image

Martin Arnold, Urs Fitze

ENTMENSCHLICHT

Sklaverei im 21. Jahrhundert

image

Die Autoren danken Susanne und Stefan Ganzoni und der Christian Martin Stiftung für die finanzielle Unterstützung ihrer Arbeit an diesem Buch.

Der Verlag bedankt sich bei folgenden Institutionen für die Unterstützung dieses Buchs:

image

Der Rotpunktverlag wird vom Bundesamt für Kultur mit einem Strukturbeitrag für die Jahre 2021 bis 2024 unterstützt.

© 2022 Rotpunktverlag, Zürich

www.rotpunktverlag.ch

Korrektorat: Jürg Fischer

eISBN 978-3-85869-954-1

1. Auflage 2022

Inhalt

Vorwort

Historischer Abriss zur Sklaverei

»Meine Mutter ist weiß, meine Großmutter ist weiß, aber ich habe Farbe«

Die Gesichter der modernen Sklaverei

Einführung

Die moderne Sklaverei, eine Geißel der Menschheit

Sklaverei im Haushalt und Menschenhandel

»Das ist die Sklaverei des 21. Jahrhunderts«

Menschenhandel – vom Regen in die Traufe

Gespräch mit Doro Winkler

Schuldknechtschaft

Unverschuldete Schuld

»Auch ich habe meinen Stolz«

Gespräch mit Feliciano

Kindersoldaten und Kinderarbeit

»Sie sind nicht Herren ihres Willens und ihrer Handlungen«

Zwangsehen

Die Familie als Ort von Menschenrechtsverletzung

Kasten- oder Klassensklaverei

Gefangen in ererbten Fesseln

Zwangsarbeit und Wertschöpfungsketten

»Es ist ungerecht«

Gig economy

Heimarbeit 4.0 – digitalisierte Ausbeutung

Zwangsarbeit in Xinjiang

Terrorkapitalismus in Chinas fernem Westen

»Verzichten Sie auf den Kauf von Waren aus China«

Gespräch mit Dolkun Isa

Wege zur Überwindung der modernen Ausbeutung und Sklaverei

Geiz und Habgier saugen jedes Glied der Lieferkette aus

Schluss

Die Utopie einer sklavenlosen Gesellschaft

Literatur

Dank

Vorwort

»Das ist die Sklaverei des 21. Jahrhunderts.« Mit diesen Worten beschreibt eine polnische Seniorenbetreuerin ihren 24-Stunden-Dienst in einem Schweizer Haushalt, der sie zur praktisch jederzeit verfügbaren, miserabel bezahlten Arbeitskraft degradiert – und ihr auch ihre Würde nimmt.

Wie kann es sein, dass hoch entwickelte Länder wie die Schweiz Menschen Arbeitsbedingungen zumuten, die der Sklaverei sehr nahe kommen? Wie kann es sein, dass Menschen zu rechtlosen Dienerinnen und Dienern von Maschinen degradiert werden, damit Autos lernen, selbst zu fahren und Mobiltelefone eine Katze von einem Hund unterscheiden können? Wie kann es sein, dass die vor bald hundert Jahren erreichte Abschaffung der Sklaverei nur den Wandel zu einer »modernen Sklaverei«, aber nicht deren Verschwinden bewirkt hat? Wie ist es möglich, dass weltweit vierzig Millionen Menschen als Sklaven leben müssen, über deren Körper mit Gewalt und Zwang verfügt wird, obwohl Gesetze dies verbieten?

Es sind unangenehme Wahrheiten, von denen in diesem Buch die Rede ist. Man möchte wegsehen, weil es nicht sein darf. Aber es ist so. Es ist empörend. Es berührt. Es macht betroffen. Wir begeben uns auf die Suche nach den Erklärungen für das, was eigentlich unerklärlich ist. Es gibt sie, die Antworten, etwa auf die Frage, wie es kommt, dass Seniorenbetreuerinnen ausgebeutet werden. Politik und Gesellschaft lassen es zu, weil sie diese vornehmlich aus Osteuropa stammenden Frauen wie Menschen zweiter Klasse behandeln, ihnen nicht den Arbeitnehmerinnenschutz gewähren, der für alle andern gilt. Diese Form der Ausbeutung hat eine gesetzliche Grundlage.

In diesem Buch über die moderne Sklaverei geht es auch um die historischen Wurzeln der Sklaverei, das Denken, das über viele Generationen Sklavenhalter und Sklaven geprägt hat, das zweierlei Maß, mit dem gerade die reichen Länder des Nordens die Welt messen, stets auf den eigenen Vorteil bedacht. Es geht um den fast schon verzweifelt anmutenden Kampf gegen die Versklavung von Kindern, die als Soldaten missbraucht werden. Es geht um traditionelle Formen von Sklaverei und Unmenschlichkeit, die in vielen Gesellschaften geduldet werden, weil sie dem Machterhalt einiger weniger dienen. Und es geht um historische Schuld und historisches Erbe, um zementierte Herrschaftsverhältnisse, die neue Formen der Ungerechtigkeit, Ungleichheit, Ausbeutung und Sklaverei erst ermöglichen.

Wir möchten versuchen, Wege aus der modernen Sklaverei aufzuzeigen, die Utopie einer Gesellschaft zu skizzieren, in der es für diejenigen, die andere als ihr Eigentum betrachten, keinen Platz mehr gibt. Das ist nichts Neues. Im Gegenteil. Es ist an der Zeit, diese Utopie Wirklichkeit werden zu lassen. Die Veränderung beginnt im Kopf.

Historischer Abriss zur Sklaverei

»Meine Mutter ist weiß, meine Großmutter ist weiß, aber ich habe Farbe«

Sie trugen grüne Armbänder als Erkennungszeichen; die reina (Königin) und die grandes madres (großen Mütter) hatten zusätzlich ein grünes Band umgehängt. Sie trafen sich zum Essen, zum Tanz, manchmal mit ihren Liebhabern, und sie sparten Geld, um diejenigen unter sich freizukaufen, die von ihren Besitzern missbraucht und misshandelt wurden. Von einer Selbsthilfegruppe würde man heute sprechen. Im Jahr 1817 schlägt der Statthalter der Stadt Santiago de Cuba im Osten Kubas Alarm. Die Insel ist Teil des »Vizekönigreichs Neuspanien«. Diese negras esclavas francesas (von Franzosen versklavte schwarze Frauen) verbreiteten Unruhe und gefährdeten den Frieden in der Stadt. Es sei deshalb nötig, ihnen einen Schrecken einzujagen und die Vereinigung zu verbieten, schreibt er an seinen Vorgesetzten, den Gouverneur Kubas. Dieser wendet sich direkt an die Real Audiencia in Madrid, das höchste Justizorgan des spanischen Königreiches. Er verlangt eine »demütigende Bestrafung unter Berücksichtigung der Interessen ihrer Eigentümer«. Damit solle ein Exempel statuiert werden. Ob die Frauen bestraft wurden, ist nicht überliefert. Tatsächlich hatten sie nicht an den Grundfesten einer Gesellschaft gerüttelt, für die die Haltung von Versklavten berechtigt und durch den Buchstaben des Gesetzes gerechtfertigt war. Sie hatten nicht einmal explizit ihre Freiheit, für die sie zu zahlen bereit gewesen wären, sondern die Wahrung ihrer körperlichen Unversehrtheit verlangt.

Dabei haben sie am feinen Duft der Freiheit schon einmal geschnuppert. Sie tragen in ihren Köpfen das Versprechen der Französischen Revolution von 1789, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, und das fürchten die beiden kubanischen Amtsträger am meisten. Die Frauen sind mit Tausenden anderen 1803 aus der französischen Kolonie Sainte-Domingue nach Kuba geflohen, weil dort schwere Kämpfe toben. Am 18. November 1803 verlieren die Truppen des französischen Kaisers Napoleon die Entscheidungsschlacht, am 1. Januar 1804 ist Sainte-Domingue unter dem neuen Namen Haiti unabhängig. Eine halbe Million Sklaven sind nach dreizehn Jahren Befreiungskrieg frei. Schon einmal, 1794, hatte die französische Nationalversammlung, beeindruckt vom Aufstand der Sklaven im Norden der Insel, sie zu freien Bürgerinnen und Bürgern Frankreichs erklärt. Doch Napoleon hatte diesen Beschluss 1802 rückgängig gemacht und eine Armee nach Sainte-Domingue entsandt, um die Sklaverei wieder einzuführen.

Zum ersten Mal ist es Sklaven gelungen, das Joch ihrer Unterdrücker aus eigener Kraft abzuwerfen. Sklavenaufstände haben die Geschichte der Sklaverei seit Jahrtausenden begleitet. Stets waren sie, oft mit brutalster Gewalt, niedergeschlagen worden. Drei Jahre dauerte der Spartakusaufstand, von 73 bis 71 vor unserer Zeit. Nach blutigen Kämpfen siegten die römischen Legionäre. Fünftausend gefangene Aufständische wurden gekreuzigt.

In der niederländischen Kolonie Suriname kämpften Söldnertruppen unter dem Genfer Louis Henri Fourgeoud in den Jahren 1772 bis 1777 gegen aufständische »Maroons«, ins Hinterland geflohene schwarze Sklaven, die eigene Gemeinwesen aufgebaut hatten. John Gabriel Stedman (1744–1797), schottischer Söldner in niederländischen Diensten, hinterlässt ein illustriertes Tagebuch über die Geschehnisse, das später veröffentlicht wird. Die Schilderungen und Zeichnungen der Gräueltaten zeigen die Brutalität einer Sklavenhaltergesellschaft, die sechzigtausend schwarze Sklaven unterdrückt. Sie zeigen aber auch die Ambivalenz des Autors, der sich als Freund der Schwarzen bezeichnet. Er verliebt sich in die fünfzehnjährige Sklavin Joanne. Sie haben einen Sohn. Stedman möchte die beiden freikaufen und mit nach Europa nehmen. Es ist nicht sicher überliefert, ob ihm der Freikauf gelungen ist. Joanne weigert sich, mitzukommen. Sie stirbt 1782. Stedman befürwortet die Sklaverei, solange es sich um Gefangene aus einem »gerechten« Krieg handle – und betet damit ein Gewohnheitsrecht nach, das seit Jahrtausenden zu hören gewesen war und unter den antiken Römern Einzug in das Völkerrecht fand. Die Sklaverei sei zudem zur wirtschaftlichen Ausbeutung der Kolonien gerechtfertigt. Gegen die Brutalität der niederländischen Sklavenhalter brauche es aber schärfere Gesetze, zu denen die Zulässigkeit der Aussagen von Sklaven vor Gericht zählen müsse. Die Niederlande sind der letzte europäische Staat, der die Sklaverei 1863 abschafft, nicht ohne die Sklaven weitere zehn Jahre zur Zwangsarbeit zu verpflichten.

Stets haben Sklavinnen und Sklaven Formen des aktiven und passiven Widerstands entwickelt, um sich gegen die Ungeheuerlichkeit ihrer Versklavung zu wehren. Die Philosophin Iris Därmann beschreibt in ihrem Buch Undienlichkeit diesen Widerstand in den »Gewalträumen« der Sklaverei als »existenziell« für die Betroffenen. Es werde »immer mehr Scharfsinn, Fintenreichtum, List und affektive Kraft erforderlich sein, um zu widerstehen, als es nicht zu tun, vor allem aber, als Befehle zu erteilen und Gewalt auszuüben«. Dazu zählte das Sich-Dumm-Stellen gegenüber dem Sklavenhalter, die bewusste Langsamkeit bei der Arbeit, das »aus Dummheit« geschehene Zerstören von Pflügen oder wenn Kühe auf bestes Ackerland zum Weiden getrieben wurden. Als letzter Ausweg blieb, vor allem auf den Sklavenschiffen, die Selbsttötung – und die Revolution. Aufstände und Rebellionen auf Sklavenschiffen waren so häufig, dass der Historiker Michael Zeuske von der »Revolution auf hoher See« spricht.

Die Haitianische Revolution inspirierte den Philosophen Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831) zu seinem Werk Phänomenologie des Geistes. Im vierten Kapitel beleuchtet er die Ungleichheit der Menschen. Danach strebten alle Menschen gleichermaßen nach Anerkennung, aus der sie ihr Selbstbewusstsein schöpften. Im Verhältnis zwischen »Herr und Knecht« sei diese gegenseitige Anerkennung, das ungetrennte »Tun des Einen als des Andern«, außer Kraft. Es werde durch ein »einseitiges und ungleiches Anerkennen« ersetzt. Es sei der Herr, der seinen Knecht nicht anerkennt – oder wenn, dann nur als willenloses Wesen – und zugleich diese Anerkennung von diesem mit Gewalt einfordere. Gerade dieser Zwang mache die Anerkennung für den Herrn wertlos und bringe ihn zugleich in die – hier moralisch verstandene – Abhängigkeit von seinem Knecht. Hegel unterscheidet das »selbständige« vom »unselbständigen« Bewusstsein. »Die Wahrheit des selbstständigen Bewusstseins ist […] das knechtische Bewusstsein.« Dieses erscheine, weil erzwungen, nur auf den ersten Blick als nicht wahr. »Aber wie die Herrschaft zeigte, dass ihr Wesen das Verkehrte dessen ist, was sie sein will, so wird auch wohl die Knechtschaft vielmehr in ihrer Vollbringung zum Gegenteile dessen werden, was sie unmittelbar ist; sie wird als in sich zurückgedrängtes Bewusstsein in sich gehen, und zur wahren Selbstständigkeit sich umkehren.« Das sei, schlussfolgerte der fortschrittsgläubige Karl Marx einige Jahrzehnte später, nicht nur die perfekte Umschreibung einer ungleichen Gesellschaft, sondern, wie die Haitianische Revolution zeige, auch der Beweis, dass ungleiche gesellschaftliche Verhältnisse nicht überdauern könnten. Hegel geht nicht so weit. Er sieht die Lösung im Ausgleich, in der gegenseitigen Anerkennung – das ist die Utopie eines Staates, der die Ungleichheit beseitigt hat.

Die »Verfügbarkeit über den Körper« sei das eigentliche Wesensmerkmal der Sklaverei, sagt Zeuske, »dass der Körper eines Menschen, Mann, Frau und Kind, durch Institutionen geschützt und berechtigt, unter Kontrolle eines Halters (deshalb Sklavenhalter) steht, der ihn mit Gewalt seiner Mobilität und Entscheidungsfreiheit beraubt«. Der Historiker Peter Kolchin bringt diese strukturelle Gewalt auf den Punkt: »Mit Gewalt erschaffen, überdauerte die Sklaverei durch die Peitsche.« Die Peitsche »markiert mit lautem Knall, dass weder Menschen noch Tiere ohne schmerzhaften Zwang für einen anderen arbeiten und ergebene Dienste tun«, so Därmann. Zu dieser endlosen Gewalt kommt der »soziale Tod«, nach dem Soziologen Orlando Patterson die »permanente, gewaltsame Beherrschung familiär entfremdeter und allgemein entehrter Personen«, zu der die »Entfremdung von den Geburtsrechten« gehört; auch die Kinder versklavter Menschen haben keinen rechtlich und gesellschaftlich anerkannten Status. Sklavinnen – sie bilden bis heute die Mehrheit der Versklavten – und Sklaven sind »Unpersonen«, sie gehören nicht zu der Gemeinschaft, in die sie hineingeboren oder, in der Mehrheit der Fälle, hineingebracht wurden. Sklaven haben keine Geschichte und keine Zukunft. Und keine Stimme.

Das ändert sich auf der karibischen Insel Sainte-Domingue um die Wende zum 19. Jahrhundert. In den chaotischen Jahren des Befreiungskrieges gelingt es vielen Sklavinnen und Sklaven, ihre formelle Freilassung, die Manumission, zu erwirken und notariell beglaubigen zu lassen. Notare zählen in den Kolonien der sogenannten Neuen Welt zu den wichtigsten Amtspersonen. Das Eigentum ist ein hohes, geschütztes Gut. Handwechsel sind nur rechtsgültig, wenn sie notariell beglaubigt sind. Das gilt für den Sklavenhandel ebenso wie für die Freilassung. Millionen von Dokumenten haben sich über die Jahrhunderte erhalten.

Sie haben es auch ermöglicht, die Geschichte einer Familie zu rekonstruieren, deren älteste bekannte Vorfahrin als Kind, ihr Geburtsjahr wird auf 1767 geschätzt, irgendwann in den 1780er Jahren aus dem Grenzgebiet zwischen dem heutigen Senegal und Mauretanien von afrikanischen Sklavenjägern entführt und an der Küste an französische Sklavenhändler verkauft worden ist. Ihr afrikanischer Name interessiert die Händler nicht. Erst nachdem es die Überfahrt überlebt hat, nennen sie das Kind Rosalie, negresse de nation Poulard (Rosalie, Schwarze des Poulardvolks). Im Dezember 1795 entlässt sie ihre Besitzerin Martha Guillaume in die Freiheit. Doch der britische Notar – Sainte-Domingue ist von 1793 bis 1798 von britischen Truppen besetzt – verweigert die Beglaubigung. 1803 lebt Rosalie mit Michel Étienne Henry Vincent zusammen, einem französischen Siedler. Am 10. Mai unterzeichnet er ein Dokument, in dem er erklärt, dass Rosalie und ihre vier Kinder seine Sklaven gewesen seien. »Nun sind sie frei. Ich verspreche, dass ich, falls sie sich entscheidet, bei mir zu bleiben, für ihre Dienste bezahlen werde.« Im November flieht er vor den Wirren des Befreiungskrieges mit Rosalie und ihrer jüngsten Tochter Elisabeth nach Kuba. Was aus ihren drei anderen Kindern wird, ist nicht bekannt. Doch was ist dieses Papier in der spanischen Kolonie wert? Die Manumission ihres Lebensgefährten ist nicht beurkundet, und damit ist ungewiss, ob sie auch anerkannt wird. Doch sie haben das Glück, das vielen anderen Freigelassenen verwehrt bleibt. Auf Kuba werden sie von der spanischen Kolonialverwaltung als »Freigelassene« anerkannt. Michel stirbt kurz darauf. Sechs Jahre später kehrt Rosalie ins freie Haiti zurück. Spanien und Frankreich befinden sich im Krieg, und die Anerkennung der Befreiungsurkunde macht aus der Bürgerin Rosalie, die sich auf Kuba Rosalia genannt hat, wie aus Zehntausenden anderen Franzosen eine unerwünschte Person. Sie wird ausgewiesen. Ihre Tochter Elisabeth, mit Übernamen Dieudonné (Gottesgeschenk), übergibt sie der Patin des Kindes, Marie Blanche Peillon, verwitwete Aubert. Diese zieht mit ihrem Partner, dem belgischen Zimmermann Jean Lambert Détry und der zehnjährigen Elisabeth im selben Jahr nach New Orleans.

Die Spanier auf Kuba schielen schon länger neidisch auf die von den Franzosen ausgebeutete Nachbarinsel Haiti, wo Ende des 18. Jahrhunderts eine halbe Million aus Westafrika verschleppte Sklaven auf den Zuckerrohr-, Kaffee- und Baumwollplantagen schuften. Sainte-Domingue deckt die Hälfte des Weltzuckerbedarfs. Davon will sich Spanien ein Stück abschneiden. Die geflohenen Sklavenhalter und Großgrundbesitzer sind ebenso willkommen wie die mitgebrachten Sklaven, um dem aus der Revolution hervorgegangenen Haiti den Rang abzulaufen. So kommt es, dass auch viele der geflüchteten Freigelassenen wieder versklavt werden. Es folgen Jahrzehnte des Schreckens. 1850 ist Kuba das Weltzentrum des Zuckeranbaus, wiederum auf dem Buckel von Hunderttausenden Sklavinnen und Sklaven.

Es ist wahrscheinlich, dass die Währung, mit der die französischen Menschenhändler die afrikanischen Menschenjäger für das Kind unbekannten Namens, das sie später Rosalie de Nation Poulard nennen, bezahlt haben, ein pièce d’Inde war, ein Ballen aus etwa vier Metern gefärbten Baumwollstoffs, der dem Gegenwert eines jungen, schwarzen Mannes im Alter von 14 bis 35 Jahren entspricht. Als captifs jeunes pièces d’Inde sans aucun défaut (gefangene, makellose junge indische Stücke) werden die Verschleppten gerne beschrieben, wenn sie als besonders wertvoll eingeschätzt werden. Die Stoffe stammen aus Indien, dem Weltzentrum der Baumwollfertigung, und sind wegen ihrer hohen Qualität bei den afrikanischen Sklavenjägern sehr begehrt. Sklavenhaltung und -handel sind in Afrika so verbreitet wie überall auf der Welt. Schwarze werden seit der Antike in den Mittelmeerraum und nach Asien verschleppt. Als portugiesische Seefahrer Mitte des 15. Jahrhunderts an der westafrikanischen Küste erste Handelsposten errichten, werden ihnen als Tauschware Sklaven angeboten. Sie schicken sie nach Portugal, wo sie verkauft werden. Die 2009 in einer historischen Müllkippe der Stadt Lagos im Süden Portugals aufgefundenen Skelette von 157 afrikanischen Verschleppten, unter ihnen 57 Kinder und Jugendliche, legen Zeugnis aus dieser Epoche ab. Lagos war in den ersten Jahrzehnten des Handels mit Sklaven aus Westafrika die europäische Drehscheibe. Zu den Profiteuren zählt auch Prinz Heinrich der Seefahrer als Auftraggeber und Organisator der portugiesischen Entdeckungsfahrten nach Afrika. Zwanzig Prozent der Erlöse fließen in seine Tasche. In unmittelbarer Nähe des Massengrabs finden sich die Gräber ordentlich bestatteter Leprakranker. Die Leichen der Afrikanerinnen und Afrikaner hatte man einfach über die Stadtmauer in die Abfallgrube geworfen. Die Analyse der Knochen zeigt die Symptome von Mangelernährung und harter körperlicher Arbeit, auch bei den Kindern.

Nach der Entdeckung der Westafrika vorgelagerten Inseln Sao Tomé und Principe im Jahr 1471 legen die Portugiesen erste Plantagen an, auf denen die Versklavten in die Arbeit gezwungen werden. Daraus entwickelt sich nach der Entdeckung und Eroberung Amerikas nach und nach das transatlantische Dreieck: Schwarze werden über den Atlantik verschleppt, wo sie Zwangsarbeit auf Zuckerrohr-, Tabak-, Kaffee-, Reis- und Indigoplantagen leisten müssen. Die Rohware gelangt nach Europa, wo sie verarbeitet und mit großem Gewinn verkauft wird, während die Schiffe, beladen mit Tauschware, wieder nach Afrika weitersegeln, um mit dieser als Währung für neue Sklaven zu bezahlen. Im 18. Jahrhundert sind neben Spaniern und Portugiesen mehr und mehr Franzosen, Briten, Niederländer und Dänen in dieses profitable Geschäft eingestiegen. Angetrieben wird dieser Kreislauf von dem Geld privater und staatlicher Investoren aus ganz Europa. Die Städte Zürich und Bern erwerben im 18. Jahrhundert Aktien der britischen South Sea Company, die aus dem Sklavenhandel Dividenden von fünf bis zehn Prozent auf dem investierten Kapital ausschüttet. So verdient die Stadt Zürich während rund hundert Jahren Geld an der Verschleppung von 36’949 Afrikanerinnen und Afrikanern. Dänische Staatsanleihen zur Finanzierung der Sklaverei auf den Dänischen Antillen zählen zum Portfolio der halbstaatlichen Zinskommission Leu & Co.

Diese »Willkürherrschaft« habe in den »Territorien« – gemeint sind die Kolonien – schneller zu »Wohlstand und Bedeutung geführt als in irgendeiner anderen Gesellschaftsform«, erkannte der als Vater des Kapitalismus geltende Moralphilosoph Adam Smith (1723–1790). Er erachtete die Sklaverei – im Widerspruch zu seiner Erkenntnis – als unrentabel, hielt deren Abschaffung aber für »kaum möglich«. Die Sklaverei sei »seit dem Beginn der Gesellschaft überall anzutreffen, und die Liebe zu Herrschaft und Autorität über andere Menschen wird sie wahrscheinlich unumgänglich machen.«

Mit der rohen Gewalt der Peitsche und dem langen Arm des Geldes verschleppten Europäer 12,5 Millionen Afrikanerinnen und Afrikaner in die Sklaverei. 5,8 Millionen Versklavte gehen auf das Konto von Portugal und Brasilien, 3,3 Millionen wurden von Briten verschleppt, 1,4 von Franzosen, eine Million von Spaniern, 550’000 von Niederländern, 305’000 von Amerikanern und 111’000 von Dänen. Die Europäer raubten riesige Landflächen, die sie von Sklaven bewirtschaften ließen, um agrarische Rohstoffe zu gewinnen. Der Historiker Sven Becker nennt es »Kriegskapitalismus«. Die Kriegskapitalisten teilen die Welt auf, in die innere ihrer Heimatländer, mit Gesetzen, staatlichen Institutionen und Regeln, die ihr Eigentum schützen, und in die äußere der eroberten Gebiete, die geprägt ist von imperialer Herrschaft und der ungestraften Enteignung von Land und Menschen, die beide in den Besitz von privaten Kapitaleignern übergehen. Rechtlos ist auch diese äußere Welt nicht. Aber die Rechte, die die Kriegskapitalisten beanspruchten, gelten dort nur für sie selbst. Der Staat wird zum Komplizen; er bereitet ihnen den legalen Boden. Seine Heere erobern das Land, das die privaten Eigentümer von Sklaven bestellen lassen. Und der Staat kassiert durch Steuern und Abgaben mit an der Ausbeutung. In den reichen Haushalten, in Salons und Kaffeehäusern, wo gerne über die Freiheit debattiert wird, laben sich die Damen und Herren an den Köstlichkeiten aus fernen Ländern, an denen das Blut der Versklavten klebt.

Diese Doppelmoral hat in Europa Tradition. Die Sklaverei gilt in vielen Ländern des Kontinents schon im frühen Mittelalter als abgeschafft. Die der Sklaverei sehr ähnliche Leibeigenschaft, die Millionen Bauern und ihre Familien an den Boden der geistlichen und weltlichen Herren bindet und sie zu deren faktischem Eigentum macht, wird – auch von modernen Historikern – schöngeredet.

Im Jahr 1525 hatte eine Bauernbewegung im Allgäu in Süddeutschland in einem zwölf Artikel umfassenden Forderungskatalog, »Kemptener Leibeigenschaftsrodel« genannt, unter anderem verlangt, die Leibeigenschaft aufzuheben. Im dritten Artikel steht: »das wir frei seien und wöllen sein«. Die Bindung an das Land des Grundbesitzers, die hohen Abgabepflichten, Frondienste, sexuelle Übergriffe, die Vererbung der Leibeigenschaft und auch der Handel mit Leibeigenen sind an der Tagesordnung. Die Bauern und Bäuerinnen begründen ihre Forderung nach Freiheit theologisch, ethisch und juristisch, mit dem Erlösertod Christi, der christlichen Nächstenliebe und der von Gott in die Welt gelegten Rechtsordnung des Naturrechts: »in der alten Schrift finden wir nicht, dass jemand des anderen eigen sei.« Hunderte berichten von den Plagen der »Eigenschaft«; »das klage ich Gott und dem Recht«, heißt es darin immer wieder. Von erpresserischen Gefangennahmen durch den »gnädigen Herrn von Kempten« ist die Rede, der damit die »freiwillige« Leibeigenschaft erzwang, von Heiratsverboten und brutaler Ausbeutung, die manchen Leibeigenen ihren ganzen Besitz raube und sie zu Bettlern mache.

Die Forderungen in den zwölf Artikeln lassen sich mit einem Wort zusammenfassen: Freiheit. »In den Feldlagern der Bauern wurde […] das Freiheitsproblem in einer bisher unbekannten Gründlichkeit diskutiert, die auch später nicht mehr erreicht wurde, jedenfalls nicht in einer vergleichbaren sozialen Breite. Die Freiheitsdebatte der Aufklärung ist dagegen ein zirkuläres Unternehmen unter Intellektuellen, erwiesenermaßen hat sie den größten Teil der Gesellschaft des 18. Jahrhunderts überhaupt nicht erreicht«, schreibt der Historiker Peter Blickle. Die Bauernrevolution wurde von Söldnerheeren, die von Kirche und Adel gedungen worden waren, blutig niedergeschlagen. Die Zahl der Toten wird auf 70’000 geschätzt.

Die europäische Ächtung der Sklaverei galt, wie unter Juden und Muslimen, nur für die Glaubensbrüder und -schwestern. So richtet sich der Fokus mittelalterlicher christlicher Sklavenjäger aus Genua, Venedig oder Barcelona aufs Schwarze Meer, wo die in den arabischen Kalifaten und später dem Osmanischen Reich besonders begehrten Weißhäutigen verschleppt und verkauft werden. In der frühen Neuzeit wird sich der Spieß umkehren. Nun sind es arabische Sklavenjäger, die in den christlichen Anrainerstaaten des Mittelmeers reiche Beute machen. Hunderttausende Europäer werden aus den Küstengebieten verschleppt. Wer Glück hat, wird freigekauft.

Mit der Industriellen Revolution, nach dem Historiker Eric Hobsbawm das »wichtigste Ereignis der Weltgeschichte«, haben die Kriegskapitalisten einen Zügel in der Hand, der sie zu den Schöpfern einer neuen Wirtschaftsform macht, dem Industriekapitalismus. Die Entwicklung der ersten Textilmaschinen in England vervielfacht die Nachfrage nach Baumwolle, aber der Weltmarkt gibt den Rohstoff nicht her. Rund um den Erdball hat der Baumwollanbau in den Tropen und Subtropen eine jahrtausendealte Tradition, doch nur geringe Mengen werden exportiert und die Preise sind hoch. Nun beginnt eine gnadenlose Jagd nach Land und Sklaven. Zwischen 1784 und 1791 werden eine Viertelmillion afrikanischer Sklaven, unter ihnen Rosalie, in die Karibik verschleppt. Allein auf Sainte-Domingue sind es Zehntausende. Diese Sklaven machen das Land urbar, um das »weiße Gold« zu säen, zu pflegen und zu ernten. Fast die Hälfte der 12,5 Millionen Menschen, die in den knapp vierhundert Jahren des Sklavenhandels aus Afrika nach Amerika verschleppt werden, erleiden dieses Schicksal in den Jahren zwischen 1776 und 1850. Sie sind ein Jahrhundert lang der wahre Treibstoff der Industriellen Revolution. Der Aufstand auf Sainte-Domingue bringt diesen Motor ins Stottern. 1791, als die Revolution ausbricht, bezieht Großbritannien 24 Prozent der Rohbaumwolle aus Sainte-Domingue. Danach brechen die Importe zusammen. Ein britischer Beobachter schreibt von »Anarchie, Elend und nahezu vollkommenem Zerfall«; aufgrund dessen sei es unwahrscheinlich, »dass der Boden der Plantagenbesitzer, den Neger durch ihr Blut und ihren Schweiß fruchtbar gemacht haben, für alle Zeit unsere Kassen füllen würde, um weiter zu unserem Überfluss, unserer Verschwendungssucht und unserer Maßlosigkeit beizutragen«. Die Briten werden schon bald am Schauplatz Indien neue Formen der Ausbeutung entwickeln und dabei ein ganzes Wirtschaftssystem zerstören.

Die Westindischen Inseln sind zu dieser Zeit nach dem Historiker Moses I. Finley eine von fünf Sklavengesellschaften, die das Licht der Geschichte verdunkelt haben. Finley unterteilt die Sklaverei in zwei Formen, Gesellschaften mit Sklaven und Sklavengesellschaften. Es gab und gibt überall auf der Welt Gesellschaften mit Sklaven. Die Sklaverei mochte in diesen Gesellschaften omnipräsent oder – wie heute – im Verborgenen sein, aber die Sklavenhaltung ist nicht von entscheidender Bedeutung für das wirtschaftliche Überleben. In Sklavengesellschaften bilden hingegen die Sklaven die wirtschaftliche Basis, und es kann nicht verwundern, dass in diesen hoch organisierten Gesellschaften der Status der Versklavten rechtlich, philosophisch und theologisch verankert ist und gerechtfertigt wird. Neben den Westindischen Inseln zählt Finley das antike Griechenland, das Römische Reich, das koloniale und das unabhängige Brasilien und die Südstaaten der USA dazu.

Die erste Sklavengesellschaft entwickelte sich vor zweieinhalb Jahrtausenden, die attische Demokratie mit Athen als Hauptstadt. In einem Gerichtsverfahren geht es um einen Behinderten: »Mein Vater hat mir nichts hinterlassen. Meine Mutter, die vor mehr als zwei Jahren gestorben ist, habe ich bis dahin ernährt. Kinder, die mich verpflegen könnten, habe ich noch nicht. Das Gewerbe, das ich betreibe, kann mir nur wenig eintragen, auch kann ich es nur noch zur Not selbst betreiben; einen Sklaven aber, der an meine Stelle träte, vermochte ich mir noch nicht zu kaufen. Andere Hilfsquellen als diese habe ich nicht, und wenn ihr mir diese entzieht, laufe ich Gefahr, einem höchst traurigen Los zu verfallen.«

Der griechische Gerichtsredner Lysias (um 445 bis 380 v. u. Z.) vertrat in einem seiner erhaltenen Plädoyers den Behinderten, dem die Rente gestrichen werden sollte; er war auf einem Pferd reitend gesehen worden. Zu all den üblen Dingen, die dem Rentenempfänger widerfahren sein sollen, zählt auch das mangelnde Geld, um einen Sklaven zu erwerben. Die attische Demokratie, die erste »Volksherrschaft« der Weltgeschichte, steht zu Lebzeiten von Lysias auf ihrem Höhepunkt, die Bürger der Stadt – Frauen sind von der politischen Mitsprache ausgeschlossen – genießen politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Freiheiten und das Recht, sich vor Gericht zu verteidigen und Gerechtigkeit einzufordern. Ob der Behinderte den Prozess gewann, ist nicht überliefert. Aber zweifellos war es sein gutes Recht, einen Sklaven zu kaufen, der sich um seine Geschäfte zu kümmern hätte. Die »private Beziehung zwischen Herr und Sklave« färbte »auf alle Lebensbereiche ab«, erklärt der Historiker Jürgen Osterhammel. »Der Sklave steht rechtlos außerhalb der Gesellschaft, er ist weder Untertan noch Bürger, sondern Eigentum des Sklavenhalters. Diese monopolisierten damit auch staatliche Herrschaftsbefugnisse, sie waren ›die herrschende Klasse‹.« Dazu kommt die überragende wirtschaftliche Bedeutung der Sklaven. Die Ausbeutung ihrer Arbeitskraft legt das Fundament für die parasitäre Sklavengesellschaft.

Die attische Demokratie entstand vor dem Hintergrund eines Konfliktes zwischen den Aristokraten, der herrschenden Klasse von Sklavenhaltern, und landhungrigen Kleinbauern, die zunehmend in Schuldknechtschaft gerieten und auch als Sklaven ins Ausland verkauft wurden. Mit der von dem Staatsmann und Lyriker Solon (ca. 640 bis ca. 560 v. u. Z.) initiierten Abschaffung der Schuldsklaverei, der Streichung aller Schulden und der Rückgabe des Landes an die versklavten Bürger erkämpften sich diese ihre persönliche Freiheit und später, nach dem triumphalen Sieg gegen die Perser im frühen 5. Jahrhundert vor unserer Zeit, auch »Macht, Ehre und Ruhm«, die bisher den Aristokraten vorbehalten waren, schreibt Patterson. »Das nackte Konzept von Freiheit als der reinen Macht wurde umhüllt mit den feinen Sitten der Arete, der Tugendhaftigkeit.« Jedem griechischen Bürger sei dabei bewusst gewesen, dass die »wahre, mit Unabhängigkeit, Würde und adeligem Leben verbundene Freiheit die Versklavung oder Beherrschung anderer Individuen« bedeutete.

Die Freiheit der einen setzt die Unfreiheit der anderen voraus. Der Freie kann nicht ohne den Unfreien. Erst über zwei Jahrtausende später sollte Hegel die Scheinheiligkeit und Doppelzüngigkeit dieses Freiheitskonzeptes entlarven. In der Philosophie des Rechts schreibt er: »Die behauptete Berechtigung der Sklaverei (in allen ihren näheren Begründungen durch die physische Gewalt, Kriegsgefangenschaft, Rettung und Erhaltung des Lebens, Ernährung, Erziehung, Wohltaten, eigene Einwilligung usf.), sowie die Berechtigung einer Herrschaft als bloßer Herrenschaft überhaupt und alle historische Ansicht über das Recht der Sklaverei und der Herrenschaft beruht auf dem Standpunkt, den Menschen als Naturwesen überhaupt nach einer Existenz (wozu auch die Willkür gehört) zu nehmen, die seinem Begriffe nicht angemessen ist. Die Behauptung des absoluten Unrechts der Sklaverei hingegen hält am Begriffe des Menschen als Geistes, als des an sich freien, fest und ist einseitig darin, dass sie den Menschen als von Natur frei oder, was dasselbe ist, den Begriff als solchen in seiner Unmittelbarkeit, nicht die Idee, als das Wahre nimmt.« Doch Hegel ist auch ein Kind einer Epoche, in der nur wenige etwas daran auszusetzen haben, Millionen Schwarzafrikaner zu versklaven. In seinen Vorlesungen über die Geschichte meint er: »Der Neger stellt den natürlichen Menschen in seiner ganzen Wildheit und Unbändigkeit dar. Es ist nichts an das Menschliche Anklingende in diesem Charakter zu finden. Dieser Zustand ist keiner Entwicklung und Bildung fähig, und wie wir sie heute sehen, so sind sie immer gewesen.«

Hegel übt scharfe Kritik an Aristoteles (384–322 v. u. Z.). Dieser hatte in seiner staatspolitischen Schrift Politik die Sklaverei aus dem Naturrecht gerechtfertigt. Das Herrschende und das Beherrschte bestünden von Natur aus. Ein Sklave sei zum Dienen geboren; auch wenn er ein Mensch und damit vernunftbegabt sei, so gehöre er nicht sich selbst, sondern jemand anderem, so »wie der Körper der Seele gehört oder das Tier dem Menschen«. Er sei deshalb etwas, das man besitzen und als Hilfsmittel verwenden könne. Noch bis ins 19. Jahrhundert hinein sollten sich Sklavenhalter auf dieses »Naturrecht« berufen. Doch es gab im antiken Griechenland auch andere Strömungen. Platon (428–348 v. u. Z.), Lehrer von Aristoteles, sprach von der »wahren Freiheit« als »Befreiung der Seele von inneren sklavischen Impulsen« mittels Selbstbeherrschung. Der Komödiendichter Menandros (342/341 bis 291/290 v. u. Z.) sah darin den Weg der Befreiung. Diese »innere Freiheit«, heißt es in einem überlieferten Fragment, »sei frei im Geiste, obwohl du ein Sklave bist, und dadurch hörst du auf, ein Sklave zu sein«. Dieser Freiheitsbegriff prägte das Denken des Stoizismus und der ersten Christen, unter ihnen viele freigelassene Sklaven. Er sollte sich als Spur und Wegweiser eines universalen Freiheitsbegriffes erweisen, wie er heute in Artikel 3 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte gilt. »Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person.«

partus sequitur ventremius gentium