Cover

Brigitte Melzer

Elyria

Im Visier der Hexenjäger

Roman

hockebooks

16

Als die aufgehende Sonne den Himmel in feurige Glut hüllte, lag Elyria noch immer in Ardans Armen. Sie hatte den Kopf auf seine Brust gelegt und lauschte dem regelmäßigen Schlagen seines Herzens. Es erstaunte sie, dass ein Krieger wie er derart zärtlich sein konnte. Während der vergangenen Stunden hatte er ihr mit jedem Blick, jedem Kuss und jeder Berührung gezeigt, wie sehr er sie liebte.

Sie strich mit dem Finger über seine Brust, spürte die Wärme seiner Haut und seufzte zufrieden, als er sie enger an sich zog und ihr einen Kuss auf den Haaransatz hauchte. Er hatte es sich nicht nehmen lassen, ihr schließlich doch noch zu sagen, was ihm auf der Seele brannte. Er hatte offen über seine Erfahrungen mit dem Fahrenden Volk, seine Ehe und wie es dazu gekommen war, dass er so heftig auf das Brandzeichen an ihrer Schulter reagierte, gesprochen. Sie war erleichtert. Endlich verstand sie sein Verhalten der vergangenen Tage.

»Du musst mir etwas versprechen«, sagte er plötzlich.

Der Unterton in seinen Worten ließ sie aufhorchen. »Versprechen? Was?«

»Du darfst die Magie nicht mehr einsetzen. Schon gar nicht, um mich zu retten.«

Sie hob den Kopf und sah ihn an. »Aber sie hätten dich getötet.«

»Ich weiß.«

Noch immer rührte es sie zutiefst, dass er bereit gewesen war, sein Leben für sie zu geben. Doch das war ein Geschenk, das sie nicht wollte. »Ich könnte nie …«

Er verschloss ihr die Lippen mit einem raschen Kuss. Dann nahm er ihr Gesicht in beide Hände und sah ihr tief in die Augen. »Elyria, es dauert jedes Mal länger, bis du deine Kräfte zurückerlangst. Die Schwäche wird immer schlimmer. Ich habe Angst, dass die Magie dich irgendwann umbringt.« Er suchte ihren Blick. »Keine Magie mehr. Bitte. Gib mir dein Wort.«

Was er verlangte, gefiel ihr nicht. Dennoch nickte sie langsam. »Versprochen.« Sie kuschelte sich in seine Arme und genoss seine Wärme und Nähe. So sollte es immer sein. Doch der Frieden endete, als es klopfte. Zum ersten Mal fragte sie sich, wie sie Gwynn und Crean erklären sollten, was sich während der letzten Nacht verändert hatte. Wir müssen nichts erklären. Sie werden es sehen.

Die Tür wurde geöffnet. Elyria zog das Laken höher und richtete sich auf. Neben ihr setzte sich Ardan auf. Crean trat ein. Als er Elyria und Ardan sah, trat ein Grinsen in seine Züge, er wurde jedoch rasch wieder ernst.

»Ich störe ja nur ungern, aber da ist ein alter Mann, der wie ein Verrückter vor dem Tor auf und ab rennt und um Einlass fleht.«

Ardan schwang die Beine aus dem Bett. »Wer ist es?«

Crean schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung. Aber ich werde das Gefühl nicht los, dass ich ihn schon einmal gesehen habe.«

»Was will er?«

»Er faselt die ganze Zeit etwas davon, dass er uns warnen müsse und dass wir in großer Gefahr schweben!«

»Lasst ihn ein und bringt ihn in mein Arbeitszimmer. Wir kommen gleich.« Ardan angelte nach seinen Hosen, schlüpfte hinein und streifte sich das Hemd über.

Elyria runzelte die Stirn. »Bist du sicher, dass das eine gute Idee ist? Ich meine, einen Fremden in die Burg zu lassen …«

Ardan sah sie an. »Er ist ein einzelner alter Mann. Lieber habe ich ihn in der Burg – und unter Kontrolle – als davor, wo er durch sein Benehmen womöglich noch die Aufmerksamkeit von Peristaes Spähern erregt.«

Sie wandte sich an Crean. »Ist er wirklich allein? Oder sind noch andere bei ihm?«

»Wir haben niemanden gesehen – und glaubt mir, wir haben uns sehr genau umgeschaut.« Crean hob die Hand zum Gruß. »Bis gleich.«

Nachdem er gegangen war, ließ Elyria das Laken fallen und sammelte ihre Gewänder ein, um sich anzukleiden. Das Gefühl des Friedens, das sie noch vor wenigen Augenblicken verspürt hatte, war verflogen. Ihr Blick glitt zu Ardan, der gerade seine Weste zuschnürte. In der vergangenen Nacht hatte sich einiges verändert. Eine innere Stimme sagte ihr, dass das noch nicht alles gewesen war.

Ardan schlang einen Arm um ihre Taille und küsste sie, während seine andere Hand zärtlich über ihre Haut glitt. »Mach dir keine Sorgen«, sagte er, als er sie wieder freigab, damit sie sich fertig ankleiden konnte. »Er ist nur ein alter Mann.«

Seine Worte vermochten es nicht, die dunkle Vorahnung zu vertreiben, die mehr und mehr von ihr Besitz ergriff. Auf dem Weg über die Gänge fragte sie sich immer wieder, warum sie der Begegnung mit einem Fremden derart angespannt entgegensah. Ardan hatte recht. Es war nur ein alter Mann. Womöglich war er verwirrt oder einfältig. Und doch …

Auf dem Gang vor dem Arbeitszimmer wartete Crean. »Er ist dort drin. Gwynn hat auf der Mauer Stellung bezogen, um nach Peristaes Männern Ausschau zu halten.« Er sah Ardan an. »Braucht Ihr mich hier?«

Ardan schüttelte den Kopf. »Es wäre mir lieber ein weiteres Paar wachsamer Augen auf der Mauer zu wissen.«

»Das dachte ich mir. Übrigens, Fergal und seine Männer sind vor einer Stunde zurückgekehrt. Sie sind wohlauf.« Mit einem kurzen Nicken machte er kehrt und verschwand den Gang entlang. Elyria streckte die Hand nach dem Türgriff aus. Ardan hielt sie zurück.

»Warte.«

Sie ließ die Hand sinken und wandte sich zu ihm um. »Was ist?«

Er trat näher. »Ich will nur, dass du weißt, wie sehr ich dich liebe.«

»Seit ein paar Stunden habe ich so eine Ahnung«, gab sie lächelnd zurück.

»Es ist mehr als das. Weit mehr. Weißt du, ich hatte von Anfang an das Gefühl, dass du ein Teil von mir bist. Dieses Gefühl ist seither nie von mir gewichen. Nicht einmal, als ich dich für eine Diebin gehalten habe.«

Sie sah ihn erstaunt an. »Schon in Peristaes Kerker, bei unserem ersten Zusammenstoß … Ich habe es auch gefühlt. Ich fühle es noch immer.«

Ardan nickte. »Du bist die Richtige. Die, nach der ich all die Jahre in Dayanara vergeblich gesucht habe.« Er griff nach ihrer Hand. »Ich habe dir einmal gesagt, dass ich mir nichts sehnlicher wünschen würde als ein abgelegenes Haus, fernab von den Wölfen des Königs. Doch da ist noch etwas. Etwas, das mir wichtiger ist: Ich wünsche mir, dass du bei mir bist. Jeden Tag. Jede Stunde. Der Gedanke …« Er sah sie an, hielt ihren Blick fest, als wolle er darin versinken. »Lass uns fortgehen – gleich, nachdem wir uns angehört haben, was der Alte zu sagen hat.«

Sein Blick ließ ihre Knie weich werden und seine Worte lösten einen wohligen Schwindel in ihr aus. Am liebsten hätte sie sich in seine Arme geworfen und gerufen: Ja! Lass uns gehen. Sofort! Doch da war etwas, was sie davon abhielt. »Was ist mit deiner Magie?«

»Vergiss die Magie. Lass uns Cartómien verlassen und an einem anderen Ort weit fort von Peristae und seinen Hexenjägern neu anfangen. Auf unserem Gehöft brauche ich keine Magie. Ich bin dann kein Krieger mehr. Nur ein Bauer, der mit seiner Frau in Frieden leben möchte.« Bei jedem Wort schienen seine Augen ein wenig mehr zu strahlen. »Nur du und ich und eine ganze Schar von Kindern. Was hältst du davon?«

»Was ich davon halte?« Zu wissen, dass er den Rest seines Lebens mit ihr verbringen wollte, erfüllte sie mit Wärme und Glück. »Himmel! Da fragst du noch?«

Lachend riss er sie in seine Arme und wirbelte sie im Kreis. Als er sie wieder absetzte, zog er sie an sich und küsste sie. Ein langer, leidenschaftlicher Kuss, in dem das Versprechen einer herrlichen Zukunft lag.

»Nur du und ich«, hauchte er, als er seine Lippen von ihren löste. »Ich werde immer an deiner Seite sein – für den Rest meines Lebens. Das schwöre ich.«

Elyria lächelte und küsste ihn noch einmal. Obwohl es ihr schwerfiel, löste sie sich schließlich aus seinen Armen. »Lass uns hören, warum der Alte hier ist. Je eher wir das hinter uns gebracht haben, …«

»… umso früher können wir unsere Sachen packen und gehen«, vollendete er gemeinsam mit ihr den Satz, nahm sie bei der Hand und führte sie ins Arbeitszimmer.

Der unbekannte Gast hatte es sich in einem der roten Samtsessel bequem gemacht. Als Elyria und Ardan den Raum betraten, sprang er mit einer Behändigkeit auf, die sie einem Mann seines Alters nicht zugetraut hatte.

Seine Augen hefteten sich auf Ardan. »Ihr müsst fort von hier!«, rief er aufgeregt. »Eure Gemahlin hat Euch an Eddan Peristae verraten!«

Ardan hob beschwichtigend die Hände. »Beruhigt Euch.«

»Wie soll ich mich beruhigen? Ihr seid in großer Gefahr!« Schlohweißes Haar umrandete seinen Kopf wie farblose Flammenlohen, wankend und zuckend. Doch es war sein Gesicht, das Elyrias Aufmerksamkeit auf sich zog. Die tief liegenden Augen, der hektische Blick und die sorgenvoll gefurchte Stirn, erinnerten sie an etwas. »Sie werden –«

»Schluss damit!«, sagte Ardan streng und sichtlich nicht in der Stimmung für Erklärungen. »Wer seid Ihr? Und was wollt Ihr hier? Warum interessiert es einen Fremden, ob wir in Gefahr sind oder nicht?«

So wenig Ardan bereit gewesen war, ihm eine Erklärung zu liefern, warum sie nicht mehr in Gefahr waren, so wenig schien der Alte nun gewillt, Ardans Fragen zu beantworten. Der alte Mann wandte sich Elyria zu. Er blickte sie so lange und durchdringend an, dass sie begann sich unbehaglich zu fühlen. Wie eine Eule. Dieses Bild war es, an das sie sich erinnerte. Crean hatte recht gehabt. Sie waren diesem Mann in der Tat schon einmal begegnet.

»Ich habe Euch schon einmal gesehen«, sagte sie schließlich. Noch immer hörte er nicht auf sie anzustarren. »In einer Schenke.«

Er nickte. Tränen standen in seinen Augen. »Elyria.« Ein einziges Wort, das mehr einem Seufzer glich als ihrem Namen.

Misstrauisch trat sie einen Schritt zurück, näher zu Ardan. »Woher wisst Ihr, wie ich heiße?«

»Von deiner Mutter.« Ein Lächeln stahl sich in seine Züge. »Bei den Mächten, du siehst aus wie sie.«

Nun war es an ihr ihn anzustarren. Ihre Finger tasteten nach Ardans Hand, fanden sie und klammerten sich daran. »Meine Mutter starb, als ich …« Sie stutzte. Ihre Mutter war blond gewesen, mit blauen Augen und heller Haut. Gegensätzlicher hätten zwei Menschen kaum aussehen können. »Was redet Ihr da? Ich ähnle meiner Mutter kein bisschen!«

»Mícheils Frau war nicht deine Mutter. Ebenso wenig wie Mícheil dein Vater ist.« Die Augen des Alten ruhten unverändert auf ihr, suchten nach der Erkenntnis in ihrem Blick. »Du weißt es nicht«, stellte er schließlich fest.

Ardan schob sich schützend vor Elyria. »Wer, zum Henker, seid Ihr? Was wollt Ihr?«

»Mein Name ist Jalandar.« Der Alte löste seinen Blick von Elyria und neigte das Haupt. »Ich bin euch gefolgt, seit ich euch in der Schenke gesehen habe. Es gibt viel zu besprechen. Einiges mehr, als ich gedacht hatte.«

»Ich glaube nicht, dass ich mir Euer wirres Gerede anhören möchte.«

Elyria legte ihm eine Hand auf den Arm und trat neben ihn. »Ich will es hören«, sagte sie leise. »Bitte.« Zum ersten Mal seit Langem erinnerte sie sich an die Worte ihres Vaters, als er zu Dhori gesagt hatte, ein Mann hätte sie ihm gebracht und ihn gebeten sie wohl zu behüten. Sie hatte es damals als Unsinn abgetan. Jetzt jedoch schienen die Worte plötzlich Sinn zu ergeben.

Ardans Blick zuckte zwischen Elyria und Jalandar hin und her. »Setzen wir uns.«

Während Jalandar sich niederließ, zog Ardan einen Sessel heran und ließ Elyria Platz nehmen, ehe er sich neben sie stellte. Jalandar saß still da und betrachtete die beiden schweigend. Die Stille, die sich mit einem Mal ausbreitete, war kaum zu ertragen. Elyria hatte Mühe, ihn nicht anzufahren, endlich zu beginnen.

»Der Krieg der Mächte ist längst vorüber«, begann Jalandar nach einer langen Pause, »doch die Gefahr ist noch immer nicht gebannt. Die Bruderschaft der Erleuchteten hat die Schwäche eines einzelnen Mannes genutzt, um das Druidentum zu stürzen und alle Zauberwirker dem Tode zu weihen.« Jalandars Augen waren in weite Ferne gerichtet, als er sprach. »Ein Einzelner hat den Dämon beschworen und damit den Untergang einer Ära eingeläutet.«

»Wir kennen die Geschichten über den Krieg der Mächte und die Zeit der Reinigung«, unterbrach Ardan ihn ungeduldig. »Kommt zur Sache oder geht.«

Jalandar richtete sich in seinem Sessel auf. »Es gibt eine Prophezeiung.«

»Oh bitte!« Jetzt hatte auch Elyria genug. »Ich dachte, Ihr hättet etwas über meine Mutter zu berichten oder darüber, warum mein Vater …« Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe wirklich keine Lust mir sinnloses Gewäsch über irgendwelche Vorhersagen anzuhören. Aus diesem Alter bin ich schon lange heraus.«

Jalandar ließ sich nicht beirren. »Ihr wollt nichts über den Krieg der Mächte hören? Meinetwegen.« Er sah Ardan an. »Wie seid Ihr dem Mädchen begegnet, Fürst? Hatte Euer erstes Zusammentreffen womöglich mit Magie zu tun?« Als Ardan nicht antwortete, nickte Jalandar, als hätte er es gleich gewusst.

Unwillkürlich versteifte sich Elyria. Wie kann er von der Magie wissen? Nur langsam wurde ihr klar, dass es nicht schwer zu erraten sein dürfte angesichts der Tatsache, dass Peristae ihrer habhaft zu werden versuchte. Was will er hier? Wer ist dieser Mann?

Ohne Unterbrechung fuhr Jalandar fort: »Vielleicht wollt Ihr ja etwas über die Magie hören, die Ihr verloren habt? War es nicht so, dass Euch einst ein Bettler ein Amulett gab? Was hat er zu Euch gesagt, Ardan von Daormir? Erinnert Ihr Euch an seine Worte?«

Eine Weile schien es, Ardan würde nicht antworten. Er starrte Jalandar an, als wisse er nicht, ob er ihn hinauswerfen oder bitten sollte fortzufahren. »Du hast eine Gabe, die nicht für dich bestimmt ist«, sagte er schließlich so leise, dass Elyria Mühe hatte ihn zu verstehen. »Behüte sie gut. Auch, wenn du sie nicht mehr hast.«

Jalandar nickte lächelnd.

»Woher wisst Ihr von dem Bettler?«

»Ich weiß noch einiges mehr. Was ich zu sagen habe, wird Euch nicht gefallen – es gefällt mir selbst nicht. Dennoch hängt viel davon ab, dass ihr beide mich anhört. Werdet ihr das tun?« Sein Blick schweifte zwischen Elyria und Ardan hin und her. »Werdet ihr mir zuhören?«

Elyria wusste nicht, was es mit diesem Bettler auf sich hatte. Zu sehen, wie überrascht Ardan reagierte, genügte ihr. Sie nickte. Ebenso wie Ardan.

Eine Weile schwieg Jalandar. Seine Aufmerksamkeit schien nach innen gekehrt, als suche er in seinem Herzen nach den passenden Worten. Elyrias Augen wanderten zu Ardan, der den Alten fixierte. Als er ihren Blick bemerkte, lächelte er. Doch sein Lächeln vermochte es nicht, die Anspannung zu verbergen, die sich in seine Züge gegraben hatte.

»Die Bruderschaft behauptet, sie habe die Menschheit vor dem Schwarzen König bewahrt«, begann Jalandar endlich. »Doch es waren die Sieben Meistermagier, die ihn in einem letzten, gefährlichen Ritual bezwangen. Zumindest habe ich das bis vor Kurzem geglaubt.«

Elyria sah auf. »Ihr habt es geglaubt

Die Miene des alten Mannes verdüsterte sich und war jetzt von Alter und Erschöpfung geprägt. »Ich glaube nicht länger, dass die Gefahr gebannt ist«, sagte er und streckte die Hand nach seinem Bündel aus, das neben ihm auf dem Boden lag. Stoff raschelte, dann förderte er einen in ein Tuch gewickelten Gegenstand zu Tage. Seine knorrigen Finger lösten das Tuch und enthüllten eine bernsteinfarbene Kugel. Blauschwarzer Nebel kräuselte sich darin, drängte wirbelnd gegen die Außenwände und zog sich sofort wieder zurück, nur um einen Augenblick später erneut seine dürren Finger auszustrecken.

Als wolle etwas ausbrechen.

»Was sich in dieser Kugel befindet, habe ich am Ort des Rituals gefunden. Ich bin überzeugt, dass es sich dabei um die Essenz des Schwarzen Königs handelt.« Er legte die Kugel vor Elyria und Ardan auf den Tisch. »Er ist nicht vernichtet, wie wir all die Jahre angenommen haben. Er wurde gebannt – und das auf derart unzureichende Weise, dass er sich sichtlich noch immer in dieser Welt befindet. Die Sieben sind tot. Es gibt niemanden mehr, der sich dem Dämon in den Weg stellen könnte.«

Ardan beugte sich vor und tippte mit dem Zeigefinger vorsichtig gegen die Kugel. Sofort schlug der Nebel in seine Richtung. Er runzelte die Stirn. »Das soll ein Dämon sein?«

Jalandar schüttelte den Kopf. »Nur ein Teil von ihm. Ein winziger Bruchteil seiner Aura, wenn ihr es so wollt. Ich glaube, dass der Dämon am Ort des Rituals gefangen ist.«

»Wenn er gefangen ist, kann er niemandem etwas anhaben«, überlegte Elyria laut. »Wo ist das Problem?«

»Was, wenn eines Tages jemand auf den Gedanken kommt ihn zu beschwören? Was, wenn sich seine Anhänger wieder zusammenfinden, um ihm zu huldigen? Was, wenn sie einen Weg finden, ihren Herrn zu sich zu rufen? Was, wenn –«

»Das sind mir entschieden zu viele Wenns. Ihr solltet langsam zum Punkt kommen, denn Ihr beginnt unsere Zeit zu verschwenden.« Ardans Blick wanderte zu Elyria. Unsere Zukunft wartet auf uns, schienen seine Augen zu sagen. Sie lächelte.

Jalandar fuhr fort: »Um das Ritual durchzuführen, waren sechs Artefakte vonnöten. Wir hatten nur fünf – erschaffen aus den Früchten der Bluteiche. Das sechste Artefakt, das Strahlende Gefäß, blieb mir stets ein Rätsel. Ich hatte gehofft, dass die Vernichtung des Dämons dennoch von Erfolg gekrönt sein würde, wenn nur die Magier, die das Ritual ausführten, mächtig genug wären.« Seine Augen hingen an der bernsteinfarbenen Kugel und folgten dem wabernden Nebel darin. »Ich habe mich geirrt.«

Seine Worte waren von derartiger Bitterkeit erfüllt, dass sie Elyrias Mitleid erweckten. »Ich bin sicher, dass Ihr getan habt, was in Eurer Macht stand.«

Er schüttelte den Kopf. »Das habe ich nicht. Ich war arrogant und eitel und habe geglaubt, die Mächte der Ewigkeit über meine Unzulänglichkeiten hinwegtäuschen zu können. Doch es ist mir nicht gelungen. Viele Menschen fanden den Tod. Und schon bald wird es von vorne beginnen – weitaus schrecklicher als zuvor.«

»Ich verstehe noch immer nicht, was das alles mit uns zu tun haben soll.« Ardan war seine wachsende Ungeduld deutlich anzumerken.

Jalandar blickte drein, als hätte Ardan ihn aus einem Traum geweckt. »Natürlich.« Er nickte. »Für Euch und Elyria muss das alles sehr verwirrend sein.« Er wandte sich erneut an Elyria. »Dein Vater war Delbaeth. Ein Krieger, dessen Aufgabe es war, den Palast der Magier zu schützen. Der Name deiner Mutter ist Lifiyah. Sie war eine von uns. Eine Gelehrte aus dem Zirkel des Auges.« Er zog ein Lederband unter seinem Hemd hervor, an dem ein dünnes Holzplättchen hing. Beinahe zaghaft strichen seine Finger über das stilisierte Auge, das in das rote Holz der Bluteiche geritzt war. »Deine Mutter war nicht nur eine Zauberwirkerin, sie war zugleich mit dem zweiten Gesicht gesegnet, wenngleich sie es manchmal einen Fluch nannte zu wissen, was geschehen würde.« Die Erinnerung brachte ein schwermütiges Lächeln in seine Züge. »Schon lange vor dem Krieg der Mächte und der Zeit der Reinigung hat sie vorhergesehen, was geschehen würde. Oft sprach sie von den Feuern der Zukunft, doch niemand hat ihr geglaubt. Niemand konnte sich vorstellen, dass die Kunst der Magie einmal verfolgt werden und einen Zauberwirker auf den Scheiterhaufen bringen würde. Doch Lifiyah ließ sich in ihrem Glauben nicht beirren. Durch das Studium alter Schriften und Prophezeiungen fühlte sie sich in ihrer Vision der Zukunft bestätigt. Gleich nach deiner Geburt, noch im Wochenbett, vollführte sie einen Zauber, der all ihre Magie auf dich übertrug.«

»Auf mich?«, echote Elyria ungläubig. Wie war das möglich? Sie hatte noch nie über Magie verfügt. Ardan war es gewesen, der ihr die Kraft gegeben hatte. Und das keineswegs freiwillig.

Doch Jalandar nickte. »Mit ihrer Magie floss auch die Lebenskraft aus ihrem Körper. Auf dem Sterbebett nahm sie Toran und mir den heiligen Eid ab, dich in Sicherheit zu bringen. Weit fort von allem, das mit Magie zu tun hat. Sie gab Toran eine Schriftrolle. Das ist ein Zauber, der meinem Mädchen die Magie nimmt. Sprecht ihn, hat sie gesagt. Die Welt wird sich verändern, doch wenn ihr tut, was ich euch sage, gibt es eine Zukunft.

Es war mir unbegreiflich, was sie da von uns forderte. Wie konnte sie von uns verlangen dir die Magie wieder zu nehmen, für deren Übertragung sie ihr Leben geopfert hatte? Doch Lifiyah beharrte darauf. Sie sagte, die Magie wisse nun, wohin sie gehöre, und würde zurückfinden. Wenn das Kind sie jedoch behielte, wäre es sein Todesurteil.« Er fuhr sich mit der Hand über die Augen, als wolle er die Erinnerung fortwischen wie Spinnweben, die sich über sein Gesicht gelegt hatten. »Sie wusste, was im Krieg der Mächte und während der Zeit der Reinigung geschehen würde. Und sie hat dich davor bewahrt, auf dem Scheiterhaufen zu enden, Elyria.«

Elyria war nicht imstande, etwas zu erwidern. Jalandars Worte fraßen sich in ihr Herz, doch ihrem Bewusstsein entglitten sie wie ein glitschiger Aal. Mícheil war nicht ihr Vater. Gwynn nicht ihr Bruder. Ihr ganzes Leben war nichts weiter als eine Lüge. Die Menschen, die sie für ihre Familie gehalten hatte, waren Fremde. Ihre Finger gruben sich in die Armlehnen des Sessels, bohrten sich in den Samtbezug und hinterließen tiefe Spuren. Eine Berührung an ihrem Arm riss sie aus ihrer Erstarrung. Sie sah auf. Ardan blickte sie an, noch immer eine Hand auf ihrem Arm. Er bewegte die Lippen, doch es dauerte eine Weile, ehe seine Worte ihren Verstand erreichten.

»Fühlst du dich nicht wohl?« Besorgnis schwang in seiner Stimme. »Willst du dich hinlegen? Du bist leichenblass.«

Sie schüttelte den Kopf. »Es geht mir gut.« Hohle Worte, tonlos gesprochen. Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Es ist alles in Ordnung.«

Ardans Hand glitt ihren Arm entlang nach unten. Er verschränkte seine Finger mit ihren, zog ihre Hand an seinen Mund und hauchte einen sanften Kuss auf ihren Handrücken. »Fahrt fort«, sagte er schließlich an Jalandar gewandt, ohne ihre Hand freizugeben. Auf der Suche nach Wärme und Trost klammerte Elyria ihre eiskalten Finger zitternd um seine Hand.

»Ich weiß, dass das nicht einfach für dich ist. Für keinen von uns.« Jalandar seufzte. »Mit ihrem letzten Atemzug gab Lifiyah dir deinen Namen: Elyria.« Eine kurze Pause folgte auf seine Worte, dann sagte er: »So viele Jahre habe ich nicht mehr an jenen Tag gedacht. Ich habe Torans erstaunten Blick vergessen, als er den Namen hörte. Als ich ihn nach Lifiyahs Beisetzung gefragt habe, was ihn an deinem Namen so erstaunt hat, lächelte er und sagte, Lifiyah habe einen elbischen Namen für ihr Kind gewählt. Einen Namen mit einem guten Vorzeichen, denn Elyria bedeutet in der Sprache der Menschen ›die Strahlende‹.«

Sie sprang so heftig auf, dass der Sessel beinahe umkippte. In ihrem Kopf drehte sich alles. »Das ist nicht Euer Ernst! Ihr wollt mir jetzt nicht erzählen, dass Ihr mich für … für …« All die Erklärungen und Ereignisse der letzten Zeit wirbelten durcheinander und setzten sich zu einem Flickenteppich zusammen, dessen Muster erschreckend viel Sinn zu ergeben schien. »Das ist lächerlich!«, rief sie, den Tränen nahe. »Ich bin kein lebloses Artefakt! Ich bin nicht Euer glänzendes Gefäß! Ich bin ein Mensch!« Sie machte kehrt und stürmte zur Tür. Ehe sie die Hand nach der Klinke ausstrecken konnte, vertrat Ardan ihr den Weg. »Lass mich vorbei!«

»Wir sollten uns anhören, was er sonst noch zu sagen hat«, sagte er ruhig.

»Merkst du nicht, was er vorhat? Hast du vergessen, was wir tun wollten, sobald wir ihn angehört haben?« Wenn er weiterspricht, werden wir erkennen, dass wir nicht einfach gehen können! Er zerstört unsere Pläne! Unsere Zukunft! Sie wollte ihn anbrüllen, doch sie konnte es nicht. Ihre eigenen Gedanken und Sorgen spiegelten sich in seinen Augen wider. Es war die Vernunft des Kriegers, die ihn veranlasste zu bleiben. »Ardan, bitte. Lass uns gehen«, flehte sie. »Ganz gleich, was er noch zu sagen hat. Ich will es nicht hören.«

»Ich fürchte, unser Schicksal liegt nicht länger in unserer Hand.«

»Das ist doch Unsinn! Es ist nur ein Name! Warum tut ihr beide so, als wäre es eine Verpflichtung? Ein kleiner, dummer Name. Nichts weiter.« Doch sie wusste längst, dass Ardan recht hatte. Als er sie zu ihrem Sessel zurückführte, ließ sie es mit sich geschehen.

Jalandar saß noch immer in seinem Sessel. Schweigend wartete er, bis die beiden ihre Plätze wieder einnahmen. »Es tut mir leid, Elyria.« Er war sosehr in sich zusammengesunken, dass allein die Lehnen ihn noch aufrechtzuhalten schienen. »Der Krieg der Mächte und die Zeit der Reinigung haben mich Lifiyahs Worte für lange Zeit vergessen lassen. Erst als ich dich in der Schenke sah und deinen Namen hörte, erinnerte ich mich an alles. Ich mag mich noch immer täuschen. Vielleicht bist du wirklich nicht jenes sechste Artefakt, ohne das der Dämon nicht vernichtet werden kann. Vielleicht ist es Zufall, dass dein Name in unserer Sprache die Strahlende bedeutet. Ich weiß es nicht. Alles was ich weiß, ist, dass es vieles gibt, das für meine Theorie spricht.«

»Ach ja? Bestätigt es Eure Theorie, dass sich unsere Wege zufällig gekreuzt haben?« Sie schüttelte den Kopf. »Ihr Götter! Ihr wisst doch nicht einmal, ob ich tatsächlich die Tochter dieser Lifiyah bin!«

»Zweifelst du daran?«

Nein. »Ja!«

»Woher sollte ich den Namen deines Ziehvaters wissen, wenn ich nicht der wäre, der dich zu ihm gebracht hat? Woher sollte ich von deiner Magie wissen?«

»Woher? Ihr baut Euch ein Gerüst aus Lügen und Unwahrheiten! Jeder, der unserer Truppe schon einmal begegnet ist, kennt Mícheils Namen. Und von Magie wisst Ihr überhaupt nichts, denn wie jeder normale Mensch habe ich keine!« Zumindest hatte ich keine, ehe ich Ardan begegnet bin.

»Am Tag der Toten haben Toran und ich das Ritual durchgeführt, das dich deiner Magie beraubte. Die Runen wiesen uns den Weg zu einem Jungen, der stark genug sein würde diese Bürde zu tragen«, erklärte Jalandar, als habe er ihre Einwände nicht gehört. Sein Blick richtete sich auf Ardan. »Ihr seid der Hüter ihrer Magie, bis sie zu ihr zurückkehrt. Euer beider Leben sind aneinandergebunden.«

Elyria schnaubte.

»Wie alt bist du, Elyria?«

»Was?« Ardans Frage verwirrte sie. »Was hat das mit –«

»Beantworte einfach meine Frage.«

»Achtzehn.«

Er nickte ernst. »Ich bin zehn Jahre älter als du.«

Nur langsam begriff sie die Bedeutung seiner Worte. Am Tag der Toten, in meinem zehnten Sommer, waren seine Worte gewesen. Seither war die Gabe Teil meines Lebens. Elyria schloss die Augen. Mícheils Worte drängten sich in ihren Geist: Seit mir dieser Mann das Mädchen brachte, wusste ich, dass sie etwas Besonderes ist.

»Also gut«, sagte sie, als sie die Augen wieder öffnete. »Nehmen wir an, Ihr sprecht die Wahrheit. Was erwartet Ihr von mir? Dass ich hingehe und diesen Dämon bezwinge?« Sie versuchte ihren Worten einen lächerlichen Klang zu verleihen, dennoch konnte sie nicht verhindern, dass ihr ein eisiger Schauer über den Rücken kroch. Als Jalandar nicht antwortete, fragte sie: »Was ist aus diesem Deoberth geworden? Meinem Vater?« Das letzte Wort wollte ihr nur schwer über die Lippen kommen. Mícheil war ihr Vater und würde es immer sein. Nicht irgendein Unbekannter.

»Delbaeth«, korrigierte Jalandar. »Er hat Lifiyahs Tod nie verwunden. Obwohl er ihren Willen akzeptierte und zuließ, dass wir dich fortbringen, blieb von ihm nicht mehr als eine leere Hülle. Er starb während der Zeit der Reinigung, als er eine Gruppe Gelehrter gegen die Häscher der Bruderschaft verteidigte. Er war ein guter Mann.«

Mein Vater ist nicht mein Vater und meine Mutter starb, um mir ein Leben zu ermöglichen. Die Magie gehört nicht Ardan, sondern mir und ich soll … Ja, was sollte sie? Auf diese Frage hatte Jalandar ihr noch immer keine Antwort gegeben. Elyria fühlte sich, als hätte man ihr den Boden unter den Füßen weggezogen. Jetzt befand sie sich in einem Zustand der Leichtigkeit, den man verspüren mochte, kurz bevor man auf dem Boden aufschlug.

Es war Ardan, der ihre wirren Gedanken unterbrach. »Ich verstehe noch immer nicht, warum dieser Dämon noch eine Gefahr sein sollte. Die Welt denkt, er wäre vernichtet worden. Lassen wir sie in diesem Glauben.«

»Ich wünschte, es wäre so einfach.« Jalandar lächelte traurig. »Der Schwarze König hatte zu allen Zeiten seine Anhänger. Menschen, die in ihm nicht den Dämon sahen, der er war, sondern ihn für ihren Gott hielten. Von den anderen Göttern verstoßen, da diese fürchteten, dass er so viel besser wäre als sie selbst. Die Bezeichnungen Dämon ist den Menschen fremd. Für sie ist er der Schwarze König oder der Dunkle. Sie huldigen ihm noch heute im Verborgenen und hoffen auf seine Rückkehr. Sie halten ihn für den Erlöser, der es vermag, die Magie in die Welt zurückzubringen. Was, wenn sie herausfinden, dass er gar nicht vernichtet ist? Mit dem richtigen Ritual wäre es ein Leichtes, ihn zurückzuholen.« Sein Blick schweifte zu Elyria. »Ich fürchte, eine Konfrontation ist unvermeidlich.«

»Ich soll ihn also tatsächlich vernichten?« Es gelang ihr nicht, den Unglauben in ihrer Stimme zu verbergen. »Wie stellt Ihr Euch das vor?«

»Ich weiß es nicht. Ich werde die Runen um Rat fragen. Erst dann kann ich dir mehr sagen.« Jalandar fuhr mit dem Finger über die Oberfläche der Kugel, die noch immer auf dem Tisch lag. Der Nebel wirbelte umher, zog sich zusammen und breitete sich wieder aus. Geistesabwesend tippte er gegen die Oberfläche.

Elyria sank in ihren Stuhl zurück. »Als wären die Magie, Peristae und diese blinden Mönche nicht schon genug, muss ich mir jetzt auch noch um einen Dämon Sorgen machen«, stöhnte sie.

Jalandars Kopf ruckte hoch. »Was hast du gesagt?«

»Ich sagte, dass ich wirklich schon genug Probleme habe – auch ohne diesen –«

»Die blinden Mönche. Was hast du damit gemeint?«

Sie zuckte die Schultern. »Ein paar Verrückte mit ausgestochenen Augen, die versucht haben …« Sie brach ab. Er wartet auf dich, drängten sich die Worte des Blinden in ihren Geist. Er.

Jalandar sprang auf. Er stützte die Handflächen auf die Tischplatte und beugte sich nach vorne, bis er Elyria sehr nah war. »Trugen sie zerschlissene Kutten und gekreuzte Narben über den Augenhöhlen? Bewegten sie sich, als könnten sie sehen? Sagten sie rätselhafte Dinge? Haben sie dich berührt? Hast du dabei etwas gespürt?«

»Ihr kennt sie?« Obwohl der Tisch sie von Jalandar trennte, wich Elyria tiefer in ihren Sessel zurück. »Wer sind diese Kerle? Was wollen sie?«

»Ich weiß nicht, was sie wollen.« Jalandar richtete sich auf und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Aber ich weiß sehr wohl, wer sie sind. Sie sind die Jünger des Schwarzen Königs. Verblendete, die sich selbst die Augen ausstechen, um besser sehen zu können!« Er ließ sich wieder in seinen Sessel fallen. »Sie sind also längst hinter dir her.«

Elyria wurde schwindlig. Die Erkenntnis, dass die Häscher dieses Dämons sie längst verfolgten, während sie nicht einmal etwas von dessen Existenz geahnt hatte, war beinahe mehr, als sie verkraften konnte. Sie erhob sich. Schwindel breitete sich in ihrem Kopf aus. Für einen Moment wurde ihr schwarz vor Augen, und sie musste sich am Tisch festhalten. Ardan griff nach ihr, um sie zu stützen, doch sie streifte seine Hände ab. Sobald der Nebel vor ihren Augen verschwand, ging sie zu einer Anrichte, auf der eine Karaffe mit Wein stand. Sie nahm einen Becher, schenkte ihn voll und leerte ihn in einem Zug. Der Wein entzündete ein wärmendes Feuer in ihrem Magen. Nach dem zweiten Becher fühlte sie sich ein wenig besser. Zumindest gut genug, um Jalandars Fragen zu beantworten. Statt an ihren Platz zurückzukehren, lehnte sie sich gegen die Anrichte und verschränkte die Arme vor der Brust.

»Sie … diese Kinder des Schwarzen Königs sagten, Er würde auf mich warten. Ihre Berührung war … es war ein Gefühl, als entzögen sie mir alle Kraft.« Sie schüttelte den Kopf. »Er«, wiederholte sie sehr langsam. »Ist damit der Schwarze König gemeint? Warum sollten sie mich zu ihm bringen wollen, wenn meine Magie ihn vernichten kann? Das ergibt keinen Sinn!«

Lange Zeit herrschte Schweigen. Elyria wich Ardans Blicken aus, mit denen er versuchte, ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Sie wusste, dass er lediglich herausfinden wollte, ob es ihr gut ging. Doch es ging ihr nicht gut. Das konnte er auch erkennen, ohne dass sie ihm in die Augen sehen musste. Sie wusste, was sie in seinem Blick finden würde. Anteilnahme und Fürsorge. Doch gerade dieser Fürsorge glaubte sie sich im Augenblick nicht gewachsen. Sie fürchtete, dass ihre mühsam aufrechterhaltene Fassade der Ruhe endgültig einstürzen würde, wenn sie ihn jetzt ansah.

»Die Prophezeiung«, sagte Jalandar endlich.

Plötzlich verspürte sie den Drang, in schallendes Gelächter auszubrechen. Hexenjäger. Magie. Ein Dämon und seine blinden Häscher. Und jetzt auch noch eine Prophezeiung. Was kam als Nächstes? Die Königskrone? Sie unterdrückte ein Kichern. Ihr Götter, ich werde allmählich verrückt! Ich schnappe über!

Sie schüttelte den Kopf. Das alles war ein Albtraum und bald würde sie in Ardans Armen erwachen, sich den Schlaf aus den Augen reiben und die Nachtmahre vergessen, die sie während der vergangenen Stunden heimgesucht hatten. Sie kniff sich in den Handrücken und spürte, wie der Schmerz bis in ihre Finger schoss. Kein Traum. Sie war wach. Das alles geschah wirklich! Der Wunsch zu lachen verflog schlagartig.

»Es gibt eine uralte Schrift.« Jalandars Stimme klang ruhig und gelassen, als erzähle er eine Geschichte. »Deine Mutter ist bei ihren Studien darauf gestoßen. Ich vermag mich nicht mehr an den genauen Wortlaut zu erinnern, doch darin wird von den Anhängern des Schwarzen Königs gesprochen. Männer und Frauen, die blind und doch sehend nach der Strahlenden suchen. Jenem Gefäß, das es vermag, ihren Herrn und Gebieter zurückzubringen.« Jalandars Augen richteten sich zur Decke, dann rezitierte er: »Sie, in deren goldenen Augen die Feuer der Neunten Hölle brennen, wird ihre Magie in einem alles zerstörenden Sturm entfesseln und damit der Welt Erlösung bringen oder sie auf Ewig in Dunkelheit versinken lassen.«

»Das Mädchen mit den goldenen Augen«, wiederholte sie fröstelnd. »So hat Peristae mich genannt. Er scheint Eure Prophezeiung zu kennen.«

»Das bezweifle ich«, wandte Ardan ein. »Würde er sie kennen, müsste ihm doch klar sein, dass … dass …« Er suchte nach den passenden Worten.

Jalandar kam ihm zuvor. »Dass deine Magie ebenso imstande ist, den Schwarzen König in die Welt zurückzuholen, wie sie es vermag, uns von ihm zu befreien. Ohne dich kann er nicht gebannt werden. Niemals. Womöglich bist du sogar in der Lage, ihn für immer zu vernichten.«

Elyria hatte Mühe seinen Ausführungen zu folgen. Die Welt auf ewig in Dunkelheit versinken lassen. Jalandars Worte brannten sich in ihren Verstand. »Wenn man Euch reden hört, könnte man glauben, ich wäre eine ernsthafte Bedrohung.«

Jalandar erwiderte nichts, doch seine Augen sprachen eine deutliche Sprache. Das bist du, schienen sie zu sagen. Und zugleich unsere Erlösung.

Sie wandte sich hastig ab, nicht länger imstande die Furcht in seinem Blick zu ertragen.

»Aber meine Augen … sie sind doch gar nicht golden.« Sie wollte nicht aufgeben. Wollte sich nicht in eine Rolle drängen lassen, die ihr nicht gefiel. Keine Rolle. Eine Bestimmung.

Ardan sah sie nur an, ohne etwas zu sagen. Das war auch nicht nötig. Sie erinnerte sich an unzählige Gelegenheiten, bei denen Mícheil oder Gwynn oder ein anderer ihr gesagt hatte, dass ihre Augen manchmal einen ungewöhnlich goldenen Schimmer hätten. Früher war sie stolz darauf gewesen. Sie hatte sich als etwas Besonderes gefühlt. Und jetzt wünsche ich mir nichts weiter als ein gewöhnliches Braun.

Ihr Blick zuckte zwischen Ardan und Jalandar hin und her. Sie wollte dieses Gespräch nicht fortsetzen. Sie trat ans Fenster und blickte auf den Hof hinaus, ohne mehr als ihre eigenen wirbelnden Gedanken wahrzunehmen. Ihr war schnell klar gewesen, dass Peristae und die Magie ihr gesamtes Leben verändert hatten. Bisher hatte sie jedoch nicht geahnt, wie tief diese Veränderung tatsächlich ging.

Plötzlich stand Ardan neben ihr. »Geh und leg dich ein wenig hin. Ruh dich aus.«

»Ich bin nicht krank!«, sagte sie heftiger als beabsichtigt. »Nur überfordert.«

»Ich weiß.«

Elyrias Blick flog über seine Schulter hinweg zum Tisch. Jalandar war nicht mehr hier. »Wo ist …?«

»Er meinte, du würdest ein wenig Zeit benötigen, alles zu verdauen. Ich habe einen Diener angewiesen, ihm ein Zimmer zu bereiten.« Ardan streckte die Arme nach ihr aus und zog sie an sich. Er sagte kein Wort, hielt sie nur fest und gab ihr das Gefühl von Frieden und Sicherheit, das sie jetzt am dringendsten benötigte. Sie lehnte den Kopf an seine Brust, lauschte dem regelmäßigen Schlagen seines Herzens und versuchte Jalandars Worte aus ihrem Kopf zu verdrängen. Es wollte ihr nicht gelingen. Immer wieder hörte sie ihn die Prophezeiung wiederholen. Sie, in deren goldenen Augen die Feuer der Neunten Hölle brennen, wird ihre Magie in einem alles zerstörenden Sturm entfesseln und damit der Welt Erlösung bringen oder sie auf ewig in Dunkelheit versinken lassen.

Ohne sich aus seinen Armen zu lösen, sah sie auf. »Heute Morgen wolltest du, dass ich dir verspreche, keine Magie mehr zu benutzen. Jetzt möchte ich, dass du mir etwas versprichst.« Sie tat, als hätte sie das misstrauische Flackern in seinen Augen nicht bemerkt, und sagte: »Ich will nicht zu einer Gefahr werden. Schwöre mir, dass du das verhindern wirst!«

Er nahm sie bei den Schultern, schob sie ein Stück von sich und sah ihr in die Augen. »Ich habe dir schon einmal geschworen nicht mehr von deiner Seite zu weichen. Ich werde diesen Schwur gerne wiederholen. Glaube mir, ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um dich zu beschützen.«

Sie schüttelte den Kopf. »Das meine ich nicht. Ich will, dass du alle anderen vor mir beschützt. Versprich es mir.«

 »Ich glaube nicht, dass das nötig sein wird.«

»Ich will dein Wort, Ardan.«

Seine Augen bohrten sich in ihre, als wolle er bis in ihre Seele blicken. »Was erwartest du von mir?«, fragte er leise und mit dem Hauch einer Vorahnung in seiner Stimme.

Elyria schluckte schwer. Sie hatte nicht viel Zeit gehabt, ihre Entscheidung zu überdenken. Sie bezweifelte allerdings, dass ihr wesentlich mehr Zeit bleiben würde. Jalandars Prophezeiung hallte wie ein niemals verklingendes Echo in ihrem Kopf wider. Ihr Herz kannte die Antwort auf Ardans Frage längst, wenngleich es ihr schwerfiel, sie auszusprechen. »Wenn es sein muss, töte mich.«

Er gab sie so ruckartig frei, dass sie einen Schritt zurücktaumelte. »Bist du übergeschnappt?« Er holte kurz Luft, dann hatte er seine Stimme wieder unter Kontrolle. »Ich kann verstehen, dass du aufgewühlt und verwirrt bist, aber … Das geht zu weit, Elyria! Du kannst nicht von mir verlangen, dass ich dir ein derartiges Versprechen gebe! Das ist Wahnsinn!«

»Ich sage ja nicht, dass du mich beim ersten Anzeichen von Schwierigkeiten erschlagen sollst.« Sie griff nach seiner Hand. »Ich habe Jalandars Blick gesehen, als ich ihn fragte, ob er mich für derart gefährlich hält. Ich habe Peristaes Reaktion am eigenen Leib zu spüren bekommen, als er mich mit dieser Prophezeiung in Verbindung brachte. Peristae hatte Angst vor mir. Und Jalandar ebenfalls.«

»Glaubst du seine Geschichte?«

»Ich wünschte, ich könnte nein sagen. Aber es passt alles zu gut zusammen. Mícheils Worte. Der angebliche Verlust meiner Magie – am Tag der Toten, demselben Tag, an dem du deine bekommen hast. Peristaes Verhalten. Und die Tatsache, dass ich bei unserer ersten Begegnung deine Magie bekommen habe. Als hätte sie …«

»… nur darauf gewartet, endlich zu dir zurückkehren zu können.«

Elyria nickte. »Findest du nicht auch, dass es schrecklich viel Sinn ergibt?« Als er nicht antwortete, sagte sie: »All das passt haargenau zu Jalandars Erklärungen. Warum sollte der Rest nicht stimmen?«

»Weil es sich bei dieser Prophezeiung um eine uralte Überlieferung handelt! Sie kann aus irgendeiner längst vergessenen Sprache falsch übersetzt oder unvollständig oder einfach falsch weitergegeben worden sein. Wir wissen doch gar nicht, ob sie überhaupt zutrifft.«

»Wenn sie nicht zutrifft«, sagte sie und sah ihm fest in die Augen, »musst du dir keine Sorgen machen, dass es zum Äußersten kommt. Und genau darum geht es. Wenn diese Prophezeiung zutreffen sollte und sich die Dinge zum Üblen wenden, wird mein Leben nicht von Bedeutung sein. Verstehst du? Es geht hier um größere Dinge als dich oder mich.« Er verstand. Sie spürte es am Zittern seiner Hand, die noch immer in ihrer ruhte. »Gib mir dein Wort, Ardan.«

Lange Zeit sagte er nichts. Seine Finger klammerten sich um ihre, ein stummes Flehen, das keine Beachtung fand. Endlich nickte er. »Du hast mein Wort«, sagte er schließlich. »Aber glaube ja nicht, dass ich dich … dass ich tun werde, was du von mir verlangst, wenn du es verlangst. Ich werde selbst entscheiden, wann etwas zu tun ist. Und vor allem was

Elyria schloss erleichtert die Augen. In diesem Moment rollten Angst und Verzweiflung wie eine Sturzflut über sie hinweg. Alle Pläne, die sie geschmiedet, und das Leben, das heute Morgen noch vor ihnen gelegen hatte – weg. Als habe nichts davon je existiert. Sie glaubte ohnmächtig zu werden, glaubte der Belastung nicht länger Stand halten zu können. Zitternd sank sie in die Knie.

»Elyria!« Ein bedeutungsloses Wort, von weither. Dann ging Ardan vor ihr in die Hocke. Er griff nach ihren Armen und hielt sie aufrecht, Worte sprudelten aus seinem Mund, ohne dass sie sie verstanden hätte. Die Verzweiflung sog alles auf, nahm seinen Worten den Sinn, so wie Jalandars Erscheinen ihnen die Zukunft genommen hatte. Alles war verschwommen und farblos.

»Elyria!« Kräftige Hände gruben sich in ihre Oberarme und schüttelten sie. Konturen und Farben kehrten in die Welt zurück. Blinzelnd sah sie Ardan an. Beinahe befremdet erkannte sie die Sorge in seinen Zügen. Sie wich seinem Blick aus.

»Ich kann nicht mehr.« Sie wünschte, sie hätte ihm ein anderes Versprechen abgerungen. Geh mit mir fort, Ardan. Jetzt sofort. Versprich mir, all das Geschwätz über Bestimmung und Schicksal zu ignorieren und lauf mit mir davon!

Er legte ihr eine Hand unters Kinn und hob ihren Kopf. Seine Augen suchten die ihren und fesselten ihren Blick. »Du bist so unglaublich stark, dass es mir manchmal beinahe Angst macht. Wenn du jetzt aufgibst, ist deine Mutter umsonst gestorben. Sie gab ihr Leben, damit du dein Schicksal erfüllen und die Welt von diesem Dämon befreien kannst. Wenn du es nicht für dich oder für mich tust, tu es für sie. Ehre ihr Andenken, indem du deine Bestimmung erfüllst.«

»Ich kenne diese Frau doch überhaupt nicht!« Eine stumme Träne rollte über ihre Wange, heiß und brennend. Mit einem Mal schämte sie sich für ihre Schwäche. »Verflucht, ich weiß nicht, was mit mir los ist! Erst nötige ich dir ein Versprechen ab, das du nicht geben willst, und plötzlich will ich nur noch davonlaufen! Ich …«

»Du hast Angst. Genau wie ich.« Er half ihr auf die Beine und zog sie an sich. »Und trotzdem werden wir es schaffen.«

17

Eddan Peristae zügelte sein Pferd. Er hob die Hand und wischte sich den Staub aus den Augen. Blinzelnd sah er sich um. Sein Blick wanderte über die Baumkronen, über denen sich das goldene Licht der untergehenden Sonne wie eine Kuppel ausbreitete. Seit die Hexe mit den Männern die Burg verlassen hatte, folgte Peristae ihnen. Unermüdlich trieben sie ihre Pferde voran, ohne ihnen näherzukommen. Tatsächlich gewann er mehr und mehr den Eindruck, dass der Abstand zwischen ihm und seiner Beute wuchs.

Voller Ungeduld ruhten seine Augen jetzt auf dem Späher, der aus dem Sattel gestiegen war, um sich die Spuren genauer zu besehen. Der Mann wanderte über den Waldboden, ging von einer Seite zur anderen, betrachtete die Spuren und ließ seine Augen zwischen den Bäumen hindurchwandern, denselben Weg nehmend, den die Reiter genommen hatten. Schließlich ging er in die Hocke und fuhr mit den Fingern über den Boden, als wolle er den Abdrücken folgen.

»Was ist?«, rief Peristae, als der Mann nach einiger Zeit noch immer nichts gesagt hatte. »Wohin geht es? Sag es mir, ehe die Nacht über uns hereinbricht!«

Der Späher kratzte sich nachdenklich am Kinn. Noch einmal glitten seine Augen über den weichen Untergrund, dann erhob er sich. »Es sieht so aus, als hätten sie sich getrennt.«

»Kannst du erkennen, welches das leichteste Pferd war – das mit dem Mädchen?«

»Nein, Herr.« Seine Blicke kehrten zu den Spuren zurück. »Es sieht so aus, als sei jeder von ihnen in eine andere Richtung davongeritten.«

»Jeder?« Als der Späher nickte, schüttelte Peristae irritiert den Kopf. Würde von Daormir das Mädchen wirklich allein lassen? Der Krieger hatte es sich in den Kopf gesetzt, sie zu beschützen. Er würde sie ganz sicher nicht allein durch den Wald reiten lassen, mit einem Trupp der Söhne Eaghans im Nacken. »Was hast du vor, Ardan von Daormir?«, murmelte er.

Da ihm weder der Spurenleser eine passende Antwort geben konnte, noch er selbst in der Lage war, die Pläne des Kriegers zu erahnen, streifte er den Lederhandschuh von der linken Hand und entblößte einen einfachen Silberring mit einem schmucklosen weißen Stein. Vollkommen unscheinbar und doch unbezahlbar. Neben seinem eigenen existierte nur noch ein weiteres Exemplar dieser Art. Und das hat ausgerechnet Crean. Der Verrat seines Stellvertreters brannte noch immer tief in ihm. Der Wunsch nach Rache glomm wie ein Leuchtfeuer in Peristaes Herzen. Lodernd und heiß. Meine Zeit wird kommen. Und dann wirst du dir wünschen mir niemals die Klinge des Verrats zwischen die Rippen gestoßen zu haben.

Er schob die Gedanken an Crean zur Seite und richtete sein Augenmerk auf den Ring. Überrascht schnappte er nach Luft. Statt dem erwarteten hellen Pulsieren sandte der Stein lediglich ein schwaches Glimmen aus. Wie war das möglich? Sie waren keine zwei Stunden hinter ihr. Der Ring müsste ihre Magie deutlich auffangen und ihm den Weg weisen. Er schwang sich aus dem Sattel und ging zu der Stelle, an der der Späher die Spuren zuletzt betrachtet hatte. Peristaes Augen wanderten über den Boden und fanden nichts weiter als ein Durcheinander von aufgewühlter Erde.

»Zeig mir, welche Wege die einzelnen Reiter genommen haben«, verlangte er.

Der Späher trat neben ihn. »Einer ist dort entlang, der andere hier zwischen den Bäumen hindurch. Ein weiterer ein Stück links davon und der letzte – seht ihr den Felsen zwischen den Eichen? Dort ist der letzte entlang.«

Peristae nickte und wandte sich der ersten Spur zu. Er hob die Hand und hielt den Ring in Richtung des Weges. Das leise Glimmen blieb unverändert. Er versuchte es bei der zweiten Spur. Nichts. Ebenso wenig bei der dritten und vierten. Schließlich folgte er den Spuren einige Schritte und versuchte es noch einmal. Der Ring schwieg.

Mit einem Fluch auf den Lippen machte er kehrt und ging zu seinem Pferd zurück. Als er nach dem Sattelknauf griff, um aufzusitzen, fiel sein Blick auf den Ring. Hatte er sich verändert? War da ein leises, kaum wahrnehmbares Pulsieren gewesen? Mehr zu erahnen, denn wirklich zu sehen?

Er zog die Hand zurück und sah sich um. Die Spuren lagen jetzt links von ihm. Er streckte die Hand aus und bewegte sie nach links. Nichts. Geradeaus. Keine Reaktion. Nach rechts. Da war es wieder. Kaum wahrnehmbar. Mit erhobenem Arm ging er einige Schritte in die Richtung. Tatsächlich. Er hatte sie gefunden.

Dieses gerissene Miststück! Er kehrte zu seinem Pferd zurück und schwang sich in den Sattel.

»Herr, wir sollten uns trennen, um den Spuren zu folgen«, schlug der Späher vor.

Peristae schüttelte den Kopf. »Wir holen uns Verstärkung und reiten zurück nach Daormir.«

18

Die folgenden Tage zogen an Elyria vorüber, als lägen sie unter dichtem Nebel. Die einzigen Momente, die klar und deutlich in ihren Verstand vordrangen, waren jene Augenblicke, in denen sie mit Ardan allein war. Sie hatten eine stumme Übereinkunft getroffen, in dieser kostbaren Zeit nicht über die Probleme zu sprechen, die während des Tages wie dunkle Schatten über ihnen lagen. Stattdessen genossen sie die Ruhe und den Frieden und schmiedeten Pläne für die Zukunft. Eine Zukunft, die durch Jalandars Erscheinen in weite Ferne gerückt war.

Nachdem sie Ardan den Eid abgenommen hatte, sie nicht zur Gefahr werden zu lassen, hatte sie noch einmal unter vier Augen mit Jalandar gesprochen. Sie hatten sich lange und ausführlich über die Prophezeiung unterhalten. Doch ganz gleich, aus welchem Blickwinkel man die Worte auch betrachtete, die Bedeutung blieb immer dieselbe.

Jalandar warnte sie vor den blinden Mönchen. Sie verfügten über die Fähigkeit, magisch begabten Menschen die Kraft zu entziehen. Eine Fähigkeit, die Elyria bereits am eigenen Leib zu spüren bekommen hatte. Sie dachte daran, Cartómien den Rücken zu kehren und weit fort ein neues Leben zu beginnen – ganz so, wie sie es mit Ardan geplant hatte, doch Jalandar hatte nur den Kopf geschüttelt und gemeint, sie könne ihrem Schicksal nicht davonlaufen. Die Blinden werden nicht aufhören, nach mir zu suchen.

Schließlich hatte sie einsehen müssen, dass ihr keine Wahl blieb, als sich ihrer Bestimmung zu stellen.

Bei dem, was vor ihr lag, war es unumgänglich, dass sie die Magie unter Kontrolle hatte. Sie musste üben –