Joachim Ringelnatz

Die Flasche und mit ihr auf Reisen

Eine autobiographische Seemannsballade



e-artnow, 2015
Kontakt: info@e-artnow.org

ISBN 978-80-268-3688-9


Inhaltsverzeichnis


Die Flasche
Personen
Erster Akt
Zweiter Akt
Dritter Akt
Mit der »Flasche« auf Reisen
Einleitung und Vorbereitung
Premiere in Hannover
Zwangsurlaub und drei Tage Kassel
Gotha, Liebenstein, Salzungen, Eisenach
Bad Kissingen
Koblenz und Abstecher
Vier Tage Darmstadt
Pforzheim
Baseler Leckerli
Zürich, leider nur ein Tag Zürich
München
Nürnberg
Würzburg
Wieder in Kissingen, Plauen abgesagt
4 Tage Bad Elster
Praha-Peux
In Teplitz ausgespielt

Die Flasche

(Eine Seemannsballade)

Inhaltsverzeichnis

Personen

Boris Georgewitsch, ein russischer Fürst

Grischa, ein russischer Musikant

Hans Peppe, ein Matrose

Witwe Mewes, die Wirtin der Kneipe
»Zur Kiautschoubucht«

Petra, ein dänisches Mädchen, ihre Stieftochter

Ein Heizer

Ein Kellner

Sitty Smile, ein farbiger Seemann

Ein Kapitän, ein Steuermann, zwei Hafen-
mädchen
, und anderes, internationales Seevolk.

Der erste und der dritte Akt spielen in Hamburg in der Seemannskneipe »Zur Kiautschoubucht«. Der zweite Akt spielt in Konstantinopel in einem Salon eines Hotels.

Zeit 1927 bis 1929

Zur Aufführung: Die Rolle der Petra ist mit einer auch deutsch sprechenden Dänin, die Rolle des Grischa möglichst mit einem auch deutsch sprechenden Russen zu besetzen.

Erster Akt

Inhaltsverzeichnis

März 1927

In der Kneipe »Zur Kiautschoubucht«. Im Lokal sitzt ein Heizer. – Hinten die Theke. Ein Grammophon spielt eine Platte aus der Zeit, also z. B. »Mein Liebling heißt Mädi« oder »Hallo, du süße Klingelfee«. – Ein Sofa, ein Schiff in einer Flasche, an der Wand eine Gitarre und ein Krokodil, Flaggen, ein Schiffsbild, Panamahut, Speere usw. eventuell ein Klavier

Mewes (stellt Grammophon ab und geht hinter die spanische Wand am Ausgang links, wo sie zu einem nicht sichtbaren Gast spricht): Trinkst du noch einen? He! Du! – Schläft wie ein Sack. – He, du! – Mußt du nicht an Bord? – Er wacht nicht auf. – Na, meinetwegen schlaf dich aus! Aber trocken! Das rate ich dir. Ich will meine Getränke aus dem Hause haben. (Kehrt zur Theke zurück.) (Kapitän, Steuermann, erstes und zweites Hafenmädchen kommen teils singend, teils pfeifend herein an die Theke.)

Alle vier: Wir Fahrensleute
Lieben die See.
Die Seemannsbräute (usw.)

Kapitän: Schnell, Mutter Mewes! Zwei Bier und zwei Köm! (Zu den Mädchen.) Was trinkt ihr?

Erstes Hafenmädchen: Dasselbe.

Zweites Hafenmädchen: Zwei Köm und Bier.

Mewes (einschenkend): Also viermal »Alt-Hamburg«.

Heizer (zu ihnen gehend): Kaptain, geben Sie einen aus für mich?

Kapitän: Meinetwegen. (Zu Mewes.) Also noch mal dasselbe. Aber rasch. Wir müssen an Bord. Wir laufen aus.

Heizer: Wenn ich Kaptain wäre, würde ich mir immer Zeit lassen.

Steuermann: So siehst du Bursche aus. (Zu den andern.) Na denn Prost.

Kapitän: Prost! (Trinkt und singt dann.)

Steuermann (fällt ein):
Wir Fahrensleute
Lieben die See.
Die Seemannsbräute
Gelten für heute,
Sind nur für to-day.

Die Mädchen, die weinen
Sind schwach auf den Beinen.
Was schert uns ihr Weh!
Das Weh, ach das legt sich.
Unsre Heimat bewegt sich
Und trägt uns in See,
Far away.

Kapitän: Wenn ich das höre, schmilzt mir das Herz.

Erstes Hafenmädchen: Ich hab' das mal im Theater gesehen.

Steuermann: Das ist doch kein Theaterstück. Das ist doch ein Lied.

Zweites Hafenmädchen: Es ist eine Operette. Das singen die Seeleute beim Abschied. –

Erstes Hafenmädchen: Ja. Und dann singen die Mädchen ihnen nach (singt).

Zweites Hafenmädchen (fällt ein):
Wir, die Bräute
Der Fahrensleute,
Lieben und küssen
Doch wissen, sie müssen
Zur Seefahrt zurück.

Und wenn sie ertrinken,
Dann – wissen wir – winken
Uns andre zum Glück.

Kapitän: Trinkt aus! So, Mutter Mewes, da ist Geld! (Gibt den Hafenmädchen Geld.) Da habt ihr auch was! – Adjüs! (Singend ab.)

Steuermann: Adjüs! (Singend ab.)

Erstes Hafenmädchen (halblaut zum zweiten Mädchen): Was hat er dir gegeben?

Heizer: Viel! Wollt ihr einen für mich ausgeben?

Zweites Hafenmädchen: Dir ist wohl die Kohle zu Kopf gestiegen! (Zur andern.) Komm, Kläre! (Beide singend ab: »Wir, die Bräute« . . .)

Heizer (auf seinen Platz zurückkehrend): Hurenpack!

Grischa (eintretend): Guten Abend, Mutter Mewes. So leer? So düster?!

Mewes: Guten Abend, Herr Musikus. Ja, es wird heute nicht viel werden. »Cap Finisterre« ist ausgelaufen, auch das englische Wochenboot. Und Kapitän und Steuermann von der »Florida« sind gerade zur Tür hinaus.

Grischa: Schade! Gestern war es so lustig.

Mewes: Wie sich das so gibt; heute werden Sie nicht wieder einsammeln können.

Grischa: Elf Mark hab ich gestern zusammengebettelt.

Mewes: Hm – Ja. Und hundertzwölf Mark und noch was darüber verzecht.

Heizer (räuspert sich höhnisch. Halblaut.) Ein fetter Junge.

Grischa: Nicht allein. Mit meinem Freund zusammen. – – Kommt das dänische Fräulein heute nicht?

Mewes: Die Petra? Hat sie dir gefallen?

Grischa: Mir auch. Aber mein Freund ist ganz verrückt auf sie.

Mewes: Der feine Matrose, der bei dir saß? Ist er scharf auf sie? – – Hütet euch vor der. Die ist klug. Und ich vertrete Mutterstelle an ihr.

Heizer: Du? Mutterstelle an der? Wieso?

Mewes: Sie hat kein Blut von mir, aber ich bin schon lange ihre Mutter. Mein ertrunkener Mann hat sie von seiner ersten Frau übernommen. Er war auch nicht ihr leiblicher Vater.

Petra (eintretend): Guten Abend. (Nimmt Platz.)

Grischa: Guten Abend, Fräulein Petra.

Mewes: Guten Abend, Petra. Ist dein gestriger Rausch verpufft?

Petra: Ja. Es war lustig gestern. Ich muß Hundehaare auflegen. Gib mir eine Flasche Whisky.

Heizer (setzt sich zu Petra).

Petra (erhebt sich und nimmt anderswo Platz).

Mewes: Eine ganze Flasche? Nein, Petra. Ein Glas. Du wolltest dir doch Schuhe kaufen. (Holt Flasche und Glas.)

Petra: Ja ja, ich weiß.

Grischa (nimmt Gitarre).

Petra: Das ist recht. spielen Sie uns wieder eins. Gestern kamen wir dabei so schön in Fahrt.

Grischa: Gestern ja, herrlich! Wunderschön!

Heizer (stellt sich zwischen Petra und Mewes): Was kostet der Dreck?

Petra (ihn beiseite schiebend): Was ich bestelle, bezahle ich selber.

Grischa (fängt an, leise zu spielen und beobachtet dabei Petra und den Heizer).

Heizer (zu Petra): Gestern hast du aber alles angenommen.

Petra: Gestern ging ich mit dir schlafen.

Heizer: Nun, und heute?

Grischa (spielt lauter und wie drohend).

Petra: Heute weiß ich, daß du ein Schwein bist.

Heizer (geht lachend zur Theke und legt Geld hin).

Mewes: Petra, trink heute nicht wieder so viel.

Petra (nimmt Grischa die Gitarre ab und spielt und singt):
Nashornida nannte ich die Kleine.
Eigentlich klingt das so mild.
Nashornida hatte Trampelbeine
Und war wild.

Nashornida hat mir einen Knochen
Alle Gläser, Porzellan und die
Linke Wand vom Kleiderschrank zerbrochen.

Doch sie hat nach Afrika gerochen,
Und das reizte meine Phantasie. –

Ich bin in bester Stimmung. – Aber beruhige dich, Mutter Mewes, (halblaut) Hans Pepper trinkt mit. Er kommt heute zurück.

Mewes: Hans Pepper kommt heute?

Petra: Ja. Sein Schiff ist schon von Oevelgönne gemeldet.

Mewes: Dann wird's heute doch noch lustig.

Heizer (geht zu Petra): Eins will ich dir sagen. Ich brauche dich nicht. Es gibt jüngere Mädchen.

Petra (zu Grischa): Hallo, Musiker, komm doch mal zu mir! Ich muß dich etwas fragen.

Grischa: Ja. Ich dich auch. (Er eilt breit zu Petra und stößt dabei den Heizer vom Stuhl.)

Heizer (sich erhebend): Was?! Du Papierfetzen! Du windiges Geklimper! (Er läuft Grischa nach, der aus dem Lokal entflieht.)

Mewes: Also Hans kommt heute? Ist das bestimmt?

Petra (nickt): Ich sagte doch: Er ist schon von Oevelgönne gemeldet. Ich habe ihm einen Aal durch den Lotsen entgegengeschickt. (Lauscht.) Hörst du? Die hauen sich jetzt da draußen.

Mewes: Draußen. Was geht's uns an? (Auf Gitarre zeigend.) Der ist ein russischer Flüchtling. – – Freust du dich sehr auf Hans? Er war diesmal lange weg. Genau – ein Jahr – laß mich nachdenken – ein Jahr und siebzehn Tage.

Petra: Einmal hat er mir in der Zeit geschrieben. Eine Ansichtskarte aus San Franzisco. (Zieht die Karte hervor und liest laut.) »Aus Liebe Hans Pepper.«

Mewes: »Aus Liebe Hans Pepper.« Ja, das ist so sein Briefstil.

Petra: »Aus Liebe Hans Pepper.« Mehr schreibt er nicht.

Mewes: Solche Flossen schreiben nie viel. Er hat sicher viel hineingelegt in diese vier Worte. Denn er ist echt.

Grischa (zurückkehrend zu Mewes): Hatte der noch was zu bezahlen?

Mewes: Der Heizer? Nein. Kommt er nicht wieder zurück? Wo ist er?

Grischa: Wahrscheinlich unter einem Wasserhahn. (Zu Petra.) Was wollten – du fragen?

Petra: Es ist nicht wichtig. Aber was wolltest du fragen?

Grischa: Nein, frag du zuerst.

Petra: Kennst du das Lied »La Paloma«? »Es zog mich an Bord, und es wehte ein kühler Wind –«?

Grischa: Ja. Es ist ein mexikanisches Lied. Wir sangen es oft auf See.

Petra: Bist du ein Seemann?

Grischa: Ich bin früher einmal als Steward gefahren. Lange vor dem Krieg. Wir sangen oft.

Petra: Also du kannst es singen?

Grischa: Nein. Ich kann nicht singen. Aber ich kenne es. Man sagt, es ist von einem Kaiser gesungen, den man mit diesem Liede erschoß.

Petra: Du kannst es also nicht singen?

Grischa: Ich kann es spielen. Soll ich es spielen?

Petra: Jetzt nicht, aber später, wenn ich dich bitte. Wie heißt du?

Grischa: Grischa.

Petra: Grischa? – Grischa, du wolltest mich auch etwas fragen.

Grischa: Ja viel. Hör zu: Reisen ist doch schön?

Petra: Reisen?

Grischa: Ja. Reisen mit Auto und Aeroplan und mit einer Luxusyacht, wo das Deck aus Magagoni ist –

Petra: Aus was?

Grischa: Aus Magagoni.

Petra: Mahagoni meinst du. Bist du ein Russe?

Grischa: Ja. Und die Treppen mit Silber beschlagen. Und zwischendurch in vornehmste Hotels wohnen. Möchtest du das?

Petra: Ja, das möchte doch jeder. Das ist doch so, als ob du fragst: »Möchtest du reich sein?«

Grischa: Möchtest du mit meinem Freunde – er hat eine eigene Yacht und ein Schloß in Frankreich – möchtest du mit ihm so reisen?

Petra: Nein.

Grischa: Er bezahlt alles.

Petra: Selbstverständlich. Aber ich möchte nicht.

Grischa: Warum nicht?

Petra: Was kümmert mich dein Freund?

Grischa: Er mußte aus Livland fliehen.

Petra: So? Das tut mir leid.

Grischa: Nein, der ist noch rechtzeitig geflohen. Der hat sein ganzes Vermögen gerettet.

Petra: Was kümmert mich das. Ich habe meinen eigenen Freund.

Grischa: Warum willst du nicht einen mehr haben?

Petra: Wenn es über mich kommt, einen mehr, einen weniger. Aber vorläufig habe ich keinen Bedarf. Ich bin in festen Händen.

Grischa: In was?

Petra: Laß! Ich kann schneller zu dir reden, als du zu mir. Ich rede besser deutsch.

Grischa: Du bist doch eine Dänin.

Petra: Ich bin dänisch. Ganz gleich. Aber ich begreife schneller. Ist es nicht so: Ein Freund von dir will mich kennenlernen?

Grischa: Ja.

Petra: Irgendein Freund von dir, der mich einmal oder zweimal gesehen hat, will mit mir in die Betten gehen?

Grischa: Davon hat er kein Wort gesagt.

Petra: Aber mit jedem Wort daran gedacht.

Grischa: Nein, du brauchst nicht. Ich schwöre es. Er wird es nie verlangen. Er will dich nur immer in seiner Nähe haben. Die Männer und Frauen, die er um sich hat, sollen alles gemeinsam mit ihm leben. Verstehst du? Auf seine Kosten. Er ist sehr reich.

Petra: Deshalb meint er, er kann alles kaufen. – – Mich nicht!

Grischa: Nein. Weil er reich ist, hat er keine Freuden.

Petra: Hat er zuviel Freuden, und weil sie ihn nicht lange freuen, sucht er immer wieder neue.

Grischa: Nein, er hat keine Freuden, wenn nicht auch möglichst viele andere mitmachen. Verstehst du?

Petra: Ich verstehe. Er möchte ein Bett so groß wie der Hopfenmarkt. Sag deinem Freund, er soll sich ein junges Mädchen suchen und ein schönes.

Grischa: Er hat junge genug und schöne genug. Er sucht etwas anderes dazu, etwas Besseres. Er sagt, du bist anders.

Petra: Nun, der hat einen guten Blick.

Grischa: Ja. Er sagt auch: du bist ehrlich.

Petra: Er kennt mich doch gar nicht.

Grischa: Du hast gestern hier mit ihm getanzt. Er ist ein schöner Herr.

Petra: War es der russische Salonmatrose?

Grischa: Der russische Matrose.

Petra: Der hat mir gar nicht gefallen. Der hat Hebammenfinger. Das ist kein Matrose. Er macht Schwindel. Er ist vielleicht ein Steward oder ein Kriminaler.

Grischa: Er ist ein Fürst.

Petra: Noch schlimmer. Er ist ein feiger Hund. Er zeigt nicht Flagge. Er geniert sich vor uns Proletariern.

Grischa: Nein.

Petra: Laß mich ausreden. Er schickt dich zu mir, weil er selbst zu feig ist, mich zu fragen, ob er mich aushalten darf.

Grischa: Nein. Ich schwöre! Er ist ein guter Herr. So gut!

Petra: Nun gut. Es ist ja gut, wenn jemand gut ist. Aber damit ist es auch gut. Sprechen wir von andern Sachen.

Grischa: Er ist für Fürst geboren – nein laß mich bitte noch einmal ausreden – er kann doch nichts dafür. Und er ist traurig, wenn die Menschen erkennen, daß er ein Fürst ist. Denn dann sind sie alle anders zu ihm.

Petra: Ich nicht.

Grischa: Doch! Auch du! Alle! Jeder anders. Die einen lecken ihm am Arsch, und die andern wollen das nicht und verachten ihn nur. Und noch andere sagen, er ist dumm. Oder sie sagen, er ist stolz. So ein Mann will doch auch einmal sein wie wir und will einfache Worte hören und ehrlich sprechen dürfen. Er hat Angst vor Mißverständnissen – verstehst du – – Falschverständnissen. Deshalb hat er mich zu dir geschickt, damit ich erst –

Petra: Bist du denn sein Diener? Ich denke, du bist sein Freund.

Grischa: Ich bin als Musiker bei ihm angestellt, aber ich bin auch sein Freund.

Petra: Warum verstellt er sich? Warum verstellst du dich?

Grischa: Wir verkleiden uns manchmal, wenn wir in einfache Kneipen gehen.

Petra: Aber ihr verkleidet euch mit Glas. Jeder durchschaut euch. Mutter Mewes hat gleich zu mir gesagt (sie flüstern. Der Schläfer hinter der Wand erwacht, zahlt und geht geräuschvoll).

Grischa (wieder laut): Du wirst dich überzeugen. Er muß jede Minute kommen.

Petra: Nein, nein, nein! Er will alles besitzen und alles kriegt niemand. Und er ist doch feig, und du bist wahrscheinlich auch feig. Ihr lügt wahrscheinlich beide.

Grischa: Willst du mit ihm sprechen?

Petra: Nein, ich will nicht. Du gefällst mir genug.

Grischa: Bitte laß ihn sprechen. Er drückt sich besser aus. Und du bist auch klug, du wirst schon heraushören. Du mußt nicht Angst haben.

Petra: Ich Angst? Auch mein Freund wird gleich kommen. Wenn der was in die falsche Kehle kriegt –

Fürst (bescheiden elegant gekleidet, geht auf Grischa zu und drückt ihm die Hand).

Grischa (vorstellend zu Petra): Das ist mein guter Freund. (Will gehen.)

Petra (reicht dem Fürsten die Hand): Ihr Kapellmeister hat mir alles gesagt. (Sie hält Grischa zurück.) Bleib hier, ich will nicht allein mit ihm sprechen. (Zum Fürsten.) Sie sollen so edel sein, daß mir ganz gruselig wird. Aber meine Antwort ist Nein.

Fürst: Es ist freundlich von Ihnen, daß Sie mich überhaupt anhören. (Er gibt Grischa einen Wink, Whisky zu bestellen.)

Petra: Gern, aber nur kurz. Denn ich kann nur Nein sagen. Ich habe einen festen Freund, den ich über alles stelle.

Fürst: Das erstaunt mich gar nicht.

Petra: Ich erwarte ihn gerade. Er wird gleich kommen. Wir sind so wie verlobt.

Fürst: Das gönne ich Ihnen.

Petra: Also was bleibt noch zu sagen?

Fürst: Eins schließt doch nicht das andere aus. Sie sollen natürlich zusammenbleiben. Er könnte doch mitreisen, bei Ihnen wohnen.

Petra: Der wird sich bedanken. Der reist sowieso. Und anders wie Sie. Der hat keine Luxusyacht. Der reist nicht zum Vergnügen. Der ist kein Faulenzer. Der ist ein Kerl. Der hat einen Beruf. Seemann ist er.

Fürst: Ich wollte, ich wäre in dieser Karriere.

Petra: Karriere! Ho, wie das klingt–das klingt wie Kavallerie. – Er ist ein einfacher Matrose und wird immer Matrose bleiben.

Fürst: Nun, immer wird er es nicht bleiben.

Petra: Immer! Der hält es an Land nicht aus.

Fürst: Immer wird er es gar nicht bleiben können.

Petra: Nun ja, er wird auch einmal zugrunde gehen.

Fürst: Von Unfällen abgesehen. Er wird sich einmal zur Ruhe setzen wollen, wenn er sich etwas erspart hat.

Petra (lachend): Erspart! Wir sparen nicht. Für uns ist Geld so wie Wellen. Schön, wenn sie kommen, schön, wenn sie gehen. Nur gefährlich, wenn sie bleiben. Wir sind Fahrensleute.

Fürst: Ich habe auch manche Seeleute gekannt. Wenn sie alt und gebrechlich wurden, sehnten sie sich doch danach, einmal auszuspannen, zu genießen, spazierenzufahren, ein Häuschen zu besitzen –

Grischa: Schön! Mit einem Gärtchen, und eine Kuh –

Petra: Und Gickelgackelhühner und Obstbäume mit Kinderwindeln – ich verstehe.

Fürst: Ich bin zufällig reich genug, euch das alles zu verschaffen.

Petra: Verdienst du soviel Geld?

Fürst: Verdienen – nein.

Petra: Hast du soviel erspart oder gestohlen?

Fürst: Ich habe es geerbt. Leider habe ich es.

Petra: Leider? Schmeiß es doch auf den Mist! Geh arm zur See wie mein Freund.

Fürst: Darf ich denn wegwerfen, was ich an gute Menschen verteilen kann?

Petra: Ach rührend. Sie wollen also nur herschenken und gar nichts verlangen?

Fürst: Verlangen werde ich nichts. Ich werde mich freuen, wenn Menschen mein Geld genießen, die es mehr verdient haben. Und ich möchte mit diesen Glücklichen dann glücklich werden . . .

Petra: Und sonst wollen Sie gar nichts? Von mir gar nichts?

Fürst: Ich will Sie genießen. Aber nicht so, wie Sie denken –

Petra: Aha, nur die Seele. Der Leib ist Ihnen gleichgültig.

Fürst: Gleichgültig?!

Petra: Sie sind wohl aus einem Märchen stehen geblieben? Lieber Freund, es ist 1927.

Fürst: Ich gebe zu: ich habe die ganze Nacht von diesem Leib geträumt. Ich bin doch nebenbei auch Mann.

Petra: Nun also. Warum umgehst du das? Rede doch wenigstens offen. Was verlangst du von mir? Wahrscheinlich bist du pervers. Was forderst du von mir?

Fürst: Ich fordere nichts. Ich bitte nur, daß ihr mit mir reist und um mich seid. Ich will dir ein eigenes Heim einrichten, wo du mit deinem Verlobten wohnen kannst. Und ich führe euch in Gesellschaften ein, wo ihr euch untereinander alle wohlfühlen sollt. – Ihr sollt Theater besuchen und Konzerte und Kinos oder Zirkus – was ihr wollt. Ihr sollt Kleider und alles haben, was du brauchst, um glücklich zu werden und gesund und frei zu sein.

Petra: Ich bin gesund und frei.

Fürst: Nein, du bist sehr elend und nicht frei. Petra, du bist noch sehr schön, aber noch viel schöner würdest du aussehen, wenn du gesünder und freier wärest. Bedenke das wohl!

Petra: Aber glücklich bin ich.

Fürst: Es ist ja schon ein Glück, wenn wir das von uns glauben. Aber wir könnten alle noch glücklicher sein. (Pause.)

Petra: Und was forderst du weiter?

Fürst: Ich bitte um weiter nichts als dies und werde dir nie zu mehr zureden.

Grischa: Ich schwöre für ihn!

Fürst (tadelnd zu Grischa): Danke. Ich kann allein schwören. (Zu Petra.) Was du darüber hinaus mir – freiwillig – im Einverständnis mit deinem Freunde schenkst, wird mich natürlich unendlich froh machen.

Petra: Und was zahlst du außer Reise, Kleidung und freier Station? (Pause.)

Fürst: Ich möchte nichts versprechen. (Pause.)

Petra: Wie lange soll es denn dauern? Einen Monat? Ein Jahr? Zwei Jahre?

Fürst: Wenn du es aushältst, zwei Jahre. Wenn du verlangst, nur drei Tage. Wenn es dir und euch beiden gefällt, länger und länger.

Petra: Welchen »euch beiden«?

Fürst: Dir und deinem Freunde.

Petra: Richtig; du willst ihn dulden.

Fürst: Dulden? Nein, nein! Wir wollen uns zusammenfinden aus allen Ständen und alles teilen. Und wenn ich zufällig Geld mitbringe: Es bringt jeder Mensch schon von Natur aus etwas mit sich.

Petra: Ah, ich verstehe. Das nennt ihr Orgie?

Fürst: Manche nennen es vielleicht Paradies.

Petra: Nein, nein, mein Freund weiß nichts von eurer Lebewelt. Der schlägt einen ganzen Palast entzwei, wenn wir mit den Beinen Skat spielen wollen.

Fürst: So meinte ich es nicht. Aber wie bist du klug! (Will ihre Hand küssen.)

Petra (Hand zurückziehend): Zwei Jahre sagtest du. Aber was du zahlen willst, sagst du nicht.

Fürst: Traust du mir nicht?

Petra: Nein. Gar nicht. – – Wenn ich nun forderte? Nach sechs Monaten zwölf Fenster und zehn Obstbäume mit reichlich Erde. Nach zwölf Monaten ein Dach und vier Mauern. Nach achtzehn Monaten das Notwendige, was noch zu solchem Hof gehört. Und nach dem zweiten Jahr die Erlaubnis, mit meinem Freunde ohne Dank von dir zu scheiden. –? (Pause.)

Fürst: Ich wäre einverstanden und glücklich. Das ist mal ein Vorschlag, der Hand und Fuß hat.

Petra: Aber wer garantiert, daß du nach dem zwölften Monat oder nach dem vierundzwanzigsten noch Wort hältst?

Fürst: Ich bürge mit meinem Leben dafür. Ich schwöre es.

Petra: Das klingt nach was. Ich will mir's überlegen. – Prosit!

Pepper (schleudert seine Mütze in die Stube): Mutter Mewes, ahoi!

Mewes (ihm entgegengehend): Na endlich zurück. Herzlich willkommen!

Pepper (schwer bepackt mit einem Kleidersack, einem Bananensack, einem ausgestopften Krokodil und einem Bastkörbchen. Hinter ihm Sitty Smile. Pepper bleibt stehen und zeigt auf Petra): Do you see, Sitty Smile? That is my Petra! Is that a wife or not?

Sitty Smile: A beautiful wife. (Laut.) Ich möchte ein große Bier.

Pepper (reicht Mewes den Bananensack): Das habe ich dir mitgebracht. Bananen aus Madeira. (Reicht ihr das Bastkörbchen.) Und das mußt du nachher allein auspacken. Es ist eine Überraschung darin.

Mewes (es in der Hand wiegend): Es ist sehr leicht. Ich trage es in die Küche. (Abgehend.) Ich danke dir später. Jetzt schieß auf dein Glück zu.

Pepper (eilt zu Petra): Hallo Petra! (Drückt ihr das Krokodil in die Arme.) Das hab' ich dir mitgebracht.

Petra: Guten Abend, geliebter Hans. (Küßt ihn auf den Kopf.) Seit mehr als einem Jahr erwarte ich dich.

Grischa (der sich mit dem Fürsten zurückziehen will, fixiert plötzlich Pepper): Bist du nicht Hans Pepper?

Pepper (sich von Petra losreißend): Was? Grischa? Der Russki?! – Mein alter Freund Grischa! (Sie umarmen und küssen sich.) Du, Petra, mit dem hab' ich gefahren! – Wir sind einmal fast abgesoffen. Vor Rio de Janeiro. – Hallo old Grischa!

Grischa: Es ist lange her. Ich war Steward an Bord.

Pepper: Ein Schweinestall hat uns gerettet.

Grischa: Das Schiff ging unter mit Mann und Maus, auch meine schöne Gitarre.

Pepper: Ja verflucht, es ging hart her! Nur wir zwei Ratten blieben übrig.

Grischa: Und konnten beide nicht schwimmen. Aber da trieb ein – wie nennt man das? – ein Holzkäfig im Wasser –

Pepper: Ein Saustall.

Grischa: Ja, ein Schweinekäfig trieb im Wasser mit einer lebenden Sau darin.

Pepper: Darauf haben wir zwei wohl acht Stunden lang balanciert, bis sie uns auffischten. Die andern sind alle abgebuddelt.

Grischa: Auch die süße kleine Pia, die Schauspielerin.

Pepper: Es war die fetteste Sau, die ich je gesehen habe. Und sie ist trotzdem ersoffen, weil wir sie durch unser Gewicht unter Wasser drückten. Und denke dir, Petra – –

Petra: Nun setzt euch doch erst mal alle. Du auch, Fürst.

Fürst: Sag doch Boris zu mir.

Petra: Gut. Also das ist Fürst Boris, und das ist Grischa, und das ist Hans Pepper.

Pepper: Der sieht auch wirklich aus wie ein richtiger Fürst.

Petra: Das ist auch ein richtiger. Und außerdem mein Freund. Also auch dein Freund.

Pepper (drückt dem Fürsten die Hand): Allright shake hands! Ich hab' auch schon mal einen Fürsten kennengelernt. Der hieß Wildenstein oder Wassermann oder so ähnlich.

Fürst: So? Den kenne ich leider nicht.

Pepper: Ja, das waren zwei Brüder, und die schulden mir jeder noch vier Dollar.

Grischa (umarmt Pepper und küßt ihn)