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Brigitte Melzer

Das Vermächtnis der MacLeods

Roman

hockebooks

19

»Ich möchte nicht gehen, Aidan.« Catriona trat in den Wohnraum und zog die Tür zum Schlafgemach zu. Sie hatte sich umgezogen und ihr Haar zu einem losen Zopf zusammengebunden. Die Ereignisse der vergangenen Tage steckten ihr noch immer in den Knochen, aber trotz ihrer Trauer um Eoin verspürte sie Glück. Sie fühlte sich deshalb schuldig, doch sobald sie Aidan ansah, waren da nur Wärme und der Wunsch, ihm nah zu sein. Er stand am Fenster und blickte in den verhangenen Mittagshimmel. Als sie zu ihm trat, griff er nach ihrer Hand, ohne seine Augen vom Himmel zu nehmen. Seine Berührung linderte ihren Schmerz.

Sanft strich sein Daumen über ihren Handrücken. »Ich habe dir doch schon gesagt, dass ich dich nicht in Gefahr wissen will.«

»Es hat so lange gedauert, zu dir vorzudringen, und jetzt soll ich wieder weg von dir?« Sie wollte sich in der Geborgenheit seiner Umarmung verkriechen, seine Wärme spüren und seinen Geruch in sich aufnehmen. Stattdessen verlangte er, dass sie ihn verließ. Die Vorstellung, ohne ihn von Dunvegan aufzubrechen und nicht zu wissen, wie es ihm erging, und ob er womöglich in Gefahr schwebte, machte ihr Angst. »Können wir nicht –«

»Cat«, sagte er beschwörend und drehte sich zu ihr herum. »Sobald alles vorbei ist, werde ich dich holen.«

»Was ist, wenn dir etwas zustößt?«

»Mir passiert nichts«, sagte er so entschieden, dass sie ihm beinahe geglaubt hätte.

»Wenn wenigstens Duncan hier wäre«, seufzte sie. Doch Duncan war seit zwei Tagen verschwunden. Niemand hatte ihn gesehen oder wusste, wo er sich aufhielt. Er hatte einfach die Burg verlassen und war nicht mehr zurückgekehrt. Womöglich kann er nicht mehr zurück. Ein erschreckendes Bild fand seinen Weg in ihren Geist: Duncan, in seinem eigenen Blut liegend, der Blick leer. Tot.

Es dauerte einen Moment, ehe es ihr gelang, das Bild zu verdrängen. »Lass Callum festnehmen.«

»Was auch immer er vorhat – er ist nicht allein. Brodhir hilft ihm. Womöglich noch andere. Wenn ich Callum jetzt einkerkern lasse, sind seine Verbündeten gewarnt. Dann werden sie entweder sofort handeln – ohne dass wir uns darauf vorbereiten können –, oder aber sich zurückziehen und irgendwann später zuschlagen, wenn wir nicht mehr damit rechnen.« Aidan schüttelte den Kopf. »Ich will nicht jeden Morgen mit der Frage aufwachen, ob der Tag gekommen ist, an dem sie zuschlagen. Die Vorstellung, dich ständig in Gefahr zu wissen … nein, Cat. Ich muss Klarheit haben, wer in Callums Machenschaften verstrickt ist und wem ich künftig noch vertrauen kann.«

»Aidan.«

Er zog sie in seine Arme. »Alles wird gut«, flüsterte er und brachte ihren Widerstand mit einem Kuss zum Verstummen. »Das verspreche ich dir.«

Eine Weile standen sie da und hielten einander fest in dem Wissen, dass ihnen nur noch diese eine Nacht blieb.

»Sileas!«, rief Catriona plötzlich und löste sich aus Aidans Umarmung. Nach allem, was geschehen war, hatte sie vollkommen vergessen, dass er sie gestern Abend in ihrem Gemach erwartet hatte. »Er weiß das alles noch nicht!« Sie dachte kurz nach, dann sagte sie: »Vielleicht kommt er heute Abend noch einmal. Ich muss mit ihm sprechen!«

»Ich begleite dich!«

»Nein.« Catriona schüttelte den Kopf. »Wenn er merkt, dass da noch jemand ist, wird er womöglich nicht kommen. Lass mich erst allein mit ihm sprechen. Ich werde ihm alles erklären. Wenn er einverstanden ist, dich zu sehen, werde ich eine brennende Kerze ins Fenster stellen. Dann kannst du zu uns kommen.«

»Einverstanden.«

Sie aßen noch gemeinsam zu Mittag, ein ruhiges Mahl, während dem Catrionas Augen immer wieder zu Aidan wanderten. Vor drei Tagen noch hatte sie es für fraglich gehalten, ob er sich tatsächlich ändern konnte. Dass es ihm gelungen war, noch dazu in derart kurzer Zeit, erschien ihr wie ein Traum. Wenn sie ihn jetzt ansah, sah sie wieder jenen Aidan, den sie damals auf Finlaggan kennengelernt hatte. Der Junge war zum Mann geworden und für eine Weile mochte er sich darüber verloren haben, jetzt jedoch hatte er wieder zu sich selbst gefunden. Die starre Kälte war aus seinen Zügen gewichen. Der harte Zug, der seine Mundwinkel umgab, war noch immer da, doch sobald sein Blick Catriona fand, wurde seine Miene weich – als hätte er Angst, sie könnte sonst unter seinem Blick zerbrechen.

Catriona wollte nicht daran denken, was alles passieren konnte, während sie auf Duntulm sitzen und auf eine erlösende Nachricht warten würde. Immer wieder versuchte sie den Gedanken von sich zu schieben, dass diese Nachricht womöglich niemals kommen würde, aber es mochte ihr nicht gelingen. Sie bemühte sich ihre Gedanken auf die kommende Nacht zu lenken, ihre letzten gemeinsamen Stunden, die sie in seinen Armen verbringen wollte, doch ihre Furcht war zu groß.

Nachdem sie ihr Mahl beendet hatten, stand sie auf. »Halt nach der Kerze Ausschau«, sagte sie und küsste ihn auf die Wange.

*

Auf dem Gang vor ihrem Gemach hielt Catriona inne. Während sie gegessen hatten, waren draußen weitere Gewitterwolken aufgezogen, und innerhalb des Gemäuers war es nun so duster, dass sie eine Laterne mitgenommen hatte. Bis zum Einbruch der Dunkelheit blieben ihr noch einige Stunden. Sie hätte die Zeit gerne mit Aidan verbracht, doch sie hoffte Sileas würde sich früher zeigen, wenn er sah, dass sie in ihrem Gemach war. Vielleicht wartete er bereits auf sie – so wie er es gestern auch getan hatte.

Sie öffnete die Tür, schlüpfte durch den Spalt hindurch und drückte sie sofort wieder hinter sich ins Schloss. Jemand hatte die Vorhänge vorgezogen, sodass es hier noch dunkler war als auf den Gängen. Verwundert hielt sie die Laterne vor sich in die Höhe und spähte in die Schatten.

»Sileas?« Obwohl sie normal sprach, klang ihre Stimme unnatürlich laut.

Das leise Rascheln von Stoff erfüllte die Luft hinter ihr. Es kam von derselben Stelle, an der er sie gestern schon erwartet hatte. Erleichtert, dass er gekommen war, drehte sie sich herum. Doch es waren nicht Sileas’ Züge, die der flackernde Schein der Laterne der Dunkelheit entriss, sondern Brodhirs. Etwas Silbernes blitzte in seiner Hand auf. Erschrocken fuhr Catriona zurück, als sie ein Sgian Dubh erkannte. Brodhir stieß zu. Die Klinge durchschnitt die Luft und verfehlte Catriona um Haaresbreite. Ihr Blick schoss an ihm vorbei zur Tür. Ich muss hier raus! Auf dem Gang konnte sie ihm entkommen. Vor allem aber konnte sie um Hilfe rufen! Hier, innerhalb der dicken Steinmauern, würde niemand, der nicht unmittelbar vor ihrer Tür stand, ihre Schreie hören.

Brodhir schien ihre Gedanken zu erahnen. Er machte einen Schritt zur Seite und vertrat ihr den Weg. Langsam und mit erhobenem Dolch kam er näher. Catriona wich zurück, noch immer auf der Suche nach einem Weg an ihm vorbei. Da griff er erneut an. Ein Stich, dem sie nicht mehr schnell genug entgehen konnte. Sie riss den Arm mit der Laterne nach oben. Heißes Wachs fand seinen Weg durch die Öffnungen und tropfte auf ihre Hand, während sie darauf wartete, dass sich die Klinge in ihren Arm bohrte. Ein metallenes Klirren erfüllte die Luft, als die Schneide stattdessen gegen die Laterne prallte. Die Kerze darin erlosch. Schatten breiteten sich aus. Die Wucht des Angriffs warf Catriona zurück. Sie geriet ins Stolpern, musste zwei schnelle Schritte nach hinten machen, um ihr Gleichgewicht wiederzuerlangen, und prallte mit dem Rücken gegen die Anrichte. Ein lautes Poltern hallte in ihren Ohren wider, als der Weinkrug und die Tonbecher ins Wanken gerieten, umkippten und über den Rand der Anrichte zu Boden fielen, wo sie zersprangen. Catriona, die noch immer darum kämpfte, sich zu fangen, griff nach der Anrichte und bekam die Kante des Möbels zu fassen. Ihre Finger rutschten über vergossenen Wein, ehe sie endlich Halt fanden. Die andere Hand klammerte sich noch immer um die Laterne. Aus zusammengekniffenen Augen starrte sie in die Düsternis. Es dauerte einen Moment, ehe sie begriff, dass es nicht vollends finster war. Durch einen kleinen Spalt zwischen den Vorhängen drang genügend Tageslicht, um sie zumindest Umrisse erkennen zu lasen. Einer davon gehörte Brodhir, der ohne Hast näherkam. Da sie nicht mehr weiter zurückkonnte, wich Catriona zur Seite, tiefer in den Raum hinein. Sie stieß gegen einen Stuhl. Polternd fiel er um. Catriona streckte die freie Hand aus und tastete nach weiteren Hindernissen. Den Blick von Brodhir zu nehmen wagte sie nicht. Noch immer folgte er jeder ihrer Bewegungen. Nicht mehr lange und er hätte sie in eine Ecke gedrängt.

Catriona hatte sich nie im Kampf geübt, trotzdem blieb ihr jetzt keine andere Wahl als anzugreifen. Wenn sie zuließ, dass er ihr den Weg noch weiter abschnitt, war sie verloren. Die Laterne wild schwingend sprang sie vor, Brodhir und der erhobenen Klinge entgegen. Die Laterne prallte gegen seine Waffenhand. Er stieß einen überraschten Schrei aus, als das Sgian Dubh seinen Fingern entglitt und scheppernd zu Boden fiel. Catriona verpasste dem Messer einen Tritt, der es weit unter das Bett schlittern ließ.

»Du verdammtes Miststück!«

Catriona schlug erneut zu. Die Laterne zischte durch die Luft und zwang Brodhir zurück. Nur noch ein weiterer Schritt und der Weg zur Tür wäre frei! Doch ihren nächsten Angriff fing Brodhir ab. Er bekam ihren Arm zu fassen, riss sie herum und schleuderte sie von sich. Catriona prallte gegen den Kamin und ging, mit dem Gesicht nach unten, keuchend zu Boden. Ihre Finger klammerten sich noch immer um die Laterne. Der Aufprall hatte sie benebelt zurückgelassen, sodass es ihr schwerfiel, ihre Umgebung klar zu erkennen. Sie blinzelte, um den Schleier zu vertreiben, der das Gemach in milchiges Grau hüllte. Ihr Blick klärte sich und mit einem Mal war die Welt um sie herum nicht mehr grau, sondern schwarz. Catriona kniff die Augen zusammen. Es dauerte einen Moment, ehe sie begriff, dass es Brodhirs Schatten war, der sie einhüllte und das Licht um sie herum aufzusaugen schien. Sie wandte den Kopf und sah seine dunkle Silhouette über sich aufragen. Einzig sein blondes Haar hob sich von der Dunkelheit ab. Er stellte seinen Fuß auf ihre Hand, mit der sie noch immer die Laterne hielt. Anfangs nur ein leichter Druck, verlagerte er sein Körpergewicht mehr und mehr auf das Bein. Immer weiter presste er ihr Handgelenk nieder, bist der Knochen unter der Last knirschte. Catriona schrie vor Schmerz und ließ die Laterne los in der Hoffnung, ihre Hand freizubekommen. Brodhir zog seinen Fuß zurück und trat die Laterne weg.

Catriona rollte sich zur Seite und kroch von ihm fort. Sie war noch immer benommen und ihr Handgelenk fühlte sich taub und gefühllos an, sodass sie nicht wagte, sich daran abzustützen, um sich auf die Beine zu stemmen. Da fiel ihr Blick auf das Sgian Dubh unter dem Bett. Wenn es ihr gelang, die Waffe zu erreichen … Ein harter Tritt in den Leib ließ jeden Gedanken an Gegenwehr erlöschen. Die Heftigkeit seines Angriffs nahm ihr den Atem und warf sie herum. Brodhir bekam sie beim Arm zu fassen, riss sie auf die Beine und presste sie mit dem Rücken gegen die Wand. Er schloss die Hände um ihren Hals und drückte zu. Seine Züge waren verzerrt und sein Atem, der ihr heiß ins Gesicht schlug, roch nach Branntwein. Catriona versuchte sich aus seinem Griff zu befreien, doch er presste sie mit seinem ganzen Gewicht gegen die Wand. Sie kämpfte gegen die Panik an, als keine Luft mehr in ihre Lungen dringen wollte. Ihre Kehle wurde trocken. Schwarze Flecken tanzten vor ihren Augen auf und ab. Wieder und wieder trommelte sie mit den Fäusten gegen seine Brust, ohne ihm damit auch nur das Geringste anzuhaben. Als der Druck auf ihre Kehle zunahm, hob sie die Hände und versuchte vergebens seine Finger abzustreifen, die sich so unerbittlich in ihr Fleisch gruben. Die Barriere, die den lebensnotwendigen Atem von ihren Lungen fernhielt, war unüberwindlich. Ihre Kehle schmerzte und ihre Lungen brannten, bis sie glaubte, ihr Brustkorb müsse jeden Moment bersten. Mit der immer rascher aus ihren Gliedern schwindenden Kraft wuchs ihre Panik. Bleierne Schwäche senkte sich herab, so durchdringend, dass sie zu Boden gegangen wäre, hätte Brodhir sie nicht noch immer in seinem unerbittlichen Griff gehalten. Ich darf nicht ohnmächtig werden! Wenn sie jetzt zuließ, dass ihr die Sinne schwanden, würde er sie umbringen! Wieder versuchte sie seine Hände von ihrem Hals zu lösen. Sie grub ihre Fingernägel in seine Handrücken und spürte, wie er zusammenzuckte. Das war ihre Waffe! Obwohl ihre Hände das Einzige waren, was womöglich noch verhindern konnte, dass er ihr den Kehlkopf zerquetschte, zog sie sie zurück und tastete nach seinem Gesicht. Als sie es fand, rammte sie ihm ihre Nägel ins Fleisch und riss sie quer über seine Wange. Mit einem Aufschrei fuhr er zurück. Für einen Moment war die Last seines Gewichts von ihr genommen. Catriona schlug seine Arme von ihrer Kehle und fiel auf die Knie. Brennender Atem füllte ihre Lungen. Keuchend und hustend versuchte sie von Brodhir fortzukommen. Obwohl die schwarzen Flecken ihr noch immer die Sicht nahmen und sie das Gefühl hatte, jeden Augenblick zusammenzubrechen, kroch sie an der Wand entlang auf das Bett zu. Hinter sich hörte sie Brodhir fluchen. Kam er näher? Sie drehte sich nicht um, da sie ohnehin kaum etwas gesehen hätte. Alles, woran sie denken konnte, war das Sgian Dubh unter dem Bett. Darauf konzentrierte sie ihre verbliebenen Kräfte. Halb besinnungslos und blind schob sie sich voran. Ihre Finger tasteten über den rauen Steinboden in der Hoffnung, etwas anderes zu finden, was sich als Waffe verwenden ließ, und stießen auf Widerstand. Die Laterne! Sie griff danach, da wurde sie bei den Haaren gepackt und zurückgerissen. Catriona schrie auf, als die Laterne in unerreichbare Ferne rückte. Brodhir verpasste ihr einen Schlag, der sie zu Boden schickte, dann war er wieder über ihr. Ein Knie in ihren Leib gestemmt, schlossen sich seine Hände erneut um ihren Hals. Der Schmerz war kaum zu ertragen, ebenso wenig wie die Panik, die wie eine Welle über ihr zusammenschlug und jede Vernunft mit sich riss. Sie wollte schreien, doch kein Laut kam über ihre Lippen. Ihre Stimme war ebenso versiegt wie der Atem, der ihre Lungen füllte. Catriona versuchte noch immer seine Hände abzustreifen, doch es war vorbei. Sie hatte Brodhir nichts mehr entgegenzusetzen. Hitze strömte durch ihren Leib, gefolgt von einer derart eisigen Kälte, dass sie glaubte, ihre Knochen würden unter dem Druck seines Körpers in unzählige Eissplitter zerspringen. Zu den schwarzen Flecken vor ihren Augen gesellten sich glühend rote Punkte. Geräusche erstarben. Alles, was sie noch vernahm, waren das Rauschen ihres eigenen Blutes und das Pochen ihres Herzens – und selbst das nur noch undeutlich. Ihre Lider flatterten. Als ihre Kräfte schwanden und sich ihr Bewusstsein endgültig in die Schatten zurückzog, glitten ihre Hände herab.

*

Anfangs war es Aidan noch gelungen, ruhig sitzen zu bleiben. Von Zeit zu Zeit hatte er an seinem Wein genippt und gewartet. Hin und wieder war er zum Fenster gegangen, um zu sehen, ob sie das Zeichen gesetzt hatte. Wann immer er zu ihrem Schlafzimmer sah, erkannte er nichts weiter als Dunkelheit hinter ihrem Fenster. Sie hatte die Vorhänge vorgezogen. Aber wozu?

Er betete inständig, Sileas möge zu ihr kommen – noch mehr hoffte Aidan, dass er sich dazu bereit erklären würde, mit ihm zu sprechen. Die Vorstellung, all die Jahre Seite an Seite mit einem Bruder gelebt zu haben, von dessen Existenz er nicht einmal etwas geahnt hatte, war noch immer kaum fassbar. Er konnte Sileas keine Vorwürfe machen. Callum hatte seinen Wunsch nach einer Familie benutzt und als Waffe gegen Aidan eingesetzt. »Du warst nichts weiter als ein Werkzeug«, sagte er leise.

War er anfangs immer wieder zu seinem Platz zurückgekehrt, blieb er bald am Fenster stehen. Selten zuvor hatte er das Warten als derart qualvoll empfunden. Mehr als einmal war er drauf und dran, kehrtzumachen und zu ihr zu gehen – einzig die Sorge, Sileas mit seinem Erscheinen zu verscheuchen, hielt ihn davon ab.

Wie würde er reagieren, wenn er erfuhr, dass Aidan ihn sprechen wollte? Sileas war kein gewalttätiger Mensch, das wusste Aidan. Doch im Augenblick war er nicht er selbst. Was, wenn er die Last, die Callum mit seinem bösen Spiel auf seine Schultern gelegt hatte, nicht länger ertragen konnte? Bist du imstande, Catriona etwas anzutun? Der Gedanke brachte Aidan beinahe um den Verstand. Noch schlimmer empfand er es, hier zu stehen und nicht zu wissen, was dort drüben geschah.

Aidan lief vor dem Fenster hin und her, immer wieder hielt er inne und blickte nach draußen. Keine Kerze. Es war noch lange nicht dunkel, auch wenn die Gewitterwolken das Land mit verfrühtem Dämmerlicht überzogen. Die Vorstellung, weitere Stunden in dieser Ungewissheit zu verbringen, war unerträglich. Es war an der Zeit, diesem Zustand ein Ende zu bereiten. Obwohl er inständig hoffte, dass es ihnen gelingen würde, Sileas zu einem Gespräch zu bewegen, wollte er ihm dieses Mal nicht unvorbereitet gegenübertreten. Aidan nahm sein Claymore, das in einer Halterung neben dem Kamin hing, und ging zur Tür.

Er ignorierte die Blicke seiner Wachen, als sie ihn mit dem Schwert in der Hand sahen, und lief über den Hof. Eine salzige Brise trieb ihm vereinzelte Regentropfen ins Gesicht, die ersten Vorboten des bevorstehenden Unwetters. Aidan lief ins Haupthaus, stürmte durch die Eingangshalle zu den Treppen und eilte nach oben. Als er den Gang betrat, in dem ihr Gemach lag, sah er schon von Weitem, dass ihre Tür offen stand. Kein Lichtschimmer drang von drinnen auf den düsteren Gang. Aidan rannte los. Noch im Laufen streifte er die Schwertscheide ab und ließ sie fallen. Mit dem Claymore in der Hand erreichte er die Schwelle zu Catrionas Gemach. Was er sah, ließ ihn abrupt innehalten. Das wenige Licht, das vom Gang in den Raum kroch, vermochte es kaum, diesen vollends den Schatten zu entreißen, doch es genügte, um Aidans schlimmste Vorahnungen zu bitterer Wahrheit werden zu lassen.

Tonscherben lagen vor einer Anrichte auf dem Boden, ein Stuhl war umgekippt, vor dem Bett lag eine Laterne, und inmitten des Durcheinanders stand Sileas und starrte vor sich hin.

»Cat«, flüsterte Aidan entsetzt, dann fuhr er Sileas an: »Was hast du ihr angetan? Sie wollte dir helfen! Wie konntest du –«

Sileas fuhr herum. Auch er hielt ein Schwert in der Hand. »Ich habe gar nichts getan!« Er sprang Aidan entgegen, hob seine Waffe und setzte zum Schlag an.

Aidan sprang zurück und schlug die Klinge mit seiner eigenen zur Seite. Es wäre ein Leichtes gewesen, auf den Gang zurückzukehren und nach den Wachen zu rufen. Stattdessen drängte er Sileas mit erhobener Waffe in den Raum zurück.

»Wo ist sie?«, donnerte Aidan.

»Ich weiß es nicht.« Sileas schwang sein Schwert zu einem erneuten Angriff.

Aidan parierte. »Wenn du ihr nichts angetan hast, dann hör auf damit!«, rief er über das Klirren der Waffen hinweg und drängte Sileas noch weiter zurück. Sileas setzte zu einem nächsten Schlag an, doch Aidan wischte die Klinge zur Seite. »Verflucht, ich will dir nichts tun!«

»Ach«, erwiderte Sileas triefend vor Sarkasmus und machte einen Schritt zur Seite, auf der Suche nach einer Schwachstelle in Aidans Deckung. »Bist du gekommen, um mich mit offenen Armen in die Familie aufzunehmen, Bruder

Aidan folgte Sileas’ Bewegung und hielt ihn mit nach vorne gereckter Klinge auf Abstand. »Ich wusste es nicht!« Er war so sehr darauf fixiert, dass er Sileas’ Hieb beinahe zu spät kommen sah. Mit einer raschen Drehung duckte sich Aidan unter der Klinge hindurch. Mit seinem Ausweichmanöver hatte er seine Deckung geöffnet, sodass es ihm nicht mehr rechtzeitig gelang, sein Schwert zur Abwehr des nächsten Schlages hochzureißen. Aidan ließ sich fallen, rollte sich herum und fegte Sileas mit einem Tritt die Beine unter dem Körper weg. Fluchend stürzte dieser und versuchte sofort wieder auf die Beine zu kommen. Doch Aidan war schneller. Er sprang auf, stellte einen Fuß auf Sileas’ Klinge und hielt ihm die Spitze seines eigenen Claymores an die Kehle.

»Töte mich!«, keuchte Sileas außer Atem. »Dann hast du endlich erreicht, was du immer wolltest.«

»Alles, was ich will, ist, dass du mir zuhörst!«

Sileas ließ sein Schwert los und fuhr so heftig herum, dass Aidan seine Waffe nicht mehr rechtzeitig zurückziehen konnte. Seine Klinge riss Sileas’ Ärmel auf, als dieser auf die Beine sprang. Blut quoll aus dem Schnitt und tränkte sein Hemd.

»Halt endlich still!«, fuhr Aidan ihn an. »Ehe ich dich noch versehentlich umbringe!«

Tatsächlich blieb Sileas stehen. Ob es an Aidans Schwert lag, das erneut auf ihn gerichtet war, oder daran, dass er tatsächlich hören wollte, was sein Gegenüber zu sagen hatte, wusste Aidan nicht.

»Ich hatte keine Ahnung, Sileas!«

»Was?« Sileas starrte Aidan an, als versuche er herauszufinden, ob dieser sich einen bösen Scherz erlaubte.

»Ohne Cat wüsste ich es noch immer nicht«, sagte Aidan ruhiger.

»Aber … Callum sagte … er …«

»Er hat dich belogen und benutzt.«

Sileas schloss die Augen und atmete tief durch. Als er die Augen wieder öffnete, sagte er: »Ich stehe für das gerade, was ich getan habe.«

Aidan schüttelte den Kopf. »Du hast nichts getan, außer einer Lüge Glauben zu schenken.« Jetzt, da Sileas seine Gegenwehr vollständig eingestellt hatte, konnte Aidan ihn eingehender betrachten. Natürlich waren ihm Sileas’ Züge vertraut, doch zum ersten Mal sah er das Gesicht seines Bruders – das Wort erschien ihm noch immer fremd – mit anderen Augen. Sein Haar war dunkelblond und seine Augen so hell wie die Callums. Warum ist mir das nie aufgefallen? Nachdem er überzeugt war, dass Sileas nicht länger versuchen würde ihn anzugreifen, zog Aidan sein Schwert zurück. Es drängte ihn danach, mit Sileas zu sprechen und die Fronten zwischen ihnen zu klären, doch dazu war keine Zeit. »Lass uns später in Ruhe über alles sprechen.« Sein Blick richtete sich erneut auf die Scherben und den umgestürzten Stuhl. Schlagartig kehrte seine Sorge zurück. »Was ist hier passiert? Wo ist sie?«

»Ich weiß es nicht. Ich habe das Zimmer so vorgefunden.« Sileas deutete auf das Fußende des Bettes. »Da stand gestern noch eine Truhe.«

»Wer sollte eine Truhe stehlen?«

»Ist sie abgereist?«

Abgesehen davon, dass Catriona ihn ohnehin nicht freiwillig verlassen wollte, besaß sie nach dem Überfall nicht einmal Gepäck, das sie hätte mitnehmen können. Aidan ging zum Fenster und riss die Vorhänge zurück. Gebrochenes Tageslicht tastete sich in den Raum. Aidan sah sich um, suchte nach Hinweisen und Spuren, was Catriona zugestoßen sein konnte. Unter dem Bett fand er ein Sgian Dubh und zog es hervor. Obwohl die Klinge frei von Blut war, jagte ihm der Anblick der Waffe einen Schauder über den Rücken.

Er fuhr zu Sileas herum. »Wir müssen sie finden!«

Ehe Sileas antworten konnte, stürmte Aidan an ihm vorbei aus dem Gemach. Auf dem Flur hob er die Scheide auf, die er dort fallen gelassen hatte, und stieß das Schwert hinein.

»Was hast du jetzt vor?«, rief Sileas, der ihm folgte.

»Denjenigen fragen, der es wissen muss!« Graue Gänge und ausgetretene Steinstufen flogen an ihm vorüber, bis er die Tür zu Callums Wohnzimmer erreichte. In seinem Verstand existierte nur noch ein einziger Gedanke: Catriona! Callum würde wissen, wo sie war – wenn es sein musste, würde er ihm die Seele aus dem Leib prügeln, um es aus ihm herauszubekommen! In seiner Sorge um Catriona war es ihm vollkommen gleichgültig, dass er ursprünglich nicht vorgehabt hatte, Callum mit seinem Wissen zu konfrontieren. Ganz sicher würde er nicht riskieren sie zu verlieren, nur um seine eigenen Pläne nicht zu gefährden!

Er wollte schon die Tür aufreißen, als Sileas ihm eine Hand auf den Arm legte. Aidan wolle die Finger seines Bruders abstreifen, doch Sileas verstärkte den Druck seiner Hand.

»Aidan.« Ein einziges Wort, so leise, dass es kaum zu vernehmen war, und zugleich laut genug, um seinen Verstand zu erreichen und ihn zur Besinnung zu bringen.

Catrionas Verschwinden ließ ihn nicht länger rational handeln, doch wenn er ihr helfen wollte, durfte er nichts überstürzen! Womöglich würde es ihm nicht einmal gelingen, Callum zum Sprechen zu bringen. Was dann? Er atmete durch, nahm seine Hand vom Türriegel und nickte, um Sileas zu signalisieren, dass er verstanden hatte. Einige Herzschläge noch verspürte er Sileas’ Griff auf seinem Arm, ehe auch er die Hand zurückzog.

Aus dem Inneren des Gemachs drangen gedämpfte Stimmen an sein Gehör. Eine davon gehörte Callum. Vermutlich war Brodhir bei ihm. Aidan rückte näher an die Tür. Sileas schob sich neben ihn.

»Was hast du zu berichten?«, erkundigte sich Callum. Seine Stimme schien von weither zu kommen, als würde er der Tür den Rücken zuwenden.

»Die Männer Eures Bruders sammeln sich in den Wäldern, südlich der Feenbrücke.« Die Stimme gehörte nicht zu Brodhir. Aidan konnte sich auch nicht erinnern, sie jemals zuvor gehört zu haben. Womöglich war es einer von Brodhirs Männern.

Es war jedoch weniger die fremde Stimme, die ihn erstaunte, als vielmehr die Nachricht. Südlich der Feenbrücke? Das war nicht sein Befehl gewesen. Er hatte angeordnet, dass sie sich bereithalten sollten, und einen Trupp ausgesandt, der die Grenze im Auge behielt. Duncan! Was hast du vor, mein Freund?

»Sind die Männer in Position?«, wollte Callum wissen.

»Ja, Herr. Brodhir kümmert sich darum«, sagte der Unbekannte. »Er sagte, ich solle Euch bestellen, dass jeder glauben würde, die MacDonalds hätten sie niedergemacht. Es wird genügend Zeugen dafür geben.«

Niedergemacht? Zeugen? Was sollte das heißen? Waren es tatsächlich Brodhirs Männer, die vorgaben den MacDonalds anzugehören, wie Catriona bereits gemutmaßt hatte? Aber wozu? Wenn Callum Chief werden wollte, war es doch nicht nötig, die MacDonalds miteinzubeziehen und riskanterweise ihre Aufmerksamkeit auf Dunvegan zu lenken. Was hast du wirklich vor, Callum?

»Was ist mit dem Mädchen?«, verlangte Callum zu wissen.

»Sie wird Euch keine Probleme mehr bereiten.«

Callums folgende Frage war so leise gestellt, dass Aidan die Worte nicht verstehen konnte. Er rückte näher an die Tür heran und legte sein Ohr an das Holz, um besser hören zu können.

Da sagte der Fremde: »Sie ist nicht mehr in der Burg. Einer der Männer wird ihren Leichnam in der See versenken.«

Aidans Herz erstarrte zu einem eisigen Klumpen. Er drehte sich von der Tür weg, lehnte sich mit dem Rücken an die Mauer und schloss die Augen. Das konnte nicht sein! Es durfte nicht sein! Er stieß sich von der Wand ab und stürmte den Gang entlang zum Treppenhaus.

Kurz vor dem Durchgang vertrat Sileas ihm den Weg. »Wo willst du hin?« Nur undeutlich, wie durch Nebel, drang Sileas’ Stimme zu ihm vor.

»Ich muss sie finden!«

»Du hast es gehört, Aidan.« Sileas’ bedauernder Ton fraß sich wie Gift in sein Gehör. »Wir sind zu spät. Für sie gibt es keine Rettung mehr.«

»Nein!« Der Fremde hatte von ihrem Leichnam gesprochen, doch das bedeutete nicht, dass sie bereits tot war! Solange er es nicht mit eigenen Augen gesehen hatte, wollte Aidan die Hoffnung nicht aufgeben. Sie mochte gering sein, dennoch klammerte er sich daran.

»Aidan, bitte. Wenn du jetzt gehst, um einem Phantom hinterherzujagen …« Er schüttelte hilflos den Kopf. »Sie war all die Jahre wie eine Schwester für mich! Denkst du, mir fällt es leicht, zu akzeptieren, dass sie für uns verloren ist? Für sie gibt es keine Rettung mehr. Willst du jetzt auch noch das Wohl des Clans aufs Spiel setzen?«

»Sie ist nicht tot!«, beharrte er, doch mit jedem Mal, das er die Worte aussprach oder dachte, klangen sie weniger überzeugend. Wie hätte Brodhir sie lebend aus der Burg bringen sollen? Sie hätte um Hilfe gerufen und sich gewehrt. Ganz sicher wäre jemand aufmerksam geworden. Die Truhe! So musste es Brodhir gelungen sein, sie vor den Augen der Wachen zu verbergen. Trotzdem hätte sie versucht, sich bemerkbar zu machen. Sie hätte mit den Fäusten gegen das Holz getrommelt und geschrien. Es sei denn … Aidan schloss die Augen. Es sei denn, sie war bereits tot. Während der vergangenen Tage hatte Catriona ihm die Härte genommen, die in all den Jahren sein Begleiter gewesen war. Eine Härte, die ihn vor dem Schmerz des Verlustes geschützt hätte, der ihn jetzt mit voller Wucht traf.

Konnte es, nach all der Hoffnung, die er in den letzten Tagen geschöpft hatte, wirklich so enden? Vielleicht hatte Sileas recht und ihm war nur noch der Clan geblieben – Menschen, denen er in all den Jahren fremd geworden war und die doch gleichzeitig zugleich seine einzige Stütze waren. Callum und Brodhir würden für das bezahlen, was sie getan hatten! Die Zeit, in der er um Catriona trauern konnte, würde kommen. Jetzt jedoch musste er kämpfen. Wenn schon nicht für sich, dann für den Clan!

20

Callum saß in einem Sessel vor dem Kamin, einen Becher Wein in der Hand, und blickte auf die Flammen. Brodhirs Bote stand neben ihm und wartete auf weitere Anweisungen. Was sollte er Brodhir bestellen? Sollte er ihm überhaupt eine Nachricht schicken? Es hatte Callum nicht gefallen, dass sie so weit gehen mussten, die kleine MacDonald zu töten, doch ihnen war keine andere Wahl geblieben. Sie würde alles zerstören. Noch war sie nicht tot. Soweit er wusste, hatte Brodhir sie lediglich außer Gefecht gesetzt und aus der Burg gebracht. Den Rest würden seine Männer erledigen. Brodhir mochte noch so entschlossen sein, seine Ziele zu verfolgen – es gab Dinge, bei denen er sich niemals die Hände schmutzig machen würde. Zweifelsohne willst du dein Gewissen nicht mit dem Tod des Mädchens belasten. Anders konnte sich Callum nicht erklären, warum er sie nicht sofort getötet und ihren Leichnam ins Meer geworfen hatte, anstatt sie seinen Männern zu übergeben, damit die es zu Ende brachten. Dass es selbst für Brodhir Grenzen gab, war beruhigend, denn während der vergangenen Tage hatte sich Callum immer wieder gefragt, wann sein Freund derart unbarmherzig und skrupellos geworden war. Natürlich würde das Mädchen trotzdem sterben, doch die bloße Tatsache, dass Brodhir sie nicht selbst umbringen wollte, genügte Callum zur Beruhigung.

Im Nachhinein betrachtet war es vielleicht sogar gut, es so weit kommen zu lassen. Was war er doch für ein sentimentaler Weichling gewesen! Wie hatte er vergessen können, dass Aidan ihm stets alles genommen hatte, was für ihn von Bedeutung war! Und das nur, weil er mich in seinem Haus aufgenommen hat. Es sollte mein Haus sein! Aidans Freundlichkeit war nichts weiter als die herablassende Arroganz eines Mannes, der alles besaß! Er mochte Opfer gebracht haben, und eine Weile hatte Callum ihn dafür bedauert, doch jetzt erkannte er, welch Unsinn das gewesen war! Aidan musste diese Opfer nicht bringen. Wer zwang ihn, auf die Freuden des Lebens zu verzichten? Er war der Chief! Er konnte sich nehmen, was er wollte.

Ein Teil von ihm bedauerte noch immer, dass er seinen Bruder verlieren würde, doch mit dem Tod des Mädchens hatten sie sich endgültig jeden Ausweg versperrt.

Bislang wusste niemand, dass Brodhir und er hinter den Ereignissen steckten. Und nach heute Nacht würde Aidan ihm nicht länger im Weg stehen – dafür würde Callum sorgen. Anfangs hatte es ihn entsetzt, dass Sileas so schnell des Attentats überführt worden war. Doch mit ein wenig Abstand betrachtet war es das Beste, was ihm hatte passieren können – zumindest nachdem es Sileas nicht gelungen war, Aidan zu ermorden. Wenn Aidan jetzt starb, würde jeder denken, dass Sileas einen Weg gefunden hatte, sein Werk zu vollenden.

Er brauchte nur zu warten, bis Aidan seinen Turm verließ. Dann konnte er ihn abstechen. Anschließend würde er sich selbst verletzen und Alarm schlagen. »Sileas!«, flüsterte Callum und freute sich schon darauf, die Worte laut in die Nacht zu schreien. »Er hat den Chief umgebracht! Findet ihn!«

Grinsend wandte er sich dem Boten zu. »Bestelle Brodhir, dass es heute Nacht vollbracht sein wird«, befahl er. »Er soll –«

Seine Worte erstarben, als sein Blick aus dem Fenster fiel und er den schwarzen Haarschopf eines Mannes sah, der gerade das Haupthaus verließ. War das Aidan? Unwillkürlich schüttelte Callum den Kopf. Aidan war nur selten im Haupthaus – meist nur, wenn er etwas mit Duncan zu besprechen hatte. Doch Duncan hielt sich nicht hier auf. Ebenso wenig würde er in der Großen Halle beim Essen gewesen sein. Abgesehen davon, dass es nicht die richtige Zeit war, aß Aidan nie dort! Callum stand auf und trat ans Fenster, um einen besseren Blick erhaschen zu können. Kein Zweifel, dort ging sein Bruder. Doch es war nicht Aidans Anblick, der dafür sorgte, dass sein Blut gefror, sondern der des Mannes hinter ihm.

Sileas!

Fluchend fuhr er herum und schleuderte seinen Tonbecher gegen die Wand. Wein spritzte auf, als der Becher zerschellte. Callum wollte verdammt sein, wenn er zuließ, dass seine Pläne ebenso leicht zerbrechen würden!

Dass Sileas bei Aidan war, konnte nur eines bedeuten: Aidan kannte die Wahrheit! Er wusste um Callums und Brodhirs Pläne, wusste, dass sie hinter all den Vorgängen der letzten Zeit steckten. Womöglich ahnte er noch nicht, dass sie vorhatten die MacDonalds von ihrem imaginären Thron zu stürzen und sich selbst zu den Herren der Inseln aufzuschwingen. Ganz sicher jedoch wusste Aidan, dass Callum danach trachtete, die Herrschaft über den Clan an sich zu reißen.

Du wirst es trotzdem nicht mehr verhindern könnten, Bruder!

»Komm mit«, sagte er an Brodhirs Boten gewandt. »Wir müssen Dunvegan verlassen! Rasch! Zu den Klippen!«

Callum wusste, dass es ihm jetzt nicht mehr gelingen würde, in Aidans Nähe zu gelangen, um seinem erbärmlichen Leben ein Ende zu setzen. Dennoch war er nicht bereit aufzugeben. Aidan würde sterben – und er wusste auch schon, wie er ihn ködern konnte!

21

Als Catriona zu sich kam, wagte sie nicht die Augen zu öffnen aus Furcht vor dem, was sie womöglich erblicken würde. Die Welt wankte so sehr, dass ihr übel wurde. Sie lag zusammengerollt auf dem Boden und versuchte die quälenden Bilder aus ihrem Geist zu treiben, doch es wollte ihr nicht gelingen, Brodhirs Anblick zu vergessen. Die verkniffene Miene von derart tiefgreifendem Hass erfüllt, dass sie die Erinnerung selbst jetzt noch erschauern ließ. Ihre Lungen und ihre Kehle brannten und ihr Hals schmerzte dort, wo Brodhir beinahe ihren Kehlkopf zerschmettert hatte. Ihr Atem ging rasselnd und sie glaubte noch immer, um jeden Atemzug kämpfen zu müssen. Es war, als wolle die Luft nicht mehr in ihr Innerstes strömen, sobald sie sich nicht darauf konzentrierte. Keuchend atmete sie und zwang die abgestandene Luft, die sie umgab, in ihre Lungen. Sie fühlte sich schwach und benommen. Ihr war so schwindlig, dass sie die Hand neben dem Kopf auf den Boden legen musste, um sich abzustützen. Ihre Finger glitten über Holz. In der Burg waren alle Böden aus Stein! Catriona streckte den Arm zur Seite, um mehr von ihrer Umgebung zu ertasten, da stießen ihre Finger gegen eine aufragende Wand, keine Dolchlänge von ihrem Gesicht entfernt, ebenfalls aus Holz.

Nun öffnete sie doch die Augen. Die Finsternis blieb undurchdringlich. Nur langsam gewöhnten sich ihre Augen an das Dunkel. Sie glaubte, einen Spalt über sich auszumachen, durch den sich ein schmaler Streifen trüben Lichts zwängte. Gerade genug, um sie ihre eigene Hand erkennen zu lassen, wenn sie sie vors Gesicht hob. Vorsichtig streckte sie die Hand nach oben, und ertastete nur wenige Zoll über sich dasselbe Holz, aus dem auch Boden und Wände bestanden. Eine Truhe! Sie war in einer Truhe gefangen! Schlagartig wurde sie sich der Enge bewusst. Sie konnte weder die Beine ausstrecken noch sich aufsetzen, ohne gegen das Holz zu stoßen. Plötzlich hatte sie das Gefühl, nicht mehr atmen zu können. Sie musste längst alle Luft verbraucht haben! Erfüllt von aufkommender Panik atmete sie immer schneller. Schweiß trat auf ihre Stirn, heiße Tränen sammelten sich in ihren Augenwinkeln und liefen ihr über das Gesicht. Durch den Spalt kommt Luft in die Kiste!, versuchte die Stimme der Vernunft das Dröhnen der Angst, das ihren Geist erfüllte, zu übertönen. Ich kann nicht ersticken! Ich muss mich beruhigen! Noch einmal schloss sie die Augen und zwang sich zur Ruhe. Sie fühlte sich so atemlos, als lägen Brodhirs Hände noch immer um ihren Hals, trotzdem fand die Luft den Weg in ihre Lungen. Langsam legte sich ihre Panik. Die Schmerzen, die durch ihren Oberkörper und ihren Hals rasten, blieben, doch das Rasseln, das anfangs jeden Atemzug begleitet hatte, ebbte zu einem leisen Röcheln ab. Nur ganz allmählich begriff sie, woher das Wanken kam. Die Truhe war in Bewegung! Catriona glaubte gedämpften Hufschlag zu vernehmen. Hatte man sie samt ihrem hölzernen Gefängnis auf ein Pferd geladen? Zum ersten Mal begriff sie, dass sie nicht nur gefangen, sondern nicht einmal mehr in der Burg war! Was hatte Brodhir vor? Was wohl? Er wird mich umbringen!

Das Wanken fand ein abruptes Ende. Die Welt stand still – dann kippte sie. Catriona rutschte nach oben und schlug mit dem Kopf hart gegen das Holz. Noch einmal ging ein Ruck durch die Truhe, dann war es vorbei. Eine Hand gegen den Kopf gepresst wartete Catriona, was als Nächstes geschehen würde. Das gedämpfte Schnauben des Pferdes kam jetzt von hinten. Jemand musste die Kiste abgeladen und auf den Boden gestellt haben.

»Ich reite zu den Männern.« Obwohl die Stimme nur dumpf durch das Holz drang, erkannte sie Brodhir sofort. »Ihr kümmert euch um die Truhe. Versenkt sie im Meer!«

Das Pferd wieherte, einen Herzschlag später war Hufschlag zu vernehmen, der sich rasch entfernte. War Brodhir fort? Es musste so sein. Um ein Haar hätte Catriona aufgeatmet, dann jedoch wurde ihr bewusst, dass sich an ihrer Situation nichts geändert hatte. Womöglich war ihre Lage nur noch schlimmer geworden. Versenkt sie im Meer! Die Worte krochen wie winzige Spinnenbeine über ihren Nacken und hinterließen eine Gänsehaut.

»Pack mit an!«, vernahm sie eine unbekannte Männerstimme. Kaum hatte diese die Worte ausgesprochen, begann die Truhe zu wanken – nicht so heftig wie beim letzten Mal, sodass Catriona vermutete, dass die Männer sie hochgehoben hatten. Wie viele waren es? Zwei? Einer links, der andere rechts? Oder befanden sich noch andere in der Nähe?

Das Wanken wurde schlimmer, als die Männer sich in Bewegung setzten. Dem Meer entgegen? »O mein Gott!«, keuchte Catriona. In aufkommender Panik begann sie mit den Fäusten gegen den Deckel zu trommeln.

Einer der Männer – der, der schon zuvor gesprochen hatte – fluchte. »Die lebt ja noch!« Unsanft schlug eine Seite der Truhe auf dem Boden auf. Der andere hielt sie sichtlich noch fest, sodass Catriona einmal mehr schräg in ihrem Gefängnis hing. Sie versuchte sich abzustützen, doch es wollte ihr nicht gelingen zu verhindern, dass sie mit dem Kopf voraus nach unten rutschte. Zumindest schlug sie sich dieses Mal den Kopf nicht an.

»Nicht mehr lang«, erklang die Stimme des anderen, der die Truhe noch immer hielt. »Komm schon, hilf mir! Über die Klippen damit!«

Statt seine Last erneut aufzunehmen, rief der andere: »Das ist unmenschlich! Wir können sie doch nicht da unten ersaufen lassen!« Ein kurzes Schweigen folgte, dann ein metallenes Schaben. Als Catriona seine Stimme das nächste Mal hörte, kam sie von weiter vorne. Er schien vor dem Deckel zu stehen. »Komm schon!« Tatsächlich schien er jetzt näher an der Mitte der Truhe zu stehen. »Mach den Deckel auf«, forderte er seinen Begleiter auf, »dann bereite ich ihr einen gnädigen Tod!«

War das das Schaben gewesen? Hatte er einen Dolch oder ein Schwert gezogen? Wenn sie jetzt den Deckel hoben, würde sie nichts weiter sehen als eine kalt schimmernde, tödliche Klinge, ehe ihr Leben ein abruptes Ende fand! Catriona streckte die Hände aus und tastete an der Innenseite des Deckels entlang, suchte fieberhaft nach einem Riegel oder einem Mechanismus, der die Tür zu ihrem Gefängnis zu öffnen vermochte – irgendetwas, was ihr half hierheraus zu kommen. Wenn es ihr gelang, den Deckel aufzustoßen, wären die Männer womöglich so überrascht, dass sie ihren Klingen entgehen und entkommen könnte. Es war nur eine winzige Hoffnung, trotzdem klammerte sie sich daran. Immer weiter glitten ihre Hände über das raue Holz. Doch da war nichts. Kein Riegel und keine Möglichkeit, den äußeren Verschluss zu erreichen.

Es musste doch einen Weg hierheraus geben!

»Hör schon auf!«, schimpfte der andere, der die Truhe noch immer hielt. »Ich rühre den Deckel ganz sicher nicht an! Am Ende entkommt sie uns. Weißt du, was Brodhir dann mit uns macht?«

Mit einem zustimmenden Brummen wurde die Kiste nun auch am Kopfende wieder angehoben. Augenblicklich begann ihr Gefängnis wieder zu wanken. So heftig, dass Catriona sich abstützen musste, um nicht von einer Seite zur anderen geworfen zu werden. Anfangs waren die Schritte der Männer gedämpft, bald jedoch war bei jedem weiteren Tritt ein Knirschen zu hören. Sie gingen über Stein. Der größte Teil am Rande der Klippen war mit einem dichten Teppich aus Gras überzogen. Erst wenige Schritte davor wich es dem blanken Stein. Wie nah mochten sie dem Abgrund bereits sein?

Mit jedem Knirschen wuchs ihre Furcht. Sie trommelte mit den Handflächen gegen das Holz, stemmte sich dagegen in der Hoffnung, der bloße Druck möge den Deckel aus seiner Verriegelung springen lassen. Jeder vernehmbare Schritt brachte sie einer Panik näher. Sie hämmerte gegen die Truhenwand, bis ihre Hände schmerzten und taub wurden. In ihr stieg die qualvolle Frage auf, wie es wäre, zu ertrinken. Zu spüren, wie das eisige Salzwasser durch die Ritzen ins Innere drang, langsam anstieg, ihre Lungen füllte und ihr mehr und mehr die Luft nahm.

»Bitte«, rief sie und schlug weiter gegen das Holz, obwohl sie ihre Hände längst nicht mehr spürte. »Tut das nicht!«

Das Wanken endete abrupt.

Einige Zeit war gar nichts zu hören. Nur das Rauschen des Meeres, das Donnern der Wellen und das Raunen des Windes. Geräusche von einer Intensität, wie sie nur am Rande der Klippen zu vernehmen waren.

So nah!

»Bitte«, flehte Catriona erneut.

Niemand antwortete ihr. Nicht zu sehen, wo sie sich befand, wie weit die Klippen wirklich noch entfernt waren und was die Männer taten, war die schlimmste Folter. Hatten sie den Rand bereits erreicht? Oder waren sie in sicherem Abstand zum Abgrund an der Küste entlanggewandert? Wenn sie wenigstens gesehen hätte, ob sich da ein Anflug von Mitleid in den Mienen der Männer abzeichnete. Etwas, was ihr sagen konnte, dass ihr Flehen nicht vergebens war. Doch da war nichts – nur Dunkelheit, durchbrochen von einem feinen Streifen Licht an der Unterkante des Deckels.

Catrionas Panik war mittlerweile so groß, dass es ihr nicht einmal mehr gelingen wollte, einen Ton hervorzubringen. Jedes weitere Wort, das sie sich abzuringen versuchte, erstickte in ihrer Angst und verklang, noch ehe es ihre Kehle verließ, zu einem Krächzen. Umso stärker hämmerte sie gegen die Truhe, trat jetzt auch mit den Füßen dagegen. Wenn die Männer den Deckel schon nicht öffneten, würde womöglich das Holz unter ihren Schlägen brechen. Doch es war aussichtslos, sie brachte kaum noch die Kraft auf ihre Hände überhaupt zu heben, dennoch brauchte sie eine Hoffnung, an die sie sich klammern konnte. Andernfalls würde sie den Verstand verlieren.

Dann rief einer der Männer: »Bei drei!«

Die Truhe begann wieder zu wanken, schaukelte vor und zurück, immer schneller und höher. Sie holten Schwung!

»Eins.«

Catriona stemmte sich vom Boden ab und ließ sich, als die Männer bei »Zwei« angelangt waren, mit aller Kraft fallen. Ein heftiger Ruck ging durch die Truhe, der Schwung endete abrupt. Einer der beiden fluchte lautstark.

»Ich kann sie nicht halten!«, ächzte der andere.

Catriona stieß sich noch einmal ab und ließ sich erneut fallen. Und noch einmal! Plötzlich geriet sie samt der Truhe in Schieflage.

»Sie fällt!«

Die Truhe prallte auf etwas auf, Catriona wurde herumgeworfen und von einem plötzlichen Gefühl der Schwerelosigkeit erfasst, als es sie mit Wucht vom Truhenboden hob. Sie schlug sich den Kopf am Deckel an. Womöglich war es auch die Seite oder der Boden. Ihr Gefängnis drehte sich so wild um sie herum, dass sie nicht mehr zu sagen vermochte, wo oben oder unten war. Jeden Augenblick würde sie auf der Wasseroberfläche aufschlagen und dann langsam und qualvoll ertrinken!

Der Aufprall war ungleich härter, als sie erwartet hatte. Ein heftiger Ruck durchlief ihren Körper. Das Holz knirschte und knackte, womöglich waren es auch ihre eigenen Knochen, die sie brechen hörte. Heißer Schmerz durchflutete ihren Körper, so durchdringend, dass sie nicht einmal mehr schreien konnte.

Der schmale Streifen Licht, der sich unter dem Deckel hindurchgezwängt hatte, verlosch, als die nahende Bewusstlosigkeit Catriona mit sich zu reißen drohte. Ihre Sinne schwanden, die Lider flatterten so heftig, dass sie die Augen schließen musste. Sie wusste nicht länger, ob sie noch wach oder bereits ohnmächtig war. Benommen und nicht in der Lage, sich zu bewegen, wartete sie darauf, dass das Wasser in ihr Gefängnis strömte.

Ein gedämpfter Fluch durchdrang die Dunkelheit, die sie umgab. Dann: »Los, wir müssen sie holen und ins Meer werfen! Mach schon! Runter mit dir!«

Catriona versuchte die Augen zu öffnen, doch sie wollte nicht die Kraft dazu finden. Wie weit war die Stimme entfernt? Zwölf oder fünfzehn Fuß? Die Klippen waren weit höher – mindestens hundertzwanzig oder hundertdreißig Fuß! Da bemerkte sie, dass die Truhe nicht schwankte. Wäre sie im Meer, würde die Kiste auf den Wellen taumeln, ehe das Wasser langsam eindringen und sie in die Tiefe ziehen würde.

Nicht im Wasser … Sie zwang sich die Augen zu öffnen. Es kostete sie Kraft und anfangs glaubte sie, es wolle ihr nicht gelingen, dann jedoch wich die Finsternis vereinzelten grauen Schlieren. Catriona starrte auf einen schmalen, hellen Streifen, der dicht vor ihren Augen von oben nach unten verlief – vielleicht auch von rechts nach links. Sie war sich längst nicht mehr sicher, wo oben und unten war. Vorsichtig wandte sie den Kopf, bemüht, den Schwindel niederzukämpfen, der sie dabei überkam. Da waren weitere Risse im Holz! Feine Spalten, durch die Licht nach innen drang und die die Finsternis wie feine, schimmernde Spinnenfäden durchzogen.

Obwohl sie kaum noch Kraft hatte, winkelte Catriona die Beine an und stieß sie dann mit Wucht gegen die hölzerne Wand. Anfangs waren ihre Tritte schwach. Jedes Mal, wenn ihre Füße auf Widerstand trafen, durchfuhr ein schmerzhafter Ruck ihren Körper. Dann vernahm sie ein lautes Knacken. Gab das Holz nach? Catriona überwand Schwäche und Schmerz und legte all ihre Kraft in die nächsten Tritte. Wieder und wieder holte sie Schwung und rammte ihre Beine gegen die Wand. Aus dem anfänglichen Knacken wurde ein lautes Knirschen, dann zersplitterte das Holz. Mit weiteren Tritten vergrößerte sie das Loch. Licht flutete herein und blendete sie so sehr, dass sie – trotz des bedeckten Himmels –, die Augen zusammenkneifen musste. Ein weiterer fester Stoß mit dem Fuß. Das Holz hielt den Angriffen nicht länger stand, Wände, Deckel und Boden verloren ihren Zusammenhalt und begruben Catriona unter Holztrümmern. Sie schob die Bruchstücke zur Seite und setzte sich auf. Jede Bewegung schmerzte, das Licht war noch immer zu grell, doch die frische Seeluft, die jetzt in ihre Lungen strömte, ließ ihre Lebensgeister zurückkehren.

Die Truhe war auf einem Vorsprung etwa zwölf Fuß unterhalb des Klippenrands zum Liegen gekommen. Als Catrionas Blick nach links glitt, zuckte sie erschrocken zurück. Keine Handbreit von ihr entfernt fiel die Felswand steil in die Tiefe. Wenn sie sich bei ihren Befreiungsversuchen auch nur wenige Zoll in die falsche Richtung bewegt hätte, wäre sie abgestürzt!

Catriona rückte vorsichtig vom Abgrund weg und sah nach oben. Dort machten sich die beiden Krieger mit wehenden Plaids, die Claymores über den Rücken geschnallt, an den Abstieg. Die Hälfte des Weges, der die Männer von Catriona trennte, lag bereits hinter ihnen. Bald haben sie mich!

Catriona kämpfte sich auf die Knie. Ihre Schulter schmerzte vom Aufprall und ihr Rücken fühlte sich auf eigenartige Weise taub an. Trotzdem stemmte sie sich auf die Beine. Mit der Hand an die steil aufragende Felswand gestützt, sah sie sich nach einem Ausweg um. Der einzige Pfad nach oben war der, den die beiden Clanskrieger nutzten, um zu ihr zu gelangen. Für Catriona gab es nur einen Weg: Nach unten! Wenn sie es zum Grund der Klippe schaffte, würde es ihr dort womöglich gelingen, ihren Verfolgern zu entfliehen.

Sie folgte einem schmalen, steil abfallenden Steg. Immer wieder geriet das Geröll unter ihren Füßen ins Rutschen. Einmal gelang es ihr, einen Absturz nur dadurch zu verhindern, indem sie sich nach hinten fallen ließ. Der Aufprall erschütterte jeden Knochen in ihrem Leib, ein hervorstehender Stein grub sich in ihren Rücken. Keuchend setzte sie sich auf und zog sich wieder auf die Beine. Hinkend und nahezu am Ende ihrer Kräfte setzte sie ihren Abstieg fort.