Kathrin Röggla
»besser wäre: keine«
Essay
Fischer e-books
Kathrin Röggla, geboren 1971 in Salzburg, lebt in Berlin. Sie arbeitet als Prosa- und Theaterautorin und entwickelt Radiostücke. Für ihre Bücher erhielt sie zahlreiche Preise, darunter den Italo-Svevo-Preis, den Anton-Wildgans-Preis und den Arthur-Schnitzler-Preis; ›wir schlafen nicht‹ wurde mit dem Preis der SWR-Bestenliste und dem Bruno-Kreisky-Preis für das politische Buch ausgezeichnet. Im Fischer Taschenbuch Verlag sind lieferbar: ›Niemand lacht rückwärts‹, ›Abrauschen‹, ›Irres Wetter‹, ›really ground zero‹, ›wir schlafen nicht‹ und das Prosabuch ›die alarmbereiten‹, das mit dem Franz-Hessel-Preis geehrt wurde. Im Frühjahr 2012 erscheinen gesammelte Essays und Theaterstücke unter dem Titel: ›besser wäre: keine‹.
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Erschienen bei FISCHER E-Books
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2013
Der vorliegende Text entstammt der Ausgabe: Röggla, Besser wäre: keine. Essays und Theater. Als E-Book erhältlich unter ISBN 978-3-10-401733-4.
Covergestaltung: hißmann, heilmann, hamburg
Coverabbildung: Oliver Grajewski
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ISBN 978-3-10-402673-2
Mike Davis: Planet of Slums, 2006. Dt. Übers: Planet der Slums. Berlin/Hamburg 2007, S. 82.
Das seltsamste Telefonat, das ich in meiner Literaturkarriere wohl führte, begann mit dem Satz: »Ich stehe mit meinen Studenten gerade in den Baumwollfeldern. Meine Studenten sind müde, hungrig, krank, schmutzig und wollen nur eines: nach Hause.« Dies rief der Dekan ins Telefon, und es hörte sich an, als käme seine Stimme vom Mars. An eine Lesung sei also nicht zu denken, musste er erst gar nicht mehr hinzusetzen, und so verabschiedete man sich nach einigen Höflichkeitsfloskeln und legte auf. Schon auf der Fahrt nach Samarkand hatte ich erfahren, dass die Zwangsarbeitsdienste, an denen sich Schüler und Studenten beteiligen müssen, bis zu zwei Monate dauern können. Zwei Monate, in denen sie auf den zahllosen Feldern Usbekistans stehen und diese unendlich mühsame Arbeit praktisch unbezahlt machen müssen. Fünfzig Prozent der bebaubaren Fläche des Landes hat jener Baumwollirrsinn im Griff, der nicht nur den Aralsee austrocknen lässt, sondern auch einen unheimlichen Verschleiß an menschlicher Arbeitskraft bedeutet. Es herrscht sozusagen ein staatliches Baumwollgebot, und den genossenschaftsähnlich organisierten Bauern bleibt nichts anderes übrig, als diese anzubauen. »Alle Usbeken hassen die Baumwolle«, würde mir am Schluss des Aufenthaltes ein Weltbankmitarbeiter am Flughafen sagen, jetzt aber stand ich noch ratlos vor dem seltsam neu und, typisch für die Region, zugleich schon verschlissen wirkenden Universitätsgebäude auf einer der leergefegten Straßen Samarkands und fand mich wieder mitten in jener eigentümlichen paranoiden Kommunikationsstille, die mich in diesem Polizeistaat von Anfang an begleitet hatte. Jener typisch usbekischen Stille, die sich aus dem Verhallen von E-Mails, dem vergeblichen Warten auf einen Rückruf und der fehlenden Organisationsbereitschaft zusammensetzt. Eine Stille, die im krassen Gegensatz zu dem kommunikativen Gewusel, der gastfreundlichen Gesprächsbereitschaft von Kirgisistan, wo meine Reise begann, steht. Dort, so erinnerte ich mich plötzlich in Samarkand stehend sehnsuchtsvoll, waren Kontakte rasend schnell zustande gekommen, E-Mails wurden innerhalb eines Tages beantwortet, sogar Handynummern wurden ausgegeben. Ich bewegte mich also auf der leergefegten Straße langsam in Richtung Hotel zurück und dachte mir: Wie komme ich eigentlich hierher? Wieso will ich in so einem Land überhaupt auftreten?