image

IV. UNDEAD (THE HATE THING)

Taxonomie der (fiktionalen) Untoten

Wir wollen das Untote vorerst unterscheiden vom Transzendentalen und vom Dämonischen schlechthin. Es sind weder Emanationen des Himmels noch der Hölle, noch handelt es sich um Figuren, die den ewigen Kampf zwischen Gut und Böse mit immer neuen Masken führen, keine Folgerungen der teuflischen Herrschaft wie die Satanskinder in »Rosemarys Baby« oder »Das Omen«. Das Untote kommt offenbar nicht intentional von einem Außerhalb der Welt (auch wenn man gewissen Zombies unterstellen mag, sie würden einen Umweg über eine zu eng gewordene Hölle genommen haben).

Zum Zweiten muss es unterschieden werden vom »Halbwesen«, dem bizarren Crossover der phantastischen Genres: Halb Mensch/Halb Tier (Werwolf), Halb Maschine/Halb Mensch (RoboCop, Terminator), Halb Geist/Halb Wesen (Dracula), Halb Engel/Halb Teufel (Hellboy), Halb Mann/Halb Frau (Dr. Jekyll & Sister Hyde), Halb Bild/Halb Wesen (Dorian Gray) und so weiter, offensichtlich moderne Ableitungen der Halbgötter, die auch in der antiken Mythologie schon erheblich für Unruhe gesorgt haben. Gleichwohl können, insbesondere in den »Modernisierungen« der Genres, sowohl Vampire als auch Werwölfe da, wo sie weniger als eine Singularität wie der besagte blutsaugerische Graf oder der Wolfsmensch Larry Talbot erscheinen, sondern eher als »Gattung« oder auch als »Kultur« (bzw. Subkultur) auftreten, auch als durchaus lebbare Formen von Parallelschöpfungen wirken: Das Vampirische oder Werwölfische könnte so gespalten werden wie Sex und Gender, als Doppelexistenz von Natur (oder eben Contra-Naturam-Ausnahme) und Diskurs (Vampire werden von Menschen gemacht und Menschen von Vampiren etc.).

Zum Dritten wollen wir das Untote vom schier Unsterblichen unterscheiden, wie es einen »Highlander« und zwar nur einen gibt; gleichfalls gibt es das Untote nicht unbedingt in den Zyklen der ewigen Wiedergeburt, denn immer handelt es sich dabei um autonome Lebensformen.

Das Untote muss zum Vierten vom Albtraum geschieden werden, Freddy Krueger, der die Kids in den Traum lockt, um sie dort zu töten. Das Untote mag an den Rändern der Schuld auftauchen, aber es ist nicht unbedingt dessen Ausdruck. Deshalb ist auch das Gespenst wie das Gespinst allenfalls eine Vorahnung des Untodes, Norman Bates bastelt sich nur einen Ersatz für die untote Mutter und wird selbst nicht vollkommen untot bei dem Versuch, obwohl er zweifellos in seiner Spaltung, ein Gespinst seiner selbst, auf bestem Wege ist.

Das Untote ist schließlich unterschieden vom »absolut Bösen«, wie es etwa Michael Myers in den »Halloween«-Filmen darstellt oder wie jenes Wahnsinnige, das durch wissenschaftliche Experimente und Viren erzeugt wird, kein Monster (dazu fehlt ihm die semiologische Fülle) und kein Alien.

Es scheint auf den ersten Blick: Da bleibt nicht viel. Und es ist doch das Meiste, nämlich ein weiteres Dazwischen und Zwischen-Allem. Deshalb folgt in aller Regel der Zombie-Film nicht unbedingt den Regeln des klassischen Horrorfilms, sondern übernimmt Erzählweisen des Thrillers, des Kriegsfilms, sogar des Western (und signifikant auch sehr bald Elemente der schwarzen Gesellschaftssatire).

Das Untote bezeichnet einen Zustand, in dem ein natürliches Wesen, Mensch, Tier oder sonst etwas, weder leben noch sterben kann (oder auch will). Es geht also nicht um den Lebenden im Reich der Toten noch um den Toten im Reich der Lebenden, also nicht um den »Helden« oder sein Negativ, sondern um einen Zustand des Subjekts. Schon deswegen verknüpft der »Mythos« des Untoten das Archaische mit einer ausgesprochen modernen Wahrnehmung. Zombiefilme tendieren dazu, überhaupt keine »Helden« mehr zu haben und auch an den Sinn des Überlebens wesentlich weniger zu glauben als etwa Slasher Movies oder Katastrophenfilme.

Das untote Subjekt hat von allem nur Rudimente, Sprache, Bewusstsein, Erinnerung. Es will nicht leben, wohl aber überleben; es will nicht sterben, wohl aber hasst es alles Lebendige, auch an sich selbst. Das untote Subjekt ist jener Körper, der im Sinne Kants keine Würde besitzen kann, weil er nur »Material« oder »Mittel« ist (ein Instrument, eine Instrumentierung, die kein Subjekt hat).

Das Dämonische und das Mephistotelische ist Teil der Schöpfung und des Kosmos, es ist die Kraft, die verneint, um doch zu schaffen: Aber der Untote ist die wirkliche Störung, für ein christliches Weltbild nichts anderes als ein vorgezogenes jüngstes Gericht, das aber irgendwie der Kontrolle durch den höchsten Richter entkommen ist. Der Untote ist der letzte Endpunkt des Sakralen:

Das Sakrale ist das Erschauern vor allem, das nicht von Menschenhand erzeugt wurde; es zerfällt in den suggestiven Raum, der nach dem Eingreifen des Menschen verlangt oder sich dieses kategorisch verbietet. Es beginnt also ursprünglich bereits jenseits des Bewegungs- und Blickraumes. Dieser weitet sich zunächst technologisch aus, allerdings in einer gewissen Ungleichzeitigkeit. Die ursprüngliche Einheit von Blickraum und Bewegungsraum – Ich sehe, so weit ich mich bewegen kann, bewege mich, so weit ich sehen kann, und sehe nur, was sich durch Bewegung erreichen lässt – erzeugt allenfalls das Erhabene (der ferne Berg, das endlose Meer) und das Undurchdringliche und Unüberquerbare (die Wüste und der Fluss). Das Jenseits, gewiss, verschiebt sich (wir sehen mit Teleskopen und Ferngläsern in die Ferne; wir bewegen uns auf Tierrücken und in Maschinen), doch seine Ränder werden dafür umso absurder. Es gibt so vieles, was ich sehen kann, wohin ich mich aber nicht bewegen kann. Und das wird um so absurder als es die fotografischen und elektronischen Medien erlauben, nicht nur unerreichbare Fernen sichtbar zu machen, sondern auch mehr davon, als man in einem Menschenleben besuchen (oder auch nur »verstehen«) könnte.

Paradoxerweise ist das traditionelle »Kino« eine Rückkehr zu der großen Einheit von Blick und Bewegung, auch wenn der Blickraum nicht Medium unserer eigenen, sondern der Bewegung unserer Stellvertreter wird. Zur gleichen Zeit erreichen uns »reale Informationen« aus der Ferne. In beiden Fällen müssen wir uns auf Informationen einlassen, die nicht durch Erfahrung, sondern durch Vertrauen hergestellt werden. Wir müssen die Nachrichten, je detailhaft realistischer sie uns ereilen, »glauben«. Nun wissen wir es natürlich besser: Wahrheitsgetreu geben die Fernsehnachrichten allenfalls die Erzeugung von Lügen wider.

Ein »Held« ist nicht nur einer, der seine Gegner reihenweise umhaut, aber nur, weil das sein muss, nicht weil das Spaß macht, er ist auch einer, der immer wieder die Grenzen des Bewegungsraumes überschreitet. Was wäre unser Held, wenn er den Fluss nicht überquerte, wenn er nicht »mit einem gewaltigen Satz« über den Abgrund gelangen könnte.

Etwas ganz Ähnliches, wenngleich doch ein wenig Komplizierteres, geschieht auch mit der Zeit. Empfundene Zeit ist mit objektiver Zeit so kongruent wie Blick- und Bewegungsraum; oder anders gesagt, der Bewegungsraum ist ein Teil des Lebensraumes und als solcher erzeugt er die Zeit.

So gibt es nicht nur das räumliche Jenseits (das beginnt, einerseits, wo sich Bewegungs- und Blickraum nicht mehr gleichen, andererseits wo eines von beidem endet), sondern das zeitliche Jenseits (das beginnt, einerseits, mit Geburt und Tod, oder aber, umfassender, mit Vor-der-Geschichte und Nach-der-Geschichte, andererseits aber auch dort, wo sich Bewegung und Zeit nicht mehr gleichen).

Wer das Jenseits erreicht, empfindet, entdeckt, erahnt, erfährt, der wird von Faszination ergriffen, aber auch von einem Gefühl der »Winzigkeit«, der Wertlosigkeit, der Kränkung, die nur durch Akte der Opfer, der Sühne, der Leiden überwunden werden kann. Die Götter also erstehen am Schnittpunkt von Faszination und Grauen; sie weisen über die begrenzten Lebens-, Blick-, Bewegungs- und Zeiträume hinaus, aber nur, indem sie das Opfer verlangen, mehr oder weniger blutrünstig (bis hin zu einem Gott, der sich schließlich absurderweise gleichsam selbst opfert, jedenfalls einen, der mehr oder weniger metaphorisch als sein Sohn gilt).

Die Profanierung des Sakralen nennt man Horror. Die schrecklichen Gottheiten, die das Jenseits durch seine pure Existenz erzeugt, verwandeln sich in endlose Heerscharen von Teufeln, Dämonen, Gespenstern, Widergängern, Halbwesen, Maskenwesen, Trollen. Sie infiltrieren das Leben der Menschen, drängen die Grenzen des Jenseits zurück.

Um die Gestalt des Untoten zu verstehen, müssen wir noch einmal einen Prozess der Profanierung beschreiben.

Er vollzog sich, rein filmhistorisch, in den siebziger Jahren in einer Welle der »neuen« Horrorfilme junger Regisseure in den USA, die außerhalb des Studiosystems, mit bescheidenen Mitteln und einer generellen Stimmung des Zorns arbeiteten. So erhielten sie den Beinamen der »Fauves« (in Anlehnung an eine »wilde« Tendenz in der Malerei des neunzehnten Jahrhunderts) oder der »jungen Wilden«. Ihnen war gleich, dass sie den Horror nicht mehr in der sicheren Entfernung vergangener Zeiten oder ferner Länder suchten und die ursprüngliche Jenseits-Definition nicht akzeptierten: Das Grauen geschah hier und jetzt, in den Ödnissen der Backwoods, in den Feriencamps, in Suburbia, überall dort, wo man so etwas wie eine innere Leere spüren konnte. Und bei den Dämonen handelte es sich nicht mehr um einigermaßen kompliziert ins Leben und aus ihm zu befördernde Ungeheuer aus der Hölle, aus der Vergangenheit, aus dem Innenleben etc., sondern es waren deformierte, kaputte, kranke, unkontrollierte Menschen wie du und ich. Nicht mehr ihre übersinnliche Herkunft (eine »Sprache« des Bösen, welche der ursprünglichen religiösen Jenseitserfahrung entsprach), sondern die Bedingungslosigkeit ihrer Soziopathie machte sie zu Monstren. Ob sie durch Vergiftung zu dem geworden waren, was sie sind, durch schlichten Wahn und familiäre Asozialität, oder ob sie als Untote über die Menschen kommen, weil es in der Hölle zu eng geworden war, stets erschien in ihnen ein ganz buchstäblich nacktes Grauen, Kannibalismus, Destruktion und Sadismus benötigten weder Ritual noch das Opfer als Objekt. Das negativ Göttliche, was da aus den neuen Jenseits-Rändern von Zeit-, Bewegungs-, Lebens- und Blickraum aufstieg, war reine Strafe, das angenommene Opfer war so wenig denkbar wie Prinzipien von Erlösung, Gnade oder Erkenntnis.

Der Prozess der zweiten Profanierung im Horror und die Geburt des kinematografischen Untoten vollzog sich indes nicht nur in der Binnenlogik von Kino und Genre. Die wilden amerikanischen Horrorfilme im Allgemeinen und die Zombiefilme nach George A. Romeros »Dawn of the Dead« im Besonderen reflektieren sehr genau den gesellschaftlichen Bruch nach Vietnam und hinein in die reaktionäre und neoliberale Phase der Wirtschaftspolitik. Die Erzeugung von überflüssigen, von sozial »untoten« Menschen gehörte zu diesem System, es entstand ein neues globales Subproletariat, deren Vertreter in der Tat im sozialen Sinn weder leben noch sterben können. Von den Vertretern der alten bürgerlichen Mittelklassen werden sie daher als »Parasiten« empfunden, von ihrer eigenen Sicht aus können sie nur Ausgestoßene sowohl der materiellen wie der moralischen Welt sein. Ihr Schrecken beginnt damit, dass die Gesellschaft sie, wie die furchtbaren Backwood-Kannibalen des »Texas Chainsaw Massacre«, einfach vergessen hat. Sie haben tatsächlich in der Hölle des Neoliberalismus keinen Platz und verwandeln sich in jenen »Street Trash«, vor dem der Mensch der »anständigen Mitte« die größte Furcht hat: Kontaminiert zu werden, einer von denen zu werden, das Karriere- und Anpassungs-Subjekt ebenso radikal zu verlieren. Und wir wissen nur zu gut, dass in jedem Schrecken auch die heimliche Sehnsucht lauert, Sympathy with the Zombie, der wirklich alles darf, weil er ja als Toter ohnehin schon bestraft genug ist und zu keiner Verantwortung gezogen werden kann (was noch Frankensteins Monster und Dracula passieren konnte; dass sie sich verlieben, dass sie daher Mitleid, Gewissen entwickeln, dass sie in Gefahr stehen, einen Rückfall in die Menschlichkeit zu erleiden).

Der Zombie ist das kinematografisch perfekte Abbild sozialer Gleichgültigkeit. Es ist die Ur-Angst der menschlichen Kulturen, dass die Toten nicht tot bleiben, sondern zurückkehren, um die anderen zu holen, um sich zu rächen, um zu unsichtbaren, unangenehmen Begleitern zu werden, um ewige Schuld zu erzeugen. Und wie alle Katastrophen, so ist auch diese, von der Wiederkehr der Toten, mit klammheimlicher Lust versehen.

Wenn es den »Todestrieb« mit einem Bild in der populären Mythologie gibt, dann sind es diese Widergänger: Sie sterben nur, um unsterblich zu werden, sie verwandeln sich von einem empfindlichen Körper in ein unempfindliches Ding, und sie tun all das, was einem »richtigen« Menschen verboten ist: Es sind Kannibalen, Blutsauger, Blutschänder, Verführer/Vergewaltiger, Sodomiten, Kinderverderber, Giftmischer und Ketzer.

So sind die Begräbnisrituale entstanden aus der Furcht vor der Wiederkehr, vor dem Tot- und-Doch-nicht-tot-Sein: Das Verbrennen, das Einmauern, das Begraben, aber auch das Besänftigen der Toten durch das Schmücken des Grabes, durch Grabbeigaben (zum Beispiel Nahrung für den langen Weg ins Jenseits), durch die Beerdigung in einem verschlossenen Grab.

Die Begräbnisrituale werden für die sesshaften Kulturen bedeutender als für die nomadischen. Je ausgeprägter die architektonischen Strukturen, desto einladender scheinen sie zu sein für die Untoten, was eine verwandte Erzählung im Genre von den verwunschenen und besessenen Häusern belegt. Der Friedhof ist und bleibt ein geheimnisvoller, gefährlicher und durchaus obszöner Ort, vor allem in der Nacht, wo man, wer weiß, einen Tanz der Lebenden mit den Toten beobachten könnte.

KinematoZombologie

Der Zombie ist insofern eine Sondergestalt in der polymorphen Maske der Widergänger, als er, anders als Vampire, Werwölfe oder Geister schon als Massenphänomen auftaucht, es sind nicht die wiederkehrenden Seelen/Bilder von Menschen, die in Sünde gestorben und nicht »gründlich« genug beerdigt worden sind, sondern die von Sklaven. Wenn die »Halbwesen« des gothischen Horror aus der Mitte des christlich-abendländischen Denkens, gleichsam als Abfallprodukte von Monotheismus und Aufklärung in der »dunklen Romantik« aufscheinen, so sind die Zombies immer in gewisser Weise »Fremde«. Es ist eine Verzerrung einer außereuropäischen Religion, die es, anders als sonstige Phantasmen des Genres, wirklich gibt (und dieser religiöse Komplex des Voodoo hat, wenn auch in verschiedenen Ausprägungen, insgesamt doch immerhin um die 50 Millionen Anhänger aufzuweisen).

Voodoo war eine Sammelbewegung unter den als Sklaven verschleppten Afrikanern vor allem in der Karibik; die religiöse Leitlinie bildete der Glaube, der an der afrikanischen Westküste, dort, wo heute Nigeria und Benin liegen, entstanden war, eine Form der Ahnen-Verehrung (die auch den ursprünglichen Begriff bildet: Das göttliche Geheimnis der Ahnen). Diese ursprüngliche religiöse Botschaft verband sich mit den unterschiedlichsten Mythen, mit dem Christentum ebenso wie mit indianischen Religionen. Erhalten blieb vor allem der Trance-Tanz als Ausdruck und Gotteserfahrung, im Tanz kehren die Ahnen und die Götter in den menschlichen Körper zurück. »Voodoo ist eine getanzte Religion« (Ulrike Sulikowski). Zu dieser Erfahrung des Erfülltsein gibt es das Gegenteil, nämlich die Flucht der Seele aus dem Körper, die durch einen Zauberer bewirkt werden kann. Ein Zombie, der als willenloses Werkzeug benutzt werden kann, ist keine moralische Person mehr, sein Blick ist leer, und subjektlos ist auch sein Sprechen. Man kann die Verwandlung des Menschen in den Zombie auf verschiedenen Ebenen verstehen: als symbolische Beschreibung der Sklaverei, als mythische Überhöhung eines (fehlgeschlagenen?) Trance-Vorgangs, eine Art des Scheintodes, schließlich aber auch als moralische Erzählung, in der die Verwandlung in einen Zombie als Strafe für schwere Vergehen erscheint. 1804 gelang es den Sklaven auf Haiti, in einem Aufstand ihr Joch abzuschütteln, und dieser einzige gelungene Sklavenaufstand, der zu einer neuen Republik führte, war direkt oder indirekt mit der Verbreitung des Voodoo verbunden: Die Erscheinung des Kriegsgottes Ogun während einer Zusammenkunft der Anführer gab das letzte Signal zum Aufstand. Oder es war die Opferung eines Schweins durch den Voodoo-Priester Boukman, der an diesem 23. August des Jahres 1791 mit dem Blut des Opfertieres die Worte in den Staub schrieb: »liberté ou mort«, was die Sklaven zum blutigen Aufbegehren trieb. 1804 erklärte Haiti seine Unabhängigkeit von der Kolonialmacht Frankreich.

Schon vor und erst recht nach diesem Aufstand erschien die Voodoo-Religion für andere Sklavenhalter-Staaten und koloniale Mächte als ausgesprochen gefährlich, vereinigte sie doch spirituelle und politische Impulse mit einer Untergrund-Organisation. Es häuften sich vor allem in den USA Schreckensberichte über Voodoo-Praktiken; insbesondere solche wie das Buch von Spencer St. John, »Hayti or the Black Republic« (1884), das den Anhängern der Voodoo-Religion alle erdenklichen Sünden der »schwarzen Magie«, des Kannibalismus und eben der »Zombiefizierung« ihrer Opfer unterstellte. Solche Pulp Fiction-Propaganda wuchs sich zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts, als die USA Haiti beinahe zwanzig Jahre lang besetzt hielten, zu einem veritablen Genre aus. 1933 wurde der Dokumentarfilm »Voodoo« von Captain F. Wirkus zur Matrix einer Horror-Phantasie, in der der politische Aufstand als Erfüllung grauenvoller Rituale dargestellt wurde. Die ersten Zombie-Spielfilme formten die Pseudo-Dokumentationen, ausgeschmückte Reiseberichte und ungeschminkte Propaganda, um. Eine bizarre Erzählung enthält das Buch »Magic Island« von William B. Seabrook (1929), wo behauptet wurde, die »American-Haitian Sugar Company« würde bei der Erntearbeit und beim Zuckermahlen Zombies einsetzen, diese seien indes durch die »salzige Luft« gleichsam aus ihrer Trance aufgeweckt worden. Als sie sich bewusst wurden, dass sie in Wahrheit tot waren, kehrten sie den Feldern den Rücken, wanderten zu ihren Heimatdörfern und verschwanden in ihren Gräbern (das ist die Zombie-Geschichte vieler Filme, nur rückwärts erzählt).

Victor Halperins Spielfilm »White Zombie« aus dem Jahr 1932 ist zunächst nichts anderes als eine Film-Phantasie über die abenteuerliche, pure Erfindung, gehässige Propaganda und Fakten wüst mischende Dokumentation. Und doch ist es auch schon eine neuerliche Umkehrung: Der schurkische Zauberer Legendre (Bela Lugosi) gebietet über ein Heer von Zombie-Sklaven, die er in seiner Zuckermühle arbeiten lässt. Als die schöne Madeline nach Haiti kommt, wo sie den Stand der Ehe eingehen soll, entflammt Legendre für sie, und weil er sie anders nicht in seine Gewalt bringen kann, macht er auch sie zu einem, nun eben: weißen Zombie. Halperins Film verknüpft ganz direkte Umsetzungen aus »Magic Island« – das im Kapitel über »Toussel’s Pale Bride« auch die erotischen Grundelemente des Plots bietet – mit traditionellen Horror-Mythen, etwa in der Vorstellung, Macht über Puppen (Bilder) auf Menschen übertragen zu können. »Wichtig an diesem ersten Voodoo/Zombiefilm ist die doppelte Anwendung von Zombie: als Arbeitssklaven analog der Seabrookdarstellung und als Übertragung auf die Frau als Objekt der männlichen Gewalt – das eigentlich Dämonische ist die frustrierte sexuelle Begierde.« (Ulrike Sulikowski)

Wie in allen Figuren der Nach-Poeschen Horrorphantasien spukt hier neben dem Magischen (die Wiederkehr des Begehrens) und dem Historischen (die Wiederkehr eines unterdrückten Volkes, einer unterdrückten Klasse) auch das Medizinische. Das Phänomen der »Scheintoten« beherrschte nicht nur die Phantasien von Edgar Allan Poe mit der panischen Furcht vor dem Lebendig-Begrabenwerden, es wird in den Zombie-Filmen zu einer Art sozialer Metapher: Nicht erst bei Romero sind Zombies Vertreter einer depravierten, ausgegrenzten Klasse, die sich gegen ihre Unterdrücker erheben. 1936 bereits ließ Halperin mit »Revolt of the Zombies« einen Film folgen, in dem die Zombies zu einer »Armee« werden, die ganze Kontinente bedroht.

Zunächst ist der Zombie-Mythos verbunden mit der Magie des Voodoo. Dort versetzen sich einerseits die Tänzer und Schamanen durch Drogen, Versenkung, Bewegungsrausch in Trance; sie sind nicht mehr Herren ihrer selbst, sondern verkörpern Verstorbene, Dämonen. Andererseits geht es dabei um das Bannen über Entfernungen: Man sendet sich Krankheiten und Schmerzen, möglicherweise gar den Tod.

Der Begriff »Zombie« oszilliert zwischen der kreolischen Bezeichnung für jedes Phantom-Wesen, das die Menschen aus dem Reich der Toten heimsucht; in Haiti dagegen ist es, präziser, ein konkreter Verstorbener, der durch einen Zauber aus dem Grab geholt wurde. Dieser Tote ist zwar seelenlos, aber sein Körper ist vor weiterem Verfall gefeit. Den Ursprung dieses Mythos wähnt man im Schlangenkult auf Dahomey, von wo er durch Sklaven, die in die Karibik verschleppt wurden, verbreitet wurde.

Die populäre Kultur hat diese beiden Aspekte in der Figur des Zombie zusammengefasst: ein untoter Mensch, der sich wie in einem Trance-Zustand und wie ferngesteuert bewegt und in der Tat einem bösen Willen folgend Unheil über die Menschen bringt (auch wenn man sie am Anfang zu nichts anderem benutzen wollte als zu perfektionierter Sklavenarbeit).

Der Mythos des willenlosen Menschen ist eine Umformung zugleich eines antiken und eines kolonialen Mythos; er ist daher von allen Horror-Mythen am meisten als politische Metapher geeignet.

KinematoZombologie II

»She’s alive … yet dead! She’s dead … yet alive! …
The will of an evil spell in whose power we must
refuse to believe – even if it’s true«, so raunt es düster
und dennoch verständlich in Jacques Tourneurs Film
»I Walked With a Zombie« (1943).

 

Wo Es war, da soll Ich werden. Das ist das Urbild der Geschichte, wie man eine Person wird. Am einfachsten geht das in einer populären Mythe durch einen simplen Vorgang der Projektion und der Abspaltung: das böse, unkontrollierbare und faszinierende Es erscheint in der Form des Dämonen, als Doppelgänger, als Verwandlung (nächtlich in den Werwolf, Dr. Jekyll in das reine Es-Wesen). Dann kommt ein mächtiger Vertreter des Über-Ich ins Spiel, ein Dr. Van Helsing, ein Priester mit exorzistischem Wissen, ein Offizier mit seinen Männern, ein Wissenschaftler; vielleicht taucht auch der totgeglaubte oder verstoßene Vater wieder auf. Erst wenn das Monster, das Halbwesen, die verkorkste Schöpfung tot ist, wirklich und endgültig tot, kann der Mensch mit sich selbst beginnen. Dummerweise ist das Monster fast nie wirklich und endgültig tot.

Der Trick besteht darin, so der Philosoph und Kino-Kenner Slavoj Žižek, dass sich Es und Über-Ich immer wieder verbinden und verbünden. Denn das Über-Ich ist nicht nur eine strenge moralische Instanz, ein unabweisbarer Beobachter, sondern auch ein obszöner Spieler, ein Manipulateur von ausgesprochen schlechtem Geschmack und miesem Humor.

So repräsentieren die Monster in der Literatur und im Kino immer das alles zusammen, den nicht endgültig gestorbenen Menschen (den Menschen, von dem die Hinterbliebenen aus dem einen oder anderen Grund nicht wirklich Abschied nehmen konnten), das unkontrolliert begehrende Es (das nur Fressen, nur Ficken, nur Saugen, nur Zerstückeln will) und das furchtbare Über-Ich, das mit dem Leben und der Schöpfung spielt, in der Form des schwarzen Magiers, des Mad Scientists oder sogar des Teufels möglicherweise.

Im Voodoo können Priester oder Priesterinnen einen Menschen mit einem Fluch belegen, der ihn auf der Stelle in einen Scheintod versetzt, und wenn er dann nach Tagen wieder erwacht, ist er das willenlose Werkzeug, das man »Zombie cadavres« nennt und als Arbeitssklaven missbrauchen kann. Ganz generell werden solche Wesen dann als vollkommen ohne eigenen Willen gedacht.

Auch im Kino vor Romero waren Zombies hauptsächlich in der Karibik zu finden, irgendwo in einem Spannungsfeld zwischen finsteren Plantagenbesitzern und noch finstereren Voodoo-Ritualen. Die wiederum sind Objekte der Neugier (und des Begehrens) durch die seltsame Wissenschaft der Anthropologie.

So war es denn auch der »Ethnobotaniker« Wade Davis, der im Jahr 1982 herausgefunden haben wollte, dass auf Haiti ein sogenanntes Zombie-Pulver aus dem Gift des Kugelfischs verwendet würde, mit dem man den Zustand der Scheintoten hervorrufen konnte. Ein zweites Gift würde dann diese Scheintoten zu willenlosen Werkzeugen machen (die Zusammensetzung dieses Pulver allerdings blieb dem Ethnobotaniker verborgen). Seine Kollegen meinten mehrheitlich, Wade Davis sei einem Spaß aufgesessen, den sich Beobachtete gern einmal mit Beobachtern machen. Vielleicht war er auch einfach ein paar Mal zu oft im Kino gewesen. Umgekehrt stürzte sich das Kino nur allzu gern auf seine Schriften, insbesondere den einigermaßen reißerisch geratenen Bericht »The Serpent and the Rainbow«, der einem »ernsthaften« Zombie-Film zur Vorlage diente.

Der Name leitet sich vermutlich von Jean Zombi ab, einem bekannten Verkünder des Voodoo-Ritus. Bekannt geworden ist der Ritus solcher zeitweiligen Erweckungen gestorbener Menschen durch einen Bericht des Journalisten William B. Seabrook. 1957 erschien das Buch »Les Zombies« von C. H. Dewisme und entfachte erneut das Interesse an den wandelnden Geistern, die sich durch ihre schiere Körperlichkeit von den Gespenstern europäischer Legenden unterscheiden: ein Zombie hat keinen eigenen Willen und keine eigene Sprache, ist in manchen Ausformungen des Mythos auch mehr oder minder unsterblich, unterliegt aber ansonsten den Naturgesetzen wie ein lebender Mensch.

Der Schlafwandler als Horrorgestalt hat eine wesentlich längere Geschichte. Er taucht zunächst auf in dem wohl berühmtesten der »expressionistischen« Horrorfilme der Stummfilmzeit, in »Das Cabinet des Dr. Caligari« (1919) von Robert Wiene. Conrad Veidt als Medium des Hypnotiseurs Caligari (Werner Krauss) wird zum willenlosen Mord-Instrument des Doktors. Nicht er ist das Böse, sondern in beiden Lesarten, als Jahrmarktattraktion wie als Insasse einer Nervenheilanstalt, ist er in den Händen seines Herrn nur ausführende, selbst unschuldige Kraft.

 

 

 

»They won’t stay dead!« (»Night of the Living Dead«)

 

Die Untoten, die nach fremden Willen aus den Gräbern steigen und mit starrem Blick furchtbarer Schlafwandler mörderischer Wege gehen, Menschenwesen ohne eigenes Bewusstsein, Instrumente individueller und schicksalhafter Rache an den Menschen, entstammen also ursprünglich der Vorstellungswelt der haitianischen Voodoo-Kulte, noch mehr aber der panischen Phantasie der Kolonialherren und am meisten jener der Leser von Schauerliteratur, die sich schließlich auch ins Kino übersetzen ließ.

Erst in den Siebzigern wurde der Zombie zu einem Subjekt der Bedrohung, zum Monster.

Zombies waren, lange bevor George A. Romero mit seiner ersten Trilogie von modernen Zombie-Filmen neue Maßstäbe des Leinwandschreckens setzte, ein fester Bestandteil in der Ikonographie des Horrorfilms. Das klassische Modell lieferte Victor Halperins »White Zombie« aus dem Jahr 1932. Die Geschichte wird hier dezidiert im Voodoo-Kontext entwickelt, die Zombies erscheinen hier als willenlose Sklaven. Es folgten 1936 Halperins »Revolt of the Zombies«, und dann in den vierziger Jahren eine Reihe von stimmungsvollen Filmen, die Val Lewton produzierte: »I Walked With a Zombie« (1943) gehört zu den kleinen Juwelen des Genres. »Ich habe«, sagte der Regisseur Jacques Tourneur, die Dramaturgie späterer Zombie-Filme vorwegnehmend, »ein Projekt, das noch nie dagewesen ist: Über den Krieg zwischen den Lebenden und den Toten. Denn wie viele Menschen gibt es heute auf der Erde? 4 Milliarden. Aber wie viele Tote gibt es? Wir, die Lebenden sind eine Minorität«. Auch hier ist der Zombie weniger die Bedrohung selbst als vielmehr ein leidendes Opfer. (Im Remake »Ritual« (Das Ritual – Im Bann des Bösen – 2001 – Regie: Avi Nesher) versucht eine Ärztin der Gegenwart die Geschehnisse auf einer Plantage auf Jamaica aufzuklären und wird selbst vom Unheimlichen verfolgt.)

Und eben dies unterscheidet, neben dem Gespür für Atmosphäre, Spannung und Symbolsprache, Tourneurs Film radikal von seinen Vorgängern. Schließlich geht es um eine eher ungewöhnliche Verbindung, nämlich eine Übertragung des Stoffes von Charlotte Brontës »Jane Eyre« in die Kolonialwelt von Haiti: Die Krankenschwester Betsy wird auf die Karibikinsel St. Sebastian geholt, um Jessica, die kranke Ehefrau eines reichen Plantagenbesitzers zu versorgen. Aber schon bald verschwimmen um sie die Zuordnungen, Betsy kann nicht unterscheiden, ob es sich bei dem Leiden der Frau um eine wirkliche Krankheit oder eine Art Besessenheit handelt. Und ihr Blick verliert sich in der Schönheit eines Landes, das zugleich eine Hölle ist, in der zwei ganz unterschiedliche Kulturen, die der Weißen und die der Schwarzen, nebeneinander existieren und sich nur in einer gefährlichen Zwischenzone berühren. Und so begegnet Betsy zum ersten Mal dem Zombie und dem Gespenst der Schuld: Wurde Jessica von ihrer Schwiegermutter in einen Zombie verwandelt, weil sie den Bruder ihres Mannes liebte und damit die erotische Ordnung in Gefahr brachte? In Tourneurs Film bleibt die Kultur des Voodoo den Weißen fremd und unerreichbar, obwohl von dort das Echo der verbotenen Begierden und der kulturellen Lähmung der eigenen kommt.

Im Jahrzehnt darauf waren Zombies vor allem in B- oder doch mehr in C-Filmen so sehen, so etwa in F. C. Brannons »Zombies of the Stratosphere« (1953). Schon in »Revenge of the Zombies« (1943) hatte Steve Sekely das Motiv in einen zeitgenössischen Zusammenhang gestellt und selbst die Untoten in den Dienst der Kriegspropaganda gestellt: Ein deutscher Arzt in den Sümpfen von New Orleans will mithilfe des Voodoo-Zaubers eine Armee von Zombies erstellen, um in Hitlers Auftrag Amerika zu erobern. Das Filmbüro allerdings erhob gegen den Film ernste Einwände, weil er, entgegen der kriegswichtigen Notwendigkeit der Harmonie der Klassen und Rassen den Eindruck erwecke, »Schwarze seien minderwertig«. Ein Witz der Ritz-Brothers spielt mit der Bezeichnung eines Rum-Cocktails: Sie treten an die Bar und verlangen vom Keeper »drei Zombies«, woraufhin der unerschüttert antwortet: »Das sehe ich. Aber was wollt ihr trinken?« Ihrer geheimnisvollen Aura sind die Untoten weitgehend beraubt; Zombies traten in der folgenden Zeit in B-Filmen wie »Voodoo Woman« (1956 – Regie: Edward L. Cahn) auf und mussten sich wie andere Monstergestalten gefallen lassen, in der Welle der Teenage-Horrorfilme Auferstehung zu feiern: »Teenage Zombies« von Jerry Warren entstand 1957.

Mit »Plague of the Zombie« (1966 – Regie: John Gilling) versuchte sich auch die englische Hammer – Produktion an dem Thema, doch die Zombies erreichten nie den kultischen Status anderer Gestalten des Horrorgenres wie Dracula oder der Werwolf. Der Film spielt in Cornwall, wo der reiche John Carson über ein Dorf ebenso wie über eine Zinn-Mine herrscht. In dieser finsteren Mine lässt er die lebenden Toten seiner sinistren Versuche arbeiten. Immerhin findet Gilling eines der späteren Schlüssel-Bilder: Auf dem Friedhof sieht man, wie die Toten aus den Gräbern steigen, wie sich die zersetzten und knöcherigen Hände durch das Erdreich erheben.

Erneut wurde das Voodoo-Motiv und die politische Propaganda verbunden, als es in den siebziger Jahren darum ging, die Diktatur von »Baby Doc« Jean-Claude Duvalier zu verurteilen. James Bond in der Gestalt von Roger Moore musste in »To Live And Let Die« (1973 – Regie: Guy Hamilton) einen schwarzen Tyrannen bekämpfen inklusive rituellem Menschenopfer. Moderne und archaische Formen des Terrors scheinen da eine besonders perfide Mischung eingegangen zu sein.

Eine echte Renaissance (wie »Dracula« und »Frankenstein«) erlebten die Zombies durch die farbige Modernisierung der britischen Produktion nicht. Das änderte sich indes mit Romeros »Night of the Living Dead« – plötzlich war es genau andersherum: Die alten Universal-Monster und ihre diversen Modernisierungen sahen gegenüber den grässlich-konkreten Untoten plötzlich ziemlich alt aus. »Der Platz in der Hölle war zu eng geworden« (wie der Platz in den irdischen Gefängnissen zu eng ist), darum müssen die Toten wieder auf die Erde, wo sie sich von menschlichem Fleisch ernähren und nur durch die Zerstörung ihres Schädels getötet werden können. Eine neue Mythologie im Genre war entstanden, die einerseits Romero mit jedem neuen Film vertiefte und reflektierte, andererseits aber rasch in Unmengen von Trash-Zombiefilmen aufgelöst wurde.

Mit den ursprünglichen Gestalten in den (mehr oder weniger rassistischen) Stereotypen des Zombie-Genres haben dieses Untoten im amerikanischen B-Horrorfilm nur noch selten etwas gemein. Schon in Romeros Zombie-Filmen blieb eine durchaus stringente Gesellschaftskritik vielen Zuschauern hinter einer manischen Vorliebe für scheußliche Details und ausgespielte Brutalität verborgen; insbesondere »Dawn of the Dead« war in seiner originären Form ein bösartiger Amoklauf gegen eine korrupte, gedankenlose und konsumgierige Gesellschaft, die Entsetzen und Abscheu beim Zuschauer einkalkulierte. Die Grundfrage der Kritik an der Gewalt im Kino, die Uwe Nettelbeck anhand der James Bond-Filme gestellt hat, schien von Romeros Filmen immerhin bewusst gestellt: »Wie krank muss eine Gesellschaft sein, um solche Filme hervorzubringen?«

Von dort aus führten die Entwicklungen des neuen Subgenres Zombie-Film in vier Richtungen:

Einen immerhin eigenwilligen Versuch unternahm auch Wes Craven mit »The Serpent and the Rainbow« (1988), der auf den erwähnten Bericht des Ethnobiologen Wade Davis zurückgeht und die Geschichte eines amerikanischen Wissenschaftlers erzählt, der nach Haiti kommt, um das Gift zu erforschen, mit dem Menschen in den Zombie-Zustand versetzt werden. Dort verliebt er sich in eine einheimische Ärztin, die ihrerseits dem Kult der Damballah geweiht ist und mit deren Hilfe er sich gegen die Mordanschläge des Polizeichefs wehrt und sogar die eigene Zombie-Verwandlung überlebt. Neuerlich wird Diktatur und Voodoo-Praxis in Beziehung zueinander gesetzt.

Auch die italienischen Gore-Filme führten oft aus den amerikanischen Städten wieder zurück zum Ursprungsort des Zombie-Kults in die Karibik, etwa Lucio Fulcis »Zombie 2 – Gli ultimi Zombie« (»Woodoo – Die Schreckensinsel der Zombie«). Da versucht eine Handvoll Menschen einem Geheimnis auf der Insel Matul auf die Spur zu kommen und wird von den Untoten dezimiert; die Flucht nach New York gelingt nur, um uns erkennen zu lassen: auch hier haben die Zombies bereits die Herrschaft ergriffen. Der Film war 1979 nur drei Monate nach dem erfolgreichen Start von Romeros Original auf dem deutschen Markt und demonstrierte eindringlich die Fähigkeit der italienischen Filmindustrie, einen vielversprechenden Trend zu erkennen und die produktionstechnischen und ästhetischen Mängel durch Steigerung der Sensationen wettzumachen. »Fulci, ein Altmeister des Giallo-Thriller, machte sich in seiner Zombie-Version noch die Mühe, eine spannende Geschichte zu erzählen, nahm aber mehr Anleihen bei den klassischen Untoten der Val Lewton-Filme als bei Romeros apokalyptischer Vision. Eines hatte ›Gli ultimi Zombie‹ mit den darauf folgenden Leichenschockern gemeinsam – sie alle trieben den Gore-Film an eine Grenze, die bis heute unerreicht ist. In Andrea Bianchis ›Le notti del terrore‹ (Die Rückkehr der Zombies – 1980) bittet etwa ein inzestuöses Kind seine ängstliche Mutter, sich auszuziehen, nur um ihr dann die nackte Brust zu zerfleischen« (Christian Fetish). Dieser Sinn für das Groteske inmitten des Grauenhaften, wie man ihn auch aus den italienischen fumetti neri, den billigen Sex- und Horrorcomics der siebziger Jahre kennt, scheint auch bei Fulci immer wieder auf (etwa in der Szene von »Zombi 2«, wo sich die Hauptdarstellerin Tisa Farrow unter Wasser gegen einen Haifisch und einen Untoten zugleich wehren muss).

Mehr und mehr ging es nur noch um eine Aneinanderreihung von Tötungsszenen, und die Zombies brachten immer neue und schreckliche Gefahren mit sich. In »Incubo sulla citta contaminata« (»Großangriff der Zombies« – 1980 – Regie: Umberto Lenzi) verwüstet eine Horde radioaktiv verseuchter Untoter eine Stadt (übrigens ganz ohne den vertrauten Zombie-Walk). Das Subgenre, das Zensurinstanzen, Pädagogen und Medienkritiker einige Zeit in helle Aufregung versetzt hatte, verlief sich am Ende der achtziger Jahre in endlosen Wiederholungen. In »Zombi 3« (»Zombie 3 – Ein neuer Anfang« – 1988) lässt Fulci noch einmal durch Viren ins Leben zurückgerufene Zombies auf einer Insel ihr Unwesen treiben und drei Studentinnen und eine Soldatengruppe verfolgen. Und noch einmal dienen hier Zombies als bösartiges Symptom von Umweltzerstörung und Militarismus: Die Auslöschung ganzer Bevölkerungsteile wird hier gleich zu Beginn von den Militärs beschlossen. (Ansonsten wurden eine Reihe von italienischen Horrorfilmen für den deutschen Verleih auch mit Zombies im Titel garniert, wenn es um Dämonen, Höllentore und andere Untote ging.) In »Zombie Brigade« (»Brigade des Schreckens« – 1988 – Regie: Camelo Musca, Barrie Pattison) wird gar noch eine Kreuzung aus Zombie- und Vietnamfilm unternommen. Überhaupt wurde die Analogie von Zombiewesen und Militär immer wieder thematisiert. In »Shock Waves« (1975 – Regie: Ken Wiederhorn) wird eine SS – Killertruppe wieder zum zombiehaften Leben erweckt, um Rache an ihrem ehemaligen Kommandanten zu nehmen – unglücklicherweise gerät auch eine Schiffbrüchige in ihre Hände.

Erste Versuche, den Zombie- mit dem Teenagerfilm zu kreuzen, wurden schon in den frühen achtziger Jahren unternommen. »Hard Rock Zombies« (1983 – Regie: Krishna Sha) ist eine Mischung aus Rockmusical, Komödie und Horrorfilm: Die Mitglieder der Rockgruppe Holy Moses erleben in einem merkwürdigen Haus Abenteuer mit üblen Monstern, widerstehen ihnen, bis sie alle von der Monsterfamilie umgebracht werden und als Zombies auf die Rock-Bühne zurückkehren. Dan O’Bannon, der durch seine Zusammenarbeit mit John Carpenter bekannt wurde, drehte 1985 die parodistische Variante »Return of the Living Dead« (»Verdammt, die Zombies kommen«), wo eine Punker-Clique in den fehlgeschlagenen Versuch einer Zombie-Vernichtung in einem Militär-Lager gerät; »Return of the Living Dead – Part II« (»Toll treiben es die wilden Zombies« – 1988 – Regie: Ken Wiederhorn) variiert das Thema: Durch ein Giftgasfass der Army werden Zombies wiedererweckt und bedrohen nun eine Gruppe von Jugendlichen, die sich ausgerechnet in einem Atomkraftwerk verschanzen und die Untoten mit Elektroschocks zu vernichten versuchen. Von den vielen Teenage-Zombie-Filmen unterschieden sich die »Return of the Dead«-Filme nicht nur durch ihre satirische Intelligenz, sondern auch dadurch, dass sie sich im Großen an den »Kanon« der Romero-Filme hielten.

»Zombie High« (1987 – Regie: Ron Link) ist eine eher sonderbare Schule: die älteren Studenten sind gefühllose Automaten, die nichts als studieren können, die Professoren 120 Jahre alte Parasiten, die sich durch die Gehirne der Studenten am Leben erhalten, und die Jungen, die neu auf diese Highschool kommen, sind als »Nahrungsmittel«-Nachschub vorgesehen. Erst als zum ersten Mal ein Mädchen aufgenommen wird, kommt es zu einer Revolte der Studenten – auch ein Plädoyer für die Koedukation. »Dead Heat« (1988 – Regie: Mark Goldblatt), ein Versuch, gleich mehrere Genres auf einmal zu parodieren, erzählt von einem Polizeidetektiv mit dem schönen Namen Roger Mortis, der zum Zombie geworden ist. In »Zombie Nightmare« (1988 – Regie: Jack Bravman) wird ein Junge, der bei einem Raubüberfall Opfer einer Terrorbande wurde, durch eine Voodoo-Priesterin zu neuem Leben erweckt, um die Rache an der Bande zu vollziehen, die auch seinen Vater auf dem Gewissen hat. In den C-Filmen des Genres machten schließlich die Zombies die Kämpfe gleich unter sich aus, wie in »I Was a Teenage Zombie« (Atomic Thrill – 1987 – Regie: John Elias Michalakias), der nicht nur im Titel die Teenage-Horrorfilme der fünfziger Jahre zitiert: Ein Dealer wird in einem radioaktiven Fluss ertränkt, kommt als Zombie zurück und ermordet den Helden, der daraufhin als »guter« Zombie revitalisiert wird, um die Bedrohung aus der Welt zu schaffen.

Zombies sind eine primär filmische Invention des Horrorgenres und führten in der Literatur und in den Comics ein eher marginales Dasein. 1976 etwa erschien bei Marvel eine kurzlebige Serie unter dem Titel »Tales of the Zombies«, und in den italienischen Splatter-Comics der frühen neunziger Jahre traten die gefräßigen Untoten sporadisch zwischen anderen Unwesen auf.

Die Inflation der Zombie-Motive machte es schließlich auch für die wahren Zombie-Fans schwer, die Spreu vom Weizen zu trennen. In den neunziger Jahren vollzog sich noch einmal ein Paradigmenwechsel in der kinematografischen Zombie-Darstellung. Zombies sind nun mehr und mehr auch individuell agierende Wesen, erzeugt durch Strahlen, Chemikalien oder sonstige Einwirkungen von Außen. In Danny Boyles »28 Days Later« (2003) ist es ein Virus, der die Menschen in tollwütige Bestien verwandelt, ebenso im Sequel »28 Weeks Later« (2007), das Juan Carlos Fresnadillo inszenierte. Zack Snyders Remake von »Dawn of the Dead« ist gleichsam infiziert mit dieser neuen Lesart des Monsters, es ist ein Remake gleichsam im Bewusstsein von Romeros Fortsetzung »Land of the Dead«. Und es ist ein in jeder Hinsicht »revisionistisches« Werk, aus dessen Achterbahn-Effektfolge jeglicher politische Impuls sorgfältig getilgt ist: Ein Zombie-Film für die Spaßgesellschaft. Und nicht wie zwei bessere Beispiele, »Braindead« und »Zombieland«, gegen die Spaßgesellschaft.

In »Zombieland« (2009) von Ruben Fleischer geht es um zwei Überlebende der Zombie-Apokalypse, Tallahassee und Columbus, die auf der Suche nach dem letzten Twinkie und anderen Überlebenden durch die verwüsteten Staaten unterwegs sind, und sie treffen auf zwei tückische junge Frauen, Wichita und Little Rock. Auch hier gibt es »Regeln für das Überleben« (eine Parodie und zugleich narrative Anwendung der populären »Survival Guides«), die im Lauf der Handlung ihre Nützlichkeit erweisen müssen:

Man könnte wohl sagen: In dieser Phase des Zombiefilms, auch Romero fügte sich dort ein, perforieren sich Narrative und »Dokumentation«; schmutzig-realistisch sind die Filme nun, als wäre die Zombieverseuchung der Welt eine Tatsache wie die Gangsterverseuchung der Stadt für den hard boiled detective, seinerzeit. Danny Boyle ist einer der wenigen Regisseure, die dem Motiv noch einmal neue Impulse geben konnten. »28 Days Later«, schnell und direkt auf DV gedreht, kostete etwa zehn Millionen Dollar und spielte nach allen Auswertungen das Zehnfache ein. In seiner Zeichnung der menschenfressenden Monster geht er, was die Säkularisierung des Mythos anbelangt, noch weiter als Romero. »Zombifiziert« sind hier keine Toten, sondern Menschen, die mit einem »Rage-Virus« befallen sind. Man könnte auch sagen, es ist eine Gesellschaft entstanden, in der die Terroristen, Amokläufer, Serienmörder und Wahnsinnigen mehrheitsfähig geworden sind.

In »28 Weeks Later« kehren Evakuierte in das nun von Zombies befreite Zentrum von London zurück, unter ihnen auch Don (der »Held« des ersten Filmes) und seine beiden Kinder. Seine Frau Alice blieb bei einem Angriff der Untoten zurück. Als man sie später findet, ist man erstaunt: Sie scheint gegen die Zombie-Infektion immun zu sein. Auch in diesen Filmen erscheinen die Untoten als Symptom einer kranken Gesellschaft und treffen sie vor allem an ihrem wunden Punkt: der Familie.

Mit »Dead Set« (2008 – Regie: Charlie Brooker, Yann Demange) entstand in Großbritannien eine Mini-Serie mit einem auf den ersten Blick etwas trashigen Plot: In einer Pilotfolge (45 Minuten) und vier Episoden (25 Minuten) entwickelt sich der apokalyptische Angriff der Zombies rund um eine »Big Brother«-Show des Fernsehens. Die Probanten der Show begreifen viel zu spät, dass unter den Zuschauern und vor allem am Set die Zombie-Seuche um sich greift. Die Assistentin, die blutüberströmt ins Aufnahmestudio wankt und versucht, im BB-Container Zuflucht zu finden, halten sie für einen besonders geschmacklosen Witz der Regie. Aber dann müssen sie in der Tat den Container gegen Zombie-Angriffe verteidigen, wie es Romeros »Helden« mit Farmhäusern oder Einkaufszentren taten.

Unter allen Horror-Gestalten ist der Zombie vielleicht jene, die zugleich eine besonders grimmige und eine besonders groteske Ausformung hat. Zombie-Komödien sind bereits ein eigenes Sub-Genre geworden. Es scheint, wie in »Fido«, dass sich das soziale Leben im Wesentlichen damit abgefunden hat, zwischen »Menschen« und »Zombies« ein prekäres Miteinander zu finden. »Als die Zombies in Mode kamen, da taugten sie vor allem als Kulminationsfiguren für die Ängste, den Wahnsinn, die Paranoia der siebziger Jahre. Seit der Virus HIV Schrecken sät, sehen Zombiefilme wie Prophezeiungen aus.« (Claudius Seidl). Und nun, noch etwas später, sehen sie einfach »realistisch« aus. Endlich haben die Zombies wenigstens dieses Ziel erreicht, sie sind zwar immer noch Symptom, müssen aber keine Metaphern mehr sein. Sie stellen für die Gesellschaft keine Bedrohung mehr dar, die Gesellschaft existiert nicht mehr. Sie sind nun reine Drastik; aber im Verhältnis zum Folterporno im Kino nebenan machen sie auch nicht mehr wirklich Angst. Denn verzweifelt ist man ja schon ohne sie.

KinematoZombologie III (Romero Talks)

»Schaffst du mir aber den Himmelsstier nicht,

So zerschlag ich die Türen der Unterwelt,

Zerschmeiß ich die Pfosten, lass die Tore weit offensteh’n,

Lass ich aufersteh’n die Toten, dass sie fressen die Lebenden,

Der Toten werden mehr sein denn der Lebendigen.«

Ishtar, Gilgamesch-Epos

 

 

Was den Schrecken der Zombies in Romeros Filmen ausmacht, so hängt er wohl mit ihrer Unbedingtheit zusammen: »Ich habe versucht, die Vorstellung vom Leben mit dem Terrorismus in eine angemessenere Beziehung zum realen Leben der Amerikaner von heute zu bringen.« Zombies sind nun, anders als in früheren Filmen, eine Bedrohung »an sich«. Dabei wird Romero an anderer Stelle noch deutlicher: »Für mich waren die Zombies immer Sinnbilder der Revolution: Eine Generation frisst die andere auf.« In einem Spiegel-Interview erklärt er: »Obwohl die vier Filme inhaltlich nicht zusammenhängen, zeigen sie dennoch eine Kontinuität: Im ersten Film kamen die Zombies in der Nacht. Sie waren keine Persönlichkeiten. Am Ende des dritten Films haben sie begonnen, die Menschen zu imitieren und den Planeten zu erobern. Jetzt beherrschen sie ihn und ergreifen zum ersten Mal die Initiative. Sie sind mit Absicht menschlich gehalten. Ich habe auch darauf geachtet, dass ihr Kleidungsstil verschieden ist, ich wollte sie nicht wie eine Armee darstellen, sondern wie Individuen. Abgesehen davon mag ich den Gedanken, dass Zombies wie wir sind. Die größten Monster sind doch sowieso unsere Nachbarn, der schlimmste Horror befindet sich immer direkt nebenan. Die Zombies lernen, sie imitieren die Menschen, was wiederum die Frage aufwirft, ob sich die Menschen wie Zombies benehmen.«