Märchen aus der Schweiz
Märchen der Welt
Herausgegeben von Sigrid Früh und Götz E. Hübner
FISCHER E-Books
Sigrid Früh ist eine der bekanntesten Märchen- und Sagenforscherinnen Deutschlands. Sie wurde 1935 bei Ludwigsburg geboren und studierte Germanistik und Volkskunde in Tübingen und Zürich.
In der Reihe ›Märchen der Welt‹ hat sie zudem die ›Märchenreise durch Deutschland‹ herausgegeben.
Götz E. Hübner, Jahrgang 1939, studierte Klassische Philologie, Germanistik und Volkskunde in Tübingen, Zürich und München.
Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de
Berge, legendäre Männer und Frauen, verzauberte Stiere und verfluchte Wiesen, zu Eis erstarrte Missetäter – gerade bei den Märchen der Schweiz wird deutlich, wie Geschichte und Mentalität das Erzählen prägen. Die Sammlung präsentiert Märchen aus allen vier Sprachgebieten des Landes.
Dieses E-Book ist der unveränderte digitale Reprint einer älteren Ausgabe.
Erschienen bei FISCHER E-Books
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2014
Coverabbildung: Shutterstock
Covergestaltung: kreuzerdesign Agentur für Konzeption und Gestaltung
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-10-403108-8
Das historische Graubünden kann man als eine Eidgenossenschaft im kleinen bezeichnen. Es zählt an die tausend Täler. Es werden zahlreiche deutschsprachige und rätoromanische Dialekte gesprochen. Dadurch erfährt die Erzähltradition eine stark regionale Gebundenheit. Unverkennbar ist dabei der Einschlag von Sagenstoffen.
F. S.
Nicht alle Engel, die dem Luzifer anhingen und deshalb zur Strafe vom Himmel gestürzt wurden, sind zur Hölle gefahren. Gott hatte ihnen eine Frist gesetzt, innerhalb derer alle dort unten angelangt sein sollten. Es waren aber so viele an der Zahl, daß es dichte Haufen vom Himmel schneite. So kam es, daß einige schneller und früher, andere langsamer und später am Boden auffielen. Diejenigen unter den Engeln, die sich nur hatten überreden lassen und nicht eigentlich böse waren, blieben im Sturz an Bergen und Bäumen hängen.
Aus diesen sind nun nicht Teufel geworden, sondern eben Erdmännlein. Darum machte Gott die Zwerge gar listig und weise, daß sie Bös und Gut wohl erkannten und auch wußten, wozu alle Dinge gut wären. Sie kannten auch die Kraft und Tugend der Gesteine. Und so müssen sie dann bis zum Jüngsten Tage auf der Erde bleiben und wohnen in Erdlöchern und hohlen Bäumen. Manche Leute sagen, daß viele Zwerge deshalb so tückisch sind, weil sie es mit Luzifer gehalten haben und die Menschen um ihr Heil beneiden.
So hauste vor Zeiten überall im Lande an Halden und Hängen das Volk der Zwerge. Tagtäglich kamen sie in die Dörfer und Höfe herab und westen und wirkten, wo Menschen weilten. Sie halfen bei aller Arbeit in Haus und Hof, in Stall und Stadel, auf Anger und Acker, in Weide und Wald, in Hurst und Holz; hüteten Kinder, hirteten das Vieh, schafften und werkten in jedem Gewerbe. Was sie taten und was sie rieten, brachte allerwegen Glück und Segen. Endlich aber verscherzten die Menschen durch ihren Frevelsinn Kunst und Gunst der Zwerge. Die Ursache aber war diese: Sie taten das alles sehr lange, so lange, bis im Dorf die erste ABC-Schule errichtet wurde. Da haben die bösen Schulbuben bald mit Steinen nach ihnen geworfen. Und da sprachen die Erdmännlein:
»Uf und us der Erde,
d’Lüt wei spitzfindig werde!«
Die Tränen traten ihnen in die Augen, und sie wanderten aus und zogen weit nach Norden in eine neue Heimat. Kaum aber hatten die Zwerge das Land verlassen, so zerfielen ihre Höhlen, Felsen stürzten zu Tal und Erdrutsche verschütteten Weide und Wald, Matten und Äcker mit Geröll.
Es war vor Zeiten ein Bergbäuerlein, ein gar armer Mann, der es auf keinen grünen Zweig bringen konnte. Im Gegenteil, er schien dem Unheil oft geradewegs in die Arme zu laufen. Er besaß am Hang einen steinigen Acker und ein mageres Stücklein Weidland. Die Hütte, in der er mit seiner Frau und fünf kleinen Kindern lebte, stand so schief, daß man nie wußte, ob sie dem nächsten Winter noch standhalten werde, und durch alle Klaffen pfiff der Wind. In dem elenden Stall meckerte eine einzige Geiß.
Eines Abends trieb der Hirtenbub die Herde ein, aber die Geiß des armen Mannes war nicht darunter. Der Hirte wußte nicht zu sagen, was aus ihr geworden war. Vermutlich, meinte er, habe der Lämmergeier sie geraubt und ins Felsennest zu seinen Jungen getragen. Darüber brach dem Mann und seiner Frau beinahe das Herz, denn wie sollten sie ohne Milch ihre Kinder ernähren! Die Kinder aber weinten, weil sie mit der Geiß ihren liebsten Spielgefährten verloren hatten. »Seid jetzt nur still und geht schlafen«, tröstete sie der Vater. »Ich will morgen zu den Weiden hinauf und nach dem Muttli suchen!«
Schon vor Tag und Tau machte er sich auf den Weg und durchstöberte jeden Tobel, lief von Grat zu Grat, von Fels zu Fels, und der Tag verging, ohne daß er das gute Tier gefunden hatte. Endlich, als ihm die Knie zitterten, legte er sich erschöpft, hungrig und durstig unter eine Fluh, um sich auszuruhen, ehe er sich auf den traurigen Heimweg machen mußte.
Während er so lag und an seinen Sorgen würgte, fielen ihm die Augen zu, und er sank in tiefen Schlaf. Plötzlich war ihm, als sehe er ein Männlein daherkommen, in ein weites grünes Mäntelein gekleidet und mit einer spitzen roten Mütze auf dem Kopf. An der Hand aber führte er das Muttli, seine verlorene Geiß. Sie sah freilich ganz fremdartig, fast närrisch aus, denn um und um war sie behängt mit Schneckenhäuschen und Muschelschalen. Das Männlein nickte ihm freundlich zu, breitete vor ihm ein Tuch aus Bergflachs aus, legte winzige weiße Gemskäslein darauf und stellte eine leuchtende Kristallschale dazu.
Im selben Moment wurde der Schläfer von einem seltsam klingenden Ton geweckt. Ganz erschrocken fuhr er empor und rieb sich die Augen. Da stieß ihn etwas an, er blickte um sich, und wahrlich, da stand leibhaftig seine Geiß, äugte ihn an aus blanken Augen, meckerte vor Freude und schüttelte und rüttelte sich, so daß die Schneckenhäuslein und Muschelschalen durcheinander klapperten. Und da lag auch das weiße Flachstuch im Gras ausgebreitet und darauf die Käslein sowie die Kristallschale, die mit frischer Milch angefüllt war. Vor Freude außer sich, streichelte und herzte der arme Mann das Tier, nahm dann die Schale und trank und sättigte sich an den schönen Käslein. Eben wollte er sich mit der Geiß auf den Heimweg machen, da trat das Männlein zu ihm, in dem grünen Mäntelein und der spitzen roten Kappe, genau wie er es im Traum gesehen hatte. Es sprach: »Guter Mann, trag Sorge zu den Schneckenhäuslein und Muscheln, welche die Geiß trägt, und zu allem, was sonst noch in ihrem Fell steckt. Löse daheim alles ab und laß es über Nacht in dem weißen Tuch auf dem Tisch liegen. Was du am Morgen findest, das wäge alles, laß es redlich schätzen nach seinem Wert, verkauf davon, was du willst, und geh mit dem Erlös weislich um. Das Tuch und die Schale bewahre wohl und gib sie niemandem; hältst du aber einst Haus im eigenen Hof oder fährst du hinauf zur Meiensäß, vergiß nicht, alle Abende das Tuch auf ein Tischlein zu breiten und die Schale mit frischem Nidel daraufzustellen. Tust du nach meinem Rat, wird immerfort Segen und Glück bei dir sein!« Nach dieser langen Rede war das Männlein ebenso schnell verschwunden, wie es gekommen war.
Der Mann meinte noch immer zu träumen, als ihm schon die Kinder entgegenliefen und ihre Freude herausjubelten, daß ihr liebes Muttli wieder da sei. Sorgfältig tat er nun, wie ihn das Männlein geheißen. Er nahm dem Tier die Schneckenhäuslein und Muscheln aus dem Fell und verwahrte sie in dem weißen Tuch. Am Morgen aber traute er seinen Blicken nicht, denn alles hatte sich zu lauter Gold und Silber verwandelt, und die Kügelein aber, die in den Haaren der Geiß gesteckt hatten, waren zu Perlen geworden. Der gute Mann hatte von solchen Schätzen zwar schon sagen hören, aber natürlich kannte er sich nicht aus damit. Darum ließ er den alten Jos rufen, der weit in der Welt herumgekommen war und mit dem, was er wußte, allen um einige Nasenlängen voraus stand. Der tat ihm kund, was der Schatz wert war, und begleitete ihn in die Stadt zu einem Goldschmied. Aus dem Erlös konnte der Bauer ein schönes Heimwesen kaufen mit Kühen und Geißen, und oben in den Bergen erwarb er sich eine Meiensäß. Aber nie vergaß er, das Gebot des hilfreichen Männleins zu erfüllen, breitete jeden Abend das Tuch auf ein Tischlein vor dem Haus und stellte die Kristallschale darauf, bis zum Rand mit dickem Nidel gefüllt. Auch hat er nie der Neugier nachgegeben und geschaut, wer die Schüssel heimlich leere.
Wenn dann die Nachbarn sahen, wie das Glück bei ihm eingekehrt war und fortan auch seßhaft blieb, sprach wohl der eine zum andern: »Ich glaube fast, der hat einen besonderen Bund mit dem Bergmännlein!«
Droben in einem kleinen Tal unseres Landes lebte eine arme Familie. Es waren Vater, Mutter, viele Kinder und wenig zum Essen und zum Kleiden. Ganz zornig stand eines Abends die Frau vor der Haustüre und blickte neidisch auf das Haus ihres wohlhabenden Nachbarn.
Da kommt ein Herr im grünen Kleid auf sie zu und sagt: »Wenn Ihr mir das geben wollt, was Ihr in Eurem Schoß tragt, will ich Euch so viel Geld herbeischaffen, als Ihr wollt.«
Die dumme Frau dachte, der Herr in Grün wolle die Holzkohle, die sie in der Schürze trug, und hat es ihm versprochen.
Später hat sie alles ihrem Mann erzählt, und auch dieser mußte lachen ob des Herrn im grünen Gewand. Nach einiger Zeit hat die Frau einen hübschen Knaben geboren, und sie haben als Paten einen alten Einsiedler und als Patin die Frau eines Schlosses in der Nachbarschaft.
Am Abend jenes Tages ist der Herr in Grün gekommen und hat eine Börse voll Gold auf den Tisch gelegt und zum Vater gesagt, in sieben Jahren werde er kommen, um den Jungen zu nehmen, den ihm die Frau versprochen habe. Erst jetzt haben die guten Leute erkannt, wer der Herr im grünen Gewand war und was er gemeint hatte, als er von der Frau das erbeten habe, was sie in ihrem Schoß habe. Ganz betrübt haben sie sich bei ihrem Gevatter, dem frommen Einsiedler, beklagt und haben gejammert. Dieser aber hat sie getröstet und gesagt, sie sollen den Jungen nur gut erziehen, wie es sich gehöre, und ihn, wenn er fünfjährig geworden sei, zum Paten schicken. Gesagt, getan; nach fünf Jahren haben die Eltern das Patenkind zum Paten geschickt. Mit großem Eifer hat der gute Einsiedler den Knaben gelehrt, aus alten Büchern und in fremden Sprachen zu lesen, und später, als die sieben Jahre vorüber waren, hat er dem Patenkind befohlen hinaufzugehen, dorthin, wo zwei Wege sich kreuzten, und dort in einem alten Buch, das er ihm gab, zu lesen, aber nie aus dem Buch aufzuschauen, geschehe, was auch immer geschehen möge. Dann hat er ihm ein Buch, so alt wie Methusalem, gegeben, das in Pergament gebunden war, und hat ihn dorthin geführt, wo sich zwei Straßen kreuzten. Dort hat der Junge zu lesen begonnen und hat gelesen und gelesen, lang und ausdauernd.
Unterdessen aber hörte er singen und spielen und tanzen, als zöge der Hexensabbat vorbei. Da schaute er vom Buch auf, und im gleichen Augenblick hat ihn ein Adler mit seinen Krallen gepackt. Zum Glück aber hatte der Junge das Buch mit sich nehmen können und las darin immerzu. Darum hat ihn der Vogel aus dem Schnabel fallen lassen müssen, und er ist, ohne zu wissen, wie ihm geschah, auf den Julierberg gefallen.
Dort auf dem Julierberg waren drei Gletscherjungfrauen, die ein prächtiges Schloß hatten. Sie haben den Kleinen gefunden und haben ihn in ihren Glaspalast geführt.
Mit diesen drei gütigen Gletscherjungfrauen hat er schöne Tage verlebt, und als ihm der Bart wuchs, hat er sich in die jüngste und schönste der drei Gletscherjungfrauen verliebt. Dieser hat der schöne Jüngling auch gefallen, und bald sollten sie Hochzeit halten.
Vorher wollte der junge Mann aber nochmals die guten alten Eltern und seinen Paten und die Patin besuchen. Mit Tränen auf den Wangen hat er Abschied genommen von seiner Braut, die ihm einen Ring mit einem kostbaren Stein gegeben und gesagt hat: »Wenn du diesen Stein in der Richtung drehst, in der ich wohne, muß ich erscheinen, dreh ihn aber um Gottes willen nicht aus Übermut.«
Indem er dankte, hat er versprochen, das Geschenk nicht zu mißbrauchen, und ohne daß er wußte, wie ihm geschah, ist er zu Hause bei den Seinen und bei seiner Patin gewesen. Diese hatte große Freude an ihrem Patenkind, das ein prächtiger Jüngling geworden war, und hat ihm ihre feine Tochter als Braut angeboten. Er aber hat über dieses Geschenk nur gelacht und hat gesagt, er habe eine viel schönere Braut. Ohne zu überlegen, hat er den Ring gedreht, und schon ist die Gletscherjungfrau, seine Braut, gekommen, weiß wie eine Lilie, aber erzürnt und mit drohender Gebärde.
Dann haben sich die beiden auf den Weg gemacht, um wieder zum Julierberg zurückzukehren. Am Abend haben sie in einem Hospiz Quartier bezogen, und nachts hat die böse Gletscherjungfrau dem Bräutigam den Ring vom Finger gezogen und ist verschwunden. Verärgert und traurig fand sich der Bräutigam am andern Morgen ohne Ring und ohne Braut.
Mutig wie er war, hat er sich aber auf den Weg gemacht, um den Julierberg zu suchen. Alle Leute, denen er begegnete und die er nach dem Julierberg fragte, lachten ihm aber ins Gesicht und sagten, sie hätten nie von einem solchen Berg gehört.
Eines Abends spät ist der Jüngling in einen dunklen Wald gekommen, und müde, wie er war, hat er sich auf einen Baumstrunk gesetzt und hat geweint. Da kommt ein Mann, so alt wie Brot und Brei und mit einem langen weißen Bart, zu ihm und sagt: »Warum weinst du, mein Junge?«
»Ach, ich suche den Julierberg, die drei Mädchen, so weiß wie Lilien, und den Kristallpalast.«
»Das ist weit weg«, antwortet der Alte, »aber da hast du einen Schuh, und mit jedem Schritt, den du in diesem Schuh machst, gehst du drei Stunden weit. Ich bin der Nordwind.«
Daraufhin hat der Nordwind geblasen und hat den Jüngling drei Stunden weit in den Wald hineingetragen.
Dort stand neben einer Höhle ein Mann, alt wie die Steine, mit grauem Haar und weißem Bart.
»Ich bin der Westwind«, hat er gesagt, »und ich weiß schon, warum du gekommen bist, und bin bereit, dir zu helfen. Da hast du einen Hut, der dich unsichtbar macht.«
Mit heißem Dank hat der Jüngling das kostbare Geschenk entgegengenommen, und der Alte hat geblasen, so daß der Westwind den Jüngling drei Stunden weiter in den Wald hineingetragen hat.
Vor dem Jüngling stand dort ein Mann mit zerzaustem Bart und verwittertem Haar, aber sonst noch rüstig.
»Was du suchst, ist dort oben, über dieser Felsenwand«, hat der Mann gesagt, »und dort hinauf vermögen dich weder der Nordwind noch der Westwind zu tragen. Ich aber bin der Föhn und habe in den Bergen alle Macht. Nimm diesen Stab, und wenn du ihn drehst, bist du droben über der Felswand.«
Der Jüngling hat dem Stab eine feste Drehung gegeben, und im gleichen Augenblick hat ihn der Föhn über die Felswand geschleudert.
Aus dem Schloß der Gletscherjungfrauen, das nicht weit weg war, hörte man Musik und Tanz. Schnell hat der Jüngling den Hut des Westwindes aufgesetzt und ist in den Kristallpalast hineingegangen. Dort hat er seine Braut gesehen, wie sie, bereit, Hochzeit zu feiern, mit einem andern zu Tische saß. Rasch entschlossen hat der Jüngling sich angeschickt, alles zu essen, was auf den Teller der Braut kam. Darob ist diese sehr erschrocken und ist auf ihr Zimmer geeilt. Der Jüngling hinter ihr her. Im Zimmer aber hat er den Hut vom Kopf genommen, und da hat ihn die Braut gesehen. Die alte Liebe hat gesiegt, und als sie hinuntergingen zu den Dienern, hat die Gletscherjungfrau ihnen folgende Frage gestellt: »Wenn einer einen Schlüssel verloren habe, einen neuen habe machen lassen, den alten aber wiederfinde, welchen er wohl benutzen werde?«
»Den alten!« haben die Diener einstimmig erklärt. Darauf hat sie erzählt, wie es mit ihr ergangen war, und am gleichen Tag wurde die Hochzeit mit dem ersten Bräutigam gefeiert.
Ich habe beim Hochzeitsessen die Suppe aufgetragen, und da haben sie mir einen Tritt in den Hintern gegeben, daß ich bis daher geflogen bin.
Es war einmal ein Mann und eine Frau, die hatten zwei Töchter. Die eine hieß Gretta, die andere Cilgia. Nachdem sie einen langen, schweren Winter durchgemacht hatten, sah der Vater, daß der Heustock von Tag zu Tag bedenklich abnahm, und noch lag der Schnee im Tal. Nur auf einer Halde sah man schon schönes, frisches Grün.
Da sagte der Vater zu den Mädchen: »Die eine oder die andere von euch könnte eigentlich morgen an die Halde hinübergehen und unsere zwei Kühe weiden.«
Gretta, die ältere, sagte sofort: »O, lieber Vater, laß mich gehen.« Der Vater war zufrieden und sagte: »Gut, geh du nur, und übermorgen kann dann Cilgia gehen. Nur hüte dich, den Pfad, der links hinaufführt, zu betreten. Dort könnte das Wildmännlein kommen, und dann würde es dir schlecht gehen.«
Gretta achtete wenig auf diese Worte und war froh und zufrieden, gehen zu können. Am nächsten Morgen gab ihr die Mutter eine Flasche mit Wein und band ihr eine Wurst und ein Stück Brot in ein Tüchlein. Gretta legte ihr Strickzeug in den Korb und ging fröhlich mit den Kühen. Kaum waren sie auf der grünen Halde angelangt, so begannen die Kühe das frische Gras zu rupfen, daß es eine Freude war. Gretta pflückte ein paar Blumen, setzte sich dann hin und begann zu stricken. Nach und nach bekam sie Hunger, und als sie auf die Sonne schaute, sah sie, daß es bald elf Uhr war.
Jetzt nahm sie ihr Essen aus dem Korb und breitete das Tüchlein als Tischtuch auf dem Boden aus. Aber kaum hatte sie einen Bissen von ihrer Wurst gegessen, hörte sie ein Geräusch, und plötzlich sah sie ein kleines Männchen mit einem spitzen Hut den Hügel heraufkommen. Sie erschrak heftig und wollte fliehen, aber das Wildmännlein packte sie am Arm und sagte: »Nichts da, nichts da, du bleibst da und gehst mit mir.« Sie begann zu weinen und sagte: »O Gott, o Gott, was soll aus meinen Kühen werden? Die können nicht allein nach Hause gehen.«
»Das macht nichts«, antwortete das Wildmännlein, »die Kühe will ich schon heimtreiben«, zog seine Pfeife hervor – ein Pfiff – und clinga-clanga liefen die Kühe den Hügel hinunter.
Das Männlein schritt nun voraus und hieß Gretta ihm folgen. Sie gingen und gingen und gingen, bis sie zu einer Türe in einem Felsen kamen. Das Wildmännlein klopfte dreimal mit dem Stock an die Türe, und beim dritten Schlag öffnete sich mit lautem Krachen ein mächtiges Tor. Sie kamen in einen großen Hauseingang, wo viele Männer waren: Schneider, Schuster, Metzger und Hausknechte.