Märchenreise durch Deutschland
Märchen der Welt
Herausgegeben von Sigrid Früh
FISCHER E-Books
Sigrid Früh ist eine der bekanntesten Märchen- und Sagenforscherinnen Deutschlands. Sie wurde 1935 bei Ludwigsburg geboren und studierte Germanistik und Volkskunde in Tübingen und Zürich.
In der Reihe ›Märchen der Welt‹ hat sie zudem die ›Märchen der Schweiz‹ herausgegeben.
Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de
Dichter und Märchensammler zeichneten einst die Volksmärchen auf, die sie in ihrer Heimat fanden. Von den Gebrüdern Grimm bis zu Wilhelm Busch, von der Insel Rügen bis nach Württemberg führt diese Reise durch das Märchenland Deutschland.
Dieses E-Book ist der unveränderte digitale Reprint einer älteren Ausgabe.
Erschienen bei FISCHER E-Books
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2014
Coverabbildung: Shutterstock
Covergestaltung: kreuzerdesign Agentur für Konzeption und Gestaltung
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-10-403102-6
Mausmarten: ein kleiner Dieb.
Ein kleiner Wald.
Heraus! heraus!
Wird er.
Sieben.
Sollen.
Knackhaspel war früher auf dem Land ein Gebärstuhl.
Knackålbår = Knackadebor = ›Du bringst den Storch ins Haus‹. Das vorgesetzte ›Knack‹ ist von ›Knackhaspel‹ genommen.
Meinem Mann Helmut
Da war einmal ein König, der hatte drei Töchter. Einmal kamen drei Drachen zu den drei Königstöchtern und stahlen sie und flogen mit ihnen weg. Der König aber ward unglücklich und bekümmert, daß seine drei Töchter fort waren, und ließ ausrufen, daß derjenige, welcher seine Töchter wiederbringe und sie von den Drachen erlöse, die schönste von ihnen zur Frau bekommen solle.
Als das nun bekanntgegeben war, da gingen auch drei von seinen Soldaten und meldeten sich freiwillig, die drei Königstöchter zu erlösen.
Der König ließ sie ziehen, und dann gingen sie zusammen auf die Suche nach den Prinzessinnen. Jeder hatte ein Gewehr bei sich, und sie wanderten und wanderten, aber sie trafen immer noch nichts.
Zuletzt kamen sie in einen großen Wald und gingen immer hin und her in dem Wald, ohne etwas zu finden. Endlich trafen sie ein kleines Haus, und da blieben sie die Nacht. Zu leben ist da aber weiter nichts gewesen als Erbsen und Schweinefleisch.
Als sie nun am Morgen ausgeschlafen hatten, da sprachen sie, daß immer einer zu Hause bleiben und Mittag kochen sollte, und wenn er das Mittag gar hätte, dann sollte er schießen, daß die beiden anderen nach Haus kommen und essen sollten.
Nun mußte der Älteste zu Hause bleiben, und er kochte ja nun Mittag. Aber beim Kochen, da bebte der Herd immer hin und her, und zuletzt kam da so ein kleiner Kerl hinten heraus, der hatte einen großen langen Bart und ging ganz krumm.
Da sagte er zu dem Koch: »Junge, was kochst du?«
»Erbsen und Schweinefleisch«, anwortete der Älteste, »weiter ist ja doch hier nichts.«
»Füll mir auch ein bißchen auf, ich will auch ein bißchen essen!« sagte der kleine Krumme.
»Das Essen ist noch nicht gar.«
Aber der ließ nicht nach, und der Soldat mußte ihm etwas auffüllen. Und als er nun hinter dem Tisch saß und was zu essen hatte, da warf er den Löffel auf die Erde und sagte: »Junge, heb mir den Löffel auf!«
Der ging auch hin, und als er nun den Löffel gerade gegriffen hatte, da ging der kleine Krumme auf ihn sitzen, holte eine eiserne Rute aus der Brust und verprügelte ihn so damit, daß er nicht schießen konnte und still daliegen mußte.
Nachher kamen die beiden anderen nach Hause und fragten ihn, warum er nicht geschossen hätte, als das Essen gar gewesen sei, aber er sagte ihnen nichts. Dann aßen sie Mittag.
Am anderen Tag mußte der Zweitälteste dableiben, und dem ging es geradeso, der kriegte auch tüchtig Prügel. Der zweite hat auch nichts gesagt.
Als nun am dritten Tag der Jüngste zu Hause bleiben mußte, da erzählten sich ja die beiden anderen, wie ihnen das gegangen war, aber der Jüngste sollte auch ruhig seine Tracht bekommen.
Der kochte inzwischen Mittag, und da kam der kleine Kerl ja wieder hinter dem Feuerherd hervor. ›Ach‹, denkt der Jüngste, ›was will der hier?‹
Der sagte aber zu dem Koch: »Junge, was kochst du?«
»Erbsen und Schweinefleisch«, antwortete dieser, »weiter ist hier ja doch nichts.«
»Füll mir auch ein bißchen auf, ich will auch ein bißchen essen!« sagte der Kleine.
»Das Essen ist noch nicht gar.«
Aber als er gar nicht aufhörte, füllte er ihm doch einen Teller auf. Da ließ der Krumme, genau wie die beiden ersten Male, den Löffel auf die Erde fallen und sagte: »Junge, heb mir den Löffel auf!«
Der sagte aber: »Hol ihn dir man selber auf, ich bin dein Diener nicht.«
Doch er ließ nicht nach, und er mußte es man doch machen. Aber er schaute ihn immer dabei an, und als er die eiserne Rute hervorholte, da packte er ihn beim Bart und nahm ihn mit hinaus. Und hinter dem Haus, da steht ein Haublock und eine Axt darauf. Er nimmt die Axt und schlägt da eine Kerbe hinein, steckt den Bart des Alten in die Kerbe und einen Keil dazu und keilt ihn fest. Und dann holte er sich das Gewehr und schoß.
Da kamen die anderen beiden und sagten zueinander, als sie ihn schießen hörten: »Dem ist es nicht so gegangen wie uns, der hat keine Tracht bekommen.«
Als sie nun ankamen, da fragten sie ihn ja, wo der kleine Kerl sei, und er wollte ihnen den Krummen nach dem Essen zeigen.
Als sie nun ausgegessen hatten, da war der Kerl weg, und der Bart saß in dem Haublock, und das Blut lief daran herunter.
Jetzt gingen sie der Blutspur nach, und als sie wieder Tag und Nacht gegangen waren, da trafen sie ihn wieder, aber er wollte sich nicht von ihnen ankommen lassen. Da riefen sie: »Bleib stehen, oder wir schießen dich tot!«
Da stand er still, und der Jüngste fragte ihn, wo die Drachen mit den drei Königstöchtern seien, und da erzählte er ihnen das: »Die sind in einem großen Berg, und in dem Berg, da ist ein tiefes Loch.« In das müßten sie hinein.
Die drei Soldaten wanderten nun weiter, und endlich kamen sie auch an den Berg und fanden das Loch. Als sie nun da hineinblickten, konnten sie gar keinen Grund sehen, so tief war es.
»Wie kommen wir jetzt zu den Prinzessinnen?« fragte der eine.
Da meinte der Älteste: »Ich bin Stellmacher.«
Der zweite sagte: »Ich bin Seiler von Beruf.«
»Und ich bin Korbmacher«, sprach der dritte und sagte zu dem Ältesten: »Du machst ein Gestell, eine Winde, du ein Seil, und ich werde einen Korb machen.«
Nun geht es an die Arbeit, und als die Winde aufgerichtet und das Seil hinübergelegt ist, muß der Jüngste in den Korb, und sie lassen ihn hinunter.
Als er nun unten ist, geht er weiter und kommt zuletzt in eine Stube. In der Stube sitzt die jüngste Königstochter, und der Drache hat seinen Kopf auf ihren Schoß gelegt, schläft und läßt sich von der Königstochter lausen.
Als sie den Soldaten sah, fing sie an zu weinen und sagte, er solle machen, daß er aus dem Berg hinauskomme, denn wenn ihr Mann aufwache, zerreiße der ihn.
Da antwortete er: »Ich werde nicht aus dem Berg ohne dich gehen, ich will dich erlösen.«
Darauf sprach die Prinzessin: »Wenn du mich erlösen willst, dann mußt du das Schwert nehmen, das an der Wand hängt, und mußt dem Drachen damit den Kopf abschlagen.«
Er ging zu dem Schwert hin und wollte es herunterholen, aber es war so schwer, daß er es gar nicht anheben konnte. Da sagte die Königstochter zu ihm: »Da steht eine Flasche Wein. Trinke von dem Wein!«
Das tat er auch und nahm einen ordentlichen Schluck. Als er nun das Schwert herunternehmen wollte, da konnte er es schon heben, aber noch nicht schwingen. Und er mußte nun soviel von dem Wein trinken, bis er das Schwert wie einen Handstock regieren konnte.
Dann ließ er die Königstochter zur Seite gehen, faßte das Schwert fest und schlug dem Drachen mit einem Schlag zwei Köpfe ab. Aus dem dritten sprühte der Drache aber jetzt Feuer und Fett. Doch er schlug ihm den dritten Kopf auch noch weg, und da war er tot und die Königstochter erlöst. Die Zunge des Drachen löste er heraus und nahm sie in sein Taschentuch.
Jetzt zog er weiter und kam wieder an eine Stube. Da war die zweite Königstochter gefangengehalten von einem Drachen, der sechs Köpfe hatte. Der Drache hatte sein Haupt der Prinzessin in den Schoß gelegt und schlief, und die Königstochter mußte ihn lausen.
Als sie den Soldaten kommen sah, begann sie zu weinen und sagte: »Mach, daß du aus dem Berg hinauskommst, denn wenn mein Mann aufwacht und dich hier findet, dann zerreißt er dich!«
Er tröstete die Königstochter und sagte, sie solle nicht weinen, ihre jüngste Schwester hätte er schon erlöst, und mit dem Drachen wolle er schon fertig werden.
Da sprach die Prinzessin zu ihm: »Dort an der Wand hängt ein Schwert. Mit diesem Schwert mußt du den Drachen töten!«
Das Schwert war aber noch einmal so groß wie das in der Stube der jüngsten Schwester, und er konnte es nicht anheben.
»Trinke von diesem Wein!« sprach die Königstochter und zeigte ihm die Flasche.
Nachdem er genügend Wein getrunken hatte und das Schwert wie einen Handstock regieren konnte, trat er zu dem Drachen und schlug ihm mit einem Schlag vier Köpfe ab. Mit den beiden übrigen Köpfen spie der aber Feuer und Fett auf den Soldaten, bis er ihm auch diese beiden abgeschlagen hatte. Nun war auch die zweite Königstochter erlöst. Die Zunge legte er zu der ersten in sein Taschentuch.
Jetzt war bloß noch eine Königstochter zu erlösen. Er machte sich auf den Weg und kam zu der dritten Prinzessin. Der Drache, der sie bewachte, hatte aber neun Köpfe.
Als er von dem Wein getrunken hatte, konnte er das Schwert, das wieder doppelt so groß wie das bei der zweiten Königstochter war, wie einen Handstock regieren und schlug ihm auch bei dem ersten Hieb vier Köpfe ab. Der Drache aber war zornig und spie ihm Feuer und Fett entgegen und schlug um sich, daß die Funken stoben. Endlich hatte er ihm aber doch die fünf übrigen Köpfe dazu abgeschlagen, und nun waren alle drei Prinzessinnen befreit. Die Zungen des dritten Drachen legte er zu den beiden anderen.
Jetzt ging er mit den drei Prinzessinnen zurück zu der Öffnung in dem Berg, und als er da anklopfte, riefen ihm seine Kameraden zu, er solle zuerst die Prinzessinnen heraufholen lassen.
Als die Prinzessinnen nun oben waren, sagte er zu sich: »Die Prinzessinnen haben sie nun. Wenn sie wollen, lassen sie den Korb, wenn er zur Hälfte oben ist, herunterfallen, und ich breche das Genick.« So blieb er denn unten in dem Berg, und das war richtig, denn wie er es glaubte, so hätten es die beiden, die auf ihn neidisch waren, auch getan.
Sie zogen nun mit den Prinzessinnen in die Hauptstadt zurück. Unterwegs bedrohten sie sie mit dem Tode und sprachen zu ihnen: »Wenn ihr auch nur ein Wort davon sagt, wer der eigentliche Befreier ist, so sollt ihr einen elendiglichen Tod sterben!« Und dann mußten sie den beiden Bösewichten die heiligsten Eide schwören, daß sie nichts sagen würden.
Der Jüngste war indessen in dem Berg und suchte und suchte nach einem Ausgang, konnte aber keinen finden. Da traf er auf einmal den alten kleinen Kerl wieder, und den fragte er, wie er wohl aus dem Berg hinauskommen könne.
Da sagte der Alte zu ihm: »Hier in der Nähe ist ein Bär, der das wohl machen würde. Aber du mußt dir dazu vorher Wild schießen, und davon mußt du ihm immer ein Stück vor den Weg werfen, damit er dich aus dem Berg hinausträgt.«
Was der Kleine ihm geraten hatte, das tat er, schoß sich Wild und setzte sich dann auf den Bären, der es gutwillig duldete.
Als er nun schon bald oben war und schon den Rand fassen konnte, da war das Fleisch alle, und der Bär wollte nicht weitergehen. Da nahm er das Messer, schnitt sich ein Stück von seinem eigenen Fleische ab und warf das vorneweg. Der Bär sprang wieder zu und aus dem Berge hinaus.
Als sie nun oben angelangt waren, sagte der Bär zu dem Soldaten: »Jetzt mußt du mir zum Dank den Kopf abschneiden!«
Der Soldat wollte es zuerst nicht tun, aber als der Bär immerzu bat und bat, da tat er es doch, und kaum hatte er ihm den Kopf abgeschnitten, da stand statt des Bären ein Prinz vor ihm. Der sagte zu ihm: »Du hast mich erlöst!« Und gab ihm eine Salbe, die mußte sich der Soldat auf seine Wunden streichen, und im Nu war er wieder heil.
»Jetzt mußt du noch über ein großes Wasser, über das dich nur ein Schwan bringen kann, der dort ist. Du mußt dir aber Vögel schießen, und die mußt du ihm immer vor den Weg werfen!«
Der Soldat wanderte weiter und kam auch an das Wasser. Nun schoß er sich Vögel, setzte sich auf den Schwan, und der brachte ihn gut hinüber.
Dann sagte der Schwan zu ihm: »Nun schlag mir den Kopf ab!« Und als er es getan hatte, da war der Schwan auch ein Prinz.
Der gab dem Soldaten Schere und Nadel und sagte: »Alles Tuch, das du mit dieser Schere schneidest und mit dieser Nadel nähst, das paßt und sitzt immer. Gehe jetzt zu der Stadt, wo der König ist, miete dir dicht neben dem Schloß eine Stube und fange an zu schneidern!«
Als der Soldat nun in der Stadt ankam, war gerade in der Nähe des Schlosses eine Stube zu vermieten, und in die zog er und machte eine Schneiderwerkstatt auf. Er bekam Arbeit die Menge, denn alles, was er machte, gefiel den Leuten und saß so gut, wie es kein anderer Schneider machen konnte.
Als er nun eine Zeitlang in der Stadt gelebt hatte, sollte die Hochzeit zwischen den Königstöchtern und seinen beiden früheren Kameraden stattfinden, und er sollte die Hochzeitskleider machen. Die waren aber so schön, daß sie ihn nötigten, auch zur Hochzeit zu kommen.
Er ging auch hin, nahm aber das Taschentuch mit den Drachenzungen mit. Die zwei Soldaten hatten ihn aber nicht erkannt, und als sie nun so recht fröhlich tafelten und die beiden schon glaubten, daß ihnen nun nichts mehr geschehen könne, da fragte er sie, ob denn die Drachen auch Zungen gehabt hätten.
Die wußten erst nicht, was sie antworten sollten, aber dann sagten sie: »Nein, die Drachen haben keine Zungen gehabt.«
Da holte er die Zungen aus der Tasche und sagte: »Da sind die Drachenzungen!«
Jetzt erzählten die Königstöchter, wie es ihnen ergangen war, daß der Schneider sie befreit hätte und daß sie sich verschwören mußten, kein Wort davon zu reden, wenn sie nicht getötet werden wollten.
Da wurden die beiden zur Strafe für ihren Verrat jeder in eine Tonne gesteckt, in der waren Nägel, und vor die Tonne spannte man Pferde, und die ließ man laufen, wohin sie wollten. So starben die beiden ungetreuen Soldaten einen qualvollen Tod.
Der tapfere Retter aber bekam die jüngste Königstochter zur Frau, und sie lebten beide glücklich zusammen bis an ihr Ende.
[Märchen von der Insel Hiddensee]
Hans, ein armer Hirte in der Stadt Bergen, hatte sich bei einem Ackerbürger verdingt und mußte dessen Schweine hüten. Nun war aber die alte Schwienweid, welche südlich vom Nonnensee bei Bergen lag, ein mageres, dürftiges Stück Feld, und Hans, der ein Herz für das ihm übergebene Vieh hatte, trieb seine Schweine lieber in die Rugardheide, wo es besseres Futter gab.
Dort begegnete ihm eines Tages eine alte Frau, die sprach zu ihm: »Hans, du bist ein braver Kerl. Hier übergebe ich dir einen Stock, mit dem du Wunder verrichten kannst. Wenn du mit dem Stock nach irgend jemand hinzeigst, wird der Betreffende wie tot zur Erde fallen.«
Als Hans seine Schweineherde eine Zeitlang in der Rugardheide gehütet hatte, genügte ihm dieselbe bald nicht mehr, denn er hatte sehnsüchtige Blicke nach der Insel Altrügen geworfen, auf welcher mannshohes Gras wuchs, ohne daß es benutzt wurde. Deshalb schlug er eines Morgens mit Hilfe des Zauberstabes, den ihm die alte Frau gegeben hatte, eine Brücke nach der Insel hinüber und trieb seine Schweine in das hohe Gras, in welchem sie gar nicht zu sehen waren.
Nun war Hans zufrieden; er setzte sich hin und verzehrte sein Frühstück. Währenddessen kam ein fürchterlicher Riese, dem die Insel Altrügen gehörte, angelaufen und wollte den armen Hans mit seiner gewaltigen Eisenstange niederhauen. Hans aber bemerkte ihn rechtzeitig und zeigte mit seinem Stocke auf den Riesen, so daß dieser zu Boden sank.
Nun bat der Riese ganz flehentlich, Hans möchte ihm doch wieder auf die Beine helfen, er solle auch das ganze Jahr hindurch auf der Insel hüten dürfen. Damit war Hans ganz einverstanden, und als der Riese ihn zum Frühstück einlud, folgte ihm Hans nach der Insel Pulitz, wo die Burg des Riesen lag.
Als sie sich an Brot und Wein gesättigt hatten, zeigte ihm der Riese ein Schwert und sagte: »Wenn du dieses Schwert schwingen kannst, so soll es dein eigen sein.« Hans versuchte das Schwert zu heben, war aber nicht imstande dazu, denn seine Kräfte reichten nicht aus. Nun führte ihn der Riese zu einem Teich, welcher mit Wein und anderen stärkenden Getränken angefüllt war. Darin mußte sich Hans baden, und nach dem Bad konnte er das Schwert des Riesen schwingen.
Inzwischen war der Abend hereingebrochen, und Hans trieb seine Schweine nach Bergen zurück. Die hatten sich aber so dick gefressen, daß sie kaum gehen konnten, worüber sich ihr Besitzer nicht wenig wunderte.
Am folgenden Tag trieb Hans seine Schweine abermals nach Altrügen. Der Riese erschien wieder, und Hans, der ein zweites Weinbad genommen hatte, konnte jetzt ein Schwert schwingen, welches doppelt so groß war wie das vom vorhergehenden Tage. Am Abend aber kehrte er wieder mit seinen wohlgemästeten Schweinen in die Stadt zurück.
Am dritten Tage erging es Hans ebenso wie an den beiden vorhergehenden Tagen: Nach dem dritten Bad konnte er ein Schwert schwingen, welches so groß war wie die beiden Schwerter vom ersten und zweiten Tag zusammengenommen. Als der Riese das sah, ward er sehr froh und nahm Hans als Sohn an.
Nun verkehrten die beiden ganz friedlich und vergnügt miteinander.
Eines Tages aber sprach der Riese: »Hans, in der Nähe von Bergen ist ein Glasberg, in dem sitzt eine Prinzessin als Jungfrau verzaubert und von einem neunköpfigen Drachen bewacht, die sollst du erlösen.«
Hans war damit einverstanden. Er erhielt eine silberne Rüstung und ein weißes Roß und nahm das Schwert, welches er am ersten Tage geschwungen hatte. So sprengte er auf den Berg los. (Der Berg soll der Rugard bei Bergen gewesen sein.) Am Fuße des Berges traf er den König und mehrere Große des Reiches. Die fragte er, was los wäre.
Der König entgegnete: »Wer die Prinzessin erlöst, der bekommt sie zur Frau.«
Kaum hatte Hans das gehört, so rief er: »Hurra!«, gab seinem Roß die Sporen und sprengte den Berg hinan. Als er oben angekommen war, ermahnte ihn die Prinzessin, von seinem Vorhaben abzustehen, sonst würde er gleichfalls in die Gewalt des Drachen kommen. Hans aber war fest entschlossen, und als er des Drachen ansichtig wurde, ergriff er sein Schwert und hieb dem Drachen drei Köpfe ab, so daß dieser die Fortsetzung des Kampfes auf den folgenden Tag verschob.
Nachdem Hans auf Pulitz seine Rüstung abgelegt hatte, kehrte er des Abends als Schweinehirte nach Bergen zurück.
Am folgenden Tage zog sich Hans auf Geheiß des Riesen eine goldene Rüstung an, bestieg ein schwarzes Roß und nahm das mittlere Schwert. Als er mit diesem an den Fuß des Berges kam, fragte er wieder, was los wäre.
Der König entgegnete: »Wer die Prinzessin erlöst, bekommt sie zur Frau.«
Wieder jagte Hans den Berg hinan. Als er oben ankam, erkannte ihn die Prinzessin nicht wieder und warnte ihn wie am vorhergehenden Tage. Hans aber ließ sich nicht beirren und wartete die Ankunft des Drachen ab. Als er endlich kam und seines Gegners ansichtig wurde, spie er Feuer und Schwefel, so daß die Rüstung von Hans schmolz. Dadurch ließ sich dieser aber nicht aufhalten, sondern ergriff sein Schwert und hieb dem Drachen wieder drei Köpfe ab, und der Drache bat wieder um Gnade bis auf den folgenden Tag.
Am dritten Tage zog sich Hans eine Rüstung an, die aus Gold und Silber war, nahm das dritte und größte Schwert und setzte sich auf einen feurigen Rappen. So ausgerüstet, kam er wieder an den Berg, wo er auch den König wieder traf. Dieser hatte Befehl gegeben, den fremden Ritter nach bestandenem Kampfe aufzuhalten, und wenn er nicht gutwillig bleiben wollte, auf ihn zu schießen.
Als Hans fragte, was los wäre, sagte der König: »Wer die Prinzessin erlöst, der bekommt sie zur Frau.«
Hans jagte wieder den Berg hinan. Als er oben ankam, saß die Prinzessin da und weinte in ihr Taschentuch. Als sie aber des Ritters ansichtig wurde, hörte sie auf zu weinen und schenkte ihm das Taschentuch.
Nun erschien aber auch schon der Drache wieder, und der Kampf, den Hans an diesem Tage zu bestehen hatte, war ein fürchterlicher. Denn der Drache wendete alle Kraft an, um seinen Gegner zu überwinden: Er schlug mit Schwanz und Füßen um sich, und mit seinem Rachen suchte er das Pferd totzubeißen. Aber Hans hatte das große Schwert in der Faust, und der Drache mußte schließlich doch unterliegen. Als Hans ihm die drei letzten Köpfe abgehauen hatte, fiel der blutige Rumpf den Berg hinunter.
Der Sieger nahm die Prinzessin, welche außer sich vor Freude und Dankbarkeit war, vorne auf sein Pferd und brachte sie zum König. Dieser ließ seine Tochter einen Wagen besteigen, und Hans mußte neben ihr reiten. So ging es in freudigem Triumphzug zur Stadt Bergen, denn alles war voller Freude und Jubel.
Als aber der Zug um eine Ecke bog, da gab Hans seinem Roß die Sporen und jagte davon. Nun dachten die Diener des Königs an den Befehl ihres Herrn und schossen auf den davoneilenden Ritter: Sie trafen ihn aber nur am linken Bein.
Als Hans auf Pulitz ankam, erzählte er seinem Vater, dem Riesen, von seinem Erfolg. Und der Riese, der sich darüber freute, schenkte Hans soviel Geld, wie er nur tragen konnte.
Als es Abend war, trieb er, wie an den früheren Tagen, seine Schweineherde zur Stadt zurück. Hier aber herrschte inzwischen große Trauer, denn der König und die Prinzessin wollten wissen, wie der kühne Ritter hieß, der den Drachen getötet hätte. Da sie es aber nicht herausfinden konnten, hatte der König allen Leuten das Singen verboten.
Als Hans nun zur Stadt kam, ließ er so recht aus vollem Herzen ein frohes Lied erschallen. Die Leute verboten es ihm zwar, er aber warf ihnen Geld zu, und so ließen sie ihn singen.
Da wurde einer aus der Umgebung des Königs auf ihn aufmerksam, und dieser fragte den König, ob er nicht den Schweinehirten aufsuchen wolle: Möglicherweise könne der die Prinzessin erlöst haben. Der König lächelte zwar, ließ es aber doch geschehen. Und siehe, da war am Fuß von Hans die Wunde, und um die Wunde war das Taschentuch der Prinzessin gebunden.
So war denn jeder Zweifel behoben, und Hans mußte, so sehr er sich auch sträuben mochte, auf die Königsburg gehen. Der König freute sich sehr, daß der tapfere Drachentöter gefunden war. Er erhob Hans in den Adelsstand und gab dem Ritter Hans von der Wall die Hand seiner Tochter. Der Riese aber schenkte seinem Sohn einen Rappen, welcher die Eigenschaft hatte, daß er, so sehr und so lange er auch lief, niemals müde wurde.
Als der König einige Jahre später starb, wurde Hans sein Nachfolger.
[Märchen von der Insel Rügen]
Vor langer Zeit lebte ein Graf, welcher drei Töchter hatte. Er war zuerst sehr reich gewesen, aber später war er ganz verarmt.
Eines Tages, als der Graf gerade abwesend war, kam ein Ritter und warb um die Hand der ältesten Tochter. Die Gräfin gab ihm dieselbe, und der Ritter führte sie heim. Beim Scheiden aber sagte er, er wäre ein Bär.
Als nun der Graf nach Hause kam, machte er sich sogleich auf, um den Bären zu verfolgen und einzuholen. Inzwischen aber kam ein anderer Ritter und nahm die zweite Tochter mit, als diese gerade im Garten war. Als die Mutter hinzueilen wollte, rief ihr der Ritter nach, er wäre ein Adler.
In ähnlicher Weise bekam die jüngste Tochter einen Ritter, welcher sagte, er wäre ein Haifisch.
Als der Graf fruchtlos von seiner Verfolgung zurückkehrte, erfuhr er auch das Schicksal seiner beiden anderen Töchter. Voll Trauer darüber ging er von neuem aus, um die Töchter zu suchen. Da kam er an eine Höhle, in welcher seine älteste Tochter, einen jungen Bären im Arme haltend, saß.
Sie sagte ihm, er solle sich vor ihrem Gemahl in acht nehmen, denn dieser sei ein verwünschter Prinz, welcher vier Wochen lang ein Bär und einen Tag Prinz sei. Solange er aber Bär sei, habe er ganz die Natur eines solchen.
Am anderen Tag sah der Graf seinen Schwiegersohn als Prinzen, und dieser forderte ihn auf, sich rechtzeitig zu entfernen, denn um zwölf Uhr nachts werde er wieder ein Bär, und dann könne er sich nicht enthalten, Menschenfleisch zu fressen. Nur seine Frau sei vor ihm sicher. Beim Abschied gab er ihm ein Bärenhaar mit der Weisung, wenn er einmal in Gefahr käme, solle er das Haar zwischen den Fingern reiben, dann würde er Hilfe erhalten.
Der Graf entfernte sich rechtzeitig und kam nach einer Weile an einen großen Baum. Auf diesem erblickte er seine zweite Tochter in einem Adlernest sitzen und einen jungen Adler im Schoße halten.
Auch diese forderte ihren Vater auf, sich schleunigst vor ihrem Gatten, dem Adler, zu verbergen. Morgen erst könne er sich ohne Gefahr sehen lassen.
Am folgenden Tage sah der Vater den Adler als Prinzen, welcher ihn freundlich begrüßte und ihm beim Abschied eine Adlerfeder als Hilfe in Gefahr schenkte.
Nach weiterem Wandern kam der Graf an einen Fluß. Da traf er einen Fischer, der gerade absegeln wollte. Der Graf stieg zu ihm ins Boot und fuhr mit. Nachdem sie eine Strecke weit gesegelt waren, erweiterte sich der Fluß zu einem großen Meer. Da sahen sie einen Haifisch auf sich zukommen, der warnte sie, weiterzusegeln, sonst würde er sie fressen. Da kehrten sie um und kamen an einen großen Kristallpalast. Dort sah der Graf seine jüngste Tochter mit der Zubereitung des Essens beschäftigt.
Der Palast war überall durchsichtig, hatte aber keine Tür. Nur oben war eine Öffnung, und die Tochter rief ihrem Vater zu, durch diese Öffnung solle er hineinkriechen. Der Vater tat es, und die Tochter verbarg ihn unter einem Holzhaufen, damit ihr Gemahl, der Haifisch, ihn nicht fände.
Am folgenden Tag holte sie ihn wieder hervor, und der Graf begrüßte nun auch seinen dritten Schwiegersohn in Menschengestalt.
Der Prinz aber sagte ihm, sie wären drei Brüder, die von einer Hexe verwünscht und in Tiergestalt verwandelt wären. Nur einen Tag im Monat dürften sie Menschengestalt annehmen.
Als der Graf nun fragte, ob und wie sie erlöst werden könnten, erwiderte der Prinz: »Es muß jemand den Berg, der im nahen Walde liegt, ersteigen und den Hirsch überwältigen, welcher das Schloß auf dem Berg bewacht. Dann muß er die eiserne Tür des Schlosses sprengen und den zweiköpfigen Hund töten, welcher am Eingang des Schlosses einen Korb mit Schlüsseln bewacht. Diese Schlüssel sind das Mittel zu unserer Erlösung.«
Als der Graf das gehört hatte, war er entschlossen, seine Schwiegersöhne zu erlösen. Beim Abschied erhielt er von dem Prinzen eine Flosse.
Der Graf entfernte sich und kam wieder an den Fluß. Da aber der Fischer nicht mehr dort war, rieb er die Flosse zwischen den Händen. Gleich kam ein Haifisch angeschwommen und setzte ihn an das andere Ufer. Darauf ging der Graf auf den Berg im Wald. Aber der Hirsch kam ihm entgegen und warf ihn mit seinen Hörnern hoch in die Luft. Da rieb der Graf die Adlerfeder, und ein Adler kam und setzte ihn sicher auf die Erde nieder. Als er wieder festen Boden unter den Füßen fühlte, rieb er das Bärenhaar, und nun erschien der Bär und zerriß den Hirsch. Darauf sprengte der Graf die eiserne Tür und ließ den zweiköpfigen Hund, welcher am Eingang Wache hielt, gleichfalls durch den Bären töten.
Nun nahm er die Schlüssel aus dem Korb, ging zur Höhle des Bären und schloß diese mit dem passenden Schlüssel auf. Dann suchte er den Baum des Adlers auf, schloß diesen gleichfalls auf und ebenso den Palast des Haifisches.
So wurden die drei Prinzen erlöst, und ihre Kinder erhielten jetzt gleichfalls Menschengestalt.
[Märchen von der Insel Rügen]
Vor langer, langer Zeit wohnte in Pudmin ein Bauer, der hatte eine schöne und fromme Frau, die fleißig betete und alle Sonntage und Festtage zur Kirche ging, auch den Armen, die vor ihre Tür kamen, gern gab. Es war überhaupt eine freundliche und mitleidige Seele und im ganzen Dorf und Kirchspiel von allen Leuten geliebt. Nie hat man ein hartes Wort von ihr gehört, noch ist ein Fluch und Schwur oder andere Ungebühr je aus ihrem Mund gegangen.
Diese Frau hatte sieben Kinder, lauter kleine Mädchen, von welchen das älteste zwölf und das jüngste zwei Jahre alt war: hübsche, lustige Dingelchen. Diese gingen alle gleich gekleidet, mit bunten Röckchen und bunten Schürzen und roten Mützchen; Schuhe aber und Strümpfe hatten sie nicht an, denn das hätte zuviel gekostet, sondern sie gingen barfuß. Die Mutter hielt sie nett und reinlich, wusch und kämmte sie morgens früh, wenn sie aufstanden, und abends spät, wenn sie zu Bett gingen, lehrte sie lesen und singen und erzog sie in aller Freundlichkeit und Gottesfurcht. Wenn sie auf dem Feld was zu tun hatte oder weit ausgehen mußte, stellte sie die älteste, die Barbara hieß, über die anderen; diese mußte auf sie sehen, ihnen was erzählen, auch wohl etwas vorlesen.
Nun begab es sich einmal, daß ein hoher Festtag war (ich glaube, es war der Karfreitag), da ging die Bauersfrau mit ihrem Mann zur Kirche und sagte den Kindern, sie sollten hübsch artig sein; der Barbara aber und den nächstälteren gab sie ein paar Lieder auf aus dem Gesangbuch, die sie auswendig lernen sollten. So ging sie weg. Barbara und die anderen Kinder waren anfangs auch recht artig; die älteren nahmen die Bücher und lasen, und die kleinsten saßen still auf dem Boden und spielten.
Als sie so saßen, da erblickte das eine Kind etwas hinter dem Ofen und rief: »O seht! Seht! Was ist das für ein schöner und weißer Beutel!«
Es war aber ein Beutel mit Nüssen und Äpfeln, den die Mutter des Morgens da hingehängt hatte und den sie des Nachmittags einem ihrer kleinen Paten bringen wollte. Die meisten Kinder sprangen nun alsbald auf und guckten danach, und auch Barbara, die älteste, stand auf und guckte mit. Und die Kinder flüsterten und sprachen dies und das über den schönen Beutel und was wohl darin sein möchte. Und es gelüstete sie so sehr, es zu wissen, und da riß eines den Beutel von dem Nagel, und Barbara öffnete die Schnur, mit der er zugebunden war, und es fielen Äpfel und Nüsse heraus. Und als die Kinder die Äpfel und Nüsse auf dem Boden hinrollen sahen, vergaßen sie alles und daß es Festtag war und was die Mutter ihnen befohlen und aufgegeben hatte: Sie setzten sich hin und schmausten Äpfel und knackten Nüsse und aßen alles rein auf.
Als nun Vater und Mutter um den Mittag aus der Kirche nach Hause kamen, sah die Mutter die Nußschalen auf dem Boden liegen; und sie schaute nach dem Beutel und fand ihn nicht. Da erzürnte sie sich und wurde böse zum ersten Male in ihrem Leben und schalt die Kinder sehr und rief: »Der Blitz! Ich wollte, daß ihr Mausemärten[1] alle zu Mäusen würdet!«
Der Schwur war aber eine große Sünde, besonders weil es ein so heiliger und hoher Festtag war; sonst hätte Gott es der Bäuerin wohl vergeben, weil sie doch so fromm und gottesfürchtig war. Kaum hatte die Frau das schlimme Wort aus ihrem Mund gehen lassen, so waren alle die sieben niedlichen Kinderchen weg, als hätte sie ein Wind weggeblasen, und sieben bunte Mäuse liefen in der Stube herum mit roten Köpfchen, wie die Röcke und Mützen der Kinder gewesen waren. Und Vater und Mutter erschraken so sehr, daß sie zu Stein hätten werden mögen. Da kam der Knecht herein und öffnete die Tür, und die sieben bunten Mäuse liefen alle zusammen gleich hinaus und über den Flur auf den Hof hin; sie liefen aber sehr geschwind. Und als die Frau das sah, konnte sie sich nicht halten, denn es war ihr im Herzen, als wären die Mäuse ihre Kinder gewesen; und sie stürzte bei der Tür hinaus und mußte den Mäusen nachlaufen.
Die sieben bunten Mäuse aber liefen den Weg entlang aus dem Dorf hinaus, immer spornstreichs; und so liefen sie über das Pudminer Feld und das Günzer Feld und das Schoritzer Feld und durch die Krewe[2] und die Dumsewitzer Koppel. Und die Mutter lief ihnen außer Atem nach und konnte weder schreien noch weinen und wußte nicht mehr, was sie tat. So liefen die Mäuse über das Dumsewitzer Feld hin und in einen kleinen Busch hinein, wo einige hohe Eichen standen und in der Mitte ein spiegelheller Teich war. Und der Busch steht noch da mit seinen Eichen und heißt der Mäusewinkel.
Und als sie in den Busch kamen und an den Teich im Busch, da standen sie alle sieben still und guckten sich um, und die Bauersfrau stand dicht bei ihnen. Es war aber, als wenn sie ihr ade sagen wollten. Denn als sie die Frau so ein Weilchen angeguckt hatten – plump! sprangen alle sieben zugleich ins Wasser und schwammen nicht, sondern gingen gleich unter in der Tiefe. Es war aber der helle Mittag, als dies geschah. Und die Mutter blieb stehen, wo sie stand, und rührte keine Hand und keinen Fuß mehr, sie war auch kein Mensch mehr. Sie wurde stracks zu einem Stein, und der Stein liegt noch da, wo sie stand und die Mäuslein verschwinden sah; und das ist dieser große runde Stein, an dem wir sitzen.
Und nun hör mal, was danach geschehen ist und noch alle Nacht geschieht! Glocke zwölf, wenn alles schläft und still ist und die Geister rumwandeln, da kommen die sieben bunten Mäuse aus dem Wasser heraus und tanzen eine ganze geschlagene Stunde, bis es eins schlägt, um den Stein herum. Und sie sagen, dann klingt der Stein, als wenn er sprechen könnte. Und das ist die einzige Zeit, wo die Kinder und die Mutter sich verstehen können und voneinander wissen; die übrige Zeit sind sie wie tot. Dann singen die Mäuse einen Gesang, den ich dir sagen will, und der bedeutet ihre Veränderung oder daß sie wieder in Menschen verwandelt werden können. Und dies ist der Gesang:
Herut! herut![3]
Du junge Brut!
Din Brüdegam schall kamen;
Se hebben di
Doch gar to früh
Din junges Leben namen.
Sitt de recht up’n Steen,
Watt he[4] Flesch un Been,
Und wi gan mit dem Kranze:
Säven[5] Junggesell’n
Uns führen schäl’n[6]
Juchhe! to’m Hochdidsdanze.
Und nun will ich dir sagen von dem Gesang, was er bedeutet. Die Mäuse tanzen nun wohl schon tausend Jahre und länger um den Stein, wenn es Mitternacht ist, und der Stein liegt ebensolange. Es geht aber die Sage, daß sie einmal wieder verwandelt werden sollen, und das kann durch Gottes Gnade nur auf folgende Weise geschehen:
Es muß eine Frau sein, geradeso alt, wie die Bäuerin war, da sie aus der Kirche kam, und diese muß sieben Söhne haben, geradeso alt, wie die sieben kleinen Mädchen waren. Sind sie eine Minute älter oder jünger, so geht es nicht mehr. Diese Frau muß an einem Karfreitag gerade um die Mittagszeit, als die Frau zu Stein wurde, mit ihren sieben Söhnen in den Busch kommen und sich auf den Stein setzen. Und wenn sie sich auf den Stein setzt, so wird der Stein lebendig und wird wieder in einen Menschen verwandelt, und dann steht die Bauersfrau wieder da, leibhaftig und in ebenden Kleidern, die sie getragen hat, als sie den Mäusen nachgelaufen war zu diesem Mausewinkel. Und die sieben bunten Mäuse werden wieder zu sieben kleinen Mädchen in bunten Röcken und mit roten Mützen auf dem Kopf. Und jedes kleine Mädchen geht zu dem kleinen Knaben hin, der sein Alter hat, und sie werden Braut und Bräutigam. Und wenn sie groß werden, so halten sie Hochzeit an einem Tag und tanzen ihre Kränze ab. Und es sollen die schönsten Jungfrauen werden auf der ganzen Insel, sagen die Leute, und auch die glücklichsten und reichsten, denn alle diese Güter und Höfe hier umher sollen ihnen gehören.
[Märchen von der Insel Rügen]
Es war einmal ein Junge, der war so einfältig, daß ihn das ganze Dorf nur den Dummhans nannte. Als er eingesegnet war, ging er als Knecht zu einem Bauern in den Dienst und hielt dort sieben Jahre treu aus, ohne einen Pfennig zum Lohn zu erhalten. Da bekam er Lust, in die Welt zu gehen und Städte und Länder kennenzulernen.
»Bauer«, sprach er darum am Martinstag, »zahl mir den Lohn aus, welcher mir für sieben Jahre Dienst zukommt; mach’s aber nicht zu schwer, daß er mich nicht drückt und mir die Tasche zerreißt.«
Der Bauer dachte: »Das willst du schon besorgen!«, ging in die Kammer und tat ein Gerstenkorn in ein Tüchlein und band einen seidenen Faden darum, trat dann vor Dummhans hin, steckte ihm das Tuch in die Tasche und hieß ihn recht Obacht geben, daß es ja nicht verlorenginge. Dummhans dankte dem Bauern, daß er ihm seinen Siebenjahrslohn so leicht gemacht, und wanderte vergnügt und guter Dinge in die weite Welt hinaus.
Am Abend kam er in ein Wirtshaus und bat um ein Nachtlager. »Das sollst du haben«, entgegnete der Gastwirt, »und wenn du Geld oder Geldeswert bei dir hast, so gib es mir in Verwahrung, daß es dir nicht gestohlen wird.«
»Und ob ich etwas bei mir hätte!« rief Dummhans. »Einen ganzen Siebenjahrslohn sogar!« Und damit griff er in die Tasche, zog das Tüchlein mit dem Gerstenkorn heraus und übergab es dem Herbergsvater. Dann legte er sich auf die Streu und schlief fest ein. Dem Wirt ließ aber die Neugier keine Ruhe. »Ein Siebenjahrslohn soll in dem Tüchlein enthalten sein?« dachte er bei sich. »Das ist wohl gar ein Diamant!« Und wenn ihm auch sein Gewissen zurief: »Gastwirt, Gastwirt, laß das Tüchlein in Ruh, was geht dich des Dummhans Siebenjahrslohn an!«, er konnte der Neugier nicht widerstehen und löste den Knoten. Nachdem er jedoch das Tuch auseinandergefaltet, war nichts weiter darin zu sehen als ein einziges Gerstenkorn. Darüber bekam der Wirt einen solchen Schrecken, daß er es fallen ließ, und ehe er’s sich versah, war der Hahn herbeigesprungen und hatte das Gerstenkorn gefressen.
Am anderen Morgen stand Dummhans zeitig auf und verlangte sein Tüchlein. »Der Schatz ist fort«, lachte der Wirt, »der Hahn hat das Gerstenkorn gefressen.« – »Dann gib mir den Hahn«, sprach Dummhans, »oder ich gehe zum Richter, weil du mich um meinen Siebenjahrslohn betrogen hast.«
Vor dem Richter hatte aber der Wirt eine Himmelangst, und so gab er dem Dummhans den Hahn mit auf den Weg und freute sich obendrein, daß er den Jungen so leichten Kaufs losgeworden war.
Den nächsten Abend kehrte Dummhans wiederum in einer Herberge ein und übergab dem Wirt seinen Hahn; er solle ihn aber ja nicht aus den Augen lassen, denn er sei ihm über die Maßen wert, weil er ihn erhalten habe statt eines Lohnes von sieben Jahren. Der Herbergsvater kehrte sich aber nicht an des Dummhans Gerede, sondern sperrte den Hahn in den Pferdestall. Als nun Dummhans am andern Morgen weiterziehen wollte und den Hahn zurückforderte, lag der Vogel tot in der Ecke, der Hengst im Stall hatte ihn mit seinen Hufen erschlagen. Dummhans schrie Mord und Zeter und wollte den Wirt verklagen, weil er ihn um seinen Siebenjahrslohn gebracht, und er ruhte auch nicht eher, bis ihm der Mann für den erschlagenen Hahn den Hengst abgetreten hatte. Das war ein herrliches Tier mit goldener Mähne und goldenem Schweif, daß es eine Lust war, ihn anzublicken. Außerdem hatte der Hengst die wundersame Gabe, daß jedes Wesen, welches ihn berührte und zu dem sein Herr sprach: »Bleek an!« dem Pferd auf den Rücken springen mußte und dort fest sitzen blieb, bis er es wieder heruntersteigen hieß. Und damit er ja nichts übersähe, wieherte der Hengst jedesmal hell auf, wenn jemand seinem Goldhaar zu nahe kam.
Auf diesen Hengst schwang sich Dummhans, gab ihm die Sporen, und hoch zu Roß ging es nun die breite Landstraße entlang, daß die Pappeln zur Rechten und zur Linken vorbeiflogen und die Wandersleute haltmachten und dem stolzen Reiter nachblickten. Endlich wurde es dunkel, und Dummhans langte in dem dritten Gasthof an. Nachdem er gegessen und getrunken, legte er sich zu dem Goldhengst in den Stall neben die Häckselkiste und schlief fest ein. Den drei Töchtern des Wirtes hatte aber das goldene Haar keine Ruhe gelassen, und es dauerte nicht lange, so klinkte die älteste leise die Stalltüre auf, trat zu dem Hengst und zupfte ihm ein Goldhaar aus der Mähne. In demselben Augenblick wieherte der Hengst hell auf. Dummhans erwachte und rief: »Bleek an!«, und auf dem Rücken des Pferdes saß das Mädchen und konnte nicht wieder herunter.
Kaum war Dummhans wieder eingeschlafen, so öffnete sich die Tür von neuem, und die zweite Tochter schlich sich auf Strümpfen herein. Als sie ihre Schwester auf dem Rücken des Hengstes erblickte, schalt sie zornig: »Du habgieriges Ding, kannst du nicht hier unten pflücken? Schau, mach’s wie ich!« Und damit riß sie dem Tier ein paar Haare aus dem Schweif. Hell wieherte der Hengst auf, Dummhans erwachte, rief: »Bleek an!« und schnarchte weiter. Das Mädchen aber saß oben auf dem Rücken des Pferdes hinter der Schwester, und sie verwünschten ihr Geschick. Indem stahl sich die jüngste Tochter des Wirtes herein, um auch für ihren Teil von den Goldhaaren zu nehmen. Wie sie ihre Schwestern auf dem Rücken des Pferdes sah, sprach sie: »Ihr seid wohl ganz und gar nicht klug, was habt ihr denn auf dem Gaul zu suchen?« Die beiden Mädchen winkten ihr jedoch zu, sie solle stille sein, und machten ihr darauf leise klar, daß sie nicht wieder herunterkönnten. Das tat der jüngsten Schwester leid, und sie faßte die beiden älteren bei den Beinen, um sie herabzuziehen; doch es gelang ihr nicht, und ehe sie’s sich versah, wieherte der Goldhengst hell auf, Dummhans rief: »Bleek an!«, und oben saß sie als die Dritte im Bunde und konnte ihre Schwestern nach Herzenslust knuffen und puffen, weil sie von ihnen mit in das Unglück gebracht worden war.
Die Sonne stand schon hoch am Himmel, als Dummhans sich von der Streu erhob, seinen Goldhengst löste und zum Stall herausführte. Auf dem Hof standen der Wirt und die Wirtin und alle Knechte und Mägde und weinten und jammerten, weil die drei Jungfern verschwunden waren. Als sie dieselben auf dem Roß erblickten, wurden sie froh, daß sie wiedergefunden seien. Die drei Mädchen waren aber gar nicht vergnügt, sondern riefen immerfort: »Vater, Mutter, helft uns von dem verwünschten Tier!« Aber so viel sie auch zogen, die Jungfern blieben fest an dem Hengst kleben und rückten und rührten sich nicht. »Ach, laß sie doch wieder herabsteigen!« bat nun der Wirt den Dummhans; doch der hatte taube Ohren und sprach: »Ich habe sie nicht stehlen heißen, und wenn sie selbst hinaufgeklettert sind, mögen sie auch selbst herabsteigen!«
Dann ergriff er den Hengst am Zügel und führte ihn zum Tor hinaus.
Vor dem Schulhaus stand der Küster. Kaum sah er die wunderbare Gesellschaft, so rief er zornig: »Drei große, schwere Mädchen auf einem Pferd! Ist das Zucht und gute Sitte? Und laßt ihr euch von einem wildfremden Kerl aus dem Dorf führen? Wartet nur, ich werde euch kriegen!«
Sprach’s und lief auf den Goldhengst zu, um die Mädchen herabzureißen. »Hühühü!« wieherte der Hengst. »Bleek an!« sagte Dummhans, und hinter der jüngsten Tochter des Gastwirts saß der Küster und mußte mit auf die Reise.
Der Zug kam an der Kirche vorbei. Da stand der Herr Pastor in Schlafrock und Pantoffeln und sah nach, ob die bösen Buben wieder eins von den kleinen Fenstern eingeworfen hätten. Wie erschrak er aber, als er des Küsters und der drei Jungfern auf dem Hengst ansichtig ward! Er ließ die kleinen Fenster kleine Fenster sein und schrie aus vollem Halse: »Heißt das Kinder lehren und ehrbaren Wandel führen? Schämt Er sich denn nicht, mit drei leichtsinnigen Jungfern aus dem Dorfe zu reiten und noch dazu alle vier auf einem Pferde? Herunter mit Ihm!« Und schon hatte er den langen Rockschoß des Küsters in der Hand, um ihn herabzuziehen. »Hühühü!« wieherte der Goldhengst. »Bleek an!« sagte Dummhans, und der Pastor saß hinter dem Küster und wußte nicht, wie er hinaufgekommen war.