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Cover

Tanja Kinkel – eine vielseitige Schriftstellerin

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

Epilog

Leserkontaktseite

Kommentar

Glossar

Clubnachrichten

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

Tanja Kinkel – eine vielseitige Schriftstellerin

 

 

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Dr. Tanja Kinkel, geboren 1969 in Bamberg, studierte Germanistik sowie Theater- und Kommunikationswissenschaft. Sie absolvierte Stipendien in Rom, Los Angeles und an der Drehbuchwerkstatt in München, erhielt diverse Literaturpreise und wurde mehrfach öffentlich ausgezeichnet. Ihre Promotion schloss die Autorin im Jahr 1997 mit einer Arbeit über das Werk des Schriftstellers Lion Feuchtwanger ab.

2006 wurde sie als eine von hundert Personen bei der Aktion »Deutschland – Land der Ideen – 100 Köpfe von morgen« ausgewählt. Dabei handelte es sich um eine Initiative der damaligen Bundesregierung, die zur Fußball-Weltmeisterschaft 2006 veranstaltet wurde und unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten stand. Sie ist im Vorstand des PEN.

In den vergangenen Jahren veröffentlichte die vielseitige Schriftstellerin fünfzehn Romane, die in mehr als ein Dutzend Sprachen übersetzt sind. Ihre Werke spielen in England und Frankreich, in Ägypten und Deutschland, im Mittelalter und in der Neuzeit.

Tanja Kinkel ist Schirmherrin der Bundesstiftung Kinderhospiz. 1992 gründete sie zudem die Kinderhilfsorganisation »Brot und Bücher e.V.«, die sich für benachteiligte Kinder einsetzt.

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Nr. 2757

 

Das Sorgenkind

 

Eine Jugend auf dem Planeten Gloster – ein Leben in Demütigung und Gefahr

 

Tanja Kinkel

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

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Seit die Menschheit ins All aufgebrochen ist, hat sie eine wechselvolle Geschichte hinter sich: Die Terraner – wie sich die Angehörigen der geeinten Menschheit nennen – sind längst in ferne Sterneninseln vorgestoßen. Immer wieder treffen Perry Rhodan und seine Gefährten auf raumfahrende Zivilisationen und auf die Spur kosmischer Mächte, die das Geschehen im Universum beeinflussen.

Seit 1514 Neuer Galaktischer Zeitrechnung – bereits über zwei Jahre lang – steht die Milchstraße unter dem Einfluss des Atopischen Tribunals. Dies behauptet, im Rahmen der »Atopischen Ordo« für Frieden und Sicherheit zu sorgen und den Weltenbrand aufzuhalten, der anderenfalls der Galaxis drohe.

Nach wie vor gibt es Wesen und ganze Zivilisationen, die dem Tribunal skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen, doch dessen Macht ist groß genug, diese zu disziplinieren. Auf der anderen Seite haben sich etliche andere Völker bereits entschieden, sich auf die Seite der faktischen Machthaber zu stellen. Nicht zuletzt, weil diese offenbar sogar über die Möglichkeit verfügen, treuen Verbündeten Zellschwingungsaktivatoren zu verleihen, die das ewige Leben ermöglichen.

Einer der Ersten, die sich dem Atopischen Tribunal als Verbündeter andienten, war der Regierungschef der Tefroder, die vor Jahrhunderten aus Andromeda in die Milchstraße zurückkehrten und dort ein eigenes Reich aufbauten: Vetris-Molaud. Nun blenden wir 62 Jahre zurück – und erleben DAS SORGENKIND ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Yeyer Gwethry – Ein Jülziish agiert auf tefrodischem Gebiet, wie es ihm beliebt.

Ringület – Ein Jülziish muss für die Schulden seiner Familie geradestehen.

Caer-Cedvan – Ein Sorgenkind versucht respektiert zu werden.

Spälneyer – Ein bioarchitektonischer Experte aus der galaktischen Southside besucht das Helitas-System.

Vetris-Molaud – Ein Tefroder stemmt sich dem Niedergang seines Volkes entgegen.

1.

Helitas-System, Planet Gloster

2. Januar 1455 NGZ =

61.441 dha-Tamar / dT

 

Das letzte Stück entweichender Luft trieb Caer-Jusiv vorwärts und ließ ihn stolpern. Er hatte die Oberfläche des Planeten schon oft genug betreten, um zu wissen, wie man sich verhielt, wenn die letzte der Luftschleusen sich öffnete und einen dem Vakuum preisgab; es gab keinen Grund, herumzutorkeln wie ein Kleinkind.

Unter seinem Helm spürte er, wie er rot wurde, und war froh, dass keiner seiner Begleiter eine Bemerkung machte. Sie hatten schon genügend Witze darüber gerissen, dass ihn ein Sat begleitete, wie es das Gesetz auf Gloster für Minderjährige verlangte, wenn sie sich an die Oberfläche wagten. Seine Freunde hatten gut reden.

Sie waren beide älter als er, der mit seinen sechzehn Jahren zwar in seinen eigenen Augen ein Mann war, aber nicht in denen seiner Eltern oder des Gesetzes. Eigentlich hätte Caer-Jusiv heute den Familiensitz überhaupt nicht verlassen dürfen. Es widersprach jeder Sitte, denn es war nicht irgendein Tag.

Er wandelte sein Stolpern in einen stürmischen Schritt nach vorn. »Kommt schon!«, sagte er zu den anderen. »Oder wollt ihr hier herumstehen, bis ihr selbst Kristall ansetzt und die Xhan euch fressen?«

Der Sat folgte seiner Programmierung als Aufsicht für Minderjährige, die auch verbale Lektionen einschloss, und sagte belehrend: »Die Xhan leben ausschließlich von Schwefelkristallen innerhalb der Vulkanschlote, junger Herr. Die Chance, dass sie sich einer organischen Lebensform nähern würden, ohne provoziert worden zu sein, sind ...«

»Das interessiert keinen!«, schnitt ihm Caer-Jusiv unwirsch das Wort ab. Über den Helmfunk konnte er seine Freunde lachen hören. Er ignorierte sie und stapfte weiter. Sich durch die atmosphärenlose Oberfläche von Gloster zu bewegen, war nicht weiter schwierig; immerhin galt dort ebenso wie in den Kavernenstädten, in denen die Bevölkerung lebte, die gleiche Schwerkraft.

Was Ausflüge nach oben zu einem Risiko machte, wie es Caer-Jusiv gerade an diesem Tag willkommen war, hatte nichts mit den Umweltbedingungen und alles mit den lebenden Wesen zu tun, die in den alten Ruinenstädten der Lemurer lauerten; die Xhan, die innerhalb ihres Zyklus einmal im Jahr ihre Vulkanschlote verließen und Kolonien in den Ruinen bildeten, und die Schlundklauen. Was die Xhan betraf, waren die Mahlkiefer, mit denen sie ihre Schwefelkristalle aufnahmen, gefährlich für jeden Schutzanzug, aber mit einem Spezialgewehr und Sauerstoffpatronen konnte man sie sich vom Leib halten.

Es waren die Schlundklauen, derentwegen Caer-Jusiv trotz seines empfindlichen Stolzes nicht den Versuch gemacht hatte, seinen Sat loszuwerden. Schlundklauen kümmerte es nicht, wenn man sie mit Sauerstoff beschoss, und was sie einem organischen Wesen antun konnten, hatte Caer-Jusiv selbst gesehen, als man seinen älteren Vater, Caer-Vetris vor einem Jahr aus den Minen brachte. Wenn seine Mutter keine so gute Medikerin wäre, wäre der Vater wahrscheinlich nicht mehr am Leben. Stattdessen ...

Caer-Jusiv blinzelte. Er war wütend, nicht traurig, das sagte er sich, wütend auf alle Mitglieder seiner Familie bis auf seine Schwester, und es wäre schöner, wenn er auch nur eine Träne auf seine Eltern verschwendete. Alle drei hatten dazu beigetragen, dass er derzeit lieber überall war, nur nicht daheim.

In seinem linken Ohr knackte es, und er hörte, wie sein Freund Xalu sich räusperte. Xalu musste sich aus dem allgemeinen Funk ausgeklinkt haben, um mit Caer-Jusiv auf einer Frequenz zu sprechen, die von den anderen nicht mitgehört wurde.

»Es ist eigentlich zu früh für Xhans in Shessert«, sagte Xalu. »Und wenn welche da sind, haben sie noch keine Perlen gebildet, darauf wette ich.«

»Ich kriege meine Perle, du wirst schon sehen. Ich habe meiner Schwester versprochen, ihr eine mitzubringen, und ich halte meine Versprechen.«

»Bimal-Tab hat also nicht nach dir geschickt, wie?«, fragte Xalu, und Caer-Jusiv tat so, als habe er nichts gehört. Stattdessen winkte er mit seinem Gasgewehr, damit ihn die anderen sahen, und deutete auf den ersten der Türme von Shessert, der am Horizont aufragte.

Wie alle Ruinen der alten Lemurerstadt hatte er die dunkle Tönung vulkanisierten, alten Glases. Aber an einer Stelle konnte man, wenn man sehr genau hinsah, ein paar milchige Flecken erkennen.

»Eine Xhan-Kolonie!«, stieß Caer-Jusiv triumphierend hervor. »Ich wusste es!«

Er hatte einen guten Lehrer gehabt. Sein jüngerer Vater, Bimal-Tab, hatte zwar keine Gene zu Caer-Jusivs Erbe beigesteuert, aber Bimal-Tab war es gewesen, der ihm die Xhan-Jagd beigebracht hatte, der ihn gelehrt hatte, auf welche Spuren zu achten war, der ihm gezeigt hatte, wie man mit Waffen umging. Caer-Vetris war der ruhige Pol der Familie, und Bimal-Tab ihr schlagkräftiger Arm, aber auch der Elternteil, der am meisten Zeit für die Kinder hatte.

Wenn Caer-Vetris Khalumvatt schürfte und Caer-Jusivs Mutter, Viina Opyaz, ihre Patienten behandelte, hatte Bimal-Tab Caer-Jusiv und seiner Schwester Caer-Betoo Abenteuer beschert und sie das Tanzen gelehrt. Sie hatten ihn vergöttert – bis zu jenem Tag, an dem die Mutter sich erneut als schwanger diagnostiziert hatte, kaum, dass der ältere Vater wieder genesen war, und die Streitereien zwischen den Erwachsenen losgegangen waren.

Der Sat konnte keine Schlundklauen in der Umgebung ausmachen, aber einer der Gründe, warum Schlundklauen so gefährlich waren, lag darin, dass sie sich an der Oberfläche wegen all der Kristallreflexionen von Funkwellen meist der Ortung entzogen. Während die Jungen sich vorsichtig auf den Turm zubewegten, sagte Xalu: »Wenigstens einer von uns sollte Wache halten, während die anderen zu der Kolonie klettern.«

Caer-Jusiv war im Begriff zu nicken, als Xalu fortfuhr: »Du solltest das tun, Jusiv.«

»Auf keinen Fall!«, sagte Caer-Jusiv empört. »Heute nach Xhan-Perlen zu suchen, war meine Idee. Ich habe die Xhan-Kolonie entdeckt!«

»Du bist der Jüngste, also hältst du Wache«, sagte der dritte seiner Freunde bestimmt.

»Aber ich ...«

»Caer-Jusiv«, sagte Xalu, »wenn dir heute, ausgerechnet heute, etwas passiert, was meinst du, was deine Eltern dann ...?«

Genug war genug. Caer-Jusiv ignorierte seine Gefährten, stellte sicher, dass sein Gasgewehr fest an seinem Schutzanzug befestigt war, und erklomm langsam die Turmruine. Die empörten Rufe in seinem Helm feuerten ihn höchstens noch an. Er verstand ohnehin nicht, wie Xalu und die anderen ihm in den Rücken fallen konnten. Sie hatten sich immer gegenseitig angefeuert, und er war von den älteren Jungen als einer der ihren akzeptiert worden, weil er niemals zurückgewichen war. Warum benahmen sie sich auf einmal, als müssten sie auf ihn aufpassen?

Es war alles die Schuld der Ungeheuerlichkeit, die heute in ihren Namen trat. Sein älterer Vater war zwar nach seiner fast tödlichen Begegnung mit einer Schlundklaue gerettet worden, aber wie sich herausstellte, hatte sie ihn mit der Krankheit Morbus Schaspander infiziert, was auch nach der Heilung einen dauerhaften genetischen Defekt hinterließ. Es war für jeden ein Schock gewesen, als Caer-Jusivs Mutter wieder schwanger wurde. Sie hatte bereits früher davon gesprochen, ein drittes Kind zu wollen, wenn Caer-Jusiv und Caer-Betoo erst alt genug waren, um keine elterliche Aufsicht mehr nötig zu haben.

Doch das war vor dem Unfall gewesen. Jedes danach noch von Caer-Vetris gezeugte Kind würde mit allergrößter Wahrscheinlichkeit schwer und unheilbar behindert zur Welt kommen, und niemand wusste das besser als Viina Opyaz, die Medikerin.

»Warum tust du dir das an? Warum nihilierst du es nicht?«, hatte Bimal-Tab wieder und wieder gefragt. Das harmonische Verhältnis zwischen den Ehegatten war zerbrochen, als Viina Opyaz ihm Egoismus vorwarf, weil er sich Jahre vorher sterilisiert und einen eigenen genetischen Beitrag in der Ehe für ein drittes Kind damit unmöglich gemacht hatte; Caer-Vetris indessen wollte wissen, ob er selbst in den Augen seines Ehemanns ebenfalls nun »irreparabel behindert« und lebensunwürdig sei. Der Tiefpunkt der Streitereien war erreicht, als Bimal-Tab erklärte, die Scheidung zu wollen, und es um das Sorgerecht für Jusiv und seine Schwester ging.

Sie waren beide alt genug, um sich entscheiden zu dürfen, bei wem sie leben wollten, und sie liebten Bimal-Tab. Aber der ältere Vater war gerade erst durch ein Wunder dem Tod entronnen, und für die Mutter verlief die Schwangerschaft schwierig. Es ging nicht darum, welches Elternteil man mehr liebte, sondern wer sie mehr brauchte, hatte Betoo zu Jusiv gesagt. Ohne sie mit Bimal-Tab zu gehen, wäre für ihn ohnehin nie infrage gekommen. Also blieben sie beide bei Caer-Vetris und Viina Opyaz auf Gloster, während Bimal-Tab den Planeten verließ.

Er hatte Caer-Jusiv und Caer-Betoo versprochen, dass sie einen Teil des Jahres bei ihm verbringen dürften, wenn er sich erst dauerhaft anderswo angesiedelt hatte. Doch seit seinem Abschied hatten sie nichts mehr von ihm gehört.

Betoo war nur zwei Jahre jünger als Jusiv, und er konnte sich eigentlich nicht an ihre Geburt erinnern, aber es gab Holoaufnahmen von dem Tag, als sie in ihren Namen eingetreten war. Die gesamte Familie war versammelt gewesen und hatte fröhlich gefeiert. Auf einem der Holos war zu sehen, wie Caer-Jusiv von allen drei Eltern über das Neugeborene gehalten wurde und mit seinen kleinen Händen winkte, während die Erwachsenen strahlten.

Heute würde niemand strahlen, einer seiner Väter war fort, und es war alles nur die Schuld eines Kinds, das sofort nach der Diagnose seines Zustands hätte nihiliert werden sollen. Caer-Jusiv verstand nicht, was in seiner Mutter vorging, doch wie sein jüngerer Vater sie alle im Stich lassen konnte, das begriff er noch weniger. An die Oberfläche zu gehen, statt daheim auf das verwünschte Kind zu warten, war sein eigener Protest, aber er wusste, dass er wieder zurückkehren würde.

Mittlerweile konnte er die Xhan deutlicher erkennen. Sie waren anaerobe Kreaturen und nur so dünn wie einer seiner Finger, aber groß genug, um sich von dem kristallisierten Mauerwerk abzuheben. Diejenigen, die sich über Caer-Jusiv befanden, gingen ihm nur etwa bis zur Hüfte, was darauf hinwies, dass sie keine ausgereiften Kristallfresser waren.

Er biss sich auf die Lippen. Junge Xhan hatten nur selten genügend Howalgonium zu sich genommen, um es in ihren Mägen durch die Mineralsekrete zu Perlen zu formen.

»Komm runter, Jusiv!« Xalus Stimme in seinem Ohr ließ sich nicht mehr verdrängen.

»Kommt ihr doch hoch, Weichlinge!«

Die Xhan hatten sich ineinander verhakt, wie sie es in Kolonien außerhalb der Vulkane immer taten. Wenn man sie nicht angriff, ließen sie einen in Ruhe, aber wenn sie sich bedroht fühlten, waren sie durchaus imstande, gemeinsam über einen Angreifer herzufallen. Der Schutzanzug, in dem sich Caer-Jusiv befand, hatte keine Antigrav-Sohlen, was bedeutete, dass er nur eine Hand frei haben würde, um sich vor einem möglichen Sturz zu bewahren, denn mit der anderen musste er das Gas-Gewehr abfeuern.

Er kniff die Augen zusammen. Einer der Xhan war etwas länger als die meisten anderen, fast so groß wie Caer-Jusiv selbst. Sofern er heute eine Perle erbeuten würde, dann im Inneren dieses Xhan.

Es gibt nur dich selbst und dein Ziel, konnte er Bimal-Tabs Stimme in seinem Kopf hören. Der Stich, den ihm das versetzte, ließ ihn anlegen und feuern, ehe er sich noch einmal überlegen konnte. Er war auf den Rückstoß vorbereitet, und seine Füße hatten sich zwischen den rissigen Steinen gut verkeilt, sodass er nicht das Gleichgewicht verlor.

Aber die Xhan-Kolonie stob nicht auseinander, wie er gehofft hatte; stattdessen richteten sich ihre antennenähnlichen Fühler auf, und sie krabbelten in seine Richtung, bewegten sich dabei viel schneller, als es ihm selbst möglich gewesen wäre. Aus den Augenwinkeln sah er, dass einer von ihnen die Haftung an der Ruine verlor und Richtung Boden stürzte, aber das ging zu schnell, um sicher zu sein, dass es der Xhan war, auf den Caer-Jusiv gezielt hatte. Egal, er hatte seine Gelegenheit gehabt und verloren; nun galt es, sich in Sicherheit zu bringen.

Die Xhan würden ihn erreichen, selbst wenn er sehr schnell kletterte. Er hatte noch eine Projektilwaffe bei sich, zur Bekämpfung von Schlundklauen. So gut es ging, verhakte er das Gasgewehr und nahm die Projektilwaffe in seine Rechte.

Dann schoss er, nicht auf die Xhan, sondern auf etwas hoch über sich, das wohl vor vielen Jahrtausenden einmal ein eleganter Balkon gewesen war, und nun nur noch poröses vulkanisiertes Glas. Es zerbarst, und der Schauer an Scherben fiel direkt auf die Xhan. Die Kristallfresser waren verwirrt genug von dieser plötzlichen Fütterung, um in ihrer Bewegung auf Caer-Jusiv zu innezuhalten. Er stieß den Atem aus, den er angehalten hatte, und machte sich daran, abwärts zu klettern.

Als er unten ankam, teilte der Sat ihm mit, dass sie umgehend nach Thonoriom zurückzukehren hätten; sein Bruder sei in seinen Namen eingetreten, und die Anweisung der Eltern, deren Wortlaut der Roboter mit dem Klang ihrer Stimmen abspielte, war eindeutig.

»Wo ist der Xhan?«, fragte Caer-Jusiv.

Xalus Miene war unter seinem Helm nicht zu erkennen, aber seine Stimme klang pfiffig. »Welcher Xhan?«

»Der, den ich angeschossen habe. Der, dessen Perle ich jetzt herausholen werde.«

»War da ein Xhan? Hast du einen Xhan herunterstürzen sehen?«, fragte Xalu ihren gemeinsamen Freund Raenert, der den Kopf schüttelte.

»Hört mit dem Blödsinn auf!«, sagte Caer-Jusiv.

»Ich habe die Erlaubnis, den jungen Herren zu betäuben, falls er nicht folgt«, sagte der Sat. »Wir müssen umgehend unter die Oberfläche zurückkehren.«

»Der Xhan, oder ich erzähle überall, dass ihr darauf steht, es mit Blues zu treiben«, stieß Caer-Jusiv hervor. Das war das gemeinste Gerücht, das man in ihrer Clique über jemanden verbreiten konnte, und seine Freunde gaben nach. Wie sich herausstellte, hatten sie den Xhan bereits ausgeweidet, oder besser gesagt, diese Arbeit dem Sat überlassen, der die Perle sofort konfisziert hatte und sie nicht eher herausrücken würde, bis er und Caer-Jusiv in der Empfangshalle des Hauses Caer standen.

Daher machte Jusiv keinen Versuch mehr, seine Rückkehr weiter hinauszuzögern. Wenn das verwünschte Balg nun in seinen Namen eingetreten war, würden die Eltern vielleicht einsehen, was sie für einen Fehler gemacht hatten. Glücklich konnten sie auf keinen Fall sein, und er wollte Betoo in dieser Situation nicht mit ihnen allein lassen.

 

*

 

Thonoriom war eine der schönsten Kavernenstädte auf Gloster, und da Caer-Vetris zu den erfolgreichsten und daher wohlhabendsten Khalumvatt-Schürfern zählte, konnten Caer-Jusivs Eltern sich ein Heim leisten, das äußerlich einem exquisiten, geschlossenen Blumenkelch glich und mit den neuesten Techniken ausgestattet war. Jeder Raum hatte seine eigene Duftnote, die von separaten Klimaanlagen angenehm lebendig gehalten wurde. In dem großen Empfangsraum roch es nach würzigen Kräutern.

Caer-Jusiv hatte sich schon in der Eingangsschleuse von jedem Schweiß befreit, wie es üblich war, aber er bildete sich ein, dass der Kräuterduft diesmal ein wenig stärker als sonst gestellt war. Der Sat griff in sich und zog die Xhan-Perle hervor, aber ehe Caer-Jusiv dazu kam, sie zu inspizieren, hörte er das Geräusch sich öffnender und schließender Türen, und ihm wehte ein vertrauter Parfümduft entgegen: Seine Schwester Caer-Betoo rannte auf ihn zu.

Betoo hatte mit vierzehn die Pubertät hinter sich gelassen und war ihrer Kinderplumpheit und dem heftigen Aknesturm, der folgte, entkommen; so, wie sie jetzt aussah, mit einer schlanken Figur, schulterlangem schwarzem Haar, einem makellosen Profil und tiefblauen Augen, konnte man sie, ohne zu übertreiben, als eine Schönheit bezeichnen. Jusiv war sich nicht sicher, ob er glücklich darüber war, dass Betoo zu entdecken begann, welche Macht ihr das verlieh.

Früher hatten seine Freunde es als Zumutung betrachtet, wenn er darauf bestand, seine kleine Schwester mitzubringen, mittlerweile drehten sich unwillkürlich die Köpfe, wenn sie auch nur über Holobild mit ihm sprach. Nach der dritten scheinbar beiläufigen Frage, ob Betoo einen festen Freund habe, war Caer-Jusiv dazu übergegangen, solche Fragesteller nicht mehr mit nach Hause zu bringen; aber das nützte mittlerweile nichts mehr, denn in den letzten Monaten war Betoo ihrerseits dazu übergegangen, sich selbst Gäste einzuladen und auch ohne ihn durch Thonoriom zu streifen.

Seine Eltern ließen ihr das durchgehen, wohl, weil sich in ihren Köpfen alles nur noch um das neue Kind drehte, was Caer-Jusiv einen weiteren Grund für seinen Groll auf die Erwachsenen gab. Gewiss, ihm war mit vierzehn auch das Gleiche gestattet worden, aber das war etwas anderes gewesen! Caer-Betoo brauchte ihn an ihrer Seite, das verstand sich einfach von selbst.

Gewöhnlich lachte sie, wenn er versuchte, ihr das klarzumachen. Nur nicht heute; heute war ihr Gesicht ernst, der Schwarzstaub auf den Wimpern, der das Blau ihrer Augen hervorhob, war verschmiert, und er konnte sehen, dass sie geweint hatte.

»Es war entsetzlich«, flüsterte sie ihm ins Ohr, während sie ihn umarmte. »Fünf Stunden hat es gedauert, und sie hat sich nicht betäuben dürfen, weil es am Ende sonst während der Geburt gestorben wäre. Wenn ich je eins kriege, lasse ich es von jemand anderem austragen, das schwöre ich dir.«

Caer-Jusiv hielt sie fest und konnte spüren, wie sie zitterte.

»Aber es ist am Leben?«

»Ja.« Er konnte ihrer Stimme nicht entnehmen, ob sie enttäuscht oder erleichtert darüber war. Dieses Kind hatte der Familie von Anfang an nur Zwist und Unglück gebracht, aber nun, da es in seinen Namen getreten war, musste man sich mit seiner Existenz wohl abfinden.

»Hat ...«

»Nein«, antwortete Betoo, die genau wusste, was er fragen wollte. »Er hat immer noch nicht von sich hören lassen.«

Caer-Jusiv ließ sie los und sagte sich, dass er mittlerweile nichts anderes mehr erwartete. »Dann bringe ich es am besten hinter mich.«

Er griff nach ihrer Hand, und mit ineinanderverschränkten Fingern machten sie sich auf den Weg in das Schlafzimmer ihrer Mutter, wo die Medoroboter mittlerweile die Luft gefiltert, von Schweiß, Blut und Geburtswasser gereinigt und durch angenehme Holzdüfte mit einer Blumenbeifügung ersetzt hatten.

Viina Opyaz sah man die Anstrengung, die hinter ihr lag, dennoch an. Tiefe Schatten lagen unter ihren Augen, und ihr Haar, obwohl sorgfältig zurückgebunden, wirkte immer noch etwas verklebt. Neben ihrem Bett stand ein Inkubator, obwohl ihre Schwangerschaft nicht frühzeitig beendet worden war, sondern die gesamten neun Monate gedauert hatte. Aber sie hatte nach den ausführlichen Diagnosen, die sie selbst durchgeführt hatte, kein Risiko eingehen wollen. Caer-Jusiv konnte einen vagen Umriss unter dem milchigen, feinen Kunststoff des Inkubators erkennen. Vor allem konnte er das laute, ohrenbetäubende Weinen hören.

»Es ist schön, dass du endlich den Weg zu mir findest, mein Sohn«, sagte seine Mutter kühl. Nun, er hatte damit rechnen müssen, dass sie ihm seine unbotmäßige Abwesenheit übel nahm. Wenn er ehrlich war, hätte es ihn eher verstört, wenn sie nicht ärgerlich gewesen wäre.