Copyright: © Junfermann Verlag, Paderborn 2015

Fotos im Innenteil: Sabine Tröndle

Coverfoto: © 2013 Gerti G., Photocase

Covergestaltung / Reihenentwurf Christian Tschepp

Alle Rechte vorbehalten.

Erscheinungsdatum dieser eBook-Ausgabe: 2015

Satz & Digitalisierung: JUNFERMANN Druck & Service, Paderborn

ISBN der Printausgabe: 978-3-95571-333-1

ISBN dieses E-Books: 978-3-95571-379-9 (EPUB), 978-3-95571-381-2 (PDF),
978-3-95571-380-5 (MOBI).

Vorwort

Dagmar Härle gehört zu der ersten Gruppe von zehn Absolventen, die im April 2014 die Ausbildung am Trauma Center in Brookline, Massachusetts, erfolgreich als cert. Facilitator TC-TSY (traumasensitiver Yoga, Trauma Center) abgeschlossen hat. Das Zertifikat bescheinigt den Teilnehmenden, dass sie traumasensitiven Yoga (TSY) unterrichten dürfen, als Ergänzung zur Behandlung komplex traumatisierter Menschen, einer Störung, die in der Literatur auch als behandlungsresistente PTBS bezeichnet wird.

Die von uns am Trauma Center entwickelte Methode ist der erste auf Yoga basierende Behandlungsansatz für komplex traumatisierte Menschen, der mithilfe von staatlichen Mitteln in einer randomisiert kontrollierten Studie untersucht wurde. Die 2014 publizierten Ergebnisse haben, neben anderen interessanten Erkenntnissen, bei der TSY-Gruppe einen klinisch signifikanten Rückgang der PTBS-Symptome gezeigt.

Der Begriff komplexe Traumatisierung hilft uns, die vielschichtigen Auswirkungen traumatischer Erfahrungen auf den Einzelnen zu verstehen, allen voran Traumata, die den zwischenmenschlichen Bereich betreffen (Dinge, die Menschen einander antun einschließlich physischem und emotionalem Missbrauch). Dank der Arbeit vieler Forscher und Kliniker haben wir einen recht guten Einblick in komplexes Traumageschehen. Daher ist es jetzt an der Zeit, funktionierende Behandlungsansätze ausfindig zu machen und zu fördern. Das vorliegende Buch ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung.

Seit 2003 beziehen Dr. Bessel van der Kolk, Gründer und medizinischer Direktor des Trauma Center, und ich TSY in die klinische Behandlung mit ein. Uns wurde immer deutlicher, dass ein Trauma den ganzen Organismus einer Person betrifft und nicht allein eine Störung ihres Verhaltens und Denkens ist. Anders ausgedrückt: Die Behandlung muss den ganzen Menschen erreichen und nicht nur den Teil, der über die Vergangenheit nachdenkt und die Zukunft plant. Wir wollten die Patienten so wahrnehmen und behandeln, wie sie sich uns präsentierten, was im Grundsatz bedeutet, dass wir uns mit dem „inkarnierten / verkörperten“ Menschen (embodied being) beschäftigen. Dass ein Mensch einen Körper hat, scheint sich von selbst zu verstehen. Hingegen ließe sich darüber diskutieren, dass in der „Mainstream-Psychotherapie“ aufgrund ihres psychodynamisch und psychoanalytisch geprägten Menschenbildes dieser Fakt schlichtweg ignoriert wird.

Die meisten Therapeuten befassen sich mit den sprachlichen Äußerungen einer Person. Es ist also im wahrsten Sinne des Wortes ein „Kopfspiel“. Der Teil eines Menschen, der sprechen, über die Vergangenheit reflektieren und die Zukunft planen kann, ist jedoch auf eine bestimmte Gehirnregion beschränkt, den Stirnlappen bzw. Neokortex; also auf einen sehr kleinen Bereich des menschlichen Organismus. Natürlich passieren in diesen ca. 500 Gramm grauer Masse ziemlich wichtige Dinge. Wenn wir uns aber bei einem komplex traumatisierten Menschen nur um dieses kleine Segment kümmern – und darauf verweist Dagmar Härle in ihrem Buch –, werden wir womöglich scheitern. Wir lassen unsere Patienten im Stich und glauben als Helfer versagt zu haben. Das berechtigte Bedürfnis mancher Menschen, ihre traumatischen Erlebnisse durchzuarbeiten, von jemandem angehört und verstanden zu werden (auch von einem guten Therapeuten), soll hiermit keineswegs in Abrede gestellt werden. TSY versucht lediglich, einen größeren Bereich der Person, nämlich den vom Hals abwärts, in die Behandlung einzubringen. Interessanter- wie ironischerweise legen aktuelle Forschungsergebnisse nahe, dass die Arbeit mit dem Körper positive Wirkung in genau den Regionen des Gehirns erzielt, die Traumafolgen hervorrufen. Eine Verbindung zwischen Körper und Gehirn zu schaffen könnte sich letztendlich als wichtigste Aufgabe der Traumatherapie erweisen.

In ihrem Buch untersucht Dagmar Härle zum einen die wahre Natur traumatischer Erlebnisse und deren Folgen für den gesamten menschlichen Organismus. Zum anderen zeigt sie, wie eine modifizierte Form des Yoga-Übens sich als wichtigstes Element in der Traumabehandlung erweisen kann. Dagmar Härle verfügt über Kompetenzen als Traumatherapeutin und Yogalehrerin. Indem sie das Verbindende zwischen diesen scheinbar verschiedenen, doch in Wirklichkeit verwandten Gebieten auslotet, verschafft sie dem Leser einen neuen Zugang, ein Trauma zu verstehen und zu behandeln. Doch nicht jede Art von Yoga ist geeignet. Am Trauma Center haben wir viele Jahre daran gearbeitet, die Form des Yoga, wie sie gemeinhin in Yogaschulen und Gesundheitskursen von Millionen von Menschen weltweit praktiziert wird, abzuwandeln. Wir haben unsere modifizierten Formen in klinischen Studien erprobt, bis das heutige Modell des TSY feststand. In diesem Buch legt die Autorin nachdrücklich dar, dass Yoga für die Anwendung in der Traumatherapie modifiziert werden muss, weil andernfalls die Gefahr droht, die traumatischen Muster zu verstärken.

Mit ihrem Buch trägt Dagmar Härle zu dem wachsenden Verständnis bei, dass Trauma den ganzen Organismus betrifft und sich nicht auf Denkprozesse, Verhaltensweisen oder Aussagen eines Menschen beschränkt. Sie geht jedoch noch einen Schritt weiter: Sie bietet praktische und handfeste Werkzeuge an, mit deren Hilfe der Leser Traumafolgen viel effizienter und wirksamer behandeln kann. Das macht ihr Buch zu einem wichtigen Beitrag auf dem Gebiet der Traumatherapie.

David Emerson, Oktober 2014

David Emerson ist Director of Yoga Services am Trauma Center in Brookline, Massachusetts.

Einleitung

„Im Mittelpunkt unserer Arbeit steht nicht der menschliche Körper, sondern der Mensch.
Der Mensch als Ganzes in all seinen Beziehungsmöglichkeiten zu sich, zu seinem Körper, zu seinem Leben und zu seiner Umwelt.“

(Elsa Gindler 1931)

Seit Urzeiten haben Menschen versucht, mit den Widrigkeiten des Lebens zurechtzukommen. Verstörende und traumatisierende Ereignisse gab es schon immer, jedoch waren und sind die Methoden, den Folgen dieser Erschütterungen entgegenzutreten, sehr unterschiedlich. Sie reichen von schamanistischen Ritualen zur Seelenrückholung über körperliche Ausdrucksformen wie Gesang und Tanz bis hin zu kognitiven und narrativen Formen.

Viele unserer neuzeitlichen therapeutischen Ansätze im Westen beruhen auf kognitiven Überlegungen, jedoch zeigt sich eine Traumatisierung nicht allein in der Veränderung von Überzeugungen. Aufgrund der anhaltenden Stressantwort hat sie auch somatische Folgen, die sich auf die Körperhaltung, -reaktionen und -empfindungen auswirken. Gefühle von Taubheit und Getrennt-Sein vom eigenen Körper wechseln sich mit oft starken, überwältigenden Reaktionen auf Trigger ab und erschweren häufig ein effizientes, therapeutisches Vorgehen. Das vorliegende Buch setzt den Fokus auf die körperlichen Auswirkungen und Reaktionen. Ich stelle Ihnen keine neue Methode vor, sondern sehe die körperorientierte Arbeit als Basis und Ergänzung zu den gut untersuchten probaten Methoden der Traumabehandlung.

Warum ich mit Yoga in der Traumatherapie arbeite

Die Idee, Yogaasana (Haltungen), Pranayama (Atemschulung) und Achtsamkeit in die traumatherapeutische Arbeit zu integrieren, entstand in der Arbeit mit meinen Patienten.

Ich hatte meine Ausbildung in Somatic Experiencing absolviert und mein Masterstudium in Psychotraumatologie abgeschlossen und bin bis heute davon überzeugt, dass Expositionstherapie in Kombination mit einem körperorientierten Ansatz bei der Behandlung von komplexen Traumafolgestörungen zielführend ist. Bei manchen Patienten kam ich damit jedoch nicht weiter. Für einige komplex traumatisierte Menschen war Exposition von traumatischen Inhalten schlicht nicht tolerierbar. Bezug auf den Körper zu nehmen, also den Körper ins Denken und Fühlen mit einzubeziehen oder auch nur über Körperempfindungen zu sprechen war für sie so verstörend, dass sie mit Panik und Dissoziation reagierten. Als ausgebildete Yogalehrerin und langjährig Yogapraktizierende habe ich die Vorzüge der Körperarbeit in Bezug auf ein ausgeprägteres Körpergewahrsein, vermehrte Achtsamkeit, Entspannung im Alltag und Präsenz im Hier und Jetzt am eigenen Leib erfahren. Mein persönliches Erleben sowie die Rückmeldungen meiner Yogaschüler ermutigten mich, Yoga in die Traumatherapie zu integrieren. Die ersten Gehversuche machte ich mit einer kleinen Gruppe von Patientinnen. Ich bot ein sanftes Yoga an, das viel Raum für achtsames Nachspüren ließ und vor allem wenig direktiv war. Wenn also jemand etwas nicht machen wollte oder konnte, war das okay.

Es war faszinierend, welche Fortschritte die Teilnehmerinnen meines „Achtsamkeits-Yogakurses“ in der Therapie machten. Es schien, als gäbe es für sie erst jetzt einen Körper, dem etwas „zugemutet“ werden konnte. Endlich waren wir arbeitsfähig. Eine Patientin bestätigte meine Beobachtungen: „Die Therapie hat erst durch das Yoga begonnen. Davor war ich ja überhaupt nicht in meinem Körper und es ging gar nichts.“ Diese Erfolge ermutigten mich, Yoga vermehrt in die Traumatherapie zu integrieren, vor allem auch in das Einzelsetting, in dem ich auf die individuellen Bedürfnisse eingehen kann. Ich begann, Yogaasanas und Pranayama gleichsam in die Traumatherapie einzuweben, mit Patienten Ressourcen zu erarbeiten, Körperwahrnehmung zu fördern und so auf sanfte Weise einen Zugang zum eigenen Körper zu ermöglichen. Durch einen Grundkurs und den späteren Zertifikationslehrgang in traumasensitivem Yoga (TSY) bei Dave Emerson[1] und seinem Team erfuhr meine Arbeit eine Systematisierung, Erweiterung und Vertiefung. Van der Kolk und Emerson, beide Pioniere und Meister auf dem Gebiet der Integration von Yoga in die Traumaarbeit, haben diesen therapeutischen Einsatz von Yoga entwickelt. Er beruht auf aktuellen Forschungsergebnissen zu Trauma und PTBS und berücksichtigt Erkenntnisse aus der Gehirnforschung und Bindungstheorie. Die positive Wirkung auf die PTBS-Symptomatik, die mit anderen traumatherapeutischen Methoden vergleichbar ist, wurde inzwischen durch mehrere Studien wissenschaftlich belegt.

Als Traumatherapeutin arbeite ich in meiner Praxis vor allem im Eins-zu-eins-Setting. Ich wollte deshalb auch gerne meine Erfahrungen und die Grundsätze von TSY in die Einzeltherapie einfließen lassen, um so traumasensitives Yoga nicht nur für Gruppen und Einzelpersonen zu unterrichten, sondern es auch als Möglichkeit zur individuellen Prozessbegleitung einzusetzen. Aus meiner langjährigen Erfahrung mit Asanas, Pranayama und Achtsamkeit in der körperorientierten Traumatherapie entwickelte ich, in Kombination mit den Grunsätzen des TSY, ein Instrument für Traumatherapeuten. Mit dessen Hilfe lassen sich individuelle Affekt- und Selbstregulationmöglichkeiten erarbeiten. Außerdem eignet sich diese Form der körperorientierten Arbeit für den Ressourcenaufbau.

Wenn wir über Trauma sprechen, steht normalerweise nicht das körperliche Erleben im Mittelpunkt, sondern das Ereignis, also die erzählbare Geschichte. Damit erklären wir die Symptome und Veränderungen im Denken, Fühlen, Verhalten und Handeln der Betroffenen. Ein Trauma besteht jedoch nicht nur aus im Gehirn festgesetzten Erinnerungen in Form von Bildern, Gerüchen, Geräuschen und Affekten. Ein Trauma ist vor allem ein Erlebnis, das dem Körper widerfahren und dort gespeichert worden ist. Ein Trauma ist folglich auch die Geschichte eines Körpers, der zum Zeitpunkt eines Ereignisses oder – bei schwer Traumatisierten – im Verlauf der peinigenden Geschehnisse über einen bestimmten Zeitraum eingefroren und in einer sich ständig wiederholenden Stressantwort stecken geblieben ist. Diese Lähmung zeigt sich körperlich in Bewegungs-, Atem- und Haltungsmustern. In Gefahrensituationen möchte der Betroffene handeln und der Stagnation entfliehen. Doch sein Körper lässt ihn im Stich, anstatt ihn in Sicherheit zu bringen. Im Alltag, in Situationen, in denen er entspannen könnte, empfindet er Beunruhigung, Überwachsamkeit und Nervosität oder Taubheit und Lähmung; oft wechseln sich diese Zustände ab. Er ist gefangen zwischen Arousal und Shut-down, zwischen zu viel und zu wenig. Der Körper ist nicht der Ort, an dem der Traumatisierte sich wohlfühlt. Eine Patientin hat es so ausgedrückt: „Ich bin hier“, und deutete auf ihren Kopf. „Das da unten soll mich von A nach B bringen. Ich will mich nicht darum kümmern. Es nervt mich, dass es Ansprüche an mich stellt.“

Expositionstherapien sehen vor, dass sich der Patient in sicherer Umgebung an das traumatische Geschehen erinnert und dem Therapeuten davon berichtet. Schwer Traumatisierte können jedoch die Exposition nicht aushalten, erleiden Flashbacks, dissoziieren und profitieren in keiner Weise von der Therapie. Manchmal schadet das Unterfangen sogar mehr, als es nützt. Um dem entgegenzuwirken, beginnt man die Therapie in der Regel mit einer Stabilisierungsphase, in der zum Beispiel Visualisierungen eingeübt werden wie die eines „sicheren Orts“ oder die eines „Tresors“, in dem der Patient die schlimmen Erinnerungen wegschließen kann. Auch richtet sich das Bemühen darauf, eine vertrauensvolle therapeutische Beziehung aufzubauen. Sichere Orte sowie Gefühle des Vertrauens sind bei schwer traumatisierten Menschen jedoch rar. Oft kommt man über die Stabilisierungsphase gar nicht hinaus, arbeitet zwar an einer tragfähigen therapeutischen Beziehung, vermeidet aber um der Beziehung willen alles, was mit dem Trauma zu tun hat. Bei beziehungs- und bindungstraumatisierten Menschen bleibt die Beziehung trotz guten Willens beider Beteiligten ein fragiles Gebilde, da bereits einem anderen Menschen nahe zu sein Stress auslösen kann.

Wechselwirkung zwischen Körper und Psyche

Wenn sowohl die Körperreaktionen als auch die Beziehung zu anderen Menschen zum Trigger werden, kann die Idee eines „Übergangsraums“ hilfreich sein, ein Raum, in dem weder das Trauma noch die Beziehung zum Therapeuten im Mittelpunkt stehen, sondern Neues stattfinden kann. Yoga und andere bewegungsfokussierte Formen sowie kunst- und gestaltungstherapeutische Ansätze bieten solche Räume. Da sich all die unerträglichen Affekte, Impulse und Empfindungen im Körper abspielen, liegt es nahe, in diesem Raum Möglichkeiten des körperlichen Ausdrucks anzubieten. Wir haben keine Tradition, unsere Befindlichkeit durch körperliche Aktivität zu modulieren. Afrikanische Kulturen beispielsweise praktizieren dies durch Tanz, Gesang und Rhythmen oder östliche Kulturen durch Bewegungsformen wie Tai-Chi oder Qi Gong. Trotzdem hat wohl jeder von uns die Erfahrung gemacht, dass wir unsere Befindlichkeit durch Bewegung regulieren können. Tanzen, singen, sich rhythmisch bewegen haben eine unmittelbare Wirkung auf unseren Gefühlszustand. Traurige Lieder und Rhythmen machen uns wehmütig, fröhliche Weisen erheitern unser Gemüt. Allerdings setzen wir dieses Erfahrungswissen nicht systematisch ein. Wir sind es also nicht gewohnt, uns auf diese Weise Erleichterung zu verschaffen und in Stresssituationen ist dieser Weg erst recht versperrt.

In unserer Kultur setzen wir auf das Gespräch, um schwierige Erfahrungen zu verarbeiten, was sich auch im klassischen therapeutischen Setting niederschlägt, in dem die Schulung der Körpererfahrung nicht großgeschrieben wird. Wir sitzen normalerweise mehr oder weniger aufrecht auf Stühlen, eine Haltung, die wenig propriozeptive und kinästhetische Informationsverarbeitung erfordert. In dieser Haltung braucht es so gut wie kein Körpergewahrsein und wir verpassen die Chance, den Körper zur Affektregulation zu nutzen.

Das Urwissen um die Wechselwirkung zwischen Körper und Psyche nennt die Kognitionswissenschaft „Embodiment“, was übersetzt so viel heißt wie Verkörperung, Inkarnation oder Verleiblichung. Embodiment bezeichnet die simple Tatsache, dass sich Emotionen nicht nur im Körper ausdrücken, sondern dass auch umgekehrt Körperhaltungen und -empfindungen die Psyche beeinflussen. Da äußere Reize immer eine somatische Reaktion nach sich ziehen, ist es nur logisch, dass diese beängstigenden, weil unkontrollierbaren körperlichen Reaktionen selbst zu Triggern werden: Der Körper wird zu einem gefährlichen Ort. Eine Klientin brachte es mit einem Satz auf den Punkt: „Der Feind ist nicht im Außen!“

Diese Überlegungen machen wir uns zunutze, wenn wir Asanas und Pranayama in die Traumatherapie integrieren. Der Bottom-up-Ansatz stellt den Körper mit seinen Ausdrucksformen und Empfindungen bzw. seiner Fühllosigkeit in den Mittelpunkt. Ziel ist, den im Trauma eingefrorenen Körper wieder sanft „aufzutauen“, indem wir dem Patienten für ihn ungewohnte Haltungs- und Bewegungsmuster anbieten. Wir experimentieren damit, indem wir Atemmuster und Bewegungen erforschen und verändern und danach die Wirkung der jeweiligen Veränderung betrachten. Die Konzentration auf körperliche Aspekte wie die Dehnung oder die kraftvolle Aktivität eines Muskels, das achtsame Beobachten der Körperreaktionen im steten Wechsel von Anstrengung und Erholung während des Übens schult die interozeptive Wahrnehmung und Selbstexploration. Sie hat zum Ziel, einen Geist zu etablieren, der in der Lage ist zu beobachten, anstatt sich von Gefühlen überwältigen zu lassen. Traumatisierten Patienten kommt das sowohl im Alltag als auch in der Expositionstherapie zugute.

Auch Yoga ist Exposition, aber eine sanfte, vom Patienten selbst kontrollierte. Der Körper wird nicht vermieden, er steht vielmehr im Zentrum des Geschehens. Während des Übens kann der Patient alle somatosensorischen Empfindungen wie Dehnungsgefühle, Anstrengung, Taubheit, Zeichen von Arousal wie einen erhöhten Puls oder veränderte Atemfrequenzen wahrnehmen. Er bleibt sozusagen „außen vor“ und trainiert eine Beobachterposition. Vielleicht entdeckt er auf diese Weise, dass es Körperregionen gibt, die „okay“ sind und die ihm ein sicheres Gefühl geben. Oder aber er bemerkt, dass nicht alles gleich taub ist, dass es Unterschiede gibt, und er lernt auf diese Weise zu differenzieren. All das hilft ihm in seiner Affektregulation und Impulssteuerung, was eine Grundvoraussetzung für eine gelingende Traumatherapie darstellt.

Yoga in der Traumatherapie: lernen, sich im Körper sicher zu fühlen

Es gibt verschiedene Methoden, die Körperwahrnehmung zu schulen. Yoga mit seinem Fokus auf strukturierte Körper- und Atemübungen sowie die damit verbundene Schulung der Achtsamkeit eignen sich hier besonders gut.

Im Yoga nehmen wir in der Asanapraxis verschiedene Körperhaltungen ein. Wir haben die Wahl zwischen einfachen und komplexen, sanften und anstrengenden Asanas, die sich an den körperlichen Möglichkeiten des Patienten, den räumlichen Gegebenheiten und den Zielsetzungen orientieren. Bei der Ausführung der Asanas werden durch Dehnen, Anspannen und Entspannen Muskeln bewusst eingesetzt, was die propriozeptive und oft wenig entwickelte kinästhetische Wahrnehmung schult. Bei Traumapatienten wurde in vielen Fällen eine verminderte Aktivität der Insula und des cingulären Cortex – hier werden unter anderem die Körperempfindungen registriert – nachgewiesen. Folglich ist eine differenzierte Körperwahrnehmung erschwert (Levine 2011). Asanas geben dem Patienten neue interozeptive Informationen, und man kann davon ausgehen, dass dies der verminderten Aktivität in der Insula und im cingulären Cortex entgegenwirkt.

Yoga beschäftigt sich zudem intensiv mit unseren Einflussmöglichkeiten auf den Atem und damit auf das vegetative Nervensystem. Der Atem wird gewöhnlich nicht bewusst wahrgenommen. Wenn ein Mensch im Schreck erstarrt, kann ein Atemmuster begünstigt werden, welches das sympathikotone Nervensystems überreizt und einen hohen Stresslevel aufrechterhält. Das Erlernen der Körperwahrnehmung und der Atemlenkung ist ein wertvoller Schritt in Richtung Ermächtigung und Kontrolle.

Durch das für das Yoga typische strukturierte, vorhersehbare Vorgehen bieten wir zusätzlich Sicherheit und Kontrolle. Wir befinden uns nicht im „luftleeren“ Raum, sondern wir nehmen gemeinsam eine definierte Yogahaltung ein, erforschen, verändern und halten sie und lernen so den Körper kennen. Allmählich spüren wir deutlich eine Bewegung, eine Anspannung oder Dehnung, und mit der Zeit werden wir uns auch des körperlichen Ausdrucks von Emotionen, Gedanken oder Erinnerungen gewahr. Das Wiederholen ähnlicher Haltungen oder Atemübungen nimmt die Angst vor Unvorhergesehenem.

Yoga wird auch als „Meditation in Bewegung“ bezeichnet. Von den Konzepten der klassischen Achtsamkeitsmeditation im Sitzen unterscheidet es sich jedoch insofern, dass Körperhaltungen eingenommen oder Bewegungen ausgeführt werden, was den Traumapatienten leichter fällt als das Erspüren des Körpers oder das Beobachten von Gedanken und Emotionen im statischen Sitzen. Denn infolge ihrer beständigen Wachsamkeit können diese Patienten in ruhiger Haltung oft nur Anspannung oder Taubheit wahrnehmen und fühlen sich dann ihren Dämonen erst recht ausgeliefert.

Yoga hat noch einen weiteren großen Vorteil: Die Übungen sind zeitlich begrenzt! Traumatisiert worden zu sein heißt, keine Kontrolle darüber zu haben, wann etwas beginnt und wann es endet. Im Strudel überwältigender Gefühle ist das Zeitempfinden gestört und es gibt keine Einflussmöglichkeit, dem Horror zu entfliehen oder ihn zu beenden. Ein auf seine Bedürfnisse zugeschnittenes Yoga verleiht dem Patienten die Kontrolle über den Anfang sowie die Dauer der Übung, und damit einhergehend gewinnt er ein Gefühl der Ermächtigung über sich, seinen Körper und die Umwelt zurück. Traumapatienten machen hierbei zwei bedeutsame Erfahrungen. Erstens: Sie entscheiden, ob und wann etwas beginnt, und sie bestimmen das Ende. Zweitens: Etwas endet – zum Beispiel ist das Gefühl der Dehnung im Muskel nur vorübergehend. Die fortschreitende Fähigkeit zu beobachten lehrt, dass jede Empfindung und jede Emotion ein Ende hat (vgl. Emerson & Hopper 2010). Dies hilft Patienten, im Körper zu bleiben. Körperreaktionen und Empfindungen, Gefühle und Gedanken lassen sich so aushalten, ohne überwältigend zu sein.

Die Parallelen zu körperorientierten Methoden wie Somatic Experiencing (Levine 2011) sind unverkennbar. Beim Somatic Experiencing ist das Pendeln zwischen sympathikotoner und parasympathischer Aktivität, die der Patient zum Beispiel in Form von Körperempfindungen, Bildern und / oder Gedanken wahrnimmt, eine zentrale Arbeitsweise. Haben wir durch das traumaorientierte Yoga Ressourcen in Form von Haltungen, Bewegungen, Atemkontrolle oder Atemübungen gefunden, befähigen diese den Patienten, dem Traumasog dann etwas entgegenzusetzen, wenn ihn Erinnerungen und Empfindungen zu überwältigen drohen. Das Pendeln zwischen Traumasog und somatischen Ressourcen bremst den Vorgang ab. Bevor wir mit traumatischen Erinnerungen arbeiten, tun wir gut daran, mit dem Patienten das Bremsen zu üben (vgl. Rothschild 2002). Nichts anderes tun wir im traumasensitiven Yoga: Wir nehmen eine Haltung ein, spüren dabei zum Beispiel die Aktivität in den Muskeln, die Beschleunigung des Herzschlags oder die Veränderung des Atemrhythmus – also eine Sympathikusaktivierung im Körper. Danach lassen wir uns Zeit, nachzuspüren, wie die Spannung nachlässt, Atem und Puls sich beruhigen und Stille sich ausbreitet. Wir geben der Entspannung Raum. Durch die strukturierten Anleitungen und Übungen bieten wir dem Patienten Sicherheit. Innerhalb dieser Angebote können neue Erfahrungen gemacht werden. Gleichzeitig eröffnet sich ein Raum für Veränderung – ein Übergangs- oder Möglichkeitsraum –, in dem der Patient die Haltung so anpassen und verändern kann, wie sie für ihn stimmt. Der Patient macht die Erfahrung, dass er etwas tun kann.

Ich mache nicht mit jedem meiner Patienten traumasensitives Yoga (TSY). Doch habe ich bemerkt, dass komplex traumatisierte Menschen – für diese Zielgruppe habe ich dieses Buch geschrieben – sehr von der Idee des Übergangsraums, in dem ausprobiert, verworfen und neu versucht werden darf, profitieren. Ich betrachte Yoga weder als Allheilmittel noch als alleinige Therapie für komplexe Traumafolgestörungen. Der körperorientierte Therapieansatz ist für mich vielmehr zur Basis geworden, auf die eine Expositionstherapie aufbauen kann. Mit traumasensitivem Yoga kann im Vorfeld ein Maß an Affektregulationsfähigkeit erreicht werden, das dem Patienten hilft, Kontrolle über seine Gefühle und Empfindungen zu erhalten. Im weiteren Therapieverlauf bleiben Yogaasanas und Atemkontrolle wichtige Ressourcen und können ein fruchtbares Zusammenspiel aus körperorientiertem und kognitivem Fokus bilden.

Hinweise zu diesem Buch

Der Lesbarkeit und sprachlichen Einfachheit halber habe ich mich entschieden, die Formulierungen personenbezogener Bezeichnungen (Therapeut, Patient) im Maskulinum zu formulieren. Diese werden verallgemeinernd verwendet und beziehen sich, wohl wissend, dass beide Geschlechter Patienten und Therapeuten sein können, auf Männer und Frauen (generisches Maskulinum).

Gliederung

Das Buch eröffnet einen Raum, in dem sich traditionelle indische Konzepte des Yoga (Osten) und moderne Erkenntnissen aus der Psychotraumatologie und körperorientierten Therapie (Westen) begegnen. Um beiden Seiten gerecht werden zu können, habe ich die Inhalte folgendermaßen gegliedert:

Im ersten Teil lasse ich dem Westen den Vortritt, mit einer kurzen Einführung in die Themen Trauma, Posttraumatische Belastungsstörung, Entwicklungs- und Bindungstrauma sowie in die gängigen Behandlungskonzepte.

Teil zwei führt Sie in die Welt des Yoga ein, in Form einer kurzen Zusammenfassung der geschichtlichen Entwicklung, der Philosophie und eines Überblicks über die wichtigsten Elemente.

Die aktuelle Forschung auf dem Gebiet des Yoga im Zusammenhang mit Gesundheit, Stress und Posttraumatischer Belastungsstörung findet sich im dritten Teil. In welcher Form Yogaasanas und Pranayama in eine Traumatherapie integriert werden können und welche Rahmenbedingungen dazu notwendig sind, wird im vierten Teil des Buches beleuchtet.

Teil fünf ist ganz der Praxis gewidmet. Hier finden Sie konkrete Anleitungen für Asanas, Pranayama und Achtsamkeit. Im sechsten Teil wird therapeutische Erfahrung mit der Anwendung der Yogahaltungen im therapeutischen Kontext verknüpft.

Begleiten Sie mich also in diesen Möglichkeitsraum und begegnen Sie sich zunächst selbst, Ihren interozeptiven Empfindungen und Körperwahrnehmungen, ohne deren Berücksichtigung traumaorientiertes Yoga nicht möglich ist. Das vorliegende Buch richtet sich an Therapeuten, die mit komplex traumatisierten Patienten arbeiten, aber auch an Laien und betroffene Personen, die an einer körperorientierten Herangehensweise zur Behandlung von Traumafolgestörungen interessiert sind.

4. Was tun?

4.1 Stabilisieren oder Expositionstherapie?

Traumaexposition ist ein wichtiges Element in der Traumatherapie; zahlreiche Studien haben das bewiesen. Jedoch nicht jeder Patient toleriert den Stress des Wiedererinnerns. Für komplex traumatisierte Menschen wird aus diesem Grund zu Therapiebeginn eine ausreichend lange Stabilisierungsphase empfohlen, auf die die Expositionsphase, das Durcharbeiten des traumatischen Geschehens und die Integration folgen. Diese Stationen sind keine abgeschlossenen Einheiten, oft besteht der Prozess in einem Vor- und Zurückgehen zwischen den verschiedenen Phasen. Es gibt jedoch auch andere Stimmen: Petzold (1996) weist darauf hin, dass die Forschung zur Praxis der Traumaexposition keineswegs eindeutige Ergebnisse zeigt. Ein verdrängtes Trauma um jeden Preis dem Patienten ins Bewusstsein zu bringen birgt laut Petzold die Gefahr einer schädlichen Zwangsvorstellung, wenn man außer Acht lässt, dass Vermeidung oder Verdrängung sinnvolle und effektive Bewältigungsstrategien darstellen können. Will man das Erinnern eines Traumas erzwingen, können pathologische Hyperarousalmuster verstärkt werden und zu negativen Auswirkungen führen (vgl. auch van der Kolk 2009). Symptome wie „Numbing“ können durch forciertes Durcharbeiten verstärkt werden: „Sorgfältige prozessuale Diagnostik, flexible Interventionsstrategien und eine differenzierte Behandlungstechnik sind notwendig, um mit traumatischen Erfahrungen und mit Erinnerungen an diese ohne Gefährdung der Patienten zu arbeiten“ (Petzold 1996).

Therapeuten sollten daher über ein möglichst breites Repertoire an Interventionsmöglichkeiten verfügen, sodass sie auf die Patienten eingehen und ein passendes Vorgehen wählen können. Eine Exposition zieht vor allem dann schädliche Folgen nach sich, wenn der Stresslevel des Patienten zu hoch ist und er nicht weiß, wie er sich beruhigen und in sein persönliches „window of tolerance“ zurückfinden kann. Daher sollte man nicht das „Kind mit dem Bade ausschütten“ und die Expositionstherapie als Ursache für die schädlichen Folgen verantwortlich machen, sondern den Fehler vor allem in der mangelnden Vorbereitung bzw. Stabilsierung des Patienten suchen. Viele Traumaopfer leiden unter einem derart hohen Stresslevel, dass ihnen eine Therapie generell schwerfällt. Allein der Weg zur Praxis und die Konfrontation mit dem Therapeuten sind ein „Angang“. Einerseits befürchten sie, andererseits wissen sie, dass es um ihre seelischen Verletzungen aus der Vergangenheit gehen wird. Und das versetzt viele Patienten in höchste Alarmbereitschaft. Sie brauchen all ihre Ressourcen, um ihre Empfindungen und Gefühle in Schach zu halten. Oft dissoziieren sie aufgrund des hohen Arousals bereits vor der Sitzung, sodass sie von der Therapie nicht profitieren können. Dissoziative Momente löschen teilweise oder ganz ihre Erinnerung an den Inhalt der Sitzung.

Bessel van der Kolk äußert sich dazu folgendermaßen: „Wenn das zentrale Problem der Desorganisation traumatisierter und vernachlässigter Patienten darin liegt, dass diese nicht zu analysieren vermögen, was beim Wiedererleben der mit einem Trauma zusammenhängenden körperlichen Empfindungen geschieht, und intensive Emotionen erzeugt werden, die sie nicht beeinflussen können, muss unsere Therapie darin bestehen, diesen Menschen zu helfen, in ihrem Körper zu bleiben und die körperlichen Empfindungen zu verstehen. Bei dem Bemühen um dieses Ziel ist sicherlich keine der traditionellen Psychotherapien von besonderem Nutzen“ (zitiert in Rothschild 2002, S. 20).

Zur Stabilisation müssen wir in einem ersten Schritt mittels einer ausführlichen und wiederholten Psychoedukation dem Patienten erklären, dass seine körperlichen Reaktionen ganz normale Abläufe sind. In einem zweiten Schritt müssen wir sie dabei unterstützen, sich auf behutsame Weise mit ihrem Körper vertraut zu machen. Der Patient gewinnt an Sicherheit, wenn er zu verstehen beginnt, dass seine Symptome nicht Ausdruck seiner Schwäche oder Abnormalität sind. In einem weiteren Schritt brauchen wir Techniken, die dem Patienten eine verbesserte Affektregulation zuteil werden lassen. Erfährt ein traumatisierter Mensch buchstäblich am eigenen Leib, dass er mit einer Atemübung oder einer Körperhaltung oder -bewegung unmittelbar Einfluss auf seine Befindlichkeit nehmen und sich beruhigen kann, initiiert dies einen Zuwachs an Ermächtigung, Zuversicht und Selbstvertrauen. Die Arousalsymptome spielen sich im Körper ab. Da dieser oft abgespalten ist und / oder abgelehnt wird, gilt es dem Patienten zu helfen, seine von Verneinung, Wut, Ohnmacht oder Hass geprägte Beziehung zu seinem Körper abzubauen. Stattdessen können Fürsorge und Verbundenheit mit der eigenen Körperlichkeit ins Zentrum rücken.

Eine Beziehung zum eigenen Körper aufzubauen ist für die Betroffenen ebenso herausfordernd wie die Gestaltung eines tragfähigen und vertrauensvollen Kontakts zu anderen Menschen. Sollten wir uns demzufolge zuerst um eine stabile Beziehung kümmern?

4.2 Erst einmal eine gute Beziehung aufbauen?

Da viele Trigger in zwischenmenschlichen Verbindungen entstanden sind, ist es für komplex traumatisierte Patienten nicht ganz einfach, Vertrauen zu fassen und sich auf jemanden einzulassen. Beziehungen können ein Minenfeld darstellen, weil nach schlechten Erfahrungen verständlicherweise Misstrauen und Wachsamkeit vorherrschen. Der Aufbau einer tragfähigen therapeutischen Beziehung kann nur dann gelingen, wenn der Patient über ein gewisses Maß an Affektregulation verfügt, um mit den Triggern umzugehen, die in der Behandlung zwangsläufig ausgelöst werden. Jeder Therapeut ist an einem konstruktiven und vertrauensvollen Arbeitsbündnis interessiert. Schenkt er seine Aufmerksamkeit jedoch ausschließlich dem Aufbau einer tragfähigen therapeutischen Beziehung, wird er möglicherweise ein Teil des dysfunktionalen Beziehungsmusters des Patienten. Warum? Weil er alles zu vermeiden sucht, was die Sicherheit und das Vertrauen zerstören könnte.

Der Patient braucht also funktionierende Werkzeuge, die ihm helfen, sich selbst zu beruhigen. Erst dann kann er mit Stress, den eine therapeutische Beziehung unbestreitbar auslöst, umgehen. Zumindest kann er dem Therapeuten insofern vertrauen, dass dieser ihn ernst nimmt, seine Symptome versteht, Zusammenhänge erklärt und ihm funktionierende Strategien an die Hand gibt, die für eine spürbare Erleichterung sorgen.

Welche Form der therapeutischen Beziehungsgestaltung ist empfehlenswert?

Welche Vorstellungen gibt es zum Thema therapeutische Beziehungsgestaltung? Eine besagt, dass die vertrauensvolle therapeutische Beziehung die Medizin ist, mit deren Hilfe der Mensch sich entwickeln und heilen kann. Sie ermöglicht Regression und Nachbeelterung und in der Therapiebeziehung kann der Klient neue Erfahrungen machen. Er kann etwas ausprobieren, erhält Rückmeldung zu seinem Verhalten und bekommt so die Chance, seine Beziehungen zukünftig befriedigender zu gestalten (Lenzinger-Bohleber, Roth & Buchheim 2008).

Einer anderen buddhistisch gefärbten Auffassung zufolge besitzt jeder Mensch alles, was er zur Bewältigung seines Lebens braucht. Der Zugang dazu kann jedoch blockiert sein. Nach diesem Denkmodell leitet der Guru oder Meister den Patienten an, seine persönlichen Ressourcen zugänglich und damit für sich nutzbar zu machen. Diese Haltung ist heute vor allem im Coaching anzutreffen.

Ob ein Therapeut eines der beiden Modelle – oder noch ein ganz anderes – zur Grundlage seines Behandlungsschemas macht, richtet sich nach seiner Geisteshaltung. Betrachten wir nun einmal die beiden eben skizzierten Grundeinstellungen aus dem Blickwinkel der Behandlung von Patienten mit komplexen Traumafolgestörungen: Wir Therapeuten wissen aus Erfahrung, dass unser Beziehungsangebot im Patienten Erinnerungen an frühere Beziehungen wecken kann. Er regrediert und lebt seine alten Beziehungsmuster in der Therapie aus. Für komplex traumatisierte Menschen ist es jedoch vor allem zu Therapiebeginn kontraproduktiv, sie in einen regressiven Zustand zu bringen. Für sie stellt das eine unkontrollierbare, gefährliche Situation dar und die therapeutische Beziehung wird dadurch später belastet. Wenn wir uns jedoch lediglich als Coach sehen, der „außen vor“ bleibt und den Patienten anleitet, kann das zu wenig Beziehung und für den Kontakt ebenso verstörend sein.

Eröffnen wir jedoch einen Übergangsraum, in dem Pathologie und Nachreifung verortet werden können (Reddemann 2001), hat dies für beide Seiten eine entlastende Wirkung. Diesen Möglichkeitsraum können viele Patienten besser handhaben, denn sie erfahren dort „Normalität“ und damit Stabilität (Sachsse 2008).

4.3 Der dritte Raum

Arbeiten wir mit der Metapher des Möglichkeitsraums, unterscheiden wir drei Räume: Im ersten Raum geht es um die innerseelischen Abläufe, die Beziehung zu uns selbst. Im zweiten Raum stellt sich Beziehung ein, der Kontakt mit dem „Du“. Der dritte Raum ist ein Übergangs- oder Möglichkeitsraum, in dem anderes passieren kann, zum Beispiel Imagination, Spiel oder Tanz (Reddemann 2001). In diesem Raum gibt es weder Richtig noch Falsch, kein Versagen und keine Verunglimpfung. Hier darf ausprobiert, korrigiert, neu versucht werden. Übergangsräume können in der Spieltherapie, durch Imagination, in der konzentrativen Bewegungstherapie, in körperbezogenen Therapieformen wie Yoga, Qi Gong oder Feldenkrais sowie in der Kunst- und Gestaltungstherapie erfahren werden.

Wenn wir die Idee des Möglichkeitsraums in der körperorientierten Traumatherapie ernst nehmen, darf es in diesem Raum nicht um „richtige“ Haltungen oder Bewegungen gehen. Unter „richtig“ verstehe ich perfekte Haltungen, „akrobatische“ Asanas, Bewegungen, die sofort korrigiert werden. Kein ehrlicher „Spielraum“ ist, wo etwas erreicht werden muss, wo jemand über einem steht und sagt, was zu tun ist; wo jemand beurteilt, ob man es gut gemacht hat. Das ist eine hierarchische Beziehung, nicht auf Augenhöhe. Und es ist ein bekanntes Beziehungsmuster, auf das der Patient nur mit den gewohnheitsmäßigen Strategien reagieren kann: devote Anpassung, zynisches Sich-Widersetzen oder Dissoziation.

Klinkenberg (2007) schreibt in seinem Buch Achtsamkeit in der Körperverhaltenstherapie: „So greifen alle Methoden, die auf ,richtigem‘ oder ,falschem‘ Tun beruhen, auch wenn sie dabei den einen oder anderen durchaus berechtigten Aspekt des Bewegungsverhaltens berücksichtigen, leicht zu kurz. Der sensomotorischen Struktur des Menschen entspricht nicht ein Machen, ein bestimmtes Tun, eine einzunehmende Haltung. Vielmehr sind die menschlichen Möglichkeiten geradezu angewiesen auf Forderungen, Anregungen und Erleben, um ins Spiel kommen zu können.“ Und er postuliert: „Deshalb ist es auch so wichtig, die Fragestellungen klärender Probierversuche derart offen zu lassen, dass wir für Überraschungen frei sind: Auch der tausendste Probierversuch sollte so unvoreingenommen angegangen werden, dass mich Neues und bisher noch nicht Entdecktes interessieren kann … [Die sollte] ohne jede Absicht eines bestimmten Ziels erfolgen – auch und gerade dann, wenn wir bereits einmal erlebt haben, auf welche Weise sich dies bei einem früheren Versuch ausgewirkt hat“ (S. 24 ff.).

Eine Patientin, die meine Yogagruppen besuchte, gab mir folgende Rückmeldung: „Als ich auf dem Kissen saß und hörte, ich soll versuchen, den Fokus auf die Atembewegung zu lenken, dachte ich, dass ich jetzt gleich eine Panikattacke bekomme und dann ohnmächtig werde. Ich war sicher, dass ich das nicht kann. Dann hörte ich, dass ich, wenn meine Gedanken abschweifen oder wenn ich mich in Tagträumen wiederfinde, einfach den Fokus zurück zur Bewegung holen kann oder aber meine Gedanken oder Träume beobachten, ganz wie ich es will. ,Es gibt kein Versagen‘, hörte ich Sie sagen, ,denn sobald Sie bemerken, dass Ihre Gedanken abschweifen, sind Sie ja bereits achtsam, weil Sie es bemerken. Und … achtsam seine Gedanken beobachten ist ebenfalls Achtsamkeit.‘ So etwas hatte ich noch nie gehört. Augenblicklich entspannte ich mich und konnte wirklich meine Atembewegungen beobachten – für eine Weile. Aber ich fühlte mich nicht schlecht, weil es mir nicht lange gelang. Diese Erlaubnis war etwas völlig Neues für mich.“

Yoga eröffnet einen Übergangsraum, wenn wir erlauben, dass kreatives Erforschen möglich wird. Gemeinsames Üben und Erforschen erlauben dem Patienten, in Anwesenheit eines anderen in Beziehung mit sich selbst zu sein bzw. zu bleiben. Und das gelingt, weil der andere in Beziehung mit sich ist und seine eigene Interozeption beobachtet, sie mit dem Patienten teilt, jedoch nie bewertet, beurteilt oder vorschreibt, was er fühlen müsste. Es existiert keine Beziehungsanforderung. So gewinnt der Traumapatient einen Eindruck, wie es sich anfühlt, weder allein und verloren noch auf der Hut zu sein und sich schützen zu müssen.

An dieser Stelle möchte ich die Frage „Stabiliseren oder exponieren?“ noch einmal aufgreifen. Als Traumatherapeuten müssen wir uns ehrlich mit folgenden Fragen auseinandersetzen: Vermeiden wir die Exposition gemeinsam mit dem Patienten, weil wir selbst ängstlich und unsicher sind? Weichen wir deshalb auf Stabilisierung und Beziehungsaufbau aus? Oder ist der Betroffene wirklich noch nicht so weit, die Erinnerungen tolerieren zu können?

Der Übergangsraum hebt diese Fragen auf. Indem wir den Patienten einladen, gemeinsam mit uns zu erforschen, zu probieren und Erfahrungen bezüglich der Wirkungsweise von Atem- und Körperübungen zu machen, realisieren wir beides: Wir exponieren den gewohnheitsmäßig abgespaltenen Körper, rücken ihn gleichsam in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und benutzen ihn zur Stabilisierung sowie zur Affekt- und Selbstregulation. Eine nachfolgende Exposition der Traumaerinnerungen, die neben der somatischen eine kognitive und emotionale Integration ermöglicht, wird somit für beide Parteien leichter erträglich.

3. Die Werkzeuge eines Yogi

3.1 Asana

„Durch Asanas wird Festigkeit im Körper und im Geist, sowie Freiheit von Krankheit und Beweglichkeit der Gliedmaßen erlangt.“

(Hatha Yoga Pradipika 1:17, Swami Satyananda Saraswati 2010)

Die ursprüngliche Bedeutung von Asana war Sitz oder Sitzhaltung. In den alten Quellen heißt es, dass der Sitz fest und angenehm sein soll. Diese Sitzhaltung diente der völligen Entspannung und Betrachtung des Unendlichen. Es fällt auf, dass das Einnehmen des Asanas ursprünglich nicht dazu diente, den Körper intensiver zu erfahren, ihn geschmeidiger zu machen oder ein besseres Körperbewusstsein zu entwickeln. Die Sitzhaltung war das Mittel zur Erlösung. Gemeint war eine asketische Haltung, der gebundene Lotus: Man sitzt im Lotussitz, die Arme kreuzen sich hinter dem Rücken und halten die Fußspitzen. In dieser Stellung galt es, in absoluter Ruhe zu verharren. Ein solcher Stillstand kann als Nachahmung der Seinsweise des reinen Geistes, der völligen Konzentration auf sich selbst verstanden werden (vgl. Fuchs 2007).

Erst später, mit dem Verständnis des Körpers als Tempel des Göttlichen, kamen neue Aspekte hinzu. Im Hatha-Yoga waren die Asanas dazu bestimmt, zu höherer Achtsamkeit beizutragen und eine stabile Basis für die Erforschung des Atems, des Körpers, des Geistes und des Seins zu ermöglichen.

Viele Asanas tragen Tiernamen wie Kobra, Katze, Kuh, Hase etc. Die Menschen, die in und mit der Natur lebten, beobachteten, wie die Tiere ein Dasein in Harmonie mit ihrer Umgebung und mit ihrem Körper führten. Sie versuchten sich selbst in Stellungen bestimmter Tiere zu bringen, um zu entdecken, dass diese Haltungen eine Veränderung in ihrem Sein und Erleben bewirkten. Wenn sie zum Beispiel einen Hasen imitierten, spürten sie den für den „Kampf- oder Fluchtreflex“ verantwortlichen Adrenalinfluss und erkannten, dass sie ihn beeinflussen konnten – eine erstaunliche Parallele zu den Zielen der Traumatherapie. Das Nachahmen der Tierhaltungen half ihnen, den Herausforderungen der Natur zu begegnen (vgl. Swami Satyananda Saraswati 2010, S. 10).

Weitere Asanas bildeten sich heraus, die die Auseinandersetzung mit zwischenmenschlichen Erscheinungsformen wie „Krieger“ oder „Held“ widerspiegelten, und solchen der Natur, wie „Baum“ und „Fels“. Immer war das Ziel, die Natur des Geistes zu erforschen, um schließlich Samadhi – Erleuchtung – zu erlangen.

Das moderne Yoga hat unendlich viele Variationen entwickelt, sodass heute jeder die ihm angemessenen Asanas findet und diese so lange variiert, bis sie seiner persönlichen Befindlichkeit entsprechen.

Das yogische Üben unterscheidet sich von sportlichem Training nicht nur durch die geistige Einstellung des Praktizierenden, der die Bewegungen mit Achtsamkeit und Konzentration ausführt. Asanas aktivieren auch ganz andere Körpermechanismen als etwa gymnastische Übungen. Während der Ausübung von Asanas verlangsamen sich die Atmung und der Stoffwechsel, der Verbrauch von Sauerstoff und die Körpertemperatur sinken. Beim Sport geschieht das Gegenteil, Sauerstoffverbrauch und Körpertemperatur steigen an.

Man kann die Asanas in folgende Gruppen unterteilen

Im Praxisteil finden Sie Fotos und Anleitungen für Asanas unterschiedlicher Schwierigkeitsgrade auf dem Stuhl und in stehenden Positionen. Wichtig ist, die Asanas nicht als starres Konzept zu verstehen. Sie bieten uns unzählige Varianten, den Körper in seinen kreativen Ausdrucksmöglichkeiten zu erfahren und einen neugierigen und wertfreien Beobachterstatus zu trainieren.

3.2 Pranayama

Der Zugang zur Atmung, der immer auch ein Zugang zu den Emotionen ist, gelingt gerade Traumapatienten leichter über die Beobachtung der Atembewegung als über ein Konzept der reinen „Atembeobachtung“.

„Atem ist gefährlich“, sagte eine Patientin. „Der Atem führt unweigerlich zu den Emotionen. Die Atembewegung zu beobachten ist jedoch machbar. Mit der Zeit ist es mir immer besser gelungen, den Atem als solchen wahrzunehmen und die damit aufkommenden Affekte auszuhalten. Hätten wir bei der Schulung damit begonnen, hätte ich es nicht ausgehalten.“

Betrachten wir die Atemkontrolle aus yogischer Sicht, finden wir sie auf der vierten Stufe des achtgliedrigen Pfades. Pranayama ist aus zwei Wörtern zusammengesetzt: Prana und Ayama.

Prana ist am ehesten mit „Energie“ zu übersetzen. Ayama heißt so viel wie Verlängerung, Ausweitung, Kontrolle, Nicht-Zerstreuen, ebenso wie das freie, vom Willen nicht mehr gesteuerte Fließen. Pranayama verweist also das Ausdehnen, Regulieren und das freie Fließen von Prana, Energie. Die alten Yogis haben zwar nicht über unser anatomisches und physiologisches Wissen und unsere Untersuchungsmöglichkeiten verfügt, dennoch stand die Beschäftigung mit der Atmung im Zentrum ihrer Aufmerksamkeit. Nach ihrem Verständnis stellt der Atem die Verbindung zwischen Körper und Geist dar. Pranayama, Atemübungen, die den Geist kontrollieren und die Präsenz im Hier und Jetzt fördern, ist ein wesentlicher Bestandteil des Yoga.

Die Beherrschung des Geistes erlangt der Übende durch Selbstbeobachtung und Selbstanalyse. Er erkennt seine individuellen Muster, erfährt, was sein Potenzial einschränkt und was ihm nützt. Daran richtet er sein Handeln aus.

Betrachten wir die verschiedenen Pranayamaformen, so kann man die Übungen in folgende Kategorien einteilen:

Im Praxisteil (Kapitel V.1) finden Sie konkrete Anleitungen und Beispiele, wie Sie den Atem und damit das Atemgewahrsein in die therapeutische Praxis bringen können. Die innere Haltung, in der wir sowohl Asanas als auch Pranayama ausführen, kann am besten mit Achtsamkeit beschrieben werden.

3.3 Achtsamkeit

Im Duden finden sich unter dem Eintrag „Achtsamkeit“ folgende Synonyme: Aufmerksamkeit, Augenmerk, Genauigkeit, Gründlichkeit, Interesse, Konzentration, Sammlung, Sorgfalt, Teilnahme, Umsicht, Vorsicht, Wachsamkeit. Mein Eindruck: Der Begriff scheint sich unserem westlichen Denken nicht leicht zu erschließen.

Achtsamkeit (in der Pali-Sprache „Sati“) ist historisch betrachtet vor allem in der buddhistischen Lehre und Meditationspraxis (Vipassana-Meditation) zu finden und stellt die Grundlage der aufmerksamkeitsbezogenen Haltung der meditativen Praktiken aller buddhistischen Traditionen dar. Der Begriff „Sati“ wird mit „Achtsamkeit“ oder „Geistesgegenwart“ übersetzt. In unserer Umgangssprache gibt es jedoch keinen Begriff, der der Bedeutung von „Sati“ vollständig entspricht, denn das buddhistische Verständnis reicht weit über das gewöhnliche Verständnis unserer Aufmerksamkeit oder Geistesgegenwart hinaus. Für Achtsamkeit wird häufig eine Definition von Kabat-Zinn herangezogen. Er bezeichnet Achtsamkeit als „eine bestimmte Form der Aufmerksamkeit, die absichtsvoll und nicht wertend ist und sich auf den gegenwärtigen Moment bezieht“ (2007, S. 75). Achtsamkeit hat das Ziel, Inhalte des aktuellen Bewusstseins lediglich zur Kenntnis zu nehmen. Sie strebt keinen spezifischen Zustand an, wie z. B. Entspannung oder eine Veränderung aufkommender Gefühle (Bishop et al. 2004).