Der Schneemann

1

Blum sah auf die Uhr. Höchste Zeit. Er leerte die Kaffeetasse, nahm sich einen Zahnstocher aus dem Plastikbehälter und winkte dem Kellner. Die Rechnung war nicht hoch – umgerechnet knapp fünf Mark –, aber er musste unbedingt bald ein Geschäft tätigen, wenn er sich nächste Woche auch noch ein warmes Mittagessen leisten wollte. Die eiserne Reserve tastete er nur ungern an. Er ließ ein paar Cent Trinkgeld in der Untertasse und winkte beim Hinausgehen mit der zusammengerollten Times of Malta dem Geschäftsführer zu, der mit der Tochter des Wirts zusammensaß und Karten spielte. Ein heller Junge. Vielleicht auch bald ein Kunde.

Das Licht war so stark, dass es ihn einen Augenblick blendete.

Er tastete nach der Sonnenbrille, und als er feststellte, dass er sie im Hotel vergessen haben musste, sah er neben der Kutsche mit dem altersschwachen Schimmel das Auto, das seit einigen Tagen immer in seiner Nähe war. Einer der beiden Männer, die darin saßen, stieg jetzt aus und kam auf ihn zu, ein Kleiner mit schwarzen Haaren und einer Wildlederjacke; er gehörte zu den Leuten, die ihre Sonnenbrille nie vergessen.

»Mr Blum?«

Obwohl er gerade etwas getrunken hatte, war sein Hals trocken. Er nahm den Zahnstocher aus dem Mund.

»Ja?«

»Nur einen Augenblick, Sir.«

Der Mann klappte eine Brief‌tasche auf und zeigte ihm den Ausweis, der überall auf der Welt gleich aussieht. Blum spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach. Aus dem Zeitungsladen hörte er die Stimme des pensionierten englischen Majors. Die Daily Mail war auch heute nicht gekommen.

»Worum handelt es sich?«

»Das wird Ihnen Inspektor Cassar erklären. Nur eine Formalität.«

»Inspektor? Ich verstehe nicht. Ich bin Tourist …«

Aber Blum verstand sehr gut, und es war ihm klar, dass der Polizist das auch wusste. Der Major ließ sich wieder zum Daily Telegraph überreden, und Blum warf den Zahnstocher weg und folgte dem Polizisten zum Auto. Eine andere Möglichkeit schien es nicht zu geben, so früh am Tag.

2

Es war ein kleines muffiges Zimmer, doch das waren sie ja meistens. Es gab einen Deckenventilator, der aber nicht in Betrieb war. Energieknappheit. Der Inspektor hatte seinen Stuhl zur Wand gerückt. Sein Gesicht lag im Schatten, aber Blum hatte genug gesehen, um zu wissen, dass es nicht zu den Gesichtern gehörte, an die man sich gern erinnert. Straff gescheitelte braune Haare und ein permanentes Zucken um den fischigen Mund. Der dunkle Anzug war tadellos gebügelt, und die Finger, die in Blums Pass blätterten, waren muskulös und perfekt manikürt. Sie legten den Pass beiseite, blätterten in einem Ordner und kehrten wieder zum Pass zurück. Vielleicht gefiel ihnen das Papier besser.

»Sie haben ein Touristenvisum, das für einen Monat gültig ist, Mr Blum.« Inspektor Cassar sprach ein lupenreines Beamtenenglisch. Ein Bastard, dachte Blum. Er nickte.

»Das Visum läuft in drei Tagen ab.«

»Ich könnte es verlängern lassen.«

»Aus welchem Grund sollten Sie das tun?«

»Weil es mir auf Malta so gut gefällt, zum Beispiel.«

»Sie halten sich jetzt schon geraume Zeit in dieser Region auf, Mr Blum. Für einen Touristen recht ungewöhnlich, finden Sie nicht auch?«

»Ich kenne Touristen, die jahrelang unterwegs sind.«

»Sie meinen die mit den langen Haaren und den Rucksäcken und Gitarren? Die jungen Leute? Aber Mr Blum, ich bitte Sie. Wenn Ihr Pass nicht gefälscht ist, dann wurden Sie am 29. März 1940 geboren. Ich glaube kaum, dass Sie sich noch zur jungen Generation zählen können.«

Blum starrte an die Wand. Eine Fliege inspizierte das Bild des Präsidenten. Der Mann sah vertrauenerweckender aus als Inspektor Cassar. Wahrscheinlich war das ein Grund, warum er Präsident geworden war.

»Darf ich fragen, was Sie von Beruf sind, Mr Blum?« Die Stimme des Inspektors klang immer noch amtlich-distanziert, aber Blum hörte schon eine härtere Tonart heraus.

»Ich bin Geschäftsmann, Sir.«

Der Inspektor rückte seinen Stuhl näher und nahm wieder den Ordner zur Hand.

»Aha. Und welche Geschäfte betreiben Sie?«

»Ich war zuletzt an einem Import-Export-Geschäft in Berlin beteiligt.«

»Zuletzt?«

»Nun, das Geschäft lief nicht mehr gut, und so ließ ich mich von meinen Partnern auszahlen, um eine Weile Ferien zu machen. Eine schöpferische Pause, verstehen Sie.«

Jetzt war Inspektor Cassar ganz dicht am Schreibtisch, und ein Streifen Sonnenlicht fiel über sein Gesicht. Die Augen waren gelb. Raubtieraugen. Blum spürte sein Herz schlagen. Er machte die Zigarette aus. Seine Finger waren nass vom Schweiß.

»Für jemand, der im Import-Export-Geschäft ist, haben Sie ein ausgefallenes Vokabular, Mr Blum. Schöpferische Pause, so ein Quatsch! Soll ich Ihnen sagen, warum Sie eine ›schöpferische Pause‹ eingelegt haben? Weil Sie zu einer internationalen Bande von Kunstdieben gehören und in Marokko und Spanien und Tunesien und jetzt hier bei uns wieder mal in Aktion treten wollen, wie damals in Istanbul!«

Cassars härtere Tonart erinnerte Blum an besonders rechthaberische Schullehrer. Der Inspektor steckte sich eine Benson & Hedges an und blies den Rauch über den Schreibtisch auf Blums Blazer.

»In Istanbul? Ich verstehe nicht recht …«

Cassar klopf‌te auf den Ordner.

»Sie verstehen sehr gut, Mr Blum. Im Jahr 1969 gehörten Sie laut Interpol der Organisation an, die aus dem Archäologischen Museum von Izmir Altertumsschätze im Wert von über zwei Millionen Dollar gestohlen hat, darunter das Diadem mit den zwölf Arbeiten des Herkules …«

Blum räusperte sich.

»Inspektor, gestatten Sie, dass ich Sie unterbreche, Sir. Was Sie da aufs Tapet bringen, ist dieser ganze alte Wust von Verleumdungen, den ich schon damals bei der Polizei in Istanbul eindeutig widerlegen konnte. Wenn das heute noch von Interpol behauptet wird, handelt es sich um nichts anderes als völlig abwegige Gerüchte und Verdächtigungen, gegen die ich gerichtlich vorgehen würde, wenn mir meine Zeit nicht zu schade wäre.«

Cassar rang sich ein Lächeln ab.

»Sie würden gegen Interpol gerichtlich vorgehen? Ich muss sagen, Sie haben Nerven, Mr Blum.«

»Ich hatte nichts mit der Sache zu tun! Glauben Sie, die Türken hätten mich laufen lassen, wenn sie mir auch nur die geringste Verbindung hätten nachweisen können?«

»Was die Türken getan oder nicht getan haben, interessiert mich im Moment überhaupt nicht.« Cassars Stimme war jetzt schneidend. »Wenn Sie hier bei uns etwas ausgeheckt haben, vergessen Sie es, Blum. Ein Kunstraub auf Malta verstößt nicht nur gegen die Gesetze unserer demokratischen Republik, er wendet sich direkt gegen den katholischen Glauben des Volkes, und die Strafe dafür können Sie in einem Leben gar nicht verbüßen.«

Er warf den Ordner verächtlich in die Ablage. Die Fliege schiss auf das Ohr des Präsidenten. Blum stand auf.

»Ich bin kein Kunsträuber, Inspektor Cassar.«

»Was immer Sie sind, Mr Blum, Sie werden kaum noch Gelegenheit haben, hier tätig zu werden. Wie ich schon sagte, Ihr Visum läuft in drei Tagen ab, und ich würde mir an Ihrer Stelle keine großen Hoffnungen machen, ein neues zu bekommen. Vielleicht können Sie Ihre ›schöpferische Pause‹ ja in Italien weiter ausdehnen. Die Tür ist dort drüben.«

»Ich werde mich bei meinem Botschafter beschweren.«

»Viel Spaß dabei, Mr Blum. Aber vergessen Sie nicht – wenn Sie eine Stunde nach Ablauf Ihres Visums noch auf Malta sind, kann Ihr Botschafter Sie in Kordin besuchen.«

»In Kordin?«

»Dort liegt unser Zivilgefängnis, Mr Blum.«

3

Als der Moskito in den Lichtkegel der Nachttischlampe geriet und direkt vor der Wand schwirrte, nahm Blum ein Pornoheft und schlug ihn tot. Die Tapete des Hotelzimmers war mit plattgeschlagenen Moskitos übersät. Blum rieb das Heft am Bettpfosten ab und gab es dem Pakistani, der auf der Überdecke saß und ihn mit Augen beobachtete, die älter waren als Pakistan, so alt wie alles zwischen Mann und Frau und Moskito in der Dämmerung.

»So ist das Leben«, sagte Blum, »hart, aber fair.«

»Ein interessanter Gedanke«, sagte der Pakistani.

Blum holte das Päckchen HB aus dem Blazer, steckte sich eine Zigarette an und hielt die Schachtel dem Pakistani hin.

»Ich rauche nicht«, sagte der lächelnd und legte den Kopf schief. In der Dämmerung wirkte seine Haut noch dunkler. Er trug einen grünen Anzug aus Kunstseide und Leinenschuhe ohne Socken. Sein langes fettiges Haar, da und dort schon angegraut, lag wie ein Kranz um sein faltenloses Gesicht.

»Da haben Sie recht«, meinte Blum. »Sex ist gesünder.« Er sah auf seine Armbanduhr. »Den ganzen Tag habe ich allerdings nicht für Sie Zeit, Mr Wach …«

»Haq«, verbesserte ihn der Pakistani, »Hassan Abdul Haq.«

»Natürlich, Mr Haq. Also, wie finden Sie die Dinger? Ich weiß nicht, ob Sie sich auskennen, aber gegen die alten Dänenpornos stinkt alles andre immer noch ab.«

Der Pakistani blätterte in den Heften, und Blum sah sich im Zimmer um. Kategorie D, dachte er, spartanisch, aber sauber. Im Sommer war der alte Palazzo sicher ganz angenehm, aber jetzt im März lauerte noch die Kälte in den Ecken. Und Moskitos gab es das ganze Jahr. Der Pakistani reiste mit leichtem Gepäck – ein kleiner Plastikkoffer lag unter dem Waschtisch, zwei Hemden hingen an Drahtbügeln zum Trocknen, und die Zeitschriften und Taschenbücher auf dem wackligen Nachttisch sahen nicht so aus, als ob sie aus Pakistan stammten. Immerhin, Mr Haq besaß einen Remington und benutzte ein teures Rasierwasser. Blum war schon mit leichterem Gepäck gereist, und für Kategorie C hatte es auch nicht immer gereicht.

Mr Haq legte das Heft beiseite, sah Blum einigermaßen enttäuscht an und sagte: »Amerikanische Produkte scheinen mir – wie sagt man – realistischer?«

Blum drückte die halbgerauchte Zigarette aus. Im Innenhof fingen die Touristen zu singen an, und er hatte es eilig.

»Sie meinen brutal. Die Amerikaner sind brutaler. Das da ist aus einer Zeit, als die Leute noch Geschmack aneinander hatten, wenn Sie mich verstehen.«

Aber was erzählte er dem Mann denn? Wahrscheinlich sodomisierte der schon vor dem Frühstück drei heilige Kühe. Überhaupt Wahnsinn, Asiaten Pornos zu verscheuern.

»Die Sache ist außerdem die, auf Malta gibt es keine anderen Produkte. Wenn Sie welche wollen, müssen Sie schon meine kaufen, Mr Faq. Und eins will ich Ihnen sagen – die Amerikaner lassen euch in der Scheiße sitzen, wenn der Russe über den Khaiber kommt.«

»Haq«, sagte der Pakistani ungerührt. »Hassan Abdul Haq. Waren Sie schon in meinem Land?«

Nein, Mr Blum war noch nicht da gewesen, und er wollte vorläufig auch nicht hin. Was er aus den Zeitungen wusste, genügte ihm.

»Vielleicht finden Afghanis an diesen Produkten Befriedigung, aber für meinen Geschmack sind sie künstlerisch wertlos.«

Womöglich fand Blum das auch, aber ein Pakistani durf‌te ihm nicht damit kommen. Er schnappte sich ein Heft und zeigte ihm die Rosinen.

»Das sind Klassiker, mein lieber Mann. Dänemark 1968, das ist so etwas wie ein Spitzenwein, verstehen Sie Spitzenwein? Ach so, ihr trinkt ja nicht. Jedenfalls, in Kairo krieg ich jeden Preis bezahlt, jeden.«

Mr Haq war aber kein Ägypter, er lehnte die Ägypter aus privaten und auch aus politischen Gründen ab, und 1968 sagte ihm auch nichts. Er fand die Hefte langweilig – »immer die gleiche Frau, immer der gleiche Mann, ja«.

»Es ist ja auch immer die gleiche Sache«, sagte Blum. »Vielleicht haben die Chinesen noch ein paar Tricks in petto – oder die Indianer am Amazonas –, aber die Sache als solche ist nun mal der gleiche alte Vorgang. Und was heißt da schon künstlerisch? Wer will denn Kunst dabei?«

»Amerikanische sind interessanter.«

Der Pakistani starrte auf einen Punkt über Blums Schulter. Blum hörte einen Moskito sirren. Er wartet darauf, dass ich auch den totmache, dachte er. Er hat es gern, wenn ich ihm die Moskitos totmache. Der Pakistani sitzt auf dem Bett und macht die Pornos madig, und der weiße Mann hüpft im Zimmer rum und haut die Mücken tot. Das könnte ja komisch sein, aber nicht mit mir.

»Wollen Sie vielleicht Bilder, wo sich zwei Männer die Fäuste in den Arsch rammen? Oder geht Ihnen einer ab, wenn Sie zusehen, wie es eine blonde Frau mit einem Schwein treibt? Oder stehn Sie mehr auf Kinderficken, Mr Haq?«

Mr Haq sah Blum an, als denke er angestrengt darüber nach, und dann sagte er: »Ich könnte jemand wie Sie gebrauchen, Mr Blum.«

Einen kurzen irritierenden Augenblick dachte Blum, der andere mache ihm ein sexuelles Angebot, dann kam Mr Haq auf Saudi-Arabien zu sprechen. Im Hof wurde jetzt Guantanamera angestimmt – drei heisere Männer und zwei schrille Mädchen –, und Blum hatte allmählich einen Drink nötig.

»Mit Saudi-Arabien möchte ich nichts zu tun haben, Mr Haq. Da geht man schon für eine Flasche Whisky ins Gefängnis. Oder man bekommt hundert Stockschläge auf die Fußsohlen, ich bitte Sie.«

»Aber nein – Sie verdienen viel Geld mit Whisky. Stockschläge gibt es nur, wenn man sich erwischen lässt, Mr Blum. Und dann denken Sie an das Problem des sexuellen Angebots …« Der Pakistani schien es sich in den Kopf gesetzt zu haben, mit dem Deutschen in Saudi-Arabien sein Glück zu machen. Er erzählte ihm von dem Flughafen, den deutsche Spezialisten und pakistanische Wanderarbeiter mitten in der Wüste aus dem Sand stampf‌ten – 15000 Männer in Baracken, keine Frauen und kein Alkohol, oder doch von beidem keinesfalls genug, war das nicht eine goldene Chance, wie sie vielleicht nie wiederkam?

»Möglich«, sagte Blum. Er legte die Hefte zusammen. »Aber ich kann mich auch in Kairo gesundstoßen. Was ist, wollen Sie nicht wenigstens die paar Dinger? Ich mache Ihnen auch einen guten Preis.«

Der Pakistani schien auf etwas zu warten. Blum tat ihm den Gefallen und schlug noch einen Moskito tot, aber Mr Haq wollte offenbar etwas anderes. Er saß mit gefalteten Händen auf dem Bett und starrte ins letzte Tageslicht.

»Ich habe gute Verbindungen in Dschidda«, sagte er leise. »Ein Amerikaner hat in drei Monaten ein Vermögen mit gepanschtem Whisky gemacht.«

»Vielleicht hatte er es nötig«, meinte Blum.

»Haben Sie es nicht nötig, Mr Blum?«

»Nicht so, dass ich mich auf die Saudis einlasse.«

»Ja, ich weiß, den Deutschen geht es gut.«

»Ich muss gehen, Mr Haq.«

»Verzeihen Sie, dass ich Ihnen nichts angeboten habe …«

»Ich bin hier, um Ihnen etwas anzubieten.«

»Hier, nehmen Sie etwas von der Schokolade, ist zwar maltesisch, schmeckt aber recht gut …«

Schließlich geruhte Mr Haq, zwei Hefte zu erwerben, feilschte aber so lange um 50 Cent, dass Blum, als er die Tür zumachte, einen Geschmack auf der Zunge hatte, dessen Bitterkeit nicht nur vom Durst kam.

4

Auch wenn die Geschäfte schlecht gingen oder ihm die Ausweisung drohte, leistete Blum sich mindestens einmal in der Woche ein gediegenes Abendessen und eine angenehme Bar, und auf Malta hatte er sich dafür die Donnerstage ausgesucht, wenn es in der Pegasus Bar des Phoenicia Hotels die Currytafel gab. Blum mochte das – ein Hotel im britischen Kolonialstil, eine Bar, die mit nachgemachten mittelalterlichen Waffen dekoriert war, die Hotelangestellte im Sarong, die eigens für den Curry abgestellt wurde, die englischen Textilkauf‌leute, die sich seufzend von allem zweimal geben ließen, und die amerikanischen Touristen, die nach dem dritten Bourbon ihren Präsidenten in der Luft zerfetzten. Der Dollar war wieder einmal im Keller.

Mr Hackensack ließ auf den Präsidenten nichts kommen. Er war allerdings auch kein Tourist.

»Ich bin ein loyaler Amerikaner«, sagte er, nachdem er seine Davidof‌f in Brand gesetzt hatte, »ein Patriot. Solange er nicht dabei ertappt wird, wie er die silbernen Löffel aus dem Weißen Haus an die Russen verkauft, ist der Präsident für mich über jeden Verdacht erhaben.«

Hackensack war ein korpulenter Mann um die sechzig, der seine massige Gestalt in viel zu enge karierte Anzüge zwängte und auf seinen klobigen Schädel viel zu bunte Hüte pflanzte. Die Fleischwülste von Kinn und Backen schoben den Mund zusammen, so dass er mit seinen gespitzten Lippen merkwürdig klein und zart wirkte. Die hellblauen Augen unter den buschigen weißen Brauen hatten einen stumpfen kalten Glanz. An Mittel- und Ringfinger der linken Hand steckten zwei protzige Rubine, die in massivem Gold gefasst waren, und in seiner gepunkteten Krawatte glänzte eine passende Nadel. Blum hatte schon öfter einen mit Hackensack getrunken, aber an diesem Abend ließ der Amerikaner zum ersten Mal durchblicken, er sei selbst schon für die Regierung tätig gewesen.

»Waren Sie bei der CIA

Hackensack setzte ein geziertes Lächeln auf.

»Früher hätte ich mich noch geschmeichelt gefühlt, wenn mich jemand gefragt hätte, ob ich bei der Firma war, aber heute …«

»Ich hoffe, ich habe Sie nicht beleidigt. Ich weiß nicht allzu viel über diese Geheimsachen. Meine Philosophie ist: Was ich nicht weiß, macht dich nicht heiß.«

Hackensack lachte, aber nur seine Fleischwülste schlugen Falten. Die Augen machten das Lachen nicht mit. Blum fühlte sich taxiert, aber Amerikaner waren so, und Hackensack schien jemand zu brauchen, mit dem er sich unterhalten konnte. Er bestellte noch zwei Drinks. In der Pegasus Bar mischte sich die Textilbranche mit der Touristikbranche, und in der Ecke hockten die maltesischen Paten in ihren schwarzen Anzügen und sahen sich den Boxkampf im Fernsehen an. Seine Freunde von der Polizei konnte Blum nicht entdecken. Vielleicht reichte Inspektor Cassars Spesenkonto nur für eine Limonade am Kiosk, drüben auf dem Busbahnhof. Die Currytafel wurde aufgehoben. Während Hackensack ihm auseinandersetzte, warum Macht nicht nur das Salz des Lebens, sondern seine Essenz war, musterte Blum die Touristinnen, aber da gab es heute keine, bei der er landen konnte, und die Schöne im Sarong turtelte beim Abräumen der Platten mit dem Koch, einem Zwei-Zentner-Mann aus dem Weserbergland, der in Saigon für die Nachschubspezialisten gekocht hatte. Hackensack hob sein Glas und räusperte sich.

»Warum so nachdenklich, Blum? Geschäftsflaute, oder hat Ihnen einer die Missus ausgespannt?«

Die Nase des Amerikaners fing an zu glühen, und auch seine Blumenkohlohren glänzten rosa. Aber seine Augen ließ der Bourbon kalt. Er komme aus Tennessee, hatte er behauptet, aber Blum nahm ihm den Südstaatler eigentlich nicht ab.

»Flaute ist das richtige Wort, Mr Hackensack.«

»Sie als Deutscher?«

Blum konnte es nicht mehr hören. Waren für die Welt alle Deutschen Gewinner, weil Hitler den Krieg verloren hatte?

»Nicht jeder Deutsche ist Millionär, nur weil die Mark gut steht, Mr Hackensack.«

»Sagen Sie Harry zu mir. Ich weiß, Blum. Meine Firma hat eine Filiale in Frankfurt. Kommen Sie mal vorbei, wenn Sie dort zu tun haben.«

Blum nahm die Karte und steckte sie in seine Brief‌tasche.

»Ich glaube kaum, dass ich in nächster Zeit nach Frankfurt komme, aber trotzdem vielen Dank. In welcher Branche sind Sie, wenn ich fragen darf – oder fällt das unter ein Staatsgeheimnis?«

Hackensack prustete, verschluckte sich und lief violett an. Jetzt sah er in seinem zu engen Anzug und mit dem schweißgetränkten Hütchen auf dem Schädel wie ein Boxmanager aus, der schon zehn Jahre keinen Sieger mehr gehabt hat. Wahrscheinlich ist er auch nur ein armer Irrer, wie wir alle, dachte Blum.

»Ich bin Firmenberater«, sagte Hackensack, als er wieder Luft hatte. »Wenn ich Sie mal beraten kann, kriegen Sie Rabatt – schließlich waren wir beide auf Malta, und das will was heißen.«

»Ich bin zwar nur eine Ein-Mann-Firma, aber wenn ich Rat brauche, komme ich gern vorbei. Nehmen Sie noch einen? Der Nächste geht auf mich.«

Natürlich nahm Hackensack noch einen. Er schüttete den Bourbon wie Wasser herunter und zeigte keine Wirkung. Nur die geplatzten Äderchen in seiner Nase glühten jetzt dunkler.

»Welche Branchen sind denn im Kommen?«, fragte Blum.

»Alles, was mit Macht zu tun hat«, sagte Hackensack und wischte sich mit einem rotgeblümten Taschentuch den Schweiß vom Hals, was seinen Worten viel von ihrer Wirkung nahm. »Mit nackter, gewinnversprechender, menschenverachtender Macht, Herr Blum. Natürlich nicht erst seit heute Morgen – aber das wissen Sie ja selbst. Die Deutschen haben ja auch viel darüber nachgedacht, aber sie haben das Problem immer zu abstrakt und zu metaphysisch gesehen. Macht, das ist etwas ganz Konkretes, wie dieser Whisky im Glas und das, was er tut.«

So ein Blödsinn, dachte Blum – ich könnte irgendwo bei einer Frau liegen oder versuchen, die Hefte zu verkloppen, stattdessen höre ich mir an, was dieser Knallkopp über die Macht zu sagen hat, und sehr neu ist das auch nicht. Aber was war schon neu? Seine Geschichten, seine Träume, seine Misserfolge auch nicht. Vielleicht konnte er doch noch herausfinden, ob der Alte nur sinnlos seinem Affen Zucker gab, oder ob er mit seinem Palaver eine bestimmte Absicht verfolgte.

»Ich würde also sagen, Information ist im Moment das große Geschäft. Und natürlich alles, was die Struktur der kleinen grauen Zellen verändert. Die Chemie, Mr Blum. Yessir, die Chemie ist das ganz große Geschäft. Verbinden Sie die Information mit der Chemie, und Sie haben die Welt in Ihren Händen.«

»Da sehe ich für mich aber nicht viele Chancen, noch einen Fuß in die Tür zu kriegen«, antwortete Blum. »Ich meine, wenn einer so spät damit anfängt …«

Hackensack sah Blum durchdringend an, und bevor er die Zigarre an seine zarten Lippen führte, sagte er: »Es ist nie zu spät. Sie müssen nur die richtige Einstellung haben, mein guter Mann, dann kommen Sie immer wieder auf die Beine. Nehmen Sie mich – vom Koreakrieg über Berlin und Südostasien, immer wieder eingebrochen, immer wieder auf die Füße gekommen. In meiner Branche gehört das dazu.«

»Ich dachte, Sie sind Firmenberater.«

»Berater, Mann, sagen wir einfach Berater.«

Blum wollte nicht auf dem Unterschied beharren, und er wollte auch nicht mehr auf diesem schwitzenden Koloss beharren, der ihm allmählich suspekt wurde und auf den Wecker ging. Information, Chemie, Südostasien, alles schön und gut, aber was würde Hackensack machen, wenn Blum ihm von Inspektor Cassar erzählte? Auch nur die Flatter. Er überlegte gerade, wie er ihn loswerden sollte, als er die Touristin sah, die allein in die Bar gekommen war und jetzt etwas hilf‌los an der Theke stand. Sie war groß und mager und kurzsichtig und trug ein geblümtes Kleid und eine Strickjacke. Sie war zwar nicht die Krönung des Abends, aber vielleicht die Rettung. Er winkte dem Barkeeper und zeigte, als er sie anlächelte, seine erstaunlich gepflegten Zähne.

»Sie sind sicher auch aus Germany«, sagte er und wandte sich von Hackensack ab.

5

Ein Kakerlak packte mit seinen Vorderbeinen ein Weibchen und bestieg es. Als sie auf den Titel Don’t go breaking my heart gerutscht waren, warf Blum eine Münze in den Schlitz der Musikbox, drückte die Taste und sah den Kakerlaken bei der Paarung zu. Die Box war voller Kakerlaken, toten und lebenden. Rockfreaks, dachte Blum. Tanzen auf dem warmen elektrischen Bauch der Maschine, rocken und ficken sich zu Tode. Viel Spaß, ihr beiden. Der Kakerlak ließ das Weibchen los. Es rutschte über Sailing und La Barca und blieb auf Please don’t go regungslos liegen. Der Alte hat sie totgemacht. Bei den Skorpionen ist es das Weibchen, bei den Kakis das Männchen. So ist das Leben, Mädchen. Blum griff sich sein Bier und sah wieder hinaus auf die Gasse, wo die jungen Dinger im Gedröhn der Musik auf die Touristen warteten, die gerade überlegten, ob sie sich eine halbe Flasche Wein zu Mittag leisten oder lieber ihrer Frau das T-Shirt kaufen sollten, auf dem stand I lost my heart in Malta.

Schließlich tauchte Larry auf. Larry war Australier und hatte in Vietnam eine Lunge verloren. Seitdem bezog er eine monatliche Rente vom australischen Staat, die er in den billigeren Hafenstädten des Südens vertrank. Jedes Jahr gab es eine billigere Hafenstadt weniger. Er war ein schmaler Bursche mit einem lederartigen Gesicht und graugesprenkeltem Bart und hatte jeden Tag dieselbe verschossene Windjacke an. Er kannte sich mit Booten aus und hatte in seinen Papieren die Berufsbezeichnung »Soldat« stehen.

»Komm, Blum«, sagte er, nachdem er seinen Hustenanfall mit einem Scotch bekämpft hatte, »der Itaker wartet auf dich.«

»Will er sie kaufen?«

»Er will ein Probeheft sehen.«

Sie fuhren mit einem der grünen Autobusse, deren Fahrerkabinen mit den rosenwangigen Marien, den schmachtenden Gottessöhnen, den Plastikblumengirlanden und den lateinischen Bibelsprüchen aussahen wie Hausaltäre. Sie saßen eingeklemmt zwischen Bauern und Schulmädchen und englischen Ehepaaren, die nach Wermut rochen und Bohnenkerne oder Bonbons lutschten. Die Männer erzählten sich die alten Witze – »Kennen Sie den von dem Sikh, der nach Kanada auswandern will?« –, und die Frauen warfen hinter ihren bunten Prospekten den jungen Maltesern feuchte Blicke zu. Blum beneidete sie. Er war erst in ein paar Jahren so alt wie sie, aber hier hockte er schon mitten unter ihnen und kannte keine Witze und hatte keinen feuchten Blick, nur ein altes Pornoheft in der Tasche. Und wenn er in zwei Tagen nicht weg war, auch noch die Schmiere am Hals. Was hielt ihn noch in Gang? Was den Bus in Gang hielt: Sprit und Glaube. Verbum dei caro factum est, stand vorn an der Kabine, und so viel er noch wusste, hieß das: Gottes Wort ist Fleisch geworden. Na bitte – irgendwo musste doch ein Suppentopf hängen, der die Desperados satt machte.

In Mosta stiegen die Touristen aus. Die Männer hatten schon Schweißflecken auf ihren Polohemden, und die Achselhaare der Frauen glänzten vor Nässe.

»Ganz schön viel Gold hier«, sagte Blum mit einem Blick auf die protzige Kirche in maltesischem Neo-Barock.

»Das ist aber nur etwas für wirklich abgefuckte Typen«, gab Larry zur Antwort. »Kirchenraub auf Malta. Ungefähr dasselbe, als wollte man Lenins Leiche aus dem Mausoleum am Roten Platz klauen. Da liegt sie doch, oder?«

Blum zuckte zusammen.

»Hast du hier mal mit der Polizei zu tun gehabt, Larry?«

»Wie kommst du denn auf den Gedanken?«

Der Bus ratterte weiter, und Blum lehnte sich zurück und tat, als hätte er die Frage nicht mehr gehört. Sicher nur ein Zufall, dachte er. Hinter Mosta begann das Farmland – dürre Erde, aus der die Bauern mit dem Wasser, das während der Regenzeit fiel, Obst und Gemüse zauberten. Jetzt blühten die Mandelbäume, es roch nach Früchten und Blumen, nach Wind und Meer und Frauen. Blum legte den Kopf an das Fenster und schloss die Augen, und für einen Augenblick überließ er sich dieser Illusion von etwas, das es nie geben würde – Frieden, Glück, Magie … Dann machte er die Augen wieder auf, sah den Australier, dem der Schleim aus der Lunge hochkam, und ein schielendes Mädchen in blauer Schuluniform, das ihn die ganze Zeit beobachtet hatte und jetzt rot wurde und wieder nach vorne sah. Er nahm die marokkanische Sonnenbrille mit den goldgefassten lila Gläsern aus der Jackentasche und setzte sie auf. Die Dinger waren ihr Geld wert. Manchmal reduzierten sie sogar den Süden auf ein erträgliches Maß.

In St. Paul’s Bay stiegen sie am Hafen aus. Das Nest brütete in der Sonne. Ein Hund rannte kläffend hinter dem Bus her. Zwei germanische Touristen schulterten vor einem Café mit Plastikschnüren in der Tür ihre riesigen Rucksäcke. Irgendwo stotterte ein elektrischer Rasenmäher, und ein Bauer trieb einen Esel in die Felder. Zur Straße waren alle Häuser blind. Sie gingen langsam über den Kai. Larry zeigte Blum ein Motorboot, das etwas abseits von den anderen festgemacht hatte.

»Das ist Rossis Boot. Ein Bertram 32-Footer mit Twin-V-8-Dieselmotoren, hochfrisiert wie eine Edelnutte. Mit dem Boot hängst du jede Küstenwache ab.«

»Wozu sollte er das denn?«

»Na, wozu denn schon, alter Junge.«

Larry steckte sich die zwanzigste Rothman’s King Size des Tages an und rotzte einen Mundvoll Schleim ins Hafenwasser, ohne dass seine Zigarette nass wurde.

»Was soll er hier denn schmuggeln? Kirchenaltäre?«

»Bestimmt kein Trockengemüse. Komm, er ist jetzt in seinem Palazzo und föhnt seine Dauerwelle.«

Die Villa Aurora war das letzte Haus in einer Sackgasse. Vom Äußeren her konnte Rossi mit seiner Schmuggelei noch auf keinen grünen Zweig gekommen sein. Im Vorgarten verrottete eine Palme zwischen leeren Benzinkanistern, der rosa Hausanstrich war schon lange nicht mehr erneuert worden, und der Stuck über der Tür bröckelte ab. Als Larry auf die Klingel drückte, sah Blum, wie im Nachbarhaus ein Vorhang kurz zurückgeschoben wurde. Die Klingel rasselte schwach. Irgendwo im Haus schlug ein Hund an. Als die Tür aufging, fiel nebenan der Vorhang wieder zu. Eine alte Frau in schwarzer Tracht sagte etwas auf Maltesisch, und Blum stellte überrascht fest, dass Larry ihr auf Maltesisch antwortete. Das machte ihn misstrauisch. Die Frau verschwand, und an ihrer Stelle stand eine Dogge da und starrte die Fremden mit blutunterlaufenen Augen an. Dann erschien Rossi, pfiff die Dogge zu sich und winkte sie herein.

Der Raum, in den der Italiener sie führte, lag zum Garten und war angenehm kühl. Die Wände hatten auch hier einen neuen Verputz nötig, aber die Einrichtung war komfortabel, und Bilder mit maltesischen und arabischen Motiven gaben dem dämmrigen Zimmer einen Hauch von Luxus. Im Garten entdeckte Blum eine blonde Pin-up-Schönheit, die in einem Liegestuhl völlig nackt ein Sonnenbad nahm. Blum hatte einige Mühe, seine Augen von ihr loszureißen. Blondinen hatten diese Wirkung auf ihn. Schließlich nahm er das Glas, das ihm der Italiener hinhielt.

»Ich nehme an, du trinkst Tequila.«

»Mhm. Viva Zapata

Rossi hatte eine leise, heisere Stimme, und nach dem ersten Schluck von seiner Margarita sah Blum, dass Larry mit der Dauerwelle nicht übertrieben hatte. Die langen schwarzen Haare des Italieners fielen in kunstvollen Locken über seine Schultern und das knapp sitzende Seidenhemd, das bis zum Nabel offenstand und eine bronzene Brust enthüllte. Dafür war das Gesicht alles andere als gewellt – ein bräunlicher Felszacken mit zwei harten Augen und einem brutalen Kinn. Blum schätzte ihn auf Anfang 30. Nach dem dritten Schluck fragte er sich, wozu der Mann Pornos brauchte. Aber Rossi kam bereits zur Sache. Sein Englisch war ebenso flüssig wie Blums, und er hatte einen leichten amerikanischen Akzent.

»Hast du eins von deinen Heften dabei? Lass mal sehn.«

Er blätterte es mit Kennermiene durch. Seine goldenen Armreifen klimperten.

»Ja, genau so beschissen hab ich mir’s auch vorgestellt. Weißt du, ich habe einen Kunden, der eine Schwäche für das Zeug hat.«

»Araber?«

Rossis Blick ließ auf ein beträchtliches Reservoir an Gemeinheiten schließen.

»Vielleicht ist es ein Deutscher, Blum.«

»Warum nicht?«, meinte Blum mit einem Achselzucken.

»Wie viel Hefte hast du davon?«

»Noch zweihundert.«

»Schon ein paar verkauft hier?«

»Man muss schließlich leben.«

»Und du lebst tatsächlich davon – von diesen Heften?«

»Man nimmt, was kommt. Außerdem finde ich das nicht unmoralischer, als Cola zu verkaufen. Oder Tequila.«

»Ich meinte, ob du davon leben kannst. Diese Heftchen sind doch ziemlich, na, sagen wir – überholt?«

»Irgendein Kunde findet sich immer, nicht?«

Der Italiener lachte. Wenn er lachte, sah er gar nicht unsympathisch aus. Vielleicht lag es daran, dass seine Zähne ziemlich schlecht waren. Unter anderen Umständen hätte Blum mitgelacht. Aber seine Situation war zu lächerlich – und gleichzeitig zu desperat –, um mit einem Lachen darüber hinwegzukommen. Er trank lieber seine Margarita. Larry tat so, als betrachte er die Bilder. Das Pin-up-Girl lag jetzt auf dem Bauch, und die Dogge saß mit gespitzten Ohren neben ihr und starrte ins Haus.

»Also gut, kommen wir zum Preis. Hier, nimm noch einen. Margarita, das Dealergetränk, eh? Du bist doch auch ein Dealer, mein Bester, hab ich recht? Wir sind alle Dealer, sogar Larry ist Dealer, was, Larry?«

Der Australier hustete, wischte sich den Mund ab, starrte auf seinen Handrücken und sagte dann: »Es ist deine Party, Rossi.«

Rossi lachte und goss sich jetzt auch etwas in sein Glas. Blum vermutete, dass es pure Limonade war.

»Natürlich«, sagte Rossi, »ich gebe immer Partys. Ich liebe Partys. Kommst du auch zu meiner nächsten Party, Blum? Aber jetzt sag mal deinen Preis, avanti. Ich hab’s eilig.«

Er machte eine obszöne Geste Richtung Garten. Blum nannte seinen Preis. Rossi tat entrüstet.

»Aber das ist ja Wahnsinn! Sechshundert Dollar, das sind drei Dollar pro Heft! Mamma mia, ich glaube, du kennst deinen Markt nicht richtig …«

Aber Blum ging nicht davon ab. Da war Kairo, da war ein pakistanischer Großeinkäufer, der Saudi-Arabien belieferte. Nein, 600 Dollar waren angemessen.

»Und dann darfst du nicht vergessen – diese Dinger sind Klassiker auf ihrem Gebiet, wie ein Spitzenwein. Kopenhagen 1968, Mann, davon gibt es nicht mehr viele. Sieh mal hier – die Serie Frühlingserwachen, von Björn Söderbaum, was glaubst du, was ich dafür erst in Hongkong bekomme! Söderbaum, ein Genie in seinem Fach. Hier, da hat er zum ersten Mal die Technik des Kamera-Auges verwendet – die Perspektive der Dritten Dimension –, da steht ganz China Schlange, wenn ich damit komme …«

Rossi trat einen Schritt zurück und kniff die Augen zusammen, aber nicht, um Söderbaums Kunst zu würdigen.

»Ich habe dich richtig eingeschätzt, Blum. Dritte Dimension, porca Madonna. Okay, ich werde dir fünfhundert Dollar geben, und vielleicht kommen wir noch mal ins Geschäft.«

»Fünfhundertfünfzig, Rossi, und wir reden nicht mehr darüber. Da brauche ich dann aber auch hundert Dollar Anzahlung, sonst schließe ich doch mit dem Pakistani ab.«

Rossi hatte aber keine Dollar, und nach langem Gefeilsche einigten sie sich auf 40 maltesische Pfund. Rossi zählte das Geld ab.

»Bring mir die Hefte heute Abend um elf ins Phoenicia. Zimmer 523. Dann reden wir über eine andere Sache.«

Er blinzelte Blum zu und zeigte mit dem Kinn auf Larry, der inzwischen mit den Bildern fertig war und sich die Flaschen der Hausbar ansah. Blum nickte und steckte das Geld ein. Als sie gingen, warf er einen letzten Blick auf den Garten. Rossis Girl vertief‌te sich bereits in das Pornoheft, und auch die Dogge zeigte Interesse für Söderbaums geniale Technik in Frühlingserwachen.

Als sie später wieder im Playgirl an der Musikbox standen, sagte Blum: »Meinst du, er kauft die Hefte wirklich für einen Kunden?«

In Larrys Augen waren schon die Dschungel bei Da Nang zu sehen, und er zuckte nur mit den Achseln.

»Die fünfzig Dollar, die ich extra rausgeholt habe, bekommst du natürlich, alter Junge. Ich muss jetzt nur mal die Hotelrechnung anzahlen.«

»Hab ich dir die Geschichte erzählt, wie sie uns aus Versehen in dem Gebiet absetzten, das sie am Tag vorher mit Giftgas behandelt hatten?«

Während Larry den Horror auszutreiben versuchte, den er nie mehr austreiben konnte, beobachtete Blum, wie die Kakerlaken kopulierten und über die Plattentitel rutschten. Die Musik dröhnte ihre Horrorlieder, und Blum hatte Mühe, alles auseinanderzuhalten, den Horror der einen, die Lust der anderen und die eigenen Erinnerungen. Aber am Ende setzten sie sich immer durch gegen den Horror oder die Lust der anderen, die eigenen Erinnerungen, die größte Schweinerei auf Erden.