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LENA HAT NUR FUSSBALL IM KOPF

1. Kein bisschen weihnachtlich

»Also damit muss jetzt aber Schluss sein!«, sagt Mama und lässt sich auf den Küchenstuhl plumpsen. »Sechzehn Aufgaben falsch von fünfundzwanzig!«

Auf dem Tisch steht der Adventskranz. Die Kerze ist schon ein bisschen heruntergebrannt, aber Lena ist es trotzdem kein bisschen weihnachtlich.

»Ja, leider, Mama«, sagt Lena. »Frau Schröder sagt, es war eine schwere Arbeit.«

»Schwer!«, ruft Mama böse und wedelt mit dem Mathezettel in der Luft herum. »Das kleine Einmaleins! Das habt ihr schon im letzten Jahr gelernt! Und da glaubst du immer noch, drei mal vier ist vierzehn!«

»Jetzt glaub ich das nicht mehr, Mama«, sagt Lena schnell. »Jetzt weiß ich das richtig. Die Arbeit war ja schon Freitag.«

»Na, das ist doch tröstlich!«, ruft Mama. »Dass du es jetzt wenigstens weißt! Aber sechzehn Aufgaben falsch von fünfundzwanzig, das ist ja schlechter als fünf!«

Lena zuckt die Achseln. Drei mal vier und fünf mal sechs und neun mal zwei, das ist ihr alles egal. Später nimmt sie sowieso einen Taschenrechner. Oder sogar einen PC.

»Aber das werden wir jetzt mal ändern«, sagt Mama grimmig. »Da können wir schließlich was tun. Dann wird eben jetzt mehr geübt, liebes Fräulein! Und nicht so viel gedödelt! Du bist schließlich neun Jahre alt!«

»Mhm, bin ich«, sagt Lena vorsichtig. Vielleicht müsste sie nur was von Vorweihnachtszeit sagen und von guter Weihnachtsstimmung, damit Mama wieder freundlich wird, aber das traut sie sich nicht.

»Und mit dem Üben fangen wir jetzt gleich mal an«, sagt Mama und hält Lena den Mathezettel hin. »Du kannst in dein Zimmer gehen und die Berichtigung machen. Und ich kontrollier das dann nach!«

»Ja, Mama, das mach ich«, sagt Lena. Sie ist ganz froh, dass sie nicht mehr länger Mamas Geschimpfe hören muss.

Drei mal vier ist zwölf, denkt Lena, und drei mal acht ist irgendwas mit zwanzig. Aber was ist sechs mal sieben? Mathematik ist das grässlichste Fach auf der Welt.

»Na, Lena, wie geht es?«, ruft Mama aus der Küche. »Bist du gleich fertig?«

Lena nickt. Obwohl Mama das in der Küche ja nicht sehen kann. Aber hören könnte sie Lena sowieso auch nicht. Weil sie sich nämlich die CD mit den Weihnachtsliedern angemacht hat. Ganz laut.

Und in Wirklichkeit ist Lena auch noch lange nicht fertig. Erst drei Aufgaben hat sie gerechnet und schreckliche sechzehn sollen es werden.

»Was hast du gesagt?«, fragt Mama und steckt ihren Kopf zur Tür herein. Die Weihnachtsmusik wird lauter. »Tut mir leid, dass ich vorhin so geschimpft habe, Lena. Ich hab heute Nacht zu wenig geschlafen, da bin ich dann immer leicht gnatterig.« Sie beugt sich über Lenas Schulter. »Aber jetzt …!«, sagt Mama.

Dann stößt sie einen merkwürdigen Laut aus.

»Lena!«, ruft sie. »Acht mal drei ist vierundzwanzig! Und drei mal fünf ist fünfzehn! Das ist ja wieder alles falsch!«

Lena duckt sich ganz tief über ihr Heft. Jetzt soll Mama bloß nicht wieder schimpfen. Schließlich kann Lena nichts dafür, wenn sie nicht so gut rechnen kann. Sie hat sich wirklich Mühe gegeben. Aber diesmal schimpft Mama auch gar nicht. Sie holt nur einmal tief Luft und setzt sich auf die Kante von Lenas Schreibtisch. »Das üben wir jetzt, bis es klappt«, sagt Mama energisch. »Das ist nämlich gar nicht so schwer. Du wirst sehen, die nächste Arbeit ist dann schon besser.«

Lena nickt und schiebt ihren Stuhl zurück. »Ja, machen wir, Mama«, sagt sie. Da kann sie sowieso nichts mehr ändern. »Aber jetzt hab ich Training. Heute Abend üben wir das.«

Das Training darf Lena auf keinen Fall verpassen. Sonst ist sie am Sonntag nicht fit. Und dann wird sie vielleicht nicht aufgestellt. Aber Mama hat doch schon wieder vergessen, dass sie auf sich aufpassen muss, weil sie schlecht geschlafen hat. Jetzt schimpft sie schon wieder.

»Zum Training?«, schreit Mama. »Wo du Mathe üben sollst? Wo die letzten drei Arbeiten schon so schlecht waren? Aber du denkst natürlich immer nur an Fußball!«

Mama springt auf. »Das wird jetzt mal anders, mein Kind!«, ruft sie, und fast wäre der Schreibtisch unter ihr umgekippt. »Jetzt wirst du mal lernen, was wichtig ist! Der Fußball wird bis Weihnachten auf dich verzichten müssen! Du denkst ja sonst an nichts anderes mehr!« Und Mama geht aus dem Zimmer und knallt die Tür hinter sich zu.

Das darf Lena nie. Auch nicht, wenn sie zu wenig geschlafen hat.

2. Armer, alter Bollermann

In der Ecke zwischen Schreibtisch und Bett sitzt Lena immer, wenn sie weinen muss. Ihren Bollermann nimmt sie dann auch in den Arm, das ist ihr riesiger Stoffhund mit dem einen Ohr, den sie jedes Mal unter der Bettdecke versteckt, wenn ihre Freundinnen kommen. Aber heute kann nicht mal Bollermann helfen. »Scheißmama«, flüstert Lena ganz leise. Damit wirklich nur Bollermann sie hört. »Scheißmathe!« Und sie denkt an das Spiel nächsten Sonntag und dass sie im Sturm spielen sollte. Weil Robert jetzt umgezogen ist, der war vorher Torschützenkönig.

Lena hat schon immer ordentlich Fußball gespielt. Als sie ganz klein war, hat Papa ihr das beigebracht, aber als sie dann fünf war und die Jungs in den Verein gekommen sind, da sollte Lena plötzlich nicht mehr.

»Du willst doch bestimmt lieber mit deinen Freundinnen spielen!«, hat Papa gesagt.

Aber der Trainer im Fußballverein wollte, dass sie es erst mal versucht. »Vielleicht wird es ihr sowieso schnell langweilig«, hat er gesagt. »Bald kommt die Zeit, wo sie schöne Kleider tragen und nichts mit Jungs zu tun haben will.« Es ist Lena aber nicht langweilig geworden, kein bisschen. Weil sie nämlich Fußball spielen und schöne Kleider tragen und mit ihren Freundinnen spielen kann. Und gegen Jungs hat sie auch nicht so viel.

Aber Mama muss ihr natürlich alles verderben! »Lena?«, ruft Mama aus der Küche.

Wer nicht zum Training kommt, wird natürlich auch nicht eingesetzt, das ist klar. Ein Stürmer muss regelmäßig trainieren. »Hast du dich wieder beruhigt?«, ruft Mama.

Lena zieht die Nase hoch und gibt Bollermann einen Kuss auf den Kopf. »Armer, alter Bollermann«, flüstert sie. »Armer, armer, alter Bollermann.«

»Es ist doch nur, bis du in Mathe ein bisschen besser bist!«, ruft Mama aus der Küche.

»Verstehst du das nicht? Ich hab doch nichts gegen Fußball!«

Niemals wäre Podolski so gut geworden, wenn der so eine Mutter gehabt hätte, denkt Lena. Wenn er immer Mathe geübt hätte und nicht trainiert. Oder Müller. Oder Lahm. Die haben trainiert wie verrückt, und nun sind sie Weltklassespieler und können den Taschenrechner benutzen. Das sollte sich Mama mal überlegen.

»Lena?«, ruft Mama wieder. »Kann ich vielleicht mal eine Antwort kriegen?«

Lena schmeißt Bollermann auf den Boden. »Ich hab nichts gehört!«, ruft sie und schaltet ihr Radio an.

3. Unzuverlässig ist unzuverlässig

»Wo bist du denn gestern gewesen?«, fragt Jonas am nächsten Morgen in der Pause. »Herr Köster hat schon gefragt!«

»Ich musste Mathe üben«, sagt Lena und klappt ihr Brötchen auf. Schon wieder Salami, die mag sie gar nicht. »Meine Mutter lässt mich nicht mehr.«

Jonas starrt sie an. »Lässt dich nicht mehr?«, fragt er. »Was heißt das? Und bei unserem Freundschaftsspiel am Sonntag, lässt sie dich da?«

Lena guckt auf den Boden. Jetzt ist noch Arne dazugekommen, der spielt auch in der Mannschaft.

»Ich muss erst besser in Mathe werden«, murmelt Lena. »Vorher darf ich nicht mehr.«

»Wo du jetzt in den Sturm sollst?«, schreit Jonas. »Deine Mutter ist ja verrückt!«

»So sind die Weiber«, sagt Arne. »Das sagt mein Vater auch immer, auf Weiber ist kein Verlass. Kaum gibst du ihnen einen guten Job, schon werden sie schwanger und lassen dich sitzen. Auf Weiber ist kein Verlass.«

»Ich bin gar nicht schwanger!«, ruft Lena.

Arne zuckt die Achseln. »Ist doch egal«, sagt er. »Unzuverlässig ist unzuverlässig. Ich hab ja gleich gesagt, keine Weiber in unserer Mannschaft«, und er packt Jonas am Arm, und sie rennen zusammen zum Klettergerüst. Unzuverlässig ist unzuverlässig, denkt Lena und geht langsam zum Rutscheberg. Da sitzen Katrin und Ina und tauschen Schnullis.

Jonas und Arne haben ganz genau recht, auf mich ist kein Verlass. Ich lass die Mannschaft sitzen, und wenn sie am Sonntag verlieren, ist alles meine Schuld.

»Nur wegen dem blöden Mathe!«, sagt Lena und tritt mit dem Fuß gegen den Berg. Jede Wette musste Podolski nie üben.

In der letzten Stunde haben sie Weihnachtssterne gebastelt, und auf dem Nachhauseweg erzählt Katrin wieder die ganze Zeit nur vom Töpfern. Katrin geht zum Töpfern ins Jugendzentrum, und davon redet sie die ganze Woche.

»Dann komm doch mit mir!«, sagt Katrin. »Wenn du jetzt nicht mehr Fußball spielen darfst! Wir töpfern jetzt so schön weihnachtlich!«

Lena nickt. Vielleicht findet Mama Töpfern besser als Fußball. Vielleicht lässt sie sie zum Töpfern gehen.

»Eine Tasse hab ich auch schon gemacht!«, sagt Katrin und breitet die Arme weit aus. »So riesig, du, guck mal, so riesig! Und vier Aschenbecher«, und Katrin dreht sich um und geht rückwärts vor Lena her.

Lena nickt wieder. Vielleicht findet Mama Töpfern wirklich besser als Fußball. Vielleicht lässt sie sie zum Töpfern gehen.

4. Ein Notfall

»Prima, Lena! Das geht doch ganz toll!«, ruft Mama. »Und sechs mal acht, was ist das?« Lena denkt einen Augenblick nach. Fünf Aufgaben waren schon richtig. Wenn sie jetzt wieder die richtige Antwort gibt, müsste Mama doch zufrieden sein. Dann kann sie sie eigentlich zum Fußball lassen.

»Achtundvierzig?«, fragt Lena.

Mama lacht. »Prima, du, super!«, sagt sie zufrieden. »Da sieht man doch mal, was so ein bisschen Üben schon ausmacht.«

»Ja, das macht viel aus«, sagt Lena vorsichtig. »Da kann ich doch wieder zum Fußball?«