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Brigitte Melzer

Die Dämonenseherin

Roman

hockebooks

25

Der Motor des Defenders heulte auf, als Logan den Wagen von der Busspur lenkte und durch den Verkehr auf der Princes Street jagte. Obwohl alles in ihm danach schrie, das Gaspedal durchzutreten, zwang er sich, die Geschwindigkeitsbegrenzung einzuhalten. Das Letzte, was er jetzt brauchen konnte, waren ein paar übereifrige Streifenpolizisten, die ihn aufhielten und sich erst beim Anblick seiner Dienstmarke dazu bewegen lassen würden, ihn weiterfahren zu lassen, das Ganze gepaart mit einer Flut von Ermahnungen, sich an die Regeln zu halten. Dafür würde seine Geduld nicht ausreichen.

Bei der ersten Gelegenheit wendete er den Wagen und folgte der Straße nach Westen bis zur Queensferry Street. Ab da führte ihn sein Weg nach Norden. In einer endlosen graubraunen Front aus Backsteinen zogen die georgianischen Häuser an ihm vorbei, ohne dass er hätte sagen können, wo das eine endete und das nächste begann.

Am Raeburn Place, keine zwei Kilometer vom Anwesen der Gemeinschaft entfernt, öffnete sich die Häuserfront zu seiner Rechten zu einer engen Durchfahrt. Er setzte den Blinker und verließ die Hauptstraße. Im Schatten der beiden Häuserseiten, die grau in den gewittrigen Himmel ragten, lenkte er den Defender an den Straßenrand und stieg aus.

Vor ihm verbreiterte sich die Straße zu einem gepflasterten Innenhof, der zu allen Seiten von winzigen zweistöckigen Häusern umgeben war. Nur vor einem der Gebäude parkte ein Auto. Sonst war niemand zu sehen.

Er ging zum Kofferraum, öffnete ihn und hob die Bodenabdeckung an. Dort, wo früher einmal das Reserverad gewesen war, hatte er eine Stahlbox eingebaut und mit einem Vorhängeschloss gesichert. Sein Schlüsselbund klirrte leise, als er nach dem passenden Schlüssel griff und das Schloss öffnete. In der Box lagen eine SIG und mehrere Magazine.

Mit einem raschen Blick vergewisserte er sich, dass ihn niemand beobachtete, dann zog er seine Lederjacke aus, nahm das Schulterholster ab und schlüpfte aus dem Pullover. Er zog die Kevlar-Weste aus einem Netz an der Kofferraumseite, legte sie über seinem T-Shirt an und schloss die Klettverschlüsse, ehe er seinen Rollkragenpullover wieder darüber streifte, sich das Schulterholster umschnallte und schließlich die Jacke anzog.

Er nahm die Pistole aus der Kiste, lud sie und schob sie hinten in den Hosenbund, die restlichen Magazine verteilte er auf Hosen- und Jackentaschen.

In der Gewissheit, so gut vorbereitet zu sein, wie es angesichts der Umstände möglich war, setzte er sich wieder hinter das Lenkrad, zog das Handy aus der Tasche und wählte Jackies Nummer. Ungeduldig zählte er jeden Ton des Freizeichens, bis endlich das erlösende »Hallo?« kam.

»Jackie, hier ist Logan.« Es fiel ihm schwer, den Zorn aus seiner Stimme zu bannen, der seit Susannahs Verrat in ihm brodelte. »Ich bin auf dem Weg zum Anwesen, um mit Devon zu sprechen.« Was nicht einmal gelogen war, auch wenn sprechen in diesem Fall vielleicht ein dehnbarer Begriff sein mochte. »Kannst du mich am Tor anmelden, damit ich durchkomme?«

Er hätte die Torwachen mit Waffengewalt zwingen können, ihn einzulassen, besser war es jedoch, die Seher bemerkten erst, dass er nicht zu einem Plausch aufgelegt war, wenn er bereits drinnen war. Je weiter er kam, ohne dass sich ihm jemand in den Weg stellte, umso besser – aufhalten lassen würde er sich heute von niemandem.

»Devon ist in einer Besprechung.«

»Dann werde ich warten«, behauptete er.

»Die Zeit könnten wir nutzen, indem du mir etwas darüber erzählst, was ich heute Morgen gesehen habe«, schlug Jackie vor.

Alessa!

Seine Finger klammerten sich um den Blackberry, bis das Gehäuse knirschte. Er wagte nicht, sich auszumalen, durch welche Hölle Alessa gerade ging, allein und zurück an dem Ort, an den sie niemals wieder hatte gehen wollen. Die bloße Vorstellung, dass diese Monster im Kittel von Ärzten und Wissenschaftlern sie zu weiteren Experimenten missbrauchen wollten, trieb ihn fast zur Raserei.

»Logan?«, hakte Jackie nach.

Er zwang sich durchzuatmen und seinen Griff um das Handy zu lockern. »Meinetwegen.«

»Ich gebe am Tor Bescheid. Wie lange brauchst du?«

»Ein paar Minuten.«

»Alles klar.« Nach einer kurzen Pause sagte sie: »Ich bin froh, dass du mit mir sprechen willst.«

Logan beendete die Verbindung, schaltete das Handy ab und startete den Motor. Beinahe tat es ihm leid, dass er seine Schwägerin angelogen hatte. Ihre Sorge um Alessa schien aufrichtig zu sein – ganz im Gegensatz zu der ihres Mannes.

Wir wollen ihnen helfen, hatte Devon damals in Roberts’ Büro gesagt.

»Einen Dreck willst du«, schnaubte Logan. »Du verlogener Arsch!«

Er wendete den Wagen und lenkte ihn zurück auf die Hauptstraße. Er hätte in die Zentrale fahren und die Männer zur Verstärkung zusammentrommeln können, doch bis zum Ende des Tages würde er gegen eine ganze Liste an Gesetzen verstoßen haben. Logan war bereit, die Strafe dafür auf sich zu nehmen, solange es ihm Alessa zurückbrachte, seine Männer jedoch wollte er aus der Sache heraushalten. Sein Team musste weiterhin für die Behörde einsatzbereit sein, auch dann, wenn er es nicht mehr sein konnte.

Während der letzten Tage hatte er einen Eindruck davon bekommen, wie es sein könnte, sein Leben mit jemandem zu teilen. Wenn er daran zurückdachte, waren es nicht die Momente voller Angst und Sorge, an die er sich zuerst erinnerte, sondern die Augenblicke der Zweisamkeit, in denen sie einander geliebt, miteinander geredet oder sich einfach nur im Arm gehalten hatten. Um nichts in der Welt wollte er dieses Gefühl von Geborgenheit und Zugehörigkeit missen, nachdem er es so intensiv erfahren hatte. Die Gemeinschaft hatte sein Leben einmal zerstört. Ein zweites Mal würde er es nicht zulassen.

Jetzt trat er das Gaspedal doch durch. Der Defender schoss die Straße entlang. Logan lenkte ihn durch den Verkehr, überholte langsamere Fahrzeuge in einem ungeduldigen Zickzackkurs und presste seinen Fuß nur noch fester auf das Pedal. Er passierte den Inverleith Park, bis er die ersten Ausläufer des Anwesens erreichte. Hohe Mauern umgaben ein weitläufiges Grundstück, innerhalb dessen sich das gewaltige Gebäude erstreckte, ein riesiges Herrenhaus, gesäumt von unzähligen Anbauten und einzelnen Gebäuden, alle in einigem Abstand zu den Mauern errichtet, was das Gelände für die Wachen überschaubar und gut einsehbar machte.

Als das schwere schmiedeeiserne Tor in Sicht kam, nahm Logan den Fuß vom Gas, bog in die Einfahrt und hielt vor dem Tor. Er ließ das Fenster herunter und betätigte den Knopf an der Gegensprechanlage, die in einen Pfosten am Rande der Ausfahrt eingelassen war.

Es dauerte eine Weile, ehe sich jemand meldete, Logan musste dreimal klingeln und hatte Mühe, nicht Sturm zu läuten.

»Ja?«, knisterte schließlich eine blecherne Stimme aus dem Lautsprecher.

»Logan Drake von der Behörde«, identifizierte er sich, seinen Nachnamen betonend. »Ich werde erwartet.«

»Moment.« Im Hintergrund vernahm er ein Rascheln, vermutlich die Liste mit den angemeldeten Besuchern. »Ja, hier steht es. Fahren Sie bis zum Haus hoch und benutzen Sie das große Portal. Dahinter finden Sie den Empfang. Melden Sie sich dort.«

Ein tiefer Summton ließ den Lautsprecher vibrieren, dann öffnete sich das Tor automatisch. Jetzt, da Logan fast am Ziel war, ging ihm alles viel zu langsam. Es kostete ihn ebenso viel Mühe, seine Finger von der SIG zu lassen, wie er sich beherrschen musste, nicht das Gaspedal bis zum Boden durchzutreten und das Tor in voller Fahrt niederzuwalzen. Ungeduldig beobachtete er, wie die schweren Eisenflügel über den Boden schwebten und sich Zoll um Zoll öffneten. Sobald die Lücke groß genug für den Defender war, legte er den Gang ein und fuhr die Auffahrt bis zum Haus hinauf. Die Reifen wirbelten Staub auf, der aus dem Kies in die Luft stieg und das Tor samt Wachhaus im Rückspiegel hinter dichten Staubwolken verschwinden ließ.

Vor ihm wuchs das Haupthaus in die Höhe, ein gewaltiger Bau aus rotem Backstein mit weiß abgesetzten Kanten und Ornamenten, gegen den selbst das sonst so imposante Hauptquartier, in dem Logans Team untergebracht war, klein und unscheinbar wirkte. Das Gebäude mit all seinen Anbauten erstreckte sich beinahe über die gesamte Breite des Anwesens, was gut und gerne dreihundert Meter sein mochten, und Logan konnte nur vermuten, wie weit es nach hinten in das Grundstück ragte und wie viele weitere Bauten sich dort noch verbargen.

Fünf Stockwerke, mit einem zum Teil flachen, von einem Geländer umgebenen Dach, auf dem unzählige kantige Schornsteine in die Höhe ragten. Auf Mauervorsprüngen unter dem Dach und über den eckigen Erkern kauerten Wasserspeier, die erschreckende Ähnlichkeit mit dem Dämon hatten, der sich über Alessa gebeugt hatte.

Hinter den hohen Fenstern verbargen sich Wohnungen, Büros und Gemeinschaftseinrichtungen. Hunderte von Leuten lebten hier, zum Teil mit ihren Familien, zum Teil allein. Jene, die mehr Platz benötigten, als ihnen die Apartments innerhalb des Hauses bieten konnten, waren nach Fensmore gezogen, wo sie, abgeschirmt von der menschlichen Gesellschaft, untereinander bleiben konnten.

In all den Jahren hatte er das Anwesen bisher nur von außen gesehen und er bezweifelte, dass er heute einen Rundgang machen würde. Logan wendete den Defender vor dem Haus und parkte ihn, nahe dem Eingangsportal, mit der Front in Richtung Ausfahrt.

Normalerweise hätte er sich die Zeit genommen, sein Vorgehen sorgfältiger zu planen, doch die Umstände waren alles andere als normal. Für das, was er vorhatte, gab es ohnehin nur einen Weg.

Er ließ den Zündschlüssel stecken und stieg aus. Mit zwei schnellen Griffen vergewisserte er sich noch einmal rasch vom Sitz seiner Waffen und zog die Jacke zurecht, sodass niemand die Pistolen sehen konnte. Dann ging er auf das imposante Eingangsportal zu, das unter einem gemauerten Vordach aus weißem Stein lag. Er stieg die Stufen hinauf. Einer der Türflügel stand offen. Dahinter lag eine weitläufige Eingangshalle, deren heller Marmorboden im Licht eines Kronleuchters schimmerte. Zu seiner Linken führte eine breite Holztreppe nach oben und auf der rechten Seite lag der Empfangstresen, von dem der Wachmann gesprochen hatte.

Logan hielt darauf zu, als ein Knarren seine Aufmerksamkeit auf die Treppe lenkte. Jackie kam die Stufen heruntergelaufen. Kaum lagen die letzten Stufen hinter ihr, eilte sie auf Logan zu und umarmte ihn zur Begrüßung. Weich strich das Leder ihrer Handschuhe über seinen Hals. Er unterdrückte den Impuls, seine Schwägerin von sich zu schieben, und erwiderte ihre Umarmung kurz, ehe er zurücktrat.

»Ich bin froh, dass du dich entschlossen hast, mit mir zu sprechen«, sagte sie so leise, dass die Frau hinter dem Empfangstresen sie nicht hören konnte. »Als ich Alessa gesehen habe … du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr ich mich gefreut habe!«

Zu seinem eigenen Erstaunen glaubte Logan ihr. Was für ein hässliches Spiel ihr Mann auch trieb, Jackie wusste nichts davon.

»Wo ist Devon?«

Das Lächeln auf ihrem Gesicht erstarrte.

Logan unterdrückte einen Fluch. Wenn er ihr nicht sofort eine Knarre an den Kopf halten wollte, musste er sich zusammenreißen. »Wir könnten vor der Tür warten, bis er fertig ist.«

»Lass uns lieber in unsere Wohnung gehen«, meinte sie. »Dann können wir uns in Ruhe unterhalten, und wenn Devon aus seiner Besprechung kommt, kannst du mit ihm reden. Möchtest du vielleicht mit uns zu Abend essen?«

»Danke«, wehrte er ab und schob sie auf die Treppe zu, wo sie vom Empfang aus nicht mehr gesehen werden konnten, »aber ich möchte lieber vor dem Besprechungsraum warten.«

»Das ist keine gute Idee. Jemand könnte uns hören.«

»Jackie, ich fürchte, du hast mich nicht verstanden. Das war keine Bitte.«

Sie starrte ihn aus zusammengekniffenen Augen an, als versuche sie herauszufinden, ob er scherzte, doch Logan war alles andere als zum Scherzen zumute.

»Was ist los?«, bohrte sie weiter. »Stimmt etwas nicht?«

Er war jetzt vollkommen ruhig, bereit zu tun, was getan werden musste. »Es ist alles in Ordnung, wenn du mich zum Ratssaal bringst.«

Jackie schüttelte langsam den Kopf. »Nein, das werde ich nicht tun. Mit dir stimmt etwas nicht und ich werde nicht …« Ihre Worte endeten in einem spitzen Schrei, als Logan sie packte und an sich zog. Ein schneller Griff, dann hatte er die SIG in der Hand und drückte Jackie den Lauf in die Seite, ohne die Sicherung zu lösen. Er hatte nicht vor, sie zu erschießen, und hoffte, dass es genügen würde, ihr einen gehörigen Schrecken zu versetzen.

So viel zu meinem Plan, unauffällig zu bleiben.

»Logan!«

»Halt den Mund«, zischte er und verstärkte den Druck des Laufes. »Bring mich zu Devon!«

»Bitte nimm die Waffe weg.« Ihre Stimme bebte, doch äußerlich wirkte sie vollkommen ruhig. »Ich weiß, dass du mir nichts antun willst.«

»Du solltest besser tun, was ich sage«, erwiderte er so kalt, dass sie sich unter seinem Griff versteifte. Sichtlich hatte sie begriffen, dass er keine Witze machte. Da ihm eine völlig verängstigte Geisel jedoch nur im Weg sein würde, zwang er sich, ruhig zu bleiben. »Ich mag dich, Jackie, und es macht mir keinen Spaß, dich zu bedrohen, aber mir bleibt keine andere Wahl. Und jetzt lass uns gehen.«

»Entschuldigen kannst du dich später – wenn du nicht länger mit deiner Knarre auf mich zielst«, knurrte sie. »Wir müssen die Treppen rauf, in den ersten Stock.«

Logan legte einen Arm um ihre Schultern, die Hand mit der Waffe hielt er im Schutz seiner Jacke weiter in ihre Seite gedrückt. Jemandem, der ihnen auf dem Gang begegnete, mochten sie wie zwei alte Freunde erscheinen, die sich freuten einander wiederzusehen – zumindest solange man ihnen nicht zu genau ins Gesicht sah. Jackies Miene war noch immer versteinert, zugleich strahlte sie eine Ruhe aus, die Logan nur bewundern konnte. Wenn sie sich vor ihm fürchtete, ließ sie es sich zumindest nicht anmerken.

Im ersten Stock angekommen folgten sie einem breiten, verlassenen Gang. Die Absätze von Jackies Pumps klapperten bei jedem Schritt vernehmlich, das einzige Geräusch, das die Stille durchbrach. Sie führte ihn an einer Flut von Türen vorbei, neben denen Stühle oder Bänke für Wartende bereit standen.

»Was ist das hier?«

»Unsere Verwaltung.«

»Warum ist niemand auf dem Gang?« Immer wieder schoss sein Blick voraus, glitt über Türen und Wände, auf der Suche nach einem Hinterhalt. Womöglich hatte die Frau am Empfang mitbekommen, wie er Jackie bedroht hatte, und Alarm geschlagen.

»Es ist Abend. Die meisten sind sicher längst zu Hause.«

Seit er an der Nationalgalerie angekommen war, hatte er nicht mehr auf die Zeit geachtet. Mittlerweile musste es nach fünf sein. Das erklärte zumindest die Ruhe und besänftigte sein Misstrauen ein wenig.

»Ist Devons Büro auch hier?«

Sie schüttelte den Kopf.

Ein paar Schritte legten sie schweigend zurück, ehe Jackie ihn ansah.

»Logan, was zum Teufel ist los?«, versuchte sie es noch einmal. »Hat das etwas damit zu tun, dass ich Alessa gesehen habe?«

Logan sagte nichts.

»Komm schon, rede mit mir!«

Er vertraute seiner Schwägerin, das wurde ihm mit jedem weiteren Schritt ein wenig mehr bewusst, doch mit ihr zu sprechen würde nichts ändern. Sie würde ihm nicht glauben und ihm dieselben Lügen erzählen, die schon Devon ihm aufgetischt hatte. Nur wusste sie eben nicht, dass es Lügen waren.

Schweigend zog er sie weiter.

Schließlich machte der Gang einen Knick nach links und endete vor einem doppelflügeligen Portal. »Hier tagt der Rat.« Jackie blieb vor der Tür stehen, hinter der gedämpfte Stimmen zu hören waren, und drehte sich zu Logan herum. »Was hast du jetzt vor? Willst du hineingehen und sie alle erschießen? Aus einem Grund, den ich nicht einmal kenne?«

»Das hängt von deinem Mann ab.«

»Logan«, flehte sie. »Bitte sprich mit mir! Sag mir, was los ist. Ich verspreche dir, wir können –«

»Sei still!«

Jetzt war ihr die Angst wirklich anzusehen. Tränen schimmerten in ihren Augen, doch Logan kümmerte es nicht mehr. Warum sollte es ihr besser gehen als Alessa? »Was erwartet mich da drinnen? Und ich warne dich: keine Lügen!«

»Fünf Ratsmitglieder, einschließlich Devon«, presste sie hervor.

»Wachen?«

»Das ist kein Hochsicherheitstrakt.«

»Alarmknöpfe?«

»Mehrere – an den Wänden und unter dem Tisch.«

Sollten sie nur versuchen, Alarm auszulösen. Es würde ihnen nicht helfen. »Also gut, wir gehen jetzt da hinein. Verhalte dich ruhig und mach keine Dummheiten, dann wird dir auch nichts passieren.«

Ehe sie etwas erwidern konnte, packte er sie mit der einen Hand beim Arm und hielt ihr mit der anderen die Waffe deutlich sichtbar an den Kopf. »Mach die Tür auf!«

Ihre Hand zitterte, als sie sie nach der Klinke ausstreckte. Sie zögerte kurz, dann drückte sie die Klinke herab und stieß die Tür auf. Ein dicker roter Teppich dämpfte jeden Schritt, als er Jackie vor sich in den Raum schob. Fünf Männer saßen um einen langen Tisch aus poliertem Eichenholz. Sie waren in eine hitzige Debatte vertieft und bemerkten nicht einmal, dass sie nicht mehr allein waren. Das gab Logan kostbare Augenblicke, die er nutzte, um sich einen Überblick zu verschaffen. Abgesehen von der langen Tafel im Zentrum und den mit rotbraunem Leder überzogenen Stühlen drumherum fand sich in einer Ecke zu seiner Rechten ein kleiner runder Tisch, zu dessen Seiten zwei verwaiste Sessel standen. An der Wand, die dahinter zum Fenster führte, reihten sich einige Bücherregale an eine Anrichte, auf der Wasserflaschen und Gläser standen.

Die Wand zu seiner Linken war frei, lediglich eine Tür durchbrach das eintönige Weiß des Rauputzes. Auf der gegenüberliegenden Seite, hinter dem Tisch, zog sich eine lange Fensterfront von rechts nach links, jedes der hohen Fenster von schweren Samtgardinen flankiert, deren Rotton zum Teppich passte.

Logans Aufmerksamkeit kehrte an den Tisch zurück. Die fünf Männer hatten sich an einem Ende zusammengesetzt, um sich zu beraten. Vor ihnen standen Gläser, mehrere kleine Wasserflaschen und Teller mit Gebäck, die jedoch unangetastet aussahen. Keine sichtbaren Waffen.

Logan trat lautstark die Tür hinter sich zu und schob Jackie vor sich her, näher an den Tisch heran. Das Gespräch verstummte schlagartig. Die Köpfe der fünf Männer fuhren herum.

Zu spät bemerkte Logan, dass der Älteste im Raum, ein grauhaariger Mann, die Hand unter dem Tisch hatte. »Hände auf den Tisch, wo ich sie sehen kann!«

»Die Wachen sind alarmiert.« Der Alte legte seine Hände flach auf die Tischplatte. Er war so hager, dass die Falten in seinem Gesicht und auf den Handrücken wie zerknülltes Papier aussahen. »Legen Sie die Waffe weg, bevor es ein Blutbad gibt.«

Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Er hatte es begonnen – er musste es auch zu Ende bringen.

»Mein Gott, Logan!« Devons Blick hing an seiner Frau; die Blicke, die die beiden tauschten, waren von einer Intensität, dass Logan sich unwillkürlich fragte, ob sie sich in Gedanken miteinander verständigten oder ob es lediglich Liebe und Sorge waren, derer sie sich mit ihren Blicken versicherten. »Was ist in dich gefahren? Lass Jackie los!«

»Deine Frau im Tausch gegen meine.«

Devon blinzelte. »Wovon sprichst du?« Er schob seinen Stuhl zurück und stand ganz langsam auf.

»Bleib, wo du bist!«

Doch sein Bruder dachte nicht daran. Er hob lediglich die Hände, sodass Logan seine offenen Handflächen sehen konnte. »Ich bin unbewaffnet«, sagte er ruhig. »Ich komme jetzt um den Tisch herum und dann reden wir.«

»Es gibt nichts zu reden«, erwiderte Logan kalt. »Gib mir Alessa zurück und ihr seid mich los. Andernfalls …«

Jackie keuchte erschrocken auf, als er sie näher zu sich heranzog und ihr den Lauf der Pistole in die Seite drückte.

»Nein!«, rief Devon und offenbarte zum ersten Mal einen Blick hinter seine Selbstbeherrschung, wo nichts anderes als die nackte Angst um seine Frau zu sehen war. Dieselbe Angst, die Logan hierher getrieben hatte. »Mach keine Dummheiten!«

»Ihr seid diejenigen, die die Dummheiten machen«, fuhr Logan ihn an. »Eure Experimente, die Bereitschaft, Menschenleben zu opfern aus eurer gnadenlosen Gier heraus, besser und mächtiger zu werden, kosten die Leben Unschuldiger! Wie viele sollen es noch werden? Sag mir das! Wann hört ihr auf? Wenn ihr die Dämonen kontrollieren könnt? Oder ist das erst der Anfang? Ihr werdet immer weiter forschen, aus dem unbezwingbaren Drang heraus, noch stärker zu werden. Die Leben, die ihr dabei auf dem Gewissen habt, interessieren euch einen Dreck! Aber damit ist jetzt Schluss! Ein für alle Mal.«

Devon war stehengeblieben, die Hände noch immer halb erhoben. Die übrigen vier Ratsmitglieder hatten sich hinter den Tisch zurückgezogen. Obwohl Logan nicht mit der Waffe auf die Männer zielte, wagte keiner, sich zu bewegen. »Wovon zum Teufel sprichst du?«

»Davon, dass du mich angelogen hast.« Logans Stimme troff vor Hass und Abscheu. »Du wolltest mich für dein Spiel benutzen. Wir sollten dir deine Versuchskaninchen zurückbringen, damit ihr weitermachen könnt. Noch mehr Leben zerstören.«

In seinem Rücken hörte er gedämpfte Schritte, begleitet von Stimmen. Die Wachen hatten den Gang erreicht. Logan drehte sich nicht um, auch dann nicht, als hinter ihm die Tür aufflog und jemand »Waffe fallen lassen!« brüllte. Er verstärkte lediglich seinen Griff um Jackies Arm und sah Devon fest in die Augen.

Mach jetzt keinen Quatsch, Bruder!

Jackie zitterte. Ein dünner Schweißfilm schimmerte auf ihrer Stirn. Logan hoffte, dass sie ihm nicht zusammenklappte. Wenn sie ohnmächtig wurde, bekam er ein Problem.

»Waffe runter!«, ertönte es erneut.

Logan konzentrierte sich auf die Schritte in seinem Rücken. Die Männer teilten sich auf und zogen einen Halbkreis um ihn herum; er schätzte, dass es mindestens sechs oder sieben Wachen waren. Vielleicht auch mehr. Trotzdem rührte er sich nicht.

»Warum hören Sie nicht darauf, was die Männer sagen?«, wagte sich nun eines der Ratsmitglieder vor, ein Mann, dessen dunkles Haar an den Schläfen leicht ergraut war, was ihm in seinem teuren Maßanzug das Aussehen eines Staatsmanns verlieh. »Geben Sie Mrs Drake frei und legen Sie die Waffe nieder, dann können wir das womöglich klären.«

Einen Dreck würde er klären! Wenn er jetzt aufgab, würden sie ihn der Polizei übergeben und er könnte sich die Welt während der nächsten zehn Jahre durch die Gitter einer Zelle ansehen. Alessa wäre dann für immer verloren.

»Ich glaube nicht, dass er das tun wird, Frank.« Devons Blick war noch immer auf Logan gerichtet. »Du wirst deine Waffe nicht weglegen, nicht wahr? Aber du wirst auch Jackie nichts antun. Du kennst sie. Sie ist deine Schwägerin.« Er wirkte mit einem Mal so gelassen, als würden sie lediglich über das Wetter diskutieren, einzig seine Haltung verriet seine Anspannung. Als die Wachen hinter Logan noch näher kamen, hob Devon die Hand. »Nicht weiter!«, befahl er den Männern, ehe er sich wieder an Logan wandte. »Ich mache dir einen Vorschlag: Du lässt Jackie gehen und nimmst stattdessen mich als Geisel.« Hinter ihm sogen einige Ratsmitglieder scharf die Luft ein, doch Devon fuhr fort. »Wir schicken die Wachen weg und gehen in mein Büro – und dann erklärst du mir, was überhaupt los ist.«

Logan war versucht, das Angebot auszuschlagen, doch ihm war bewusst, dass er sich in einer Pattsituation befand, in der es kein Vorwärtskommen gab. Er konnte hier nicht ewig stehen, mit den Wachen im Rücken, früher oder später würde seine Aufmerksamkeit nachlassen und dann würden sie ihn überwältigen. Eine wertvollere Geisel als Devon würde er kaum bekommen. Wenn ihn einer zu Alessa führen konnte, dann er.

Wie konnte Devon selbst jetzt noch so tun, als wisse er von nichts! Doch seine Worte hatten überzeugend geklungen. War er ein derart guter Schauspieler, dass es ihm selbst jetzt noch gelang, vorzugeben, mit alldem nichts zu schaffen zu haben, ja nicht einmal zu wissen, was Logan so weit gebracht hatte, in das Anwesen einzudringen und eine Geisel zu nehmen? Oder war er tatsächlich so ahnungslos, wie er sich gab?

»Also gut«, stimmte Logan zu. »Du, im Tausch gegen Jackie.«

Devon nickte. Erneut richtete er seine Aufmerksamkeit auf die Wachen. »Bringen Sie Ihre Männer nach draußen, Hartley, und warten Sie auf dem Gang auf weitere Anweisungen von mir.« Damit machte er unmissverständlich klar, dass sich keines der anderen Ratsmitglieder einmischen sollte. »Niemand wird uns folgen.«

»Sir?« Hartley schienen seine neuen Befehle nicht zu gefallen.

»Sie haben mich verstanden.«

Für einige Sekunden war es vollkommen still, als bräuchten Devons Worte einige Zeit, um ihr Ziel zu erreichen. Dann waren die Schritte der Männer zu hören und kurz darauf fiel die Tür hinter ihnen ins Schloss.

»Ich werde mich jetzt an deine rechte Seite stellen, Logan. Du wirst deine Waffe auf mich richten und Jackie gehen lassen. Sobald sie frei ist, werden wir den Raum durch diese Tür verlassen.« Er deutete auf die Seitentür, die Logan schon zuvor aufgefallen war. »Dahinter ist ein Treppenhaus, das zu meinem Büro führt. Einverstanden?«

»Einverstanden.« Etwas Besseres konnte ihm kaum passieren, als den Raum in eine Richtung zu verlassen, in der – hoffentlich – noch keine Wachen auf der Lauer lagen.

Sehr langsam und immer noch mit halb erhobenen Händen trat Devon an Logans Seite. Logan gab Jackie frei, griff nach dem Arm seines Bruders und richtete die SIG auf seine Brust. »Gehen wir.«

Jackie griff nach Devons Hand. »Versucht, euch nicht gegenseitig umzubringen.« Sie strich kurz über seine Finger, dann trat sie einen Schritt zurück.

Logan zog seinen Bruder mit sich. Im Rückwärtsgang, Devon wie einen Schutzschild vor sich haltend, ging er auf die Tür zu. Er nahm seine Hand lange genug von Devons Arm, um die Klinke zu drücken, packte dann aber sofort wieder zu und schob die Tür mit der Schulter auf. Mit einem Ruck zog er seinen Bruder in das dahinterliegende Treppenhaus und warf die Tür wieder zu.

»Wohin jetzt?«

»Ein Stockwerk höher.« Devon deutete mit dem Kopf die enge Stiege nach oben, die vermutlich früher einmal ein Dienstbotenaufgang gewesen war. »Du kannst meinen Arm loslassen. Ich werde mich nicht wehren – und du hast ja immer noch deine Pistole.«

Logan löste seinen Griff von Devons Arm und drückte ihm den Lauf der SIG in den Rücken. »Du gehst vor.«

Schweigend stiegen sie die ausgetretenen Holzstufen hinauf. Devon setzte mehrmals dazu an, etwas zu sagen, doch Logan erstickte jeden Versuch einer Unterhaltung mit einem kurzen Druck seiner Waffe. Er hatte nicht vor, sich hier im Treppenhaus ablenken und überrumpeln zu lassen.

Eine Etage weiter oben blieb Devon vor einer Tür stehen, der einzigen, die aus dem Treppenhaus führte, an derselben Stelle wie jene, durch die sie es unten betreten hatten. »Hier ist es.«

»Mach langsam die Tür auf.«

»Es ist abgesperrt. Der Schlüssel steckt in der Innentasche meines Sakkos.«

Logan machte einen Schritt zur Seite und tastete Devons Oberkörper ab, auf der Suche nach den verräterischen Umrissen einer Waffe. Schließlich nickte er. »In Ordnung.«

Devon griff langsam in seine Innentasche und holte einen angelaufenen Messingschlüssel heraus, an dem ein hässlicher grellgrüner Plastikanhänger baumelte. »Jackies Idee«, meinte Devon, als er Logans Blick bemerkte. »Sie meinte, ich würde den Schlüssel nicht mehr ständig suchen, wenn mir das Grün schon von weitem ins Auge sticht.« Er steckte den Schlüssel ins Schloss und drehte ihn herum. Sobald Logan das Klicken des Riegels hörte, richtete er die Waffe wieder auf Devon und bedeutete ihm, voranzugehen.

Devons Büro war ebenso groß wie der Besprechungsraum, aus dem sie gerade kamen. Draußen hatte die Dämmerung eingesetzt und hüllte den Raum in Zwielicht. Logan tastete nach dem Lichtschalter und drückte ihn. Sofort sprang eine Reihe von Neonröhren an, die das Zimmer in grelles Licht tauchten.

»Ich bevorzuge die kleine Lampe«, meinte Devon und deutete in Richtung des großen antiken Schreibtisches vor dem Fenster. Eine Lampe mit grünem Glasschirm stand vor einer ledernen Schreibtischunterlage. Auf einer Seite reihten sich akkurat ein antiquierter Locher, ein Brieföffner und eine Zettelbox aneinander. Lediglich das Tastentelefon und der Flachbildschirm auf der anderen Seite wirkten modern und irgendwie fehl am Platz.

Vor dem Schreibtisch standen zwei Sessel, deren dunkler Lederbezug zu den übrigen Möbeln passte. Bücherregale und eine antike Vitrine säumten die Wände. Zu seiner Rechten gab es, wie unten auch, eine weitere Tür, daneben eine Sitzecke mit einer Couch, die dem Raum etwas Gemütliches verlieh. Was Logan jedoch stutzen ließ, war der Kicker, der mitten im Zimmer stand.

»Das ist nicht dein Ernst!«, entfuhr es ihm, als er das Gerät sah.

»Ich liebe dieses Ding! Weißt du noch, wie wir früher stundenlang gekickt haben? So lange, bis Mom uns Prügel angedroht hat, wenn wir nicht endlich ins Bett gehen würden.«

Die Erinnerung daran zog Logans Eingeweide zusammen, zugleich spürte er beim Anblick des Kickers eine eigenartige Wärme in sich aufsteigen. Devon hatte nicht alles aufgegeben, was ihn an seine Familie und an sein altes Leben erinnerte.

»Macht es dir etwas aus, wenn ich mich hinter meinen Schreibtisch setze?«

»Solange du keine der Schubladen anfasst und die Finger auch sonst von allem lässt, das sich als Waffe benutzen lässt, nicht. Aber erst sperrst du die Tür ab – beide Türen.«

Ohne die Pistole zu senken oder seinen Bruder aus den Augen zu lassen, beobachtete Logan, wie Devon seiner Aufforderung nachkam. Sobald abgeschlossen war, ging er langsam zu seinem Schreibtisch, umrundete ihn und ließ sich in seinen Sessel fallen.

»Eigentlich müsste ich stinksauer auf dich sein.« Devons Blick ruhte auf Logan, abschätzend, als versuche er, etwas hinter der Fassade zu finden. »Ich sollte dir eine verpassen! Jackie zu bedrohen ist wirklich das Letzte!«

»Ach ja?«, erwiderte Logan beißend. »Aber meine Frau zu entführen ist in Ordnung, denn es dient ja euren Zwecken!«

»Hör endlich auf, in Rätseln zu sprechen!« Zum ersten Mal fiel die Gelassenheit von Devon ab und offenbarte die Ungeduld, die sich die ganze Zeit dahinter verborgen haben musste. »Steck die Pistole weg und erklär mir endlich, was los ist!«

»Das habe ich bereits unten getan.«

»Und ich habe kein Wort verstanden.«

»Erzähl keinen Scheiß, Devon!«

»Scheiß?«, schnappte Devon. »Hast du sie noch alle? Ich habe dir gerade deinen Arsch gerettet – und das, obwohl du meine Frau bedroht hast! Wäre es nach Frank Straub und den anderen gegangen, hätten die dich mit Freude abknallen lassen. Wenn ich dir sage, dass ich keine Ahnung habe, warum du hier bist, kannst du mir ruhig glauben, und eine Erklärung ist wohl das Mindeste, was ich nach deiner beschissenen Rambo-Aktion verdient habe!«

»Du bist der Oberste Rat! Wie kann es sein, dass du keine Ahnung hast, was in deinem Laden vor sich geht?«

»Ich würde sagen, das klären wir, wenn du mich aufgeklärt hast. Und jetzt setz dich endlich!«

Seltsamerweise ließ Devons scheinbare Ahnungslosigkeit in Logan den Wunsch aufkommen, seinem Bruder vertrauen zu können, auch wenn er noch nicht wusste, ob das wirklich eine gute Idee war. Erst musste er sicher sein, dass Devon ihm nichts vormachte.

Als Logan sich nicht vom Fleck rührte, fragte Devon: »Ich wusste nicht, dass du verheiratet bist.«

Im ersten Moment stutzte Logan, dann erinnerte er sich daran, dass er Alessa als seine Frau bezeichnet hatte. »Das bin ich nicht. Sie gehört einfach zu mir.«

»Und wer ist sie?«

»Alessa Flynn.«

Devons Augen weiteten sich. »Die Alessa Flynn?« Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und betrachtete Logan, als hätte er ihn noch nie zuvor gesehen. »Ich muss gestehen, du überraschst mich. Verflixt, Logan, ich bin nicht nur ein Seher, ich bin auch dein Bruder. Fang endlich an, mir zu vertrauen!«

Logan hatte das Gefühl, als sei er die ganze Zeit über ein Beobachter in seinem eigenen Körper gewesen. Er war in das Anwesen eingedrungen, hatte erst seine Schwägerin bedroht und jetzt seinen eigenen Bruder. Das alles hatte er getan, ohne lange darüber nachzudenken, ihm war jedes Mittel recht gewesen, Alessa zurückzubekommen – das war es immer noch. Doch während er die blinde Wut zurückdrängte, die ihn die letzten Stunden angetrieben hatte, und sein Kopf allmählich wieder klar wurde, begann er zu begreifen, dass Devon womöglich wirklich nicht der Schuldige war, den er in ihm hatte sehen wollen.

Vielleicht war jetzt tatsächlich der Punkt gekommen, an dem er ihm vertrauen musste, wenn er etwas erreichen wollte. Verdammt, er ist immer noch mein Bruder!

Er trat von der Tür weg, auf den Schreibtisch zu. Hinter einem der Sessel blieb er stehen, die Waffe gesenkt, aber bereit sie jederzeit wieder zu heben. Devon jedoch schien es zu genügen.

»Heute Morgen rief Jackie mich an«, berichtete Devon. »Sie war vollkommen aufgelöst und erzählte mir, sie hätte Miss Flynn gesehen. Ich musste ihr versprechen, dafür zu sorgen, dass ihr nichts zustößt – und ich halte mein Wort. Ich werde das Gefühl nicht los, dass hinter meinem Rücken etwas passiert, das mir nicht gefällt, aber solange du mir nicht sagst, was los ist, und dich stattdessen wie ein wild gewordener Amokläufer aufführst, kann ich weder dir noch deiner Alessa helfen.«

Logan musste kein Seher sein, um die Wahrheit zu erkennen. Devon hatte nichts mit Alessas Entführung zu tun. Er legte die SIG auf den Schreibtisch und ließ sich in den Sessel fallen.

Sein Bruder öffnete eine Schreibtischschublade. Sofort war Logan bereit, wieder nach der Waffe zu greifen, entspannte sich jedoch, als er sah, dass er eine Flasche Talisker und zwei Gläser auf den Tisch stellte. Er schenkte in beide Gläser einen Finger breit Whisky und schob eines zu Logan über den Tisch. Logan nahm das Glas in die Hand, ohne daraus zu trinken. Es hatte lange genug gedauert, bis er seine Sinne wieder beisammen hatte, das wollte er nicht durch Alkohol zunichte machen.

»Es tut mir leid, dass ich Jackie bedroht habe. Um ehrlich zu sein, wusste ich mir nicht anders zu helfen«, gab er zu. »Die Alternative wäre wohl gewesen, hereinzukommen und wild um mich zu schießen.«

Devon betrachtete ihn eine Weile nachdenklich, dann schüttelte er den Kopf. »Ich glaube nicht, dass du das getan hättest – ebenso wenig wie ich glaube, du hättest Jackie wirklich etwas angetan. Was nicht heißt, dass ich dir nicht am liebsten eine dafür verpassen würde, dass du ihr solche Angst gemacht hast!«

»Wenn ich Alessa gefunden und in Sicherheit gebracht habe, bekommst du einen Freischlag.« Er stellte das Glas auf den Tisch zurück. »Deine feinen Wissenschaftler haben sie heute Nachmittag aus der Nationalgalerie entführt, um ihre Versuche fortzusetzen.«

Devon runzelte die Stirn. »Du warst dabei?«

»Nein. Ich war in Sparks’ Wohnung, als sie den Anruf von ihrer Freundin bekam – Susannah Hensleigh.« Logan berichtete von Susannahs Verschwinden und davon, dass sie sich heute plötzlich bei Alessa gemeldet hatte. »Ich kenne nicht alle Details, aber so wie es aussieht, haben deine Frankensteins Susannah geschnappt und ihr in Aussicht gestellt, sie von dem Dämon zu befreien – oder sie zumindest freizulassen –, wenn sie ihnen im Gegenzug Alessa ans Messer lieferte. Sichtlich war die Frau verzweifelt genug, um genau das zu tun. Sie hat Alessa in die Nationalgalerie gelockt, wo ihr deine Leute aufgelauert haben.«

Devon fluchte. »Ich habe unzählige Male mit Doktor Burke und ihren Assistenten gesprochen und habe mir das Labor zeigen lassen, um mich selbst davon zu überzeugen, dass dort nichts mehr passiert, das nicht sein soll. Wie kann es sein, dass diese Versuche unter meinen Augen weitergingen, ohne dass ich etwas davon bemerkt habe?«

»Das Wie ist mir vollkommen egal«, sagte Logan in eisiger Ruhe. »Für mich zählt nur eines: Ich muss in dieses Labor und Alessa dort herausholen.«

Devon stand auf. »Dann werde ich jetzt unseren Wachschutz zur Verstärkung rufen.«

Logan kniff die Augen zusammen. Wenn er Alessa finden wollte, blieb ihm kaum eine andere Wahl, als darauf zu hoffen, dass Devon ihm jetzt nicht in den Rücken fallen würde. Er nickte. »Okay. Ruf sie.«

Logan folgte seinem Bruder zur Tür. Er blieb neben ihm stehen und beobachtete, wie er den Schlüssel mit dem grünen Anhänger aus der Tasche zog und aufschloss. Das Schloss klickte, dann drückte Devon die Klinke und öffnete die Tür. Logan rechnete damit, Wachen zu sehen, die sich in sicherer Entfernung auf dem Gang postiert hatten, bereit, jederzeit zu stürmen, doch die Männer hatten sich an Devons Befehl gehalten. Der Flur war wie leer gefegt. Dann entdeckte er Jackie. Sie stand in einer Ecke und starrte ihm mit ausdrucksloser Miene entgegen. Logan nickte ihr zu, wohl wissend, dass mehr als das nötig sein würde, damit sie ihm verzieh.

»Hartley!«, rief Devon über den Gang. »Kommen Sie her und bringen Sie Ihre Männer mit!« Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Waffen runter!«

Es dauerte nicht lange, bis Logan Schritte hörte, das Stampfen schwerer Stiefel, dann kam ein Dutzend Männer, gekleidet in Uniformen aus schwarzem Drillich, um die Ecke. Ihre Maschinenpistolen mochten gesenkt sein, doch Logan gab sich nicht der Illusion hin, dass sich dieser Zustand nicht jederzeit ändern konnte.

Hartley war ein Muskelpaket, das den Actionhelden aus den Hollywoodfilmen durchaus Konkurrenz machen konnte. Sein dunkles Haar war kurz geschnitten und zeigte erste Spuren von Grau, seine Haut war leicht gebräunt und wirkte, als hätten Wind und Wetter sie gegerbt. Hätte Logan eine Wette abschließen müssen, dann hätte er darauf gesetzt, dass der Mann in den Highlands aufgewachsen war und auch jetzt noch viel Zeit im Freien verbrachte. Nicht zuletzt durch den ernsten Zug um seine Mundwinkel, der seine Dienstbeflissenheit verriet, erweckte er in seinem Auftreten den Eindruck, als verstünde er etwas von seinem Job.

Devon machte keine Anstalten, von der Tür zurückzutreten, was Hartley und dessen Männer zwang, auf dem Gang stehen zu bleiben. Sie bauten sich im Halbkreis vor der Tür auf, die Augen wachsam auf Logan gerichtet.

»Schicken Sie einen Ihrer Männer los«, sagte Devon an Hartley gewandt. »Er soll alle Beteiligten darüber informieren, dass mein Bruder nichts getan hat. Der Rest des Teams kommt mit uns.«

26

Während Devon seine Männer kurz über die Laborversuche informierte und darüber, dass eine Frau entführt worden war, ging Logan zum Schreibtisch und holte die SIG, die er dort abgelegt hatte. Er steckte die Waffe zurück ins Holster und kehrte zu den Männern zurück.

»Jeder, den wir im Labor antreffen, wird festgenommen«, sagte Devon und fügte mit einem Blick zu Logan hinzu: »Aussortieren, wer seinen normalen Job tut und wer in das Projekt Samenkorn verwickelt ist, können wir später. Gehen wir!«

Hartley bedeutete seinen Männern, den Weg freizugeben und Devon und Logan passieren zu lassen. Mit schnellen Schritten eilten sie, gefolgt von den Wachen, den Gang entlang und auf die Treppen zu, als Jackie zu Devon gelaufen kam und nach seinem Arm griff.

»Was ist hier los, Dev?«, fragte sie mit einem Seitenblick auf Logan, der mit den anderen stehengeblieben war.

»Mach dir keine Sorgen.« Er drückte ihre Hand. »Ich erkläre dir alles später. Erst müssen wir Alessa finden.«

Ihr Blick kehrte zu Logan zurück. »Ist sie in Gefahr?«

»Ich hoffe nicht.« Daran, was passiert sein mochte, falls Burke ihre Experimente bereits wieder aufgenommen hatte, wagte er nicht zu denken. Der Dämon war kleiner geworden. Er konnte nur hoffen, dass ihm das genügend Zeit verschaffen würde, um sie zu finden, ehe es zu spät war. Er ist bereits sehr mächtig. Das waren Jackies eigene Worte gewesen, als sie die Essenz des Dämons gespürt hatte. Logan versuchte, sich einzureden, dass Alessa ihre Fähigkeiten unterdrücken konnte, doch er wusste auch, dass ihr das nicht gelang, wenn sie in Panik war. »Wir müssen uns beeilen.«

Jackie fuhr sich mit der Hand über die Stirn. »Geht und findet sie – aber danach habe ich ein Hühnchen mit dir zu rupfen, Logan Drake.«

Logan senkte den Kopf zum Zeichen, dass er alles ohne Gegenwehr über sich ergehen lassen würde, ganz gleich, ob sie ihn anbrüllen oder ihm eine runterhauen wollte.

»Warte zu Hause auf mich.« Devon küsste seine Frau auf die Wange, dann gab er den Männern ein Zeichen und der Trupp setzte sich wieder in Bewegung.

Sie verließen das Haus durch eine Seitentür. Kies knirschte unter ihren Schuhsohlen, als sie einen Weg einschlugen, der tiefer in das Grundstück hineinführte, durch eine Parkanlage, die von größeren und kleineren Gebäuden umgeben war. Sie folgten dem Weg zwischen Bäumen hindurch, an einem künstlichen Teich vorbei, bis sie das andere Ende des Geländes erreichten. Dort stand ein quadratisches Gebäude aus grauem Backstein, eingerahmt von einer akkurat gestutzten Buchsbaumhecke.

Logan sah an der Fassade des dreistöckigen Hauses hinauf. »Was ist das für ein Bau?«

»Hier sind unsere Ärzte untergebracht«, erklärte Devon. »Dazu ein kleines Krankenhaus und die Labors.«

»Ihr habt ein eigenes Krankenhaus?«

»Unsere Leute lassen sich nicht gerne von normalen Ärzten behandeln.«

Logan konnte sich gut vorstellen, wie sich die Seher in einer gewöhnlichen Praxis fühlen mochten. Zweifelsohne würden die Ärzte anhand von Blut- und Gewebeproben herausfinden wollen, was die Seher so besonders machte. Um dem zu entgehen, ließen sie sich hier von ihresgleichen behandeln, ohne zu ahnen, was in den angeschlossenen Laboratorien geschah.

Vor der Tür blieben sie stehen und Devon bedeutete den Männern, näher zu kommen. »Jeder im Labor wird festgenommen. Achten Sie darauf, dass keine Unterlagen vernichtet werden und halten Sie die Leute von den PCs fern.«

»Abführen und einsperren«, wiederholte Hartley nickend. »Alles klar.«

»Jetzt erzähl mir nicht, ihr habt auch noch ein Gefängnis hier.«

Devon schüttelte den Kopf. »Nur eine Zelle für Notfälle. Dort wird es heute ziemlich eng werden.«

Nicht so eng wie in diesen Isolationstanks.

Devon machte kehrt und wollte zur Tür.

»Sir?«

Er blieb noch einmal stehen und wandte sich zu Hartley um. »Ja?«

»Ich denke, Sie beide sollten das meinen Männern und mir überlassen.«

Logan war damit einverstanden, dass Devon zurückblieb. Er war der Anführer der Gemeinschaft, wenn ihm etwas zustieß, würde das den Laden gehörig durcheinanderwirbeln. Abgesehen davon verfügte er über keine Kampferfahrung. Logan selbst hingegen schon. Statt zur Seite zu gehen, stellte er sich neben die Männer, die Jacke geöffnet, bereit, jederzeit seine Waffe zu ziehen.

»Logan.« Devon schüttelte den Kopf. »Lass sie machen.«

Logan sah zu Hartley. Der Anführer der Wache wich seinem Blick nicht aus, erwiderte ihn in einer Gelassenheit, als wolle er sagen: »Wir wissen, was wir tun.« Trotzdem war Logan versucht, sich den Männern anzuschließen. Dass er sich nicht auf einen Streit einließ, lag einzig und allein daran, dass er keine weitere Zeit verschwenden wollte. Zeit, die Alessa in der Gewalt dieser forschenden Irren verbringen musste.

Dieser Einsatz fiel nicht unter seine Befehlsgewalt, damit musste er sich für den Augenblick abfinden, auch wenn es ihn in den Fingern juckte, voranzustürmen, um nach Alessa zu suchen.

Einer von Hartleys Männern ging an ihnen vorbei und öffnete die Tür. Die Waffe in der Hand spähte er in die Eingangshalle. Am hinteren Ende konnte Logan eine Schwingtür aus weißem Milchglas erkennen.

»Hinter der Tür ist das Labor«, sagte Devon leise.

»Die Halle ist frei«, meldete der Mann, trat zur Seite und gab den anderen den Weg frei.

Hartley und seine Männer stürmten mit erhobenen Waffen an Devon und Logan vorbei. Mit stampfenden Schritten durchquerten sie die Halle und stießen die Milchglastür zum Labortrakt mit solcher Wucht auf, dass sie offen stehen blieb. Eines von Hartleys Teammitgliedern blieb an der Tür zurück, um sicher zu stellen, dass ihnen niemand entkam. Die anderen rückten weiter vor.

Logan folgte ihnen in die Eingangshalle, um eine bessere Sicht zu haben. Angespannt starrte er in den grell erleuchteten Gang, wo sich die Männer von Tür zu Tür voran arbeiteten. Protest wurde laut, als sie die Leute aus den Räumen scheuchten und im Flur wie eine Herde Schafe zusammentrieben, wo ein Teil von Hartleys Trupp sie in Empfang nahm, während der Rest systematisch seinen Weg durch das Labor fortsetzte. Aufgeregte Schreie mischten sich unter die Rufe von Hartleys Männern und das Stampfen ihrer schweren Stiefel.

»Jetzt halt schon die Füße still!«

Von Devons Stimme aufgeschreckt fuhr Logan herum. »Was?«

»Die Lage ist unter Kontrolle, das siehst du doch. Es gibt keinen Grund, hier auf und ab zu springen wie ein durchgedrehter Schachtelteufel.«

Erst da wurde Logan bewusst, dass er sich ständig von einer Seite zur anderen reckte, damit ihm ja nichts entging, was auf dem Flur passierte. Auch wenn Devon durchaus nicht unrecht hatte, konnte er nicht aus seiner Haut. Herumzustehen und zu warten, dass andere seine Arbeit erledigten, war die Höchststrafe.

Devon legte ihm eine Hand auf den Arm. »Ich weiß, dass du dir Sorgen machst. Hab noch ein paar Minuten Geduld, dann haben die das Labor leer geräumt und du kannst deine Alessa wieder in die Arme schließen.«

Das versuchte er sich auch zu sagen, doch eine aufdringliche Stimme in seinem Schädel tat nichts anderes als ihm einzureden, dass sie Alessa umbringen würden, wenn sie nicht länger an ihr experimentieren konnten – ob nun aus purer Bosheit oder aus dem Drang heraus, keine verfolgbaren Spuren zu hinterlassen, war dabei nebensächlich.

Devon kratzte sich am Kinn, dann seufzte er. »Wenn die ganze Nummer hier vorbei ist, müssen wir uns in Ruhe darüber unterhalten.«

»Ich glaube nicht, dass es dich etwas angeht, wer in meinen Armen liegt«, blockte Logan ab.

Doch Devon tat ihm nicht den Gefallen, das Thema zu wechseln. »Wenn dieser Jemand etwas in sich trägt, das auch noch aus unseren Labors stammt, fürchte ich, dass ich durchaus ein Wörtchen mitzureden habe. Logan, ich will dir nichts Böses, das solltest du inzwischen wirklich begriffen haben, aber wir brauchen eine Lösung für das Problem mit diesem Dämon.«

»Als ob ich das nicht selbst wüsste.« Trotzdem wollte er im Augenblick nicht darüber nachdenken, wie es weitergehen sollte. Zum Glück erlöste ihn Hartleys Rückkehr davon, das Gespräch weiter zu vertiefen.

»Wir haben alle«, berichtete der Kommandant. »Das Labor ist leer.«

Devon nickte anerkennend. »Sorgen Sie dafür, dass alle Unterlagen und Dateien eingesammelt und in mein Büro gebracht werden.«

Er sagte noch mehr, doch Logan hörte nur noch mit einem halben Ohr hin. Seine Aufmerksamkeit gehörte den Menschen, die von Hartleys Leuten in die Halle geführt wurden. Nervös wanderte sein Blick über die Gesichter, ohne Alessas vertraute Züge zu finden.

Sie musste noch drin sein, vermutlich eingesperrt in einen dieser beschissenen Tanks. Er ließ Devon und Hartley stehen und marschierte in den steril weißen Labortrakt. Eine Tür nach der anderen riss er auf. Bei den meisten Räumen konnte er schon auf den ersten Blick sehen, dass sie leer waren, in den größeren und verwinkelten sah er sich genauer um. Er filzte Büros, Labors, eine Toilette, die Kaffeeküche und mehrere Untersuchungsräume. Im Zentrum des letzten Raums, am Ende des Ganges, blieb er stehen und drehte sich langsam im Kreis. Den Behandlungsstuhl, den Schreibtisch und das Tablett mit medizinischen Instrumenten nahm er kaum wahr. Alles, was er sah, war die Leere des Zimmers. Genauso verlassen wie die anderen. Panik machte sich in ihm breit.

»Wo sind die verdammten Tanks?«, murmelte er.

»Welche Tanks?«

Logan fuhr herum und sah Devon im Türrahmen stehen.

»Isolationstanks, in die sie ihre Versuchskaninchen sperren.« In den Alessa womöglich eingesperrt war.

»So etwas existiert nicht.«

»Glaub mir, sie existieren.« Logan hatte Alessas Beschreibungen des kalten Stahls, der Dunkelheit und Einsamkeit noch zu gut im Gedächtnis. »Wo ist Doktor Burke?«

»Sie war nicht unter den Verhafteten.«

»Freier Tag?«

»Burke gehört nicht zu der Sorte Mensch, die sich jemals frei nimmt.«

Logan drängte sich an Devon vorbei auf den Gang und sah von links nach rechts. »Dann muss sie hier sein.«

»Was willst du damit sagen?«, fragte Devon neben ihm.

»Dass wir etwas übersehen haben.« Sein Blick fiel auf die gegenüberliegende Tür, neben der ein Schild mit Doktor Burkes Namen hing. Wenn es einen Hinweis gab, dann in ihrem Büro.

Er kehrte noch einmal in den Raum zurück, den er sich kurz zuvor bereits angesehen hatte. Ein alter Schreibtisch mit Drehstuhl, ein gewaltiger, bis zur Decke reichender Aktenschrank dahinter, zwei Besucherstühle und ein paar Regale mit medizinischen Fachbüchern. Das war alles. Keine Bilder an den Wänden, nicht einmal eine Topfpflanze. Der Anblick des Büros hinterließ einen seltsamen Eindruck bei Logan, es dauerte allerdings ein wenig, ehe er sagen konnte, woran das lag. Es waren die fehlenden Aktenstapel auf dem Tisch, keine Stifte, die herumlagen, und auch keine medizinischen Geräte. Selbst für ein Ärztezimmer wirkte der Raum zu steril. Ungenutzt.