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Das sind wir alle im Möwenweg

Ich heiße Tara und bin neun Jahre alt. Zum Glück. Weil das ein ziemlich gutes Alter ist.

Wenn man elf ist (wie mein Bruder Petja zum Beispiel und meine fast beste Freundin Jul), wird man nämlich irgendwie komisch. Dann will man manchmal grade die guten Sachen plötzlich nicht mehr spielen. Und wenn man so klein ist wie mein Bruder Maus (der ist noch im Kindergarten), darf man ganz vieles noch nicht, das ist blöde.

Neun ist jedenfalls ein richtig gutes Alter. Das findet meine allerbeste Freundin Tieneke auch. Tieneke ist nämlich genauso alt wie ich und wohnt auch in unserer Reihenhausreihe im Möwenweg, genau wie ich und Petja und Maus und Jul und Juls kleine Schwester Fritzi, die ist acht. (Acht geht.) Und weil Petja ja logisch nicht der einzige Junge im Möwenweg ist, wohnen bei uns auch noch Vincent und Laurin. Die sind Brüder, was man aber nicht so merken kann. Weil Vincent nämlich ziemlich schlau ist, und Laurin ist ziemlich frech. Da ist es in der Familie doch gut verteilt, sagt Petja. Vincent ist übrigens zehn, und Laurin ist acht, genau wie Fritzi. Also, eigentlich haben bei uns im Möwenweg immer alle einen zum Spielen: Die Jungs haben die Jungs, und wir Mädchen haben die Mädchen, aber ganz oft spielen wir sowieso alle zusammen.

Natürlich gibt es auch Erwachsene im Möwenweg, das wäre sonst ja auch komisch. Mama und Papa natürlich und die Eltern von Tieneke und die von Fritzi und Jul und die Mutter von Vincent und Laurin. (Die ist leider sehr streng.) Ihr Vater wohnt aber nicht im Möwenweg, der wohnt drei Stunden weit weg und hat ein Cabrio.

Unsere Nachbarn auf beiden Seiten haben keine Kinder, das ist ein bisschen schade. Links neben uns wohnen im Endhaus Oma und Opa Kleefeld, die sind natürlich nicht unsere echten Großeltern. Aber Oma Kleefeld sagt, nun hat ihnen das Schicksal keine Enkelkinder geschenkt, da ist es doch toll, dass sie uns acht Möwenweg-Kinder einfach so als Leih-Enkel gekriegt haben. Wir finden es auch toll. Weil Oma und Opa Kleefeld immer Eis im Kühlschrank haben und Cola im Keller und weil sie Deutschlands besten Kartoffelsalat machen können. Und unser Meerschweinchen Rambi darf auch zur Untermiete auf ihrer Terrasse wohnen.

Bei uns im Garten darf sein Käfig nämlich leider nicht stehen, weil unsere anderen Nachbarn das nicht wollen, das sind Herr und Frau Voisin. Sie haben sich nicht so ein teures Reihenhaus mit goldenen Kugeln auf dem Zaun gekauft und Rollrasen verlegen lassen und einen Gärtner genommen, sagen sie, um dann von ihrer Terrasse aus auf der einen Seite auf einen Meerschweinchenkäfig zu gucken und auf der anderen Seite auf einen Kaninchenkäfig.

Im Haus auf ihrer anderen Seite wohnt nämlich Tieneke, und die hat zwei Kaninchen, die heißen Wuschelchen und Puschelchen. Zuerst sollten sie Zwergkaninchen werden, aber jetzt sind sie leider Belgische Riesen und mindestens so groß wie eine Katze. Da kann man vielleicht verstehen, dass Voisins mit zwei so großen Tieren genug haben und nicht auch noch immer ein Meerschweinchen angucken wollen.

Zu Anfang hatten wir mit Voisins viel Ärger, weil sie wollten, dass wir fremdes Eigentum respektieren und beim Spielen nicht aus Versehen auch nur das winzigste bisschen mit dem großen Zeh auf ihr Grundstück kommen. Aber jetzt sind sie schon ein bisschen netter geworden und schenken uns manchmal Pralinen (leider mit Schnaps drin, das ist eklig) und zum Geburtstag Schokolade (aber leider Kaffeesahne, das mag ja kein Kind). Nur durch ihren Garten laufen dürfen wir immer noch nicht. Das ist ein bisschen blöde, weil der ja zwischen uns und Tieneke liegt.

Wenn ich Tieneke besuchen will, muss ich darum aus unserem Garten immer erst über die Terrasse gehen und zurück ins Haus und durchs Wohnzimmer und durch die Küche und durch den Windfang und durch die Eingangstür vorne raus auf die Straße; und dann muss ich vorne durch Tienekes Eingangstür wieder rein und durch Tienekes Windfang und durch Tienekes Küche und durch Tienekes Wohnzimmer und über Tienekes Terrasse in Tienekes Garten, das ist sehr umständlich. Tieneke kann Fritzi und Jul und sogar Vincent und Laurin ja einfach hinten durch die Gärten besuchen, das finde ich ungerecht.

Mama sagt, wenn ich keine größeren Probleme habe im Leben, soll ich mich glücklich schätzen. Das tu ich auch. Sonst haben wir es nämlich wirklich sehr schön bei uns im Möwenweg. Bestimmt fast am allerschönsten auf der Welt, sagt Tieneke. Und das finden alle Kinder im Möwenweg. (Nur Jul nicht immer. Aber ich habe ja schon gesagt, ich glaube, dass man mit elf komisch ist. Darum redet Jul manchmal Quatsch.)

Ja, es ist wirklich so schön im Möwenweg, dass ich niemals woanders leben möchte, in meinem ganzen Leben nicht. Aber trotzdem sind wir in diesen Sommerferien weggefahren. Und wie das gekommen ist, erzähle ich jetzt mal.

Petja mault rum, und Maus macht Spiegeleier

Der letzte Schultag ist vor allen Ferien immer etwas Besonderes, finde ich. Aber am allerbesondersten ist der vor den Sommerferien. Da weiß man, dass man jetzt sechs Wochen lang nicht mehr zur Schule muss und jeden Tag immer nur tun kann, wozu man Lust hat. Da braucht man gar nicht zu verreisen. Sommerferien sind sowieso schön.

Aber am Abend vor dem letzten Schultag hat Petja beim Abendessen plötzlich gesagt, gerecht ist das ja wohl nicht. In seiner Klasse haben sie in der Klassenlehrerstunde darüber gesprochen, wohin die Kinder in den Sommerferien fahren, und alle fahren sie weg. Ein Jakob fährt zu seiner Oma nach Bayern, und eine Jessy fährt zu ihrer Tante nach Thüringen, aber sonst verreisen alle richtig.

»Ist Oma nicht richtig verreisen, Petja?«, hat Maus gefragt und die Wurstscheibe von seinem Brot genommen. Die hat er sich blitzschnell in den Mund gestopft. »Warum ist Oma nicht richtig verreisen?«

Aber Petja hat ihm gar nicht geantwortet.

Zwei Leute fahren auf eine Insel in der Nordsee, hat er gesagt, und vier irgendwo an die Ostsee, und ungefähr tausend fahren nach Mallorca. Da hab ich gleich gewusst, dass er schwindelt, tausend Kinder sind ja gar nicht in seiner Klasse.

»Und Clarissa fliegt nach Dubai!«, hat Petja gerufen. Obwohl er den Mund voller saurer Minigurken hatte. »Und Cassius fliegt für sechs Wochen nach Neuseeland! Mann!«

»In Neuseeland ist jetzt Winter«, hat Papa gesagt und sich den dritten Teller von Mamas Gazpacho aufgefüllt. Gazpacho ist so eine kalte, rote Suppe mit Tomaten und Gurke, und Papa sagt, er kann sich an einem heißen Tag nichts Besseres vorstellen als Mamas delikate, mediterrane Gazpacho. Aber Petja und Maus und ich essen lieber Brot. »In Neuseeland ist jetzt Winter, da friert man sich die Füße ab, und außerdem gibt’s da Erdbeben. Und in Dubai ist es so heiß, da kannst du Spiegeleier auf den Steinen am Strand braten.«

Maus hat Papa ganz begeistert angeguckt.

»Ist doch gut, ich mag Spiegeleier!«, hat Petja gesagt. »Nur ich muss als Einzigster natürlich mal wieder hierbleiben!«

»Einziger!«, hat Mama gesagt. »Einziger als einzig geht nicht.«

Da war ich ein bisschen böse auf Petja. Hab ich nicht gesagt, dass die Leute mit elf manchmal komisch werden? Im letzten Jahr waren wir in den Sommerferien schließlich auch nicht verreist, das ging ja wohl nicht, wo wir uns gerade ein teures Reihenhaus gekauft hatten. Und da hatte Petja auch überhaupt nicht gemault. Sowieso hatten wir nachher im Möwenweg die schönsten Ferien, weil nämlich alle Kinder bei uns nicht verreist waren, schließlich hatten ja alle Eltern ihr Haus erst neu und hatten kein Geld für teure Reisen. Darum konnten wir jeden Tag alle acht etwas zusammen machen. (Manchmal nur sieben. Maus will man ja nicht immer dabeihaben.) Und das haben wir auch getan, Picknick und Fahrradausflug und Popkonzert und Erdbeeren pflücken und Garagenplatz-Sommerfest feiern. Bis zum Abendessen hatte ich mich eigentlich gefreut, dass wir es in diesem Sommer wieder so machen wollten.

»Wenn du das Geld hast, um zu verreisen, bitte sehr!«, hat Papa gesagt. »Jederzeit, wir stoppen dich nicht! Aber ich bin jedenfalls kein Millionär.«

Petja hat sich noch eine von den winzigen sauren Gurken genommen. Er hatte schon fast die ganze Schüssel alleine leer gegessen.

»Vincent und Laurin fahren auch weg!«, hat er gesagt. »Die fliegen mit ihrem Vater für vierzehn Tage nach Ibiza, das liegt im Mittelmeer! In drei Wochen!«

Das hatte ich noch gar nicht gewusst. »Fritzi und Jul bleiben aber auch hier!«, hab ich gesagt. Und dabei ist mir plötzlich wieder eingefallen, dass Tieneke mir vorgestern beim Inliner-Fahren erzählt hatte, dass sie nun in diesem Sommer auch verreisen darf. Zu ihrer Tante zweiten Grades auf den Bauernhof. Ich hatte nur nicht so richtig zugehört, weil ich neue Knieschützer hatte und immer mit Absicht ein klitzekleines bisschen hingefallen bin, um zu testen, wie viel die aushalten, da musste ich mich konzentrieren, dass es nicht aus Versehen mal zu doll war.

Jetzt war es mir leider wieder eingefallen. Und ich hab plötzlich gedacht, logisch haben wir es in den Sommerferien schön bei uns im Möwenweg, aber wenn Tieneke und Vincent und Laurin alle verreist sind, und außer mir ist nur noch Petja da (und der hat schlechte Laune) und Maus (der ist klein) und Jul (die ist mindestens so maulig wie Petja), dann bleibt für mich zum Spielen nur noch Fritzi übrig, und die finde ich meistens ziemlich babyhaft. Da hab ich mich plötzlich gar nicht mehr so doll auf die Ferien gefreut.

Mama hat gesagt, Petja soll für uns andere auch noch ein paar saure Gurken übrig lassen. Und wir fahren an einem Wochenende mal mit der ganzen Familie zu Oma Friedrichstadt nach Friedrichstadt, das verspricht sie uns, dann hat Petja hinterher in der Schule auch was zu erzählen.

Aber Petja hat gesagt, dass Friedrichstadt voll langweilig ist. »Das ist doch echt peinlich, wenn ich das nach den Ferien in der Schule erzähle!«, hat er gesagt. Dabei ist Petja sonst eigentlich nie was peinlich.

Irgendwie war mir da der ganze Abend verdorben und die Freude auf die Ferien auch, und ich war ziemlich böse auf Petja. Große Brüder sind manchmal nicht so praktisch.

Am nächsten Tag war der ganze Himmel grau, und ich hab gedacht, dass das ja zu der schlechten Ferienanfangsstimmung passt. In der Schule haben wir Zeugnisse gekriegt, und bei mir stand wieder drin, dass ich hilfsbereit bin und ein erstklassiges Sozialverhalten zeige. Was ein Sozialverhalten ist, weiß ich nicht so genau, aber jedenfalls ist es gut, weil Mama sich immer so darüber freut, und darum hab ich mich auch gefreut. Und bei Tieneke stand wieder, dass sie noch an ihrer Rechenfertigkeit arbeiten muss, aber das steht in jedem Zeugnis und das wissen ihre Eltern sowieso, hat sie gesagt, darum war es nicht schlimm.

Überhaupt waren unsere Zeugnisse alle ziemlich gut, nur das von Laurin vielleicht nicht. Das weiß ich aber nicht genau, weil er es Tieneke und mir nicht zeigen wollte, als wir nach der Schule alle zusammen nach Hause gegangen sind. (Letztes Jahr hat Laurins Mutter über sein Zeugnis geschimpft. Deshalb musste er in den Sommerferien leider auch jeden Tag üben. Ich glaube aber nicht, dass das viel genützt hat.)

Fritzi ist auch mit uns zusammen nach Hause gegangen, die geht ja in dieselbe Klasse wie Laurin. Ihr Zeugnis durfte ich angucken, und da stand, dass sie noch immer sehr zurückhaltend ist und mehr aus sich herausgehen sollte. Aber ich hab zu ihr gesagt, das ist nichts Schlimmes.

Nur wie die Zeugnisse von Petja und Jul und Vincent waren, wussten wir nicht, die gehen ja nicht mehr auf unsere Schule und müssen mit dem Bus fahren.

Als wir in den Möwenweg eingebogen sind, hat plötzlich die Sonne durch die Wolken geschienen, als ob sie begriffen hat, dass endlich die Ferien angefangen haben und sie sich besser mal ein bisschen Mühe gibt.

»Na bitte, Ferien!«, hab ich gerufen. Ich hab nämlich gedacht, dass es doch dumm ist, wenn ich mich jetzt nicht freue, nur weil Petja gestern Abend so rumgemault hatte. Schließlich war sogar gutes Wetter, und schöne Sachen konnte ich zur Not auch ohne Tieneke machen. Obwohl es mit einer besten Freundin natürlich mehr Spaß macht.

»Ich komm nachher zu dir rüber, um mir den Schlüssel für Wuschelchen und Puschelchen zu holen, Tieneke, okay?«, hab ich gesagt. Die sollte ich nämlich jeden Tag füttern, solange Tieneke verreist war. Das hatten wir abgemacht, und ich hab gedacht, dass ich zwischendurch vielleicht auch mal den Käfig ausmiste, da freuen Wuschelchen und Puschelchen sich bestimmt. Tieneke macht das nicht so oft.

»Wenn du willst«, hat Tieneke gesagt. Ich hab mich gewundert, warum sie so unzufrieden geklungen hat. Schließlich durfte sie doch verreisen. Aber dann konnte ich mich nicht mehr wundern, weil ich da nämlich plötzlich etwas gesehen habe.

Meine Güte! Auf dem Plattenweg vor unserer Haustür stand Maus, der hat sich immer so umgeguckt, wie das Verbrecher tun, bevor sie irgendwo einbrechen, weil sie nämlich ausspionieren wollen, ob einer sie beobachtet. Das Wort heißt verstohlen. Maus wollte aber ja bestimmt nicht irgendwo einbrechen, da war das verstohlene Rumgegucke doch komisch.

»Was macht dein Bruder denn da mit dem Ei?«, hat Tieneke gerufen. »Guck mal, Tara, wieso schmeißt dein Bruder denn mit Eiern rum?« (Wenn Petja oder Maus irgendwas Blödes machen, sagt Tieneke immer nicht ihren Namen. Dann sagt sie: »dein Bruder«.)

Da hab ich es auch gesehen. Maus hat vor unserer geöffneten Haustür gestanden und hat mit der rechten Hand blitzschnell ein Ei auf die Platten gepfeffert. »Zosch!«, hat er gerufen. »Zosch!« Und fast hätte er mit links schon das nächste Ei geschmissen.

Aber vorher hat er sich noch schnell wieder so verbrechermäßig verstohlen umgeguckt, und da hat er uns natürlich entdeckt, wie wir den Möwenweg hochgekommen sind, und er hat ganz schnell die linke Hand hinter seinem Rücken verschwinden lassen. Daran konnte man ja sehen, dass er genau wusste, er tut etwas Verbotenes.

»Was machst du denn da, Maus?«, hab ich geschrien. Vor ihm auf den Platten lagen zerdepperte Eierschalen und glitschiger Eiermatsch, und ich hab ordentlich aufgepasst, dass ich da nicht reintrete. »Bist du blöde?«

Maus hat mich böse angeguckt. »Spiegelei!«, hat er trotzig gesagt. »Hat Papa doch gesagt!«

Aber Papa hatte ja wohl nur gesagt, dass das mit den Spiegeleiern in diesem Dubai funktioniert, und nicht, dass Maus in unserem Vorgarten mit Eiern schmeißen sollte. Ich verstehe nicht, warum Maus manchmal so dumme Sachen macht, obwohl er logisch ganz genau weiß, dass er das nicht darf. Vielleicht kommt es, weil er genauso cool sein will wie Petja.

»Gib das andere Ei her!«, hab ich gesagt und auf die linke Hand hinter seinem Rücken gezeigt. »Sofort!«

Aber Maus hat seine Hand gelassen, wo sie war. »Pöh!«, hat er gerufen. »Pöh, kannst du ja wohl nicht bestimmen!«

Da musste sich auch noch Laurin einmischen. »Genau, die kann dir gar nichts befehlen, Maus!«, hat er gebrüllt. »Die ist ja wohl nicht deine Mutter! Mach noch ein Spiegelei! Du bist voll cool!«

Hatte ich nicht gesagt, dass Laurin immer so frech ist? Und Maus findet ihn toll, weil Laurin schließlich schon in die zweite Klasse geht. Darum hat er seinen Arm jetzt doch wieder halb hinter dem Rücken vorgeholt, als ob er schmeißen wollte, und ich hab »Wehe!« geschrien.

Aber bestimmt hätte Maus trotzdem geschmissen. Er hat das nur nicht getan, weil er plötzlich fast umgekippt ist. Zwischen seinen Füßen ist nämlich auf einmal so ein wuscheliger, kleiner Hund durchgewitscht und hat ganz laut und aufgeregt gebellt. Ich bin auch halb über ihn gestolpert. Wir hatten uns ja alle in unseren Vorgarten gedrängelt, ich und Tieneke und Fritzi und Laurin, und die Pforte hatten wir offen gelassen. Da konnte der kleine Hund natürlich leicht reinflitzen.

»Pizza!«, hat eine alte Frau ganz aufgeregt gerufen und ist den Weg hoch angeschnauft gekommen. Da war schon klar, dass der kleine Hund ihr gehörte und dass er Pizza hieß. Ich finde das keinen guten Namen. Bestimmt ist es dem Hund doch peinlich, wenn man nach ihm ruft! »Nicht, Pizza! Nicht!«

Aber leider war es schon zu spät. Pizza hatte schon den ganzen Eiermatsch von den Platten geschlabbert und hat mit dem Schwanz gewedelt, als ob sie sagen wollte, das war aber mal wieder lecker.

»Iiiih!«, hat Tieneke gerufen. »Igitt!«

Ich weiß nicht, warum man rohen Eiermatsch so eklig findet, wenn man gekochte Eier doch gerne mag und gebratene auch. Es ist aber so. Der Hund hat noch ein bisschen auf den Platten rumgeschleckt, und dann hat er die Eierschalen ausgespuckt.

»Pizza!«, hat die alte Frau gerufen. »Komm sofort her!« Sie ist nicht durch die Pforte in unseren Vorgarten gekommen, um sich ihren Hund zu schnappen. Alte Frauen gehen meistens nicht einfach in fremde Gärten, dazu sind sie zu gut erzogen.

Der Hund hat ihr auch sofort gehorcht, weil es jetzt ja nichts Leckeres mehr für ihn zu fressen gab. Er hat mit dem Schwanz gewedelt und noch einmal kurz »Wuff!« gesagt. Dann ist er durch die offene Pforte abgezischt. Um die Schnauze hatte er gelben Matsch im Bart.

Aber inzwischen hatte Mama auch mitgekriegt, dass in unserem Vorgarten irgendwas nicht gestimmt hat.

»Was ist denn hier los?«, hat sie gerufen. Man konnte sehen, dass sie gerade hinten im Garten Unkraut gezupft hatte, ihre Hände waren ganz sandig. »Maus! Was ist los?«

»Der hatte ja Hunger, Mama!«, hat Maus gesagt und sie ganz trotzig angeguckt. Seine linke Hand hat er aber blitzschnell wieder hinter dem Rücken versteckt. »Der kleine Hund! Ich bin ein Tierfreund!«

Dann ist er plötzlich richtig erschrocken zusammengezuckt, und Mama hat »Nein!« geschrien. Weil Maus nämlich das Ei in seiner linken Hand leider zu gut versteckt hatte. Er hat es so fest gedrückt, dass jetzt Eiermatsch aus seiner Hand auf den Boden getropft ist. »Mama!« Dann hat er die Hand ganz weit von sich weggehalten, als ob er sich ekelt.

»Meine Güte, Maus!«, hat Mama gerufen und zuerst auf Maus’ Hand gestarrt und dann auf die Platten. »Und ihr Großen, konntet ihr nicht ein bisschen aufpassen?«

War das nicht ungerecht? Schließlich waren wir ja erst gekommen, als Maus schon jede Menge Eier zerdetscht hatte! Das konnte ich Mama aber nicht erklären, weil sie immer weitergeschimpft hat.

»Sofort kommst du jetzt rein, Maus! Wie bist du denn auf diese dumme Idee gekommen?« Und sie hat ihn am Arm gepackt und mit ins Haus gezogen.

»Ja wirklich, wie ist dein Bruder denn auf diese dumme Idee gekommen?«, hat Tieneke gefragt. (Ich hab doch gesagt, dann nennt sie Maus immer »dein Bruder«!)

Fritzi hat fast so ausgesehen, als ob sie gleich weinen wollte. Sie mag es nicht, wenn Eltern schimpfen.

»Papa hat gesagt, in Dubai braten sie Spiegeleier auf den Steinen«, hab ich erklärt. »Da ist es heiß.«

»Krass! Das mach ich auf Ibiza auch!«, hat Laurin geschrien. »Da ist es auch heiß!«

Ich glaube aber nicht, dass sein Vater ihn lässt. Und außerdem hat er mich wieder daran erinnert, dass sie in diesen Ferien alle wegfahren wollten und ich im Möwenweg fast allein sein würde, und ich hab mindestens so schlechte Laune gekriegt wie Petja gestern beim Abendessen.

Da bin ich ins Haus gegangen, Mama mein Zeugnis zeigen. Und glaubt mir das irgendwer? Inzwischen hatte sich sogar die Sonne wieder hinter den Wolken versteckt. Und ich hab gedacht, dass dies bestimmt die blödesten Sommerferien meines Lebens werden würden. Fast ganz alleine und mit schlechtem Wetter.

Aber da hatte ich mich getäuscht, und wie! Und das kam so.

Tieneke hat Vorheimweh

Über mein Zeugnis hat Mama sich sehr gefreut, ich glaube, ein bisschen mehr als über das von Petja. (Das soll man aber nicht denken.) Sie hat gesagt, Papa und sie haben sich gestern Abend noch überlegt, dass sie zur Belohnung dafür, dass wir uns in der Schule so viel Mühe gegeben haben, in den Ferien mit uns in den Freizeitpark gehen. Ich hab mir aber eigentlich gar nicht so viel Mühe gegeben. Es ist alles einfach so gekommen.

»Juhu!«, hab ich gerufen. In den Freizeitpark gehen wir sonst nämlich nie, weil Mama und Papa finden, Kinder können ja wohl auch so spielen, im Möwenweg ist es schön genug. Und außerdem kostet der Freizeitpark mit drei Kindern so viel, da könnte man glatt den Mond dafür kaufen. (Das ist natürlich Quatsch, weil der Mond ja gar nicht zu verkaufen ist.) Und logisch haben wir es schön im Möwenweg, aber Super-Loop und Fliegender Holländer und Wildwasser-Floßfahrt haben wir da nicht.

Tieneke war schon zwei Mal im Freizeitpark, die hat erzählt, dass es toll ist. Im Super-Loop kriegt man ein komisches Gefühl im Bauch, wenn er nach unten saust. Und Vincent und Laurin waren mit ihrem Vater auch da, und Vincent hat gesagt, Laurin hat im Fliegenden Holländer gebrüllt, als ob man ihn absticht, aber hinterher wollte er immer noch mal.

Ihre Mutter findet Freizeitparks schrecklich. Sie konnte sich nur nicht einmischen, weil es ja Laurins und Vincents Papa-Wochenende war. Das finde ich manchmal praktisch, wenn die Eltern geschieden sind. Wenn der eine was verbietet, erlaubt der andere es trotzdem. Mama und Papa sind leider fast immer einer Meinung.

»Okay, besser als Friedrichstadt!«, hat Petja gesagt. Aber ich hab gesehen, dass er sich auch ziemlich gefreut hat. Und Maus natürlich sowieso. Dabei hatte der das ja nun gar nicht verdient.

Ich bin also gleich zu Tieneke geflitzt, um ihr davon zu erzählen. Ich musste schließlich sowieso den Schlüssel für den Kaninchenkäfig holen.

Tieneke hat in ihrem Garten neben dem Kaninchenauslauf auf dem Rasen gesessen und Grashalme gezupft. Sie hat nicht hochgeguckt, als ich gekommen bin.

»Ich hol nur schnell den Schlüssel!«, hab ich gesagt. Ich hab mich ein bisschen gewundert, dass sie so dagesessen hat. Eigentlich hätte sie doch packen müssen.

»Mach doch!«, hat Tieneke gesagt. »Du weißt ja, wo der hängt.« Angeguckt hat sie mich immer noch nicht.

Da wusste ich, dass irgendwas nicht in Ordnung war. So redet Tieneke sonst ja nicht mit mir. »Tieneke, ist was?«, hab ich gefragt. »Bist du irgendwie traurig?«

Tieneke hat den Kopf geschüttelt und weiter Gras gezupft. Da wusste ich gar nicht, was ich machen sollte.

Zum Glück sind in diesem Augenblick Fritzi und Jul durch die Hecke zwischen den Gärten in Tienekes Garten gekommen. Jul ist über die Hecke gesprungen, die ist ja noch nicht so hoch gewachsen.

»Ich hab zwanzig Euro für mein Zeugnis gekriegt!«, hat Jul gesagt. »Und Fritzi fünfzehn! Das können wir in den Ferien auf den Kopf hauen, Tara!«

Ich weiß nicht, ob Jul mehr gekriegt hatte als Fritzi, weil sie älter war oder weil ihr Zeugnis besser war. Sowieso sagen Mama und Papa, Geld für Schulnoten finden sie nicht gut. Kinder sollen sich anstrengen, weil sie verstehen, dass es wichtig ist. Mir wäre es mit Geld aber vielleicht noch wichtiger.

Fritzi ist in den Auslauf geklettert und hat Wuschelchen und Puschelchen Gurkenstücke hingehalten, die hatte sie von zu Hause mitgebracht. Diese Tiere sind ja wohl die verwöhntesten Kaninchen auf der Welt, sagt Tienekes Mutter immer. Weil alle Kinder ihnen ständig was Leckeres vorbeibringen. Aber ich finde das ganz in Ordnung. Sie sind ja auch die nettesten Kaninchen auf der Welt. (Aber nicht die nettesten Tiere. Ich finde Rambi ein klitzekleines bisschen netter.)

Jul hatte auch Gurkenstückchen mitgebracht und wollte grade in den Auslauf klettern. Aber dann hat sie plötzlich gesehen, dass mit Tieneke irgendwas nicht in Ordnung war, und da hat sie sich neben mir vor sie hingehockt.

»Ist was, Tieneke?«, hat Jul gefragt. »War dein Zeugnis nicht so gut?«

Da hab ich einen Schrecken gekriegt, weil ich dachte, vielleicht fanden Tienekes Eltern es in diesem Jahr doch nicht so schön, dass sie immer noch an ihrer Rechenfertigkeit arbeiten sollte. Aber deswegen hätte sie doch nicht gleich so durcheinander sein müssen.

Das war sie nämlich. »Lasst mich gefälligst in Ruhe!«, hat sie geschnauzt.

Aber beim Schnauzen muss man die Leute ja angucken. Darum hab ich gesehen, dass ihr Tränen übers Gesicht gelaufen sind. Es war sogar ganz verschmiert.

»Mann, Tieneke!«, hat Jul gesagt und Tieneke so ganz vorsichtig an der Schulter berührt. »Schlechtes Zeugnis ist doch nicht schlimm!« Da hatte sie ja das Gleiche gedacht wie ich.

»Ihr sollt mich in Ruhe lassen, hab ich gesagt!«, hat Tieneke wieder gebrüllt. Aber dann hat sie plötzlich erst so richtig angefangen zu weinen. Den Kopf hat sie auf ihre Knie gelegt und die Arme drum rumgeschlungen, damit man es nicht sehen sollte, aber ihre Schultern haben immer so geruckelt.

Da hab ich mich einfach neben sie hingekniet und sie in den Arm genommen. So machen Freundinnen das ja in Filmen.

Aber Tieneke hatte die vielleicht nicht gesehen, und da wusste sie nicht, dass sie jetzt eigentlich getröstet sein sollte. »Lass!«, hat sie gerufen und hat mich abgeschüttelt. »Haut ab!«

Und jetzt hat Fritzi natürlich auch fast wieder angefangen zu heulen, das hatte ich ja geahnt. Ich hab gedacht, nun werden diese Ferien sogar noch viel schrecklicher, als ich es mir jemals hatte vorstellen können. Aber wenn Tieneke sich immer so aufführt, ist es vielleicht gar nicht schlecht, wenn sie verreist.

Hatte ich gesagt, dass Jul manchmal komisch ist? Das stimmt auch, aber manchmal kann sie auch richtig nett sein. Und klug.

Einen Augenblick lang war sie ganz still, und dann hat sie so leise geredet, wie man das vielleicht macht, wenn jemand krank ist. Angefasst hat sie Tieneke nicht mehr.

»Wir sind doch deine Freundinnen, Tieneke!«, hat sie gesagt. »Uns kannst du es doch sagen! Egal, was es ist! Wir halten immer zu dir, auf ewig!« Und dann hat sie noch was gesagt, das fand ich gut. »Und wir lachen dich auch nicht aus!«, hat sie gesagt. »Heilig geschworen!«

Da hat es Tieneke erst recht geschüttelt, aber dass wir abhauen sollen, hat sie nicht mehr gesagt.

»Ist es gar nicht wegen dem Zeugnis?«, hat Jul wieder ganz leise gefragt. »Wegen was denn?«

Tieneke hat laut die Nase hochgezogen und uns mit ihrem schrecklich verweinten Gesicht angeguckt.

»Ich will da nicht hin!«, hat sie mit einer ganz zitterigen Stimme gesagt. »Ich kenn die doch gar nicht gut! Ich war noch nie alleine verreist, ich will da nicht hin!«

Und dann hat sie uns erzählt, dass die Bauernhof-Tante nur eine weitläufige Cousine von ihrer Mutter ist und ihre Tante zweiten Grades oder sogar noch mehr, und dass sie die erst zweimal bei einer Geburtstagsfeier gesehen hat. Und Kinder haben die auch nicht, da ist sie ja dann auf dem Bauernhof ganz alleine und hat keinen zum Spielen, außer vielleicht die Kühe. Da wird das bestimmt schrecklich langweilig.

Ich hab aber gewusst, dass sie nicht geweint hat, weil es vielleicht langweilig wird, das hat sie nur schnell noch gesagt. Deswegen weint man ja nicht so doll. Schule ist schließlich auch jeden Tag mal langweilig, das ist man ja gewöhnt, da stellt man sich doch nicht so an.

Ich hab plötzlich verstanden, dass Tieneke geweint hat, weil sie schreckliche Angst hatte. Ich konnte das verstehen. Alleine verreist war ich auch noch nie, nur mal drei Tage zu Oma Friedrichstadt, aber die kenn ich ja gut. Bei einer Tante zweiten Grades hätte ich vielleicht auch Angst gehabt.

Und ich hatte sie noch beneidet, weil sie verreisen durfte!

»Dann bleib doch hier, Tieneke!«, hab ich gerufen. »Ich finde das gut!«

»Ja, bleib doch hier!«, hat Fritzi auch gesagt. »Ich finde das auch gut!«

Aber da hat Tieneke wieder angefangen zu weinen und hat gesagt, wenn jetzt keine Schule ist, machen ihre Eltern sich doch Sorgen, wo sie jeden Tag den ganzen Tag hinsoll.

»Mama nimmt dich gerne!«, hab ich gesagt. »Ehrlich!«

Aber Tieneke hat gesagt, das geht nicht, ihre Mutter will Mama nicht ständig in Anspruch nehmen und Mama sie nie. Und außerdem findet sie es ein bisschen peinlich gegenüber ihrer weitläufigen Cousine, wenn sie jetzt so kurzfristig wieder absagt. Und ob Tieneke wirklich Heimweh kriegt, merkt sie schließlich erst, wenn sie es ausprobiert hat, und darum muss sie morgen fahren.

»Ich hab doch jetzt schon Heimweh!«, hat Tieneke gejammert. Dabei geht das doch eigentlich gar nicht. Sie war ja noch zu Hause. Ich weiß nicht, wie das dann heißt, was sie jetzt hatte. Vorheimweh vielleicht.

Da hat Jul sich wieder eingemischt. Ich hab doch gesagt: Manchmal kann Jul richtig klug sein.

Jul führt ein wichtiges Telefongespräch

Jul hatte die ganze Zeit immer so vor sich hin gestarrt. Dann hat sie plötzlich gefragt: »Ist der groß, der Bauernhof?«

Tieneke hat gesagt, es ist nur eine Nebenerwerbs-Landwirtschaft. Der Onkel und die Tante arbeiten in der kleinen Stadt nebenan in der Bank, und der Opa ist auf dem Hof und kümmert sich um alles. Aber sie kriegt bestimmt Heimweh, egal ob der Bauernhof groß oder klein ist, das weiß sie.

»Hm«, hat Jul gesagt. »Ja, klar.« Da hab ich schon geahnt, was sie sich überlegt hatte. Aber das ging doch nicht! »Kriegst du vielleicht keins, wenn wir mitkommen?«

Tieneke hat Jul angestarrt. »Das geht doch nicht!«, hat sie gesagt. Das hatte ich ja auch gedacht.

Aber Jul hat die Achseln gezuckt. »Fragen kostet nichts!«, hat sie gesagt. »Oder?«

Und das hat ja gestimmt. Obwohl ich ein bisschen ein komisches Gefühl dabei hatte. Man kann sich schließlich nicht irgendwo selbst einladen, das ist unhöflich. Aber wenn man es nur macht, weil man einer Freundin helfen will, dann geht es vielleicht doch.

Tieneke hat gesagt, sie kann ja nachher mal ihre Mutter fragen. Aber die ist jetzt leider noch nicht da.

»Du kannst doch wohl auch selber anrufen!«, hat Fritzi gesagt.

Jul hat ganz glitzerige Augen gekriegt. »Fragen kostet nichts!«, hat sie wieder gesagt. Ich hab aber gewusst, sie denkt, bestimmt erlaubt Tienekes Mutter das nie und nimmer, die weiß ja auch, dass man sich nicht selber einladen darf. Da ist es besser, Tieneke ruft die Tante an, bevor ihre Mutter nach Hause kommt.

»Ja?«, hat Tieneke gesagt. »Die sind doch jetzt bei der Arbeit! Da erwisch ich doch keinen!«

»Und der Opa?«, hat Jul gefragt. »Du hast doch gesagt, der Opa macht alles auf dem Hof!« Eigentlich war es übrigens natürlich auch nur ein Opa zweiten Grades oder noch weiter weg.

Da ist Tieneke aufgestanden. Ich konnte gar nicht glauben, dass sie es wirklich versuchen wollte.

Ich hab ein mulmiges Gefühl gehabt, als Tieneke die Nummernliste im Telefon in ihrem Wohnzimmer durchgeklickt hat. Eigentlich hab ich fast gehofft, dass keiner rangeht.

Es ist aber doch einer rangegangen. Der Opa zweiten Grades.

Das wusste ich, weil Jul nämlich einfach auf den Lautsprecherknopf gedrückt hat, da konnten wir alle mithören.

»Piepenbrink!«, hat eine Stimme am anderen Ende gesagt, die klang ein bisschen wie Opa Kleefeld. »Hallo?«

Tieneke hat Jul erschrocken angestarrt, als ob sie nun doch nicht mehr fragen wollte, aber dann hat sie sich endlich gemeldet. Nur ganz leise.

»Hallo, hier ist Tieneke!«, hat sie geflüstert. Dann hat sie sich nicht mehr getraut.

»Ja, hallo, mein Deern!«, hat der Opa ganz fröhlich gerufen. »Wir freuen uns alle schon bannig auf dich! Hast du schon gepackt? Ist noch was?«

Tieneke hat das Telefon ganz weit von sich weggehalten. Hören konnten wir alle ja trotzdem. Sie hat immerzu ganz ängstlich den Kopf geschüttelt.

Jul hat ihr einen Vogel gezeigt, und dann hat sie sich das Telefon geschnappt. »Hallo, Herr Piepenbrink!«, hat sie gesagt. »Hier ist Julia. Ich bin eine Freundin von Tieneke.«

»Nanu?«, hat der Opa gesagt. »Na, denn man los!«

Jul hat tief Luft geholt. »Tieneke hat nämlich ein bisschen Angst!«, hat sie gesagt. »Dass sie vielleicht Heimweh kriegt. Sie kennt Sie ja nicht so gut. Auch wenn Sie bestimmt nett sind.«

Man konnte richtig hören, wie der Opa am anderen Ende nachgedacht hat. »Und da will sie uns jetzt einen Korb geben?«, hat er gesagt. »Wie schade! Und sie traut sich nicht, mir das zu erzählen, weil ihr das peinlich ist, was? Darum erzählst du es mir?«

Das war ja nun überhaupt nicht, was Tieneke wollte. Und Jul auch nicht.

»Nee, nee – eigentlich nicht!«, hat Jul gesagt. »Das ist ja bestimmt schön bei Ihnen! Sie kriegt nur leider bestimmt Heimweh! Und da hat sie gesagt …«

»Du hast das gesagt!«, hat Tieneke gezischt. Jetzt war es ihr natürlich noch peinlicher.