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ISBN 978-3-8005-1703-9

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© 2019 Deutscher Fachverlag GmbH, Fachmedien Recht und Wirtschaft, Frankfurt am Main


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Produktion: WIRmachenDRUCK GmbH, Mühlbachstr. 7, 71522 Backnang

Rechtsgrundlagen
des automatisierten
Fahrens

Standardessentielle Patente und Fahrzeugvernetzung,
Zulässigkeit und Zulassung, Haftungsrecht,
Datenschutz, Datensicherheit und Datenhoheit

von

Jürgen Ensthaler und Markus Gollrad

Fachmedien Recht und Wirtschaft | dfv Mediengruppe | Frankfurt am Main

Vorwort

Das vorliegende Buch ist im Rahmen einer wissenschaftlichen Studie zu den rechtlichen Rahmenbedingungen für automatisierte und vernetzte Verkehrssysteme am Fachgebiet Wirtschafts-, Unternehmens- und Technikrecht der Technischen Universität Berlin entstanden.

Die behandelten Rechtsbereiche umfassen die Problematik um standardessentielle Patente für die Datenübertragung, mit der sich die Fahrzeugindustrie im Hinblick auf die erforderliche Fahrzeugvernetzung mehr denn je konfrontiert sieht; die Zulässigkeit der automatisierten Fahrzeugsteuerung einschließlich der für Fahrzeughersteller bedeutsamen und dringenden Fragen zur Zulassung solcher Fahrzeuge für den Straßenverkehr; die Haftung, welche Hersteller und Nutzer gleichermaßen betrifft und ausschlaggebend für die gesellschaftliche Akzeptanz der Technologien ist; den Umgang mit Daten beim automatisierten und vernetzten Fahren, welche neben Vorgaben des Datenschutzrechts auch neue Konzepte für ein Recht an Daten mit dem Ziel einer fairen Datenwirtschaft umfasst.

Die angesprochenen Problembereiche werden in vier Abschnitten behandelt. Die Untersuchung geht wo immer möglich auf den technischen Sachverhalt ein. Das ist wichtig, weil Technik und Recht gerade im Bereich der Automatisierung in einem besonders engen Verhältnis stehen. Die Arbeit soll so einen Beitrag für eine praxistaugliche Rahmenordnung und die zügige Markteinführung des automatisierten Fahrens leisten.

Besonderer Dank gilt der wissenschaftlichen Mitarbeiterin Dipl.-jur. Duygu Üge für die wertvolle Arbeit zum Bereich Datenschutz, Datensicherheit und Datenhoheit und den studentischen Mitarbeitern Antanas Grimalauskas, Julius Simeon Gabor, Nils Fabig und Thomas Tergan für die umfassende Zuarbeit in juristischen und technischen Fragen.

Einen wesentlichen Beitrag am Entstehen dieser Arbeit haben schließlich zahlreiche Diskussionspartner aus der Industrie sowie den themenbezogenen Forschungsprojekten an der Technischen Universität Berlin, die mit vielen Hinweisen und Anregungen eine praxisnahe Auseinandersetzung erst möglich gemacht haben.

Berlin, Januar 2019

Prof. Dr. Dr. Jürgen Ensthaler

Markus Gollrad

Abschnitt 1 – Standardessentielle Patente und Fahrzeugvernetzung

1 Einleitung

Die Entwicklung von vernetzten Systemen bedarf einer umfassenden technischen Kompatibilität der beteiligten Endgeräte und der Infrastruktur. Um die Kompatibilität, aber auch ein hohes Maß an technischer Qualität sicherzustellen, schließen sich an der Herstellung derartiger Geräte und Systeme beteiligte Unternehmen bzw. deren Verbände zusammen, um einheitliche technische Standards zu definieren. Diese Verfahren der Standardisierung werden durch sog. Standard Setting Organizations (SSO) organsiert und begleitet.1 Der Hauptzweck dieser nichtstaatlichen Organisationen besteht in der Entwicklung und Aufrechterhaltung von Standards, indem Unternehmen eine Plattform zur Auswertung neuer Technologien geboten wird.2

Grundsätzlich kann jeder denkbare technische Standard auf Technologien basieren, die zugleich auch patentiert sind. Dann ist von sog. standardessentiellen Patenten (SEP) die Rede. Dies sind Patente für Technologien, die nach technischer Spezifikation des Standards unumgänglicher Bestandteil des Standards sind. Der betroffene Patentinhaber profitiert in diesem Fall nicht nur von exklusiven Verwertungsrechten aufgrund seines Patents, sondern auch von einer Verengung des Marktes infolge der Qualifizierung seiner Technologie als Standard.3 Die bedeutsame Frage, ob ein Patent überhaupt für die Verwirklichung des Standards essentiell ist, folgt dabei im Wesentlichen einer Selbsteinschätzung der jeweiligen Patentinhaber und wird von der SSO nicht gesondert geprüft.4 Mit der Kennzeichnung eines Patents als standardessentiell wird von den meisten SSOs die Abgabe einer sog. FRAND5-Erklärung verlangt, bei welcher der Patentinhaber gegenüber der SSO erklärt, dass er Lizenzen an seinem Patent allen Nutzern des Standards zu fairen und diskriminierungsfreien Bedingungen anbieten wird.6

Im Rahmen des automatisierten und vernetzten Fahrens sind derartige SEP für Telekommunikationsstandards – etwa 4G und künftig 5G – wesentlich. Die Technologien müssen in Form von entsprechenden Modulen ins Fahrzeug implementiert werden. Auch wenn an einer Technologie ein Standard besteht, so entscheidet grundsätzlich der Inhaber des SEP, ob und unter welchen Bedingungen er Fahrzeughersteller oder deren Zulieferer lizenziert. So kommt es in der Praxis verstärkt vor, dass das Machtgefälle zwischen Patentinhaber und Lizenzsucher zu Rechtsstreitigkeiten führt.

Von großer Bedeutung ist daher zunächst die Frage, wer Lizenzen benötigt und in welchem Umfang. Hierbei ist insbesondere innerhalb der Liefer- bzw. Wertschöpfungskette zu differenzieren, wobei unter anderem die Erschöpfung von Patentrechten zu beachten ist.

Ist eine Lizenz erforderlich, stellt sich die Frage, wann der Lizenzsucher einen Anspruch auf Erteilung einer entsprechenden Lizenz zu angemessenen Bedingungen hat. Durch die Herausarbeitung eines Pflichtenprogramms für SEP-Inhaber und Lizenzsucher hat der EuGH in seiner Huawei Entscheidung7 den hier bedeutsamen Begriff „FRAND“ zumindest im Hinblick auf die Frage beantwortet, wie Lizenzverträge zwischen SEP-Inhabern und Lizenzsuchern anzubahnen und durchzuführen sind, um als FRAND gelten zu können. Offen geblieben ist die Frage, welche Bedeutung FRAND im Hinblick auf die Berechnung fairer und angemessener Lizenzraten hat und welche Kriterien insoweit gelten.

2 Sachverhalt8

Standardessentielle Patente und ihre Lizenzierung sind innerhalb der Automobilbranche nichts Neues und in der Entwicklung und Herstellung herkömmlicher (d.h. nicht vernetzter) Fahrzeuge auch bisher alltägliches Geschäft. Sie können nicht nur teil-, hoch- oder vollautomatische Fahrfunktionen betreffen, sondern das gesamten Fahrzeug. Die Bandbreite der betreffenden Technologien und die Vielzahl der sie schützenden Patente sind sowohl qualitativ wie auch quantitativ selbst für technisches Fachpersonal nicht ohne weiteres zu überblicken. Diese Schwierigkeiten können jedoch branchenintern überwiegend fair, pragmatisch und diskriminierungsfrei gelöst werden, indem horizontal auf Herstellerebene wie auch vertikal mit Zulieferern, ganze Bündel von Patenten durch Kreuz-Lizenzierung oder Patentpools zu branchenüblichen Preisen an die jeweiligen Lizenzsuchenden verteilt werden. Die Interessenlage ist hier gleichgerichtet, da etwaige Patentstreitigkeiten dem Fortkommen der Branche insgesamt hinderlich sind.

Die Vernetzung der Fahrzeuge allerdings greift auf Technologien zurück, welche in der IT- und Telekommunikationsbranche entwickelt werden. Die Rede ist von mobilen Telekommunikationsstandards wie etwa 4G (LTE) oder 5G, die für die Vernetzung von Fahrzeugen und Infrastruktur implementiert werden müssen.9

Dieses Zusammentreffen der Automobilbranche mit der IT- und Telekommunikationsbranche ist verbunden mit einer Reihe von Schwierigkeiten.10 So betrifft dies etwa die in der IT- und Telekommunikationsbranche tendenziell größere Bereitschaft zu gerichtlichen Patentstreitigkeiten, das vermehrte Auftreten sog. Non-Practicing-Entities (NPE) bis hin zu sog. Patenttrollen oder Patenthaien, die über aggressiv geführte Prozesstätigkeit erheblich überhöhte Lizenzraten erwirken. Ferner unterhält die Fahrzeugbranche in der Regel kaum relevante Patente, die sich zur Kreuz-Lizenzierung mit den SEP-Inhabern der IT-Branche eignen und die Verhandlungsposition stützen könnten. Auch auf der rechtlichen Ebene sieht sich die Praxis mit Problemen konfrontiert. Zu diesen gehört der nach § 139 Abs. 1 PatG umfassend wirkende patentrechtliche Unterlassungsanspruch, welcher gerade im Fall von stark vernetzten Systemen zu einem vollständigen „Shut-Down“ mit unverhältnismäßigen wirtschaftlichen Einbußen führen könne.

Als weiteres Problem wird die im deutschen Patentrecht geltende Trennung von Verletzungs- und Nichtigkeitsverfahren ausgemacht, hier insbesondere die wesentlich unterschiedliche Verfahrensdauer sowie die geringe Aussetzungsrate der Verletzungsklagen.11 So würden nach Urteilen im schnelleren Verletzungsverfahren Schadensersatzzahlungen auf Basis von Patenten durchgesetzt, deren Nichtigkeit im parallelen Nichtigkeitsverfahren noch verhandelt werde. Gerade aber für die relevanten SEP liege die Nichtigkeitsrate bei ca. 80 %.12 Diese Umstände begünstigten SEP-Inhaber in der Durchsetzung von Verletzungsklagen gerade am Gerichtsstandort Deutschland und erkläre – unter anderem – die weltweit größte Anzahl13 entsprechender Patentstreitigkeiten außerhalb der USA.14

Die SEP-Inhaber betrauen zunehmend eine oder mehrere Patentverwertungsfirmen mit der Vermarktung ihrer SEP und der Verhandlung der Lizenzverträge mit Lizenzsuchern.15 Diese Patentverwerter bieten daher Pakete zur Lizenzierung an, in denen zahlreiche SEP unterschiedlicher Inhaber für bestimmte Anwendungsszenarien des technischen Standards gebündelt sind. Die Lizenzverträge werden dann nicht bezogen auf einzelne Patente, sondern auf Portfolios von Patenten geschlossen, welche die gesamte Lieferkette standardnutzender Endprodukte betreffen können.

Die Lizenzierung ganzer Patentbündel wird durch die Automobilindustrie an sich nicht bemängelt. Die Interessenlage auf Seiten der Fahrzeughersteller liegt darin, das Risiko eines Ausfalls der Nutzungsmöglichkeit infolge von Patenstreitigkeiten in jedem Fall zu verhindern. Der Fahrzeughersteller wird daher darauf hinwirken, Lizenzen für alle relevanten Patente eines Standards zu erhalten. Eine eingehende Untersuchung im Vorfeld dahingehend, ob die Patente tatsächlich für den Standard essenziell sind, ob alle im Bündel enthaltenen Patente für die beabsichtigte Nutzung im Fahrzeug erforderlich sind oder in Nichtigkeitsverfahren angegriffen werden könnten, ist aufgrund der enormen Anzahl praktisch nicht zu leisten.16 Es wird vielmehr überschlagsweise mit einkalkuliert, dass in den SEP-Paketen auch Patente enthalten sein können, die einer Nichtigkeitsprüfung nicht standhalten würden oder aber im Rahmen einer Nutzung durch den Fahrzeughersteller oder den Endkunden tatsächlich gar nicht berührt sind.

Als problematisch wird allerdings angesehen, dass die Lizenzen hauptsächlich an Fahrzeughersteller vergeben werden, während Zulieferer, die entsprechend patentnutzende Bauteile produzieren, entweder von den Patentverwertern übergangen werden oder aber ihrerseits Lizenzverträge verweigern. Einer der Gründe besteht darin, dass Fahrzeughersteller höhere Lizenzraten leisten können als Zulieferer, insbesondere im Hinblick auf die dann rückwirkend fälligen Lizenzgebühren für bereits verkaufte Fahrzeuge.

Im Zusammenhang hiermit steht die Frage nach einer fairen Bemessung der Lizenzgebühren. In der Praxis gängig ist die Verhandlung einer pauschalen Lizenzrate pro zu verkaufendem User-Device für alle Patente eines Portfolios.17 Für gerichtliche Streitigkeiten, die einzelne Patente betreffen, ist die Berechnung indes schwieriger. Die Ermittlung einer Lizenzrate kann hierbei nach unterschiedlichen Konzepte erfolgen. Insbesondere ist unklar, ob für die Grundlage der Berechnung an den Wert des für den Endkunden bestimmten Endgeräts, den Wert früherer Produktstufen oder aber eine rein abstrakte Bewertung der in den einzelnen Patenten geschützten Technologie angeknüpft werden soll.

Die im Zentrum der vorliegenden Untersuchung stehenden SEP zu den Standards 4G, 3G, 2G sind im Fahrzeug im Wesentlichen in einem Bauteil – dem Telekommunikationsmodul – enthalten18, welches regelmäßig in der auch das Navigationssystem umfassenden Head-Unit verbaut ist. Das Telekommunikationsmodul ist verantwortlich für Datenübertragungen und damit essentiell für die Kommunikation des Fahrzeugs mit anderen Fahrzeugen und der Verkehrsinfrastruktur (Car-to-X-Communication). Es enthält seinerseits als Kernbestandteile u.a. das Modem sowie die entsprechende Betriebssoftware. Die Herstellung der Head-Unit, des darin enthaltenen Telekommunikationsmoduls sowie des Modems erfolgt auf mehreren Zulieferstufen vorab. Der Fahrzeughersteller implementiert lediglich die fertige Head-Unit ins Fahrzeug.

Die Telekommunikationsstandards zeichnen sich in patentrechtlicher Hinsicht dadurch aus, dass sie sowohl Verfahrens-, Erzeugnis- wie auch Systempatente betreffen. Diese unterschiedlichen Kategorien bzw. Unterklassen von Patenten weisen unterschiedliche Schutzwirkungen auf. Häufig enthalten die Patente selbst auch eine Mischung unterschiedlicher Patentkategorien als Nebenansprüche. Erzeugnisansprüche haben bestimme Bauteile zum Gegenstand, Systemansprüche beziehen sich auf den Schutz eine Kombination mehrerer Bauteile und Verfahren betreffen bestimmte Methoden oder Abläufe. Hinsichtlich geschützter Software kommt sowohl ein Verfahrens- wie auch ein Erzeugnisschutz in Betracht.

3 Lizenzierung und Erschöpfung standardessentieller Patente

Die Frage, wer einen Anspruch auf eine Lizenz hat oder aber einer solchen gar nicht bedarf, steht in einem engen Zusammenhang mit der Erschöpfung von Patentrechten. Liegen die Voraussetzungen der Erschöpfung vor, ist für jede zeitlich nach dem Erschöpfungseintritt liegende Nutzung des betreffenden Gegenstands (d.h. weiterer Vertrieb oder gewerblicher Gebrauch) innerhalb der örtlichen Grenzen der Erschöpfungswirkung eine Zustimmung des Patentinhabers nicht mehr erforderlich. Ist die Erschöpfungslehre jedoch nicht anwendbar oder liegen deren Voraussetzungen nicht vor, so bestehen die Ausschließlichkeitsrechte des Patentinhabers fort; eine Lizenz ist entsprechend erforderlich für jeden, der die entsprechende Benutzungshandlung vornimmt.

Das Zusammentreffen von Erzeugnis-, System- und Verfahrensansprüchen des Standards führt vor allem zu Schwierigkeiten bei der Beurteilung der Frage, auf welcher Wertschöpfungsstufe Lizenzen für bestimmte Benutzungshandlungen erforderlich sind und wo eine Erschöpfung der Rechte eintreten kann. Im Folgenden wird die Anwendbarkeit der Erschöpfung auf einzelne Patentkategorien und die Auswirkungen auf Lizenzierung der SEP untersucht.

3.1 Grundlagen der Erschöpfung

Mit der Erschöpfung werden die in § 9 Satz 2 PatG umfassenden Ausschließungsrechte des Patentinhabers eingeschränkt, um die in Verkehr gebrachte Ware verkehrsfähig zu halten und einer zu weitgehenden patentrechtlichen Kontrolle durch den Patentinhaber zu entziehen.19 Der weitere Vertrieb sowie der bestimmungsgemäße Gebrauch20 der Ware soll patentrechtlich unbelastet, d.h. „patentfrei“ sein. Die Erschöpfungslehre soll die Verkehrsfähigkeit der Güter ermöglichen und die mehrfache Abschöpfung von Lizenzgebühren auf unterschiedlichen Stufen verhindern. Der Patentinhaber soll für jeden patentgeschützten Gegenstand nur einmalig eine Vergütung erhalten.

Der Tatbestand der Erschöpfung ist im Patentrecht nicht ausdrücklich geregelt21, jedoch in ständiger Rechtsprechung des BGH und auch EuGH anerkannt.22

Erschöpfung tritt ein, wenn eine patentrechtlich geschützte Ware durch den Patentinhaber oder mit seiner Zustimmung durch Dritte erstmalig in Verkehr gebracht23 wurde, das heißt „unter Begebung der eigenen Verfügungsgewalt in den Handelsverkehr, der Umsatz- und Veräußerungsgeschäfte zum Gegenstand hat, eingebracht wird“24. Erschöpfung kann daher etwa dann eintreten, wenn ein Zulieferer patentgeschützte Bauteile herstellt und sodann an weitere Zulieferer oder den Fahrzeughersteller verkauft.25

Die erforderliche Zustimmung zum Inverkehrbringen ist dabei als jede Form von Berechtigung26 zu verstehen, sei es infolge ausdrücklicher Lizenzvereinbarung, einer konkludenten Einwilligung oder patentrechtlicher27 oder kartellrechtlicher Zwangslizenz28. Wird ein Patent bereits durch Zulieferer benutzt (etwa durch Herstellung und Inverkehrbringen) und wendet sich der Patentinhaber für Lizenzvereinbarungen dennoch ausschließlich an dessen Abnehmer, so wird man auch die darin liegende Duldung der Patentnutzung des Zulieferers als Zustimmung auffassen müssen, solange der Zulieferer dem Patentinhaber bekannt war oder nicht unbekannt sein durfte. Der Patentinhaber bzw. dessen Patentverwerter sind in der Wahl ihrer Lizenzpartner innerhalb einer Lieferkette insoweit nicht frei. Entscheidend bleibt hierbei allein, auf welcher Wertschöpfungsstufe bzw. durch wen eine vom jeweiligen Patentschutz umfasste Benutzungshandlung vollständig vorgenommen wird.29

Der Eintritt der Erschöpfung hat zur Folge, dass jede Benutzung auf folgenden Vertriebsstufen bzw. der bestimmungsgemäße Gebrauch durch den Endkunden patentrechtlich frei ist, einer patentrechtlichen Zustimmung des Patentinhabers nicht mehr bedarf und entsprechend patentrechtliche Ansprüche aus § 139 PatG gegen die Nutzer dieser Ware nicht mehr bestehen.

3.2 Einschränkungen der Anwendbarkeit der Erschöpfungslehre

Die Anwendbarkeit der Erschöpfung im Patentrecht ist allerdings eingeschränkt. Die Lehre der Erschöpfung ist zunächst ausschließlich für die in § 9 S. 2 Nr. 1 PatG geregelte Kategorie der Erzeugnispatente entwickelt worden30 und hat seither insoweit unbestrittene Geltung.31 Wesenselement der Erzeugnispatente ist, dass sich die Erfindung auf Erzeugnisse bzw. Vorrichtungen bezieht, die hergestellt und dann als Gegenstände in einen Handelsverkehr eingebracht werden und dort zirkulieren können. Die Erschöpfungslehre betrifft ihrem Wesen nach Erzeugnisse als körperliche oder unkörperliche Gegenstände des Handelsverkehrs.32

3.2.1 Erschöpfung von Verfahrensansprüchen

Für die in § 9 S. 2 Nr. 2 PatG geregelten Verfahrenspatente ist eine Erschöpfung dagegen grundsätzlich nicht denkbar.33 Verfahrensansprüche schützen Maßnahmen, Tätigkeiten oder automatisierte Abläufe.34 Das Ausschließungsrecht des Patentinhabers beschränkt sich gem. § 9 S. 2 Nr. 2 PatG entsprechend auf das Anbieten und Anwenden des geschützten Verfahrens.

Verfahren lassen sich unterscheiden in Herstellungsverfahren, an deren Ende ein physisches oder chemisches Produkt steht35, Arbeitsverfahren36 und Verfahren zur Verwendung einer Sache.37 Eine Zustimmung ist dabei für jede Verfahrensanwendung auf allen Wertschöpfungsstufen einschließlich der Endkunden erforderlich.38

In der deutschen Rechtsprechung und Literatur ist eine Ausweitung der Erschöpfungslehre auf die in § 9 S. 2 Nr. 2 PatG geregelte Kategorie der Verfahrenspatente für bestimmte Sonderfälle39 einer Kombination von Vorrichtung und Verfahren diskutiert worden, in denen beide Patente demselben Inhaber zugehören.40 Gemeint sind hier Fälle, in denen eine gemeinfreie oder patentgeschützte Vorrichtung zur Herstellung in Verkehr gebracht wurde, die sinnvoll nur zur Anwendung des patentgeschützten (Herstellungs-) Verfahrens genutzt werden kann,41 es aber seitens des Patentinhabers an einer ausdrücklichen Erlaubnis zur Verfahrensanwendung fehlt.42

Das Reichsgericht war vereinzelt von einer Erschöpfung von Vorrichtungs- und Verfahrensanspruch ausgegangen.43 Der BGH hat sich dagegen in der Entscheidung Fullplastverfahren44 explizit mit der Erschöpfung von Herstellungsverfahren im Zusammenhang mit dem Inverkehrbringen der hierfür erforderlichen Vorrichtung befasst und hierbei eine Erschöpfung des Verfahrenspatents abgelehnt. Gegenstand dieser Entscheidung war ein Erzeugnispatent, das einen Teil der Vorrichtung zur Herstellung schützte (DE1629394), ferner ein Erzeugnispatent (DE1478123), welches sich auf Skier aus Kunststoff bezog (das herzustellende Erzeugnis) und ein drittes Patent, welches sich auf ein Verfahren zu Herstellung dieser Skier bezog (DE2143722). Die zu entscheidende Frage war, ob der Patentinhaber das Verfahren zur Herstellung an Lizenzgebühren knüpfen konnte, oder aber ob auch dieses Verfahren mit der Veräußerung der (teilweise geschützten) Herstellungsvorrichtung patentfrei geworden war. Der BGH wies darauf hin, dass die Erschöpfung für Verfahrenspatente nicht anzuwenden ist, unabhängig davon, ob die in Verkehr gebrachte Vorrichtung zur Herstellung ganz, teilweise oder nicht patentgeschützt ist. Vielmehr verbleibe dem Patentinhaber das Recht der Lizenzierung des geschützten Verfahrens.

Damit entschied der BGH gegen eine Erweiterung der Erschöpfung und für eine vertragliche Lösung: In der Veräußerung der zur Herstellung erforderlichen Vorrichtung unterstellt er die stillschweigende Lizenz zur Nutzung des Herstellungsverfahrens für den Fall, dass entsprechende Absprachen zur Nutzung nicht getroffen sind. Er ergänzt: „Damit ist indessen nichts darüber gesagt, unter welchen näheren Bedingungen eine solche Lizenz erteilt werden kann, insbesondere, ob sie entgeltlich oder unentgeltlich gewährt wird.“45 Die Entscheidung knüpft insoweit an die bereits von Joseph Kohler Ende des 19. Jhd. entwickelte Lehre der „stillschweigenden Lizenz“ für geschützte Verfahren im Zusammenhang mit dem Inverkehrbringen von Vorrichtungen an.46 Diese Lehre regelt damit aber lediglich den Fall, in dem bei Veräußerung der Vorrichtung keine weiteren Absprachen zur Verfahrensnutzung getroffen wurden. Eine ausdrückliche Lizenzierung bleibt freilich ebenfalls möglich.

Allerdings sieht der BGH in Fällen, in denen sich das Verfahrenspatent auf die bloße bestimmungsgemäße Verwendung der ebenfalls geschützten Vorrichtung beschränkt, eine andere Lösung vor. In der Entscheidung Handhabungsgerät47 zum Rechtschutzbedürfnis an einem zusätzlichen Verfahrensanspruch als Nebenanspruch begründete der BGH das Fehlen des Rechtsschutzbedürfnisses unter anderem mit einem Verweis auf den Erschöpfungsgrundsatz. Gegenstand war die Frage, ob ein Verfahrensanspruch schutzfähig ist, welcher sich auf die Verwendung des im Hauptanspruch geschützten Wartungsgeräts bezieht. Der BGH lehnte dies ab, denn „[s]eine Verbietungsrechte kann der Schutzrechtsinhaber nur ein einziges Mal, und zwar bei der ersten Veräußerung der patentgeschützten Sache, geltend machen (vgl. Sen. GRUR 1997, 116, 117 – Prospekthalter). Die patentierte Vorrichtung zu veräußern und sich gleichzeitig deren bestimmungsgemäße Verwendung mit patentrechtlichen Mitteln vorzubehalten, ist ihm verwehrt.“48 Dies muss so gewertet werden, dass der BGH Fälle von gleichzeitigem Schutz von Vorrichtung und Verfahren zur (bloßen) bestimmungsgemäßen Nutzung der Vorrichtung über patentrechtliche Nichtigkeitsverfahren zu lösen gedenkt, aber gerade nicht über einen erweiterten Erschöpfungseinwand im Patentverletzungsverfahren.49

Späteren Entscheidungen des BGH ist eine abweichende Auffassung nicht zu entnehmen.50 Eine Ausweitung der Erschöpfung auf die Kategorie der Verfahrenspatente wurde damit in mehreren Konstellationen abgelehnt und – für den Fall, dass für die Verfahrensnutzung keine Abreden getroffen wurden – auf die Theorie der stillschweigenden Lizenz verwiesen. Geschützte Verfahren stehen folglich auf jeder Vertriebsstufe sowie beim Endkunden unter dem Zustimmungsvorbehalt des Patentinhabers.

Auf Ebene der Obergerichte wird seither in diesem Sinne entschieden. Hierbei ist weiter präzisiert worden, dass die Erschöpfungsvoraussetzungen in diesen Fällen anspruchsbezogen zu prüfen sind, unabhängig davon, ob Vorrichtungs- und Verfahrensansprüche in einem Patent kombiniert oder als separate Patente geschützt sind.51

In der Literatur wird dagegen eine (analoge52) Anwendung der Erschöpfungslehre weiterhin nicht ausgeschlossen.53 Sie solle insbesondere in den Konstellationen Abhilfe schaffen, in denen die Erschöpfungswirkung bezüglich der Vorrichtung ins Leere liefe, da jede Verwendung der Vorrichtung gleichwohl durch den(selben) Patentinhaber untersagt werden und daher nicht frei gebraucht werden könne.54 Insbesondere in der US-amerikanischen Rechtsprechung ist mit diesem Argument eine Erschöpfung von Verfahrenspatenten angenommen worden.55

Selbst wenn man dem BGH in den entschiedenen Fällen zu Herstellungsverfahren und Verwendungsverfahren folgt, ist die geführte Diskussion von Bedeutung, da der Anteil an Verfahrenspatenten, insbesondere im Zusammenhang mit computerimplementierten Erfindungen, hoch ist. Wenn hier mangels Erschöpfung weiterhin Lizenzen für jede Verwendung der betreffenden, sich im Handelsverkehr befindlichen Gegenstände erforderlich sind, kann dies durchaus zu einer unerwünschten Belastung des Verkehrs führen. Überlegungen, dem Erschöpfungsgrundsatz und seinem Zweck, den Verkehr von patentrechtlichen Belastungen frei zu halten, mehr Geltung zu verleihen, sind daher nicht unbegründet.

3.2.2 Erschöpfung von Systemansprüchen

Neben der Anwendbarkeit der Erschöpfungslehre auf Verfahrensansprüche bestehen auch bei sog. Systemansprüchen Schwierigkeiten. Systemansprüche56 sind erschöpfungsfähige Erzeugnisansprüche, bei denen die geschützte Lehre ein System betrifft, das aus einer Kombination mehrerer, auch nicht patentgeschützter (Bau-)Elemente und deren Zusammenspiel besteht. Wird nur ein Teil dieses Systems, etwa einzelne Elemente, in Verkehr gebracht, stellt sich die Frage, ob dennoch der Systemanspruch erschöpfen kann.

Zur Lösung dieser Fälle wird ein sog. „erweiterter Erschöpfungsbegriff“57 diskutiert, wonach die Erschöpfung des betreffenden Anspruchs auch dann ausgelöst werden soll, wenn zumindest wesentliche Elemente der geschützten Erfindung in Verkehr gebracht werden.58 Als Grund hierfür wird angeführt, dass andernfalls innerhalb einer Wertschöpfungskette eine Erschöpfung nur dann eintrete, wenn der Patentinhaber mehrmals seine Zustimmung erteile.59 Dies führe dazu, dass der Patentinhaber in der Summe unberechtigter Weise höhere Lizenzgebühren erlangen könne.60

Dieser Auffassung wird jedoch in der Rechtsprechung und der herrschenden Literatur nicht zugestimmt.61 Erschöpfung kann nur eintreten, wenn ein berechtigtes und vollständiges Inverkehrbringen vorliegt;62 eine Erschöpfung durch teilweises Inverkehrbringen gibt es dagegen nicht. Für den Fall von Systempatenten wird darüber hinaus argumentiert, dass einzelne Komponenten des Systems bereits keine Elemente darstellen, die die Erfindung verkörpern63; daher liegt in diesen Fällen bereits kein vollständig hergestelltes System vor.

Der BGH hat in der Entscheidung Mikroprozessor64 ein Rechtsschutzbedürfnis betreffend einen Systemanspruch neben dem Hauptanspruch trotz „übereinstimmenden Schutzinhalts“ bejaht und – ähnlich der Entscheidung Handhabungsgerät – auch für diesen Fall auf die Anwendung der Grundsätze der Erschöpfung verwiesen. Gegenstand dieser Entscheidung war ein Patent zu einem Mikroprozessor (DE19781850) mit insgesamt 19 Patentansprüchen. Patentanspruch 1 betraf den Mikroprozessor an sich, dessen besondere Merkmale in der Verarbeitung bestimmter Befehle lag. Patentanspruch 19 betraf ein „Computersystem“, bestehend aus dem Mikroprozessor (Ansprüche 1–9) sowie einem Speicher und einem Bus, die in der in den Voransprüchen beschrieben Weise zusammenwirken.65 Streitgegenstand war hier die Frage des Rechtsschutzinteresses an einem Nebenanspruch („Computersystem“, Anspruch 19), wenn der Hauptanspruch (Mikroprozessor, Anspruch 1) ein Element des Computersystems darstellt. Das BPatG hatte das Rechtsschutzbedürfnis verneint, da der Schutzbereich identisch sei; der BGH dagegen sah das Rechtsschutzbedürfnis als gegeben an66, da hierin trotz übereinstimmenden Schutzbereichs nicht eine mehrfache Patentierung ein und desselben Gegenstands liege.67 Abschließend bemerkt der BGH nur knapp, dass „Soweit sachliche Überschneidungen im Schutzbereich der Patenansprüche 1 und 19 in Betracht kommen, sind diese über den Grundsatz der Erschöpfung des Patentrechts zu lösen.“68

Im Gegensatz zur Entscheidung Handhabungsgerät, wo für die Lösung einer Schutzbereichsüberlagerung für Verfahren und Vorrichtung bereits die Schutzfähigkeit des Verfahrens abgelehnt wurde, ist hier ein anderer Weg eingeschlagen worden. Der Systemanspruch ist hier als eigene erfinderische Lehre anerkannt worden, die über den bloßen Schutz einzelner Bestandteile hinausgeht, sodass sich der Schutzgegenstand von Vorrichtung und dem System, in dem diese Vorrichtung integriert ist, nicht deckt. Da der BGH ein teilweises Inverkehrbringen für den Erschöpfungseintritt nicht als ausreichend anerkennt, ist der Hinweis auf die Grundsätze der Erschöpfung daher so zu verstehen, dass für Systemanspruch und Vorrichtungsanspruch jeweils separat zu prüfen ist, ob ein vollständiges (berechtigtes) Inverkehrbringen vorliegt. Die Erschöpfung tritt damit unabhängig für Vorrichtung und System ein.

3.2.3 Weiter Anwendungsbereich der Erschöpfung in den USA

Der US Supreme Court hat mit der Entscheidung Quanta vs. LGE im Jahr 2008 den Anwendungsbereich der Erschöpfung auf Verfahrensansprüche ausgeweitet69. Gegenstand des Rechtsstreits war ein Patent von LG Electronics, welches Verfahrens- und Systemansprüche unter anderem für das Abrufen aktueller Daten aus einem Arbeitsspeicher, die Koordination der Lese- und Schreibaufträge und die Übermittelung über entsprechende Datenbusse enthielt.70 Der Mikroprozessor und weitere Mikrochips, durch welchen die entsprechenden geschützten Verfahren ausgeführt werden, wurden durch den beauftragten Lizenznehmer der Patentinhaberin verkauft.

Das Gericht urteilte, dass die Verfahrensansprüche derart in den verkauften Produkten verkörpert seien, dass auch sie mit Inverkehrbringen erschöpfen müssten. Andernfalls würde der Erschöpfungsgrundsatz ausgehöhlt, da er durch geschickte Formulierung von Verfahrensansprüchen bei fast jeder Erfindung umgangen werden könne.71

Bezüglich der Systemansprüche ist in den USA in der Entscheidung United States vs. Univis72 der Grundsatz aufgestellt worden, dass eine Erschöpfung dann eintritt, wenn das verkaufte Produkt die wesentlichen Merkmale der Erfindung verkörpert und durch den Käufer nur sinnvoll dazu verwendet werden kann, gemäß der patentierten Lehre fertig gestellt zu werden. In der genannten Entscheidung zu Quanta vs. LGE wurde aufbauend darauf weiter präzisiert, dass für die Beurteilung der Frage, ob in einem Produkt die wesentlichen Merkmale der Erfindung verkörpert sind, maßgeblich ist, ob der darauffolgende Schritt des Fertigstellens oder Zusammenfügens zu einem System „gewöhnlich“ und „nicht erfinderisch“ ist. Davon ist auszugehen, wenn die Verwendungsmöglichkeiten durch die Produktgestaltung selbst bereits vorgegeben sind.73

Nach diesen Grundsätzen ist im vorliegenden Fall, wo ein vollständiges Telekommunikationsmodul ins Fahrzeug implementiert wird, eine Erschöpfung weitaus häufiger denkbar. Die patentgeschützten Verfahren dürften vorliegend – soweit es sich um Arbeitsverfahren in Form von Software handelt – so in dem Modul verkörpert sein, dass dessen Inverkehrbringen auch eine Erschöpfung des Patentanspruchs für das darauf ablaufende Verfahren auslöst. Auch zahlreiche Systemansprüche dürften in dem Modul zumindest bereits mit den wesentlichen Merkmalen verkörpert sein. Insoweit bedürfen daher sowohl der Fahrzeughersteller wie auch dessen Endkunden keiner Lizenz für den Vertrieb und die Nutzung des Moduls im Fahrzeug. Der Großteil der Lizenzen für SEP betrifft stattdessen die Zulieferer. Dennoch trifft auch den Endhersteller eine Lizenzpflicht, insoweit etwa Systempatente oder Verfahren außerhalb des Moduls betroffen sind.

3.3 Auswirkung auf die Lizenzierung

3.3.1 Lizenzpflicht

Die obigen Ausführungen basieren auf einer patentrechtlichen Beurteilung, die nach Schutzbereich, Benutzungshandlung und etwaigen Schranken des Patentschutzes (insb. Erschöpfung) unterscheidet. Eine Lizenzierung ist dabei nur dann möglich und erforderlich, wenn eine vom einzelnen Patent umfasste Benutzungshandlung erfolgt und eine Erschöpfung für den zu benutzenden Gegenstand noch nicht eingetreten ist. Die Lizenz des Patentinhabers kann sich dabei nur auf die von der jeweiligen Patentwirkung umfassten Benutzungshandlungen beziehen, da nur insoweit ein Verbotsrecht besteht, § 9 Satz 2 PatG.

Nach all dem müsste grundsätzlich im Vorhinein einer Lizenzierung beurteilt werden, wo und durch wen eine Benutzungshandlung stattfindet und welche Patentrechte erschöpft sind oder aber noch fortbestehen. Dies ist für jeden Patentanspruch separat zu prüfen.75 Soweit ein Patent eine bestimmte Benutzungshandlung aber nicht schützt oder Erschöpfung eingetreten ist, kann eine Lizenzierung nicht erfolgen, da ein Ausschließlichkeitsrecht insoweit nicht besteht. Wird in diesen Fällen dennoch lizenziert, kann dies Schadensersatzforderungen begründen und kartellrechtswidrig sein.76

3.3.2 Lizenzierungspraxis bei SEP

Diese Differenzierung erfolgt allerdings in der Praxis der SEP-Lizenzierung nicht. Der Versuch, vor Lizenzierung bei jedem der mehreren tausend SEP nach Vorrichtungs-, Verfahrens- oder Systemansprüchen zu differenzieren und auf eine Erschöpfung zu prüfen, stößt aufgrund der großen Vielzahl an SEP an praktische Grenzen. Hinzu kommt der enorm hohe Grad technischer Spezialisierung der einzelnen Patente, der es selbst Experten nicht ohne weiteres erlaubt, im konkreten Fall den Umfang der Nutzung einzelner Patente auszumachen.

Die Lizenzierung von SEP richtet sich in der Praxis regelmäßig pauschal danach, ob ein bestimmtes (End-)Produkt den fraglichen Standard verwendet. Die Entwicklung geht ferner dahin, dass immer mehr SEP-Inhaber durch Verwertungsagenturen vertreten werden, wobei die SEP mehrerer Inhaber zu umfassenden Portfolien gebündelt werden.77 Die Lizenznehmer erwerben die Berechtigung, den Standard in ihren Produkten zu implementieren bzw. ihren Endkunden das Recht weiterzugeben, den Standard in den Endprodukten zu nutzen. Die Preisgestaltung folgt dieser Prämisse entsprechend, indem der Mehrwert, den der Standard für das betroffene (End-)Produkt habe, zum entscheidenden preisbildenden Kriterium erklärt wird.

Vor allem Gründe der Wirtschaftlichkeit sprechen dafür, standardessentielle Patente auf diese Weise pauschal im Ganzen als Portfolio zu lizenzieren,78 selbst wenn das umfassende Portfolio durch die Lizenznehmer im Hinblick auf deren Benutzungsprofil gar nicht benötigt wird.79 Diese Lizenzierungspraxis dürfte für den Patentnutzer wie auch den Patentverwerter wirtschaftlich der effizienteste Weg sein, mit dem „Patentdickicht“ oder der Überlagerung verschiedener Anspruchskategorien umzugehen und das Risiko von Lizenzlücken und Verletzungsklagen zu vermeiden.80

3.3.3 Stellungnahme

Die Lizenzierung von SEP in möglichst großen Portfolien, die pauschal an die Nutzung des Standards in bestimmten (End-)Produkten anknüpft, ist wirtschaftlich sinnvoll und dürfte zum Vorteil aller Beteiligten führen.81 Dennoch können die oben ausgeführten patentrechtlichen Gesichtspunkte nicht völlig außer Betracht gelassen werden.

Der von Endherstellern vorgebrachte Einwand, dass sie nicht sämtliche Lasten und Kosten aus einer umfassenden Lizenzierung alleine tragen könnten, sondern auch Zulieferer in die Pflicht genommen werden müssten, insoweit diese die SEP nutzen, folgt dem vom Patentrecht vorgesehenen Prinzip, dass nur denjenigen eine Lizenzpflicht trifft, der entsprechende Benutzungshandlungen tatsächlich durchführt. Auch aus kartellrechtlicher Sicht ist die Kritik berechtigt, da der Patentinhaber sich bei der Lizenzierung in diesen Fällen außerhalb des Schutzumfangs des Patents bewegt. Das LG Düsseldorf hat in diese Richtung entschieden und eine willkürliche Lizenzierung auf späteren Wertschöpfungsstufen als nicht FRAND eingestuft.82

Es ist daher erforderlich, innerhalb einer Lieferkette zu einem Ausgleich der Lasten infolge der Nutzung des Standards zu kommen, der sich an diesen patent- und kartellrechtlichen Grundsätzen orientiert. So ist sicherzustellen, dass ein Hersteller von Modems ebenso zu anteiligen Lizenzzahlungen verpflichtet wird wie der Hersteller von Telekommunikationsmodulen oder aber der Fahrzeughersteller (zugleich für seine Kunden) im Rahmen der Nutzung im Endprodukt. Hierbei müssen als Richtwert die vorgenommenen patentgeschützten Benutzungshandlungen dienen, nicht die Frage, ob oder inwieweit ein (Zulieferer-)Produkt den Standard bereits verwirklicht.83

Um diese Lastenverteilung innerhalb der Lieferkette zu erreichen, sind grundsätzlich zwei Modelle denkbar:

  • 1. Entweder, man verlangt von Patentverwertern, die umfassenden Portfolien auf die jeweiligen Stufen der Wertschöpfungskette zuzuschneiden, in denen die betreffenden patentrechtlichen Benutzungshandlungen typischerweise tatsächlich vorgenommen werden, wobei diejenigen SEP auszunehmen sind, die auf diesen Wertschöpfungsstufen regelmäßig nicht benutzt werden oder erschöpft sind. Hierbei wäre auch vertretbar, im Sinne einer Zweckübertragung84 die zu lizenzierenden Berechtigungen produktbezogen zu umschreiben, ohne diese im Einzelnen zu nennen.

  • 2. Oder, man bleibt bei der – offenbar auch von den Patentverwertern favorisierten – Praxis, die pauschale Lizenzierung des vollständigen Portfolios an einer Stelle der Wertschöpfungskette vorzunehmen, mithin die gesamte Lieferkette pauschal zu lizenzieren, jedoch mit der Berechtigung bzw. Verpflichtung zur Unterlizenzierung oder Übertragung, soweit die Patentnutzung auf anderen Stufen erfolgt. Es läge dann am Lizenznehmer, den übrigen Betroffenen die sie betreffenden Berechtigungen ggf. zweckgebunden einzuräumen.

Für die erste Alternative mag sprechen, dass nach der Entscheidung des EuGH zu Huawei/ZTE vorgesehen ist, dass der Patentinhaber (oder sein Verwerter) den Patentnutzer auf die von ihm verletzten Patente hinzuweisen und zugleich offenzulegen hat, welche Patente durch welche Benutzungshandlungen betroffen sind.85 Zudem trifft ihn eine Marktbeobachtungspflicht, aufgrund derer sich der Patentverwerter nicht darauf zurückziehen kann, dass ihm etwaige andere Verletzer unbekannt wären.86 Dieser Aufwand, das Portfolio einer Analyse zu unterziehen und nach bestimmten Benutzungsprofilen aufzuteilen, würde demnach dem anbietenden Patentverwerter aufzuerlegen sein. Ferner könnte man argumentieren, mit der pauschalen Lizenzierung von Patentportfolios, vor allem am Ende der Wertschöpfungskette, würde der Verwerter ungerechtfertigt bevorteilt, da er teilweise für Benutzungshandlungen vergütet würde, die vom Endhersteller selbst gar nicht vorgenommen werden, und er hierbei einen am Endprodukt orientierten höheren Preis ansetzen könnte. Allerdings stellen sich gerade dann schwierige Fragen im Hinblick auf die alternative Grundlage der Berechnung wie auch der Berechnungsmethode.87

Für die zweite Alternative spricht, dass gerade die in der Pauschalierung liegende Verringerung von Transaktionskosten den Portfoliopreis sowie den Aufwand auf beiden Seiten erheblich senken kann (Effizienzsteigerung88). Zudem kann zB der Endhersteller seinerseits die Unterlizenzierung und den Ausgleich für die von ihm umfassend geleistete Lizenzvergütung mit seinen Zulieferern im Rahmen der ohnehin bestehenden Lieferverträge leichter aufnehmen. Zwar ist der Endhersteller mit Lizenzverhandlungen über (Zulieferer-) Technologien konfrontiert, die er selbst nicht im Detail kennt, sondern lediglich zukauft. Jedoch erlaubt die zweite Alternative eine größere Transparenz und vereinfacht die Preisgestaltung gegenüber den Patentverwertern. Die Bemessung des Portfoliopreises (der zugleich Grundlage für die anteilig zu berechnenden die Unterlizenzen ist) beschränkt sich dann – sachgerecht – auf den konkreten Nutzungsvorteil, den der Endhersteller durch Nutzung des Standards in seinem Produkt erlangt, sowie auf die typischer Weise zu erwartende Intensität der Nutzung im Endprodukt. Umgekehrt wäre allerdings auch denkbar, einem Zulieferer umfassende Lizenzen einzuräumen, die dieser dann entlang der Wertschöpfungskette weitergibt.

3.4 Auswirkung auf den Verletzungsfall

Kommt es trotz dieser Lizenzierungspraxis zum Vorwurf fehlender Lizenzen,89 dürften entsprechende Verletzungsklagen regelmäßig nicht an den Endkunden, sondern an den Fahrzeughersteller oder Zulieferer gerichtet werden,90 da dies für den Patentinhaber den größten Erfolg verspricht.91 Allerdings gelten hier die durch den EuGH entwickelten Grundsätze über die kartellrechtlichen Anforderungen an eine Verletzungsklage.92

Die gerichtliche Praxis hat aufgrund der engen faktischen Verknüpfung von Standard und SEP Darlegungserleichterungen für den Patentinhaber anerkannt.93 Soweit ein Standard ein dem Klagepatent entsprechendes Vorgehen obligatorisch vorschreibt und sich belegen lässt, dass der Beklagte den fraglichen Standard beachtet, kann der Benutzungstatbestand unter substantiiertem (d.h. jedes einzelne Anspruchsmerkmal in Regelwerk nachweisenden) Verweis auf den Standard dargetan werden.94 Die Klageschrift muss daher nicht auf die einzelnen Merkmale des verletzenden Produkts des Beklagten eingehen. Allerdings wird vorausgesetzt, dass der SEP-Inhaber jedenfalls die Kategorie der technischen Funktionalität des Standards in einer solchen Weise benennt, dass der vermeintliche Verletzer nun wieder der grundsätzlich ihm obliegenden Pflicht, die Schutzrechtslage zur prüfen, gerecht werden kann.95

Die Verknüpfung von Standard und Patent, das heißt, die Essentialität des Patents für den Standard, wird regelmäßig allein dadurch begründet, dass der Patentinhaber gegenüber der Standard Setting Organization (SSO) erklärt, dass sein Patent standardessentiell sei. Dies kann für den Patentinhaber den Vorteil bringen, dass er schon wegen dieser Erklärung von Darlegungserleichterungen im Klageverfahren profitiert. Dies ist wegen der gerade im Softwarebereich bestehenden Unübersichtlichkeit der Patente fraglich. Der Patentinhaber sollte weiter verpflichtet sein, den Nachweis zu erbringen, dass durch die Nutzung der Standards zwingend auch in das Klagepatent eingegriffen wird.

Der Beklagte hat – neben dem Zwangslizenzeinwand – Gelegenheit, entweder die Standardessentialität anzugreifen und darzulegen, dass das Patent tatsächlich in der Produktausführung nicht gebraucht werde, oder aber die Erschöpfung einzuwenden.96 Dies stößt aber auf erhebliche praktische Schwierigkeiten. Die große Komplexität der bei den Standards betroffenen Technologien und die Kumulation von zahlreichen Erzeugnis-, Verfahrens- und Systemansprüchen in zahlreichen Patenten erfordern für eine eingehende Analyse erhebliche Ressourcen und technisches Know-How. Selbst wenn es dem Patentnutzer gelingt, etwa die Erschöpfungsvoraussetzungen nachzuweisen, werden häufig weitere Verfahrens- oder Systemansprüche einer Erschöpfung im Weg stehen. Die EU-Kommission fordert daher, einheitliche Methoden wie das Stichprobenverfahren zu entwickeln und anzuwenden, die der Portfoliolizenzierung entsprechend eine effiziente und wirksame Streitbeilegung ermöglichen.97