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Vorwort
von Hermann Scherer

Erinnern Sie sich noch an Ihre erste E-Mail? Wenn Sie der Generation X oder Golf angehören, dürften Sie sich zu den Pionieren zählen. Dann können Sie mit den Begriffen ASCII-Code, Terminalprogramm und 2400 Baud etwas anfangen. Für alle anderen ist es unvorstellbar, dass eine Mail piepsend und blinkend mit 2400 Bits pro Sekunde durch das analoge Telefonnetz schleicht. Sie gehören zu den Digital Natives, die längst in den Startlöchern stehen, um Führungspositionen zu besetzen? Dann werden Sie sich fragen, was der historische Rückgriff in einem Buch über FührungsKRAFT zu suchen hat. Vorwort verfehlt, setzen, Scherer, sechs!?

Nun, egal, ob man die ersten Stunden der Informations- und Kommunikationstechnologie als Revolution hervorhebt oder es für selbstverständlich erachtet, dass ein 1,5 Gigabyte großer Spielfilm heute in nur vierzig Sekunden auf dem Smartphone landet, Tatsache ist, dass wir uns in einer neuen Ära mit immer schnelleren Datenflüssen, enormen Transformationen und strategischen Herausforderungen befinden. Und ein ständiger Begleiter dieser Megatrends ist das Thema Selbstführung.

Warum?

Wenn Autos in zwanzig Jahren herrenlos durch die Straßen fahren, wenn Krankheiten schon vor Ausbruch spürbarer Symptome unterbunden werden können, wenn der Arbeitsplatz nur noch dort ist, wo wir uns gerade aufhalten, dann gibt es neben Rechnern, Tablets und dem Internet nur noch einen, der uns führt und steuert: uns selbst!

Alles schön und gut, mögen Sie denken, und dass Sie in zwanzig Jahren bestimmt nicht mehr diesen ganzen Irrsinn aus Dauerstrom, Höchstleistungsjob und Schikane mitmachen werden. Na bitte, sag ich doch, willkommen im Klub: Dann wollen Sie also etwas ändern! Aber was genau und wie? Um diese Frage zu beantworten, benötigen Sie erstens Stabilität, zweitens Klarheit und drittens Kraft. Selbstführungskraft eben. Weil die Antwort auf all Ihre Fragen immer nur in Ihnen selbst liegen kann. Doch das Buch, das Sie gerade in den Händen halten, wird Ihnen helfen, Antworten zu finden.

Geschrieben ist es aus der Praxis für die Praxis, untermauert mit anerkannten Theorien und Fachwissen der Managementliteratur: Jacqueline Groher ist eine wundervolle, mutige und zupackende Frau, die sich schon meisterhaft durch viele Rollen geführt hat. Von der Diplom-Betriebswirtin zur Führungskraft. Von der Geschäftsführerin zur selbstständigen Trainerin. Von der Beraterin zur Expertin für Selbstführung. Dabei hat sie zuletzt sich und ihr Geschäftsmodell radikal erneuert, um als Rednerin aufzutreten. Mit Erfolg.

Wie das geht? Nur mit der Fähigkeit, sich über viele Regeln und Ratgeber hinwegzusetzen, Ecken und Kanten zu zeigen, Verantwortung zu übernehmen für sich und das Leben. Kurzum: mit Selbstführung.

Genau das will auch dieses Buch: Wege zeigen, die aus der Durchschnittlichkeit herausführen, die firm machen für die Arbeitswelt von morgen, in der Hierarchien, Rollen und der Faktor Zeit an Einfluss verlieren. Wege, die Inspiration, Kraft und neue Energie schenken für mehr Selbstbestimmung und Mut.

Unter einer Bedingung: Sie dürfen mitziehen, mitdenken und stets die Brücke zu sich selbst schlagen. Anregungen, Mutmacher und Wegweiser auf rund 250 Seiten. Konfrontieren Sie diese mit Ihren eigenen Mustern, Werten und Idealen, werden Sie gewinnen: an Reflektiertheit, an Rollenklarheit, an Führungskompetenz und schließlich an Kraft.

Gute Führung ist praktisches Handeln, das wissen wir alle – und handeln doch viel zu selten danach. Jacqueline Groher macht mit ihrem Lebenskonzept Mut zum Tun. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei der Entdeckung, Freisetzung und Weiterentwicklung der eigenen FührungsKRAFT.

Mastershausen,

Hermann Scherer

Führung braucht Haltung

Erfolg haben Menschen, die ihre Stärken, ihre
Arbeitsweise und ihre Werte kennen.

Peter Drucker, 1999

FührungsKRAFT ist nicht rationiert und an den formalen Status gebunden. Sie sind aufgerufen, Verantwortung für die Situation zu übernehmen, in der Sie sich befinden. Und zu handeln, wann immer das nötig ist. Damit Probleme gelöst werden. Damit die Beteiligten nicht ihre Lebenszeit verplempern. Damit auftauchende Unzufriedenheit produktiv gewendet werden kann. Jeder ist befähigt, zum Gelingen beizutragen. Und mit »Gelingen« ist gerade nicht gemeint, dass eine Veranstaltung ungestört von allen mehr oder weniger Anwesenden vor sich hinlaufen kann.

Aber wenn eine Leitungsfigur auf höherer Ebene es mit schlafwandlerischer Sicherheit jedes Mal vermasselt? Ganz klar: Dann springen Sie ihr diplomatisch zur Seite! Wenn eine Führungskraft wieder und wieder Gelegenheit erhält, ihre blinden Flecken vorzuführen, ist damit keinem gedient. Am wenigsten ihr selbst. Führung bedeutet, eine Sache in die Hand zu nehmen. Egal, wer das tut. Letztlich geht es schlicht darum, zu tun, was einem sinnvoll erscheint. Und sich einzuschalten, wenn einem etwas ganz und gar nicht sinnvoll vorkommt. FührungsKRAFT in diesem Sinne kann sich auf jeder Ebene zeigen, sie wird auf allen Hierarchiestufen dringend gebraucht. Sie hat ihren Platz im Job wie im Privatleben.

Ich mag den Werbespot der Firma Vorwerk, in dem Katja Weitzenböck selbstbewusst sagt: »Ich führe ein sehr erfolgreiches kleines Familienunternehmen.« Die kurze Szene zeigt ein Bewerbungsgespräch. Bevor der skeptische Personaler seine Frage ganz aussprechen kann, ob sie über berufliche Erfahrungen verfügt oder »nur« Hausfrau sei, kontert sie schlagfertig mit einer Aufzählung ihrer Qualifikationen und Aufgaben: Kommunikation, Organisation, Nachwuchsförderung, Motivation. Dazu werden turbulente Szenen aus dem Familienalltag eingeblendet. Und es stimmt: Eine Familie, einen Haushalt so zu führen, dass ein gutes Zuhause dabei entsteht, dass die Kinder ein überzeugendes Vorbild bekommen, ist eine echte Herausforderung. Es verlangt FührungsKRAFT im besten Sinne.

Damit möchte ich nicht nur die Familienarbeit würdigen. Ich will vor allem auf einen Aspekt hinweisen, der in Unternehmen häufig vernachlässigt wird. Auch hier bedeutet Führung, Vorbild zu sein. Das ist ein starker Hebel, der viel zu selten bewusst eingesetzt wird. Dabei können Sie machen, was Sie wollen: Ihre Leute schauen auf Sie. Sie sind ein Vorbild – und hoffentlich kein mittelmäßiges. Es wird genau registriert, wie Sie auf einen Vorschlag reagieren. Wie Sie sich jemandem gegenüber verhalten. Mit welcher Stimmung Sie aus einem wichtigen Leitungsgremium kommen etc. Ihr Verhalten hat besondere Relevanz. Das bringt eine Menge Verantwortung mit sich und kann manchmal furchtbar lästig sein. Denn es verpflichtet Sie zu einem angemessenen und bewussten Auftreten. Auf der anderen Seite haben Sie damit aber auch ein enorm wirksames Mittel in der Hand, um etwas zu bewegen und zu steuern!

Führung braucht Mut. Der Schutz der Gruppe fällt weg. Als Führungskraft haben Sie gar nicht die Wahl: Sie lehnen sich permanent aus dem Fenster. Und: Sie halten für Ihre Leute den Kopf hin. Die Verantwortung tragen Sie. Egal, wer da nicht pünktlich geliefert hat, was missverstanden wurde oder auf wen man sich nicht verlassen kann – Sie müssen dafür geradestehen, wenn das Ergebnis nicht stimmt oder die Ware nicht beim Kunden ist. Und egal, ob Sie für ein kleines Team zuständig sind, für eine Abteilung, einen Unternehmenszweig oder einen ganzen Konzern – Sie kriegen unweigerlich die erste Ladung Lob oder Kritik ab. Das muss man auch zu nehmen wissen. Als frischgebackene Abteilungsleiterin habe ich mich einmal bei meiner Großmutter ausgeheult, und die hat nur gesagt: »Mädchen, wenn du so einen Job machst, kriegst du einfach zwanzig Ohrfeigen im Jahr. Ob berechtigt oder nicht. Darauf kannst du dich einstellen und damit wirst du klarkommen. Wenn es weniger Ohrfeigen sind, dann warst du nicht mutig genug.« Wer nie aneckt, wer sich aalglatt durchschlängelt, läuft unterhalb seiner möglichen Performance.

Es geht als Führungskraft also darum, Haltung an den Tag zu legen, Stellung zu beziehen. Darum, Konflikten nicht auszuweichen, sondern sie auszuhalten – und konstruktiv zu gestalten. Es geht darum, den ganz normalen Wahnsinn des Alltags in ein handhabbares Gleichgewicht zu bringen. Sie können sich in der akuten Situation nicht erst einmal hinsetzen und einen neuen Strategieplan entwickeln. Sie müssen handeln. Sofort. Intuitiv. Aus Ihrer Persönlichkeit heraus. Als Ausdruck Ihrer FührungsKRAFT. Wenn Sie das gut machen, schaffen Sie Klarheit. Sie vermitteln Transparenz. Sie zeigen den Menschen in Ihrem Umfeld Grenzen und Freiräume auf. Damit können Sie eine Menge in Bewegung setzen, und zwar relativ mühelos.

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Wenn Führung misslingt

Die meisten untergehenden Unternehmen haben ein Management, das vor Schreck gelähmt ist.

Daniel Goleman, 2002

Führungskräfte sind effektiv und produktiv, wenn ihr Handeln ganz selbstverständlich aus ihrer inneren FührungsKRAFT kommt. Dann kann die Verbindung von charakterlicher Integrität, dem Blick für die Erfordernisse der Situation und der Beziehung zu den Mitarbeitern gelingen. Ohne die Anbindung an Ihre innere FührungsKRAFT wird Ihr Handeln ineffektiv oder sogar kontraproduktiv. Solche Momente erleben die meisten von uns hin und wieder. Bei allzu vielen wird daraus aber ein Dauerzustand. Mit fatalen Folgen.

Auf Platz eins der Gründe für eine Kündigung steht einsam und allein eine bestimmte Person: der oder die Vorgesetzte. (Nur zur Erinnerung: Hohe Fluktuation bedeutet in den Sand gesetzte Investitionen. Rechnen Sie einmal ehrlich die Kosten für einen Mitarbeiterwechsel zusammen!) Führungskräfte sind – das zeigen Befragungen immer wieder – felsenfest davon überzeugt, dass Mitarbeiter bei einer Kündigung vor allem das Gehalt und die Aufstiegschancen im Blick haben, und deuten einen Jobwechsel entsprechend. Dieselben Untersuchungen zeigen hingegen seit Jahren mit schöner Regelmäßigkeit, dass es den Mitarbeitern vor allem um Anerkennung, Kommunikation und Fairness geht, also um charakterliche Integrität und Beziehung. Vergütungen und Statusvorteile rangieren zuverlässig im letzten Drittel der Prioritäten. Warum landet diese Tatsache nicht in den Köpfen derjenigen, die für Mitarbeiter verantwortlich sind? Ich glaube, es geht hier um ein massives Wegblenden. Vielen erscheinen »softe« Faktoren wie Selbstreflexion und Beziehungsmanagement erst einmal zu kompliziert. Da hält man sich lieber an »harte« Fakten, oder man wendet sich vermeintlich drängenderen Dingen zu, auch wenn die in der gegebenen Situation nicht auf einen vorderen Platz der Prioritätenliste gehören. Aus dem einfachen Grund: Da weiß man, was man zu tun hat.

Es gibt übrigens eine ganze Reihe von Naturtalenten: Führungskräfte, die ihre Sache intuitiv gut machen. Vielleicht sind Sie so jemand. Aber auch dann können Sie von diesem Buch profitieren! Denn Fähigkeiten lassen sich besser entwickeln und weitergeben, wenn man Klarheit über sie gewinnt. Für die meisten Führungskräfte gilt: Sie könnten ihre Kompetenzen deutlich verbessern. Und sie sollten das auch tun. Unsere Ausbildungsgänge und Auswahlverfahren sind viel zu wenig auf die Anforderungen für die Führung von Menschen fokussiert. Tatsache ist: Selbst Naturtalente können aus der Haut fahren, wenn sie zu sehr unter Stress stehen. Da sie aber im Team einen hohen »Beziehungskredit« angesammelt haben, wird sich der Flurschaden in Grenzen halten. Bei der großen Mehrheit ganz normaler Führungskräfte ist das allerdings anders. Missverständnisse und Missstimmungen schlagen sofort große Wellen.

Warum liefern die meisten Führungskräfte im besten Fall Mittelmaß oder hangeln sich von einer Vertrauenskrise zur nächsten? Ist erfolgreiche Führung eine Art Lotterie, bei der Fortuna Gelingen und Scheitern nach dem Zufallsprinzip verteilt? Ich glaube: nein. Sicher spielen äußere Bedingungen massiv in den Unternehmensalltag hinein. Ob ein Produkt oder ein Projekt erfolgreich ist, hängt von vielen Faktoren ab. Gute Leitung ist jedoch nicht automatisch identisch mit wirtschaftlichem Erfolg. Führung braucht man in guten wie in schlechten Zeiten.

Meine Beobachtung ist: Die FührungsKRAFT geht verloren, wenn der Mut abhandenkommt. Die drei biologischen Reaktionen auf Angst sind Flucht, Kampf und Totstellen. Die Folgen liegen auf der Hand – und sind überall in den Unternehmen zu beobachten. Die schlechte Nachricht ist, dass die meisten von uns unter bestimmten Umständen selbst in eine dieser Rollen kippen. Wenn auch hoffentlich nur vorübergehend.

Führungskräfte auf der Flucht greifen auf alte Muster zurück. Sie ziehen sich auf ihre Weisungsbefugnis und in ihre Büros zurück. Damit sie dorthin nicht verfolgt werden, sichern sie die Hierarchiegrenzen, schaffen Kommunikationsbarrieren und unternehmen Präventivschläge. An Mitarbeitern, die den Sicherheitskordon verletzen, werden Exempel statuiert. Ein entsprechender Alarmzustand kann schon durch die eigene Verunsicherung ausgelöst werden – noch bevor Stress durch Arbeitsbelastung oder Konflikte im Team in diese Kerbe schlagen.

Führungskräfte im Kampfmodus führen mitunter eine solche Schreckensherrschaft, dass vor rund zehn Jahren der Begriff »Toxic Leadership« aufgekommen ist. Sie »kehren mit dem eisernen Besen« und »bringen den Laden auf Zack« – »ohne Rücksicht auf Verluste«. Das klingt schon nach Kriegsberichterstattung und hinterlässt die entsprechende Verwüstung. Unter ihrem Druck braut sich ein Betriebsklima zusammen, das die Mitarbeiter krank macht und früher oder später die Ergebnisse absacken lässt.

Der Totstellreflex ist eine zentrale Überlebenstechnik – im Dschungel oder zumindest in der freien Natur. Allerdings auch nur, wenn ein kleines von einem großen Tier angegriffen wird. Er ist daher eher ein Privileg der Mitarbeiter. »Hab ich nicht verstanden.« »Da war ich nicht da.« »Dafür ist jemand anderes zuständig.« Im Büro ist diese Altlast der Evolution ebenso deplatziert wie blinde Flucht und ungebremster Angriff. Sind diese drei Verhaltensweisen – Mund halten, kündigen, streiten – in Ihrem Unternehmen vorherrschend, läuft etwas grundsätzlich falsch. Die freie Wildbahn ist heute im seriösen Kundengeschäft kein Erfolg versprechendes Modell mehr. Stramm stehende und stets nickende Mitarbeiter sind ein starkes Indiz dafür, dass die »Geschäftsführerkrankheit« grassiert: Je höher die Führungsebene, desto dünner die Informationen und desto schöner die Aussichten.

Es gibt aber auch Führungskräfte im Totstellreflex. Spielart eins: nicht erreichbar, ständig mit Wichtigerem beschäftigt oder nicht belastbar, da am Rande des Burn-out. Spielart zwei: unkenntlich durch Kuschelkurs. Führung heißt nicht: Händchen halten. Jedenfalls nicht dauernd. Selbstverständlich gehört es zu einem mitmenschlichen Führungsstil, aufrichtig Anteil zu nehmen an wichtigen privaten Ereignissen. Vertraut man einem Mitarbeiter eine Aufgabe an, die ihn in besonderer Weise fordert, dann gehört dazu auch, dass man Ermutigung und Unterstützung bietet. Zwanghafte Freundlichkeit wird jedoch genauso zur Vermeidungsstrategie wie permanente Kratzbürstigkeit. Ehrliche Auseinandersetzung und sinnvolle Problemlösung kommen dabei nicht heraus. Manchmal ist Freundlichkeit nicht angemessen, sondern klare Worte sind gefragt. Fehlen sie, geht Deutlichkeit verloren.

Das fällt oft nicht leicht. Besonders schwierig ist es für Mitarbeiter, die im Team zu Vorgesetzten aufsteigen. Und das ist nun nicht gerade eine Minderheit. Sie stehen vor der Herausforderung, sich aus der lieb gewordenen Gruppe zu lösen und mit der neuen, in gewissem Sinne einsamen Position klarzukommen. Die Beziehungen müssen neu austariert werden, oft auch nach »oben«, weil man sich in einer Sandwichposition wiederfindet. Das ist ein konkreter Prozess, der seine Zeit braucht. Dabei geht es auch um die innere Akzeptanz: dass man nun selbst Führungskraft ist und die Richtung vorgibt.

Ihre Leute erwarten von Ihnen, dass Sie sagen, wo es langgeht. Wohlgemerkt: nicht in der Frage, wie man ein Briefkuvert zuklebt oder sich die Schuhe schnürt. Es geht nicht um Entmündigung. Je eigenständiger alle ihre Aufgaben erfüllen, desto besser läuft der Laden. Aber wenn jemand mit seinem Latein am Ende ist, wenn es mehrere sinnvolle Optionen gibt oder ein Fall einfach strittig ist, dann sind Sie gefragt: Sie müssen entscheiden. Auch das ist mitunter heikel. Wenn Ihr Verhalten jedoch eine Haltung verrät, wenn darin eine Linie zum Ausdruck kommt, dann stellen Sie die Weichen mit Erfolg.

Es ist in vieler Hinsicht nicht klar, was Führung jeweils konkret bedeutet. Das müssen Sie in jeder Situation immer wieder neu herausfinden. Eins steht jedoch fest: Die Führungsposition hebt Sie aus der Gruppe der Mitarbeiter heraus. Sie sind nicht mehr in der gleichen Weise Teil des Teams wie diese. Was nicht heißt – wie manche offenbar meinen –, dass Sie nun ungestört im freien Orbit kreisen können. Sie müssen mit der Gruppe interagieren. Anders geht es nicht. Wollen Sie etwas bewegen, brauchen Sie Tuchfühlung.

Einleitung:
Führung beginnt mit Selbstführung

Methoden zur Leitung von Mitarbeitern und Anregungen zum Verhalten als Führungskraft gibt es wie Diätempfehlungen im Frühling – in Hülle und Fülle. Kein Wunder, dass dann vor allem eines zurückbleibt: Ratlosigkeit. So wie im Frühsommer Tausende von Diätabbrecherinnen entmutigt in ihre Schokoriegel beißen, haben sich viele Führungskräfte frustriert in ihre Büros zurückgezogen, nachdem der erste Enthusiasmus im Alltag verpufft ist. Im Höhenflug nach einem guten Workshop oder nach der Lektüre des neuen Bestsellers von Tom Peters oder Reinhard K. Sprenger stand das Ziel noch glasklar vor Augen. Doch das Verfallsdatum guter Vorsätze kennen wir alle von der Jahreswende: Im Schnitt beträgt es vierzehn Tage, dann greift wieder der alte Trott.

Was fehlt, ist also die Umsetzung.

Die meisten Theorien und Wegweiser zur Führung versuchen auszuloten, wie sich der Wandel vom Maschinenzeitalter zur Dienstleistungsgesellschaft im Leitungsstil widerspiegeln soll. Eindeutig ein Gebot der Stunde, wenn wir nicht zwischen alten Strukturen und neuen Anforderungen aufgerieben werden wollen … Der Sollzustand ist ziemlich eindeutig: Projektorientierung, enge Vernetzung, reibungslose Kommunikation, Flexibilität, schnelles Reagieren, Freisetzen von Potenzialen, Kreativität und Innovation. Vollkommen klar, dass tradierte Strukturen und Vorstellungen von Hierarchie und Autorität auf den Prüfstand kommen müssen. (Was aber nicht heißt, dass man sie einfach über Bord werfen kann!)

Der Istzustand sieht anders aus. Der Gallup Engagement Index führt uns Jahr für Jahr das ganze Ausmaß des Scheiterns vor Augen. Tiefpunkt war das Jahr 2012. In der entsprechenden Pressemitteilung heißt es: »Fast ein Viertel (24 Prozent) der Beschäftigten in Deutschland hat innerlich bereits gekündigt. 61 Prozent machen Dienst nach Vorschrift.«

Vielleicht ist es ja in Ihrer Firma anders, aber in den meisten Unternehmen sitzen fast zwei Drittel der Angestellten bei vollen Bezügen mit nur einer Pobacke auf dem Bürostuhl. Ein Viertel ist mit einem Bein sogar schon draußen. Und das ist nicht das, wovon die Leute träumen, glauben Sie mir. Entsprechend verhangen bis verhagelt ist das Betriebsklima. Wer wünscht sich da nicht, im Flieger gen Süden zu sitzen? Hauptsache, weit weg.

Sind die Leute uneinsichtig, bockig oder faul? Natürlich sind nicht alle so zielorientiert und leistungsfreudig wie Sie, lieber Leser. Aber hat sich nicht auch bei Ihnen schon einmal Mutlosigkeit breitgemacht, wenn Sie mit einer wirklich sinnvollen Initiative nicht durchgedrungen sind, wenn Sie aufgrund von persönlichen Animositäten oder vorgeschobenen Sachzwängen aufgelaufen sind, wenn es erst »Hü« hieß und dann »Hott«? Eine Umfrage von Harris Interactive unter 23.000 Arbeitnehmern in den USA ergab 2004, dass 63 Prozent nicht verstanden, was ihr Unternehmen eigentlich zu erreichen versucht. 85 Prozent hatten nicht das Gefühl, dass sie im Unternehmen etwas umsetzen können, was ihnen selbst wichtig ist. 90 Prozent zweifelten daran, dass im Unternehmen persönliche Verantwortung übernommen und zuerkannt wird. So viel zum Thema konkret umgesetzte Führungskultur.

Was ist da so grundsätzlich falsch gelaufen?

Ich glaube, dass wir an einer zentralen Stelle einen blinden Fleck haben. Wir sehen das Wesentliche nicht. Deshalb reden wir an der Sache vorbei – und rudern aufgeregt herum, ohne etwas Substanzielles zu erreichen. Theorien und Modelle haben wir genug. Da ist ganze Arbeit geleistet worden. Es gibt eine große Menge wirklich brauchbarer Tools (zum Beispiel zur Verhaltensanalyse und Teamentwicklung, zur Verbesserung der Kommunikation bei Verhandlungen und Feedback). Unser Problem ist die Praxis, die konkrete Umsetzung.

Wir haben jede Menge Know-how, aber uns fehlt das elementare Wissen darüber, wie wir das Gehörte und Gelesene in der realen Lebenspraxis Wirklichkeit werden lassen. Und zwar dauerhaft. Die Frage ist: Wie gewinne ich aus den hehren Zielen, Werten und Vorstellungen, mit denen ich gestartet bin, praktische Handlungsschritte in dieser konkreten und mehr oder weniger unvorhergesehenen Situation? Und wie in der nächsten, die wieder anders ist? Unsere blinde Stelle: Was wir uns nicht Schritt für Schritt aneignen, was wir nicht in unserem Fühlen und Denken verankern, das bleibt gedanklicher Ballast. Praktisch vielleicht für Diskussionen und Schlagwörterdropping – aber wirkungslos auf der Teststrecke des Alltags.

Was ganz offensichtlich nicht funktioniert, ist die Aus-Führung, die Durch-Führung. Und der Grund ist einfach: In unserem ganzen Reden und Denken über Führung geht es fast ausschließlich um die nach außen gerichteten Aufgaben: Resultate erzielen, Kosten senken, Mitarbeiterpotenziale und Ressourcen nutzen, Prozesse steuern. Ich bin überzeugt, dass wir einen Schritt früher ansetzen müssen – bei uns selbst. Wir können Mitarbeiter, Teams und Unternehmen nur dann erfolgreich führen, wenn wir in der Lage sind, uns selbst zu führen! Führung fängt immer mit Selbstführung an und damit bei der Auseinandersetzung mit der eigenen Persönlichkeit.

Mit dieser Erkenntnis halten Sie den wirksamsten Hebel zur Umsetzung in der Hand. Sie ist der Ausgangspunkt zur Entwicklung von Wirksamkeit und Kraft.

Manager stehen unter Dauerstrom. Sie sollen gute Zahlen bringen, Mitarbeiter zur Höchstleistung motivieren, den Veränderungen im Umfeld Rechnung tragen, Vorbild sein, das Unternehmen nach innen und außen repräsentieren etc. etc. Um all diesen Anforderungen gerecht zu werden, bedarf es einer großen inneren Stabilität und Klarheit, es bedarf innerer FührungsKRAFT. Und dafür brauchen wir einen lebenstauglichen Ansatz. Wir brauchen ein neues Denken und eine neue Wahrnehmung. In den Führungsetagen spricht man über Zahlen, Leistungen, Kosten. Man redet nicht über die inneren Ressourcen und das, was eine Führungskraft in ihrem Alltag bewegt. Man spricht nicht darüber, was Führung, Umsetzung und Verantwortung konkret für das Handeln des Einzelnen bedeuten.

Doch genau darum geht es in diesem Buch. Die Gedanken, Anregungen und Praxisbeispiele auf den folgenden Seiten werden Ihnen helfen, die Kluft zwischen wunderbarer Planung und schnöder Realität, zwischen Anspruch und Umsetzung zu überbrücken. In Ihrem ganz konkreten Alltag.

Dreh- und Angelpunkt ist der Begriff der FührungsKRAFT – in dem Sinne, wie wir davon sprechen, dass wir ein Gespräch führen. Oder unser Leben. Der Job ist kein Tennismatch, bei dem wir für eine kurze Zeit in einem abgezirkelten Areal nach Regeln spielen, die mit unserem sonstigen Alltag wenig zu tun haben. Das ist das reale Leben. Und da zählt nicht in erster Linie, dass Sie sagen können: »Weiß ich, kenne ich.« Es zählt, wofür Sie stehen, wer Sie sind. Auch das beste Rhetorikcoaching verleiht Ihnen nicht die Wirkungskraft, die von einer glaubwürdigen Persönlichkeit ausgeht.

Deshalb bieten die folgenden Kapitel ein neues und alltagstaugliches Verständnis von Führung aus der Perspektive persönlicher FührungsKRAFT. Sie erfahren, wie Sie Ihre FührungsKRAFT entdecken, freisetzen, anwenden und weiterentwickeln können.

Handeln ist schwierig, wenn die Situation unübersichtlich ist. Und das ist sie, da sind sich alle einig. Viel ist in Bewegung. Die digitale Revolution hat die Kommunikation verändert und enorm beschleunigt. Die Globalisierung hat den Wettbewerb verschärft und vertraute Strukturen ins Rutschen gebracht. Empirische Untersuchungen zeigen: Je unübersichtlicher der Markt, desto stärker hängt der Erfolg eines Unternehmens vom Verhalten der Führungskräfte und ihrer Teams ab. Schnelligkeit und intelligente neue Lösungen sind gefragt. Verschleppte Probleme können zum entscheidenden Hindernis werden.

Kein Wunder, dass sich viele kluge Leute Gedanken zum Thema Führung gemacht haben. Das Problem: Mit ihren Handlungsempfehlungen kann man mittlerweile ganze Flure tapezieren. Schwierig, da überhaupt noch den Überblick zu behalten. Einige Bücher sind wirklich brauchbar. Manche schlachten eher einen Teilaspekt aus, der womöglich bisher zu kurz gekommen ist. Andere sind schlicht und einfach skurril. Um zu führen, heißt es, braucht man Exzellenz (Gardner), Charisma (Kets de Vries) beziehungsweise emotionale Intelligenz (Coleman). Autoritäre Durchsetzungskraft kommt in der Praxis häufig vor, wird aber als Konzept eigentlich nicht mehr vertreten. Die Vorschläge, worin Führung im Kern besteht, zeigen eine große Bandbreite, vom Vorgeben der Strategie (Mintzberg) über das Vermitteln von Visionen (Kotter) bis hin zum Kanalisieren der Triebe (von Cube). Das Konzert ist mehrstimmig. So meint Peter Drucker, es gehe im Wesentlichen darum, Verantwortung zu übernehmen. Ricardo Semler plädiert mehr dafür, Verantwortung abzugeben. Die Parade der Schlagworte und Konzepte ließe sich noch ausgiebig fortsetzen. Kein Wunder, dass vor allem eins zurückbleibt: Verwirrung.

Führung – was ist das? Unter günstigen Verhältnissen, so sagt man, kann jeder segeln, unter widrigen Verhältnissen jedoch nur der erfahrene Kapitän. Aber das ist leichter gesagt als getan. Auch für erfahrene Führungskräfte. Denn die Standards selbst stehen zur Disposition. Bewährte Rollenvorbilder werden vom Sockel geholt. Neue müssen erst noch entwickelt werden. Es ist nicht klar, was wir noch so machen können wie in der Vergangenheit. Vermutlich wenig.

In dieser Situation ist es wichtig, ein klares Bild davon vor Augen zu haben, was Führung ist. Worum es eigentlich geht. Und dafür ist das Rauschen im Ratgeberwald nur bedingt hilfreich. Die gute Nachricht: Sie können die Orientierung zurückgewinnen – durch einen einfachen Wechsel der Perspektive. Vergessen Sie für ein paar Momente die ganzen Fachbegriffe und Schlagworte, die Tools und Techniken, die Ihnen zum Thema Führung im Kopf herumschwirren. Im Grunde ist Führung etwas sehr Einfaches, ganz Alltägliches. Ich gebe Ihnen zwei Beispiele.

Sie sind in der Stadt unterwegs, und ein Fremder fragt Sie, wie er zum Rathaus kommt. Wenn Sie ein freundlicher Mensch sind, erklären Sie ihm den einfachsten Weg. Sie stellen sicher, dass er Sie verstanden hat und sein Ziel findet. Vielleicht begleiten Sie ihn ein Stück, bis das Rathaus in Sicht oder ganz einfach zu erreichen ist. Was haben Sie gemacht? Sie haben Verantwortung übernommen, sich ein Bild der Situation gemacht, für ein Problem die Lösung gefunden und dafür gesorgt, dass die Umsetzung sichergestellt ist. Das ist Führung! Und, wie Sie sehen, geht das auch im Vorübergehen. Im Job ist es nicht immer so eindeutig. Die Rollen sind manchmal nicht so klar verteilt; die Umstände sind nicht so eindeutig, das Ziel ist nicht so gut erkennbar – und nicht so unkompliziert zu erreichen. Aber das Grundmuster bleibt das gleiche. Der entscheidende Punkt: Man muss es nur erkennen.

Das zweite Beispiel ist Ihnen vermutlich vertraut: Ihnen wird die Leitung einer wichtigen Arbeitsgruppe übertragen. Eine echte Ehre! Das Problem ist nur, dass Sie anders als im ersten Beispiel im Grunde nicht mehr wissen und können als die anderen Mitglieder der Gruppe. Die Aufgabe besteht in diesem Fall nicht darin, die anderen auf einen Weg mitzunehmen, den Sie schon kennen. Sie haben lediglich die Führungsrolle. Vielleicht gibt es eine Zielvorgabe (zehn Prozent Wachstum) – aber den Weg dorthin müssen Sie gemeinsam finden. Sie haben die Leitung bekommen, weil das einer machen muss und weil man Sie für geeignet hält. Was nun?

Im Grunde ist es die gleiche Aufgabe wie im ersten Beispiel: Sie haben die Verantwortung – nun müssen Sie sie aktiv übernehmen. Sie machen sich ein Bild von der Situation (immer und immer wieder). Sie nehmen die anderen auf dem Weg mit und halten die Truppe zusammen. Für Ideen zur Problemlösung zapfen Sie die Gruppe an. Sie holen sich das Wissen aus dem Team. Daran ist nichts ungewöhnlich: Beim Autofahren müssen Sie ja auch tanken. Aus diesem Wissen entwickeln Sie die konkreten Schritte, die gemeinsam angegangen werden.

Es ist im Prinzip immer das gleiche, einfache Muster. Führung ist nichts Außergewöhnliches. Führung ist etwas Natürliches und zutiefst Menschliches. Der ganz normale Wahnsinn des Arbeitsalltags erfordert jedoch eine gehörige pragmatische Intelligenz, um diese einfache Einsicht auch umzusetzen. So ist die Liste der Eigenschaften, die man als gute Führungskraft braucht, beeindruckend lang. Und sie erscheint widersprüchlich. Zumindest auf den ersten Blick. Da muss man, wie gesagt, Verantwortung übernehmen, soll sie aber auch abgeben können. Einfühlungsvermögen ist notwendig, aber auch die Fähigkeit, Entscheidungen durchzusetzen. Man soll Probleme lösen und Ziele erreichen. Man soll Menschen begeistern und Mitarbeiter fördern. Warum wird das mit einem Mal so unübersichtlich? Weil die Umstände, unter denen Führung gefragt ist, unendlich vielgestaltig sind. Der eine Mitarbeiter braucht Freiraum, der andere genaue Vorgaben. Bei einem Problem ist es sinnvoll, eine grundsätzlich neue Lösung zu suchen. Bei einem anderen ist es besser, auf unnötige Diskussionen zu verzichten. Letztlich ist jede Situation ein Einzelfall. Wer hier das allzeit gültige Handbuch der Führungseigenschaften schreiben will, steht bald wie der Ochs vorm Berg.

Und damit sind wir am entscheidenden Punkt des Umsetzungsproblems: Es gibt keinen Workshop, keinen Guru, keinen Ratgeber, der in der Lage wäre, den ultimativen Superleader zu programmieren, den Megamanager vom Band laufen zu lassen, der automatisch in jedem beliebigen Kontext Topführungsergebnisse produziert. Wenn Sie danach suchen, werden Sie vor allem eins finden: falsche Propheten.

Aber warum ist das so?

FührungsKRAFT ist ein ganz persönliches Potenzial. Gefragt sind Charakter, Haltung, Bewusstsein: Neugier und Bereitschaft zur Offenheit. In der Lage sein, innerlich auf Abstand zu gehen, um dadurch Übersicht zu gewinnen. In Herausforderungen und Problemen die Chancen sehen und die Möglichkeiten entdecken. Überall die Initiative ergreifen und jedem Ereignis gegenüber Führungsqualitäten beweisen. Diese Eigenschaften lernen Sie nicht wie Vokabeln oder den Umgang mit einer neuen Software. Diese Fähigkeiten erwerben Sie durch bewusste Lebenserfahrung. Deshalb ist der Schlüssel Selbstführung. Alles startet bei Ihnen selbst.

Das klingt vielleicht ungewohnt. Es ist aber wieder eine Frage der Perspektive: Sie sammeln schon ein Leben lang Führungserfahrungen. Und noch dazu mit einer nicht besonders einfachen Person: mit sich selbst. Schon die Minimalanforderungen des Alltags verlangen eine Menge Disziplin: Morgens den Wecker nicht einfach ignorieren und im ordentlichen Outfit im Büro erscheinen. Sind Sie Autofahrer? Dann passiert es Ihnen sicher auch schon mal, dass Sie einen anderen Verkehrsteilnehmer verfluchen. Aber Sie überfahren ihn nicht einfach. Stattdessen führen Sie Ihren Wagen klug und beharrlich durch den Dschungel des Berufsverkehrs. Ich würde so weit gehen, zu sagen: Selbstführung ist der Schlüssel zu einem gelungenen Leben. Definitiv ist eine bewusste und erfolgreiche Selbstführung die Voraussetzung dafür, andere Menschen kompetent führen zu können. Die zentrale Message: Ich kann meine Mitarbeiter nur führen, wenn ich mich selbst führen kann! Führung beginnt immer mit Selbstführung und damit bei mir selbst.

FührungsKRAFT – Motor der Umsetzung

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Herr zu sein über andere bedeutet Stärke;
Herr zu sein über sich selbst bedeutet wahre Kraft.

Laotse, 6. Jahrhundert v. Chr.

FührungsKRAFT entfalten

Andere zu kennen zeugt von Intelligenz;
sich selbst zu kennen zeugt von wahrer Weisheit.

Laotse, 6. Jahrhundert v. Chr.

Fehlt der intuitive, selbstverständliche Zugang zur eigenen FührungsKRAFT, wird notgedrungen auf Ersatz zurückgegriffen: auf fachliche Kompetenz, auf formale Autorität. Die Anbindung an die eigene Persönlichkeit kommt abhanden – und damit die Quelle der FührungsKRAFT. Die Autorität verliert an Stabilität und Glaubwürdigkeit. Sie muss betont, erkämpft und verteidigt werden. Ein Teufelskreis. Ineffektiv – und ganz schön mühselig!

Wie klingt dagegen die folgende Version für Sie? Sie bleiben gelassen, auch wenn es turbulent wird. Unvorhergesehene Widerstände machen Sie neugierig und wach. Sie wissen, was zu tun ist, weil Sie die Situation verstehen (auch wenn Sie für den Durchblick manchmal hart arbeiten müssen). Sie können die Machbarkeit jeweils realistisch einschätzen, weil Sie beides klar sehen: Grenzen und Möglichkeiten. Sie haben den Mut zu handeln, werden aber nicht übermütig, sondern haben ein Auge darauf, ob es auch in die richtige Richtung geht. Sie können Ihr Team bei Bedarf aktivieren, die Extrameile zu gehen, denn die Leute stehen hinter Ihnen. Sie haben ein zutreffendes Bild davon, was mit den einzelnen Mitarbeitern und im Team los ist, weil die Kommunikation stimmt. Sie sind mit sich selbst im Reinen. Sie wissen, wo Sie gerade stehen, was Sie können, aber auch wo Ihre Defizite und Ihre Macken sind. Sie leben damit und Sie arbeiten daran. So werden Sie – jenseits Ihrer Führungsrolle – als Mensch erkennbar und respektiert. Und das gibt Ihnen den Vertrauensvorschuss, um gemeinsam mit Kollegen und Kunden die Dinge auf den Weg zu bringen.

So fühlt es sich an, wenn Sie in Kontakt mit Ihrer inneren FührungsKRAFT sind. Sicher kennen Sie Momente, in denen Ihr Alltag so aussieht. Vermutlich dürften es gern ein paar mehr sein. Das können Sie haben. Denn genau so, wie Sie beweglicher werden durch Bewegung, anpassungsfähiger durch Veränderung und klüger, wenn Sie etwas Gescheites lesen – genau so können Sie Ihre eigene FührungsKRAFT zur Entfaltung bringen. Sie wächst, indem Sie sich ihr widmen und sie ausprobieren. Deshalb können Sie Ihre FührungsKRAFT jederzeit stärken und weiterentwickeln, egal, von welchem Ausgangspunkt Sie starten.

Was Sie dafür brauchen, finden Sie zwar nicht im Standardlehrplan für Manager; es steht Ihnen aber trotzdem zur Verfügung. Zunächst einmal Bewusstsein: Was läuft da eigentlich gerade ab, in der Situation – und in mir? Und Wahrnehmung: Was ist möglich? Was ist mit den anderen? Dann die persönliche Einstellung: Will ich das? Was kann ich beitragen? Und zu guter Letzt Gefühl: zum Beispiel Mut statt Furcht. Das alles zusammengenommen bringt Ihre FührungsKRAFT mehr und mehr ins Spiel. Und FührungsKRAFT ist die Schnittstelle, an der die Brücke geschlagen wird von der Welt der Werte und Vorstellungen zur praktischen Umsetzung.

FührungsKRAFT ist kein Wissen, das man übernehmen kann. Sie ist keine Technik, die man sich in einer Weiterbildung antrainiert. Vielleicht ist sie deshalb bisher in der Diskussion um Führung derart zu kurz gekommen. FührungsKRAFT gehört in eine ganz andere Kategorie: Sie ist der innere Kompass, den wir brauchen, um Wege zur Lösung unübersichtlicher Probleme einzuschlagen. Sie ist eine grundlegende lebenspraktische Kompetenz. FührungsKRAFT ist ein individuelles Vermögen. In dem Maße, in dem Sie über FührungsKRAFT verfügen, können Sie sie in der jeweiligen Situation abrufen und die richtigen Handlungsmöglichkeiten finden.

FührungsKRAFT ist etwas, was jede und jeder sich selbst aneignen muss. Es geht um uns selbst als Person: um die grundlegende Orientierung, wo wir stehen, wer wir sind und was wir wollen. Das klingt jetzt möglicherweise abgehoben oder schwierig. Es geht aber eigentlich um etwas ganz Simples, Naheliegendes. Das werden Sie in den nächsten Kapiteln sehen. Entspannen Sie sich! All dies zu erkunden, zu entwickeln und zu erproben, ist ein natürlicher Prozess: unser Leben. Das läuft ganz von selbst ab, wenn wir den Mut haben, uns ihm zu stellen.

Bewusstsein – die eigene FührungsKRAFT entdecken

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Zu einem vollkommenen Menschen gehört die Kraft des Denkens, die Kraft des Willens und die Kraft des Herzens.

Ludwig Feuerbach, 1841

Was, glauben Sie, ist der häufigste Satz, den ich als Coach höre? »Tut mir leid, ich hatte noch keine Zeit, darüber nachzudenken!« Ich gebe in Führungstrainings oft kleine Aufgaben oder Anregungen, damit meine Klienten bis zur nächsten Sitzung Erfahrungen sammeln können. Denn das Entscheidende ist ja, die neuen Ansätze mit in den Alltag zu nehmen. Aber am Anfang kommt es immer wieder vor, dass der Coachee zur nächsten Einheit atemlos aus seinem Bürowahnsinn auftaucht. Das Smartphone im Jackett glüht praktisch noch nach. Und die Frage? Ach ja … Die ist total auf der Strecke geblieben.

Über sich selbst nachzudenken, gilt mittlerweile als Luxus pur. Etwas, was man sich zum vierzigsten Geburtstag im Rahmen einer Himalaja-Besteigung gönnt. Vielleicht. Etwas, was Mönche in Klöstern und Künstler mit Blick aufs Meer tun. Oder Hausfrauen, wenn die Kinder ausgezogen sind. Jedenfalls ist Selbstreflexion nicht Teil des Arbeitsalltags viel beschäftigter Manager. Und das ist ein verhängnisvoller Fehler! Ausgerechnet die Menschen, die viel verantworten und viel bewegen, befinden sich in einem Zustand permanenter Überlastung, der ihnen vermeintlich keine Zeit lässt, über ihr eigenes Verhalten, ihre eigene Wirkung, über sich selbst als Mensch nachzudenken! Verhängnisvoll: Sie verzichten damit auf eine unverzichtbare und ausschlaggebende Steuerungsfunktion.

Das ist so, als würden Sie das Armaturenbrett aus dem Auto werfen. So nach dem Motto: Ich weiß genau, wie schnell ich fahre und wie viel Sprit noch im Tank ist. Als Nächstes können Sie dann noch die Seiten- und Rückspiegel wegschmeißen. Am Ende geht es Ihnen wie dem berühmten Geisterfahrer, der mit zweihundert Stundenkilometern über die Autobahn brettert, als er im Radio hört, dass ein Geisterfahrer unterwegs ist. »Was? Einer? Hunderte! Was heute wieder für Idioten unterwegs sind!«

Hand aufs Herz: Kommen Sie nicht manchmal aus einem Meeting und denken: »Ich bin hier der Einzige, der einen Plan hat. Die anderen kriegen doch gar nichts gebacken. Denen fehlt einfach der Durchblick«? Aber Vorsicht! Wenn wir uns selbst nicht auf dem Radar haben, sehen wir die Fehler automatisch nur bei den anderen – und das ist so schön einfach. Doch was nützt es uns? Rein gar nichts. Denn es bildet die Realität falsch ab. Ein wesentlicher Teil fehlt darin: wir selbst.

Es scheint immer so klar und eindeutig, wie die anderen sich verhalten müssten, damit alles gut wäre. Aber merkwürdigerweise tun die das nicht. Denn die sind in ihrem eigenen Film. Und den werden wir auch nicht im Ansatz verstehen, solange wir unseren eigenen nicht wahrnehmen. Sind wir nicht die besten Ratgeber, wenn es darum geht, dem anderen zu sagen, was für ihn jetzt richtig wäre, wo seine Entwicklungsdefizite liegen und was er alles falsch macht? Und wenn es um uns selbst geht? Werden wir da nicht ganz schnell kleinlaut und verlegen?

Verstehen Sie mich recht! Mit »Selbstreflexion« meine ich nicht, dass Sie eine doppelte Buchführung mit permanentem Rechenschaftsbericht anlegen sollen. Ich meine nicht, dass Sie sich bei jeder Kleinigkeit mit der Frage quälen: Wie hätte ich das jetzt besser machen können? Es geht nicht darum, dass Sie anfangen, sich selbst mit Argusaugen auszuspionieren. Es geht auch nicht darum, dass Sie sich eine spektakuläre Auszeit nehmen müssen. Zwei Wochen tibetisches Kloster, eine Mount-Everest-Besteigung oder so was. Das spukt den meisten ja gleich im Kopf herum, wenn sie das Wort »Selbstreflexion« hören. Selbsterkundung ist kein Privileg von Künstlern, Mönchen und Pensionären.

Selbstreflexion ist eine alltagstaugliche Praxis. Man kann sie immer und überall betreiben. Das ist reine Gewöhnungssache. Es bereitet uns ja auch keine großen Schwierigkeiten, die meiste Zeit ein Gefühl dafür zu haben, wie spät es ist und wo wir uns befinden. Eine solche beiläufige Aufmerksamkeit können wir auch für unser Innenleben und unser Verhalten entwickeln. Im Büro und zu Hause braucht man dafür nur ein paar Minuten (immer mal wieder). Und anfangen kann man sofort. Jetzt! Den Einstieg bieten die richtigen Fragen, zum Beispiel:

Der Zugang zu Ihrer eigenen FührungsKRAFT liegt in der Selbsterkundung. Diese beginnt bei Ihrer eigenen Kraft und Ausrichtung. Oder wie der berühme chinesische Weise Laotse schon vor 2500 Jahren wusste: »Die riesige Kiefer erwächst aus einem winzigen Spross. Die Reise von tausend Meilen beginnt zu deinen Füßen.« [Dao-de-dsching, Kapitel 64]