Copyright: © Junfermann Verlag, Paderborn 2015

Copyright: © der Originalausgabe: John Wiley & Sons Ltd, 2002

Die Originalausgabe ist 2002 unter dem Titel „Think Good – Feel Good. A Cognitive Behaviour Therapy Workbook for Children and Young People“ bei John Wiley & Sons erschienen.

Übersetzung: Elisabeth Vorspohl

Coverfoto: naliaschwarz – photocase.com

Covergestaltung / Reihenentwurf: Christian Tschepp

Alle Rechte vorbehalten.

Erscheinungsdatum dieser eBook-Ausgabe: 2015

Satz & Digitalisierung: JUNFERMANN Druck & Service, Paderborn

ISBN der Printausgabe: 978-3-95571-023-1

ISBN dieses E-Books: 978-3-95571-400-0 (EPUB), 978-3-95571-401-7 (MOBI), 978-3-95571-402-4 (PDF).

1. Kognitive Verhaltenstherapie: theoretische Ursprünge, Behandlungsprinzipien und -techniken

Als Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) werden psychotherapeutische Interventionen bezeichnet, die psychischen Disstress und fehlangepasstes Verhalten reduzieren sollen, indem sie kognitive Prozesse verändern (Kaplan et al., 1995). Der KVT liegt die Annahme zugrunde, dass unsere Affekte und unser Verhalten in hohem Maß durch Kognitionen erzeugt werden. Das bedeutet zugleich, dass kognitive und verhaltensorientierte Interventionen unser Denken, Fühlen und unser Verhalten beeinflussen können (Kendall, 1991). Deshalb stützt sich die KVT auf zentrale Elemente der Kognitions- sowie der Verhaltenstheorien. Kendall und Hollon (1979) definieren ihre Ziele wie folgt: Die Kognitive Verhaltenstherapie macht sich

„die Wirksamkeit der verhaltenstherapeutischen Techniken zunutze, gestaltet den Behandlungskontext jedoch weniger doktrinär, um der Art und Weise, wie Kinder Ereignisse kognitiv interpretieren und ihnen Bedeutung zuschreiben, Rechnung zu tragen.“

Im Bereich der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie findet die KVT wachsendes Interesse. Angeregt wurde es durch Forschungsberichte, die sie als vielversprechende und effektive Intervention zur Behandlung psychischer Probleme im Kindesalter beschreiben (Kazdin & Weisz, 1998; Roth & Fonagy, 1996; Wallace et al., 1995). Sie ist nachweislich geeignet zur Therapie generalisierter Angststörungen (Kendall, 1994; Kendall et al., 1997; Silverman et al., 1999a), depressiver Störungen (Harrington et al., 1998; Lewinsohn & Clarke, 1999), interpersonaler Schwierigkeiten und sozialer und anderer Phobien (Spence & Donovan, 1998; Spence et al., 2000; Silverman et al., 1999b), der Schulverweigerung (King et al., 1998b) und der Folgen von sexuellem Missbrauch (Cohen & Mannarino, 1996, 1998). Die KVT hat sich im Schmerzmanagement (Sanders et al., 1994) bewährt und wird darüber hinaus zur Behandlung mannigfaltiger weiterer Probleme empfohlen, etwa der adoleszenzspezifischen Verhaltensstörungen (Herbert, 1998), der Essstörungen (Schmidt, 1998), der Posttraumatischen Belastungsstörung (March et al., 1998; Smith et al., 1999) und der Zwangsstörungen (March, 1995; March et al., 1994).

Kognitive Verhaltenstherapie fokussiert auf die Beziehung zwischen

Kognitive Verhaltenstherapie kann eine Reihe häufig auftretender psychischer Schwierigkeiten im Kindes- und Jugend­lichenalter nachweislich positiv beeinflussen.

1.1 Die empirischen Grundlagen der Kognitiven Verhaltenstherapie

Zur Entwicklung der theoretischen Grundlagen der Kognitiven Verhaltenstherapie trugen bedeutsame wissenschaftliche Erkenntnisse bei. Dieses Forschungsgebiet vorzustellen würde den Rahmen des Buches sprengen. Unbedingt zu erwähnen sind jedoch die zentralen Konzepte und Überlegungen, die das Fundament der KVT bilden und sie maßgeblich geprägt haben.

Zu den ältesten Einflüssen zählen Iwan Petrowitsch Pawlows Arbeiten über die klassische Konditionierung. Pawlow demonstrierte, dass natürliche Reaktionen (z. B. der Speichelfluss) mit spezifischen Reizen (z. B. einem Glockenton) assoziiert (d. h. konditioniert) werden können, wenn man das Zusammentreffen nur häufig genug wiederholt. Seine Experimente mit Hunden belegten, dass emotionale Reaktionen (z. B. Angst) durch spezifische Ereignisse und Situationen konditioniert werden können.

Emotionale Reaktionen können an spezifische Ereignisse gekoppelt (konditioniert) werden.

Joseph Wolpe (1958) erforschte die klassische Konditionierung in Bezug auf das menschliche Verhalten und auf klinische Probleme. Er entwickelte das Verfahren der systematischen Desensibilisierung: Indem er angsterregende Reize mit einem zweiten Stimulus paarte, der eine antagonistische Reaktion (Entspannung) auslöst, konnte er die Angstreaktion reziprok hemmen. Das Verfahren kommt in der klinischen Praxis nach wie vor häufig zur Anwendung, und zwar in Verbindung mit einer allmählichen – direkten oder imaginären – Exposition an eine Hierarchie von Angstsituationen bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung des entspannten Zustandes.

Emotionale Reaktionen können reziprok gehemmt werden.

Der zweite bedeutsame Einfluss, den die Verhaltensforschung auf die Entwicklung der KVT ausübte, ging von der Arbeit B. F. Skinners (1974) aus. Er wies nach, welche große Bedeutung der Umwelt für unser Verhalten zukommt. Bekannt wurden seine Studien unter dem Stichwort operante Konditionierung; sie konzentrierten sich auf die Beziehung zwischen Antezedenten (Rahmenbedingungen), Konsequenzen (Verstärkung) und Verhalten, kurz: Wenn ein bestimmtes Verhalten immer öfter auftritt, weil es positive Konsequenzen zur Folge hat oder keine negativen nach sich zieht, spricht man davon, dass es „verstärkt“ wurde.

Mit der Entwicklung der Theorie des sozialen Lernens führte Albert Bandura (1977) eine wichtige Erweiterung der Verhaltenstherapie ein, die der Vermittlungsfunktion kognitiver Vorgänge Rechnung trägt. Seine Theorie erkennt die Bedeutsamkeit der Umwelt an, unterstreicht aber die Vermittlerrolle der zwischen Reiz und Reaktion intervenierenden Kognitionen. Laut Bandura erwerben wir Fertigkeiten, indem wir andere Menschen bei deren Ausführung beobachten. Er entwarf ein Modell der Selbstkontrolle, das auf Selbstbeobachtung, Selbstbeurteilung und Selbstverstärkung beruht.

Ins Zentrum rückten die Kognitionen schließlich im Werk von Donald Meichenbaum (1975), der das Selbstinstruktionstraining entwickelte. Meichenbaum ging davon aus, dass ein Großteil unseres Verhaltens der Kontrolle durch unsere Gedanken oder durch „inneres Sprechen“ unterliegt. Infolgedessen können veränderte „Selbstinstruktionen“ es uns ermöglichen, angemessenere Techniken der Selbstkontrolle zu entwickeln. Das Modell ist entwicklungspsychologisch orientiert und spiegelt den Prozess wider, durch den Kinder ihr Verhalten zu steuern lernen. Dieser Prozess besteht aus vier Schritten: Beobachtung eines anderen Menschen, der eine vorgegebene Aufgabe löst, Durchführung derselben Aufgabe mithilfe der verbalen Instruktionen durch eine andere Person, Durchführung der Aufgabe mithilfe eigener Anweisungen, die man sich laut vorsagt, und schließlich die Durchführung mithilfe geflüsterter bzw. stummer Selbstinstruktionen.

Albert Ellis (1962) beschrieb den Zusammenhang zwischen Emotionen und Kognitionen im Kontext der Rational-Emotiven Verhaltenstherapie. Sein Modell beruht auf der Annahme, dass Emotion und Verhalten nicht aus den Ereignissen an sich hervorgehen, sondern aus der Art und Weise, wie wir sie konstruieren. Das heißt, wir bewerten aktivierende Ereignisse (A) nach Maßgabe bestehender Überzeugungen (B = belief); diese Bewertung hat emotionale Konsequenzen (C = consequences). Überzeugungen können rational oder irrational sein; irrationale Überzeugen begünstigen negative emotionale Zustände und deren Langlebigkeit.

Die Rolle, die fehlangepasste und verzerrte Kognitionen für die Entwicklung von Depressionen und deren Chronifizierung spielen, wurde von Aaron Beck erforscht. Sein Buch Cognitive Therapy for Depression (Beck, 1976; Beck et al., 1979), in dem er seine Studien publizierte, avancierte zum Klassiker. Becks Modell postuliert, dass fehlangepasste Gedanken über das Selbst, die Welt und die Zukunft (kognitive Trias / kognitives Dreieck) zu kognitiven Verzerrungen führen, die wiederum negative Affekte auslösen. Besondere Aufmerksamkeit widmete Beck den Grundannahmen oder Schemata, das heißt relativ fest verankerten, schon in der Kindheit entwickelten Überzeugungen, nach deren Maßgabe wir Ereignisse beurteilen. Einmal aktiviert, setzen diese Grundannahmen eine Serie automatischer Gedanken in Gang. Solche automatischen Gedanken und Überzeugungen weisen zumeist Verzerrungen oder logische Fehler auf. Negative Kognitionen sind mit einer depressiven Stimmung assoziiert.

Der Zusammenhang zwischen kognitiven Prozessen, emotionalen Zuständen und psychischen Problemen gilt mittlerweile als gesichert (Beck et al., 1985; Hawton et al., 1989). Seit etlichen Jahren richtet sich das Interesse vor allem auf die Erforschung der Beziehung zwischen verschiedenen Überzeugungen / Schemata, die sich im Kontext der Entstehung und der Aufrechterhaltung psychischer Probleme beobachten lässt. Repräsentativ dafür ist die Schematherapie von Jeffrey E. Young (1990). Er nimmt an, dass fehlangepasste (maladaptive) kognitive Schemata ihren Ursprung in der Kindheit haben und selbstdestruktiven Verhaltensmustern Vorschub leisten, die lebenslang wiederholt werden. Die fehlangepassten Schemata sind mit spezifischen Erziehungsstilen der Eltern assoziiert und entwickeln sich, weil die emotionalen Grundbedürfnisse des Kindes nicht befriedigt werden. Empirisch nachgewiesen wurden 15 primäre Schemata (Schmidt et al., 1995). Wobei dieses ursprüngliche Konzept inzwischen um weitere drei Schemata ergänzt worden ist. Loose, Graf und Zarbock (2013) beispielsweise unterscheiden 18 Schemata und die drei Bewältigungsstrategien Erdulden (freeze / fright), Vermeiden (flight) und Überkompensieren (fight).

Maladaptive kognitive Schemata entwickeln sich in der Kindheit und hängen möglicherweise direkt mit dem Erziehungsstil der Eltern zusammen.

Die empirische Überprüfung dieses Zusammenhangs wird unter anderem bei Loose, Graf und Zarbrock (2013) thematisiert. Für alle, die beruflich für das psychische Wohlergehen von Kindern und Jugendlichen verantwortlich sind, ergibt sich also die spannende Aufgabe, zu klären, ob besser angepasste kognitive Prozesse gefördert und künftige psychische Schwierigkeiten verhindert werden können.

1.2 Das kognitive Modell

Die Kognitive Verhaltenstherapie versucht zu verstehen, wie Ereignisse und Erfahrungen interpretiert und durch welche Verzerrungen oder Defizite kognitive Verarbeitungsprozesse beeinträchtigt werden.

Abbildung 1.1 zeigt in Anlehnung an das Werk von Aaron Beck, wie dysfunktionale kognitive Prozesse erworben und aktiviert werden und wie sie das Verhalten und die Emotionen beeinflussen.

Abbildung 1.1: Das kognitive Modell

Auf der Grundlage früher Erfahrungen sowie des Erziehungsstils der Eltern entwickeln sich diesem Modell zufolge relativ fixierte, starre Denkweisen (Grundüberzeugungen / Schemata). Neue Informationen und Erfahrungen werden anhand dieser Grundüberzeugungen / Schemata (z. B.: „Ich muss erfolgreich sein“) bewertet; Informationen, die diese Überzeugungen verstärken und aufrechterhalten, werden selektiv registriert und akzeptiert. Grundüberzeugungen / Schemata werden durch bedeutsame Ereignisse (z. B. eine Prüfung) „getriggert“; ihre Aktivierung ruft die entsprechenden Annahmen auf den Plan (z. B.: „Ich bekomme nur dann eine gute Note, wenn ich den ganzen Tag lang lerne“). Die Annahmen aktivieren wiederum einen Strom automatischer Gedanken, die sich auf die Person selbst beziehen (z. B.: „Ich bin offenbar strohdumm“), auf ihre Leistung („Ich habe mich nicht genügend angestrengt“) und auf die Zukunft („Ich werde durch die Abi-Prüfungen fallen und deshalb nie studieren können“). Ebendiese Gedanken über das Selbst, die eigenen Leistungen und die persönliche Zukunft werden häufig zusammenfassend als kognitive Trias oder kognitives Dreieck bezeichnet. Sie können emotionale Veränderungen auslösen (ängstlich oder traurig stimmen), das Verhalten verändern (jemanden in einen unablässig lernenden Stubenhocker verwandeln) und zu körperlichen / physiologischen Veränderungen (Appetitverlust, Schlafstörungen) führen.

1.3 Kognitive Defizite und Verzerrungen

Die Kognitive Verhaltenstherapie führt psychopathologische Entwicklungen auf Anomalien der kognitiven Verarbeitung zurück, präziser: Psychische Schwierigkeiten gehen Hand in Hand mit kognitiven Verzerrungen oder Defiziten.

Kognitive Verzerrungen finden sich bei Kindern im Zusammenhang mit mannigfaltigen Schwierigkeiten. Zum Beispiel nehmen Kinder mit Angststörungen Ereignisse, deren Bedeutung unklar ist, als bedrohlich wahr (Kendall et al., 1992). Sie sind tendenziell auffällig selbstbezogen und überkritisch und neigen nach eigener Aussage besonders oft zu Selbstgesprächen und negativen Erwartungen (Kendall & Panichelli-Mindel, 1995). Aggressive Kinder hingegen vermuten hinter mehrdeutigen Situationen böse Absichten. Um die Intentionen anderer Menschen zu interpretieren, orientieren sie sich selektiv an einer geringeren Zahl von Hinweisen als normale Kinder (Dodge, 1985). Depressive Kinder neigen in höherem Maße als nicht depressive Gleichaltrige zu negativen Zuschreibungen und führen negative Ereignisse mit höherer Wahrscheinlichkeit auf innere stabile Ursachen, positive hingegen auf äußere instabile Ursachen zurück (Bodiford et al., 1988; Curry & Craighead, 1990). Sie nehmen eigene Leistungen verzerrt wahr und konzentrieren ihre Aufmerksamkeit vorrangig auf die negativen Merkmale von Ereignissen (Kendall et al., 1990; Leitenberg et al., 1986; Rehm & Carter, 1990).

Interventionen zur Modifizierung kognitiver Verzerrungen sollen das Gewahrsein des Kindes für dysfunktionale und irrationale Kognitionen, Grundüberzeugungen und Schemata schärfen und sein Verständnis für deren Auswirkungen auf Verhalten und Gefühle verbessern. Teil der meisten Behandlungsprogramme sind diese oder jene Form der Selbstbeobachtung, das Identifizieren fehlangepasster Kognitionen, das Überprüfen der eigenen Gedanken sowie die kognitive Umstrukturierung.

Defizite der kognitiven Prozesse, etwa die Unfähigkeit, zu planen oder Probleme zu lösen, wurden bei Kindern und jungen Menschen beobachtet, die unter Schwierigkeiten mit der Selbstkontrolle – zum Beispiel an einer Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) – leiden, aber auch bei Kindern mit interpersonalen Problemen (Kendall, 1993; Spence & Donovan, 1998). So verfügen aggressive Kinder über eingeschränkte Fähigkeiten zur Problemlösung; auch ihre Fähigkeit, Schwierigkeiten verbal zu lösen, ist begrenzt (Lochman et al., 1991; Perry et al., 1986). Kinder mit einer Sozialphobie weisen Defizite in ihren sozialen Kompetenzen auf, während antisoziale Kinder in ihrer sozialen Wahrnehmung gravierend beeinträchtigt sind (Chandler, 1973; Spence et al., 1999).

Kognitiv-verhaltenstherapeutische Interventionen zur Bearbeitung der kognitiven Defizite zielen in erster Linie auf die Vermittlung neuer kognitiver und behavioraler Fertigkeiten. Die meisten Behandlungsprogramme konzentrieren sich auf Fähigkeiten zur Lösung sozialer Probleme und kognitive Strategien (z. B. Selbstinstruktionstraining und positive / Mut machende Selbstgespräche), auf das Einüben solcher Strategien und die Selbstverstärkung.

Zu verstehen, wie Kinder und Jugendliche Ereignisse und Erfahrungen kognitiv interpretieren, ist eine Grundvoraussetzung der KVT. Jede kognitive Intervention hat sich daran zu orientieren. (Weitere Informationen zu kognitiven Defiziten oder Verzerrungen, die zahlreichen Problemen des Kindesalters zugrunde liegen, sind einzusehen in Schlarb [2012].)

Erkenntnisse aus der Arbeit mit erwachsenen Patienten, die unter Posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) oder Zwangsstörungen leiden, verweisen auf die Notwendigkeit zu verstehen, wie das Trauma bzw. der Zwang vom Patienten selbst aufgefasst wird (Ehlers & Clark, 2000; Salkovskis, 1999). Eine langwierige Posttraumatische Belastungsstörung kann mit verzerrten kognitiven Prozessen einhergehen, die zur Folge haben, dass das Trauma an sich als gravierende aktuelle Bedrohung verstanden wird (Ehlers & Clark, 2000). In vergleichbarer Weise verzerrt sind auch die Kognitionen, die zahlreiche Zwangsstörungen aufrechterhalten; das heißt, die Betroffenen leben in der ständigen Angst, Schaden oder Unheil anzurichten, und haben ein übersteigertes Verantwortungsgefühl entwickelt (Salkovskis, 1999). Ob diese Verzerrungen auch schon bei Kindern auftreten, ist nicht gesichert. Klar ist indes, dass wir unser Verständnis der kognitiven Prozesse, die psychischen Schwierigkeiten und Störungen im Kindesalter zugrunde liegen, verbessern müssen.

1.4 Die charakteristischen Merkmale der Kognitiven Verhaltenstherapie

Der Begriff Kognitive Verhaltenstherapie bezeichnet eine Bandbreite unterschiedlicher Interventionen, die aber häufig zentrale Merkmale gemeinsam haben (Fennel, 1989).

KVT ist theoretisch fundiert

Der KVT liegen empirisch überprüfbare Modelle zugrunde, die sowohl die Behandlungsprinzipien (Affekt und Verhalten werden maßgeblich durch Kognitionen beeinflusst) als auch den Fokus und die Art der Therapie vorgeben (Infragestellung von Verzerrungen bzw. Bearbeitung von Defiziten). KVT ist kein Konglomerat disparater Techniken, sondern eine kohärente, rationale Intervention.

KVT beruht auf einem Modell der partnerschaftlichen Zusammenarbeit

Ein zentrales Merkmal der KVT ist die kollaborative Natur der therapeutischen Beziehung. Die Kinder oder Jugendlichen arbeiten aktiv daran mit, Behandlungsziele zu formulieren. Sie werden zum Experimentieren und Üben angehalten und beobachten und beurteilen ihre Leistungen. Dieser Ansatz ist einer stringenteren und effektiveren Selbstkontrolle zuträglich. Der Therapeut ist für den stützenden Rahmen verantwortlich. Darüber hinaus hat er die Aufgabe, es dem Kind oder Heranwachsenden in einer partnerschaftlichen Beziehung zu ermöglichen, seine Probleme besser zu verstehen und alternative Denk- und Verhaltensweisen zu entdecken.

KVT ist zeitlich begrenzt

KVT ist eine Kurzzeitbehandlung. Sie umfasst zumeist nicht mehr als 16 Sitzungen, häufig sogar weniger. Die kurze Dauer der Intervention fördert die Eigenständigkeit und ist Hilfe zur Selbsthilfe. Das Modell kann in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen mühelos eingesetzt werden. Die Dauer der Intervention ist in diesen Altersgruppen gewöhnlich deutlich kürzer als bei Erwachsenen.

KVT ist objektiv und strukturiert

Die KVT ist ein strukturiertes und objektives Verfahren. Die Kinder oder Jugendlichen werden durch einen Prozess der Beurteilung, Problemformulierung, Intervention, Überprüfung und Bewertung hindurchgeleitet. Die Behandlungsziele werden expliziert definiert und regelmäßig besprochen. Eine wesentliche Rolle spielen Quantifizierung und Ratings (zum Beispiel werden die Häufigkeit unangemessener Verhaltensweisen, die Hartnäckigkeit, mit der das Kind an dysfunktionalen Gedanken festhält, oder die Intensität trauriger oder verstörender Gefühle anhand von Skalen bewertet). Durch die regelmäßige Kontrolle lassen sich Fortschritte beurteilen, indem man die aktuelle Performanz mit den Bewertungen zu Beginn der Intervention vergleicht.

KVT fokussiert auf das Hier und Jetzt

KVT-Interventionen fokussieren auf die Gegenwart, auf aktuelle Probleme und Schwierigkeiten. Sie versuchen nicht,

„unbewusste frühe Traumata oder biologische, neurologische und genetische Faktoren aufzudecken, die an einer psychischen Dysfunktion beteiligt sind; stattdessen sollen sie die Fähigkeit vermitteln, die Welt auf neue, besser angepasste Weise zu verarbeiten.“

(Kendall & Panichelli-Mindel, 1995)

Dieser Ansatz leuchtet Kindern und Jugendlichen unmittelbar ein. Die Ursprünge ihrer augenblicklichen Schwierigkeiten sind für sie meist weniger interessant. Ihnen geht es in erster Linie darum, in der Gegenwart und ganz konkret etwas zu ändern.

KVT erfolgt durch einen Prozess der gelenkten Selbstentdeckung und des angeleiteten Experimentierens

Die KVT ist ein aktiver Prozess, der dazu ermutigt, sich selbst zu hinterfragen und seine Annahmen und Grundüberzeugungen in Zweifel zu ziehen. Der Therapeut erteilt dem Patienten keine Ratschläge und präsentiert ihm keine Entdeckungen; stattdessen regt er ihn dazu an, Fragen zu stellen und durch einen Prozess des Experimentierens zu lernen. Er hilft ihm, seine Gedanken, Annahmen und Grundüberzeugungen zu überprüfen, alternative Erklärungen zu entdecken und neue Möglichkeiten der Bewertung von Ereignissen und Verhaltensweisen zu finden, sie auszuprobieren und die Ergebnisse anschließend zu beurteilen.

KVT beruht auf dem Erlernen neuer Fertigkeiten

Die KVT dient Kindern und Jugendlichen als Möglichkeit, alternative Denk- und Verhaltensmuster zu erlernen. Die jungen Menschen werden ermutigt, Fertigkeiten und Denkweisen, die der Therapeut in den Sitzungen mit ihnen bespricht, ins Alltagsleben zu übertragen. Eine zentrale Komponente zahlreicher Programme bilden die Hausaufgaben.

1.5 Das Ziel der Kognitiven Verhaltenstherapie

Das eigentliche Ziel der Kognitiven Verhaltenstherapie besteht darin, durch den Erwerb besser angepasster kognitiver und behavioraler Stile das Selbstbewusstsein und Selbstverständnis zu verbessern und die Selbstkontrolle zu unterstützen. Die KVT hilft, dysfunktionale, also einseitig negative, verzerrte und übertrieben selbstkritische Gedanken und Überzeugungen zu identifizieren. Durch Selbstbeobachtung, Informationsvermittlung, Experimentieren und Überprüfen können diese Gedanken und Überzeugungen durch positivere, ausgewogenere und funktionalere Kognitionen ersetzt werden, die auch die eigenen Stärken und Erfolge anerkennen. Kognitive und behaviorale Defizite werden identifiziert, damit neue kognitive Fertigkeiten der Problemlösung und neue Verhaltensweisen erlernt, überprüft, bewertet und verstärkt werden können. Sie lassen positivere Gefühle auftauchen, die es dann auch ermöglichen, die Art und die Ursachen unangenehmer Gefühle besser zu verstehen. Und schließlich können schwierige Situationen dank der neu erworbenen kognitiven und behavioralen Fertigkeiten auf angemessenere Weise bewältigt werden.

Der Prozess hilft Kindern und Jugendlichen, den dysfunktionalen Kreislauf zu durchbrechen und ihn durch einen funktionalen zu ersetzen (siehe Abb. 1.2).

Abbildung 1.2: Dysfunktionaler und funktionaler Kreislauf

1.6 Die zentralen Komponenten kognitiv-verhaltenstherapeutischer Interventionen

Aufgrund der mannigfaltigen Einflüsse, die zur Entwicklung der Kognitiven Verhaltenstherapie beigetragen haben, ist es nicht überraschend, dass mit dem Begriff heute eine große Bandbreite an Behandlungstechniken und -strategien bezeichnet wird, die in je unterschiedlicher Aufeinanderfolge und Kombination praktiziert werden. Die spezifischen Komponenten des Verfahrens sollten nach Maßgabe der Problemformulierung ausgewählt werden; sie gibt den Fokus und die Art des Programms vor. Die Interventionen müssen auf die spezifischen Probleme und die individuellen Bedürfnisse des Kindes zugeschnitten sein; das heißt, sie dürfen nicht auf pauschale Weise, sozusagen „nach Einheitsrezept“, zum Einsatz kommen. Diese Flexibilität, die an sich begrüßenswert ist, hat jedoch auch Verwirrung gestiftet, weil mitunter nicht ganz klar ist, welche Interventionen KVT-spezifisch sind und welche nicht.

Die Verfahren, die unter dem Oberbegriff Kognitive Verhaltenstherapie empfohlen werden, weisen in Bezug auf ihre Gewichtung der kognitiven bzw. behavioralen Interventionen beträchtliche Unterschiede auf. Mitunter ist es tatsächlich schwierig, die kognitive Komponente überhaupt zu erkennen. So fokussieren zum Beispiel Interventionen für Kinder und Jugendliche mit Zwangsstörungen vorwiegend auf das Verhalten. Sie betonen Psychoedukation, Angstmanagement, graduelle Exposition und Reaktionsprävention (March, 1995). Die kognitive Komponente kommt dabei im Allgemeinen nur in extrem begrenztem Umfang zum Tragen, mitunter lediglich in Form einer einzigen Gruppe kognitiver Strategien (zum Beispiel positive Selbstgespräche oder Selbstinstruktionstraining).

Auch wenn die jeweilige Betonung kognitiver und behavioraler Elemente ebenso wie die spezifischen Behandlungskomponenten variieren können, sind die meisten der folgenden Komponenten feste Bestandteile von KVT-Programmen.

Formulierung und Psychoedukation

Eine Grundkomponente aller kognitiv-verhaltenstherapeutischen Programme betrifft die Information der Patienten über den Zusammenhang zwischen Gedanken, Gefühlen und Verhalten. Im Laufe dieses psychoedukativen Prozesses sollen sie gemeinsam mit dem Therapeuten ein klares Verständnis der Beziehung zwischen Denken, Fühlen und Handeln / Verhalten entwickeln.

Kontrolle der eigenen Gedanken

Eine Schlüsselaufgabe ist die Identifizierung häufiger Kognitionen und Denkmuster. Die Kontrolle der eigenen Denkweise kann sich zum Beispiel auf Grundüberzeugungen, negative automatische Gedanken oder dysfunktionale Annahmen konzentrieren sowie auf das Erkennen „brisanter“ Situationen (Situationen, die eine starke emotionale Veränderung auslösen oder übertrieben negative oder selbstkritische Gedanken aktivieren). Das kognitive Dreieck (vgl. Abb. 1.3) dient als hilfreicher Ansatzpunkt für die Strukturierung und Organisation von Informationen und für die Beurteilung der Gedanken, die Kinder und Jugendliche über sich selbst, ihre Welt und über das, was sie tun, hegen.

Abbildung 1.3: Das kognitive Dreieck

Identifizierung kognitiver Verzerrungen und Defizite

Durch die Kontrolle der eigenen Gedanken lassen sich häufig auftretende negative oder dysfunktionale Kognitionen sowie irrationale Grundüberzeugungen oder Annahmen identifizieren. Dieser Prozess schärft die bewusste Wahrnehmung spezifischer kognitiver Verzerrungen (zum Beispiel der Übertreibung alles Negativen, der einseitigen Konzentration auf Negatives usw.), kognitiver Defizite (zum Beispiel der Fehlinterpretation sozialer Signale oder eingeschränkter Problemlösungsfähigkeiten) und ihrer Auswirkungen auf Stimmung und Verhalten.

Gedanken bewerten und alternative kognitive Prozesse entwickeln

Auf die Identifizierung dysfunktionaler kognitiver Prozesse folgen das systematische Überprüfen und Bewerten dieser Annahmen und Überzeugungen und das Erlernen alternativer kognitiver Fertigkeiten – ein weiterer Schritt hin zur Entwicklung eines ausgewogenen Denkens oder zur kognitiven Umstrukturierung. Dieser Prozess kann zum Beispiel durch die Suche nach neuen Informationen oder Hinweisen, die die eigenen Überzeugungen widerlegen, oder durch die Übernahme der Perspektive eines anderen Menschen erfolgen. Im Anschluss daran werden dysfunktionale Überzeugungen bearbeitet und revidiert.

Der Bewertungsprozess dient als Gelegenheit, alternative, ausgewogenere und funktionalere Kognitionen zu entwickeln, die Schwierigkeiten anerkennen, gleichzeitig aber auch Stärken und Erfolge würdigen.

Erlernen neuer kognitiver Fertigkeiten

Zu den Behandlungszielen zählt häufig auch das Erlernen neuer kognitiver Fertigkeiten, die eine große Bandbreite abdecken können: Ablenkung, positive Selbstgespräche, Selbstinstruktionstraining, folgerichtiges Denken und Problemlösungsfertigkeiten.

Emotionale Edukation

Die meisten Programme arbeiten auch mit der emotionalen Edukation. Sie zielt darauf, basale Emotionen – Wut, Angst oder Traurigkeit – zu identifizieren und voneinander zu unterscheiden. Häufig konzentrieren sich die Interventionen auf die mit diesen Gefühlen einhergehenden physiologischen Veränderungen (trockener Mund, schweißnasse Hände, beschleunigter Herzschlag), um dem Kind zu helfen, seine eigenen, unverwechselbaren Gefühlsäußerungen bewusster wahrzunehmen.

Affekte kontrollieren

Das Beobachten intensiver oder dominanter Gefühle kann die Identifizierung von Zeitpunkten, Orten, Aktivitäten oder GedankenBewertungsskalen