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Brigitte Melzer

Der Geist,
der mich liebte

Roman

hockebooks

18

Ein nervtötendes Piepen, das beinahe im Sekundentakt die Stille durchbohrte, riss mich aus der Dunkelheit. Ich öffnete die Augen und blickte ins grelle Licht einer Neonlampe. Weiße Wände und Decken und der beißende Geruch von Desinfektionsmittel. Aus einem kleinen Schlauch unterhalb meiner Nase strömte Sauerstoff in meine Atemwege. Mein Mund war trocken und mein Hals fühlte sich rau an. Das Piepen machte mich wahnsinnig! Ich drehte den Kopf zur Seite, um nach dem Ursprung zu suchen, und fand ihn in einem Monitor, auf dem eine kleine grüne Linie mein Leben anzeigte. Bei jedem Herzschlag hüpfte die Linie ein Stück nach oben und das Piepen ertönte erneut. Piepen war also gut. Piepen war Leben.

Die nächste Erkenntnis, die zu mir durchdrang, war, dass Leben Schmerz bedeutete. Zuerst spürte ich die Infusionsnadel in meinem Arm, ein stechender Schmerz, der mit jedem Tropfen der farblosen Flüssigkeit, die langsam durch die Kanüle in meine Venen rann, von einem leisen Brennen begleitet wurde. Dann kam der wirklich dicke Brocken. Der Schmerz, den ich in Adrians Haus verspürt hatte, war zurück. Ein wenig dumpfer und nicht ganz so entsetzlich, aber zweifellos vorhanden. Ich sog keuchend die Luft ein. Ein gedämpfter Laut, der vom Rauschen des Sauerstoffs, der durch den Schlauch in meine Nase strömte, übertönt wurde.

Krankenhaus also. Bedeutete das, dass ich überleben würde, oder war es nur eine Zwischenstation? Ich wandte den Kopf zur anderen Seite, da sah ich ihn. Mein Herz tat einen aufgeregten Satz, begleitet vom sofortigen Piepen des Monitors. Nicholas saß in einem Stuhl neben meinem Bett. Er hatte sich nach vorne gebeugt, die Arme auf die Knie gestützt und starrte auf den Boden. Ihn zu sehen war schlicht überwältigend. All meine Ängste und Sorgen, er könne sein Leben weggeworfen haben, um meines zu retten, waren wie weggewischt. Bis auf einen winzigen, letzten Zweifel. Ich wollte die Hand nach ihm ausstrecken, um ihn zu berühren, doch die Bewegung fiel mir erschreckend schwer.

Nicholas sah auf. »Sam!«, für einen Moment schloss er erleichtert die Augen und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. »Gott sei Dank! Wie fühlst du dich? Hast du Schmerzen? Soll ich –«

Ich schüttelte den Kopf. »Durst.« Ich wollte mehr sagen, doch es ging nicht. Sprechen war also auch ein Problem. »Kannst du –«

In diesem Augenblick kam eine Schwester ins Zimmer. Eine rundliche Frau mit freundlichen Augen. »Ah, Miss Mitchell, Sie sind aufgewacht!«

Als sie zum Bett kam, stand Nicholas auf und machte ihr Platz. Sie ging um ihn herum und trat an meine Seite. Meine Augen folgten Nicholas. Vor dem Fenster blieb er stehen. Dahinter erkannte ich die Lichter einer nächtlichen Stadt. Zum ersten Mal fragte ich mich, wo ich war. Seattle? War dort das nächste Krankenhaus?

Nicholas hatte keinen Blick für die Stadt übrig. Er beobachtete mit verschränkten Armen und besorgter Miene, wie die Schwester den Tropf kontrollierte.

»Ich bin Schwester Betty«, sagte sie freundlich. »Wie ist es mit den Schmerzen? Erträglich? Oder soll ich die Dosis ein wenig erhöhen?«

Ich hörte ihr kaum zu. Alles, woran ich denken konnte, war, dass Nicholas es tatsächlich geschafft hatte. Er war am Leben! Dass die Schwester ihm ausgewichen war, war der letzte Beweis, den ich gebraucht hatte, um endgültig all meine Zweifel zu begraben.

»Machen Sie sich keine Sorgen. Das Schlimmste liegt hinter Ihnen«, hörte ich Schwester Betty sagen. »Es ist wirklich ein Wunder, dass Sie diesen immensen Blutverlust überstanden haben. Sie sind ein Glückskind, Miss Mitchell.«

Das war ich. Und der Grund meines Glücks stand am Fenster. Das wollte ich der Schwester sagen, ich wollte, dass sie wusste, ich hatte mein Leben einzig und allein Nicholas zu verdanken, doch mir kamen lediglich ein paar unartikulierte Laute über die Lippen. Ich sah die Schwester entsetzt an.

Schwester Betty schüttelte den Kopf. »Das sind nur die Schmerzmittel. Die können einen glatt umhauen. In ein paar Tagen, wenn Sie nicht mehr so viel brauchen, wird es besser werden.« Sie rückte mein Kissen zurecht, dann hielt sie mir einen Becher Wasser an die Lippen und half mir etwas zu trinken. Hinter ihr sah ich, wie Nicholas ein Stück näher an das Bett herantrat.

»Ruhen Sie sich aus.« Schwester Betty nahm mir den noch halb vollen Becher ab und stand auf. Sie war so schnell, dass Nicholas ihr nicht mehr rechtzeitig ausweichen konnte. Doch statt dass ihr der Zusammenstoß den Becher aus der Hand geschleudert hätte, ging sie einfach durch Nicholas hindurch.

Da begriff ich es. Die Schwester hatte keinen Bogen um Nicholas, sondern lediglich um den Stuhl gemacht! Zum ersten Mal, seit ich aufgewacht war, spürte ich die Kälte im Raum.

*

Während der kommenden Tage, die ich im Krankenhaus – dem Virginia Mason Hospital in Seattle – verbrachte, wich Nicholas nicht von meiner Seite. Bei Tag spürte ich die Kälte und bei Nacht sah ich, sofern ich nicht schlief, wie er neben mir saß und über mich wachte.

Kurz nachdem ich das erste Mal aufgewacht war, hatte sich eine Horde Assistenzärzte unter den wachsamen Augen des Chefarztes auf mich gestürzt, um mich zu untersuchen. Sie schienen allesamt mit meinem Zustand zufrieden zu sein.

Der Chefarzt erzählte mir, ich sei drei Tage ohne Bewusstsein gewesen. Er sprach von mehreren Bluttransfusionen und einer Operation, in der er die Wunde geschlossen hatte. In einem schonenden, wohl Krankenhaus spezifischen ›Es-gibt-da-noch-etwas-Miss-Mitchell‹-Ton sagte er mir, dass ich eine große Narbe quer über meinem Bauch zurückbehalten würde. Als ob mich das interessiert hätte. Alles, woran ich denken konnte, war, was Nicholas meinetwegen aufgegeben hatte.

Anfangs sprachen Nicholas und ich nur wenig. Ich war einfach zu schwach und schlief immer wieder mitten im Satz ein. Zweimal kam Schwester Betty dazu, gerade als ich Nicholas etwas fragte. Klar, dass sie sofort meine Temperatur überprüfte, als sie Zeugin meiner vermeintlichen Selbstgespräche wurde. Aber ich hatte kein Fieber.

Einmal fragte ich Nicholas, ob er in jener Nacht Tess und Tante Fiona gesehen hätte. Er verneinte. Außer ihm und mir sei niemand dort gewesen. Ich hätte mir gleich denken können, dass ich mir die Anwesenheit der beiden nur eingebildet hatte. Immerhin gab es keine Gespenster, oder?

Eines Morgens als ich die Augen öffnete, saß Sheriff Travis an meinem Bett. Im selben Sessel, in dem Nicholas nachts immer saß. Ich musste zweimal hinsehen, um den Sheriff überhaupt zu erkennen, denn statt der gewohnten Uniform trug er Jeans und T-Shirt.

»Guten Morgen, Miss Mitchell«, begrüßte er mich mit einem Lächeln. »Ich dachte, ich schaue mal vorbei, um zu sehen, wie es Ihnen geht. Wie fühlen Sie sich?«

Ich fühlte mich verwirrt. Das würde ich ihm jedoch nicht sagen. Warum sollte ein nahezu Fremder zwei Stunden Autofahrt auf sich nehmen, nur um mich zu fragen, wie es mir geht? Dazu hätte er ebenso gut anrufen können. Nein, hinter seinem – wenn auch zivilen – Auftauchen hier steckte etwas anderes. Vermutlich hatte er seine Uniform im Schrank gelassen in der Hoffnung, ich würde ihm alles erzählen, wenn er hier den besorgten Privatmann herauskehrte. Da hatte er sich geschnitten. Seit die Ärzte die Dosis an Schmerzmitteln heruntergefahren hatten und ich wieder klar denken konnte, hatte ich mich gefragt, wie lange es dauern würde, bis der Sheriff auftauchte. Während der letzten Tage hatte ich immer wieder versucht mir einzureden, dass er mir nichts anhaben konnte. Nicholas hatte mich den Hügel beinahe bis ganz nach unten getragen, ehe der Sheriff gekommen war. Ich war also weit genug von Adrians Haus entfernt gewesen, um behaupten zu können, jemand habe mich bei einem nächtlichen Spaziergang überfallen. Eine clevere Ausrede. Wäre nicht mein Blut überall in Adrians Haus gewesen – von der Leiche seines vermeintlichen Großvaters mal ganz abgesehen! Vielleicht war der Sheriff ja nicht im Haus, versuchte ich mich zu beruhigen. Doch diese Hoffnung wurde von der Erinnerung an die schrillende Alarmanlage rasch zunichtegemacht. Das Ding konnte er unmöglich überhört haben. Zweifelsohne würde er viele Fragen haben.

Vorsichtig versuchte ich mich aufzusetzen und verzog das Gesicht, als ein protestierender Schmerz durch meinen Bauch fuhr, so heftig, dass ich zischend die Luft einsog.

»Sie sollten lieber liegen bleiben!« Der Sheriff sprang auf und einen Moment lang wusste ich nicht, ob er mir helfen oder mich wieder in die Kissen drücken wollte. Nach einem kurzen Zögern entschied er sich für Ersteres und rückte mir das Kissen so zurecht, dass ich es halbwegs bequem hatte.

Ich spürte einen kühlen Hauch an meiner Wange – eine unsichtbare Berührung voller Sorge – und wusste, dass Nicholas da war. »Es geht schon.« Obwohl ich den Sheriff ansah, waren meine Worte dazu gedacht, Nicholas zu beruhigen. Die Kälte zog sich ein wenig zurück ohne vollständig zu weichen. »Immerhin lebe ich«, fuhr ich an den Sheriff gewandt fort. »Wenn Sie mich nicht gefunden hätten …« Zum ersten Mal wurde mir bewusst, dass ich ihm tatsächlich mein Leben verdankte. Nicholas mochte mich aus dem Haus gebracht und durch seinen Atem am Leben erhalten haben, doch wenn der Sheriff mich nicht ins Krankenhaus gebracht hätte, wäre ich dennoch gestorben.

»Zu meinem Job gehört es eben nicht nur, Verbrecher zu jagen, sondern auch zu helfen.« Sheriff Travis ließ sich wieder im Stuhl nieder. »Ich habe Ihnen etwas gegen die Langeweile mitgebracht«, meinte er und deutete auf ein rechteckiges Päckchen auf meinem Nachttisch. Selbst das Geschenkpapier konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich darin ein Buch befand.

»Danke.«

»Der Arzt sagte mir, dass Sie unglaubliches Glück gehabt hätten. Eine Verletzung wie Ihre –«

»Hier ist jeder der Ansicht, es handle sich mindestens um ein mittleres Wunder, dass ich noch am Leben bin«, fiel ich ihm ins Wort. Ich wollte ihn gar nicht erst auf die Idee kommen lassen, es könne ein Geheimnis hinter meinem Überleben stecken. »Ich glaube allerdings, es liegt eher daran, dass Sie sich auf dem Weg hierher nicht viele Gedanken über Höchstgeschwindigkeiten und Verkehrsregeln gemacht haben.«

»Der Vorteil von Blaulicht und Sirene«, grinste er.

Sirene. Das war das Stichwort! Jetzt würde er gleich einen geschickten Schwenk machen und die Alarmanlage ins Gespräch bringen.

Stattdessen fragte er: »Haben die Ärzte schon gesagt, wie lange Sie hierbleiben müssen?«

»Vermutlich noch zwei Wochen.«

»Kommen Sie dann nach Cedars Creek zurück?«

War diese Frage die Vorstufe zu: ›Solange die Ermittlungen laufen, bitten wir Sie, die Stadt nicht zu verlassen‹? Ich nickte. »Das Haus ist noch nicht fertig. Sobald alles erledigt ist, werde ich nach Boston gehen.« Um ihn ein wenig von toten Fabrikbesitzern, Blut und schrillenden Alarmanlagen abzulenken, erzählte ich ihm von meinem Job bei Jameson Industries und davon, wie sehr ich mich darauf freute.

»Sagen Sie, Miss Mitchell, erinnern Sie sich daran, was passiert ist, bevor ich Sie fand?«, wechselte er plötzlich das Thema.

»Wollen Sie meine Aussage aufnehmen? So ganz ohne Uniform?« Plötzlich erinnerte ich mich an den Zwischenfall mit dem Landstreicher. »Ich habe die letzte noch nicht mal unterschrieben. Wollen Sie wirklich so viel Papier auf Ihrem Schreibtisch stapeln?«

Er schüttelte den Kopf. »Keine Aussage. Ich wollte nur wissen, was Ihnen zugestoßen ist.«

Und Kühe können fliegen. Ich war mir sicher, dass da ein lauernder Ausdruck in seinen braunen Augen lag. Er würde mich erzählen lassen, vermutlich mehrmals das Gleiche, und darauf warten, dass ich mir selbst widersprach. Ein kühler Luftzug fuhr über mich hinweg. Nicholas. Obwohl er sich während des Tages nur mit Ja oder Nein verständigen konnte, indem er über meine Hand strich, glaubte ich trotzdem zu verstehen, was er mir sagen wollte. Pass auf, was du ihm erzählst. Das würde ich ganz bestimmt. Ich hatte nicht vor, mich in einem heillosen Durcheinander von Hexenmeistern und Geistern zu verstricken.

»Um ehrlich zu sein«, begann ich, »kann ich mich an kaum etwas erinnern. Ich weiß noch, dass ich ein Stück den Hügel hinaufspaziert bin und dann … da war plötzlich ein Geräusch.« Ich schüttelte den Kopf und hoffte, dass es aussehen würde, als versuchte ich vergeblich, meinem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen. »Es ging alles so schnell. Jemand kam aus dem Gebüsch und im nächsten Moment lag ich schon auf dem Boden. Ich bin weggetreten, und als ich das nächste Mal die Augen aufgemacht habe, waren plötzlich Sie da.«

Was redete ich für einen Blödsinn! Das würde er mir nie im Leben abkaufen. Jeder Frischling lernte vermutlich gleich in seiner ersten Woche auf der Polizeiakademie, dass alle Leute, die sich angeblich an nichts erinnern können, automatisch zu den Hauptverdächtigen gezählt werden müssen. Jetzt würde er mich mit Fragen torpedieren! Vermutlich gab es eine Blutspur, die direkt vom Haus zu dem Ort führte, an dem er mich gefunden hatte. Darauf würde er mich hinweisen, nur um dann auf die Kampfspuren im Haus und Adrians Leichnam zu sprechen zu kommen. Ich saß in der Falle.

»Cedars Creek hat Ihnen bisher nicht viel Glück gebracht.«

Blinzelnd starrte ich ihn an und wartete darauf, dass er fortfuhr und mich endlich mit seinen Verdächtigungen konfrontierte. Als er nichts weiter sagte, glaubte ich vor Anspannung zu platzen. »Wie meinen Sie das?«, fragte ich vorsichtig.

»Der Tod Ihrer Tante hat Sie hergeführt. Das ist an sich schon wenig erfreulich. Kurz darauf werden Sie von einem Landstreicher überfallen, dann stirbt Miss Adams und zu allem Überfluss werden Sie ein weiteres Mal überfallen. Das meine ich mit ›wenig Glück‹.«

Jetzt kam es! Gleich würde er mir erzählen, dass mein Name seit meiner Ankunft öfter in seinen Unterlagen auftauchte als der jedes anderen Einwohners. Damit hätte er nicht einmal unrecht. Drei Verbrechen und immer war ich entweder selbst betroffen oder aber zumindest eine Freundin des Opfers. »Ich hätte nie gedacht, dass eine friedliche Kleinstadt derart gefährlich sein könnte.«

»Dann habe ich gute Nachrichten für Sie. Wilbur Perkins aus dem Heimwerkermarkt sagte mir, ich solle Ihnen ausrichten, er hätte einen Interessenten, der eventuell bereit wäre, Ihr Haus zu kaufen.«

»Das ist großartig.« Entgegen meiner Worte war es mir im Augenblick ziemlich egal. Warum fragte er nicht endlich nach Adrian! Wollte er mich auf die Folter spannen? Mich mürbe machen, bis ich ihm freiwillig alles sagte, was er wissen wollte? Und das lange bevor er überhaupt danach fragte?

Sheriff Travis verzog keine Miene. In seinen Augen lag eine Freundlichkeit, die mich nur umso misstrauischer machte. Der Drang herauszufinden, wie viel er wusste, wurde immer größer. Dennoch hielt ich den Mund. Ich fragte ihn weder, wie weit seine Suche nach Tess’ Mörder vorangeschritten war, noch ob er Nachforschungen wegen des Überfalls auf mich angestellt oder zufällig eine Leiche in Adrians Haus gefunden hatte. Auch er sagte nichts dazu. Stattdessen wollte er wissen, wie weit ich mit meinen Renovierungen war. Er gab mir sogar ein paar Tipps und empfahl mir einen Makler für den späteren Verkauf, falls es mit Mr Perkins Interessenten doch nicht klappen sollte. Eine Weile plauderten wir über unverfängliche Dinge, bis ich mich zu fragen begann, ob er womöglich wirklich nichts von Adrian Crowleys Tod wusste. War die Alarmanlage ausgegangen, ehe der Sheriff sie bemerkt hatte? Falls es eine direkte Verbindung zwischen der Alarmanlage und dem Büro des Sheriffs gab, hatte Adrian sie vermutlich nicht aktiviert. Ganz sicher hatte er das nicht getan! Er hatte den Alarm eingeschaltet, damit ihm nicht entging, falls Nicholas versuchte ins Haus zu gelangen. Die Aufmerksamkeit des Sheriffs wollte er damit ganz sicher nicht auf sich ziehen. Darauf hätte ich auch früher kommen können! Erleichtert sank ich in meinen Kissen zusammen.

Der Sheriff stand auf. »Ich sollte jetzt besser gehen. Sie sind sicher müde.«

Ich nickte. »Vielen Dank, dass Sie hier waren.« Danke, dass Sie mich von meiner Angst befreit haben, demnächst wegen Mordverdachts festgenommen und verhört zu werden.

Auf dem Weg zur Tür blieb er noch einmal stehen. »Geben Sie auf sich acht, Miss Mitchell. Ich kann nicht jedes Mal da sein, um Sie wieder zusammenzuflicken.«

Jedes Mal? Da erst wurde mir bewusst, dass er mich ja schon verarztet hatte, als der Landstreicher mir eines übergezogen hatte. Ich wollte noch etwas erwidern, doch er war schon gegangen. Mein Blick fiel auf das Buch, das er mir mitgebracht hatte. Neugierig griff ich nach dem Päckchen und wickelte es aus. Es war ein Krimi. Das Cover war nichtssagend, doch der Titel ließ mich innehalten: Wer die Wahrheit kennt.

*

Nach Einbruch der Dunkelheit sprach ich mit Nicholas über meine Befürchtungen. Er hielt es für Zufall und war der Ansicht, es gebe unzählige Bücher, deren Titel auf meine Situation passten. Das klang vernünftig. Je länger ich darüber nachdachte, desto mehr gelangte ich zu der Überzeugung, dass er vermutlich Recht hatte. Der Sheriff hatte keinen Grund, mich zu verdächtigen.

Nachdem ich mich endlich dazu durchgerungen hatte, mein Misstrauen aufzugeben, musste ich daran denken, was er gesagt hatte: Wilbur Perkins hatte womöglich einen Käufer für mein Haus. Die Renovierung würde ich nun wohl doch einer Firma überlassen müssen. Ich wusste ja nicht einmal genau, wie lange ich noch im Krankenhaus bleiben musste und ob ich danach so schnell wieder imstande wäre, mich an die Arbeit zu machen. Boston rückte mit jedem Tag näher, doch meine Freude war gedämpft.

Zu Beginn der zweiten Woche meines Krankenhausaufenthalts rang ich mich dazu durch, Mom anzurufen. Ein Teil von mir sträubte sich dagegen, da ich nicht wusste, wie ich ihr erklären sollte, was geschehen war. Ich konnte ihr unmöglich von Nicholas und den wahren Hintergründen erzählen. Zugleich sehnte ich mich danach, ihre Stimme zu hören. Als ich schließlich mit ihr sprach, erzählte ich ihr dieselbe Geschichte, die ich auch dem Sheriff aufgetischt hatte. Zum ersten Mal seit Monaten war Boston kein Thema zwischen uns. Mom war zu Tode erschrocken. Ich spielte meine Verletzung herunter, andernfalls wäre es mir nie gelungen, sie davon abzuhalten, sich in den nächsten Flieger zu setzen und zu mir zu kommen. Natürlich hätte ich mich gefreut, sie zu sehen. Allerdings war mir rasch klar geworden, dass sie nicht ohne mich nach Minneapolis zurückkehren würde. Die wenige Zeit, die mir noch in Cedars Creek blieb, wollte ich unbedingt mit Nicholas verbringen. Deshalb setzte ich alles daran, ihr zu versichern, dass es mir gut ging und ich keine Unterstützung brauchte. Nachdem es mir gelungen war, sie in Minneapolis zu halten, telefonierten wir täglich. Ich sprach auch mit Sue, doch im Gegensatz zu Mom fielen mir die Gespräche mit ihr wesentlich schwerer. Dass ich ihr nicht sagen konnte, was wirklich geschehen war, stand wie eine unsichtbare Mauer zwischen uns. Das tat weh.

Als ich langsam wieder zu Kräften kam, beschloss ich, es sei an der Zeit, die Fragen zu stellen, die mich beschäftigten, seit ich zu mir gekommen war. Ich wollte wissen, warum Nicholas auch nach Adrians Tod noch immer keine Ruhe fand. Darauf wusste er keine Antwort. Natürlich war ich erleichtert, dass er nicht fort war. Zugleich schmerzte es mich, dass ihm sein Frieden auch weiterhin verwehrt zu bleiben schien.

»Mach dir keine Vorwürfe, Sam«, sagte er, als er bemerkte, wie sehr mich die Frage mitnahm. »Es macht mir nichts aus.«

»Ich verstehe es einfach nicht! Wir haben doch alles getan!«

»Wer weiß schon, woran es liegt. Vielleicht an der Beschwörung. Vielleicht auch daran, dass ich für kurze Zeit wieder lebendig war.« Er zuckte die Schultern. »Genau genommen interessiert es mich nicht.«

»Es interessiert dich nicht!«, echote ich fassungslos.

Er erwiderte meinen Blick fest. »Ich habe dir schon einmal gesagt, dass ich mir nicht sicher bin, ob ich überhaupt noch wegwill.«

Darauf wusste ich nichts zu erwidern. Ich würde bald nach Boston gehen. Was wurde dann aus ihm?

Es gab noch etwas anderes, das mir auf der Seele brannte. »Du hast einmal gesagt, du könntest spüren, wenn jemand sterben muss«, begann ich, und als er nickte, fragte ich: »War meine Zeit gekommen?«

»Als du Adrians Haus betreten hast, habe ich nichts gespürt.«

Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen, um fortzufahren. »Und später?«

Er sah mich nur an ohne etwas zu sagen.

»Ich sollte tot sein, nicht wahr?« Schwester Betty hatte es ein Wunder genannt, dass ich trotz des großen Blutverlusts überlebt hatte. Doch es war kein Wunder, sondern ein Opfer. Nicholas’ Opfer. Der Gedanke, dass er meinetwegen sein neu gewonnenes Leben gegeben hatte, ließ mich schier verzweifeln. Ich spürte, wie mir die Tränen in die Augen schossen. Sofort streckte er die Hand nach mir aus, um mich zu trösten, doch alles, was ich spürte, war ein kühler Hauch. Das machte mich nur noch trauriger.

»Warum hast du es getan?«, fragte ich leise und wischte mir die Tränen ab. »War dir denn nicht klar, was das für dich bedeutet?«

»Doch, das wusste ich.« Seine Augen ruhten auf mir, ernst und so voller Liebe, dass mir ganz anders wurde. »Aber es war nicht wichtig. Alles, was für mich wichtig ist, bist du. Welchen Wert hätte es für mich zu leben, wenn du nicht mehr da bist? Ich hätte dir weniger Atem geben können, vielleicht wäre ich dann lebendig geblieben. Aber ich wusste nicht, ob es für dich reichen würde. Ich wollte sichergehen, dass ich dich nicht verlieren würde.«

Keiner von uns stellte die Frage, was werden sollte, wenn ich das Krankenhaus verlassen durfte.

19

Drei Wochen nachdem Adrian versucht hatte mich zu töten, wurde ich aus dem Krankenhaus entlassen und kehrte nach Cedars Creek zurück. Lange vor Mittag erreichte ich Tante Fionas Haus und konnte es kaum erwarten, bis es endlich dunkel wurde. Ich spürte, dass Nicholas bei mir war, doch ich wollte ihn sehen, wollte endlich wieder in der vertrauten Umgebung, abseits der kalten Krankenhauswände, mit ihm sprechen. Es gab einiges, das ich ihm zu sagen hatte. Dinge, die mir auf der Busfahrt von Seattle hierher klar geworden waren. Eines davon war, dass wir noch einmal in Adrians Haus zurückmussten, um das Labor zu zerstören. Eine Weile saß ich im Wohnzimmer auf der Couch, die Beine hoch gelegt, und versuchte die Stille zu genießen.

Noch immer hatte ich die Worte des Sheriffs im Ohr, als er mir gesagt hatte, dass es einen Interessenten für das Haus gäbe. Schließlich hielt ich es nicht länger aus, tatenlos herumzusitzen. Ich stand auf und machte mich an die Arbeit.

Während ich begann Kartons mit Tante Fionas Sachen zu füllen, war ich mir deutlich Nicholas’ Anwesenheit bewusst. Ich glaubte förmlich, seine Sorge zu spüren. Zum einen darüber, dass ich mir zu viel zumuten könnte, und zum andern, dass ich ihn bald verlassen würde.

Bis zum Einbruch der Dunkelheit war ich reichlich geschafft. Ich stand inmitten von halb vollen Kisten und sah mich keuchend um, um herauszufinden, wo ich als Nächstes weitermachen sollte. Da erschien Nicholas plötzlich im Raum. Anfangs noch durchscheinend, gewann er immer mehr an Substanz, bis ich ihn vollständig sehen konnte.

»Himmel, Sam!«, rief er entsetzt. »Du siehst vollkommen erschöpft aus! Das ist doch viel zu viel für dich!« Hilflos machte er einen Schritt auf mich zu, dann schüttelte er den Kopf. »Ich kann dir nicht einmal helfen.«

»Wozu auch?«, meinte ich leichthin. »Ich kann mir mein Zuhause schon selbst einrichten.«

»Zuhause? Einrichten?« Fast hätte man denken können, er schnappe nach Luft. »Sam, ich dachte, du …«

Mir selbst war erst während der letzten Tage klar geworden, dass Boston und Minneapolis inzwischen so weit entfernt waren, als gehörten sie zum Leben eines anderen Menschen. Mein Leben war jetzt hier, in Cedars Creek. Bei Nicholas.

»Was dachtest du? Dass ich dich verlassen würde? Dass ich auch nur einen Tag ohne dich sein könnte?« Ich schüttelte den Kopf. »Du spukst schon lange nicht mehr nur in meinem Haus, Nicholas Crowley.«

»Ich kann dich nicht einmal berühren!«, rief er verdrossen.

»Du berührst mich mehr, als es je zuvor ein Mensch getan hat.« Der Frosch, der vor mir stand, war vielleicht anders, als ich mir das immer vorgestellt hatte. Trotzdem hätte ich keinen anderen haben wollen.

Nicholas streckte die Hand nach mir aus. Ein kühler Luftzug streifte über meinen Arm. Da trat ich auf ihn zu. Als ich dicht vor ihm stand, atmete ich aus und schloss die Augen. Zwei Atemzüge später spürte ich seine Lippen auf meinen. Dann zog er mich in seine Arme. Dieses Mal würde ich mich nicht mit einem Kuss zufriedengeben. Ich sah Nicholas an und lächelte.

Das Haus an der Maple Street war ein Traum.

Und so geht’s weiter

Nicht alle Geister lieben mich

978-3-95751-069-3

Sam ist in einen Todesfall verwickelt, wird von Einbrechern heimgesucht und von einer neugierigen Journalistin verfolgt – doch das sind im Moment ihre geringsten Probleme. Weitaus bedrohlicher ist die Veränderung, die mit Nicholas vor sich geht – dem Geist, der in ihrem Haus und ihrem Herzen spukt. Nachdem er für kurze Zeit lebendig war, kann er die Gier nach Leben kaum noch beherrschen. Das macht ihn auch für Sam zur Gefahr. Obendrein droht Sheriff Travis Sams Geheimnis auf die Spur zu kommen. Als dann auch noch die Toten aus ihren Gräbern zurückkehren, sieht Sam sich gezwungen, zu handeln.

Die Autorin

Brigitte Melzer
Brigitte Melzer © Lalo Jodlbauer

Brigitte Melzer wurde 1971 geboren. Schon früh entdeckte sie ihre Liebe zur Fantasy, die sie schließlich auch zum Schreiben führte. Bereits ihr Debütroman Whisper – Königin der Diebe wurde ein außergewöhnlicher Erfolg. Der Roman schaffte es unter die drei besten Manuskripte, die für den Wolfgang-Hohlbein-Preis 2003 eingereicht wurden. Mit Vampyr erfolgte ihr Durchbruch. Von Brigitte Melzer sind mittlerweile zahlreiche Bücher erschienen, mit denen die Autorin ihr Publikum stets aufs Neue begeistert. Brigitte Melzer lebt und arbeitet in München.

1

Das Haus an der Maple Street war ein Albtraum.

Nie werde ich diesen Tag im September vergessen, an dem ich es zum ersten Mal sah. Auf den ersten Blick wirkte es vollkommen normal. Auch auf den zweiten. Unglücklicherweise gehöre ich nicht zu den Leuten, die sich damit zufriedengeben. Ich musste schon immer alles genau wissen.

Im Licht der untergehenden Sonne schimmerten die weißen Holzwände in flammendem Rot, als ich meinen roten VW-Käfer vor der Garage zum Stehen brachte.

Ich stellte den Motor ab, doch obwohl eine dreitägige Autofahrt – mit mehr als tausenddreihundert Meilen – hinter mir lag, hatte ich es plötzlich nicht mehr eilig, aus dem Wagen zu kommen. Mich erwartete ohnehin nur ein leeres Haus.

Schon der Anblick des Häuschens stimmte mich traurig. Das war alles, was von Tante Fiona geblieben war; ein Haus am Rande einer Kleinstadt – nicht mehr, als ein Haufen alter Dachziegel und Holzbohlen. Für einen Moment war ich versucht, den Zündschlüssel umzudrehen, den Wagen zu wenden und so schnell wie möglich nach Minneapolis zurückzukehren. Doch das ging nicht. Erst musste ich mich um Tante Fionas Nachlass kümmern.

Alles, was ich besitze, vermache ich meiner Nichte, Samantha Mitchell. Die Worte des Testamentsvollstreckers versetzten mich selbst jetzt – zwei Wochen später – noch in Unglauben. Obwohl ich immer ein gutes Verhältnis zu Tante Fiona gehabt hatte, wäre ich nie auf den Gedanken gekommen, sie könne mir einmal ihren gesamten Besitz überlassen. Darüber hatten wir nie gesprochen. Genauer betrachtet gab es nicht viele Alternativen. Tante Fiona hatte keinen Mann und keine Kinder, und mein Vater – ihr Bruder – war bei einem Autounfall ums Leben gekommen, als ich neun war. Zwölf Jahre war das nun her, doch manchmal kam es mir vor, als wäre es erst gestern gewesen, dass die Polizisten an unserer Tür klingelten.

Ich glaube, Tante Fiona fühlte sich immer verpflichtet, die Lücke zu schließen, die Dad in meinem Leben hinterlassen hatte. Trotz der großen Entfernung gab es keine Ferien, keinen Feiertag und keinen Geburtstag, an dem sie mich nicht besucht hätte. Und natürlich war sie im Juni bei meiner College-Abschlussfeier gewesen. Sie war immer für mich da, besonders nachdem Mom wieder geheiratet hatte. Ich komme gut mit Brian zurecht, aber er ist eben nicht mein Dad.

Mein Blick fiel auf den Briefkasten neben der Einfahrt. Ein rot lackiertes Blechungetüm, von dem allmählich die Farbe abblätterte. Ich fragte mich, wie viele Briefe von mir wohl im Laufe der Jahre darin gelandet waren. Obwohl Tante Fiona erst siebenundvierzig war, als sie starb, hatte sie sich immer vehement gegen E-Mails verwehrt und darauf bestanden, zu telefonieren oder Briefe zu schreiben. Früher hatte ich sie oft damit aufgezogen, wie altmodisch das doch sei. Seit ihrem Tod bin ich froh, dass sie sich trotz all meiner Seitenhiebe nie davon abbringen ließ. So bleiben mir wenigstens ihre Briefe als Erinnerung.

Plötzlich fiel es mir schwer zu glauben, dass ich Tante Fiona über die Jahre zwar häufig gesehen hatte, selbst aber nicht ein einziges Mal bei ihr zu Besuch gewesen war. In erster Linie lag das wohl auch daran, dass Tante Fiona Minneapolis mochte. Sie sagte immer, es tue ihr gut, für einige Tage den Kleinstadtmief hinter sich zu lassen. Doch auch wenn sie sich gerne über das verschlafene Cedars Creek beklagte, wäre sie nie auf den Gedanken gekommen, fortzuziehen. Dafür hatte sie diesen Ort zu sehr geliebt.

Nun war ich also zum ersten Mal in meinem Leben in Cedars Creek. Zugleich war es das erste Mal überhaupt, dass es mich in eine Kleinstadt verschlug. Ich bin ein Großstadtmensch – schon immer gewesen. Ich mochte die Anonymität dort und hatte nichts dagegen einzuwenden, nur ein Gesicht unter vielen zu sein. Wenn ich etwas nicht mochte, dann im Zentrum der allgemeinen Aufmerksamkeit zu stehen.

Tante Fionas Haus lag am Rande von Cedars Creek, sodass ich noch nicht viel von der Ortschaft gesehen hatte. Allein die Tatsache, dass es hier nicht einmal Hochhäuser gab, vermittelte mir das Gefühl, in einer anderen Welt zu sein. Keines der Häuser schien mehr als zwei Stockwerke zu haben. Aus der Entfernung wirkten die hellen Fassaden so idyllisch und altmodisch, dass ich mich fast in ein anderes Jahrhundert versetzt fühlte. Der Anblick eines Fabrikschlotes, der weißen Rauch in den Himmel spie, machte diesen Eindruck allerdings recht schnell wieder zunichte. Das musste die Crowley Distillery sein. Tante Fiona hatte mir von der Schnapsbrennerei erzählt; dem größten Arbeitgeber in Cedars Creek.

Obwohl mir noch immer nicht der Sinn danach stand, in ein leeres Haus zu gehen, in dem mich alles an Tante Fiona erinnern würde, öffnete ich jetzt endlich die Autotür und stieg aus. Hauptsächlich wohl, weil ich nach der langen Fahrt schon nicht mehr wusste, wie ich sitzen sollte.

Nach der Hitze im Auto (der Käfer hat keine Klimaanlage) war die frische Luft herrlich. Es war schon nach sechs und die Sonne würde bald untergehen. Dennoch war es für Mitte September noch erstaunlich warm.

Ich stand vor der offenen Wagentür und reckte meine steifen Glieder, während ich meine Augen über die Umgebung wandern ließ. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite stieg das Land langsam an. Die Straße schlängelte sich einen bewaldeten Hügel hinauf, ehe sie im Schatten des Waldes außer Sicht verschwand. Bäume und Farne glühten in den feurigen Rot- und Orangetönen des Indian Summer. Ein starker Kontrast zum strahlend blauen Himmel. Tante Fiona hatte immer davon geschwärmt, wie wundervoll der Herbst in Cedars Creek sei. Beim Anblick des Waldes bekam ich zum ersten Mal das Gefühl, dass sie nicht übertrieben hatte. Auf der Kuppe erspähte ich, halb hinter Bäumen verborgen, ein prächtiges Herrenhaus. Selbst von hier unten sah es riesig aus. Wie ein verwunschenes Haus aus dem Märchen. Bei dem Gedanken musste ich grinsen. Ich fragte mich, wer wohl dort leben mochte.

Womöglich würde ich es ja herausfinden.

Dieses Haus, der verschlafene Ort, einfach alles hier wirkte auf mich, die ich an die Hektik der Großstadt gewöhnt war, seltsam und fremd. Schwer vorstellbar, dass Seattle keine zwei Autostunden entfernt lag.

Ich nahm meinen Rucksack vom Beifahrersitz – meine restlichen Sachen würde ich später holen – und wandte mich dem Haus zu. Nach allem, was ich bisher gesehen hatte, war es das einzige Haus in der Straße. Das letzte Haus am Ortsrand. Großartig. Das würde es nicht gerade leicht machen, einen Käufer zu finden. Ich konnte mir nur schwer vorstellen, dass jemand so abgeschieden leben wollte.

Die ganze Straße war von hohen Ahornbäumen gesäumt, deren Blätter in herbstlichen Flammen standen. Rechts und links der Straße sah ich nichts weiter als wild wuchernde Wiesen voller Herbstblumen, immer wieder von vereinzelten Bäumen und Farnen durchbrochen. Auf der einen Seite gingen die Wiesen schließlich in den Hügel über. Auf der anderen Seite, in Richtung Cedars Creek, stand eine Kirche – das einzige Gebäude in der näheren Umgebung. Ein karmesinroter Holzbau mit weiß gestrichenen Kanten, der sich, keine zweihundert Meter hinter Tante Fionas Haus, aus dem Gras erhob. Trotz des kleinen Glockenturms hatte der Bau mehr Ähnlichkeit mit einer Scheune als einer Kirche. Wenn ich die Augen zusammenkniff, glaubte ich daneben einen Parkplatz und dahinter eine Straße ausmachen zu können.

Ich kramte den Schlüsselbund, den mir der Testamentsvollstrecker gegeben hatte, aus meiner Jeanstasche und ging zur Garage. Der Öffnungsmechanismus war einfach gestrickt. Wenn man keine Fernbedienung hatte, steckte man den Schlüssel ins Schloss und schob das Tor nach oben. Das Schloss klemmte jedoch und ließ sich auch nach mehrfachen Versuchen nicht öffnen. Ich beschloss, es mir später anzusehen. Die Wahrscheinlichkeit, dass es jemand hier mitten im Nirgendwo auf meinen klapprigen Käfer abgesehen haben sollte, erschien mir ohnehin eher gering. Vermutlich musste ich den Wagen nicht einmal abschließen.

Ich schwenkte nach links und ging über einen schmalen gepflasterten Weg zum Haus. Obwohl der Rasen seit Tante Fionas Tod gewachsen war, wirkte der Vorgarten verglichen mit den hüfthohen Gräsern in der Umgebung noch immer erstaunlich gepflegt. Zwei große Ahorne warfen lange Schatten über den Rasen und auf das Dach der Veranda.

Die Holzbohlen knarrten leise, als ich die beiden Stufen erklomm und die Veranda überquerte. Die Hitze des Tages hatte sich unter dem Vordach aufgestaut. Kein Lüftchen regte sich. Erneut griff ich nach dem Schlüsselbund und steckte den Schlüssel ins Schloss. Ein leises Klicken erklang, dann drehte ich den Griff herum. Im Gegensatz zum Garagentor ließ sich die Haustür problemlos öffnen. Ich stieß sie auf und erwartete einen Schwall warmer, abgestandener Luft. Stattdessen kroch mir ein kalter Luftzug entgegen. So kühl, dass ich eine Gänsehaut bekam. Überrascht von der plötzlichen Kälte wich ich einen Schritt zurück.

Da stand ich nun vor Tante Fionas Haus und wünschte mir, ich wäre schon viel früher gekommen. Wie gerne hätte ich sie noch einmal gesehen. Ich seufzte und straffte die Schultern, ehe ich mich endlich überwand und eintrat.

Die Luft war tatsächlich stickig und immer noch kühl. So kühl, dass ich unwillkürlich nach einer Klimaanlage Ausschau hielt. Das Ding musste auf arktische Kälte eingestellt sein! Hier im Flur ließ sich keine Klimaanlage entdecken. Womöglich würde ich sie später finden, wenn ich mich erst einmal genauer umgesehen hatte. Ich konnte nur hoffen, dass ich sie abschalten konnte, ehe ich mich erkälten würde.

Ich stand in einem kleinen Flur, an dessen hinterem Ende ich einen Blick auf das Wohnzimmer erhaschte. Zu meiner Rechten führte eine Tür in die Küche. Die Sohlen meiner Turnschuhe quietschten leise, als ich über das abgetretene, elfenbeinfarbene Linoleum ging. Meine Augen streiften über die Kücheneinrichtung, die Mom mit ihrer Vorliebe für Edelstahl und Chrom bestenfalls als rustikal bezeichnet hätte. Ich fand sie gemütlich. Die Vorhänge waren ein wenig ausgeblichen und die Kräuter und Blumen, die in kleinen Keramiktöpfen auf dem Fensterbrett standen, vertrocknet. Dennoch war das genau die Umgebung, in der ich mir Tante Fiona vorstellen konnte. Warm und herzlich. Ich war ebenso davon überzeugt, dass sie die mit Rüschen verzierte Küchenschürze, die an einem Haken neben der Tür hing, regelmäßig getragen hatte, wie ich daran glaubte, dass sie dieses Haus tatsächlich geliebt hatte. Alles hier trug ihre Handschrift. Die Blumenmalereien auf den Wandfliesen, die Sammlung knallbunter Kaffeetassen auf einem Regal, selbst der alte Teekessel, der auf einer der hinteren Herdplatten stand. Das alles war so sehr Tante Fiona, dass es wehtat.

Auf dem Weg zum Wohnzimmer kam ich an der Treppe vorbei, die nach oben führte. Mein Blick fiel auf die gerahmten Bilder, die am Fuß der Treppe an der Wand hingen. Viele davon zeigten meinen Dad; einen lächelnden Hünen mit dichtem braunem Haar und dunklen Augen, der den Eindruck erweckte, ihn könne nichts aus der Bahn werfen. Auf einigen schon reichlich vergilbten Exemplaren waren Dad und Tante Fiona als Kinder zu sehen. Und dann gab es noch eine Reihe Fotos, auf denen ich mich wiederfand. Geburtstage, Thanksgiving, Weihnachten, Abschlussfeiern. Als ich das Bild entdeckte, das Dad von mir in Disney World geschossen hatte, musste ich lachen. Es zeigte ein siebenjähriges sommersprossiges Mädchen mit geflochtenen Zöpfen und Zahnspange, das sich in einer überschwänglichen Umarmung an Mickey Mouse klammerte. Zahnspange und Zöpfe gehörten heute längst der Vergangenheit an. Stattdessen war ich dazu übergegangen, meine störrischen schulterlangen Locken zu einem Pferdeschwanz zusammenzubinden. Das dichte braune Haar hatte ich ebenso von meinem Dad geerbt wie die dunklen Augen und den olivfarbenen Teint. Seine einschüchternde Körpergröße ist mir glücklicherweise erspart geblieben.

Noch immer grinsend ging ich ins Wohnzimmer. Die beigefarbenen Vorhänge waren zugezogen und hüllten den Raum in Halbdunkel. Die Luft war abgestanden. Im ersten Augenblick hatte ich das Gefühl, dass es hier wärmer war als auf dem Gang und in der Küche. Dann streifte mich erneut ein kühler Luftzug und die Gänsehaut kehrte auf meine Arme zurück. Irgendwo musste doch die Klimaanlage sein!

Meine Augen wanderten über die dunklen Holzmöbel, streiften das geblümte Sofa und einen klobigen Sessel in der Mitte des Raumes und fuhren über die getäfelten Wände und den offenen Kamin auf der Suche nach dem Gerät. Nichts! Nicht einmal ein Ventilator! Konnte ein Haus tatsächlich so zugig sein? So kalt – im Spätsommer? Wenn ich es verkaufen wollte, musste ich unbedingt die Ursache für die Kälte finden und abstellen. Aus dem Kamin kam sie jedenfalls nicht.

Mir war schon jetzt klar, dass es nicht einfach werden würde, das Haus zu entrümpeln und herzurichten. Allein der Gedanke, Tante Fionas Heim einem Fremden zu überlassen, schmerzte. Trotzdem blieb mir keine andere Wahl. Was sollte ich mit einem Haus in Cedars Creek? Mein Leben spielte sich im Augenblick noch in Minneapolis ab. Dort waren all meine Freunde. Doch bald schon würde ich nach Boston gehen, wo ein Job in der Marketingabteilung von Jameson Industries auf mich wartete. Die Zusage hatte ich am Tag meines Collegeabschlusses bekommen. Ich war vor Freude völlig aus dem Häuschen gewesen. Während Mom entsetzt darüber war, dass ich Minneapolis verlassen und nach Boston ziehen wollte, hatte Tante Fiona meine Begeisterung uneingeschränkt geteilt. Sie war mir um den Hals gefallen und hatte immer wieder gerufen: Das ist großartig, Sam! Von allen Unternehmen, bei denen ich mich beworben hatte, war Jameson Industries meine erste Wahl gewesen. Dort konnte ich viel lernen, ehe ich mich eines Tages womöglich mit meiner eigenen Marketingfirma selbstständig machen würde. Ich sollte die Stelle in sechs Wochen antreten. Bis dahin hatte ich Zeit, Tante Fionas Nachlass zu regeln.

Ich hatte daran gedacht, eine Firma mit der Renovierung zu beauftragen und einen Makler mit dem Verkauf zu betrauen, doch ich fand, dass ich Tante Fionas Zuhause zumindest ein einziges Mal sehen sollte. Da ich ohnehin die nächsten Wochen freihatte, beschloss ich, mich selbst um alles zu kümmern. Beim Anblick der sperrigen alten Möbel fragte ich mich zum ersten Mal, ob ich das wirklich allein bewältigen konnte.

Grübelnd starrte ich vor mich hin und ließ zu, dass meine Gedanken von der bevorstehenden Arbeit zu Tante Fiona zurückkehrten. Nach meinem Dad war sie der zweite Mensch, der so urplötzlich aus meinem Leben gerissen worden war. Sie war kerngesund gewesen, das hatte sie immer wieder versichert. Dass sie an Herzversagen gestorben war, wollte mir noch immer nicht in den Kopf. Noch schlimmer jedoch war, dass ich nicht da war, als sie starb. Ich war mit meiner besten Freundin Sue für zwei Wochen in Florida gewesen, um unseren Abschluss zu feiern. Bei meiner Rückkehr war bereits alles vorüber. Selbst die Beerdigung hatte ich verpasst. Nur die Testamentseröffnung, für die Tante Fiona schon zu Lebzeiten eigens einen Anwalt in Minneapolis beauftragt hatte, hatte mir noch bevorgestanden.

Obwohl es noch immer erstaunlich kühl war, hatte ich auf einmal das Gefühl zu ersticken. Ich brauchte Luft! Mit zwei Schritten erreichte ich die Fensterfront und zog die Vorhänge zur Seite. Helligkeit flutete in den Raum. Ich öffnete die Schiebetür und trat nach draußen.

Die Abendsonne wärmte meine Haut und vertrieb die Kälte, die mich im Haus ergriffen hatte. Die gepflasterte Terrasse war gerade groß genug, um einem Tisch mit ein paar Stühlen, einem abgedeckten Grill und einer Sonnenliege Platz zu bieten. Dahinter eröffnete sich der Blick auf einen ausladenden Garten. Blumenbeete säumten zu beiden Seiten die Rasenfläche in der Mitte. Ich bin kein Experte auf dem Gebiet, deshalb gelang es mir lediglich, die Rosenstöcke zu erkennen. Die restlichen Blumen, die ihre Köpfe in der Herbstluft hängen ließen, hatte ich zwar alle schon einmal gesehen, wusste aber nicht, wie sie hießen. Das Unkraut, das überall dazwischen aus dem Boden wucherte, konnte sogar ich als solches erkennen. Ich kann nicht gerade behaupten, mit dem berühmten grünen Daumen gesegnet zu sein. Sam Mitchell und Pflanzen, das sind zwei Welten, die nicht gut miteinander klarkommen. Mom behauptet sogar, es grenzte bereits an ein Wunder, wenn künstliche Pflanzen in meiner Nähe überlebten. Das ist natürlich übertrieben, allerdings bekomme ich selbst die robustesten Pflanzen klein. Ich werde wohl nie lernen, welche Pflanzen wie viel Wasser brauchen. Entweder gebe ich ihnen zu wenig, oder aber ich meine es zu gut und ersäufe sie. So oder so: Gäbe es eine Organisation gegen Pflanzenfolter, ich wäre der Staatsfeind Nummer eins.

Eine Holzhütte zog meinen Blick auf sich. Vermutlich ein Geräteschuppen. Auf der Rückseite wucherte hüfthohes Gras, durchzogen von Farnen und Bäumen, die ihre Schatten auf den Boden warfen. Dahinter sah ich in einiger Entfernung die roten Umrisse der Kirche. Ich nahm an, dass der Schuppen direkt an der Grundstücksgrenze erbaut war. Was dahinter lag, gehörte wahrscheinlich nicht mehr zu Tante Fionas Haus, sondern zur Kirche.

Ich trat von der Terrasse auf den Rasen und ging auf den Schuppen zu. Wenn ich recht hatte, musste es dort einen Zaun oder eine Mauer geben. Irgendetwas, das die Grenze markierte.

Als ich den Schuppen beinahe erreicht hatte, konnte ich noch immer keinen Zaun erkennen. Wenn man nach einer Grenze suchte, musste man wohl die veränderte Vegetation als solche akzeptieren. Die lichte Reihe Douglasien – eine der wenigen Baumarten, die ich kannte – wirkte tatsächlich wie eine Trennungslinie. Geblendet von der Abendsonne kniff ich die Augen zusammen und spähte ins Halbdunkel am Fuß der Bäume. Zwischen Farnen und hüfthohem Gras glaubte ich vereinzelte Schatten ausmachen zu können. Vielleicht Teile einer alten Mauer. Ohne meine Augen von den Schemen zu lösen, die dort dunkel aus dem Boden ragten, trat ich noch näher. Umrisse schälten sich aus dem Zwielicht, schief und halb in den Erdboden eingesunken. Ich blieb abrupt stehen. Moosüberwucherte Klumpen wuchsen in unregelmäßigen Abständen aus dem Boden. Was ich zunächst für die Überreste einer Mauer gehalten hatte, entpuppte sich als etwas vollkommen anderes. Schlagartig war die Kälte wieder da, von der ich geglaubt hatte, sie im Haus zurückgelassen zu haben. Eine schmerzhafte Gänsehaut überzog meine Arme und meinen Rücken, als ich mit pochendem Herzen auf die Grabsteine starrte, die sich vor mir aus dem Grün erhoben.

2

Der Anblick des alten, verwilderten Friedhofs trieb mich ins Haus zurück. Drinnen war es noch immer kühl, doch plötzlich machte es mir weniger aus als noch vor ein paar Minuten. Ich warf die Terrassentür hinter mir zu und starrte aus dem Fenster. Mein Herz hämmerte noch immer wie wild und wollte sich nur sehr langsam beruhigen. Immer wieder versuchte ich mir einzureden, dass es Unsinn war, sich wegen eines Friedhofs aufzuregen. Ein Teil von mir war sogar bereit, das zu akzeptieren. Der andere Teil jedoch hatte bei Weitem zu viele Horrorfilme gesehen, um die Nähe der Toten einfach so zu verdrängen.

»Okay, Sam«, murmelte ich und erschrak, als meine Stimme empfindlich laut durch die Stille schnitt, »krieg dich wieder ein!« Immerhin war ich diejenige, die sich jedes Mal darüber beklagte, wie unglaubwürdig Horrorfilme doch waren. Nichtsdestotrotz hatten sich sichtlich einige Geschichten ein wenig zu sehr in mein Hirn gebrannt.

Ich zwang mich, tief durchzuatmen. Was hatte ich schon gesehen? Ein paar völlig überwucherte, windschiefe Steinklumpen. So wie es dort ausgesehen hatte, wurde dieser Teil des Friedhofs bereits seit Jahrzehnten nicht mehr benutzt. Vermutlich waren selbst die Geister längst an Altersschwäche oder Langeweile gestorben. Die frischen Gräber mussten sich an einer anderen Stelle – weiter weg von meinem Haus – befinden. Irgendwie war der Gedanke beruhigend. Dann jedoch fragte ich mich, wie das möglich war. Sollten nicht gerade die ältesten Gräber nahe der Kirche sein? Ich schüttelte den Kopf und beschloss, den Gedanken nicht weiter zu verfolgen. Zumindest vorerst nicht.

Meine Einstellung zum Haus hatte sich jedoch grundlegend geändert. Es war jetzt weit mehr als Tante Fionas gemütliches Heim. Es war das Haus am Friedhof.

Ich versuchte zu überschlagen, wie lange mein Aufenthalt in Cedars Creek wohl dauern mochte. Selbst bei vorsichtigen Schätzungen – ohne das gesamte Haus zu kennen und zu wissen, wie gut meine Chancen standen, es an den Mann zu bringen – würde ich wohl mindestens die nächsten drei oder vier Wochen hier festsitzen. Ob ich doch einen Makler …? Nein! Den Gedanken, mir im Ort ein Zimmer zu mieten und nur tagsüber herzukommen, um im Haus zu arbeiten, verwarf ich ebenso rasch wieder. Tante Fiona hatte ihr ganzes Leben in diesem Haus verbracht. Was waren im Vergleich dazu schon ein paar Wochen.

Ein schriller Laut durchschnitt die Stille und ließ mich heftig zusammenfahren. Mein Handy! Ich fischte es aus meiner Jeanstasche und warf einen Blick auf das Display, bereit den Anrufer wegzudrücken, falls es meine Mom war. Mir stand im Augenblick nicht der Sinn danach, mit ihr zu sprechen. Sie würde nur die leidige Diskussion fortführen, mit der sie seit Wochen versuchte, mich dazu zu bewegen, nicht nach Boston zu gehen. Als ich Sues Nummer sah, nahm ich das Gespräch erleichtert an.

»Hi, Sue.«

»Sam!«, schallte mir Sues Stimme blechern entgegen. Die Verbindung war nicht besonders gut. »Warum hast du dich nicht gemeldet? Ich habe seit drei Tagen nichts mehr von dir gehört!«

Ich seufzte. »Entschuldige. Ich war einfach zu müde. Wenn ich abends aus dem Auto gestiegen bin, wollte ich nur noch ins Bett.«

Am anderen Ende stieß Sue den Atem aus. Ich wusste, dass sie sich Sorgen um mich machte, und es tat mir leid, mich nicht früher gemeldet zu haben.

»Wo steckst du jetzt?«, fragte Sue.

»Cedars Creek. Bin gerade angekommen.«

Meinen Worten folgte eine kurze Pause. Dann fragte sie: »Und? Geht es dir gut? Kommst du klar?«

Für einen Moment war ich versucht, ihr die Wahrheit zu sagen. Ich wollte ihr erzählen, wie schwer es mir fiel, hier zu sein, und wie sehr ich den Gedanken hasste, alles fortzugeben, was einmal Tante Fiona gehört hatte. Das Haus liegt an einem Friedhof!, wollte ich herausschreien, doch ich schluckte die Worte hinunter.