Abkürzungen

ACNU

1-(4-Aminomethyl)-3-(2-Chloroethyl)-3-nitrosoharnstoff, Nimustin

ACTH

Adrenocorticotropes Hormon

ADH

Antidiuretisches Hormon

AFP

Alpha-Fetoprotein

ANP

Atriales natriuretisches Peptid

AT/RT

Atypischer teratoider/rhabdoider Tumor

BCNU

1,3-Bis(2-Chloroethyl)-1-nitrosoharnstoff, Carmustin

beta HCG

Beta-Human-chorionic-Gonadotropin

CCNU

1-(2-Chloroethyl)-3-cyclohexyl-1-nitrosoharnstoff, Lomustin

CML

Chronische myeloische Leukämie

CT

Computertomographie

3-DCRT

Dreidimensionale konformale Strahlentherapie

DNET

Dysembryoblastischer neuroektodermaler Tumor

DNT

Dysembryoplastischer neuroepithelialer Tumor

DSA

Digitale Subtraktionsangiographie

DTI

Diffusion Tensor Imaging

ECOG

Eastern Cooperative Oncology Group

EORTC

European Organisation for Reserach and Treatment of Cancer

fMRT

Funktionelles MRT

G-PCNSL-SG

German-Primary Central Nervous System Lymphoma-Study Group

GPOH

Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie

HAART

Hochaktive antiretrovirale Therapie

HGH

Human Growth Hormone

HRS

Hepatocyte growth factor-regulated tyrosine kinase substrate

IMRT

Intensitätsmodulierte Radiotherapie

KOF

Körperoberfläche

KPS

Karnofsky Performance Score

MGMT

O6-Methylguanin-Methyltransferase

MPNST

Maligner peripherer Nervenscheidentumor

mRNA

Messenger Ribonucleicacid

MRT

Magnetresonanztomographie

MTX

Methotrexat

NAA

N-Acetylaspartat

NCCTG

North Central Cancer Treatment Group

NF1/2

Neurofibromatose Typ 1/Typ 2

NOA

Neuro-Onkologische Arbeitsgemeinschaft (in der Deutschen Krebsgesellschaft)

PCV

Procarbazin + CCNU + Vincristin

PET

Positronen-Emissions-Tomographie

PIF

Prolaktin-inhibitorischer Faktor

PLAP

Placentale alkalische Phosphatase

PNET

Primitive neuroektodermale Tumoren

PZNSL

Primäre ZNS-Lymphome

RTOG

Radiation Therapy Oncology Group

SIOP

International Society of Paediatric Oncology

SPECT

Single-Photonen-Emissions-CT

Thiotepa

Thiotriethylenephosphoramid

TSH

Thyreotropin Stimulierendes Hormon

VEGF

Vaskulärer endothelialer Wachstumsfaktor

VHL

Von Hippel-Lindau-Gen

ZNS

Zentrales Nervensystem

1 Klinik, Diagnostik und allgemeine Therapie

Für die westlichen Industrienationen beträgt die jährliche Inzidenz primärer Tumorerkrankungen des Gehirns insgesamt 12–20 auf 100.000 Personen. Der Anteil von Menschen, die an oder mit Gehirnmetastasen sterben übersteigt diese Zahl noch um ein Mehrfaches (DeAngelis 2001). Insgesamt zeigt sich in den letzten beiden Jahrzehnten ein Häufigkeitsanstieg der Gehirntumorerkrankungen, der über die durch eine Veränderung der Alterspyramide und verbesserte Diagnostik erklärbare Inzidenzzunahme hinausgeht. Tabelle 1.1 gibt einen Überblick über die relative Häufigkeit bestimmter Tumorentitäten bei primären Tumoren des Gehirns im Erwachsenenalter und im Kindesalter. Nahezu alle Hirntumore zeigen einen Inzidenz-Gipfel in bestimmten Altersklassen. Maligne Gliome und primär zerebrale Lymphome weisen einen Häufigkeitsgipfel im höheren Lebensalter auf, während z. B. zerebrale Ependymome und Medulloblastome ganz überwiegend das Kindes- und junge Erwachsenenalter betreffen. Bei Kindern stellen die Gehirntumore nach Leukosen die häufigste Neubildung mit einer Inzidenz von etwa 3/100.000 Kinder dar.

Tab. 1.1: Relative Häufigkeitsverteilung primärer Gehirntumoren

Tumorhistologie

Kindesalter

Erwachsenen-
alter

Altersgipfel bei Erwachsenen (Jahre)

Astrozytome

30 %

20 %

30–50

Glioblastome

10 %

30 %

40–60

Oligodendrogliome

0,5 %

5 – 10 %

30–50

Ependymome

10 %

2 %

30 – 40

Meningeome

0,5 %

20 %

40 – 50

Medulloblastome

23 %

1 %

20–30

Zerebrale Lymphome

selten

3 %

50–60

Hypophysentumoren

selten

1–10 %

35 – 40

Plexuspapillome

1 %

0,5 %

20 – 25

Intrakranielle Schwannome

selten

5 – 8 %

35 – 45

Tumoren der Pinealisregion

1 %

1 %

20– 30

Andere

ca. 20 %

ca.10 %

Die Entstehungsmechanismen, die der Entwicklung von Gehirntumoren zugrunde liegen, sind mit wenigen Ausnahmen ungeklärt. Ein statistisch signifikanter Zusammenhang von kraniellen Bestrahlungen im Kindesalter mit dem Auftreten bestimmter Gehirntumoren nach mehrjähriger Latenz ist zwar gesichert, darüber hinaus gibt es jedoch keinen wissenschaftlich belegten Zusammenhang zwischen dem Auftreten hirneigener Tumoren und Schädel-Hirn-Traumata, Infektionserkrankungen, der Benutzung von mobilen Telefonen oder der Exposition mit biologischen und chemischen Noxen (DeAngelis 2001). Die überwiegende Mehrheit der Gehirntumoren tritt sporadisch auf. Es gibt seltene familiäre Tumorsyndrome, in deren Verlauf auch Gehirntumoren gehäuft auftreten, so z.B. bei der Tuberösen Sklerose, der Neurofibromatose Typ I und Typ II und beim Hippel-Lindau-Syndrom. Wenngleich die Ursache oder besser die multikausalen Entstehungsbedingungen von Gehirntumoren nicht bekannt sind, ist die Molekularpathogenese dieser Tumoren umfangreich untersucht. Sie ist in Kapitel 2 dargestellt.

1.1 Symptomatik intrakranieller Raumforderungen

Kopfschmerzen sind das häufigste Symptom bei intrakraniellen Tumoren; sie betreffen ca. 50 % der Patienten mit primären und metastatischen Gehirntumoren. Typisch sind das Schmerzmaximum in den frühen Morgenstunden, das Neuauftreten von Kopfschmerzen bei bislang beschwerdefreien Personen oder die Änderung des Kopfschmerzcharakters bei Patienten, die unter chronischen Kopfschmerzen anderer Genese litten. Weitere Symptome einer intrakraniellen Druckerhöhung sind Nausea, Nüchternerbrechen und Visusminderung als Folge einer Papillenschwellung. Abhängig von der Lokalisation, von der Histologie, von der Wachstumsgeschwindigkeit und von der Ausbildung eines peritumoralen Ödems können Gehirntumoren initial durch neurologische fokale Zeichen symptomatisch werden: Neurologische fokale Symptome werden verursacht durch die Infiltration neuronaler Strukturen, durch deren unmittelbare Kompression und Druckschädigung oder durch eine Ischämie als Folge einer Kompression der das Parenchym versorgenden Blutgefäße. Fokale oder fokal beginnende, sekundär generalisierte epileptische Anfälle treten bei 30–70 % aller Patienten mit Gehirntumoren auf (Vecht et al. 2006). Uncharakteristisch anmutende Symptome wie vermehrte Reizbarkeit, erhöhte Erschöpfbarkeit, Schlafbedürfnis und Persönlichkeitsänderung können ohne nachweisbare neurologische fokale Symptome auf eine Gehirntumorerkrankung hindeuten. Mitunter führen typische psychische Störungen, die häufig eher den Angehörigen als den Betroffenen selbst auffallen, zum Arztbesuch. Im Gefolge einer Gehirntumorerkrankung auftretende endokrine Störungen und Gerinnungsstörungen bedürfen oftmals der gezielten Therapie. Charakteristische hormonelle Funktionsstörungen und Gesichtsfeldstörungen im Rahmen von Tumoren der Sellaregion werden in Kapitel 3.6 besprochen.

1.2 Diagnostik und Differentialdiagnose

1.2.1 Bildgebung

Die bildgebende Diagnostik zerebraler Raumforderungen ist die Domäne der Magnetresonanztomographie (MRT) und Computertomographie (CT), digitaler Schichtbildverfahren mit der Möglichkeit dreidimensionaler Rekonstruktionen. Die topographischen Beziehungen von Tumoren zu funktionell bedeutsamen Kortexregionen gewinnen besonders in der Gliomchirurgie zunehmende Bedeutung. Moderne Bildverarbeitungstechniken ermöglichen die Fusion von morphologischen Daten aus CT- und MRT-Untersuchungen mit funktionellen Darstellungen wie dem funktionellen MRT (fMRT), der Single-Photonen-Emissions-Computertomographie (SPECT) und der Positronen-Emissions-Tomographie (PET).

1.2.1.1 Computertomographie (CT)

Die CT-Bildgebung ermöglicht eine Bilddarstellung von knöchernen Schädelstrukturen sowie Gehirn und Ventrikelsystem. Ihre Vorteile sind ihre leichte Verfügbarkeit und der unproblematische Einsatz bei Patienten mit Metallimplantaten und beim anästhesiologischen Monitoring. Vor allem bei akuten Krankheitsbildern gibt sie als primäres diagnostisches Verfahren Hinweise auf das Ausmaß einer Massenverschiebung, des Begleitödems und der Auswirkung auf die Liquorpassage.

1.2.1.2 Magnetresonanztomographie (MRT)

Die MRT ist grundsätzlich sensitiver in der Detektion pathologischer Veränderungen im Gehirn und deshalb bei der präoperativen Planung unverzichtbar. Durch die Wahl verschiedener Untersuchungsparameter und Bildgenerierungstechniken ist eine differenzierte Beurteilung verschiedener biologischer Gewebe möglich. Wie in der CT sind Blut-Hirn-Schranken-Störungen durch die Verwendung von Kontrastmittel erfassbar. Mittels MR-Angiographie ist eine Gefäßdarstellung möglich, die z.B. bei parasagittalen Meningeomen die Beurteilung der Durchgängigkeit des Sinus sagittalis superior erlaubt. Der Vorteil der MRT liegt darin, dass die Schichtführung beliebig veränderbar und eine hohe Auflösung auch kleinster anatomischer Strukturen z. B. von Hirnnerven möglich ist. Funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT) und Diffusion Tensor Imaging (DTI) sind spezialisierte Untersuchungsmethoden, die eine Lokalisationsdiagnostik von »eloquenten« Hirnregionen bzw. von Bahnsystemen in anatomischer Beziehung zu Gehirntumoren erlauben. Mit der fMRT wird die lokale Änderung der Hirndurchblutung nach gezielter Stimulation (z. B. motorisch, sensorisch, visuell) gemessen und zur Lokalisation der getesteten Funktion verwendet. Hierbei wird die Tatsache genutzt, dass Desoxyhämoglobin paramagnetisch ist und auf T 2*-gewichteten (= Gradientenecho)-Sequenzen zu einem Signalabfall führt. Bei einer Aktivierung wird zwar vermehrt Sauerstverbraucht; es kommt jedoch zu einer Erhöhung des Blutflusses, die diesen Mehrverbrauch überkompensiert. Während der Aktivierung resultiert also auf T 2*-gewichteten Sequenzen ein Signalanstieg. Vor einer Operation in eloquenten Hirnarealen werden die an einer entsprechenden Hirnfunktion beteiligten Hirnregionen mittels entsprechender Paradigmen dargestellt. Idealerweise erfolgt die Koregistrierung mit einem T 1-gewichteten isotropen Datensatz, der Basis für eine Operation mit Hilfe eines Navigationssystems ist. Die DTI macht sich die Tatsache eines leichteren Protonenstroms entlang anatomischer Bahnen zunutze und erlaubt deshalb die Darstellung von Bahnsystemen und deren Nachbarschaftsbeziehung zu Tumoren.

Mit Hilfe der MR-Spektroskopie kann der Metabolismus eines Hirnvolumenelements (Voxel) untersucht werden. Gliome und andere intraaxiale Hirntumore haben typischerweise einen erhöhten Cholin- und einen erniedrigten N-Acetylaspartat (NAA)-Peak. Cholin ist ein Zellmembranbestandteil. Die Höhe des Cholin-Peaks gibt Hinweise auf die Proliferationsaktivität und den Entdifferenzierungsgrad. Mit Hilfe der spektroskopischen Bildgebung kann u.a. eine Biopsie geplant werden. Eine weitere klinische Anwendung für Einzelvolumenspektroskopie und spektroskopische Bildgebung ist die Unterscheidung zwischen Tumorrezidiv und Therapiefolgen (Strahlentherapie, Chemotherapie). Auch hier weist eine Cholin-Erhöhung auf ein Tumorrezidiv hin. Eine Unterscheidung zwischen Tumorrezidiv und Strahlennekrose über sogenannte Nekrose-Marker (Laktat, Lipide) ist hingegen schwierig, da Laktat und Lipide unter beiden Bedingungen erhöht sein können.

1.2.1.3 Andere bildgebende Verfahren

Die Indikation zur Durchführung einer Katheter-Angiographie im Sinne einer digitalen Subtraktions-Angiographie (DSA) kann aus differentialdiagnostischen Erwägungen heraus gegeben sein, z.B. dann, wenn ein vaskulärer Prozess gegen einen Tumor abgegrenzt werden muss. Eine weitere Indikation ist die präoperative Embolisierung mit dem Ziel der Devaskularisierung des Tumors. Typische Tumoren sind Meningeome, Glomustumore und Hypernephrom-Metastasen im Bereich der Wirbelsäule. Darüber hinaus hat die Angiographie durch die Weiterentwicklung der Schnittbildverfahren keine Bedeutung mehr. Die Darstellung des spinalen Liquorraumes (Myelographie) erfolgt nach lumbaler (unterhalb von LWK 1/2), zervikaler (lateral zwischen HWK 1 und 2) oder subokzipitaler Punktion und Injektion eines jodhaltigen, wasserlöslichen Kontrastmittels. Der spinale Liquorraum wird in DSA-Technik dargestellt, anschließend wird ein CT (CT-Myelogramm) angefertigt. Die Indikation zur Durchführung einer Myelographie ist in der Neuroonkologie bei Patienten mit akuten Querschnitt-Syndromen nur dann gegeben, wenn eine MRT nicht unmittelbar erfolgen kann. Eine andere Indikation ist z.B. gegeben, wenn eine Raumforderung im MRT aufgrund von Metallartefakten (z. B. nach Spondylodese mit einem Fixateur interne) nicht exakt lokalisiert werden kann.

1.2.2 Nuklearmedizinische Methoden

Die SPECT basiert auf der Verteilungmessung eines intravenös verabreichten lipophilen, meist Technetium-haltigen Isotopes nach dessen Passage der Bluthirnschranke. Die generierten Bilder repräsentieren die Perfusion in 6 – 8 mm dünnen Schichten. Die Methode dient u. a. der Analyse von Änderungen der Hirndurchblutung. Die PET verwendet radioaktive Isotope von Sauerstoff, Kohlenstoff, Stickstund Fluor, die nach intravenöser Gabe in den Hirnmetabolismus eingeschleust werden. Im Gegensatz zur SPECT-Untersuchung sind PET-Scanner sehr kostenintensiv und nur an wenigen Zentren verfügbar. Diese nuklearmedizinischen Methoden werden zur Identifizierung und Darstellung hypermetaboler Tumorregionen eingesetzt und sind daher u.U. hilfreich bei der Differenzierung von Narbengewebe, Strahlennekrose und Tumorprogress/-rezidiv. Die mit der 11C-Methionin-PET oder mit 18F-Tyrosin-PET (FET-PET) nachweisbare Region pathologischer Tracer-Aufnahme kann zum MRT-Bild diskrepant sein und z. B. vor stereotaktischer Biopsie eines verdächtigen Gewebebezirkes supplementäre Informationen zu CT und MRT liefern (Pauleit et al. 2005).

1.2.3 Stereotaktische Biopsie

Jede Entscheidung über Strahlen- oder Chemotherapie setzt eine am Tumorgewebe gestellte histologische Diagnose voraus. Bei infiltrativen, nicht resezierbaren Hirntumoren kann diese mittels stereotaktischer Biopsie erfolgen. Konventionelle Rahmensysteme wurden im letzten Jahrzehnt durch rahmenlose Navigationssysteme ergänzt. Durch die interaktive Korrelation von Bilddaten mit dem Operationssitus hat sich vor allem in der Gliom- und Metastasenchirurgie die Zugangsplanung der mikrochirurgischen Operationsverfahren verbessert. Gemeinsam ist allen stereotaktischen Techniken die Möglichkeit, die räumliche Beziehung zwischen einem Instrument und einer beliebigen Struktur im Gehirn exakt zu berechnen und darzustellen. Da die Genauigkeit im Bereich von 1 mm liegt, sind auch kleinste Läsionen zugänglich. Mit Hilfe kleiner Biopsiezangen oder spezieller Aspirationsnadeln lässt sich aus einem oder (bei Tumoren in der Regel) mehreren Zielpunkten Gewebe zur Histologie entnehmen. Der Vorteil der stereotaktischen Biopsie liegt darin, dass prinzipiell jede Region mit dem minimalen Eingreiner kleinen Bohrlochtrepanation erreichbar ist. Besonders geeignet sind nicht resezierbare intraaxiale Tumoren, während Zugänge zu Läsionen nahe oder im Subarachnoidalraum wie zum Beispiel suprasellär oder im Kleinhirnbrückenwinkel wegen der fehlenden Möglichkeit einer adäquaten Blutstillung riskant sind. Hier ist der offenen, mikrochirurgischen Biopsie der Vorrang zu geben.

Die diagnostische Validität stereotaktischer Biopsien liegt über 90 %. An eingriffsbezogenen Risiken sind epileptische Anfälle, Blutungen, die zu neurologischen Ausfällen führen können, und sehr selten Infektionen möglich. Die Morbidität liegt in erfahrenen Zentren unter 3 %, die Letalität unter 1 %. Raumfordernde Läsionen, die neurochirurgisch nicht komplett resezierbar sind und/oder bei denen die operative Resektion keine therapeutische Bedeutung besitzt, deren gezielte Behandlung jedoch eine histopathologische Diagnose erforderlich macht, sind die Domäne der stereotaktischen Biopsie. Eine bildgestützte, computerassistierte, stereotaktische Biopsie im Rahmen der Primärdiagnostik von intrazerebralen Befunden ist dann indiziert, wenn es eine Verdachtsdiagnose gibt, die mit weniger invasiven Methoden nicht bestätigt werden kann und aus deren Kenntnis sich das therapeutische Vorgehen für den individuellen Patienten ergibt. Die stereotaktische Diagnostik sieht die serielle Entnahme von Gewebeproben vor. Dazu wird die gesamte Biopsiestrecke in eine kontinuierliche Abfolge mehrerer kleiner Entnahmestrecken von jeweils 3– 6 mm Länge unterteilt. Soweit medizinisch vertretbar beginnt die Biopsie innerhalb des bildmorphologisch gesunden Gewebes, erfasst dann den gesamten pathologisch veränderten Bereich und endet mit dem Zielpunkt wieder am Übergang zum gesunden Hirngewebe. Im Falle von Kontrastmittel aufnehmenden Befunden sollten Kontrastmittel-positive Abschnitte mit erfasst sein. In Einzelfällen ist auch die Festlegung von zwei Trajektorien zur repräsentativen Probengewinnung erforderlich. Bei bildmorphologisch oder klinisch-anamnestisch zwingendem Verdacht auf das Vorliegen eines primären zerebralen Lymphoms ist die präoperative Dexamethasongabe zu vermeiden.

1.2.4 Andere diagnostische Maßnahmen

Für Medulloblastome, andere Primitive Neuroektodermale Tumoren (PNET) und Ependymome gehört die Liquordiagnostik mit zytomorphologischem Nachweis von Tumorzellen zum Staging. Bei der Meningealen Karzinomatose ist sie die wesentliche Untersuchungsmethode, wobei der Nachweis von Tumorzellen bei der ersten Punktion in lediglich 30– 50 % der Fälle gelingt, mit Wiederholungspunktionen dann jedoch bei 80– 90 %. Wesentlich ist, dass der Liquor bei Menigealer Karzinomatose nur in 2 % der Fälle für alle Parameter (Zellzahl, Gesamteiweiß, Laktat, Xanthochromie etc.) unauffällig ist. Andere diagnostische Methoden sind von untergeordneter Bedeutung. So schließt ein Normalbefund im EEG das Vorliegen eines supratentoriellen Gehirntumors ebenso wenig aus wie z. B. ein Normalbefund bei Ableitung der akustischen evozierten Potentiale ein Akustikusneurinom.

1.3 Allgemeine Therapie

1.3.1 Hirndruck

Hirntumoren bewirken durch eine zunehmende Volumenzunahme der Neoplasie selbst, durch ein perifokales Ödem, durch eine Verlegung der Liquorabflusswege, durch eine venöse Abflussstauung mit Zunahme des intravasalen Kompartiments oder durch eine Kombination dieser Mechanismen eine intrakranielle Druckerhöhung. Die meisten Patienten mit chronischem Hirndruck haben unspezifische Kopfschmerzen, gelegentlich wegen eines Tonsillentiefstandes, Nacken- oder Hinterhauptsschmerzen, Druckgefühl auf den Ohren, Übelkeit, schwallartiges Erbrechen und eventuell eine Gangunsicherheit. Als Ursache von Sehstörungen findet sich typischerweise eine Stauungspapille. Bei sehr lange bestehendem erhöhtem Hirndruck kann es zu einer Optikusatrophie kommen, deren Symptomatik auch nach Beseitigung der Ursache und Normalisierung des Hirndrucks noch weiter fortschreiten kann. Bei akutem Hirndruck finden sich die bereits genannten Symptome und zusätzlich meist eine Beeinträchtigung des Bewusstseins. Ein fluktuierendes Pupillenspiel kann bereits auf eine Kompression des N. oculomotorius hinweisen. Höchste Gefährdung für den Patienten besteht, wenn eine Bradykardie eintritt und zusätzlich ein Hypertonus vorhanden ist (Cushing-Reflex). Bei weiter fortschreitendem Hirndruck kommt es zu Koma, Pupillenerweiterung und zu Beuge- und Strecksynergismen. Wenn ein Patient mit gesteigertem Hirndruck einen zerebralen Krampfanfall erleidet, kann durch die Hypoxie, den postiktalen p H-Abfall und die konsekutive Hirnschwellung eine akute Verschlechterung bis zur Einklemmung eintreten.

Wenn klinisch aufgrund der Anamnese, der Symptome und des Untersuchungsbefundes der Verdacht auf eine Hirndruckerhöhung besteht, muss unverzüglich eine CT oder MRT des Schädels angefertigt werden. Die CT ist für den Nachweis einer intrakraniellen Druckerhöhung als Folge einer Raumforderung zunächst ausreichend. Man erkennt z.B. eine allgemeine Hirnschwellung/Hirnödem, aufgebrauchte äußere Liquorräume, ein erweitertes Ventrikelsystem, Massenverschiebung, und Zeichen der beginnenden Tentoriumschlitzeinklemmung. Eine Lumbalpunktion verbietet sich bei klinischen Hirndruckzeichen.

Die medikamentöse Therapie einer Hirndrucksteigerung richtet sich nach den zugrunde liegenden Mechanismen und deren relativer Bedeutung für das Gesamtgeschehen. Bevor eine Operation durchgeführt wird, erfolgen zunächst allgemeine Maßnahmen. Bei einer Hirndrucksteigerung durch Tumor mit Ödem oder Liquorpassagebehinderung wird zunächst eine Dexamethasonbehandlung begonnen (Bolus 40 mg, dann 4 x 4 mg). Unter Umständen kann es bei einem massiven Ödem notwendig sein, mit intravenöser Gabe von Mannitol 20 %, 3 x 125 ml/d, zu entwässern. Die Diurese kann durch Furosemid gesteigert werden. Bei diesen Maßnahmen sind die Elektrolyte engmaschig zu überwachen. Sind die Patienten schon stark bewusstseinsgetrübt, kann eine Intubation mit Hyperventilation und Barbituratnarkose notwendig sein, wobei dann eine entlastende operative Maßnahme unverzüglich erfolgen muss. Die bei Hirndruck zu ergreifenden Maßnahmen sind in Tabelle 1.2 zusammengefasst.

Bei behandelbaren Tumoren sollte nach der medikamentösen Stabilisierung möglichst rasch eine Operation erfolgen. In ausweglosen therapeutischen Situationen ist es gerechtfertigt, auf hirndrucksenkende Maßnahmen zu verzichten, da so ein rascher Bewusstseinsverlust eintreten und das Krankheitsgeschehen rasch ein würdiges Ende finden kann. In Einzelfällen kann bei zystischen Tumoren eine Zystendrainage nach Bohrlochtrepanation, ggf. mit Anlage eines subgalealen Reservoirs erfolgen, das wiederholt punktiert werden kann, wobei das Reservoir mit einem Silikonschlauch verbunden ist, der intrazerebral z.B. im Ventrikel oder in einer Tumorzyste liegt. Bei infratentoriellen Prozessen und Hydrozephalus wird immer wieder die Frage auftauchen, inwiefern eine externe Ventrikeldrainage gelegt werden soll. Diese Maßnahme sollte möglichst umgehend von der eigentlichen Resektion gefolgt werden, da es Einklemmungen nach oben geben kann oder bei Pinealisprozessen bei Normalisierung des Ventrikelsystems operative Freiräume aufgegeben werden. Auf keinen Fall sollte als erste Maßnahme ein liquorableitendes System implantiert werden, da sich dadurch zusätzlich zur oberen Einklemmung auch die Gefahr der Metastasierung z.B. bei einem Germinom der Pinealisloge prinzipiell erhöht. In den meisten Fällen wird bei okklusivem Hydrozephalus die Liquorzirkulation nach Entfernung des verursachenden Tumors normalisiert. Die Anlage eines Ventils bei Verschlusshydrozephalus ist nur in einer palliativen Situation indiziert, in der keine rasche operative Entlastung geschaffen werden kann oder angesichts einer komplexen klinischen Gesamtsituation nicht geschaffen werden soll.

Tab. 1.2: Maßnahmen bei erhöhtem intrakraniellem Druck

Konservative Therapiemaßnahmen bei intrakranieller Druckerhöhung

  • Lagerung (Oberkörper mindestens 45° Hochlagerung)
  • Dexamethason-Bolus 40 mg i. v., danach 4 x 4 mg/d
  • Mannitol 20 % 125 ml 30 min 3 x tgl., oder Glycerol 85 % oral z. B. 4 x 60 ml/d)
  • (Ergänzend, nur als Ausweichmöglichkeit: 20 mg Furosemid i.v.)
  • Bei extremer Hirndrucksymptomatik als nächster Schritt: Intubation und Hyperventilation. Barbituratnarkose mit EEG-Kontrolle (bis zum Erreichen eines Burst suppression-Musters), dabei: direkte parenchymatöse Hirndruckmessung

Invasive Therapiemaßnahmen bei intrakranieller Druckerhöhung

  • Ventrikeldrainage, Ventrikulozisternostomie
  • Ventilimplantation (bei malresorptivem Hydrozephalus und guter Prognose, z.B. Meningeom)
  • Tumorzystenpunktion
  • Tumoroperation
  • Entlastungskraniektomie (nur bei guter Prognose und in seltenen Ausnahmen)

1.3.2 Epileptische Anfälle

Zerebrale Anfälle sind bei 60 % der Patienten mit primären Gehirntumoren das Erstsymptom der Erkrankung, im Verlauf treten bei weiteren 10–20 % Anfälle auf (Vecht et al 2006). Bestimmte Tumorhistologien sind häufiger mit Anfällen assoziiert als andere; sie betreffen mindestens 75 % der Patienten mit Oligodendrogliomen und Gangliogliomen, 60–70 % mit differenzierten Astrozytomen, etwa 50 % mit malignen Gliomen, 15–20 % mit zerebralen Metastasen und 15 % mit primären Lymphomen des Zentralen Nervensystems (ZNS). Bestimmte Tumorlokalisationen sind mit einer erhöhten Anfallsbereitschaft assoziiert: In absteigender Häufigkeit sind dies der Temporallappen, der Frontal- und Parietallappen und danach andere Hirnregionen. Insbesondere temporomesiale Tumorlokalisationen sind mit einer hohen Anfallsbereitschaft assoziiert. Kortexnahe Läsionen führen viel häufiger als Tumoren im Marklager zu zerebralen Anfällen. Die Zunahme eines peritumoralen Ödems unter Bestrahlung, die Gabe bestimmter Medikamente, z. B. unter den Zytostatika Methotrexat, unter den Antibiotika Gyrasehemmer und des weiteren Neuroleptika, Zytokine und Narkotika sowie metabolische Entgleisungen und Elektrolytstörungen können die Krampfschwelle senken. Bei einem erstmalig auftretenden epileptischen Anfall im Erwachsenenalter gilt eine intrakranielle Raumforderung so lange als mögliche Ursache des epileptischen Anfalls, bis das Gegenteil bewiesen ist. Dies impliziert die Durchführung einer zerebralen MRT bei erstmaligem epileptischem Anfall im Erwachsenenalter.

Die epileptischen Anfälle als Symptome einer zerebralen Tumorerkrankung sind fokale Anfälle; sie können als einfach-fokale, als komplexfokale Anfälle oder als fokal beginnende, sekundär generalisierte Grands Maux auftreten. Die operative Resektion eines Gehirntumors allein kann die Anfallsituation eines betroffenen Patienten erheblich verbessern (Vecht et al 2006). Häufig wird jedoch eine zumindest vorübergehende medikamentöse Therapie erforderlich sein. Die pragmatische pharmakologische Therapie neu aufgetretener epileptischer Anfälle bei Gehirntumoren muss zwischen der Akuttherapie des Status epileptikus oder einer Anfallsserie, der medikamentösen Anfallbehandlung und der medikamentösen Anfallprophylaxe (ohne dass ein Anfall aufgetreten ist) unterscheiden.

1.3.2.1 Akuttherapie

Eine Akuttherapie muss zur Unterbrechung einer Anfallserie, des Grand Mal Status oder der Anfallsverhütung bei drohender Einklemmung infolge einer großen temporalen Raumforderung durchgeführt werden. Die Therapie des Grand Mal Status ist in Tabelle 1.3 dargestellt. Der Status epileptikus einfach-fokaler oder komplex-fokaler Anfälle stellt eher ein diagnostisches als ein therapeutisches Problem dar. Mitunter ist es schwierig, einen komplex-fokalen Anfall oder einen Status komplex-fokaler Anfälle zu erkennen. Der sogenannte geordnete Dämmerzustand kann mit einem organischen Psychosyndrom nichtepileptischer Ursache oder mit einer psychotischen Episode verwechselt werden. Diagnostische Klarheit verschafft oft, jedoch nicht immer, das EEG mit einer pathologischen Theta- oder Delta-Rhythmisierung über dem betroffenen Temporallappen oder über der betroffenen Hemisphäre, die unter einer i.v.-Gabe von 10– 20 mg Diazepam oder 1–2 mg Clonazepam verschwindet oder zumindest zurückgeht. Die Gefahr der Störung des Atemantriebs ist bei der i. v.-Gabe dieser Benzodiazepine zu beachten.

Tab. 1.3: Akuttherapie des Grand Mal Status

  1. Kontrolle Atemfunktion, Vitalparameter sowie Blutzuckermessung
  2. Gabe von Thiamin 100 mg, 100 ml Glukose 20 % i. v.
  3. Gabe von Lorazepam 0,1 mg/kg KG (2 mg/min) i. v.
  4. Bei Nichterfolg Phenytoin 20 mg/kg KG (50 mg/min) i. v. unter EKG-Monitoring
  5. Bei Nichterfolg Phenytoin 10 mg/kg KG (50 mg/min) i. v. unter EKG-Monitoring
  6. Bei Nichterfolg Intubation, Beatmung, EEG-Monitoring
  7. Dann Thiopental 150–250 mg über 30 Sekunden i.v.
  8. Bolusgaben 50 mg Thiopental alle 2–3 min bis zum Sistieren der Anfalltätigkeit im EEG
  9. Dauertherapie mit Thiopental über einen Perfusor (3–5 mg/kg KG pro Stunde) bis zu Aufrechterhaltung eines Burst suppression-Musters im EEG

1.3.2.2 Medikamentöse Anfallbehandlung

Mit einem Abstand von wenigen Stunden bis wenigen Tagen wiederholt auftretende epileptische Anfälle machen ebenfalls eine rasche Therapie erforderlich. Beim Auftreten von mehr als einem Grand Mal Anfall pro Tag ist eine intravenöse Therapie erforderlich. Diese kann z.B. in der initialen Gabe von 10–20 mg Diazepam bestehen, wobei insbesondere alte Patienten unter dieser Dosierung bereits ateminsuffizient werden können. Danach können Phenytoin oder Valproat intravenös verabreicht werden. Valproat hat im Vergleich zu Phenytoin den Vorteil, keine kardialen Rhythmusstörungen zu induzieren. Es wird in einer Dosierung von 300–900 mg i.v. über 3–5 min, gefolgt von einer kontinuierlichen Infusion oder wiederholten Kurzinfusionen mit bis zu 2.400 mg/d, gegeben. Seit Kurzem steht auch Levetiracetam in einer i.v. applizierbaren Form zur Verfügung, wobei die Dosierungen sich im Vergleich zur oralen Form 1: 1 verhalten.

Die Grundlagen einer medikamentösen Anfalltherapie sind aus neuroonkologischer Sicht bei einem einmaligen epileptischen Anfall nicht systematisch abgesichert. Die Autoren führen bei einem einmaligen Anfall eine konsequente antiepileptische Medikation für zunächst drei bis sechs Monate durch, um dann bei Anfallfreiheit unter vorsichtigem Reduzieren der Dosis einen Absetzversuch durchzuführen. Die medikamentösen Therapiemöglichkeiten haben sich in den vergangenen Jahren deutlich erweitert. Zu den »alten« Antiepileptika Phenytoin, Carbamazepin und Valproat, die bei einfach-fokalen, komplex-fokalen oder fokal beginnenden, sekundär generalisierten Grand Mal Anfällen gleich gut wirksam sind, sind neue Antiepileptika hinzugekommen, die in der Neuroonkologie eingesetzt werden. Valproat kann als Enzym-Inhibitor wirken, daher den Metabolismus von Zytostatika hemmen und auf diesem Wege grundsätzlich deren Toxizität steigern (Vecht et al. 2006). Unter den neuen Antiepileptika sind Gabapentin, Pregabalin, Levetiracetam, Lamotrigin, Topiramat, Zonisamid und Tiagabin vergleichbar effektiv, besitzen jedoch günstigere Nebenwirkungsspektren als die alten Antiepileptika, weisen seltener als diese Medikamenteninteraktionen auf und eignen sich daher gut für Kombinationstherapien. Gabapentin, Levetiracetam und Lamotrigin sind zur Monotherapie fokaler Epilepsien im Erwachsenenalter zugelassen; für add-on-Levetiracetam und add-on-Gabapentin gibt es positive Erfahrungen aus prospektiven Serien bei Hirntumorpatienten mit symptomatischen Epilepsien; Levetiracetam ist als Monotherapie in dieser Indikation ebenfalls effektiv (Literatur bei Vecht et al. 2006). Da Lamotrigin moderat enzyminduzierend wirkt und nur sehr langsam aufdosiert werden kann, geben die Autoren Levetiracetam und (z. B. bei alten oder niereninsuffizienten Patienten) Gabapentin in der Therapie symptomatischer Epilepsien bei Hirntumoren den Vorzug; eine preiswerte und wirksame Alternative ist Valproat, das bei unzureichender Wirksamkeit mit einer dieser beiden neueren Substanzen kombiniert werden kann. Die wesentlichen Eigenschaften, Dosierungen und Nebenwirkungen der Antiepileptika sind in Tabelle 1.4 zusammengestellt.

Tab. 1.4: Antiepileptika in der Neuroonkologie

Wirkstoff

Dosierung/Tag

Mögliche Nebenwirkungen

Bemerkungen

Levetiracetam (LEV)

1.000–3.000 mg

ZNS: Somnolenz, Agitiertheit, Wesensänderung, Aggressivität u.a.

1. Wahl, für Monotherapie zugelassen ab dem 16. Lebensjahr

Gabapentin (GBP)

900–3.600 mg

Müdigkeit in der Eindosierungsphase

1. Wahl, gute Verträglichkeit auch bei alten Patienten, keine Interaktionen

Valproat (VPA)

900–1.800 mg

Gewichtszunahme, Hirsutismus, Tremor. Selten: erworbener Faktor VIII-Mangel, Lebertoxizität

Keine Enzymin-
duktion, deshalb unter den »alten« Antiepileptika zu bevorzugen

Lamotrigin (LTG)

100– 500 mg

Unverträglichkeit bei zu rascher Aufdosierung, Allergien, selten Stevens-Johnson-Syndrom

25 mg/d in Woche eins und zwei 50 mg/d in Woche drei bis vier, dann Steigerung um 50 mg/Woche (2 Tagesdosen)

Oxcarbazepin (OXC)

900– 2.400 mg

Hyponatriämie, Allergien

Alternative zu CBZ

Carbamazepin (CBZ)

600– 800 mg

Arzneimittelexanthem (10 %), Leukopenie (10–20 %)

Montherapie oft ausreichend

800– 1.200 mg ret.

Hyponatriämie (selten)

Phenytoin (PHT)

300(–500) mg

Gingivahyperplasie, Akne, Hirsutismus

Monotherapie oft ausreichend

Zonisamid

300– 500 mg

Anorexie, Agitiertheit, Depression und andere zentralnervöse Symptome

Nur für Kombinations-
therapie zugelassen. Langsame Aufdosierung erforderlich

Topiramat (TPM)

100– 400 mg

Konzentrationsstörungen, psychiatrische Störungen, Nierensteine, Gewichtsabnahme

Nur für Kombinations-
therapie zugelassen. Langsame Aufdosierung erforderlich

Tiagabin (TGB)

30–50 mg

Kann non-konvulsiven Status epileptikus auslösen

Nur für Kombinations-
therapie zugelassen

Pregabalin

150– 600 mg

Gewichtszunahme, Müdigkeit in der Eindosierungsphase

Nur für Kombinations-
therapie zugelassen

Die Indikation zur Beendigung einer medikamentösen Anfallbehandlung ist ungesichert. Es ist vertretbar, bei einem einmaligen zerebralen Krampfanfall vor Operation und Strahlentherapie die antiepileptische Medikation über drei Monate fortzusetzen, dann langsam über mehrere Wochen zu reduzieren und schließlich versuchsweise abzusetzen (s.o.). Bei mehreren präoperativen oder perioperativ auftretenden epileptischen Anfällen oder bei Anfällen, die erst nach Abschluss der Therapie auftreten, sollte eine antiepileptische Medikation aus Sicht der Autoren mindestens über zwei Jahre fortgesetzt werden. Tritt unter Therapie kein Anfall mehr auf und ist das Tumorleiden nicht progredient, kann ein langsamer Reduktions- und Absetzversuch unternommen werden. Beim Auftreten erneuter Anfälle ist die antiepileptische Medikation dann wieder aufzunehmen und fortzusetzen.

1.3.2.3 Antiepileptische Prophylaxe

Ist noch nie ein zerebraler Anfall als Folge der Gehirntumorerkrankung aufgetreten, besteht nach einer Metaanalyse der Datenlage keine Indikation zur antiepileptischen Medikation; so wird konsequenterweise auch empfohlen, bei Gehirntumorpatienten ohne Anfälle, die eine perioperative antepileptische Medikation erhielten, diese unter langsamem Reduzieren der Dosis abzusetzen (Glantz et al. 2000).

Patienten mit epileptischen Anfällen dürfen grundsätzlich kein Kraftfahrzeug selbständig im Straßenverkehr führen, es sei denn, dass ein wesentliches Risiko von Anfallrezidiven nicht anzunehmen ist. Dies trifft im Wesentlichen für folgende Konstellationen zu: Nach einem einmaligen Anfall und einer Beobachtungszeit von sechs Monaten, nach einer anfallsfreien Periode von einem Jahr, wenn mehrere Anfälle nur über einen kurzen Zeitraum bestanden haben, und nach zwei Jahren Anfallsfreiheit, wenn die Epilepsie schon mehrere Monate oder länger bestand. Ein Fahrverbot ist nach einem anfallfreien Intervall von einem halben Jahr nicht weiter obligat nach Anfällen, die nur kurze Zeit (etwa zwei Wochen) nach Hirnoperationen oder Hirnverletzungen aufgetreten sind.

1.3.3 Psychische Störungen

Mit der Diagnose eines Hirntumors tauchen Gedanken an Tod, Behinderung, Entstellung, Abhängigkeit und Abbruch von Beziehungen auf. Entsprechend finden sich bei Patienten mit Hirntumoren die gleichen Anpassungsstörungen mit Angst, depressiven Reaktionen, Trauer und Verzweiflung, wie sie von anderen onkologischen Patienten bekannt sind (Akeci et al. 2000). Zusätzlich fürchten Patienten mit Hirntumoren, dass ihre Erkrankung und deren Behandlung zu schwerwiegenden neurologischen und psychischen Behinderungen mit Verlust ihrer persönlichen Integrität und Unabhängigkeit sowie zu sozialer Isolation führt. Psychotherapeutische Hilfen und psychopharmakologische Ansätze zur Bewältigung sind dadurch eingeschränkt, dass die Patienten ein deutlich erhöhtes Risiko für organisch bedingte psychische Störungen durch die direkte Beteiligung des ZNS aufweisen.

Dass psychiatrische Störungen bei Hirntumoren auftreten, ist zum einen durch die direkten Effekte des Tumors oder dessen Behandlung mit Auswirkungen auf das Gehirn zu erklären. Es kann zu Störungen von Bewusstsein, Kognition, Affekt, Psychomotorik und Persönlichkeit als Ausdruck einer organischen Hirnschädigung kommen. Patienten realisieren häufig die Veränderungen ihrer Affektlage und kognitiven Fähigkeiten und erfahren dadurch zahlreiche Einschränkungen und ggf. den Verlust ihrer Unabhängigkeit. Zusätzlich entstehen daher zu den organisch bedingten Störungen ausgeprägte, reaktiv bedingte psychiatrische Störungen, bei denen es sich meist um affektive Störungen und Angsterkrankungen handelt. Im Einzelfall ist daher immer zu prüfen, ob es sich um eine eher organische oder reaktive Störung oder um eine Kombination von beidem bei dem betroffenen Patienten handelt, um dies bei der Therapie der psychischen Störungen zu berücksichtigen. In Tabelle 1.5 sind Indikationen, Substanzen und Dosierungen einer psychopharmakologischen Therapie bei Gehirntumoren zusammengestellt. Dabei werden folgende Anforderungen an ein Psychopharmakon gestellt:

Es ist offensichtlich, dass auch die in Tabelle 1.5 aufgeführten Medikamente nicht all diesen Anforderungen genügen.

Tab. 1.5: Medikamentöse Therapie psychischer Störungen

Akuter Erregungszustand

Haloperidol i.v. 1–2x 2–10 mg/d

(große therapeutische Breite; Extrapyramidale Störungen können mit Biperiden behandelt werden; Spätdyskinesien spielen keine Rolle)

+ Lorazepam 1–2,5 mg sublingual oder + Diazepam 5–20 mg langsam, fraktioniert i. v.

Psychomotorische Unruhe + produktiv psychotische Phänomene

Indik

ation für atypische Neuroleptika

Amisulprid

50– 800 mg/d

oder

Risperidon

0,5 – 4 mg/d

oder

Olanzapin

5– 20 mg/d

oder

Quetiapin

50–450 mg/d

Sedierende Wirkung ist u. U. erwünscht!

Depressive Zustände

a) Ängstlich agitiert

Mirtazapin

30–45 mg/d

(sedierende Komponente, senkt Krampfschwelle nicht)

b) Antriebsgemindert (nicht suizidal!)

Selektive Serotonin Re-Uptake Inhibitoren

Escitalopram

5–10 mg/d

oder

Paroxetin

20– 40 mg/d

oder

Venlafaxin

75– 225 mg/d

oder

Sertralin

50–150 mg/d

Die Medikamente stellen eine Auswahl dar. Andere Substanzen der gleichen Gruppen können ebenso eingesetzt werden

Wenn im Gefolge eines Gehirntumors eine erhebliche psychoorganische Störung auftritt und Einsichts-, Kritik- und Geschäftsfähigkeit nicht mehr gegeben sind, ist der Patient nicht mehr aufklärungs- und einwilligungsfähig, was sich auf erforderliche diagnostische und therapeutische Maßnahmen auswirken kann. Wenn sich eine solche Entwicklung abzeichnet, schafft die frühzeitige Einrichtung einer Betreuung für den Patienten mit bestimmten Wirkungskreisen über das zuständige Amtsgericht juristische Sicherheit und klare Regeln im Umgang auch mit den Angehörigen, von denen in der Regel einer als Betreuer bestellt wird. Deshalb ist zu bestimmten Zeiten eine Dokumentation des psychopathologischen Befundes im Krankenblatt und deren Ausmaß im Hinblick auf Kritik-, Einsichts- und Geschäftsfähigkeit erforderlich. Eine Sonderform der Geschäftsfähigkeit ist die Testierfähigkeit, d.h. die Fähigkeit, ein Testament zu verfassen. Falls vom Patienten oder Angehörigen entsprechende Fragestellungen an den Arzt herangetragen werden, empfiehlt es sich immer, auf die Hinzuziehung eines Notars zu drängen. Dieser ist verpflichtet, die Voraussetzungen für die Annahme der Testierfähigkeit zu prüfen.

Onkologische Patienten haben ein zweifach erhöhtes Risiko, einen erfolgreichen Suizid zu verüben (Breitbart et al. 2000). Ist ein onkologischer Patient suizidal, sind neben engmaschiger Betreuung psychotherapeutisch supportive Maßnahmen erforderlich, die gegebenenfalls durch sedierende und anxiolytische Psychopharmaka zu ergänzen sind. Hierzu bieten sich Kriseninterventionstechniken und Kurzpsychotherapien an (Lovejoy et al 2000). Die Klärung und Besprechung der kognitiven und emotionalen Beweggründe für die suizidalen Gedanken in der aktuellen Situation führen zur Erörterung alternativer Verhaltens- und Konfliktlösestrategien, zwischen denen der Patient dann wählen kann. Dabei kann es immer nur um die nächste Zukunft gehen, die nächste Stunde, den nächsten Tag, den nächsten Behandlungszyklus etc. Als Therapeut sollte man sich akzeptierend und verständnisvoll für den Patienten zeigen, um ihn von zusätzlichen Schuldgefühlen wegen seiner Suizidgedanken oder -absichten zu entlasten. In Gespräche zur Krisenintervention sind häufig Partner und nahe Angehörige einzubeziehen. Dies hilft nicht nur dem Patienten. Auch Angehörige haben häufig lebensmüde Gedanken und ein erhöhtes Suizidrisiko (Spohr 2000). Ist ein Patient akut suizidal, sind kustodiale Maßnahmen bis hin zu einer Sitzwache neben dem Krankenbett erforderlich. In der Akutsituation können sedierend Antidepressiva oder Benzodiazepine (z. B. 1– 2,5 mg Lorazepam oder 2 mg Alprazolam) eine Entspannung der Situation und eine affektiv-emotionale Distanzierung ermöglichen.

1.3.4 Endokrine Störungen

Endokrine Störungen entstehen entweder durch eine direkte Hormonproduktion durch einen Tumor oder durch eine indirekte Wirkung auf die dienzephalen Regulationszentren (Tab. 1.6).

Tab. 1.6: Endokrine Störungen bei Gehirntumoren

Hormonstatus

Pathomecha-
nismus

Hormonpatho-
logie

Direkte Überproduktion

Hypophysen-
tumoren

Hyperprolaktin-
ämie Riesenwuchs (HGH) Akromegalie (HGH) M. Cushing (ACTH) Hyperthyreose (TSH)

Pinealislogen
tumoren Hypothalamische Hamartome

ß-HCG (Pubertas präcox) LH-RH (Pubertas präcox)

Hämangioblastome

Erythropoetin (Polyzythämie)

Indirekte Überproduktion

Selläre und paraselläre
Tumoren

Reaktive Hyperprolaktin-
ämie

Verminderte Hormon-
produktion

Intraselläre Raumforderung, hypothalamische Raumforderung, dienzephale Bestrahlungsfolge

hypophysäre Insuffizienz mit Minderwuchs Nebennieren-
insuffizienz Amenorrhoe Infertilität Hypothyreose

Diabetes insipidus (ADH Mangel)

Eingriffe in der perisellären
Region, Hirndruck

SIADH