Die Seite für die großen Worte …

… dabei ist die Sache doch so einfach:

Der Autor hofft, dass die Leser so viel Spaß beim Lesen der Geschichte haben wie er sie beim Schreiben hatte.

Aber bevor’s losgeht: Ganz herzlichen Dank an Frank, ohne dessen Hilfe die Geschichte niemals in Buchform erschienen wäre.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

© 2020 JOH

Fotos Titelseite:

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Layout und Umschlaggestaltung: JOH

Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 978-3-7504-4815-5

Inhalt

Prolog

Das Jahr 2269

Die Menschheit lebt nur noch in Städten mit der Mindesteinwohnerzahl von einer Million. Die größte hat die Schallgrenze von 70 Millionen überschritten, ist schon längere Zeit eine Art Stadtstaat. Technisch hat sich die Menschheit sehr weit entwickelt und ein Ende ist noch lange nicht absehbar. Emotional ist der Mensch allerdings auf demselben Stand wie vor mehreren Jahrhunderten. Der Satz »In jedem steckt ein Neandertaler« hat seine Gültigkeit niemals verloren. Auch im Jahr 2269 lässt sich der Mensch nur allzu gerne leiten von seinem Sexualtrieb, seiner Genusssucht, der Lust zur Zerstreuung. Immerhin hat es schon ewig lange keine Kriege mehr gegeben, schließlich gibt es keine Nationen mehr, und um lebenswichtige Ressourcen braucht man sich ebenfalls nicht mehr zu streiten. Das heißt aber nicht, dass die Menschen untereinander immer nett sind. Physische Kriminalität, um sich Güter ohne zu arbeiten anzueignen, ist genauso alltäglich wie Betrügereien und Übervorteilung. Eitelkeit ist weit verbreitet, die auch mal einhergehen kann mit Rücksichtslosigkeit anderen gegenüber. Viele inszenieren sich gerne, haben auch viele Wege dies zu verbreiten. Große Monitore, dünn wie Kunststofffolie, viele deshalb durch Fernsteuerung mobil und überall einsatzfähig, beherrschen das Bild der Städte. Sie sind allgegenwärtig, sei es in den Straßen, sei es in den Wohnungen. In der Öffentlichkeit sind sie auf verschiedenen Ebenen angebracht, weil ein Navigationssystem die Gleiter, mit denen sich die Menschen fortbewegen, sollte der Zielort mehr als wenige Minuten zu Fuß entfernt sein, durch vier unterschiedliche Höhen leitet. Zumindest in den Mega-Metropolen mit ihren vielen Straßenzügen, in denen ein fünfzigstöckiges Gebäude neben dem anderen steht wie an einer Perlenschnur aneinandergereiht.

Eine Form der Eitelkeit wird bestens bedient durch den seit ein paar Jahren herrschenden sehr populären Superhelden-Kult. Die Modebranche hatte generell das Thema Retro aufgegriffen, welches sich erstaunlicherweise schon fast zwei Jahrzehnte hält. Die Menschen tragen wieder Jeans und Lederjacken – natürlich mit den aktuellsten Synthetics hergestellt, nicht aus Baumwolle oder Tierhäuten. Und eben vor vier Jahren hat die Branche das Superhelden-Thema neu entdeckt, was sich schnell verselbständigt hat.

Es eignet sich wunderbar zur Selbstinszenierung, zur Profilierung, sich als Individualist darzustellen. Reiche Männer haben für sich selbst, öfter für ihre Söhne, seltener für ihre Töchter, fähige Wissenschaftler, Techniker und Ingenieure angestellt, ihnen spezielle Hilfsmittel zu entwickeln. Beziehungsweise werden Wissenschaftler, Techniker, Ingenieure für Projekte bezahlt. Die Auftraggeber erhalten somit diverses Rüstzeug, was sie zu Dingen befähigt, die die Möglichkeiten der Allgemeinheit übersteigt. Wenn man sie denn gekonnt einzusetzen weiß, was nicht jedem gelingt. Z. B. dass man an Fassaden hochklettern kann, weil das Superheldenkostüm über erstaunliche Hafteigenschaften verfügt. Oder durch einen Trank den Körper kurzzeitig so hart wie Stahl zu machen. Mitunter sind auch zwei oder drei Eigenschaften miteinander kombiniert, was nicht zuletzt von der Finanzkraft bzw. dem Finanzierungswillen des Auftraggebers abhängig ist.

Mit diesen Fähigkeiten, und natürlich in einem Aufmerksamkeit erregenden Kostüm steckend, gehen sie dann meist nachts je nach Antriebswillen mehr oder weniger oft auf Ganovenjagd. In der Mehrzahl trifft es Kleinkriminelle. Ziel ist es, medial in Erscheinung zu treten, innerhalb der Nachrichten auf den riesigen Monitoren gesehen zu werden und dadurch Berühmtheit zu erlangen.

In etlichen Städten gibt es mittlerweile diese so genannten (und selbst ernannten) Superhelden. Je nach Größe nur einen oder mehrere.

Innerhalb dieser Schar an Helden durch Technik gibt es einen, der seine Fähigkeiten nicht auf diese Weise erworben hat. Gleich mehrere Genmutationen sind dafür verantwortlich – eine Laune der Natur. Äußerlich sieht man es ihm nicht an, doch er wird sich den Teufel scheren dieses Geheimnis preiszugeben. Er möchte nicht als Freak vor den anderen dastehen.

Die Geschichte begann vor einigen Monaten in einer dieser kleineren Städte mit etwas über einer Million Einwohnern. Sie heißt Fortuneville und gilt angesichts der Größe anderer Städte als bieder und verschlafen …

Kapitel 1:

O fick die Henne!

Ein typischer Vormittag im Januar

»Heute war Brad besonders fies zu mir. Erst hat er mir die Hose runtergezogen, dann bäuchlings auf sein Schwebeboard geschmissen und mich durch den ganzen Flur per Touch-Card gesteuert. Jeder konnte es sehen, jeder hat mich ausgelacht.«

Derjenige, dem dieses böse Tun vorgeworfen wurde, las es laut und deutlich vor, mit hörbar viel Vergnügen. Aber auch die anderen, die lachend in einer Menschentraube standen, konnten lesen was der Reflektor des XT590 als Hologramm mitten in den Raum strahlte. Brad hatte sich genau dieses handliche Gerät, in welches die Studenten all ihren Schulstoff, all ihre Notizen eintippen oder einsprechen, gemopst. Unachtsamer Weise lag es geöffnet da, nicht geschlossen durch den Fingerabdruck des Besitzers. Ziel des Grobians war die Hausaufgabe zu kopieren, die er niemals auch nur halbwegs annähernd in dieser Qualität selbst hätte lösen können. Diese Notizen, die selbstverständlich nichts mit dem Unterricht zu tun hatten, waren für ihn aber viel interessanter.

»Es würde mir leichter fallen, würde ich nichts für ihn empfinden.«, fuhr er fort, dabei versuchend die Stimme des Schreibers der Notiz nachzuäffen. »Aber vielleicht erkennt er doch einmal, was er an mir hat. Was kann ich dafür, dass ich ihn so attraktiv finde? So gerne würde ich ihm nach dem Sport die Müdigkeit aus den Muskeln streicheln. Ihn mit warmem Öl verwöhnen … hey, Tommy-Boy – im Leben nicht lasse ich dich an meinen Körper ran!«

Während das Gelächter der anderen noch lauter wurde, spürte der Angesprochene wie ihm die Tränen heiß die Wangen hinunterliefen. Am liebsten wäre ihm gewesen, ein Loch hätte sich unter ihm aufgetan, welches ihn verschlänge und nie mehr auftauchen ließe. Er war komplett am Nullpunkt. Nein, deutlich darunter.

Mit seinen gerade mal siebzehneinhalb Jahren hatte er schon viel Leid, Abweisung, Ausgrenzung erfahren. Es schien, als stünde dick auf seiner Stirn das Wort ›Opfer‹ geschrieben. Für jeden war er der Schuhabstreifer. Angefangen schon in der Kindheit, weil der Vater ihm vorwarf der Grund gewesen zu sein, dass seine Frau die kleine Familie verlassen hatte. Wegen der oftmaligen Kränklichkeit des Sohnes. Schuld war aber er selbst, seine Grobheit, der Suff. Dass er vor einem halben Jahr gestorben war, hätte für seinen Junior eine Erleichterung sein können, doch somit stand dieser völlig alleine da. Denn die Söhne der reichen Eltern und die ganzen Sportskanonen sahen in diesem zierlichen blonden Jungen nur einen Schwächling. Auch der Direktor der Universität, gleichzeitig Sportlehrer, sah dies nicht anders. Obwohl gerade dieser Student einer der Gründe war, warum sein Institut zur Elite gehörte, die Reichen ihre verwöhnten und nicht immer intelligenten Sprösslinge gerade hier anmelden wollten und mit Überweisungen von Trochanten – der größten Währungseinheit – lockten.

Auch ›Seinesgleichen‹, die ›Intelligenzbestien‹, machten einen Bogen um ihn, da es ihnen nicht geheuer war, wie viel mehr er als sie selbst wusste, wie talentiert er war. Wie konnte der Junge vor eineinhalb Jahren, also mit 16, schon die Reife für diese Universität besessen haben, bewiesen durch den anspruchsvollen Aufnahmetest, den er mit Bravour bestand? Außerdem war es ihnen sehr recht dadurch selbst weniger von den selbstherrlichen Sportlern behelligt zu werden, da es mit ihm ja den geborenen Blitzableiter gab.

»Bitte, bitte, hör auf damit, Brad«, flehte Tom leise, tränenerstickt. Die Gläser seiner Brille waren mit dem Augenwasser benetzt. Überhaupt diese Brille – so gut wie keiner trägt so etwas, obwohl jeder im 23. Jahrhundert fehlsichtig geboren wird. Üblicherweise korrigiert man dies per einfachster Operation im frühkindlichen Alter. Toms Vater scherte dies jedoch nicht, hatte diese Deformierung der Netzhaut seines Sohnes niemals beheben lassen.

Aber der Rüpel dachte nicht daran aufzuhören, beließ es nicht nur bei Veralberung, sondern zeigte nun seine ganze Verachtung: »Hey, Tommy-Boy, du bist nicht nur ein Schwächling und eine halbe Portion. Nicht nur ein Besserwisser und Klugscheißer, der uns als Vorbild hingestellt wird. Nein, du bist auch noch eine verdammte Schwuchtel! Ja, ich weiß, jeder kann mit jedem, das ist alles ganz normal … aber ich stehe nun mal ganz ausschließlich auf Frauen. Ich will nicht, dass ein Typ sich vorstellt, wie es ist mit mir zu ficken. Und so eine Witzfigur wie DU schon gar nicht!«

Tom glich einem Häufchen Elend. Seine hellblonde Haartolle war ihm ins Gesicht gefallen, wie schon so oft während der vielen Demütigungen in der Vergangenheit, verdeckte die verheulten Augen. Das Schluchzen hörten alle trotzdem.

»Ich habe dir nie etwas Böses getan«, schniefte er und fügte leiser hinzu: »Sogar ganz im Gegenteil.«

»Im Gegenteil! Ja, natürlich, Tommy-Boy!«, schüttelte sich der großgewachsene Athlet. »Wegen dem bisschen Hausaufgaben abschreiben lassen? Weißt du was? Wenn ich dusche, will ich dich nie mehr im Duschraum sehen. Sonst geht dir in Gedanken einer ab und wenn ich daran denke, wird mir schlecht! Hast du das verstanden?«

Zur Bekräftigung stupste er den Zeigefinger unsanft in Toms Rippen.

Dabei hatte es der Junge seit mehr als einem Jahr sowieso schon vermieden zur selben Zeit wie der Rohling zu duschen, nach einem sehr hässlichen Zwischenfall, wo er – mal wieder – durch ihn bloßgestellt worden war.

Die Meute zog ab. Sie hatten ihre Unterhaltung bekommen durch eine weitere fiese Dosis Mobbing und waren zufrieden. Zurück blieb ein verzweifelter Tom, der mal wieder seine Abreibung verpasst bekommen hatte.

*****

Auch an diesem Abend blieb der Finder still. Niemand hatte sich gemeldet, obwohl es der Junge nach dieser besonders heftigen Demütigung dringend hätte brauchen können. Mit diesem kleinen Gerät kann man nach Kontakten suchen. Ein selbst angelegtes Profil von sich kann von anderen gelesen werden und bei Gefallen trifft ein Kontaktgesuch ein. Tom war lange selbst aktiv, versuchte mal mit diesem, mal mit jenem User ins Gespräch zu kommen. Nie bekam er eine Antwort. Als hätten sich alle untereinander abgesprochen, sich nicht mit diesem Sonderling einzulassen. Mittlerweile wartete der Junge nur noch, dass doch bitte jemand sich bei ihm melden wollte. Aber mehr als ab und zu Werbung oder ein zweifelhaftes Angebot von Frauen, die für Bezahlung zu sexuellen Diensten bereit wären, kam nie herein. Es war so ernüchternd, der Junge saß in sich zusammengesunken auf seinem mit einer Art Gel gefüllten Schwebesitzpolster.

Tom hatte Sehnsucht. Und wie jeden Abend spielte er dieses Lied ab, welches er ein halbes Jahr zuvor entdeckt hatte. Es war ein Vierteljahrtausend alt, gesungen in einer Sprache, die schon lange nicht mehr gesprochen wurde. Doch der Junge hatte sie sich selbst beigebracht, er verstand, worum es hier ging:

Kann mich irgendjemand hör'n?

Das ist mein Signal

Ist da draußen irgendwer?

Das ist mein Signal

Kann mich irgendjemand hör'n?

Ganz egal wie weit entfernt

Ist da draußen irgendwer?

Ich geb nicht auf bis du es hörst

Das ist mein Signal

Ja, es musste da draußen doch irgendjemanden geben, der sein Signal hören konnte. Jemanden, der zu ihm gehören mochte. Mit viel Verständnis für all das, was all die anderen verlachten. Der Nähe zuließe. Auch körperliche …

Nachdem das Lied zu Ende war, seufzte Tom resigniert. Der Abend würde so laufen wie ungefähr 1500 andere zuvor. Er ließ seinen Blick durch sein Kellerlabor schweifen, schaute auf Behältnisse mit Mixturen, die er in den letzten Jahren erfunden hatte. Auf technische Erfindungen, die er in mühevoller Detailarbeit in die Realität umgesetzt hatte. Auf die Projektion einer neuen Formel an der Wand, an der er gerade arbeitete. Irgendetwas musste er ja tun mit seinem Genie. Sein Geist wollte beschäftigt sein. Von jemandem eingeladen zu einem geselligen Abend würde er ja eh nicht.

Er schlug mit den Handflächen auf die Oberschenkel, erhob sich vom schwebenden Sitzpolster und wandte sich der Formel zu, die darauf wartete geknackt zu werden.

*****

Ein Monat später

Wie eine zweite Haut fühlte sich der Superheldendress an. Brad hatte ihn seit seiner Premiere zwei Wochen zuvor schon zum achten Mal an. So viele abendliche bzw. nächtliche Einsätze hatte er sich seitdem gegönnt. Die Grundfarbe war feuerrot. Abstrakte Blitze und Spiralen in neongrün und neongelb zierten überdies den leicht metallisch glänzenden Stoff.

Natürlich sollte der Dress auffällig sein, es galt Aufmerksamkeit zu erregen. Blöderweise war Brad jemand zuvorgekommen, immerhin fast einen Monat. Er war also nicht der allererste Superheld Fortunevilles, es gab doch tatsächlich Konkurrenz. Hatte ein Städtchen mit gerade einmal einer guten Million Einwohner überhaupt Platz für zwei Superhelden? Wenn ja, musste Brad wenigstens die Nummer 1 sein. Zwei Heldentaten konnte sein Konkurrent schon aufweisen, darunter die Vereitelung einer Entführung des superreichen Konzernchefs Jackson Salinger in dessen riesiger Penthaus-Wohnung, die sich über gleich drei Häuser erstreckte. Nun ja, keiner der Banditen konnte zwar dingfest gemacht werden, aber immerhin handelte es sich um fast ein Dutzend Typen. Und Salinger wurde kein Haar gekrümmt. Das war den Hauptnachrichten gleich mehrere Sendungen wert. Mit Interview des neuen Superhelden.

Brad hingegen bekam nur eine kleine Meldung, weil er am vergangenen Wochenende einen Raub innerhalb des Drogenmilieus verhinderte und die Polizisten sich um die Personalien der beteiligten Personen zu kümmern hatten, genervt davon, sich mit so einem Kram befassen zu müssen.

Doch diesmal standen die Zeichen besser.

Der Dieb wollte das Pärchen um Schmuck und Communicons – Armbänder zur Verbindung mit anderen und jeder Art von Informationen, wozu man früher umständlich Tablets oder Smartphones aus der Tasche ziehen musste - erleichtern. Die beiden, Junge und Mädchen um die 20, waren ziemlich leichtsinnig sich in der Nacht von Samstag auf Sonntag, 3 Uhr, im üblen alten Hafenviertel rumzutreiben. Sie waren wohl auf dem Weg nachhause von einer der berüchtigten illegalen Partys, die dort immer wieder mal an Wochenenden stattfanden.

Der Bösewicht hatte gewichtige Argumente, indem er ihnen seine Thermoschockkanone vor die Nase hielt. Gerade als das verschüchterte Paar sich dran machte, die Communicons vom Handgelenk abzunehmen, schritt Brad ein, der sich als Superheld Mighty Man nannte. Er hatte die Überraschung auf seiner Seite, die, in Verbindung mit seiner körperlichen Kraft ausreichte, den Dieb zu überwältigen. Er richtete den Ring an seiner rechten Hand zum Gesicht des rücklings auf dem Boden Liegenden und ohne Verzögerung leuchtete ein orangefarbenes Licht in die Augen des Verbrechers. Dieser war augenblicklich wie gelähmt. Es war ihm als tanzten lauter kleine Kobolde vor ihm, die er immerzu anschauen musste. Die ihm eine Frage stellten: "Wer ist der größte Superheld?«

Es war ihm, als lieferten sie ihm auch gleich die Antwort.

»Mighty Man …«, stammelte der Überwältigte.

Noch einmal dieselbe Frage. Der Dieb konnte nicht erkennen, dass Brad es war, der die Frage stellte.

»Mighty Man …«, kam als nochmalige Antwort.

Brad war sich bewusst, dass das Pärchen die Szene ganz genau mit seinen Communicons aufzeichnete. Sie hielten voll drauf, sicher würde es eine tolle Aufnahme ergeben. Exzellentes Filmmaterial für die Nachrichten. Das würde super über die Monitore rüberkommen, jeder in Fortuneville würde von der Existenz des neuen, aufregenden Superhelden erfahren. Sicher auch in den Städten des Umkreises.

»Los, sag es noch mal: Wer ist der größte Superheld?«

»Mighty Man …«

»Noch mal!«

»Mighty Man …«

»... Mighty Man?«

Drei Augenpaare schauten in die Richtung der Stimme, die neu ertönte.

Im Halbdunkel vor einer heruntergekommenen Holzbaracke saß auf einem uralten Barhocker, wie er schon lange nicht mehr im Gebrauch war, aber in dieser verratzten Gegend sicher noch in einer Ecke vor sich hin verstaubte, eine nicht minder dunkle Person. Komplett schwarz gekleidet war sie, auf den zweiten Blick betrachtet komplett in Leder. Nicht das typische Imitat, sondern Echtleder. Schwarze Lederjacke, schwarze Lederhose, fast kniehohe Lederstiefel. Hemd, Krawatte, Gürtel, die langen Handschuhe – alles schwarzes Leder. In der rechten Hand lässig gehalten eine schwarze Lederpeitsche, die massive Schnur mehrfach gerollt. Am Gürtel hing ein schwarzer Polizistenknüppel, wie ihn in den alten Filmen die Cops in früheren Zeiten wohl getragen haben mögen. Nur die Handschellen am Gürtel glänzten silbern im schwachen Licht.

»Mighty Man? … Ernsthaft? … Sogar dir hätte ich mehr zugetraut. Ich meine … Mighty Man – du musst doch selbst zugeben, dass das ziemlich beschissen klingt!«

Der Fremde neigte seinen Oberkörper ein wenig nach vorn. Eine Sonnenbrille mit roten Gläsern saß auf seiner Nase, die die Augen, aber nicht die Jugendlichkeit des Trägers verdecken konnte. Die blonde Haartolle auf dem Oberkopf bei seitlich kurzer Rasur gab ihm etwas Freches, Cooles.

Brad ließ von seinem Opfer am Boden ab, welches er mit dem Strahl aus seinem Ring hypnotisiert hatte. Er dachte kurz nicht mehr an das Pärchen, welches ihn von seiner besten Seite aufnehmen sollte, damit er auf den Monitoren möglichst heldenhaft rüberkam, sondern fixierte sich komplett auf den sonderbaren Fremden, den er zuvor nie gesehen hatte.

»Wer bist du?«, fragte er verstört, ganz aus seinem Konzept gebracht.

Der Junge in Leder wackelte mit dem Kopf, schien mit leicht genervtem Tonfall zu sagen: »Ach ja … wer bin ich, wohin möchte ich, wofür stehe ich … immer diese philosophischen Fragen …«.

Er seufzte laut auf.

»… Aber ich kann dich beruhigen: Du wirst es erfahren.«, fügte er mit fester Stimme hinzu.

Brad war verunsichert. Er versuchte die Lage zu analysieren: Er hatte einen Dieb gestellt. Er wurde dabei aufgenommen. Er war drauf und dran in die Nachrichtensendungen zu kommen … Und jetzt funkte ihm irgend so ein dahergelaufener Typ dazwischen, machte ihn lächerlich … und auch das wurde gefilmt.

Der Dieb war mittlerweile wieder zu sich gekommen und folgte seinen Instinkten, die zwar noch schwach waren, aber ausreichten, um das aus seiner Sicht einzig Richtige zu tun: Hastig ergriff er die Flucht. Er rannte und rannte, blickte dabei nicht zurück, um keine Sekunde Zeit zu verlieren.

»Oje, nun hat dein Schwerverbrecher das Weite gesucht!«, spottete der schwarz gekleidete Junge. »Das tut mir jetzt wirklich leid. Und ich fang ihn nicht wieder für dich ein. Da wirst du dir jetzt schon wieder selbst einen anderen dieses Kalibers suchen müssen. Z.B. einen, der einer Oma das Taubenfutter wegnimmt.«

Die Zornesröte stieg Brad ins Gesicht. Seine ganzen Bemühungen waren mit einem Schlag zunichte gemacht worden. Von irgendeinem sich supercool gebenden Rotzlümmel. Das schrie nach Vergeltung.

»Du Arschloch! Was fällt dir ein dich hier reinzudrängen? In meine Angelegenheiten! Das zahle ich dir heim!«

Er hob den Arm mit dem Hypnosering. Kaum in der Waagrechten angekommen, traf ihn der Schmerz im Handgelenk wie ein Blitz. Die Peitschenschnur hatte sich darum gewickelt und es fühlte sich an, als schneide sie sich tief ins Fleisch. Während all dem war der fremde Junge ungerührt auf seinem Hocker sitzen geblieben. Es reichte eine minimale Armbewegung, um die Schnur zu seinem Opfer schnalzen zu lassen und selbst die Distanz von mehr als 6 Metern stellte kein Hindernis dar, denn der Riemen verlängerte sich wie auf wundersame Weise. Mit einem markerschütternden Schrei fiel Brad zu Boden, krümmte sich dort. Sein Handgelenk brannte wie Feuer, was in den Arm ausstrahlte und von dort weiter in den Brustkorb. Er rang nach Luft, schien kaum welche zu bekommen.

»Also wirklich!«, lässig blieb der Sieger des Kampfs, der kein richtiger war, auf seinem Hocker sitzen. »Ich habe nicht viel von dir erwartet. Aber das untertriffst du noch. Ich meine … ich schnalze kaum mit der Peitsche und schon liegst du gefangen vor mir auf dem Boden. O fick die Henne – Du kannst ja gar nix! Du bist so ziemlich der lausigste Held überhaupt! Tu mir einen Gefallen und ändere deinen Namen von Mighty Man in Mighty Mouse … aber ist schon sehr geil, wie dein muskulöser Körper sich auf den Dielen windet. Siehst wirklich attraktiv aus, das muss man dir lassen.«

Langsam stand er auf, dabei weiter aufreizend lässig den Peitschenknauf in der Hand haltend.

»Und für euch beiden ist die Show hiermit beendet!«, warf er dem Pärchen einen strengen Blick zu. »Ihr habt genügend gesehen, habt genügend Filmmaterial. Vielleicht berichten die Nachrichten heute Früh von Leather Boy. Und wenn nicht, ist es auch scheißegal. Wir beiden Hübschen« – er nickte mit dem Kopf zu Brad – »haben ein paar private Dinge zu bereden. Das geht niemanden was an. Also zieht Leine!«

Während er dem wimmernden Brad die Handschellen anlegte, kam das Paar der Aufforderung nach und verließ eingeschüchtert den Ort des Geschehens. Sie hatten nicht nur zum ersten Mal einen Superhelden direkt vor sich gehabt, es waren gleich zwei. Und was da passiert war, war total verrückt.

»Wir haben jetzt ein kleines Rendezvous«, lächelte Leather Boy den Verlierer des Duells frech an, ein leichter, offenbar gespielter Freudenjuchzer folgte. »Es ist mein allererstes, ich bin so aufgeregt.«

Selbst der grobschlächtige Brad merkte, dass er gerade veräppelt wurde.

»Aber dafür brauchen wir einen intimeren Ort, findest du nicht, Brad?«

Der Angesprochene erschrak. »Woher weißt du …?«

Aber in diesem Augenblick wurde ihm schon ein Sack über den Kopf gezogen …

*****

Brad musste nicht mal blinzeln, als ihm der Sack vom Kopf gezogen wurde. Das Licht im Raum war eher fahl, blendete kein bisschen. Er registrierte die Gitterstäbe, wie man sie in diesen alten Gefängnisfilmen schon gesehen hat – heutzutage halten unsichtbare Laserschranken die Verbrecher in ihren Zellen, man ist ja schließlich nicht vorsintflutlich. Dass es sich hier um ein uraltes Gebäude handeln musste, darauf deutete überhaupt der Zustand der Wände hin, die rissig waren, von denen der Putz abblätterte. Das einzig Moderne schienen die Fesseln aus Gigantium, dem härtesten und trotzdem sehr leichten Metall, an seinen Handgelenken zu sein, die seine Arme rechts und links waagrecht hielten, wie unsichtbar von unten abgestützt. Kein Hexenwerk, schließlich lassen sich solche Mittel zur Arretierung so einstellen und im Raum platzieren wie es der Benutzer möchte. Brad schaute an sich hinab, um seine Nacktheit zu betrachten. Er hatte sehr wohl mitbekommen, wie ihm sein Dress ausgezogen wurde.

»Ich kann schon verstehen, dass du selbstverliebt an dir runterschaust, Brad«, ertönte erneut die Stimme, die er zuletzt gehört hatte. »Bist ein schmuckes Kerlchen. Wohlgebaut, attraktives Gesicht, ansprechender Pimmel.« – Der fremde Junge trat hinter dem Modellathleten hervor, direkt vor diesen. »Ich geb zu, ich hab dich auch erst einmal ein Weilchen so angegeiert.«

Brad stotterte unbeholfen: »W-was soll das? W-wer bist du? Was hab ich dir getan?«

»Ach Mensch, Brad!«, gab sich der ganz in schwarz gekleidete Bursche gespielt empört. Er senkte den Kopf ein wenig, schaute über den Rand der Sonnenbrille zum gefangenen Möchtegern-Helden. »Jetzt wollte ich die Sache ein bisschen zelebrieren und du kommst gleich so fantasielos direkt! Keinen Sinn für Romantik hast du.«

Der geheimnisvolle Unbekannte schüttelte den Kopf demonstrativ. Die Faust, die die zusammengerollte Peitsche festhielt, klatschte mehrmals an den Oberschenkel, sodass man in der Stille das leise Knirschen, was entsteht, wenn Leder an Leder reibt, deutlich hörte.

»Getan hast du mir schon so einiges, Brad …«, meinte er, während er die Sonnenbrille vom Gesicht nahm.

»Tommy-Boy, du?!?« – Mit keinem hätte Brad weniger rechnen können als mit dem von ihm als Witzfigur abgestempelten kleinen, schmalen Tom.

»Lass uns mal überlegen … Du hast mit mir den Boden des Universitätsflurs gewischt. Mich mit dem Wasserstrahl der Dusche fast erstickt. Mich liebend gerne vor möglichst viel Publikum erniedrigt. So ziemlich jeden möglichen und unmöglichen kindischen Blödsinn mit mir getrieben. Mir den Scheiß, den du selbst verbockt hast, gegenüber den Professoren und dem Direktor in die Schuhe geschoben. Mir meine Klamotten geklaut während ich duschte …Die Liste ist noch sehr unvollständig, du hast eine Menge Auswahl weitere deiner Heldentaten zu nennen, wenn du magst, Brad … Brad? Ich höre nix mehr von dir!?«

Brad spürte, wie ihm das Herz bis zum Hals pochte. Zum allerersten Mal war er nicht der Überlegene, sondern, ganz im Gegenteil, war er auf Gedeih und Verderb dem kleinen Tom ausgeliefert. Das brachte ihn nicht etwa zum Überlegen, wie sich wohl der Knabe gefühlt haben musste, so oft in den letzten anderthalb Jahren. Er dachte weiterhin nur an sich, gab sich kein bisschen schuldbewusst: »D-d-das war doch alles nie so gemeint. Das musst du doch gemerkt haben, Tommy-Boy. Du stehst doch auf mich – hast du schließlich selbst geschrieben. D-deshalb kannst du mir doch nicht ernsthaft was antun wollen … Und überhaupt: Ein Superheld rettet doch, er tut nur Gutes. Wie willst du sonst Ruhm erlangen?«

Tief in Tom brodelte es. Am liebsten hätte er diesem arroganten Schnösel ins Gesicht geschrien, was für ein herzund mitleidloser Egoist er doch sei. Er wollte seinem Gefangenen aber zeigen, dass er die Kontrolle über alles hatte, einschließlich der eigenen Emotionen. Und da verbat es sich, aus der Rolle zu fallen. Den Coolen musste man aber dennoch nicht durchgehend spielen, weshalb das Opfer eine klare Ansage bekam: »Erstens ist mein Leben alles andere als ruhmreich – das weißt gerade du nur zu gut. Deshalb bin ich nicht zum Helden geschaffen, will auch keiner sein. Zweitens bist du – natürlich nur rein äußerlich – weiterhin der Beau und bleibst attraktiv. Aber meine Ansprüche sind gestiegen. Ich habe mich entschieden, nur den Allerbesten zu begehren – den möchte ich haben, nur er ist das Ziel. Drittens finde ich sehr wohl, dass du eine Lektion unbedingt nötig hast … und da du mich mittlerweile eher langweilst als anmachst, ziehen wir das jetzt schnell durch. So langsam brauche ich nämlich ein bisschen Schlaf und du hast mir jahrelang genug Lebensqualität gestohlen – nie mehr, kann ich da nur sagen!«

Tom zog eine von ihm programmierte Touch-Card aus der Hosentasche und drückte mit dem Daumen auf einen der Sensoren. Wie von Geisterhand schwebte ein kurzer, dünner Metallkolben aus dem Dunkel in Richtung Brad und um ihn herum. Wenige Augenblicke später spürte dieser, dass sich das Ding zwischen die Arschbacken drückte und ins Loch eindrang! Eine cremige Flüssigkeit schien sich im Darm auszubreiten.

»Hast du sie nicht mehr alle?!?«, schrie der muskulöse Kerl wütend.

Tom konterte lässig, fast in gelangweiltem Ton: »Du wirst mir noch dankbar sein, du Idiot. Ich bin nämlich nicht so ein asoziales, erbarmungsloses Arschloch wie du, das nur darauf aus ist andere zu quälen.«

Mit einem weiteren Daumendruck auf die Karte verschwand der kleine Metallkolben wie er gekommen war, verabschiedete sich leise schmatzend aus dem Loch.

Ein nochmaliger Fingerdruck …

… Brad war es als gefröre sein Blut in den Adern: Ein weit größerer Metallkolben als zuvor, mit kleinen Noppen an der Oberfläche, nahm exakt denselben Weg! Der Gefangene versuchte den Kopf so weit wie möglich nach hinten zu drehen, als versuche er das Ding zu hypnotisieren, damit es aus der Bahn geriete … aber schon spürte er den Fremdkörper zwischen den Pobacken und sofort darauf sich durch den Muskelring schieben.