ELISABETH HERING

Zu seinen Füßen CORDOBA


KULTURGESCHICHTLICHER ROMAN

Mit Buchschmuck von Gerhard Stauf

Inhalt

Der Morgen: Auf der Burg Thorofsch in Andalus

Der Mittag: In der Medrefe zu Cordoba

Der Abend: In den Bergen des Maghreb

Anhang

ZEITTAFEL

ERLÄUTERUNGEN

Impressum

Abbildung

Über Andalus lag die Sommernacht. Der Ostwind strich so leicht durch die Kronen der Korkeichen, dass sich ihre Blätter kaum rührten. Stumm und unbeweglich wie riesige Wächter standen die alten Bäume auf den Kuppen und Hängen, die den Flusslauf fast bis zu seiner Mündung ins Meer begleiteten.

Das Wasser, das so hastig gewesen war, um den Bergen zu entspringen, floss nun langsam und träge. Sein Rauschen war kaum zu hören. Selbst die Zikaden, deren Lieder wie ein einziger hoher auf- und abschwellender Ton in der Luft schwebten, vermochten nicht, die Ruhe zu beeinträchtigen. Ihr Zirpen wurde aufgesogen durch die Stille.

Und dennoch war der Frieden dieser Nacht nur scheinbar. Keine Wolke stand am Himmel, und in der Luft lag kein Unwetter. Doch der Schlaf, der sich auf die Erde gesenkt hatte, war ein bleierner Schlaf. Blumen und Gräser senkten Blüten und Halme, weil kein Tau sie erquickte. Seit Monaten hatte es nicht mehr geregnet.

Auf einem Hügel, der sich dem Fluss in die Seite gestemmt und ihn gezwungen hatte, ihn von drei Seiten zu umspülen, stand die Burg Thorosch. Ihr Erbauer war Abdelmalik gewesen, ein Sohn des Geschlechtes Ma’afir. Mit Tarik war er übers Meer gekommen, um den Ungläubigen dieses schöne Land zu entreißen, das sie nicht wert gewesen waren zu besitzen. Einen geeigneteren Platz für seine und seiner Nachkommen Heimstätte hätte er kaum finden können. Nur eine Wegstunde entfernt von ihr mündete der Fluss ins Meer, sodass die Bewohner von Thorosch mit Fisch reichlich versorgt werden konnten, ohne doch den Angriffen von Seeräubern ausgesetzt zu sein, deren Boote in dem flachen Wasser des Flusses nicht hätten vordringen können. Selbst die Einwohner des Fischerdorfes, das zur Burg gehörte, mussten ihre Ware auf Eselsrücken zu ihrem Herrn bringen. Die Bucht von Algeciras aber, in deren geschütztem Hafen sich die Schiffe aus allen Ländern der Gläubigen trafen, lag keinen Tagesritt westlich von Thorosch, sodass von dorther alles, was das eigene Land und die eigenen Leute nicht zu liefern imstande waren, mit Leichtigkeit herangeholt werden konnte.

Dicke Mauern hatte Abdelmalik errichtet und nur kleine Fenster in ihnen ausgespart. Aber die Burg hatte keine Belagerung aushalten müssen, denn die Unterworfenen hatten niemals gewagt, sich gegen die Herren von Thorosch aufzulehnen. Dennoch behielt das große Gebäudeviereck sein nach außen so strenges, abweisendes Gesicht. Umso lieblicher war es im Inneren. Im Schutze der festen Mauern wölbten sich schlanke, zierliche Arkaden um einen Innenhof, der mit Bäumen und Blumenrabatten in einen Garten verwandelt worden war. Selbst eine der Palmen stand darin, die die Araber aus ihrer Heimat nach Andalus verpflanzt hatten, um sich auch das eroberte Land zur Heimat zu machen.

In der Burg war die Dürre des Sommers besiegt. Der Brunnen spendete immer noch Wasser, wenn auch sein Spiegel so tief gesunken war, dass das Heraufholen große Mühe erforderte. Es gab jedoch arbeitende Hände genug, die das Schöpfrad drehen konnten - sein Quietschen verstummte erst vor dem Abendgebet, um nach der Morgenandacht wieder einzusetzen.

Eine schwere Arbeit, gewiss! Und doch dankten die Menschen ihrem Schöpfer dafür, dass sie sie noch verrichten konnten. Denn aus der großen Ebene nördlich der Berge kam die Nachricht, dass fast alle Brunnen versiegt seien und ihre Bäder stillstünden. Man sagte, dort habe das Zuckerrohr allen Saft verloren und die Bitterorangen fielen halbreif, verkümmert und vertrocknet von den Bäumen. Man sagte, selbst den Menschen lasse die unerträgliche Hitze dieses Sommers das Blut in den Adern kochen, sodass mehr Untaten geschähen als je zuvor. Auf Thorosch war davon freilich wenig zu spüren. Die Nähe des Meeres brachte immer noch nachts etwas Kühlung, und Abu Hafs, der Nachfahre Abdelmaliks im siebenten Glied, dem die Burg seiner Väter nun gehörte, war ein vorsorgender Hauswirt, den ein trockener Sommer nicht gleich in Not stürzte.

Und dennoch feind er keinen Schlaf in dieser Nacht. Alle Lampen waren längst erloschen, alle Bewohner hatten sich zur Ruhe begeben; verstummt war das Lachen der Kinder, das Singen der Mägde, selbst die Tiere in den Ställen verhielten sich still. Auch Abu Hafs hatte sein Lager aufgesucht, das er mit seiner Gattin teilte. Boreiha schlief längst schon tief und fest - er aber lag da und starrte mit offenen Augen ins Dunkel.

Abu Hafs war ein Mann in der Vollkraft seiner Jahre. Er war des Abends von einem Ritt über Land heimgekehrt, rechtschaffen müde, aber bester Laune, da er den Tag so zugebracht hatte, wie er es liebte: in Gesellschaft von Freunden, die mit ihm nach Herkunft und Gesinnung übereinstimmten. Zwei von ihnen waren Fakihs und Hadith-Gelehrte wie er selber, und es bereitete ihm größtes Vergnügen, mit ihnen die Gedanken auszutauschen. Dieses Mal hatte es ein Streitgespräch gegeben über die Echtheit von Aussprüchen, die von dem Propheten (gesegnet sei er immerdar!) überliefert worden waren. Abu Hafs legte dabei einen strengeren Maßstab an als die meisten seiner Freunde, denn konnte man bestreiten, dass so mancher Eiferer dem Hochgelobten einen Ausspruch in den Mund gelegt hatte, nur um seine eigene Ansicht zu stützen? Abu Huraira zum Beispiel. Aber schweigen wir von diesem Gefährten des Propheten! Er, Abu Hafs, hielt ihn für unglaubwürdig, und es war ihm gelungen, mit so viel schlagkräftigen Beweisen gegen ihn anzutreten, dass selbst Dschafar, der ihn leidenschaftlich verteidigt hatte, zuletzt klein beigab. Abu Muhammed al-Bagi, der Dichter ihres Kreises, machte auch gleich aus dem Stegreif ein paar Verse, die Abu Hafs nicht wenig schmeichelten.

Heiter gestimmt und ehrlich müde - mit den besten Voraussetzungen also für einen gesunden Schlaf, hatte er sein Nachtlager aufgesucht, hatte sich still in seinen Kissen zurechtgelegt und die Augen geschlossen. Aber umsonst - der Schlaf mied ihn, und eine immer größere Erregung bemächtigte sich seiner.

War etwas geschehen? Hatte er etwas getan oder versäumt, was ihn dieses Gottesgeschenkes, mit dem Allah selbst das geringste seiner Geschöpfe segnet, unwürdig machte? Hatte er jemals Allahs Gebote missachtet?

Unrechtes Gut klebte nicht an seinen Händen. Hatte er nicht sogar seine einträgliche Stellung als Sekretär des Ministers aufgegeben, weil Zweifel in ihm aufstiegen, ob das Gold, womit sein Herr ihn belohnte, immer in erlaubter Weise erworben worden war? Gewiss, er hatte diesen Verdacht nicht geäußert (welcher Maus kann es wohl einfallen, am Barthaar eines Löwen zu zupfen?), hatte Boreihas Gesundheitszustand vorgeschützt - aber es hatte doch der Wahrheit entsprochen, dass seiner Gattin der Sommer im heißen Cordoba so schlecht bekam und er sie immer im Frühjahr nach Thorosch bringen, sich für Monate von ihr trennen musste! So war er in Ehren aus dem Dienst des Mächtigen geschieden, denn selbst wenn der Minister den wahren Grund seines Entschlusses erraten hätte, würde es ihm die Selbstachtung verboten haben, sich dieses einzugestehen. Im Gegenteil, er musste ihn mit Gunstbezeigungen entlassen, und die bestanden darin, dass er den Ruf Abu Hafs als Hadith-Gelehrten recht eigentlich begründete. Denn wo immer ihm ein schwieriger Rechtsfall zu Ohren kam, den ein Kadi nicht allein entscheiden wollte, schlug der Minister seinen ehemaligen Sekretär als Autorität auf dem Gebiete vor. »Ich kenne keinen Fakih«, pflegte er zu sagen, »der ein umfangreicheres Wissen hat als Abu Hafs. Er hat den berühmten Ahmad ben Halid zum Lehrer gehabt, er hat die Überlieferungen von Grund auf studiert. Bittet ihn um eine Fetwa.«

So trat man bald von allen Seiten um Rechtsgutachten an ihn herein. Hatte er sich dabei etwas zuschulden kommen lassen? Hatte er sich jemals vom Ansehen einer Person leiten lassen statt von der Sache, die zu beurteilen war? Nicht im Gegenteil sogar seinen Bruder vor den Kopf gestoßen, weil er sich geweigert hatte, ihm in einer zweifelhaften Rechtslage beizustehen? Und Abu Haukal trug ihm das sicherlich nach bis zu dieser Stunde, obwohl er es sich nicht anmerken ließ.

Schon warf der abnehmende Mond sein fahles Licht durch die schmalen Fenster. Abu Hafs wandte sich der Gattin zu und betrachtete sie: ihr von langen schwarzen Zöpfen umrahmtes Gesicht, nicht mehr jung, nicht mehr schön, zu viele Fältchen unter den Augen, zu scharf hervorstehend Nase und Kinn - und dennoch rührend in der Gelöstheit des Schlafes.

Zärtlichkeit erfüllte ihn. Allah muss die Frauen mehr geliebt haben als die Männer, dachte er, da er ihnen ein so schönes Los bestimmt hat. Welche Fülle von Geboten haben wir zu beachten und müssen für ihre Auslegung Rechenschaft ablegen am Jüngsten Tage! Fein wie ein Haar ist die Brücke, die über den Höllenabgrund führt - ein einziger falscher Tritt, und wir stürzen in den Rachen des Scheitans.

Wie leicht kann sich demgegenüber jede Frau vor dem ewigen Feuer bewahren! Nichts anderes wird von ihr verlangt, als dass sie ihrem Gatten gehorsam sei. Denn er ist ihr Leiter und Lenker, was sie nach seinem Willen tut, wird ihr nicht angelastet, und nur, wenn sie sich ihm widersetzt, ist ihr die Höllenpein sicher.

Nun, Boreiha hatte nur ein einziges Mal versucht, sich ihm zu widersetzen. Ach, sie war noch ein halbes Kind gewesen, als er sie heiratete, und war ohne Vater aufgewachsen. Ihr Oheim und Vormund aber hatte sich um die Witwe und die Tochter seines Bruders viel zu wenig gekümmert. Schlechtigkeit war es also bestimmt nicht gewesen, nur etwas weibliche Neugier, die sie verführt hatte, gegen seinen Willen das Haus zu verlassen.

Und wie sie gezittert hatte, als er plötzlich vor ihr stand und sie vor der Haustür ertappte, da sie doch seine Rückkehr so früh nicht erwartet hatte.

In seinen Zorn schon hatte sich Mitleid gemischt, als er sie an der Hand fasste und wortlos hinter sich her zog. Aber darf man sich von Mitleid bewegen lassen, nicht das zu tun, wozu man verpflichtet ist? Lag doch auf ihm die Verantwortung für die Seele dieses Geschöpfes.

Nie wird er zu bereuen haben, dass er damals so hart zuschlug, dass er sie dann ihrem Schmerz und ihrem Kummer überließ, indem er sie bis zum nächsten Morgen in einer Kammer einschloss. Denn dieses Erste blieb auch das letzte Mal, dass er die Hand gegen sie erheben musste.

Als er sie tags darauf zum Frühgebet holte, war sie noch ganz verstört, und ihre Stimme war kaum zu hören. Aber sie fiel auf die Knie und verbeugte sich bis zum Erdboden, und nach der letzten Niederwerfung musste er sie an der Schulter fassen, denn sie erhob sich nicht von selber. »Bring den Koran!« sagte er. Sie brachte ihn. »Schlag auf die Sure ›Die Frauen‹!« Sie stand vor ihm wie leblos, nur ihre Finger zitterten. Er nahm ihr das Buch aus den Händen, schlug es auf, reichte es ihr zurück, sagte streng: »Lies den vierunddreißigsten Vers!«

Sie griff nicht nach dem Buch.

»Du gehorchst mir nicht?«

Unter dem drohenden Ton seiner Stimme zuckte sie zusammen.

»Ich kann nicht lesen«, antwortete sie kaum hörbar.

»Nun, dann hör zu!«

Auswendig, Wort für Wort langsam und überdeutlich aussprechend, sagte er, indem er den Blick fest auf Boreiha gerichtet hielt: »Die Männer stehen über den Frauen, weil Allah sie vor diesen ausgezeichnet hat, und wegen der Ausgaben, die sie von ihrem Vermögen für sie gemacht haben. Und die rechtschaffenen Frauen sind demütig ergeben, dem Willen ihres Mannes gehorsam auch in seiner Abwesenheit, weil Allah auf das Verborgene acht hat. Und wenn ihr fürchtet, dass eure Frauen sich gegen euch auflehnen, so vermahnt sie, meidet sie im Ehebett und schlagt sie. Wenn sie euch daraufhin wieder gehorchen, so unternehmt weiter nichts gegen sie.«

Hier hielt Abu Hafs inne. »Hast du diese Stelle nicht gekannt?« »Diese nicht und keine andere.«

Da ergriff ihn ein tiefes Erbarmen mit der in so großer Unwissenheit Aufgewachsenen. Er nahm sie auf den Arm und trug sie aufs Lager. »Allah ist einer«, betete er, »er ist allgewaltig. Er ist nicht gezeugt und hat nicht gezeugt. Ihm gleich ist keiner. Wende, o Allah, den Teufel ab von uns und von dem, was du uns bescherst!«

Ganz reglos lag sie da, wie ohne eigenes Leben, und ließ alles mit sich geschehen. Und ihm war, als machte er sie nun erst sich ganz zu eigen. Aus dieser Umarmung ging ihr erster Sohn hervor, dem er den Namen Hafs gab. Und seither ließ er sich nicht mehr anders nennen als Abu Hafs, Vater des Hafs, glücklich darüber, dass er nun diesen Ehrennamen tragen und den Namen Abdallah, den sein Vater ihm gegeben hatte, nun in Vergessenheit geraten lassen konnte, denn keiner seiner Freunde und Verwandten würde ihn nun noch so nennen.

Boreiha lernte von ihm lesen und schreiben. So eifrig war sie darin, dass sie den ganzen Koran abschrieb. Er hatte das zwar nicht von ihr verlangt, aber sie wusste, dass es ihn freute. Sie verließ das Haus nur zu den großen Festen, und auch nur, um tief verschleiert in die Moschee zu gehn. Sie unterließ es, die Lieder zu singen, die sie von ihrer Amme gelernt hatte, weil sie merkte, dass sie ihrem Mann missfielen, obwohl er ihr das Singen niemals ausdrücklich verboten hatte. Auch der Prophet (gelobt sei er in Ewigkeit!) hatte ja kein ausdrückliches Verbot gegen Dichtung und Gesang erlassen, sondern nur gesagt, die Dichter seien die Fahnenträger auf dem Weg zur Hölle.

Nein, auch im Hinblick auf Boreiha konnte sich Abu Hafs keines Vergehens beschuldigen. Er hatte sie hingeleitet zu einem Leben, wie es Allah wohlgefällt. Sie besaß die drei Eigenschaften, die bei der Frau Tugenden sind (beim Manne freilich Laster): Geiz, Stolz und Furcht. Nie stellte sie Ansprüche auf Schmuck und kostbare Kleider, sondern spann und webte mit ihren Mägden selbst, was sie brauchte, und legte die goldenen Reife, die sie von ihrer Mutter geerbt hatte, nur an, um ihrem Gatten zu gefallen. Kein anderer Mann hatte sie jemals in diesem Schmuck gesehen.

Und das, wovon die meisten Männer meinen, dass es nicht möglich sei, trat bei Abu Hafs ein: Niemals wurde er seiner Frau überdrüssig. Im Gegenteil, er gewann sie von Jahr zu Jahr lieber. Nicht nur die Grundbegriffe der Religion brachte er ihr bei, sondern führte sie immer tiefer ein in das Verständnis der Worte, die der Prophet den Gläubigen hinterlassen hat, und bald konnte er ihr seine Gedanken anvertrauen wie einem zweiten Ich. Einen Einwand erhob sie höchstens in Form einer Frage. Und nur selten legte sich ein Hauch von stummer Abwehr auf ihr Gesicht, wenn sie einmal mit seiner Ansicht nicht übereinstimmte. Diesen Gesichtsausdruck aber liebte Abu Hafs besonders an ihr, weil er ihn erkennen ließ, wie sehr sich seine Frau beherrschte aus Ergebung in seinen Willen. Und er war der festen Überzeugung, dass er eine Ehe führte, wie sie vollkommen den Vorschriften des Propheten und also dem Willen Allahs entsprach. Niemals, auch in dieser Nachtstunde nicht, wäre es ihm eingefallen, sich zu fragen, ob nicht Boreihas Kränkeln und frühes Verblühen darauf zurückzuführen sei, dass die Last seiner Überlegenheit ihr zu schwer auf der Seele lag. Nein, die Spuren des Alterns, sie sich über ihr einst so frisches, liebliches Gesicht gelegt hatten, sodass es selbst im fahlen Mondlicht deutlich wurde, wie streng ihre Züge waren, erregten ganz andere Vorstellungen in Abu Hafs Seele.

»Ein anderer Mann«, sagte er zu sich selbst, »würde nun wohl nach einer Jüngeren Ausschau halten. Ich aber habe ein Gelübde abgelegt. Meine Frau ist vor Vernachlässigung und Verstoßung sicher!« Behutsam, um die Schlafende nicht zu wecken, legte er sich mit einem fast unhörbaren Seufzer auf die andere Seite. Wegen Boreiha hatte er sich wahrlich keine Vorwürfe zu machen. Und wegen Besbasa doch auch nicht!

Diese Berberin hatte er gekauft als Amme für Muhammad, seinen Jüngsten. Sie war in sein Haus gekommen kurz nach dem großen Unglück, das ihn heimgesucht hatte, dem Verlust seines ältesten Sohnes. Abu Hafs sah wieder die ganze Szene vor sich, wie sie sich ihm unauslöschlich ins Gedächtnis gegraben hatte: den Blumengarten, den sich Boreiha auf dem Altan ihrer Gemächer angelegt hat, das Beis einer seltenen, weiß blühenden Staude, das er ihr von einem Ritt in die Hauptstadt mitbrachte und das sie einpflanzen will, den Blumentopf, den er festhält, während sie ihn mit Erde füllt. Ja, sie überließ die Pflege ihrer Blumen nie einer Magd, und mit nichts konnte Abu Hafs sie mehr erfreuen als mit solchen Beweisen seiner Aufmerksamkeit.

Da plötzlich gellt ein Schrei durch die Luft, der ihnen durch Mark und Bein dringt. Sie sehen über die Brüstung des hohen Altans und erblicken den jungen Hengst, den Abu Hafs vor Kurzem erworben hat und der noch nicht zugeritten ist. Auf den Hinterbeinen steht er und schlägt mit den Vorderhufen wild um sich, und das Kind liegt mit blutendem Kopf im Sande. Boreiha warf sich in Abu Hafs’ Arme: Ein Weinkrampf durchschütterte sie. Er brachte sie zu ihrem Lager, bettete sie, liebkoste sie, aber sie konnte nicht zu sich kommen. Doch mit einem Male ging ihr Schluchzen in ein Stöhnen über. Sie war im vorletzten Monat schwanger, und die Wehen hatten eingesetzt.

Abu Hafs rief nach der alten Bischa, die seiner Frau schon bei den anderen Geburten beigestanden hatte, und eilte zu seinem Sohn. Aber er kam zu spät. Der kleine Hafs lag da mit leerem Blick, und als der Vater sich über ihn beugte, fühlte er, dass sein Herz aufgehört hatte zu schlagen.

Boreiha hatte eine schwere Geburt. Zwei Tage und zwei Nächte lang hörte Abu Hafs ihr Schreien, und nie war er sich so hilflos, so ohnmächtig vorgekommen wie angesichts dieser Qual, die er nicht lindem konnte. Während Bischa ihrer Herrin unermüdlich Trost zusprach, ging er im Hintergrund des Zimmers auf und ab, und seine Seele fand keine Ruhe.

»Allmächtiger!« betete er, »schenke uns einen Sohn für den, den du uns genommen hast!« Schließlich, am Ende der zweiten Nacht, warf er sich auf die Knie, berührte mit der Stirn den Boden und tat das Gelübde: »Keine Sklavin will ich je wieder in die Arme schließen, keine zweite Gattin Boreiha zugesellen, wenn du sie mir am Leben lässt, Unerforschlicher!«

Als er sich erhob, umfing ihn Stille. Keinen Schmerzenslaut seiner Frau vernahm er, kein begütigendes Wort der Alten. Ein furchtbarer Schrecken durchfuhr ihn. Mit hastigen Schritten eilte er zu Boreihas Lager - aber nein, sie lebte! Ihr Gesicht hatte sich zu einem unbeschreiblich rührenden Lächeln entspannt, und Bischa war mit dem Kind beschäftigt, hielt es an den Beinen, klopfte es auf den Rücken, bis sich endlich der erste Schrei aus der kleinen Kehle löste. »Es ist ein Knabe«, sagte die Alte, »du hast einen Sohn bekommen, Herr!«

So benommen war Abu Hafs, dass er keine Worte fand. Er fasste nur nach Boreihas Hand, die feucht und kalt vor Schweiß auf der Decke lag, und presste seine Stirn hinein. Und dann durchfuhr ihn ein Gedanke, der ihn eilends davontrieb.

Er weckte den alten Murrakisch und befahl ihm: »Sattle das schnellste Pferd und reite zum Markt nach Algeciras. Kaufe eine Frau, die einen Säugling hat, ganz gleich, ob sie schön ist oder hässlich, nur gesund und kräftig soll sie sein. Ich brauche eine Amme für meinen Sohn.«

Am Nachmittag kaum der Knecht zurück und brachte Besbasa mit. Fünfzehn Jahre war sie alt, ihr Sohn vier Monate.

Als Murrakisch sie vom Pferd hob und seinem Herrn zuführte, trat Abu Hafs unwillkürlich einen Schritt zurück. Ein Ausdruck lag in ihrem Gesicht, den er noch nie bei einer Frau - nicht bei seiner Gattin und bei keiner Sklavin - gefunden hatte: der Ausdruck von Abwehr und wilder Entschlossenheit. Er wollte sprechen, aber Murrakisch sagte: »Sie versteht nicht arabisch, sie ist eine Berberin.«

»Als Sklavin geboren?«

»Nein, eine Kriegsgefangene. Ihr Stamm war dem Emir von Kairawan tributpflichtig und hatte sich gegen ihn aufgelehnt. Aber die Krieger des Emirs sind mit den Empörern schnell fertig geworden, haben sie aufgerieben und ihre Frauen als Beute verteilt. Diese da ist von dem Soldaten, dem sie zugesprochen worden war, sehr bald an einen andalusischen Sklavenhändler verkauft worden, der vom Maghreb seine Ware bezieht. Nach einem Krieg sind die Menschen ja billig.«

Abu Hafs unterbrach ihn. »Und warum hast du gerade diese ausgesucht? Auch, weil sie billig war?«

»Nein Herr - es gab keine andere Säugerin auf dem Markt.«

»Nun gut«, sagte Abu Hafs und wandte sich zum Gehen. »Macht ihr ein Bad und gebt ihr zu essen. Und wenn sie sich gereinigt und gesättigt hat, bringt sie ins Zimmer der Herrin.«

Boreihas Kind war klein und zart wie alle zu früh Geborenen, und es wimmerte sehr dünn und leise, als die Amme das Zimmer betrat.

Man führte sie an die Wiege, zeigte auf das Kind, zeigte auf ihren Busen, und sie verstand sofort. Ihr Gesicht leuchtete auf. Sie nestelte ohne Widerstreben an ihrem Hemd und legte das winzige Püppchen, das sich neben ihrem eigenen gut genährten Säugling ausnahm wie eine Mandel neben einer Walnuss, an ihre Brust. Alles hielt den Atem an. Ja, der Winzige sog. Ja, er schluckte. Ja, er hatte das Leben angenommen.

So wurden sie Milchbrüder: Abu Hafs Sohn Muhammad ben Abdallah ben Muhammad, ben Amir, ben Abi Amir, ben al-Walid, ben Jazid ben Abdelmalik al Ma’afir und der vaterlose Sohn der Sklavin Welid ben Besbasa.

Während sich die Amme noch mit dem kleinen Muhammad abmühte, fing ihr eigener Sohn zu weinen an. Da sagte sie auf berberisch zu ihm: »Es bleibt dir genug übrig, Welid. Erst kommt dies Würmchen dran, das noch kaum Leben hat. Du kannst warten, du bist stark!«

Es waren die ersten Worte, die sie in diesem Hause sprach, und keiner der Umstehenden verstand sie. Aber Abu Hafs beobachtete ergriffen die Veränderung, die sich in ihrem Gesicht ausprägte. Wie ein Bergsee kam es ihm vor, den ein Sturm aufgewühlt hatte und der nun wieder das Blau des Himmels spiegelte und das Weiß der Firne.

»Sie ist ein guter Mensch, Murrakisch«, sagte er leise zum Alten. »Allah hat es gefügt, dass sie die einzige war, die du mitbringen konntest.« Und, zur Wöchnerin gewandt: »Unser Sohn wird am Leben bleiben, Boreiha!« Warum entgegnete Boreiha nichts auf diese Bemerkung? Hatte sich damals schon in ihre Seele die Eifersucht eingeschlichen?

Nein, Abu Hafs hatte seiner Gattin gewiss keinen Anlass dazugegeben. Aber Boreiha hatte selbst Augen im Kopf, um zu sehen, wie jung und wie schön Besbasa war. Und das nicht allein. Als die Amme erkannte, dass niemand in diesem Hause ihr etwas Übles antat, sie reichliches Essen bekam, eine weiche Bettstatt, man ihr ein geräumiges Zimmer anwies, dessen dicke Mauern die Hitze des Sommers abhielten, und dass man ihr keine andere Arbeit abverlangte als die Wartung der beiden Kinder, trat ihre urwüchsige, kindliche Fröhlichkeit hervor: sie sang bei jeder Arbeit, sang nahezu den ganzen Tag.

Hätte Abu Hafs ihr das verbieten sollen? Hätte er auf Boreihas Frage »Warum duldest du diese heidnischen Lieder in deinem Haus?« nicht antworten sollen: »Weil sie dem armen Wesen Heimat bedeuten, Vater und Mutter«, sondern zu Besbasa gehn und sagen: »Schweig! Der Singsang stört deine Herrin!«? Und hätte er den roten Stein (ein heidnisches Amulett, zweifellos, wahrscheinlich vom Zauberer ihres Stammes gegen den bösen Blick angefertigt und der einzige Besitz, den sie aus dem väterlichen Zelt mitgebracht hatte) ihr wegnehmen und ins Meer werfen sollen, wie er es in der ersten Aufwallung seines Zornes tun wollte, als er das Teufelszeug auf der Brust seines Kindes entdeckte? Damals, in seiner Empörung, hatte er schon mit der Hand zum Schlag gegen sie ausgeholt - aber dann war das Unbegreifliche geschehen. Sie hatte sich vor diesem Schlag nicht geduckt, sondern war näher getreten und hatte ihm ins Auge gesehen. Ihr Blick durchfuhr ihn wie ein Blitz, und er wusste mit einem Mal, dass sie sich sehnte nach einer Berührung seiner Hand, und sei es durch einen Schlag. Aber Allah hatte ihm die Kraft geschenkt, den Arm ganz langsam sinken zu lassen, ohne ihn um ihre Schulter zu legen, und hatte ihn angesprochen mit den Worten des Korans, die in der Sure »Die Buße« stehen: »So einer der Götzendiener dich um Zuflucht angeht, so gewähre ihm Zuflucht, auf dass er Allahs Wort vernehme.« Wie ein Vorwurf hatte das geklungen, und er wusste, dass nicht Besbasa, sondern er selber Zorn verdiente, weil er nichts unternommen hatte, um sie aus dem Zustand der Verblendung und Unwissenheit herauszuführen. Deshalb sagte er zu Boreiha: »Gib dich mehr ab mit der Amme deines Sohnes. Lehre sie unsere Sprache, damit sie die Gebote Allahs und unsere Gebete an ihn verstehen lernt.« Und Boreiha kam diesem Auftrag gewissenhaft nach, obwohl ihr das innere Widerstreben deutlich anzumerken war.

Wäre es seine Pflicht gewesen, diese Unterweisung selbst in die Hand zu nehmen? Sicherlich nicht, da hierdurch der Versuchung nur Tür und Tor geöffnet worden wären. Aber dass er dann auf einen Streifen Pergament die Worte Ibrahims niederschrieb: »Mein Herr, wende mich und meine Kinder ab von der Anbetung der Götzen! Mein Herr, siehe, irreführten sie viele Menschen, aber wer mir folgt, der gehört zu mir, und wer sich gegen mich auflehnt, dem wollest du, Barmherziger, verzeihen!«, und dass er mit diesem Pergamentstreifen den roten Stein umwickelte und der Amme zurückgab - das war doch kein Unrecht! Hätte sonst Besbasa selbst den Stein entfernt und dem Kleinen nur den Streifen mit den heiligen Worten auf die Brust gebunden? Und wäre das Kind unter ihrer Pflege so sichtbar gediehen? Nein, auch Besbasa gegenüber war er sich keiner Schuld bewusst. Nachdem Muhammad abgestillt war, hatte er ihr die Freiheit schenken und sie verheiraten wollen. Aber mit Tränen in den Augen hatte sie ihn gebeten, sie zu behalten. Wer konnte es ihm da verargen, dass er ihr diesen Wunsch erfüllt hatte? War sie doch dem Hauswesen nützlich wie keine Zweite, hatte der alten Bischa alle Künste in Küche und Garten abgesehen und war nach deren Tod an ihre Stelle getreten.

Und wäre etwa ihrem Sohn mehr damit gedient gewesen, in die Hände eines Stiefvaters zu geraten, als von ihm, Abu Hafs, erzogen zu werden? Wuchs er nicht neben dem Milchbruder auf wie ein Sohn des Hauses?

Genoss er nicht mit ihm zusammen den Unterricht, den Abu Hafs den Knaben selber erteilte? Und war der Lehrer nicht sogar noch strenger mit dem eigenen Sohn als mit dem der Amme? Denn Welid fasste zwar langsam auf, war aber um so gewissenhafter, alle Koranstellen genauestens auswendig zu lernen, während Muhammad spielend begriff, sich aber dann die Stellen nicht sorgfältig genug einprägte und eigene Worte unter die heiligen mischte. Darin jedoch verstand Abu Hafs keinen Spaß, und der Riemen hing nahe bei seiner Hand. Wer aber konnte ihm nachsagen, dass er jemals eines der Kinder ohne Grund geschlagen oder einen Sklaven ungerechtfertigt hätte züchtigen lassen? Kommt nicht Strenge, die mit Gerechtigkeit gepaart ist, allen zugute, ist nicht Zuchtlosigkeit, wo immer sie einreißt, ein Fluch, unter dem die Zuchtlosen selber stöhnen?

Darum sind dem Propheten (Allah schenke ihm Gnade in Ewigkeit!) die gerechten Strafen für alle Arten von Missetaten offenbart worden: für Unzucht Geißelhiebe, für Ehebruch Steinigung, für Diebstahl das Abhauen der rechten Hand. Doch in seiner Barmherzigkeit hat Allah verfügt, dass derjenige, der den Ehebruch eingestellt und bereut, nicht verfolgt werden soll, wenn es ihm gelänge, sich den Steinwürfen durch die Flucht zu entziehen.

Wie aber, wenn ein Dieb reuig und geständig ist - soll man ihn ebenso schonen?

Geständig war der Mann gewesen, in dessen Scheune man das gestohlene Gut gefunden hatte, und reuig dazu. Deshalb hatte der Kadi, ehe er sein Urteil fällte, Abu Hafs um ein Gutachten darüber gebeten, ob nicht auch in diesem Falle die Strafe gemildert werden könnte. Der Mann habe zwölf Kinder.

Doch weder im Koran noch in den einwandfrei überlieferten Aussprüchen des Propheten hatte Abu Hafs ein Wort gefunden, das zur Milderung der Strafe bei Diebstählen hätte herangezogen werden können. Wohl aber in der Sure »Das Licht« die Stelle: »Wenn es um die Gebote Allahs geht, lasst euch nicht von Mitleid erfassen.« Und der Mann hatte seine rechte Hand verloren. Auf einmal wusste Abu Hafs, dass dieses es war, was ihm den Schlaf raubte. Hatte er doch von seinen Freunden erfahren, dass der Unselige am Blutverlust gestorben war.

Nun, war das nicht ein Beweis dafür, dass Allah das Gutachten Abu Hafs’ bestätigte? Denn wenn der Allmächtige die Strafe hätte gemildert haben wollen, hätte er den Mann doch am Leben gelassen!

Sind die Geißelhiebe zu zählen, die nach Erlass des göttlichen Gebotes auf die Unzüchtigen niedergefallen sind, die Steinwürfe, die die Ehebrecher getroffen haben? Die Köpfe der Wegelagerer und Aufrührer, die Arme der Diebe, die das Schwert des Nachrichters vom Rumpf getrennt hat? Doch wenn keine Gerichtsbarkeit die Verbrecher in Schranken hielte, um wie viel mehr Grausamkeiten und Bluttaten würden geschehen, und nicht gegen Übeltäter, sondern gegen Unschuldige?

Und nun soll ihn, Abu Hafs, Unruhe erfassen, weil er sich auf diese Gebote gestützt hatte?

»Wenn es um die Gebote Allahs geht, so befrage den heiligen Koran. Wenn es aber um dein Gewissen geht, so befrage dein Herz!« Abu Hafs fuhr zusammen und machte unwillkürlich mit der Hand eine Bewegung zu seinem Herzen hin. Wie - war er doch eingeschlafen, und hatte er soeben geträumt? Oder hatte wirklich jemand gesprochen? Wieder wandte er sich Boreiha zu und betrachtete sie lange. Das fahle Licht des Mondes, das durch die Fensteröffnung fiel, war gerade hell genug, dass er sehen konnte, wie sich die auf ihr liegende Decke von ihren Atemzügen senkte und hob. Aber ihr strenger blasser Mund war fest geschlossen, und die Worte, die er gehört hatte, stammten auch kaum aus ihrem Gedankenschatz.

Schweiß brach ihm aus. Es hielt ihn nicht mehr im Bett. Leise stand er auf und trat ans Fenster.

So klein die Öffnung war, verband sie doch den Raum mit Himmel und Erde, mit Wasser und Land, weil sie den Blick auf die Gestirne freigab, und auf alles, was in ihrem Lichte sichtbar wurde: die Umrisse der Eichen auf dem gegenüberliegenden Hang und das tanzende Spiegelbild der Mondsichel auf den durch einen leichten Wind bewegten Wellen des Flusses.

Dieser Wind, der vom Meer landeinwärts strich, trug ihm auch das Rauschen der Bäume zu, und während Abu Hafs ihm lauschte, wusste er, was sein Herz zu ihm sagte: »Streng bist du mit ändern gewesen, aber die eigenen Pflichten hast du nur lässig erfüllt.«

Worauf bezog sich das? Doch nicht auf Gebet und Fasten? Niemals, seit er als Kind dazu herangezogen worden war, hatte er die vorgeschriebenen Zeiten versäumt. Niedergeworfen hatte er sich täglich morgens, mittags und abends, and nie hatte er das getan, ohne sich nach Vorschrift Gesicht und Arme, Füße und Beine gewaschen zu haben. Denn der Schlüssel zur Hingabe ist das Gebet, aber der Schlüssel zum Gebet ist die Reinigung. Und hatte er jemals im Monat Ramadan (der geheiligt ist, seit in ihm der Engel Gabriel dem Propheten die erste Verkündigung gebracht hatte), einen Bissen zum Munde geführt, solange seine Augen im Lichte des Tages einen schwarzen Faden von einem weißen unterscheiden konnten? Bei Gottes Erbarmen, das er dereinst zu finden hoffte - nie hatte er dieses Fastengebot gebrochen! Was also dann hatte er versäumt?

Am Heiligen Krieg gegen die Ungläubigen hatte er nicht mit dem Schwert teilgenommen. Aber der Beherrscher der Gläubigen braucht dafür auch nicht Männer der Wissenschaft, sondern waffenerprobte Krieger, und die Gelehrten haben gegen die Ungläubigkeit einen anderen Kampf auszufechten, der freilich nicht minder wichtig ist, sonst hätte nicht der Hochgelobte nach unbezweifelbarer Überlieferung gesagt: »Am Tage der Auferstehung ist die Tinte der Gelehrten gleich dem Blute der Märtyrer.« Und wie viel Tinte war nicht schon zur Verteidigung der Glaubenslehre und ihrer Gebote aus seiner Feder geflossen!

Almosen? Hatte er nicht die Almosensteuer, bei der so viele Hinterziehungen Vorkommen, immer redlich entrichtet, und war jemals ein Bettler ungespeist von seiner Türe gewiesen worden? Abu Hafs presste die Stirn an die Fensteröffnung, und der Nachtwind griff nach seinen Haaren. Am Himmel zeigte sich der erste Streifen des heraufdämmernden Tages. Da warf er sich zu Boden.

»Du Herr des Ostens und des Westens«, betete er, »es gibt keinen Gott außer dir! Du spaltest die Finsternis, damit der Tag daraus hervorbreche, und den Dattelkern, damit die Palme daraus sprosse. Spalte auch mein Herz, damit die Erkenntnis dessen, worin ich gefehlt habe, zum Vorschein komme, und sage mir, was ich tun soll!«

Wie lange er danach in schweigender Hingabe ausgestreckt lag - ob er das Verblassen des Mondes wahrnahm, das Erwachen des Morgens, den die Vögel mit lauten Stimmen willkommen hießen — wer könnte es sagen. In seinem Herzen wurde nur eine Stimme laut, die sich weder zum Schweigen bringen noch übertönen ließ: »Die Wallfahrt! Du hast noch niemals eine Wallfahrt zu den heiligen Stätten unternommen!«

Als Abu Hafs sich endlich erhob, sah sein Gesicht grau und verfallen aus. Alle Gefahr und Mühsal der Reise erstand vor seinem Auge: die gefährliche Überfahrt, der beschwerliche Landweg über Berg und Tal, durch Wälder und Wüsten zu Pferde! Vier Monate im Sattel!

Wie viele schon sind zu Fuß gegangen?

Aber mein Bart beginnt bereits grau zu werden.

Wer hat dich denn daran gehindert, die Reise zu unternehmen, als er noch schwarz war?

Und die Kinder? Wer wird sie unterrichten?

Es wird sich ein Lehrer finden lassen.

Meine Töchter sind noch nicht verheiratet.

Das hat Zeit, bis du wiederkommst.

Und die Wegzehrung? In diesem Jahr, wo die Ernte kaum für die Hausgenossen ausreicht und nichts übrig bleibt, was man zu Geld machen könnte!

Weißt du, wie bald dir die letzte Reise bevorsteht? Wo willst du für sie dann die Wegzehrung hernehmen?

Nein, ein Ausweichen gab es nicht mehr.

So behutsam, wie er sich von seinem Lager erhoben hatte, legte er sich in seinen Kissen wieder zurecht. Und nun, da er mit seinem Herzen ins reine gekommen war, fand er endlich auch Schlaf.

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Abu Hafs ließ kein Wort laut werden von seinem Entschluss. Warum die Frau, die Kinder und das Gesinde beunruhigen, ehe es notwendig war? Es blieb ihm ja noch ein Vierteljahr Zeit, sein Haus zu bestellen und das notwendige Reisegeld zu beschaffen. So lange wenigstens sollte Boreiha sich keine Sorgen machen müssen.

Wenige Tage, nachdem Abu Hafs seinen Entschluss gefasst hatte, betrat ein Bettler den Gutshof der Burg Thorosch. Er sah so zerlumpt aus, dass die Hunde wie rasend bellten und Besbasa ihn sicherlich gar nicht eingelassen hätte, wenn nicht ihr Herr zufällig gerade in Hörweite gewesen wäre und sie befürchtet hätte, gescholten zu werden.

So gab sie ihm den Rest der Fischsuppe, der vom Mittag übrig geblieben war - man aß viel mehr Fisch als in anderen Jahren, das Meer wenigstens versagte den Menschen seine Ernte nicht -, und der Bettler löffelte so gierig wie einer, der seit Tagen nichts Ordentliches gegessen hat.

Besbasa hoffte, er werde sich nach der Mahlzeit erheben und seines Weges gehn. Aber er blieb mit untergeschlagenen Beinen stumm und reglos am Boden sitzen, und sie brachte es nicht über sich, ihn aufzuscheuchen. Erst als Abu Hafs selbst gegen Abend die Küche betrat, erhob er sich. Der zerfetzte Leibrock schlotterte lose und schmutzig um seine Hüften, und der Turban, dessen Farbe nicht zu bestimmen war, rutschte ihm fast vom Kopf, als er sich verneigte, aber sein Gesicht, nicht alt und nicht jung, war scharf geschnitten, und die Augen verrieten Verstandeskraft.

»Wer bist du?« fragte Abu Hafs.

»Ein Sohn des Weges«, antwortete der Zerlumpte bescheiden.

»Da bist du wohl schon lange auf Reisen?«

»Ja.«

»Kommst du übers Meer?«

»Ja.«

»Willst wohl heute noch weitergehn?«

»Nein.«

Mehr als ja und nein war nicht aus ihm herauszubringen. Muhammad und Welid kamen hinzugelaufen. Neugierig musterten sie den Seltsamen, tasteten ihm mit Blicken seine Geheimnisse ab. Ein Pilger, der auf der Bückreise vom Grab des Propheten von Räubern überfallen worden ist? Ein Kaufmann, der Schiffbruch erlitten hat? Ein Sklave, der seinem Herrn entflohen ist? Ein Verbrecher auf der Flucht vor dem Galgen? O wie viele Möglichkeiten des Erlebens und Erleidens hält doch das Schicksal für die Menschen bereit!

Abu Hafs aber merkte, dass der vor ihm Stehende zu Tode erschöpft war. »Mach ihm ein Lager zurecht, Besbasa«, sagte er. Und, zum Bettler gewandt: »Schlaf dich aus von deiner langen Reise, du Sohn des Weges.«

Drei Tage blieb der Bettler im Hause von Abu Hafs, und niemand bedrängte ihn. Er nahm teil an den Mahlzeiten und den Gebetsübungen des Gesindes, seine Stimme, die erst nur ganz gedämpft geklungen hatte, übertönte schließlich die aller anderen. Am Morgen des vierten Tages ging der Bettler zu Abu Hafs. »Ich danke dir für Speise, Trank und Herberge«, sagte er. »Ich bin nun so gestärkt, dass ich meinen Weg fortsetzen kann.«

Abu Hafs ließ einen Leibrock aus seinem Kleidervorrat holen und reichte ihn dem Abschiednehmenden. »Zieh deine Lumpen aus«, sagte er, »du bist nicht immer in ihnen gegangen, das sieht man dir an.« »Da hast du recht, Herr«, antwortete der Bettler, griff jedoch nicht nach dem Geschenk. »Aber man soll dem Verlorenen nicht nachtrauern. Von Wert ist nur das Unverlierbare.«

Diese Worte machten den Hausherrn aufhorchen. Wer war nur der seltsame Mensch?

»Könntest du nicht«, fragte er, »noch ein paar Tage hierbleiben? Ich habe einige Geschäfte anzuwickeln, die mich über Land führen, und von meinen Sklaven vermag keiner, meinen Sohn und seinen Milchbruder im Koranhersagen abzuhören. Meine Gattin aber ist unpässlich.« Und als der Gefragte nicht gleich antwortete, setzte er hinzu: »Oder verstehst auch du nicht zu lesen und zu schreiben?«

Da lächelte der Sohn des Weges in einer unnachahmlichen Weise. »Ich habe zu Füßen des zweiten Meisters gesessen«, antwortete er.

»Meinst du damit den Scheich aus Farab, Abu Naßr, der in Halab lehrt? Den habe ich rühmen hören, er führe das Leben eines Sufi - ein reines, fleckenloses Leben.«

»Ja, al-Farabi war mein Lehrer. Mit ihm bin ich von Halab nach Damaskus gereist. Dort haben wir ihn begraben.«

Da wusste Abu Hafs, dass Allah ihm diesen Mann ins Haus geschickt hatte, damit die Knaben nicht ohne Unterricht blieben, wenn er auf die Wallfahrt ging.

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Gleich die erste Lektion, die Muhammad und Welid von ihrem neuen Lehrer erhielten, beeindruckte sie tief. Jachja ben Jezid - so ließ er sich nennen - hatte auf Wunsch Abu Hafs’ ein Bad genommen, sich Haare und Bart mit Ambra durchduftet und war kaum wiederzuerkennen in dem guten Gewand, das ihm wie angegossen am Leibe saß. Die Knaben musterten ihn scheu. Seine Stirnhaare waren noch tiefschwarz, Bart und Schläfenlocken aber schon etwas angegraut, Gestalt und Wangen hager, die Nase schwang sich in kühnem Bogen aus dem Gesicht, die Augen glänzten in dunklem Feuer.

»So habe ich mir einen Scheich vorgestellt«, flüsterte Welid.

»Er muss ein echter Araber sein«, gab Muhammad zurück, wagte aber nicht, Jachja ben Jezid nach seiner Abstammung zu fragen.

Sie waren bei der Wiederholung der Sure »Das Gericht« angelangt, und der Lehrer trug sie erst selber vor, ehe er sie die Schüler abfragte. Aber wie er sie vortrug! Nicht etwa eintönig leiernd, wie der Vorbeter in der Moschee, und auch nicht mit so lauter, jedes Wort wie ein Hornsignal herausstoßender Stimme, wie es Abu Hafs’ Art war, sondern in abwechslungsreicher, frei schwingender Melodie, leiser die erzählenden Teile, eindringlicher die ermahnenden.

»Am Tage des Gerichts,

wenn die Menschen ein Nichts

sind, gleich Motten, die verstreut am Boden liegen,

und die Berge zittern und sich biegen

wie Wolle, durch die der Kamm fährt,

will ich eure Taten wiegen.

Und wenn deine Schale sinkt, darfst du ins Paradies eingehn,

doch wenn deine Schale steigt, ist es um dich geschehn.

Kannst du ermessen die Qual: Lodernde Flammen

schlagen über dir zusammen!«

Als er geendet hatte, standen seine Augen voll Tränen. Er wischte sie mit dem Handrücken weg und sagte: »Ich schäme mich ihrer nicht. Gott ist den Menschen näher als ihre Halsschlagader.«

Am Abend dieses Tages lagen die Knaben noch lange in ihren Betten wach. Sie löschten die Öllampe, aber sie unterhielten sich flüsternd miteinander. Mitten in einem Satz unterbrach sich Muhammad, und ganz unvermittelt entfuhren ihm die Worte: »Sag, Welid, hältst du meinen Vater für einen großen Gelehrten?«

Welid war so verblüfft über diese Frage, dass er nicht antworten konnte. Nie wäre es ihm eingefallen, dergleichen auch nur zu denken. Gab es doch für ihn keinen Menschen, vor dem er eine solche Ehrfurcht hatte wie vor Abu Hafs. Stumm starrte er vor sich hin.

»Ich weiß, was dir durch den Kopf geht«, sagte Muhammad nach einer Weile.« Auch ich zweifle nicht daran, dass mein Vater ein gewissenhafter und gründlicher Forscher ist - aber warum ist sein Unterricht so langweilig, dass ich nur lernte, weil ich mich vor seinem Riemen fürchtete?«

»Allah verzeihe dir«, gab Welid zurück. Da versetzte ihm Muhammad einen Stoß, dass er fast aus dem Bett fiel. »Sei kein Heuchler, dir ging es ebenso.« Welid musste es eingestehn.

Sie schwiegen eine Weile. Dann sagte Welid: »Ich glaube, dass Jachja ein Heiliger ist.« Und Muhammad widersprach nicht.

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Abu Hafs größte Sorge war, sich für die Reise das nötige Geld zu beschaffen. Das war in diesem Jahr schwer genug. Zwar hatte er so viel geerntet, dass sein Haushalt über den Winter mit dem Notwendigsten versehen war, aber auch nicht um ein Geringes mehr. Das Futter reichte nicht für den gesamten Viehbestand, man würde mehr Rinder und Schafe schlachten müssen als in andern Jahren. Aber man benötigte das Fleisch auch dringend, um die übrigen Vorräte zu ergänzen. Verkaufen könnte man wohl einige Pferde - aber wer sollte sie kaufen? Ringsum in den Ländern der Gläubigen war die Erde genauso verbrannt und das Futter ebenso rar wie in Andalus, und mit den christlichen Barbaren war der Handelsverkehr gering. Was auch sollte man von ihnen holen? Stellte man dort etwa Gewebe her so fein wie in Persien oder Schwerter, wie jene, die in Damaskus aus indischem Stahl geschmiedet wurden? Oder wuchsen Gewürze dort wie auf den Inseln des Ostmeeres oder Pflanzen, aus denen man Duftstoffe gewinnen konnte wie aus denen Arabiens?

Sklaven konnte man von ihnen einhandeln - ihre Kriegsgefangenen verkauften die Franken gern in die Sklaverei. Und Eunuchen musste man sich dorther besorgen, da der Prophet diese Verstümmelung des Menschen verbot. Es hieß, dass die Christen in Prag und Verdun solche Anstalten unterhielten, weil für einen Verschnittenen das sechs- bis zehnfache dessen gezahlt wird, was ein gewöhnlicher männlicher Sklave einbringt.

Das Blut stieg Abu Hafs zu Kopf, als er darüber nachdachte. Der Prophet (Gott segne ihn!) hatte diese Verstümmelung der Männer verboten und Isa ben Mariam die Vielweiberei. Die Christen also benötigten keine Eunuchen, und die Moslems durften keine erzeugen. Also kauften die Moslems die Eunuchen bei den Christen, und diese erzeugten sie für die Moslems. Keiner hatte dabei die Gebote seiner Religion übertreten, und doch hatte der Teufel sein Geschäft gemacht! Heißt es aber wirklich, ein Gebot halten, wenn man Unwissende und Ungläubige dazu veranlasst, es zu übertreten? Müssten nicht die Anstalten in Prag und Verdun ihre Tore schließen, wenn keine Nachfrage nach ihrer Ware bestünde?

0 ihr Gläubigen, wie soll nicht Allah eure Länder versengen, vielleicht, dass ihr euch mahnen ließet, seine Gebote dem Sinn und nicht nur dem Wortlaut nach zu erfüllen! Denn Sklaven und Eunuchen würde nun wohl kaum jemand einführen - wer auch konnte neue Esser gebrauchen?

Also war es aussichtslos, die Pferde zu verkaufen. Und darum mussten sie über den Winter gebracht werden. Man schlachtet nicht Renner der besten andalusischen Zucht.

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Während Abu Hafs in seinen Geschäften unterwegs war, unterrichtete Jachja die Knaben. Nicht nur den Koran brachte er ihnen bei, auch Algebra und sogar Musik lernten sie bei ihm.

Dem Spiel der Zahlen konnte Welid nicht so viel abgewinnen wie Muhammad, der die schwierigsten Aufgaben rasch überblickte, während Welid sich, langsam rechnend, zu den Ergebnissen durchquälen musste. Auch die Musik erläuterte Jachja ihnen durch die Gesetzmäßigkeit ihrer Zahlen, mit der sie sich in die Schöpfungsordnung einfügt: Eine Saite, die bei gleicher Stärke doppelt so lang ist wie eine andere, muss einen Ton ergeben, der, obgleich tiefer, mit dem der ändern in eins zusammenklingt, während sich die Töne aller ändern Saiten zu diesen beiden wie Freunde oder wie Feinde verhalten. Und wieder war es Muhammad, der als erster begriff, dass den Tönen Höhe und Tiefe vorgeschrieben sind wie den Sternen ihre Bahnen und dass Musik nicht nur zu hören und zu empfinden, sondern auch in ihrer geistigen Bedeutung zu erfassen ist.

Doch wenn es galt, die Lautengriffe zu erlernen, wenn es galt, Lieder vorzutragen, dann, tat Welid sich hervor. Er hatte die Sangesfreudigkeit von seiner Mutter geerbt, und seine Stimme klang schon voll und männlich, während Muhammad, dessen Stimmbruch sich erst vor nicht allzu langer Zeit vollzogen hatte, die Töne nur zaghaft von sich gab.

Abu Hafs erschrak, als er erfuhr, dass Jachja sich vom ersten Geldgeschenk, das er ihm gemacht hatte, eine Laute kaufen wollte.

»Musik ist eine List des Teufels«, sagte er, »der damit die Menschen von den Gedanken an Allah ablenken will.«

Jachja war um eine Entgegnung nicht verlegen. »Wer sie aber erklingen lässt zum Lobpreis der Allerhöchsten, kann damit den Teufel selbst überlisten.« Er musste versprechen, sein Instrument zu nichts anderem zu gebrauchen als zu diesem Lobpreis, und damit gelang es ihm, Abu Hafs’ Gewissen zu beruhigen. Zu den Knaben aber sagte Jachja: »Ist nicht das Loben der Geschöpfe zugleich auch ein Preisen ihres Schöpfers?« Und sie stimmten ihm eifrig zu. Trotzdem sangen sie nur in Abu Hafs’ Abwesenheit so weltliche Lieder wie »Ihre lange Schleppe zog die Nacht« oder »Mich wundert, dass das Herz so viel ertragen kann« - es war wie eine stillschweigende Übereinkunft.

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Endlich hatte Abu Hafs alle Vorkehrungen zu seiner Reise getroffen: Er hatte einen Obstgarten verkauft und, da das Geld nicht ausreichte, eia Darlehen aufgenommen. Zu diesem Zweck war er in Cordoba gewesen, hatte erfahren, an welchem Tage sich die Mekka-Pilger in Algeciras zur Überfahrt versammeln sollten, und hielt nun die Zeit für gekommen, den Hausgenossen seinen Entschluss mitzuteilen.

So waren, als er in Thorosch einritt, seine Bewegungen noch gemessener als sonst und seine Miene noch ernster und würdevoller. Schon die Knechte, die herbeieilten, um ihm vom Pferde zu helfen, spürten, dass etwas Wichtiges bevorstand. Aber er sprach nur einige belanglose Worte mit ihnen und ging in seine Gemächer.

Boreiha war zu seiner Begrüßung nicht in den Hof heruntergekommen. Er liebte es nicht, seiner Frau zu begegnen, ehe er sich vom Staub und Schweiß der Reise gereinigt hatte. So suchte er sie erst kurz vor dem Abendgebet auf.

Dann aß er mit seiner Familie zusammen. Auch Welid war, wie gewöhnlich, zugegen. Die beiden Töchter hängten sich an den Vater und wichen nicht von seiner Seite. Boreiha und Muhammad saßen ihm gegenüber.

Er hatte sich mit untergeschlagenen Beinen auf seinem Kissen niedergelassen, sein schon etwas schütter gewordenes, leicht ergrautes Haar duftete nach Veilchenöl und Ambra. Und ein sonst an ihm ungewohnter Glanz lag über seinem Gesicht.

Es war sehr still. Keines der Kinder traute sich, in Gegenwart des Vaters ein Wort zu sprechen, wenn es nicht gefragt wurde. Und Abu Hafs schwieg. Aber als er aller Augen erwartungsvoll auf sich gerichtet fühlte, räusperte er sich in der für ihn eigentümlichen Art und sagte, lang und betont jedes Wort aussprechend: »Es ist Allahs Wille, dass ich in diesem Jahr auf die Wallfahrt gehe.«