Die Bronx. Harlem. Mehr als 2000 Morde pro Jahr. Nicht gerade das, was Michael Forsythe, illegal aus Belfast eingereist, sich von New York erhofft hat. Aber als Neuling in der irischen Street Gang des mächtigen Darkey White macht Michael sich gut. Jung, clever, mit wenig Skrupeln, erwirbt er sich schnell Darkeys Vertrauen. Bis er sich mit dessen Freundin einlässt. Was jetzt gegen Michael in Gang gesetzt wird, ist teuflisch – und bedeutet seinen sicheren Tod. Doch Darkey hat Michael unterschätzt: seine Zähigkeit und seinen eisernen Willen, sich an allen zu rächen, die ihn verraten haben.

Der sichere Tod, Auftakt zur preisgekrönten Dead-Trilogie von Adrian McKinty, wurde von Booklist zu einem der zehn besten amerikanischen Krimis des Jahres gewählt.

»Die umwerfende Dead-Trilogie mit ihrem un-fucking-verwüstlichen Anti-Helden Michael Forsythe zeigt McKinty als einen Meister des heutigen Noir, auf Augenhöhe mit Dennis Lehane und James Ellroy.« The Guardian

Adrian McKinty, geboren 1968, wuchs in der Nähe von Belfast auf. Nach seinem Studium an der Oxford University übersiedelte er nach New York. Sechs Jahre lebte und arbeitete er in Harlem, u. a. als Wachmann, Vertreter, Rugbytrainer und Buchhändler. Heute wohnt er mit seiner Familie in Melbourne.

Zuletzt sind im suhrkamp taschenbuch erschienen: Die verlorenen Schwestern (st 4595), Die Sirenen von Belfast (st 4612), Der katholische Bulle (st 4523), Ein letzter Job (st 4430), Todestag (st 4277) und Der schnelle Tod (st 4232).

ADRIAN McKINTY

DER SICHERE TOD

Roman

Aus dem Amerikanischen von
Kirsten Riesselmann

Suhrkamp

Die Originalausgabe erschien 2003 unter dem Titel

Dead I Well May Be

bei Scribner, einem Imprint von Simon & Schuster, Inc.

Copyright © 2003 by Adrian McKinty

ebook Suhrkamp Verlag Berlin 2015

© der deutschsprachigen Ausgabe

Suhrkamp Verlag Berlin 2010

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Umschlag: HAUPTMANN & KOMPANIE Werbeagentur, Zürich

Umschlagillustration: Peter Dyer

eISBN 978-3-518-73840-5

www.suhrkamp.de

Und wenn du kommst, wenn alle Blumen welken,
Und ich bin tot – denn tot könnt’ ich wohl sein …

F. E. Weatherly, »Danny Boy«, 1910,
nach der Melodie von »The Londonderry Air«
(Trad.)

PROLOG: BELFAST-KONFETTI

Niemand war tot. Da hatten sie tatsächlich mal richtig rechtzeitig gewarnt, und es hatte keine Opfer gegeben. Wir waren vor Ort, als schon alles vorbei war, und nachdem auch die Kriminaltechniker fertig waren, lüfteten die Polizisten das gelbe Absperrband und ließen uns durch. Wir trugen Fensterscheibe für Fensterscheibe von den Lastern zu den Vorarbeitern und den Bauarbeiterkollegen, die sie mit Gabelstaplern hoch zu den Zimmermännern auf den Kränen und Arbeitsbühnen hievten.

Wir stiegen die Treppe hoch, zogen unsere Handschuhe an und luden die Paletten ab. Dann holten wir Luft und sahen uns um.

Die graue Gewissheit eines Dezemberhimmels. Die klaftertiefe Eiseskälte der erstarrten Bucht. Seeregen und Torfrauch zogen über die Werften und die Stadt.

Wir gingen zurück zu den großen LKWs und schleppten noch mehr der schon vorgeschnittenen Glasscheiben weg, die sicher umwickelt in Segeltuch und Plastikfolie auf der Ladefläche lagen und anscheinend schon seit langem auf ein Ereignis wie das hier gewartet hatten.

Die Finger schmerzten, der Rücken auch.

Wir arbeiteten hart, tranken Wasser und rauchten, und ein Mann brachte uns Bier und Hühnchensalat-Sandwiches von Marks & Spencer.

Jemand hatte mal wieder das Europa-Hotel bombardiert. Zwar war niemand zu Tode gekommen, aber dafür waren im Umkreis von fünfhundert Metern alle Fenster raus. Von so was träumt jeder Glaser. Die Bullen schoben Überstunden, die Armee war auf Streife, und die Journalisten jagten den besten Bildern für die Morgenblätter nach. Fernsehteams, Radioreporter, Fotografen, die hereinbrechende Dunkelheit, die wie Diamanten glitzernden Glasscherben auf den bleigrauen Straßen.

Wir schufteten und quatschten.

Nebel war vom Cave Hill und vom Black Mountain heruntergesickert und ließ es im Gewirr der Gassen von Sandy Row kalt und feucht werden. Wir hatten zu wenig an, und ein Polier gab uns Strickmützen und Schutzhelme, was ein bisschen half.

Vor ein paar Stunden erst hatten wir uns vor dem Wettbüro getroffen, als ein Mann meinte, er brauche ein paar fitte Typen, um Paletten mit Glas auf Laster auf- und wieder abzuladen. Die Bezahlung war fünfzig Pfund für den Tag und ein Bonus, wenn das Zeug heil blieb.

Alle, auch die amtlich Erwerbsunfähigen, hatten natürlich ja gesagt. Die Arbeitslosenquote lag bei fünfunddreißig Prozent, und der Mann hätte auch den halben Lohn bieten können – wir hätten trotzdem mitgemacht. Aber der Marktpreis spielte in diesem Fall sowieso keine Rolle, weil die Rechnung von der Versicherung des Europa bezahlt wurde, die dafür wiederum von der britischen Regierung entschädigt wurde, weswegen die Kosten am Ende des Tages an den Steuerzahlern in Surrey, Suffolk und Kent hängenblieben – und mal ehrlich: Wer irgendwo in diesen Gegenden wohnte, hatte nur kleine, übersichtliche Sorgen und konnte sich das problemlos leisten.

Der Nebel ließ uns leichtsinnig werden. Mehr als einmal legten wir uns die Hände um die Hälse und taten so, als würden wir von Jack the Ripper weggeschleift.

Die wahre Tragödie war natürlich nicht das moderne Europa-Hotel, sondern die Crown Bar auf der anderen Straßenseite, deren Bleiglasfenster und Gaslicht seit 1840 zum festen Inventar gehörten. Dieses Kleinod von einem Pub gehörte der Denkmalschutz-Organisation, die sie auch betrieb – und jetzt lagen die Meeresmotive, Schiffsanker und keltischen Schlingmuster der Fenster in Scherbenhaufen auf dem Bürgersteig.

Das Europa, »Europas meistbombardiertes Hotel«, war gerade erst neu mit Knautschzonen ausgestattet worden, die die Wucht von Explosionen abfangen sollten. Im ersten Feldversuch hatte es sich jetzt gut geschlagen: Bis auf die Fenster in den unteren Etagen, wo die Wucht des explodierenden gestohlenen Autos am größten gewesen war, war das gesamte Gebäude intakt geblieben.

Aber darüber würden sich die Glaser von Belfast nicht beschweren dürfen – Weihnachten stand vor der Tür, und der Zahltag der umliegenden Häuser würde genug abwerfen, um sich jede Menge Islay-Whisky, belgische Schokolade und italienische Schuhe leisten zu können. Und uns war’s egal. Es war ein Job, am Ende sprang Geld dabei raus, und wir hatten ordentlich was zu heben, was eine heikle Angelegenheit sein kann, wenn man nicht aufpasst.

Wir legten eine lange Glasplatte für eine Tür in der Hotellobby ab, und ein Mann von Associated Press machte einen Schnappschuss von uns, meinte, der sei gut geworden, und ging mit uns zusammen hinter die Polizeilinie zurück. Wir unterhielten uns ein bisschen. Er sagte, er sei aus Jacksonville, Florida, und könne nicht glauben, wie früh es hier dunkel würde. Ich – ich habe in der Schule Erdkunde gehabt – erklärte ihm, dass Belfast auf demselben Breitengrad liegt wie Moskau und die Alaska-Halbinsel und dass die Nächte im Sommer kurz sind, wofür man dann im Winter die Rechnung bekommt.

Daraufhin joggte der AP-Mann in die Redaktion des Belfast Telegraph. Die Jungs von der Armee sprangen in ihre Landrover und fuhren in die Kaserne zurück. Die Bullen gähnten und machten ihren Schichtwechsel, und die Menge, soweit man sie überhaupt so bezeichnen konnte, zerstreute sich und ging wieder anderen Beschäftigungen nach.

Als unser Bild am Abend auf der Titelseite des Telegraph erschien, mussten wir lachen. Da waren wir und bauten die stolze Stadt wieder auf, richteten das unverwüstliche Antlitz von Belfast wieder her. Die Schlagzeile verkündete: »Ihre Moral kann nicht gebrochen werden.«

Aye, unser verdammter Rücken aber schon, sagte ein Mann namens Spider.

Trotzdem stolzierten wir mit breiter Brust umher, als die Letzte der großen Scheiben sowie die Seitenfenster und die Bohlen für den Pub vom Lastwagen geladen wurden.

Wir arbeiteten, der Regen wurde schwächer, der Wind drehte, und wie wir so arbeiteten, legte sich eine Schicht aus Papierschnipseln, Splittern, Partikeln des Bombenautos, pulverisierten Ziegelsteinen und Glasstaub auf uns. Diese trostlosen Explosionsüberreste, die man heute in so vielen Städten gut kennt. Ein Gemisch aus Wortfetzen und Staub, das der Dichter Ciarán Carson »Belfast-Konfetti« nennt.

Die Fenster wieder einzusetzen würde Wochen dauern, aber das war Aufgabe der Profis. Unsere Arbeit war am Ende des Tages getan, als das Glas abgeladen war. Wir bekamen einen kleinen Bonus, weil nichts zu Bruch gegangen oder gestohlen worden war. Ein paar wollten die Knete für Weihnachtsgeschenke zurücklegen, aber die meisten von uns gingen auf ein, zwei Pints in die Mermaid Tavern.

Wir bestellten Guinness, tranken eine Runde nach der anderen und aßen Soleier und Irish Stew.

Weil ich vor dem späten Ladenschluss noch Einkäufe zu erledigen hatte, ging ich irgendwann. Ich kaufte ein paar Bücher und das neue Nirvana-Album. Für Oma besorgte ich einen Wintermantel. Seit der Rationierung während des Krieges war sie schokoladensüchtig, weswegen ich einem riesigen Riegel Toblerone nicht widerstehen konnte. Im Bus zurück traf ich Tommy Little, mit dem ich bei der Armee befreundet gewesen war – Tommy war dabeigeblieben und hatte es bis zum Unteroffizier gebracht, ich dagegen war rausgeworfen worden und ausgerechnet auf St. Helena im Bau gelandet, in einem ganz üblen, sturmumtosten Drecksloch, dessen anderer berühmter Insasse, Napoleon, unter mysteriösen Umständen gestorben war. Man könnte also sagen, ich bin noch mal glimpflich davongekommen. Wir lachten, und Tommy meinte, ich sei ja ganz ein Wilder, worauf ich sagte, er dagegen würde sicher bald General werden.

Dann umsteigen in einen anderen Bus, die Straße, der lange Weg den Hügel hoch. Nebel und Regen, wie immer und allzeit gegen einen verschworen.

Oma schaute Coronation Street im Fernsehen. Kein Problem, einen Mantel unentdeckt reinzuschmuggeln. Zu unserem späten Abendessen gab es Ulster Fry: Kartoffelbrot mit Speck und Sodabrot mit Eiern, alles aus der Pfanne.

Da sie eine Seifenoper nach der anderen geguckt hatte, hatte sie von der Bombe am Morgen noch nichts mitbekommen. Ich klärte sie auch nicht auf. Sie hätte sich nur aufgeregt. Stattdessen zog ich die Toblerone hervor, und Oma lachte fast vor Entzücken.

Ach, das wäre aber nicht nötig gewesen, sagte sie.

Ich konnte heute ein bisschen arbeiten, erklärte ich, dann machte sie den Tee, wir aßen die Schokolade, und ich half ihr, die letzten Kästchen in ihrem Kreuzworträtsel auszufüllen.

Das Feuer ging aus, die Dunkelheit wurde tiefer. Ich duschte und ging ins Bett. Um mich herum wurden die nächtlichen Geräusche im Haus und auf der Straße laut. Die Rohre, die im Wassertank auf dem Dachboden knackten. Die Hunde, die über die ganze Stadt hinweg Gespräche führten. Mrs. Clawson, die nur halbherzig schrie: Bist du schon wieder um die Häuser gezogen, alter Suffkopp?

Unter mir knarzten die Bohlen und Balken, als der Kamin die letzte Wärme des Feuers mit hinausnahm, das Haus auskühlte und die Dielen sich im Kälterwerden zusammenzogen.

Und weg war ich, fiel in tiefen Schlaf nach getaner, harter Arbeit …

Spät am nächsten Vormittag wartete ein Mann vom Sozialamt auf mich. Ein dicker Mann mit Brille, Tweedjackett, blauem Hemd, roter Krawatte und einem Klemmbrett, der ansonsten und unter völlig anderen Umständen möglicherweise ganz in Ordnung gewesen wäre. Auch ein kleiner, abgemagerter Typ mit fettigen Haaren hätte es getan, aber das hier war der harte Teil der Stadt, und er war dienstlich da. Er schlürfte Omas Tee und aß gerade das letzte Stück Toblerone. Ich setzte mich. Der Mann hatte Neuigkeiten.

Das Foto von mir im Belfast Telegraph hatte offensichtlich ausgereicht, das Sozialamt davon zu überzeugen, dass ich, obwohl ich Arbeitslosengeld bezog, durchaus nicht arbeitslos, sondern vielmehr eindeutig erwerbstätig war. Es war wirklich Pech, dass mein erster Anlauf seit Monaten, ein bisschen was dazuzuverdienen, gleich von Nordirlands auflagenstärkster Zeitung enthüllt worden war. Und dann auch noch auf Seite eins. Trotzdem. So gewitzt sind die Jungs auf dem Sozialamt eigentlich nicht, und ich hatte den Verdacht, dass sie das Bild nicht entdeckt hätten, wenn ihnen eine durchtriebene, neugierige Nachbarin nicht einen kleinen Hinweis gegeben hätte.

Was, wenn ich sage, dass ich das gar nicht bin?, schlug ich vor.

Sie wollen sagen, dass Sie das nicht sind?

Ich weiß nicht.

Na dann, sagte der Mann und rückte seine Brille zurecht.

Oma bot uns Tee an. Ich sagte nein, aber der Mann nahm sich eine Tasse und ein paar ihrer kleinen Pfannkuchen.

Wie alt sind Sie noch mal, Mr. Forsythe?, fragte er nach einer ganzen Weile.

Neunzehn.

Also kein Jugendlicher mehr. Ach du je, sagte er unheilverkündend.

Was genau habe ich Ihrer Meinung nach falsch gemacht?

Sie haben Arbeitslosengeld bezogen, während Sie auf einer Baustelle gearbeitet haben. Es tut mir leid, Mr. Forsythe, aber Sie werden vor Gericht müssen.

Ja, aber warum?

Wegen Sozialhilfebetrugs, Freundchen, sagte der Mann spöttisch …

Aber ich ging nicht vor Gericht. In der darauffolgenden Woche bekannte ich mich schuldig und verzichtete ein für allemal auf die Stütze. Ich war arbeitslos, schon seit über einem Jahr sogar, aber ab jetzt würde ich nie mehr irgendwelches Geld bekommen. Eine weitere Woche blies ich Trübsal. Oma konnte mich mit ihrer Rente nicht auch noch durchbringen, mir blieb also keine andere Wahl, als das zu tun, was ich nach Meinung meiner Kusine Leslie schon zwölf Monate früher hätte tun sollen: in Amerika für ihren Schwager zu arbeiten, der dort für Darkey White arbeitete. Darkey würde erst mal für mein Flugticket aufkommen, und ich würde ihm das mit geleisteter Arbeitszeit zurückzahlen.

Ich wollte nicht nach Amerika, und ich wollte auch nicht für Darkey White arbeiten. Ich hatte meine Gründe.

Aber ich flog.

1: WEISSBROT IN HARLEM

Ich öffne die Augen. Die Bahngleise. Der Fluss. Eine Wand aus Hitze. Die Geländer, die Straße und die gottserbärmliche Hässlichkeit der Häuser werfen das Sonnenlicht unerträglich weiß zurück. Dampf quillt aus dem Loch an der Ecke, wo die Fernwärmeleitung verläuft. Festgetretene Kaugummis und Graffiti-Tags auf dem Gehweg. Es stehen Leute auf dem Bahnsteig – Himmel, haben die wirklich Pullover und Wollmützen an? Überall Müll: Zeitungspapier, Essensreste, Kleidungsstücke, Softdrinkdosen, Bierdosen. Der Verkehr fließt zäh und grimmig. Aus schwindsüchtigen Busmotoren kommen Dieselschwaden. Hitze und Gift entweichen den Auspuffen der klobigen, zerbeulten Taxis ohne Zulassung.

Ich rauche. Ich stehe hier auf dem Hochbahngleis, schaue auf diesen ganzen ungeheuerlichen Albtraum hinunter und rauche. Meine Haut kann kaum atmen. Ich ringe nach Luft. Mein T-Shirt ist am Rücken schweißdurchtränkt. 38 Grad im Schatten, 90 Prozent relative Luftfeuchtigkeit. Ich beschwere mich über die Luftverschmutzung, die man dem Himmel über New Jersey ansehen kann, und rauche Camel-Zigaretten. Wie idiotisch.

Kleinigkeiten. Dominikaner auf der westlichen Straßenseite des Broadway. Schwarze auf der östlichen. Die Dominikaner tragen lange Baumwollhosen, Turnschuhe, Achselshirts und Goldkettchen. Die Schwarzen makellose blaue, gelbe oder rote T-Shirts zu kurzen Baggy-Jeans und die besseren Turnschuhe. Sie sind die Entspannteren hier, denn noch ist das ihre Gegend, noch sind die Dominikaner die Neuankömmlinge. Es ist wie in der scheiß West Side Story.

Tief in der Tasche meiner Baggy-Shorts spiele ich gedankenverloren mit der Sicherung meiner Pistole. Eine ziemlich dämliche Aktion, die ich schnell wieder sein lasse. Diese Jungs hier sind außerdem überhaupt nicht der Feind. Nein, der Feind ist, wie der Herrgott, ziemlich raffiniert, und er kommt aus unseren eigenen Reihen.

Ein paar Kids spielen Basketball ohne einen Korb. Frauen machen Besorgungen, ihre schweren Taschen ziehen sie nach unten; die Älteren schieben Einkaufswägelchen, die Jüngeren haben so gut wie überhaupt nichts an. Schöne Mädchen mit langen dunklen Beinen und verträumten Stimmen, die die einzigen himmlischen Klänge hier sind.

Natürlich hat Harlem sich verändert. Ich meine, ich spreche hier nicht von der 125. Straße von heute oder von vor fünf Jahren. Heute gibt es einen Starbucks. Multiplexe. Mediamärkte. Ein Ex-Präsident wohnt da. Das hier spielt, bevor Giuliani die Stadt (zweimal) gerettet hat. Wir haben 1992. In New York werden jedes Jahr gut zweitausend Leute umgebracht. Es gibt Bandenkriege. Crack-Morde. Die New York Times veröffentlicht einen Mordstadtplan von Manhattan, auf dem jeder Punkt für einen gewaltsamen Tod steht. Oberhalb des Central Park werden die Punkte dichter, und östlich und nördlich der Columbia-Universität verschwimmen die Punkte zu einem einzigen großen Fleck. Gestern erst ist genau an der Ecke hier jemand umgebracht worden. Ein Junge auf einem Fahrrad hat einer Frau in die Brust geschossen, als sie ihre Handtasche nicht losgelassen hat. Diese Typen da unten rennen alle bewaffnet durch die Gegend. Scheiße, wir rennen alle bewaffnet durch die Gegend. Den Bullen ist das egal. Was für Bullen überhaupt? Hat außer im Floridita schon mal jemand hier einen Polypen gesehen? Also, wir haben 1992. Bush der Erste ist Präsident, Dinkins Bürgermeister, Major Premierminister und Johannes Paul Papst. Laut der New Yorker Daily News wurden gestern in Belfast regnerische 13 Grad gemessen. Was für den Sommer dort nicht anders zu erwarten ist.

Mit einem Taschentuch wische ich mir den Schweiß von dem bisschen Buddha-Fett, das sich auf meinem Bauch angesammelt hat. Die Bahn wird nie kommen. Niemals. Ich wische auch unter den Armen. Ich trete die Kippe aus und widerstehe der Versuchung, mir gleich die Nächste anzuzünden. Schauen mich die Leute komisch an? Ich bin der einzige Weiße an der Station, und ich fahre nach Norden, Richtung Washington Heights, was, wenn man mal nüchtern drüber nachdenkt, schlichtweg wahnsinnig ist.

Die Typen mit den Wollmützen sind Westafrikaner. Ich habe sie schon häufiger gesehen. Immer sitzen sie vollkommen gleichmütig und gelassen da, plaudern über dieses und jenes und packen manchmal Dominosteine aus. Sie wollen downtown. Auf ihrer Seite gibt es keinen Schatten, die Sonne brennt auf sie runter, aber sie sind so entspannt wie nichts. Aus Koffern verkaufen sie auf der Fifth Avenue und dem Herald Square Armbanduhren an irgendwelche Dumpfbacken. Ich kenne ihren Anführer. Er ist erst seit vier Monaten in Nordamerika und hat schon eine zwölfköpfige Truppe zusammen. Ich mag ihn. Er ist höflich, ein schlaues Kerlchen und fährt nie aus der Haut. Ich würde ja für ihn arbeiten, aber er stellt nur Jungs aus Gambia ein. Falls Sie sich Gambia mal im Atlas angeschaut haben sollten: Das Land sieht ein bisschen komisch aus, was ich ihm gegenüber auch mal erwähnt habe, woraufhin er mir alles über die Briten, Kolonialismus, strukturelle Ausbeutung, die Frankfurter Schule und den ganzen Krempel erzählt hat. Wir sind gut miteinander klargekommen und haben gelacht, er hat sich eine Camel genommen, wollte mir aber trotzdem keinen Job als fliegender Händler von nachgemachten Markenuhren geben. Dabei ist es nicht so, dass sie alle miteinander verwandt sind – es scheint einfach eine Frage des Vertrauens zu sein. Er würde nicht mal Ghanaer einstellen. Ich kann das nachvollziehen. Würde es höchstwahrscheinlich ganz genauso machen. Heute kein Domino, sie reden nur. Auf Englisch, aber man versteht im Grunde kein Wort. Nein.

Ich stecke das Taschentuch wieder ein und versuche, einen Moment lang einfach nur zu atmen. Ich sehe mich um, atme. Die Autos. Die Stadt. Und wieder der Fluss: ordinär, stinkend, breit. Im Dunst fließen er und Harlem ineinander, verzweifeln gemeinsam. Niemand geht schwimmen. Natürlich nicht. Nicht mal die Bescheuertsten sind so bescheuert.

Ich schaue vom Wasser weg. Nicht zu glauben, wie viel Leerstand es in dieser Richtung gibt, wie viele Gebäude nur noch Gerippe, wie viele Dächer abgebrannt sind. Und weiter nach Osten, zum Apollo-Theater hin, wird es noch schlimmer. Man kann das alles sehen, weil man von hier oben, wo die Subway eine ganze Weile als Hochbahn fährt, eine gute Aussicht hat. Die 126. Straße etwa verläuft hinter dem klotzigen Adam-Clayton-Powell-Jr.-Verwaltungsgebäude, wo ich meinen Führerschein ausgehändigt bekommen habe und wo man Sozialversicherungskarten und solchen Kram kriegt. Man sollte denken, dass so ein Gebäude eine Top-Immobilie ist. Ist es aber nicht. Mindestens drei ganze Blocks weit ist von hier aus fast jedes Haus völlig runtergekommen. Und auf der 123., wo ich wohne … aber dazu später.

Ich gähne. Stelle mich auf die Zehenspitzen. Lasse den Kopf kreisen. Strecke mich träge.

Aye.

Früher oder später – es kann sich nur noch um Stunden handeln – wird die Bahn kommen und mich zur 173. Straße bringen, ich werde Scotchy treffen, der aus der Bronx runterkommt, und Scotchy wird sich verspäten und mir einen vom Pferd erzählen von wegen diesem Mädchen, mit dem er gerade was laufen hat. Dann werden Scotchy und ich einem Barkeeper unseren Willen aufzwingen, und im Anschluss lässt Scotchy, der geizige Dreckskerl, ganz vielleicht ein Taxi springen, das uns zu dieser anderen Bar auf der 163. bringt, wo wir etwas Ernsthafteres mit einem jungen Mann namens Dermot Finoukin zu besprechen haben. An einem Tag wie diesem zehn Blocks zu Fuß zu gehen würde mich quasi umbringen. Aber das Taxi wird es nicht geben: Scotchy wird uns zum Gehen zwingen. Ein kleiner Spaziergang tut dir gut, Bruce, wird er sagen. Ja, genauso wird’s laufen. Erst der Müll von Scotchy, dann der Müll von Dermot. Ich ganz auf mich allein gestellt. Abendessen bei KFC und ein Sixpack Bier für vier Dollar vom C-Town-Supermarkt. Schöne Scheiße.

Vor der Bodega redet ein schwarzes Mädchen mit den dominikanischen Jungs, und wie sich bei den Schwarzen und den Dominikanern auf den gegenüberliegenden Straßenseiten prompt die Nackenhaare aufstellen – Leonard-Bernstein-mäßiger geht’s echt nicht. Meine Fresse, eine Schießerei fehlt mir gerade noch. Mach einfach, dass die Bahn kommt, und wenn sie kommt, mach, dass die Klimaanlage funktioniert. Aber die Bahn kommt nicht, und ich schaue lieber weg von den Jungs – nicht dass die Polypen mich hinterher noch als Zeugen haben wollen.

Von der Haltestelle City College her erscheinen Lichter im Tunnel. Die Bahn nach Downtown kommt, die Gambier und die anderen Fahrgäste steigen ein, und plötzlich bin ich alleine mit ein paar Knirpsen am anderen Ende des Bahnsteigs, die auf den Broadway achtzehn Meter unter uns spucken.

Ein Obdachloser, der über das Drehkreuz geklettert ist, kommt die Treppe hoch. Er ist dreckig und riecht und wird mich um einen Vierteldollar anbetteln. Er hustet und sagt dann:

Hamse mal’n Quarter, Sir?

Seine Hände sind auf das Zweifache des Normalen angeschwollen; er könnte alles haben, von unbehandelten Frostbeulen bis hin zu Lepra.

Hier, sage ich. Ich will ihn nicht berühren, lege deswegen den Vierteldollar auf den Boden und bereue es sofort. Wie unglaublich erniedrigend, einen sechzig Jahre alten Mann dazu zu bringen, sich zu bücken, um einen Vierteldollar aufzuheben. Er bückt sich aber tatsächlich, nimmt das Geld, sagt danke und trollt sich.

Das Münztelefon klingelt. Wer hätte gedacht, dass es überhaupt funktioniert. Es klingelt und klingelt. Mitten im Spucken sehen die Knirpse zu mir her, bis ich schließlich hingehe und abhebe.

Ja?, sage ich.

Michael?, sagt eine Stimme.

Ja, sage ich und bemühe mich, nicht überrascht zu klingen.

Sunshine hier, sagt die Stimme.

Sunshine. Sunshine, woher in drei Teufels Namen hast du die Nummer von diesem Telefon?, frage ich und versuche nicht länger, den Coolen zu spielen.

Ich werde dafür bezahlt, solche Dinge zu wissen, sagt er geheimnisvoll.

Ja, aber –

Hör zu, Michael, für heute ist alles abgeblasen. Darkey trifft sich mit dem Boss und nimmt nur mich und Big Bob mit. Der Rest von euch hat heute frei. Scotchy ruft dich morgen an.

Alles klar, sage ich und will ihn gerade um Geld anhauen, als er auflegt. Das Arschloch. Sunshine ist Darkeys rechte Hand, und wenn es jemals einen Prototypen für den rattengesichtigen Mann-im-Hintergrund gegeben haben sollte, dann ist das Sunshine. Dünn – noch dünner als Scotchy –, mit einem dieser schmalen Schnurrbärtchen und einer Halbglatze, über die er sich ein paar lächerliche Strähnen kämmt, was ihn ein bisschen wie Hitler aussehen lässt. Ich habe ihn bei unserer ersten Begegnung sofort in die Kinderschänder-Schublade gesteckt, aber anscheinend gehört er da nicht rein. Zumindest behauptet Scotchy das, und Scotchy hasst ihn. Ich nicht. Wenn man Sunshine ein bisschen näher kennt, ist er okay. Eigentlich glaube ich sogar, dass er alles in allem ein netter Kerl ist.

Ich lege auf und starre eine Sekunde wie blöd auf den Hörer, dann kommt einer der Knirpse auf mich zu und fragt, ob der Anruf für mich war. Er ist ungefähr zehn und mutiger als die anderen – oder gelangweilter. Die großen Hände hinter seinem Rücken kann er nicht stillhalten. Tadellose Klamotten, ziemlich neue Schuhe.

Ich nicke.

Und wer zur Hölle sind Sie?, fragt er und blinzelt gegen die Sonne zu mir hoch.

Ich – ich bin der schwarze Mann, sage ich und grinse.

Sie sind nicht der schwarze Mann, sagt er, was in seiner amerikanischen Aussprache halb vorwurfsvoll, halb ängstlich klingt. Immerhin kann ich bei gegebenem Anlass ziemlich furchteinflößend schauen.

Machst du immer, was deine Mutter dir sagt?, frage ich.

Manchmal, sagt er, von meiner Frage aus der Fassung gebracht.

Gut, dann hör zu. Wenn du das nächste Mal nicht gehorchst, dann wunder dich nicht, wenn ich unter deinem Bett bin oder in deinem Schrank oder draußen auf der Feuerleiter. Und warte.

Er dreht sich um und geht langsam weg, wobei er versucht, unbeeindruckt zu wirken. Ist er vielleicht sogar. Nicht gerade einfach, kleinen Kindern aus der Gegend hier Angst einzujagen. Himmelherrgott, und ich mach mir manchmal schon vor ihren Omas in die Hosen.

Okay, ab nach Hause. Macht ja keinen Sinn, hier noch weiter rumzuhängen. Schätze, es ist unmöglich, meine Marke zurückzubekommen, weil ich nicht in die Bahn gestiegen bin. Gründlich betrachte ich die Dame am Ticketschalter. Eine abgebrühte, schwergewichtige Lady, deren Schatten allein mir schon gehörig in den Arsch treten könnte. Sie bedenkt mich mit dem bösen Blick, während ich meine Möglichkeiten abwäge. Schlussendlich ist mir alles egal. Dann heißt es Stufe für Stufe die kaputte Rolltreppe runter, die nicht repariert worden ist, seitdem ich hier wohne. Auf der untersten Stufe klebt Rotze.

Ich gehe um die Ecke und die 125. Straße entlang, vorbei am Geschäft mit den lebenden Hühnern, vorbei am Billigschnapsladen, an der Bude mit den fürchterlichen Donuts und an dem nicht sehr gut als Alles-voller-Katholen-Kram-kaschierten Alles-voller-Santería-Kram-Geschäft. Über die Straße rüber. Ein Mann hinter einem notdürftig zusammengezimmerten Stand verkauft Bananen, Orangen und irgendwelche grünen Früchte, von denen ich den Namen nicht weiß. Die Auslage macht durchaus was her, aber bei dem ganzen Schmutz und Müll drumherum würde man nichts von dem, was er verhökert, essen wollen, es sei denn, man wäre vollkommen irre. Genau das aber sind die Leute natürlich, und sie stehen Schlange.

An der Kreuzung heißt es anhalten und sich ausgiebig umsehen. Geht gar nicht anders. Hier kommt alles zusammen. Der Verkehr. Die Fußgänger. Kleine Kinder und Hunde und hinkende Männer draußen unter der Markise. Der Ölfilm vor dem Seniorenzentrum Jackie Robinson. Aus den Lautsprechern scheppern Public Enemy. Chuck D und Flavor Flav blaffen sich gegenseitig in Grund und Boden. Die kochende Gluthitze und das Crack. Dealer und Käufer und dazwischen alle anderen. Es ist proppenvoll und überwältigend, aber trotzdem ist Harlem echt nett. Niemand behelligt mich. Ich fühle mich aufgenommen. Alles ergibt ein stimmiges Bild. Es ist wie am Strand. Die Feuchtigkeit passt, die Temperatur, die Leute auf den Dünen der Gehwege. Die große, ungebändigte, brodelnde Stadt ist in diesem Bild der schmutziggraue Atlantik.

Den Hügel hoch. Eigentlich nur zwei Blocks weit, aber aus einer Laune der Geographie heraus entspricht die Strecke in Wirklichkeit eher fünf.

In den Taschen meiner Shorts suche ich nach dem Schlüssel und biege in die 123. ein. Vor mir geht gerade Vinny der Veteran ins Haus und führt aufgebrachte Gespräche mit dem großen Niemand. Seine Einkaufstasche schlägt irgendwo gegen. An der Ecke in der Sonne hält sich Danny der Trinker gerade noch aufrecht. Rotgesichtig hängt die Schnapsnase über seinem Gehstock und würgt trocken. Und ich als der dritte Vertreter der weißen Rasse auf der Straße, wie bin ich so drauf?

Aye, wie wohl.

Schlüssel, Pistole. Pistole, Schlüssel.

Meine Nerven liegen blank.

Schlüssel. Aber das Schloss ist so verzogen, dass ich daran herumrütteln muss. Unbedingt Ratko sagen – nicht, dass er dann irgendwas unternehmen wird. Aber aus lauter schlechtem Gewissen ob seiner Faulheit wird er mich zu sich nach unten einladen, auf einen gefährlichen polnischen Wodka und zu serbischen Spezialitäten, die seine Alte letztes Jahr oder so gemacht hat. Für mein degeneriertes Hirn wird es immerhin als Hausmannskost durchgehen.

Klingt nach einem guten Plan.

Wir haben 1992, und die Serben fangen gerade an, sich einen etwas schlechten Ruf einzuhandeln. Aber er ist noch nicht ganz im Eimer. Ratko wird mir das Glas mit etwas Klarem und Widerlichem vollmachen, und wir werden Trinksprüche auf Gavrilo Princip oder Tito ausbringen oder auf das Gedenken an die verdammten Ritter vom Amselfeld, dann werde ich ein kaltes Sandwich mit Wurst und Schmalz und ein weiteres Glas bekommen, und wenn mir wegen des Drinks der Schweiß derartig ausbricht, dass ich kurz vor einem beschissenen Herzschlag stehe, ziehe ich ab und stolpere die drei Stockwerke zu meiner Wohnung hoch.

Bei näherem Nachdenken: Lieber doch nicht.

Drinnen ist Freddie dabei, die Post zu sortieren.

Freddie, sage ich, und wir reden kurz über Sport. Aber Freddie merkt, wie fertig ich bin, und lässt mich gehen. Netter Kerl, dieser Freddie.

Die Treppe hoch. Zur Tür. Wieder der Schlüssel. Drin. Heißer hier als auf der Straße. Um Gesellschaft zu haben, schalte ich die Glotze ein. Irgendwie habe ich Kabelfernsehen für lau. Ich suche nach etwas mir Bekanntem und bleibe bei Phil Spector, John Lennon und ein paar entnervten, langhaarigen Studiomusikern hängen, die von Yoko Ono über Akkordfortschreitung belehrt werden.

Ich will mir ein Bad einlassen. Das Wasser kommt braun raus. Auf dem Wannenrand sitzend habe ich eine kurze Vision, wie das Telefon klingelt, ich abhebe, Sunshine dran ist und unheilverkündend sagt, dass Darkey mich sehen will.

Mir schaudert, ich stehe auf und nehme den Hörer von der Gabel. Dann ziehe ich mich aus, steige in die Wanne. Kippe anzünden. Muss mich selbst davon überzeugen, dass es diesen Anruf nie geben wird. Ich steige wieder aus der Wanne und stöpsele doch tatsächlich das Telefon aus der Wand, denke einen Moment lang nach, schließe dann die Tür ab, hole die Knarre, überprüfe die Automatik und lege sie so hin, dass ich gut drankomme. Wieder in die Wanne klettern. Im Nichts versinken. Sinken.

Gemurmel, Kirchengesangbücher. In der Stille der Sakristei werde ich von ganzen Insektenkolonien geküsst, bin aber zu sehr im Arsch, um etwas dagegen zu unternehmen.

Wodka läuft mir aus dem Mund. Ich schlafe an einem Ufer, das der Rücken einer grässlichen Kreatur ist, mit einem riesenhaften Kuhauge, blauen Adern und einem Labyrinth aus Tentakeln. Himmelherrgott. Ich setze mich auf, steige aus dem abgekühlten Badewasser und schnappe mir ein Handtuch.

Später. Hier das Telefon, dort der Fernseher. Diese Hitze. Eine Zigarette nach der anderen, bis der Aschenbecher voll ist. Der Kühlschrank läuft und bringt mir Wodka auf Eis. Ein schwacher Trost zwar, aber immerhin ein Trost. Ich lehne mich auf dem Sofa zurück und betrachte meine Umgebung.

Lassen Sie mich diese hübsche Oase beschreiben, die Scotchy und Darkey da für mich ausgesucht haben. Nicht, dass ich undankbar bin. Sie haben mich aufgenommen und mir eine Unterkunft besorgt. Aber es ist auch nicht so, dass ich im Gegenzug nichts dafür getan hätte. Ich bin hier der Einzige, der auch nur ein bisschen was im Kopf hat. Egal. Die beiden wohnen natürlich im schönen Teil der Bronx, am Ende der Linie 1. Aber es war nun mal voll da oben, du verstehst? Das jedenfalls waren die Worte von Scotchy. Wer’s glaubt. Die Bude hier kostet angeblich fünfhundert im Monat, was mir vom Lohn abgezogen wird. Genauso ist es mit den Möbeln gelaufen, die Scotchy, wie er später zugegeben hat, komplett für umme auf der Straße gefunden hat. Es ist eine Zweizimmerwohnung. Schon beim Eintreten begrüßt einen der Gestank der Toilette. Unter der auf kleinen Füßen stehenden Badewanne neben dem Klo findet sich Flora und Fauna in einer Artenvielfalt, die selbst für David Attenborough und sein ganzes BBC-Team eine echte Herausforderung darstellen würde.

Flur und Küche. Pfannkuchen kann man hier drin noch nicht mal senkrecht braten. Die Flamme am Gasherd geht dauernd aus. Überall die Fettrückstände von Jahren, vielleicht von Jahrzehnten. In den Wänden und Bodenleisten Löcher.

Wohnzimmer: Fernseher, Kabel gratis, ein großes, wolliges, gelbes, ekliges Sofa.

Schlafzimmer: ein Futon auf dem Boden, Regal, Tisch, Stuhl.

Nirgendwo gibt es richtiges Tageslicht. Die grauen Fenster des Wohnzimmers gehen auf einen winzigen Hof, das Schlafzimmer starrt auf die Rückseite der Häuser auf der 122. Straße. Wenn man auf die Feuerleiter rausgeht (was ich häufig mache), dort einen Stuhl hinstellt und nach oben schaut, kann man hin und wieder durch die Stinkbäume ein Flugzeug oder ein Stückchen Himmel sehen. Die Feuerleiter ist verrostet und wacklig und wird uns alle mit sich in den Tod reißen, wenn es mal brennen sollte, sie ist aber trotzdem noch das Schönste an der ganzen Wohnung.

Das größte Problem sind die Kakerlaken. Ich bin seit letztem Dezember hier und führe seitdem einen Guerillakrieg gegen sie. An ihre Anwesenheit habe ich mich einfach noch nicht gewöhnt. Noch mangelt es mir an der Zen-mäßigen Gemütsruhe, um denselben territorialen und metaphysischen Raum mit ihnen zu teilen. In Irland gibt es keine Kakerlaken. Kein auch nur annähernd vergleichbares Geziefer. Gelegentlich verirrt sich eine Feldmaus ins Haus. Vielleicht auch mal eine Biene oder ein harmloser Marienkäfer. Nichts davon ähnelt diesen Biestern.

Immerhin respektiere ich sie inzwischen. Ich hasse sie, aber ich respektiere sie. Ich habe sie geköpft, vergiftet, verbrüht, verbrannt und noch mal vergiftet, aber irgendwie scheinen sie das alles unbeschadet zu überstehen. Auf eine große Schabe habe ich mal eine Cola-Literflasche fallenlassen, und sie hat’s überlebt. Auf eine andere habe ich ein halbes Pfund Borsäure gekippt und dann einen Topf drübergestülpt, den ich mit einem Ziegelstein beschwert habe. Eine ganze Woche lang habe ich das so stehen lassen, während wir zur Beerdigung von Mr. Duffys Bruder nach Florida gefahren sind. Als ich zurück war, habe ich den Stein weggenommen – und dieser Bastard putzt sich die Fühler und krabbelt in die Wand. Das wäre meine ungefähr zweihundertste Tötung gewesen, und ich musste einen Strich wieder von meiner Liste streichen. Das sollte mir eine Lehre sein. Man muss es machen wie die Piloten der Royal Air Force in der Luftschlacht um England: Den Abschuss erst dann melden, wenn man sieht, wie das Flugzeug am Boden zerschellt.

Aber sie sind sowieso überall. Nachts krabbeln sie auf einem herum. Man hört sie in den Wänden. Mit Fallen tut man nichts anderes, als sie zu füttern. Hin und wieder fliegen sie. Sagt man das Ratko, lacht er nur und zeigt einem seine Wohnung im Erdgeschoss. Wo es eher schlimmer ist.

Trotzdem …

Auf die Feuerleiter.

Noch eine Kippe. Hunde bellen. Leute schreien. Ich sitze da, rauche, inhaliere den Rauch und halte ihn ein. Einhalten. Loslassen. Alles loslassen.

Ich wohne auf der 123. Straße, Ecke Amsterdam Avenue. Einen Block weiter fängt die Sicherheitszone rund um die Columbia-Universität an. Dort nennen sie das Viertel Morningside Heights, damit besorgte Eltern nicht durchdrehen – was passieren würde, wenn sie ihre Post nach Ach-du-Scheiße-Harlem schicken müssten. Aber es ist nun mal Harlem. Einen Block nach Norden gibt es ein Sozialwohnungsghetto, kein besonders schlimmes, aber trotzdem eben ein Sozialwohnungsghetto, und Richtung Osten ist es ein echter Albtraum. Die Häuser sind verfallen und scheinen zum Großteil von Crack-Abhängigen bewohnt zu werden. Im Morningside Park kann es nach Einbruch der Dunkelheit ziemlich haarig werden – was eigentlich für die ganze Gegend bis hoch zur 125. Straße gilt. Außerdem falle ich auf wie ein bunter Hund. Habe mir ein bisschen Spanisch beigebracht und rede mir ein, dass ich derart gerüstet als Dominikaner durchgehe. Allerdings ist meine papierweiße Irenhaut nicht gänzlich überzeugend.

Eine Klimaanlage habe ich nicht, und der Ventilator verteilt nur heiße Luft im Zimmer.

Ich werfe die Kippe weg und klettere durchs Fenster wieder rein, gehe in die Küche und hole mir ein Bier. Milwaukee Great Gold. Das schlechteste Bier, das ich jemals getrunken habe – sie brauen es aus Mais, kaum zu glauben. Aber es ist billig, und wenn man den Kühlschrank richtig aufdreht und es eiskalt werden lässt, schmeckt man sowieso nichts mehr.

Zurück auf der Feuerleiter schaue ich ein paar Eichhörnchen zu und sehe ganz weit oben im Blau des Himmels einen merkwürdig aufsteigenden Kondensstreifen. Das Bier geht gut runter, und es ist fast schön jetzt. Der Tag scheint ein bisschen abzukühlen.

Das Telefon klingelt.

Ich kann mich nicht erinnern, es wieder eingestöpselt zu haben, aber das muss ich wohl gemacht haben. Pflichtgefühl, Verantwortungsbewusstsein: So bin ich.

Ich lasse es klingeln. Es klingelt und klingelt und macht mich ganz mürbe. Ich trinke den letzten Schluck Bier und versuche, die Dose seitlich so übers Geländer zu schlenzen, dass sie Ratkos Pitbull trifft. Aber ich treffe nicht. Der Hund glotzt zu mir hoch und fängt an zu bellen. Durchs Feuerleiterfenster klettere ich rein und stapfe durchs Schlafzimmer in den Flur. Am Kassettenrekorder drehe ich Nevermind leise und nehme den Hörer ab.

Es ist Scotchy. Das erkenne ich sofort an dem nasalen Atemholen, bevor er zu sprechen anfängt. Er ist ganz aufgeregt.

Hey Bruce, es hat sich was ergeben.

Ich heiß nicht Bruce, sage ich träge. Scotchys kleiner Dauerwitz.

Bruce, du musst kommen. Andy ist vermöbelt worden. Du weißt, dass Darkey weg ist, oder?

Ich antworte nicht.

Bruce, bist du noch dran?

Kumpel, du hast dich verwählt, hier gibt’s keinen Bruce. Auch keinen Robert the Bruce. Keine Spinne, keine Höhle, keine Rettung fürs gute alte Schottland.

Bruce, du schwanzloser Penner, verarsch mich nicht, ich mein’s ernst.

Ich entscheide mich zum wiederholten Male für den Weg des wortlosen Widerstands. Gute fünfzehn Sekunden lang ist es still in der Leitung. Dann lässt Scotchy ein Grummeln hören und sagt in plötzlich exponentiell gewachsener Panik:

Hallo, hallo, hallo! O Mann, Mike, bist du noch dran?

Ich bin dran, sage ich mit genau der Portion Müdigkeit, die ihn so richtig auf die Palme bringt.

Was zum Teufel – Himmelarsch, Mann, ich habe jetzt das scheiß Kommando, raffst du das? Hör zu, Andy hat Dresche gekriegt, und Sunshine und Darkey sind nicht am Start, also bin ich der Boss, korrekt?

Du bist der Boss?, frage ich in der Hoffnung, so skeptisch zu klingen, als ob er mir gerade erzählt hätte, er sei in Wahrheit Anastasia, die verschollene Tochter von Zar Nikolaus II.

Aye, sagt er nur – meine raffinierte Intonation hat sein Begriffsvermögen gesprengt.

Läuft so die Befehlskette?, frage ich in etwas neutralerer Stimmlage.

Ja, ganz genau so.

Ist Fergal nicht schon ein bisschen länger bei Darkey als du?, frage ich boshaft.

Fergal ist ’n Idiot, sagt Scotchy.

Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen, rate ich ihm.

Bruce, ich schwöre bei Gott, ich mach dich fertig, sagt er, kurz vorm Explodieren.

Du behauptest also, dass du wegen der natürlichen Thronfolge aufsteigst, sage ich.

De factso ja. Ich habe jetzt das Sagen, antwortet er, und sein Latein kommt ein bisschen zögerlich.

De facto, natürlich, Scotchy, sage ich herablassend, um ihm so richtig einen mitzugeben.

Jetzt ist er sauer.

Hör zu, ich bin der Chef und gebe die verfickten Befehle, und du Scheißkerl kommst jetzt verflucht noch mal hier hoch, sagt er.

Nur weiter so, Scotchy. Ich muss zugeben, du hast mich mit deiner Macho-Nummer schon fast überzeugt.

Himmelarsch, hat man dich auf diesen Planeten geschickt, damit ich einen Schlaganfall bekomme? Fick dich. Du tust jetzt, was ich dir sage, und bewegst deinen Arsch hierher!, bellt Scotchy total frustriert.

Geht’s ihm denn gut, ist er im Krankenhaus?, frage ich in verspäteter Sorge um unseren Andy.

Nein, ist er nicht, er ist hier bei mir. Bridget kümmert sich um ihn. Vielleicht muss er aber noch ins Krankenhaus. Aber er kommt schon wieder auf die Beine. Shovel war’s. Dieser hirnamputierte Fergal denkt, dass es die verfluchten Mopes waren, aber es war dieser scheiß Shovel. Ich bin mir sicher. Andy ist schließlich kein Leichtgewicht. Shovel muss sich ganz schön einen abgebrochen haben. Andy lag bewusstlos auf der Straße. Auf der Straße, Bruce, und ist bis jetzt noch nicht wieder aufgewacht, also er …

Ich höre nicht zu, weil es mir egal ist. Es ist mir egal, was Shovel gemacht hat oder was mit Andy passiert ist oder was Scotchy deswegen unternehmen will. Das alles kümmert mich einen feuchten Dreck, aber er erzählt es mir natürlich trotzdem. Der Boss ist nicht da, und jetzt will er, Scotchy, die Initiative ergreifen. Da könnten auch weniger Begabte als ich die Probleme schon im Kaffeesatz lesen. Scotchy ist schon immer ein Pechvogel und ein Tölpel gewesen. Wenn ich und er zusammen zu Shovels Wohnung fahren, stehen die Chancen gut, dass Shovel oder Shovels Freundin heißes Fett auf uns schüttet oder uns erschießt oder die beschissenen Bullen ruft oder unsere Finger in den Toaster steckt oder was noch Schlimmeres. Das wäre typisch Scotchy. Natürlich würde er, egal was passiert, überleben, aber ich wäre auf einem Auge blind oder gelähmt oder sonst wie fürs Leben gezeichnet. So und nicht anders würde es laufen.

Plötzlich kommt mir ein Gedanke.

Wenn er noch gar nichts gesagt hat, woher weißt du dann, dass es Shovel war?, frage ich ihn.

Ist doch logisch. Andy war wegen der Kohle bei Shovel, aber Shovel hat mir schon vorher gesagt, dass er für gar nichts blecht. Die Drecksau muss Andy auf der Straße von hinten erwischt haben.

O ja, sehr logisch, Sherlock. Das ist eindeutig die einzig mögliche Erklärung, murmele ich sarkastisch.

Mann Scheiße, Bruce, du Arschloch. Du verschissenes Arschloch. Du hörst mir jetzt zu, du aufsässiger Wichser. Beweg jetzt einfach deinen verfickten Arsch hier rauf!, schreit Scotchy, rasend vor Zorn.

Hey Scotchy, komm wieder runter. Ich mach mich schon auf den Weg, okay?, sage ich, jetzt mit einer winzigen Spur Ehrerbietung in der Stimme.

Scotchy legt auf. Mit dem Hörer kille ich eine Kakerlake an der Wand. Ich lege auf, gehe ins Schlafzimmer zurück und schließe das Fenster.

Dann muss ich also doch noch die Bahn nehmen. Auch das ist typisch und wird mich eine zweite Marke kosten. Seufzend spritze ich mir Wasser ins Gesicht. Dann hole ich meine Jacke und schiebe mir – nur für den Fall, dass wir die Nacht durchmachen – Kippen, Lesestoff, Streichhölzer und Kleingeld in die Taschen. Ich ziehe meine Doc Martens an, bürste mir die Haare, stecke Ersatzmunition und die kleine .22er ein und gehe los.

Ich kenne mindestens fünf Scotchys. Scotchy Dunlow, der mich sieben Jahre lang jeden Freitag bei den Pfadfindern verprügelt hat. Scotchy McGurk, ein Draufgänger, den ich einmal persönlich dabei beobachtet habe, wie er aus einem furchtbar nichtigen Grund irgendeinem Typen einen halben Beton-Formstein auf die Brust fallen gelassen hat, und der bei einem klassisch verbockten Raubüberfall auf ein Wettbüro erschossen wurde. Scotchy Mc-Maw, der bei einem Unfall beim illegalen Zug-Aufspringen in Carrickfergus eine Hand verloren hat und danach ziemlich merkwürdig wurde, dann aber schließlich einem Jungen, mit dem er in einem Boot zum Angeln draußen war, das Leben gerettet hat, indem er einarmig zum Ufer geschwommen ist, wofür er später irgendeine Tapferkeitsmedaille von Prinzessin Diana bekommen hat. Scotchy Colhoun, ebenfalls ein übler Geselle, hat sich bei Schutzgelderpressung und Mord schnappen lassen und ist in Long Kesh eingefahren (er müsste jetzt allerdings wieder draußen sein, wegen dem Friedensprozess). Und schließlich natürlich unser Scotchy hier, Scotchy Finn. Überflüssig zu erwähnen, dass keiner von allen jemals irgendwas mit Schottland zu tun gehabt hat. Wie aus ihnen jeweils Scotchys geworden sind, ist mir ein Rätsel und ihnen wahrscheinlich auch.

Scotchy Finn zumindest weiß es nicht. Er ist erst in Crossmaglen und dann in Dundalk aufgewachsen, was, wenn man Irland nur ein bisschen kennt, nur eines heißen kann. Und natürlich waren sein Vater, seine Mutter, seine drei Brüder, zwei Onkel und eine seiner Tanten alle irgendwann mal bei der IRA. Sie haben auch Scotchy früh eingesetzt, und er saß einige Zeit wegen irgendwas in einer Art Jugendgefängnis. Er sagt, der Boden auf der anderen Seite des sheugh, des großen Grabens, sei für ihn zu heiß geworden, weswegen er erst in Boston und dann in der Bronx gelandet ist. Um ehrlich zu sein, bin ich ein bisschen skeptisch, was seine Geschichten von »Operationen« und »Zusammenstößen« mit den Briten, den Protestanten, dem Geheimdienst, dem Special Air Service und den Bullen anbelangt. Sein Hinken verdankt er laut eigener Aussage den irischen Bullen, der Garda Síochána, die ihn beim Treibstoffschmuggel erwischt hat (das Hinken tritt allerdings nur auf, wenn er wegen irgendwas bemitleidet werden will). Aber von Sunshine habe ich gehört, dass er vom Dach eines parkenden Autos gefallen ist, nachdem er am Revere Beach nördlich von Boston elf Pints gekippt hatte. Das ist passiert, bevor er angefangen hat, für Darkey zu arbeiten. Man kann sich Scotchy auch wirklich nicht am Strand vorstellen: Seine Haut ist so dünn und weiß wie Zigarettenpapier, und er sieht aus wie der Typ, der am Anfang der Charles-Atlas-Bodybuilding-Werbespots immer verhauen wird. Rote Haare, bleiche Haut, schlechte Zähne, mit üblem Moschusduft kaschierter übler Körpergeruch – und fertig wäre unser Scotchy. Keine Ahnung, wie lange er schon hier ist. Zehn, fünfzehn Jahre? Er hat immer noch einen irischen Akzent (einen ziemlich lustigen sogar, mit einer deutlichen Crossmaglen-Note), aber er trägt Ami-Klamotten und hat in Sachen Geld und Mädchen eine Ami-Einstellung. Er jammert nicht dauernd der alten Heimat nach, wie es einige andere Deppen durchaus tun, und das macht ihn im Vergleich mit dem Durchschnitts-Paddy wahrscheinlich schon zu etwas Besonderem. Das heißt aber nicht, dass er sympathisch wäre. Nicht im Geringsten. Er ist ein kleiner schmieriger Wichser, dem man eigentlich nicht über den Weg laufen will, aber wenn einen das nicht groß stört, wie mich persönlich irgendwie, ist er schon okay. Übrigens ist er auch ein beschissener Dieb, er klaut mir hinter meinem Rücken meine Sachen, und ich würde etwas sagen, wenn ich nicht der Neue wäre, aber das bin ich nun mal und sage lieber nichts.

Für diesen Abend, Gott sei Dank nur diesen einen Abend, war er also unser Mann, unser furchtloser Anführer. War ja klar, dass Scotchy just an diesem Abend den starken Max markierte. Denn dieser Abend – auch wenn ich das natürlich vorher noch nicht wusste – sollte ein