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Christine Schirrmacher – Islam und Demokratie | Ein Gegensatz? – SCM Hänssler

SCM Stiftung Christliche Medien

Inhalt

Kurz und bündig …

Vorwort des Herausgebers

Einleitung

I. Kennzeichen einer Demokratie

1. Haben Demokratien christliche Wurzeln?

2. Wäre der Demokratie mit einem »christlichen Staat« besser gedient?

II. Islam und Demokratie: Ein Gegensatz?

 1. Die Arabische Revolution: Weg in die Demokratie?

 2. Warum wurden Islamisten in die Regierung gewählt?

 3. Entstehen im Nahen Osten Demokratien?

 4. Konfliktpunkte zwischen einem islamischen Rechtssystem und einer Demokratie

 5. Warum sind Verbesserungen der Menschenrechtslage so schwierig?

 6. Voraussetzungen für die Entstehung »islamischer Demokratien«

III. Positionen muslimischer Intellektueller zur Demokratie heute

  1. Ablehnung der Demokratie

  2. Teilzustimmung zur Demokratie

  3. Bejahung der Demokratie

IV. Ausblick: Hat die Demokratie in islamisch geprägten Ländern eine Chance?

    Literatur

    Anmerkungen

Kurz und bündig …

Geht es Ihnen nicht auch so? Über manch einen Themenbereich würde man gerne als Normalbürger Bescheid wissen (oder muss es vielleicht sogar). Doch was die Fachleute schreiben, ist im Normalfall zu kompliziert und zu umfangreich. Wer hat schon Zeit, sich in jedes Thema wochenlang einzuarbeiten!?

Hier wollen wir Hilfestellung leisten. In Hänssler kurz und bündig geben Fachleute, die sich mit einem Thema schon seit Jahren intensiv beschäftigen, kurz und verständlich einen Überblick über das, was man wissen muss, wenn man Bescheid wissen will und mitreden können möchte.

Dabei enthält jeder Band der Reihe Hänssler kurz und bündig die folgenden Elemente:

All das ist so angelegt, dass der Leser sich in zwei bis drei Stunden (also etwa statt des Abendkrimis oder auf einer Zugfahrt) ein Thema in seinen Grundlagen aneignen kann. Die Anwendung im Leben oder das anschließende Gespräch mit anderen wird dann aber sicher etwas länger dauern …

Ich würde mir wünschen, dass dieser kleine Band Ihren Horizont erweitern kann und die Informationen liefert, die Sie suchen.

Thomas Schirrmacher

Vorwort des Herausgebers

Arabellion, Demonstrationen im Iran, Anschläge der Hamas in Israel, Bundeswehreinsätze in Afghanistan und in der Türkei, »Islamkonferenz« in Berlin, Erdogan in Deutschland, Religionsunterricht und Imamausbildung an deutschen Universitäten – an dem Thema »Islam und Demokratie« kommt kein Fernsehzuschauer, kein Zeitungsleser und kein Entscheidungsträger mehr vorbei. Doch wo eigentlich zunächst Information gefragt wäre, scheinen Schlagzeilen und Negativnachrichten sowie Schwarz-Weiß-Urteile das Thema zu besetzen. Doch wer hat schon so viel Zeit und das nötige Hintergrundwissen, um sich ausführlich in die Thematik einzuarbeiten?

Hier kommt der Band »Islam und Demokratie« bei kurz und bündig gerade richtig. Denn zwei Stunden sollte jeder für ein Thema investieren können, das uns noch lange in Atem halten wird. Die Autorin ist für das Thema dreifach gewappnet. Zum Ersten kennt sie die relevanten Texte islamischer Vordenker im Original und lehrt an mehreren Universitäten, Akademien und Behörden zu diesen Themen. Zum Zweiten kennt sie viele muslimische Theologen und Intellektuelle von persönlichen Begegnungen, solche, die sich nicht im Sinne der Demokratie äußern ebenso wie Vorkämpfer für Freiheitsrechte. Und Drittens hat sie viele islamische Länder bereist und dabei viele Menschen vor Ort kennengelernt.

Der Band kommt deswegen differenziert und faktenbetont daher, bleibt aber nicht im Nebulösen stecken, sondern bezieht Position. Der große Erfolg der beiden anderen kurz- und- bündig-Bände der Autorin »Die Scharia« und »Islamismus« zeigt, dass das auch bei solch emotional besetzten Themen möglich ist.

Thomas Schirrmacher

Einleitung

Warum existieren bis heute unter den islamisch geprägten Staaten so wenige Demokratien? Stellen Islam und Demokratie unvereinbare Gegensätze dar? Verbietet der Islam die Einführung demokratischer Systeme? Oder gibt es innerhalb der islamischen Theologie und Geschichte Anknüpfungspunkte, die eine umfassende Begründung und Befürwortung der Demokratie stützen könnten?

Nicht nur für die Region des Nahen Ostens sind diese Fragen relevant, wo das weitgehende Fehlen demokratischer Strukturen – mit Ausnahme der Türkei – augenfällig ist: »Von den 47 ›islamischen Staaten‹ (solche mit mehrheitlich moslemischer Bevölkerung) sind mehr als 90 % nicht ›frei‹; 77 % müssten sogar als Diktaturen betrachtet werden«1; eine Sichtweise, die auch nach Ausbruch der Arabischen Revolutionen nicht grundsätzlich zu revidieren ist.2 Die Frage liegt nahe, ob für diesen Umstand der Islam verantwortlich ist. Allerdings ist ausgerechnet das bevölkerungsreichste islamisch geprägte Land, Indonesien, eine echte Demokratie, ebenso wie der inzwischen überwiegend muslimische Libanon. Sind es also eher gesellschaftliche und politische Entwicklungen, die die Demokratie in arabischen Ländern bisher wenig Fuß fassen ließen? Und: Was müsste sich ändern, damit sich in der MENA-Region, 3 also im Nahen Osten und Nordafrika, echte Demokratien entwickeln könnten?

Aber nicht nur für den Nahen Osten und Nordafrika ist die Frage der Vereinbarkeit von Demokratie und Islam von Bedeutung. Auch für Europa besitzt sie Relevanz, wo Muslime seit über 50 Jahren in demokratischen Gesellschaften leben. Viele schätzen die dortigen Freiheiten und Vorzüge überaus, inklusive der demokratischen Strukturen, und leben lieber in westlichen Gesellschaften als in ihren Herkunftsländern bzw. den Herkunftsländern ihrer Vorfahren. Teilweise haben sie europäische Staatsbürgerschaften angenommen. Einige ihrer Meinungsführer und Theologen warnen jedoch die muslimische Minderheit nachdrücklich vor einer zu weitgehenden Integration und Teilhabe an demokratischen Prozessen. Sie rufen sie dazu auf, sich abzuschotten und sich ihrer endgültigen Beheimatung in Europa zu verweigern. Besonders die in die Schlagzeilen geratenen Salafisten fallen durch ihre lautstarke Ablehnung der Demokratie und westlichen Gesellschaft auf. Können sich Salafisten bei ihrem Urteil über die Demokratie auf den Islam berufen? Was sagen Koran, Überlieferung und islamische Theologen zum Thema Demokratie und legitime Herrschaft?

Andere Sprecher der muslimischen Gemeinschaft bejahen die Demokratie zwar als ureigenes islamisches Prinzip, begründen dann jedoch nur Teilaspekte der Demokratie mit dem Islam, während sie andere ablehnen, wie zum Beispiel den freien Religionswechsel auch für Muslime oder die Veröffentlichung von Muhammad-Karikaturen. Damit vereinnahmen sie die Demokratie und deuten sie um, bis sie in ihren vorgegebenen Deutungsrahmen hineinpasst. Sie islamisieren gewissermaßen das westliche Verständnis von Demokratie und modifizieren es im Rahmen ihres eigenen Demokratiekonzeptes: Alle aus ihrer Sicht nicht mit dem Islam zu rechtfertigenden Aspekte der Demokratie müssen abgelehnt werden. Demokratie darf für sie nur das sein, was ihnen nützt (wie etwa die Freiheit zur Verbreitung des Islam), aber nicht, was ihren von der Scharia, dem islamischen Recht, geprägten Rechtsauffassungen widerspricht (wie die westliche Pressefreiheit, die auch die Veröffentlichung von Karikaturen mit einschließt). Dieses umgedeutete Demokratiekonzept ist allenfalls noch ein Bruchstück echter Demokratie.

Wieder andere muslimische Intellektuelle, Theologen oder Autoren haben in den letzten zwei Jahrzehnten verschiedene Modelle der Vereinbarkeit des Islam mit Freiheits- und Gleichheitsrechten sowie der Begründung der Demokratie aus dem Islam entworfen. Worauf bauen sie ihre Argumente? Sind ihre Entwürfe Wegweiser in die Zukunft? Welche Bedeutung haben sie für die etablierte islamische Theologie? Und welche Voraussetzungen müssten geschaffen werden, um der Demokratie in islamisch geprägten Gesellschaften zu Akzeptanz und Durchsetzung zu verhelfen?

I.Kennzeichen einer Demokratie

Der Begriff »Demokratie«, zusammengesetzt aus »Volk« (griechisch: demos) und »Herrschaft« (griechisch: kratos), stammt aus dem antiken Griechenland und stand dort für eine unmittelbar vom Volk ausgehende und durch das Volk ausgeübte Herrschaft. Der Höhepunkt der dort entwickelten Demokratie wird meist zu Beginn des fünften vorchristlichen Jahrhunderts angesetzt.4 Im weiteren Sinne bezeichnet der Begriff »Demokratie« eine Regierung, der nach dem Willen einer Mehrheit durch freie Wahlen an die Macht verholfen wurde und die durch deren Willensentscheid legitimiert ist. In einer Demokratie ist also das Volk eigentlicher Träger der Staatsgewalt, das seine gewählten Vertreter mit der Formulierung einer Verfassung und der Gestaltung eines politischen Systems beauftragt.

Demokratien zeichnen sich durch Gewaltenteilung aus, die sich in eine Exekutive (die Regierung), eine Legislative (das Parlament) und eine Judikative (unabhängige Gerichte) gliedert. Demokratien agieren im Rahmen der geltenden Verfassung und respektieren die dem Bürger sowie einzelnen Gruppen (besonders Religionsgemeinschaften) zugesprochenen Grundrechte. Dazu zählen vor allem die politische und persönliche Meinungs-, Presse-, Religions- und Organisationsfreiheit. Demokratien räumen politischen Oppositionen Existenz- und Handlungsspielräume ein sowie die Möglichkeit zur freien Meinungsäußerung und friedlichen Veränderung der Machtverhältnisse.

Von einer Demokratie wird erwartet, dass sie ein rechtsstaatliches System verkörpert, Rechtssicherheit schafft, ihre Vertreter für ihr Handeln dabei zur Verantwortung gezogen werden können und diese sich selbst an die geltenden Gesetze halten. Echte Demokratien lassen allen Bürgern die freie Wahl zwischen verschiedenen Volksvertretern. Insbesondere räumen sie ihren Bürgern die Möglichkeit ein, eine Regierung durch Mehrheitsentscheidung friedlich abzulösen und durch gleiche, freie, allgemeine und geheime Wahlen durch eine andere ersetzen zu können.

Obwohl es in der Politikwissenschaft voneinander abweichende Demokratietheorien gibt, besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass eine der wichtigsten Grundvoraussetzungen für eine Demokratie die Gleichheit und Freiheit aller Bürger ist: Die grundsätzliche Gleichheit aller Menschen hat ihre Gleichbehandlung vor dem Gesetz zur Folge, aber auch das gleiche Maß an Rechten und Freiheiten, das ihnen innerhalb des Rechtsstaates zugebilligt wird. Die Freiheit der Bürger umschreibt ihre Freiheit zur Selbstbestimmung, die Freiheit zur Bildung einer eigenständigen persönlichen, politischen wie religiösen Meinung und eine daraus sich ergebende Handlungsfreiheit durch die Teilhabe an politischen Prozessen, aber auch die Freiheit bzw. das Recht auf Schutz vor staatlicher Willkür und Rechtsverletzung. Damit sind die demokratischen Grundrechte angesprochen, die inhaltlich eng mit dem Grundsatz von Freiheit und Gleichheit verknüpft sind. Meist sind sie in der Verfassung niedergelegt und einklagbar. Zu den unveräußerlichen Grundrechten gehören in Deutschland etwa der Schutz der Menschenwürde, das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, auf körperliche Unversehrtheit, auf Gleichberechtigung von Männern und Frauen, auf Glaubens- und Meinungsfreiheit sowie auf eine freie Berufswahl.

1. Haben Demokratien christliche Wurzeln?

Eine Demokratie ist keine religiös legitimierte Herrschafts- oder Staatsform, von daher kann sie per se nicht »christlich« sein. Sie besitzt allerdings nach vielfacher Auffassung einige Kennzeichen, die man als politische Umsetzung einiger christlicher Grundprinzipien bezeichnen könnte, auch wenn nicht alle Demokratien – das gilt vor allem für Indonesien und die Türkei – kulturell vom Christentum geprägt sind: »Heute sind von weltweit 88 freien Demokratien 79, also 90 Prozent, mehrheitlich christlich. Daneben steht eine jüdische Demokratie und sieben mit Mehrheiten fernöstlicher Religionen, wobei in Mauritius und Südkorea die Christen eine zweite große Bevölkerungsgruppe darstellen.«5 Dennoch gilt: Das »Christentum passt zur Demokratie wie die Hand zum Handschuh«6, weil »die freiheitliche Demokratie« nach Auffassung führender Vertreter der evangelischen wie katholischen Kirche »in besonderer Weise dem christlichen Menschenbild entspricht«, 7 auch wenn Christen, wie dieselbe Verlautbarung betont, von »keinem menschlichen Handeln« – also auch von keiner Regierungsform – »die umfassende Verwirklichung des Guten oder gleichsam die Schaffung einer vollkommenen und problemlosen Welt erwarten« können.8

Es ist eine christliche Grundannahme, dass Menschen fehlbar sind und Macht daher zum Machtmissbrauch verleiten kann. Der Versuch, die Macht der Machthabenden zu beschränken, kommt innerhalb der Demokratie durch die Möglichkeit der Abwahl aller demokratisch gewählten Volksvertreter sowie durch das Vorhandensein von Kontrollgremien (wie etwa dem Parlament) zum Ausdruck. Das Prinzip des allgemeinen und gleichen Wahlrechts, das jedem Bürger dieselbe Anzahl an Stimmen und dasselbe Gewicht seiner Stimme zumisst, kann als politische Umsetzung des biblischen Gedankens von der Gleichheit aller Menschen vor Gott betrachtet werden. So wie der einzelne Mensch vor Gott frei ist in seiner Entscheidung und in erster Linie seinem Gewissen verpflichtet, so ist es auch der Bürger in einer Demokratie, in der freie und vor allem geheime Wahlen eine Manipulation der Wahlentscheidung verhindern sollen. So ist stellvertretendes Wählen oder das Beratschlagen mit anderen in der Wahlkabine untersagt.

Als notwendige Voraussetzungen für die Entstehung der demokratischen Verfassungsstaaten nennen manche Autoren darüber hinaus die Entsakralisierung weltlicher Herrschaft, also die Abkehr von der Auffassung, dass sich in der weltlichen Herrschaft eine unhinterfragbare, quasi göttliche Autorität manifestiert. Dies ist nur möglich, wenn die menschliche Fehlbarkeit des Machthabers auch als solche erkannt wird. Herrschende sind nach dieser Auffassung keine unfehlbaren und unhinterfragbaren Gottkönige, sondern korrekturbedürftige Verwalter in herausgehobener Position. Dies entspricht der biblischen Erkenntnis von der Anfälligkeit aller Menschen für Versuchungen sowie dem generellen Verbot, Menschen an die Stelle Gottes zu setzen. Insbesondere das Gottkaisertum der Römerzeit ist ein warnendes Beispiel für die Gefahren, die einer Gesellschaft aufgrund der unbegrenzten Machtfülle eines Herrschers erwachsen, der wie ein Gott regiert und als solcher verehrt wird. Gerade an das Gottkaisertum der Römer richtet Jesus seine Aufforderung, weltliche und religiöse Sphären zu trennen und Gott und dem Kaiser jeweils das zu geben, was ihnen zukommt (Matthäus 22,21).

Dass der Regierende sich prinzipiell weiter auf derselben Ebene wie die Regierten befindet und ihr nicht per se enthoben ist, kann durchaus als politische Umsetzung des christlichen Menschenbildes betrachtet werden, das jedem Menschen dieselbe unveräußerliche Gottesebenbildlichkeit zuspricht. Die Rechenschaftspflicht des Regierenden in seiner Wahrnehmung politischer Verantwortung könnte als Umsetzung des biblischen Grundsatzes der Beurteilung jedes Menschen und seiner Haushalterschaft verstanden werden, dem zufolge alle ohne Ansehen der Person vor Gott und Menschen Rechenschaft ablegen müssen (Lukas 12,20).9 Logische Konsequenz aus der Gottesebenbildlichkeit des Menschen, seiner Würde und Freiheit ist auch seine Gewissens- und Religionsfreiheit. Die unveräußerliche Würde des Menschen, die seiner Gottesebenbildlichkeit als Geschöpf entspringt, nimmt ihn vor dem ganzheitlichen Zugriff durch andere in Schutz, also »vor dem Staat, vor der Gesellschaft, vor dem Volk, vor dem Konsens«, 10 und damit vor einer gänzlichen Vereinnahmung und Gefangennahme unter totalitäre Ansprüche in Denken und Handeln ohne anderweitige Handlungsoptionen.

2. Wäre der Demokratie mit einem »christlichen Staat« besser gedient?