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Band 4

 

Logbuch der SOL

 

Hans Kneifel

Detlev G. Winter

 

 

 

Am Ende des vierten Jahrtausends: Die SOL, ein über sechs Kilometer langes Raumschiff, befindet sich in der Gewalt eines unbekannten Gegners. Bereits seit Jahrhunderten verschollen, ist es unterwegs in die Unendlichkeit. Die rund 100.000 Menschen und Außerirdischen an Bord betrachten das Schiff längst als ihre Heimat. Doch jetzt droht ihnen der Untergang ...

Nur Atlan, der uralte Arkonide, kann die SOL noch retten. Über Jahrtausende hinweg stand er der Menschheit als Ratgeber und Freund zur Seite.

Die chaotischen Verhältnisse an Bord des Schiffes zwingen den Arkoniden, das Leben eines Gejagten zu führen. Die Situation verschärft sich weiter, als plötzlich ein fremdes Schiff auftaucht und die SOL angreift. Der Arkonide nimmt den Kampf auf – doch allein hat er keine Chance ...

Prolog

 

Im Dezember des Jahres 3586 übergibt Perry Rhodan das terranische Fernraumschiff SOL offiziell an die Solaner, jene Menschen, die an Bord des Hantelraumers geboren wurden und diesen längst als ihre Heimat betrachten. Kurz darauf bricht das Schiff mit rund 100.000 Menschen und Außerirdischen in die Weiten des Weltraums auf. Über zwei Jahrhunderte lang bleibt es verschollen.

Dann jedoch – im Jahr 3791 – gelangt der relativ unsterbliche Arkonide Atlan auf die SOL. Auch von ihm fehlte mehr als zweihundert Jahre lang jede Spur.

Bereits die ersten Tage auf dem Hantelraumer machen deutlich, dass es Atlan alles andere als leicht haben wird, denn um den kosmischen Auftrag zu erfüllen, den ihm die geheimnisvollen Geisteswesen jenseits der Materiequellen mitgegeben haben, muss er zunächst einmal die chaotischen Zustände an Bord beseitigen. Die SOL ist in die Gewalt eines starken Energiestrahls geraten, der sie unaufhaltsam in ein fremdes Sonnensystem hineinzieht. Was das Schiff dort erwartet, weiß niemand.

Doch auch intern ist die Lage verfahren. Die SOLAG, ein komplexes Kastensystem unter der Führung von Chart Deccon, dem despotischen High Sideryt, herrscht über die Solaner mit unnachgiebiger Strenge und brutaler Gewalt.

Schließlich erfährt Atlan von den Schläfern – einer Gruppe von besonders befähigten Solanern, die einst in biologischen Tiefschlaf versetzt wurden, um dem Hantelraumer in zukünftigen Notsituationen beistehen zu können. Noch bevor sich der Arkonide auf die Suche nach ihnen machen kann, droht der SOL eine weitere Gefahr ...

1.

 

Der High Sideryt warf sich unruhig hin und her. Schweißtropfen bedeckten seinen kahlen Schädel. Er wusste, dass die SOL in kurzer Zeit aufgegeben werden musste.

Das mächtige Schiff ächzte in allen Verbänden. Eine geradezu panische Aufregung hatte seine Besatzung erfasst. Die Bildschirme der Interkoms blinkten in schnellem Wechsel und zeigten ununterbrochen neue Aufnahmen des Schreckens.

Der energetische Mahlstrom von Mausefalle wurde praktisch von Stunde zu Stunde dichter. Ein Schauer kosmischer Trümmer raste – teilweise langsamer, teilweise schneller als die SOL – auf die siebte Welt des Sonnensystems zu. Aus den Lautsprechern gellten Entsetzensschreie. Eine Gruppe von Ferraten kämpfte vor den Toren eines Hangars um ein startbereites Beiboot. Mehrere Vystiden und ihre Haematen schlugen sie zurück. Sirenen gellten durch die Korridore aller drei Schiffsteile.

Das riesige Objekt, das sich der SOL näherte, war inzwischen so nahe herangekommen, dass ein Zusammenstoß unmittelbar bevorstand. Die Schutzschirme ließen sich nicht aktivieren. Niemand saß an den Kontrollen der Triebwerke. Schüsse peitschten durch die Gänge. Der Koloss, der sich der SOL näherte, erschien nacheinander in verschiedenen Ansichten und Vergrößerungen.

Gegen das Schott, das zu Chart Deccons Kabine führte, hämmerten schwere Schläge. Vermutlich handelte es sich um schweres Werkzeug oder um die Kolben von Strahlwaffen.

Totenbleich und mit rasendem Pulsschlag wachte Chart Deccon auf. Er keuchte und schüttelte den Kopf. Dann fluchte er. Der Traum hatte ihn mitgenommen. Jede Einzelheit hatte ihn tief getroffen. Er stand auf, schüttelte sich ein zweites Mal und riss den E-kick-Akku von dem Tischchen neben seinem Bett. Hastig befestigte er die Elektroden an der schweißnassen Haut. Die Haftflächen rutschten mehrmals ab, bis sie endlich saßen. Bevor er die Augen wieder schloss, warf er einen langen Blick auf die Interkomschirme.

Das Ding sah aus wie eine vieleckige geometrische Figur. Der Informationstext, den die Magniden auf einen anderen Schirm gespiegelt hatten, besagte, dass das Gebilde mit einem größten Durchmesser von zweitausendachthundert Metern aus dreizehn fünfeckigen Außenflächen bestand. Doch die Form war nicht exakt mathematisch, sondern in sich verschoben. Die Flächen und deren Kanten waren von einem Wust von Auswüchsen bedeckt. Es gab schlanke Türme und stumpfe Kuppeln, merkwürdig geformte Antennen und unzählige scharf konturierte Luken. Sämtliche Außenflächen, auch die der Kanzeln und Tentakel, waren marmorartig gesprenkelt und von vielen Narben, Rissen und Einschlägen gezeichnet. Die Spuren von Feuer und Hitze waren nicht zu übersehen.

Während das E-kick in Deccons Körper strömte, versuchte er weitere Einzelheiten zu erkennen. Er spürte die Übertragung nicht direkt, aber seine Stimmung hob sich ein wenig.

»Ein Weltraumfort oder ein riesiges Schiff«, murmelte er. »Oder eine Raumstation, die sich irgendwo losgerissen hat.«

Der Infotext flackerte auf und verschwand. An seine Stelle trat die grafische Projektion von zwei Kurslinien. Leuchtpunkte markierten die Position und die Geschwindigkeit sowohl des Fremden als auch der SOL. Die Geschwindigkeit des Objekts war im Augenblick größer als die des Hantelschiffs. Die Linien besagten, dass der Fremde sehr nahe an der SOL vorbeirasen würde. In rund vierundzwanzig Stunden war die größte Annäherung erreicht.

Der High Sideryt schloss die Augen und fiel in eine Art Starre. Wie besonders starker Alkohol breitete sich das E-kick in seinem Innern aus.

Als er wieder aufstand und den Blick über die düstere Einrichtung seiner einsamen Klause schweifen ließ, erfüllten ihn neue Spannkraft und das Bewusstsein, dass die SOL noch lange nicht in unmittelbarer Gefahr war.

Ein weiterer Bildschirm zeigte das Innere der eigentlichen Zentrale. Deccon berührte eine Taste. Sofort wandte sich ihm ein Techniker zu.

»Wer trägt heute die Verantwortung in der Zentrale?«, fragte der High Sideryt.

»Arjana Joester«, lautete die Antwort.

»Ich muss sie sprechen.« Das Bild wechselte. Arjana hob den Kopf von den Kontrollen und sah Deccon an.

»Neuigkeiten von dem geheimnisvollen Ding, das uns verfolgt?«, erkundigte sich der Kommandant der SOL.

Unter dem weißen, wallenden Kleid zeichnete sich die bemerkenswerte Figur Arjanas ab. Die junge Frau, kaum älter als vierzig Jahre, war schlank und trug rotbraunes Haar. In ihren blauen Augen erkannte der High Sideryt das Funkeln eines eiskalten Willens. Aber das Gesicht, dessen hohe Wangenknochen asiatischen Einfluss erkennen ließen, verbarg jede tiefer gehende Regung.

»Wir haben einige Kursberechnungen machen können. Sie sind natürlich nur bedingt zu gebrauchen«, erwiderte sie scheinbar gelassen.

Deccon verstand ihren Einwand, denn die Geschwindigkeiten fast aller Objekte, die in den Strudel von Mausefalle hineingezogen worden waren, änderten sich ständig.

»Wie schätzt du die Lage ein?«

»Wir haben sicherlich Gravitationseffekte zu erwarten. Möglicherweise gibt es einen Zusammenstoß.«

»Ich denke daran«, sagte der High Sideryt, »den fremden Körper als Bremse oder Raumanker zu benutzen. Berechnet die Wahrscheinlichkeit für den Erfolg einer solchen Maßnahme.«

»Ist das dein Ernst?«

Arjanas hübsches Gesicht verzog sich zu einem skeptischen Lächeln. Sie schien an Deccons Idee wenig Gefallen zu finden. Die Frau gehörte zu jener Gruppe der Magniden, die der Tradition stark verhaftet waren. Schließlich hob sie die Schultern und antwortete:

»Wir werden es auf alle Fälle einmal durchrechnen. Viele Chancen gebe ich diesem Plan allerdings nicht, High Sideryt.«

»Eine kleine Chance ist besser ist als gar keine«, grollte Chart Deccon. »Darüber hinaus sollen einige Gruppen von Buhrlos in den Raum hinausgehen. Außerdem ein paar Ferraten und Ahlnaten. Sie sollen innerhalb der Blase, in der die SOL frei operieren kann, möglichst viele Beobachtungen machen und Informationen sammeln.«

»Wie du willst«, bestätigte Arjana. »Da steht uns also offenbar die nächste schwere Krise ins Haus. Was willst du dagegen tun?«

»Wir haben bereits eine wahre Flut von Krisen überstanden. Und auch diesen Zwischenfall werden wir überleben.«

»Bedenke, dass dieser fremde Gigant – wir haben ihn übrigens nicht ganz zutreffend Quader getauft – einen größeren Durchmesser besitzt als eine SOL-Zelle!«

»Ich habe es auf den Schirmen gesehen«, sagte Deccon. Seine fleischige Hand legte sich auf das Kästchen, das er an einer goldenen Kette an der Brust trug. Es schien, als würde er dadurch neue Kraft schöpfen. »Vergiss nicht, die Buhrlos und die SOLAG-Brüder hinauszuschicken!«

»Keine Sorge. Ich vergesse es nicht«, erwiderte Arjana Joester.

Der High Sideryt blickte auf den Schirm der Außenbeobachtung. Wie meistens sah er einige Buhrlos über der glänzenden Hülle des Schiffs schweben. Aber seine Augen fingen auch einige der zahllosen Objekte ein, von denen die SOL umgeben war. Für einen langen Moment hatte er den Eindruck, als würde das Schiff in einem riesigen, glasklaren Meer schwimmen.

»Ich will umgehend über alle neuen Entwicklungen unterrichtet werden«, sagte er dann. »Gibt es etwas Neues von Homer Gerigk?«

»Nein. Aber die Suche wird energisch fortgesetzt.«

»Nicht energisch genug, wie mir scheint«, knurrte Deccon. »Was habt ihr über den Fremden herausbekommen?«

»Über Atlan?«

»Kennst du noch einen anderen Fremden, der seit Wochen auf der SOL herumstreunt, ohne dass ihr ihn zu fassen bekommt?«, fragte der High Sideryt wütend. Er erinnerte sich noch sehr gut an den Attentatsversuch des Magniden Homer Gerigk. Das Chaos im Innern des Schiffes, noch verstärkt durch die unerklärliche Ankunft des Arkoniden Atlan, kam dem Chaos im kosmischen Umfeld der SOL annähernd gleich.

»Atlan ignoriert nach wie vor jede Aufforderung, sich zu stellen«, antwortete Arjana kalt. »Aber früher oder später werden wir ihn fassen.«

»Das hoffe ich. Du weißt, was davon abhängt.«

»Wir wissen es alle.«

Der High Sideryt schaltete die Verbindung ab. Schweigend stapfte er vor seinen Robotern hin und her und blieb schließlich auf einem Podest stehen. Er war sicher, dass in kurzer Zeit nicht nur alle seine Fähigkeiten auf die Probe gestellt werden würden, sondern dass es darüber hinaus einer Mobilisierung aller Kräfte in sämtlichen drei Teilen der SOL bedurfte, um dieser Krise Herr zu werden.

Tief in Gedanken stieg der High Sideryt über die Stufen des Podests und ließ sich in seinen schweren Sessel fallen. Seine Finger krampften sich um das schwarze Holz der Armlehnen. Er war sich seiner Einsamkeit ebenso bewusst wie der unendlich großen Schwierigkeiten, die vor ihm lagen.

2.

 

Denk daran! Du und dein Begleiter werden von der SOLAG gejagt!, flüsterte der Logiksektor nachdrücklich.

Immer wieder sagte sich Atlan, dass das verschachtelte Innere der SOL in vielen Dingen den chaotischen Zuständen an Bord des Schiffes glich. Er erinnerte sich an zahllose Gänge und das grobe Raster des inneren Aufbaus. Aber immer wieder ließ ihn selbst sein fotografisches Gedächtnis im Stich. Einbauten und Umbauten, Durchbrüche und Rampen tauchten auf, die seinen Weg unberechenbar machten.

»Bist du sicher, dass wir auf diesem Weg die Anschlussstelle von SENECA finden?«, wandte er sich an seinen Führer.

»Ziemlich sicher«, sagte Homer Gerigk mürrisch. »Aber wir können nicht einfach den direkten Weg nehmen. Man sucht uns. Es wird Jagd auf uns gemacht.«

»Das ist mir nicht entgangen.« Atlan nickte. Ohne hundertprozentig sicher sein zu können, vermutete er, dass er Gerigk nicht trauen durfte. Auf keinen Fall war der Magnide das, was er zu sein vorgab. Trotzdem war er, mit allen Einschränkungen, Atlans augenblicklich einzige Bezugsperson.

Atlan, Homer Gerigk und das Dutzend Kampfroboter, das zur persönlichen Leibgarde des Magniden gehörte, befanden sich in einem engen Korridor mit stählernen Wänden. Lochprofile und dicke Kabel, die in verschiedenen Farben entlang der Wände und der Decken verliefen, ließen nicht erkennen, welchem Zweck diese enge Röhre einmal gedient hatte – oder heute noch diente. Überall lag dichter Staub. Rätselhafterweise hingen in den Ecken staubbedeckte Spinnweben. Spinnen in der SOL? Atlan nahm an, dass es solche Tiere wohl auf den SOL-Farmen geben musste und sie sich ab und an in die Tiefen des Raumers verirrten. Die Spuren der beiden Männer zeichneten sich auf dem staubigen Boden deutlich ab. Mehrere Leuchtkörper waren noch intakt. Die Schatten der Eindringlinge tanzten über Wände und Decken.

Der Arkonide forschte in den Abgründen seiner Erinnerung und versuchte sich zu besinnen, wo sich zu seiner Zeit die nächste Hauptanschlussstelle SENECAS befunden hatte. Er wusste es nicht; dieses dreidimensionale Labyrinth überforderte ihn. Nur eines war sicher: Hier, im Mittelteil des Hantelschiffs, befand sich die Biopositronik mit der autarken Energieversorgung. Selbst wenn seit seinem letzten Kontakt mit dem Rechner zweihundert Jahre vergangen waren, so war es während dieser Spanne wohl kaum jemandem gelungen, SENECA an einen anderen Ort zu verlegen.

Atlan ging weiter hinter Homer her. Vor und hinter ihnen schwebten die Maschinen. In diesem Bereich des Schiffes mussten sie sich mit äußerster Vorsicht bewegen. Atlan wusste, dass die Mittelzelle eineinhalbtausend Meter durchmaß. SENECAS kugelförmige Hülle hatte einen Durchmesser von rund fünfhundert Metern. Also würden sie in gerader Linie schätzungsweise weniger als fünfhundert Meter zurücklegen. Aber diesen geraden Weg gab es nicht beziehungsweise war er zu riskant. Sie näherten sich der Peripherie des kugelförmigen Hohlraums im Zickzack und auf dreidimensionalen Umwegen. Selbst Gerigk kannte den Weg nicht genau.

»Du kannst es ruhig zugeben: Du weißt selbst nicht, wie wir an die Hauptanschlussstelle kommen, nicht wahr?«

»Falsch«, gab Gerigk verärgert zurück. »Ich riskiere bloß nicht, dass sie uns kurz vor dem Ziel fassen.«

»Dann sind wir also fast da?«

Gerigk gab keine Antwort und schlich den Robotern nach. Die Scheinwerfer der Maschinen durchschnitten das fahle Halbdunkel. In den Lichtkegeln tanzten dicke Staubwolken. Hin und wieder hörten die Männer aus abzweigenden Röhren und Schächten verschiedene Geräusche und menschliche Stimmen.

Da Gerigk und er aus der SZ-1 gekommen waren, konnten sie nicht weit von der Hauptzentrale entfernt sein. Es sei denn, Gerigk hatte ihn an ihr und an SENECA vorbei in Richtung auf die SZ-2 geführt.

Das Stimmengewirr wurde lauter. Wieder wandte sich Atlan an den Magniden. Die geradeaus führende Röhre endete und ging in ein großes Schott über. Es schien für Montage- oder Reparaturzwecke geplant worden zu sein, aber die dicke Staubkruste ließ erkennen, dass es seit sehr langer Zeit nicht mehr geöffnet worden war. Der Klang der aufgeregten Stimmen kam aus einigen Öffnungen, durch die kleinere, dick isolierte Röhren und armdicke Kabel in farbiger Isolierung führten.

»Du hast mir noch immer nicht erzählt, was es mit den Schläfern auf sich hat«, beschwerte sich der Arkonide. »Weißt du, wo ich sie finden kann? Kennst du ihre Namen?«

»Eines nach dem anderen«, wich Gerigk aus, »und das Nächstliegende zuerst. Wir müssen diesen Gang verlassen.«

Seit knapp einem Tag waren sie auf der Flucht. Sie legten größere Strecken zurück, unterbrochen von kurzen Phasen der Rast. Je mehr Atlan über die Magniden erfuhr, desto sicherer wurde er, dass sie zwar die wahren Herrscher waren, aber beileibe nicht so mächtig, wie sie sich selber gerne sahen. Sie wussten vieles, aber längst nicht alles, und ihr Wissen über die zurückliegenden Jahrhunderte war ebenso lückenhaft wie ihre Kenntnis von der Topologie des mächtigen Schiffes. Sie wandten zahllose technische Einrichtungen an und bedienten sich ihrer, aber vermutlich waren sie nicht einmal zu einer komplizierteren Reparatur fähig.

»Du willst durch dieses Schott?«, fragte Atlan mit hörbarer Ironie. »Du wirst nicht einmal die Hebel bewegen können.«

Es gab keinen anderen Ausgang. Das diamantene Atomsymbol an Gerigks schmutzigem und staubigem Gewand funkelte auf, als sich ein schwerer Roboter an ihm vorbeischob und seine Befehle entgegennahm.

Die Maschine öffnete das schwere Montageschott ohne die geringsten Schwierigkeiten und fast lautlos. Ein leicht faulig riechender Luftstrom trieb den Staub zur Seite. Das Stimmengewirr schwoll an, als der Roboter und der Magnide das Schott eine Handbreit weit öffneten. Atlan drängte sich näher und spähte durch den Spalt. Als die Scheinwerfer des Roboters ausgeschaltet wurden, sahen Gerigk und Atlan in einen Aufenthaltsraum hinein, der voller Buhrlos war.

»... befohlen, den Gegenstand auszuforschen. Wir Buhrlos sollen ...«

»Sie nennen es Quader, und er soll größer sein als die SZ-1 ...«

»... angeblich werden uns einige Ahlnaten begleiten ...«

Die Buhrlos waren aufgeregt. Gerigk wandte sich halb um und fragte leise: »Riskieren wir es?«

Er deutete in den Raum jenseits des Schotts. Atlan hob die Schultern und erwiderte: »Was kann einem Magniden mit seiner Robotleibwache schon passieren?«

»Man könnte uns verraten!«

»Nicht, wenn wir es richtig anstellen«, sagte Atlan. Die Wortfetzen, die er gehört hatte, alarmierten ihn. Er glaubte begriffen zu haben, dass sich ein riesenhaftes Objekt dem Schiff näherte und man bestrebt war, Informationen über diesen sogenannten Quader einzuholen. Das Schott öffnete sich geräuschlos.

Einer der Weltraummenschen mit der rötlich schimmernden Glashaut blickte über die Schulter eines anderen, der den Gejagten den Rücken zuwandte. Seine Augen, von runden Wülsten umgeben, weiteten sich.

»Der Fremde! Das ist Atlan! Und Homer Gerigk, der Magnide!«, stieß er aufgeregt hervor. Drohend schob sich Gerigk hinter Atlan in den Raum.

»Ein Magnide mit seiner Robotleibwache«, sagte er mit seiner hellen, pfeifenden Stimme. »Verhaltet euch also ruhig.«

Sofort war die Gruppe von den Robotern umringt. Die Maschinen bauten sich schützend vor Gerigk auf. Atlan trat zur Seite und erkannte aus dem Verhalten der Frauen und Männer, dass sie sich längst untereinander verständigt hatten.

»Wir wissen, wer du bist und was du willst«, sagte einer der Buhrlos.

»Das hat sich offenbar schnell herumgesprochen«, gab Atlan zurück. »Könnt ihr uns sagen, wo genau wir uns hier befinden?«

»Nicht weit von der Außenhülle entfernt. Du bist sicher. Wir haben genügend Leute, um rechtzeitig gewarnt zu werden.« Nach einem giftigen Blick in Richtung Gerigk fuhr er fort: »Gewarnt vor Magniden, die selbst auf der Flucht sind.«

»In der Tat.« Atlan sah wachsam um sich. Die Bewohner dieses Raumes hatten sich vor ihm und Homer Gerigk aufgebaut. Einige Buhrlos zerrten das Schott wieder zu und schoben die schweren Hebel in ihre Ausgangsstellung zurück.

»Du brauchst unsere Hilfe, Atlan«, sagte einer der Weltraummenschen. »Der High Sideryt will dich unbedingt sprechen, und niemand hier nimmt an, dass er dich dabei ungeschoren lässt. Er fürchtet, dass du ihm seine Macht wegnehmen willst.«

Er hat recht, flüsterte der Logiksektor. Atlan sah dem Mann lange in die Augen.

»Ich will keinen Kampf«, erwiderte er dann. »An Bord herrscht bereits genug Chaos. Ihr habt vorhin von einem Quader geredet. Was hat es damit auf sich?«

Zunächst zögernd, dann immer schneller begannen die Buhrlos zu berichten. Atlan und Gerigk hörten schweigend zu. Die Weltraummenschen wussten, dass der Quader einen Kurs flog, der ihn nahe an die SOL heranbringen würde. Inzwischen hatten die Befehle des High Sideryt im Schiff die Runde gemacht. Ferraten, Ahlnaten und Buhrlos sollten in den Weltraum hinausgehen und weitere Informationen einholen. Es hieß, der Herrscher des Schiffes wolle sich an diesem Riesen festklammern und versuchen, den Kurs des Schiffes zu ändern, um es so aus dem Sog von Mausefalle zu befreien.

Atlan sagte sich, dass dieser Plan eine wenn auch geringe Aussicht auf Erfolg besaß. Allerdings wusste er nicht, über welche technischen Möglichkeiten die Magniden in der Zentrale noch verfügten.

»Könnt ihr mir einen Raumanzug verschaffen?«, fragte der Arkonide.

»Wir kennen dich, und wir vertrauen dir«, sagten einige Buhrlos laut. Atlan lächelte.

»Danke! Aber viel kann ich im Moment nicht tun. Ich bin ebenso machtlos wie ihr und werde zudem von der SOLAG gejagt.«

»Wir können jeden, der gejagt wird, bei uns verstecken. Selbst einen Magniden!«, erklärte ein anderer Buhrlo. Dann wandte er sich an seine Kollegen. »Los! Geht zu den anderen und besorgt einen Raumanzug. Sagt, ihr braucht ihn für einen Ferraten.«

Eine junge Frau und zwei Männer bahnten sich einen Weg durch die Menge und verschwanden im Halbdunkel am anderen Ende des Raums.

»Du wirst eines Tages dafür sorgen, dass wir nicht mehr die versklavten Handlanger für die SOLAG sind und uns frei an Bord bewegen können!«, rief jemand aus der hinteren Reihe. »Wir wollen nicht mehr länger nur die von allen verachteten E-kick-Beschaffer sein!«

»Was willst du mit dem Raumanzug, Atlan?«, fragte Gerigk mit schmalem Mund. Er war sichtlich verärgert, und das nicht nur deshalb, weil ihm Feindschaft, Atlan hingegen Wohlwollen entgegengebracht wurde.

»Ich will herausfinden, ob mithilfe dieses Quaders die SOL tatsächlich aus dem Zugstrahl befreit werden kann.« Atlan wandte sich Homer Gerigk zu.

»Was ist mit dir?«, fragte er den Magniden. »Es ist wahrscheinlich am besten, wenn du zurückbleibst.«

»Ich komme mit«, entgegnete Gerigk mit schief gelegtem Kopf. »Wenn die Buhrlos für meine Sicherheit garantieren.«

»Wir garantieren für gar nichts«, sagte einer der Weltraummenschen. »Wir müssen euch Magniden wohl tolerieren, weil nur ihr die SOL fliegen könnt, aber verlange nicht, dass wir euch lieben.«

»Wir würden dich am liebsten totschlagen – wenn deine verfluchten Roboter nicht wären!«, ereiferte sich ein anderer.

Atlan verstand mittlerweile genug von der herrschenden Hierarchie im Schiff, um zu wissen, dass Magniden bei den Buhrlos verhasst waren. Gleichgültig, in welcher Eigenschaft einer der wenigen aus der herrschenden SOLAG-Kaste sich hier aufhielt, und gleichgültig auch, in welcher Gruppe von Buhrlos er steckte.

»Hier wird niemand totgeschlagen«, versuchte Atlan zu beschwichtigen. »Erzählt mir lieber, was ihr über die letzten Stunden wisst. Ich muss erfahren, was die Schiffsführung zu unternehmen gedenkt.«

Die wenigen Informationen, die die Buhrlos besaßen, deckten sich nahezu mit seiner eigenen Analyse des Problems. Vermutlich wussten die Magniden und der High Sideryt auch nicht mehr, sonst hätte ihre Reaktion anders ausgesehen. Schließlich verschränkte einer der überschlanken Weltraummenschen seine Arme im Nacken und führte vor der Brust mit Fingern und der Faust einige für den Arkoniden unverständliche Gesten aus.

»Mehr wissen wir auch nicht«, sagte er. »Jedenfalls gehen viele von uns hinaus. Wir haben uns bereits für den Einsatz gemeldet.«

»Gut. Ich werde euch begleiten«, bestimmte Atlan.

In diesem Moment sprang Homer Gerigk zurück und hob beide Arme. Anklagend deutete er auf den Arkoniden und die versammelten Buhrlos. Seine Stimme bebte.

»Ich werde dafür sorgen, dass ihr alle für euren Verrat bestraft werdet. Auch du, Atlan! Unterschätzt mich nicht! Ich habe noch immer meine Möglichkeiten.«

Die Roboter handelten wie auf einen unhörbaren Befehl. Sie bauten starke Schutzfelder auf, die sie selbst und ihren Herrn einhüllten. Dann bahnten sich die Maschinen einen Weg durch die aufgeregte Menge der Buhrlos. Gerigks Gesicht war anzusehen, dass er vor Wut kochte. Atlan lehnte sich gegen eine Art Regal und beobachtete, wie der Magnide dem Ausgang entgegeneilte.

Er ist außer sich, weil er dich nicht mehr für seine Zwecke gebrauchen kann, wisperte der Extrasinn.

Einige Buhrlos verloren die Beherrschung und warfen dem Magniden und seinen Leibgardisten Werkzeuge, herumliegende Essensbehälter und eine Vielzahl anderer Gegenstände nach. Die Geschosse prallten wirkungslos von den Schirmen ab und polterten zu Boden.

»Hört auf damit!«, rief Atlan. »Das ist sinnlos! So erreicht ihr nichts!«

Dröhnend schloss sich das ausgeleierte Schott. Der Magnide war verschwunden. Für den Augenblick war Atlan in Sicherheit, aber er sah sich auch einer Informationsquelle beraubt, die mit Sicherheit besser gewesen war als die Buhrlos. Wie weit würden Hass und Enttäuschung Homer Gerigk treiben? Würde der Magnide nun gleichfalls versuchen, Atlan zu beseitigen? Der Arkonide hatte ab sofort mit dieser Möglichkeit zu rechnen.

Er wandte sich an die Schar von etwa dreißig Buhrlos, die unruhig herumstanden und sich leise unterhielten. Die Stimmung war gedrückt. Atlan unterschätzte die Buhrlos keinesfalls und schon gar nicht ihr Kommunikationssystem innerhalb des Schiffes. Insgesamt gab es fast 7000 Weltraummenschen und Halbbuhrlos an Bord, die zwar als Verbündete einen hohen Wert besaßen, aber für eine wirkliche Revolution nichts taugten. Atlan verschwendete nicht eine Sekunde an den Gedanken, den Umschwung an Bord der SOL mit Gewalt zu erreichen. Sein Weg würde ein anderer sein.

Erneut entstand Aufregung. Die ausgeschickten Buhrlos kamen zurück und trugen einen Raumanzug mit sich. An der Schulter des Anzugs, der Atlans Größe entsprach und einigermaßen gepflegt aussah, erkannte der Arkonide das stilisierte Abbild eines Eisenrhodanid-Moleküls in Gelb.

»Danke!«, sagte er. »Ich muss mich allerdings darauf verlassen können, dass ihr mich zu jeder Zeit unterstützt. Vor allem brauche ich gute Führer. Das Innere der SOL wurde stark verändert. Ich finde meinen Weg nicht mehr allein.«

Das leise Gelächter entspannte die Situation ein wenig. Ein älterer Buhrlo berührte Atlan freundschaftlich an der Schulter.

»Keine Sorge. Wir nehmen dich mit hinaus in den Raum. Am besten verhältst du dich wie ein Ferrate.«

Sie halfen dem Arkoniden in den Anzug. Atlan testete die verschiedenen Funktionen und sah beruhigt, dass sämtliche Systeme zufriedenstellend funktionierten.

»Brechen wir sofort auf?«, fragte er.

»Ja. Die Befehle wurden schon vor einiger Zeit gegeben.«

Nicht alle Buhrlos verließen den Raum. Eine Gruppe von mehr als einem Dutzend der Weltraumgeborenen nahm Atlan in ihre Mitte und zog ihn mit sich. Ein anderes Schott öffnete sich, und sie betraten einen breiten, gut erhaltenen Korridor. Gut erhalten bedeutete in diesem Fall, dass der Gang nahezu so aussah, als habe er zwei Jahrhunderte ohne Veränderungen und Schäden überstanden. Zwar fehlten Beschriftungen, die verrieten, wo man sich genau befand, aber die Beleuchtungskörper funktionierten ebenso wie einige in die Wände integrierte Interkomanschlüsse. Etwa zwanzig Meter weiter gab es sogar ein intaktes Transportband.

Die Buhrlos drängten ihn dorthin. Sie wollten vermutlich möglichst schnell wieder in einen Bereich kommen, in dem ihr neuer Freund nicht auffiel.

»Wir sind bald in einer Schleusennebenkammer«, sagte der haarlose Mann rechts neben dem Arkoniden. »Dort kannst du dich aufs Aussteigen vorbereiten.«

»In Ordnung«, erwiderte Atlan mechanisch und blickte sich um. Als sie fast am Ende des Bandes waren, kamen zwei Gestalten mit feierlichen Schritten aus einem angrenzenden Raum hervor. Sie trugen lange fallende Gewänder in hellem Blau. Auf der linken Brustseite erkannte Atlan das bronzefarbene Atomsymbol.

Ahlnaten!, signalisierte der Extrasinn überflüssigerweise.

Einer der beiden Männer hielt die Buhrlos mit weit ausholender Geste auf. Er legte seine Hand auf den Griff eines Paralysators, der in seinem Gürtel steckte.

»Wohin wollt ihr mit dem Rostjäger?«, fragte er mit leiser, aber eindringlicher Stimme.

Eine übertrieben und unecht wirkende Feierlichkeit ging von den Gestalten aus. Ihre Gesichter trugen einen vergeistigten Ausdruck zur Schau. Falsche Weisheit umgab sie wie der muffige Geruch alter Kleidung.

»Nach draußen. Wir sollen versuchen, Informationen über den Quader zu sammeln«, antwortete ein Buhrlo. Die anderen gingen weiter, nachdem sie das Band verlassen hatten. Atlan senkte den Kopf und gab sich den Anschein, über seinen Auftrag nachzudenken.

»In diesem Fall werden wir euch nicht aufhalten. Tut für das Schiff, was getan werden muss«, schloss der Ahlnate und machte eine wedelnde Handbewegung. Atlan atmete auf. Beide Ahlnaten waren bewaffnet. Er selbst besaß lediglich einen Thermostrahler und seinen Schutzschirm. Die Buhrlos zogen ihn weiter mit sich. Es ging rechts um eine Ecke und auf einen Korridor hinaus, an dessen Ende unverkennbar das Schott eines Beiboothangars zu sehen war.

Einige Ferraten standen vor der schweren Metalltür. Sie winkten den Buhrlos zu.

»Hierher!«, riefen sie. »Nun macht schon! Holt euch eure Antigravs! Wir starten gleich!«

»Nur keine Hektik, Rostjäger«, knurrte ein Buhrlo zurück.

In den Regalen der Schleusenvorkammer herrschte eine für Atlan ungewohnte Ordnung und Sauberkeit. Die Energieversorgung arbeitete ohne Aussetzer, und die Vorratsfächer waren voller Werkzeuge, Tornistertriebwerke und Raumanzüge. Im großen Hangar, jenseits der Sicherheitsscheiben, stand eine Korvette. Das Raumfahrzeug sah ungewöhnlich aus. Es war mit einfachen Methoden umgebaut worden. Während sich die Buhrlos mit Gürteln, Antigravs und Sicherheitsseilen ausrüsteten, betrachtete Atlan die Korvette genauer.

Mit Griffen, die unendlich lange Übung verrieten, befestigte der Arkonide das Triebwerk und die Steuerung an seinem Anzug.

Die Laderäume der Korvette hatten keine Schleusenportale. Im Licht der Tiefstrahler sah Atlan lediglich lange Stangen und Haltegriffe. Die Ferraten, die das kleine Schiff bestiegen, trugen wie er selbst Raumanzüge. Einige Buhrlos, vollständig ausgerüstet, verließen die Vorkammer und gingen hinüber zum Schiff. Sie wirkten aufgeregt und neugierig zugleich.

Atlan wusste, dass die Buhrlos keinen Schutzanzug brauchten. Die Ferraten, vermutlich befehligt von einer Schwester oder einem Bruder höherer Wertigkeit, steuerten das Schiff. Die beiden Gruppen ergänzten sich bestens. Die Informationen würden zur einen Hälfte von den Geräten des Raumschiffs stammen, zur anderen von den Buhrlos, die sie auf andere Weise einholten.

»Hat dein Zögern einen bestimmten Grund?«, fragte ein Buhrlo und stieß den Unsterblichen an.

»Nein«, sagte der Arkonide. »Ich sehe mich nur um. Und ich versuche zu lernen – von euch.«

»Komm. Man wird nicht auf uns warten.«

Atlan ließ sich wie schon zuvor von den Weltraummenschen mitziehen. Schleusen öffneten und schlossen sich. Er glaubte sich für einen Augenblick in jene Zeit zurückversetzt, zu der er und Perry Rhodan zu diversen Kommandoeinsätzen aufgebrochen waren – einer risikoreicher und gefährlicher als der andere. Dann gab er sich einen entschlossenen Ruck und bestieg das Schiff. Die Buhrlos versammelten sich um ihn im offenen Laderaum. Einige von ihnen schienen den Moment nicht erwarten zu können, an dem sie wieder im All waren, ausgesetzt dem schwachen Licht einer weit entfernten Sonne und der rätselhaften kosmischen Strahlung, die zur Bildung des E-kick führte.

Die inneren Schleusentore schlossen sich. Lichtsignale und akustische Warnungen – wie in alten Zeiten – bereiteten die Menschen im Schleusenhangar auf den Start vor. Der Druckausgleich wurde durchgeführt, das Portal schob sich auf, und die Korvette hob langsam ab und startete in den freien Raum. Atlan hielt sich inmitten der Buhrlos an zwei Griffen fest und blickte durch die Sichtscheibe des Helms hinaus.

Quader.