das größte und anspruchsvollste. Aufbau – das ist Repräsentanz. Vor allem des großen literarischen Geistes.

Die frühen Jahre der DDR. Politisch eine Ballung an Weichen, Wegscheiden und gesellschaftlichen Schärfungen. Heinrich Mann starb, bevor er sein Amt als Präsident der Akademie der Künste antreten und den teilweise ordinären Aufeinanderprall von Geist und Macht mit dämpfen helfen kann. Das Ministerium für Staatssicherheit war eingerichtet worden. Brechts Berliner Ensemble verstört die Linienzieher. Die sogenannte Kunstkommission der Partei steigert ihren Begradigungsfleiß. In Weimar hatte Thomas Mann eine seiner berühmten Schillerreden gehalten. Im Hörsaal 40 der Leipziger Universität lehren Hans Mayer Literaturgeschichte und Ernst Bloch Geschichte der Philosophie. Längst war das Berliner Stadtschloss abgerissen worden – ein warnendes Ausrufezeichen des proletarischen Staates, wie mit einem speziellen kulturellen Erbe umzugehen sei. Das deutsche PEN-Zentrum spaltet sich in Ost und West. Der 17. Juni 1953, die Pariser Verträge, der Warschauer Pakt. Kalter Krieg. Die Kriegskälte zu schüren – auf beiden Seiten geschieht es mit heißem Bemüh’n. 1956 schließlich: der Aufstand in Ungarn. Er demoliert folgenreich die Oststaaten-These von der Einheit zwischen Volk, Partei und Regierung.

In der Liberalisierungsperiode nach dem Tod Stalins treten – in der Autorschaft des Verlages – Ernest Hemingway, Jean-Paul Sartre, George Bernard Shaw, Alberto Moravia und Halldor Laxness neben die russischen Klassiker. Und natürlich fällt man in der Leitung, wie überall im Verlagswesen, krasse Fehlurteile. Erste Manuskripte von Franz Fühmann, Günter Kunert, Christa Reinig und Uwe Johnson werden abgelehnt. Solche Dinge geschehen vor der Amtszeit Gysis, während seiner Amtszeit, nach ihm. Das Verlags-Wesen hat Geist; aber Macht, sich gegen die Macht durchzusetzen, hat es nur beschränkt.

Am 22. November 1956 kommt es im Gemeinschaftsraum des Aufbau-Verlages, Französische Straße, zu einem Gespräch zwischen Mitarbeitern des Hauses und dem amtierenden Kulturminister Johannes R. Becher, als Lyriker selber Autor des Verlages. »Es ging bald ziemlich hoch her«, beschreibt der damalige Redakteur der Monatsschrift »Aufbau«, Rolf Schneider, das Treffen (»Der Spiegel«, 23/1990). »Der 20. Parteitag der KPdSU, auf dem Nikita Chruschtschow die blutigen Verbrechen des 1953 verstorbenen Diktators eingestanden hatte, lag erst wenige Monate zurück. Seither wurde über mögliche oder notwendige Konsequenzen für die DDR gegrübelt.«

Als besonders hartnäckige Inquisitoren ihres Ministers hätten sich, wie Schneider schreibt, Walter Janka und Wolfgang Harich erwiesen. Der eine: Direktor des Aufbau-Verlags, der andere: Lektor. Janka eher still und zart, Harich laut und vorpreschend. Verehrer von Georg Lukács, der im Budapester Intellektuellen-Zirkel, dem Petöfi-Klub, den ungarischen Reformkurs mit angestoßen hatte.

Was mit Johannes R. Becher diskutiert worden war, bleibt brodelndes Thema im Verlag. Jetzt endlich Kompetenzschub für Gewerkschaften! Jetzt endlich Arbeiterselbstverwaltung! Jetzt endlich die Reprivatisierung der Landwirtschaft! Und: Walter Janka in die SED-Parteiführung, Ernst Bloch ins Amt des DDR-Staatspräsidenten!

Leichtfertige geistige Kapriolen, ein Intellektuellen-Spiel. Ein äußerst gefährliches Spiel. Spiel? Walter Janka, Wolfgang Harich werden verhaftet, verurteilt. Der eine zu zehn, der andere zu fünf Jahren Zuchthaus. Janka wird später, zumindest nach außen hin, seinen resignativen Frieden mit der DDR machen. Er wird ein Buch schreiben, »Schwierigkeiten mit der Wahrheit«. Harich schreibt ein Gegenbuch: »Keine Schwierigkeiten mit der Wahrheit«. Verlässlicher Hass zwischen den einstigen Gefährten.

Im Verlag brechen 1956 Wochen eines drückenden Provisoriums an. Überall Argusaugen. Die Atmosphäre ist von Abwarten und Abtasten geprägt. Wie es in Beethovens »Fidelio« heißt: »Wir sind belauscht mit Ohr und Blick« – die Stasi ist ein Klassiker. Klaus Gysi übernimmt. Und es tut gut, wenn ein Bedeutender wie Leonhard Frank im Januar 1958 an ihn schreibt: »Ich will Ihnen heute nur schnell sagen, dass ich selbstverständlich nicht die Spur eines Misstrauens gegen Sie oder den Verlag habe. Ich hatte in meinem Leben nie einen Verleger, der so vollkommen korrekt war wie Sie, mein Lieber.«

Aufbau-Verlag, das heißt jetzt vor allem: Ruhe bewahren – wie man ein Erbe bewahrt. Ruhe in Vergatterungszeiten? Ja. Beim geistigen Marschtritt doch auch ernsthaftes Bemühen um Weite. Versuche der Grenzüberschreitungen. Ankämpfen gegen jene Scheu, die naturgemäß westliche Autoren ergriff. Als im Aufbau-»Almanach neuer deutscher Literatur« 1962 als Vorabdruck Auszüge aus Martin Walsers Roman »Ehen in Philippsburg« erscheinen sollen, schreibt der Autor im September 1961 an Gysi: »Ich weiß nicht, ob Sie dem Abdruck eine Einleitung voranstellen wollen. Falls Sie diese Absicht haben, möchte ich Sie bitten, nur Daten mitzuteilen, nicht aber zu interpretieren. Sie wissen selbst, wie im Augenblick alles von allen benutzt wird, um irgend etwas zu beweisen. Das heißt, ich möchte mich nicht in die Propagandamühlen hineinschubsen lassen, weder hier noch dort. Entschuldigen Sie diesen Hinweis, vielleicht war er ganz unnötig. Aber wenn ich (als Rand-Deutscher) so zusehe, was die Landsleute im Herzen des ›Vaterlandes‹ gegeneinander anrichten, dann muss ich mir zumindest Umsicht empfehlen und alles Mögliche bedenken.«

Noch einmal Rolf Schneider, er fragt nach den Erfolgschancen der damaligen SED-Opposition, hätte sie denn