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Jürgen Kuberski

Anthroposophie

Mehr als Naturkosmetik und Waldorfschule

Jürgen Kuberski

Anthroposophie

Mehr als Naturkosmetik und Waldorfschule

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ISBN 978-3-7751-7021-5 (E-Book)

ISBN 978-3-7751-5245-7 (lieferbare Buchausgabe)

Datenkonvertierung E-Book:

Fischer, Knoblauch & Co. Medienproduktionsgesellschaft mbH, 80801 München

SCM Hänssler im SCM-Verlag GmbH & Co. KG • 71088 Holzgerlingen

Internet: www.scm-haenssler.de

E-Mail: info@scm-haenssler.de

Umschlaggestaltung: Jens Vogelsang, Aachen

Titelbild: istockphoto.com

Satz: typoscript GmbH, Walddorfhäslach

Druck und Bindung: CPI – Ebner & Spiegel, Ulm

Printed in Germany

Die Bibelverse sind folgender Ausgabe entnommen:

Neues Leben. Die Bibel, © Copyright der deutschen Ausgabe 2002 und 2006 by SCM R.Brockhaus im SCM-Verlag GmbH & Co. KG, Witten.

Die Weblinks wurden bei Redaktionsschluss der 1. Auflage überprüft. Zwischenzeitliche Änderungen vorbehalten.

Inhalt

Kurz und bündig

Vorwort des Herausgebers

Vorwort

I. Entstehung und Wirkungsbereiche der Anthroposophie

1. Die Entstehung der Anthroposophie

2. Die Wirkungsbereiche der Anthroposophie

II. Die Lehren der Anthroposophie im Überblick

1. Der Erkenntnisweg

2. Mensch und Kosmos

3. Jesus und der »Christus-Impuls«

III. Hilfen zur Beurteilung der Anthroposophie

1. Wie wissenschaftlich ist die Anthroposophie?

2. Wie christlich ist die Anthroposophie?

3. Welche »Risiken und Nebenwirkungen« hat die Anthroposophie?

4. Anthroposophisch orientierte Einrichtungen und Verbände

Literatur und Internetquellen

Anmerkungen

Kurz und bündig

Geht es Ihnen nicht auch so? Über manch einen Themenbereich würde man gerne als Normalbürger Bescheid wissen (oder muss es vielleicht sogar). Doch was die Fachleute schreiben, ist im Normalfall zu kompliziert und zu umfangreich. Wer hat schon Zeit, sich in jedes Thema wochenlang einzuarbeiten!? Hier wollen wir Hilfestellung leisten. In Hänssler kurz und bündig geben Fachleute, die sich mit einem Thema schon seit Jahren intensiv beschäftigen, kurz und verständlich einen Überblick über das, was man wissen muss, wenn man Bescheid wissen will und mitreden können möchte.

Dabei enthält jeder Band der Reihe Hänssler kurz und bündig die folgenden Elemente:

•  Fakten und Basisinformationen

•  Die Diskussion kontroverser Fragen

•  Praktische Hilfen und Hinweise zum Weiterarbeiten

All das ist so angelegt, dass der Leser sich in zwei bis drei Stunden (also etwa statt des Abendkrimis oder auf einer Zugfahrt) ein Thema in seinen Grundlagen aneignen kann. Die Anwendung im Leben oder das anschließende Gespräch mit anderen wird dann aber sicher etwas länger dauern …

Ich würde mir wünschen, dass dieser kleine Band Ihren Horizont erweitern kann und die Informationen liefert, die Sie suchen.

Thomas Schirrmacher

Vorwort des Herausgebers

Viele Menschen begegnen anthroposophisch geprägten Mitbürgern und von Anthroposophen begründeten Firmen und Organsiationen im Alltag viel häufiger als ihnen bewusst ist. Sie sind im biologisch-dynamischen Landbau führend, Demeter-Produkte und Wala-Präparate finden sich längst nicht mehr nur in Bioläden, medizinische Produkte finden ihren Weg in die Apotheken. Die anthroposophischen Waldorfschulen sind neben evangelischen und katholischen Schulen die größte Gruppe weltanschaulich motivierter Privatschulen in Deutschland. Viele große Verlage haben eigene anthroposophische Reihen und in einer der größten Buchhandlungen Deutschlands bei uns in Bonn finden sich mehr anthroposophische Bücher zur Auswahl als christliche. Eigene Banken wie die GLS Gemeinschaftsbank, eine eigene medizinische Privathochschule in Herdecke, eigene Krankenhäuser und Kliniken, einen eigenen christlichen Zweig (die ›Christengemeinschaft‹), die Liste ließe sich leicht verlängern.

Angesichts der starken Verankerung dieser Institutionen im Alltag der Menschen und angesichts des enormen mitmenschlichen Engagements vieler Anthroposophen bleibt der weltanschauliche Hintergrund all dieser Aktivitäten für viele unbekannt oder sehr blass. Das weitverzweigte anthroposophische Schrifttum und deren Inhalte bleibt erstaunlicherweise den meisten Bürgern verborgen. In einer offenen Gesellschaft gehört es aber dazu, die Beweggründe, Denkvoraussetzung und Ziele anderer zu kennen und sich ein eigenes Bild davon zu machen.

Dr. Jürgen Kuberski beschäftigt sich seit drei Jahrzehnten mit der Anthroposophie, mit ihrem Begründer Rudolf Steiner ebenso wie mit aktuellen Entwicklungen. Seine sachliche Darstellung beruht nicht auf einem Gelegenheitsblick, sondern erfasst mit langjähriger Vertrautheit die Vielfältigkeit und die Licht- und Schattenseite der Bewegung. Als Kenner der östlichen Religionen und Weltanschauungen – unter anderem hat er fünf Jahre in Japan gelebt – ist ihm auch der historische Ursprungsort in der Theosophie vertrauter als den meisten von uns. So kann er uns kurz und bündig in eine Materie einführen, die nicht jedem auf Anhieb vertraut ist, die aber unsere Stellungnahme herausfordert.

Thomas Schirrmacher

Vorwort

Waldorfschulen, Heilmittel und Kosmetika von Weleda und Wala, Lebensmittel von Demeter, biologisch-dynamische Landwirtschaft, Heileurythmie, dm-Drogeriemärkte und die GLS-Bank haben eins gemeinsam: Sie sind von der Anthroposophie geprägt, einer Bewegung, die von Rudolf Steiner am Anfang des letzten Jahrhunderts gegründet wurde. In den letzten Jahren haben nicht nur die Waldorfschulen in Deutschland und weltweit zugenommen, sondern auch die kritische Diskussion über die Anthroposophie. So wurden die Fragen aufgeworfen, ob einige Aussagen Steiners als rassistisch einzustufen sind und wie sehr die Anthroposophie die Waldorfschulen prägt. In Rundfunk- und Fernsehreportagen sind diese und andere Aspekte der Anthroposophie kritisch beleuchtet worden.

Wie ist es zu erklären, dass die Anthroposophie in so vielen Lebensbereichen anzutreffen ist? Welche Lehren stehen hinter dieser vielschichtigen Bewegung? Handelt es sich dabei um eine christliche Bewegung oder um eine religiöse Weltanschauung? – Diese Fragen stellt sich manch einer, der mit der Anthroposophie in Berührung kommt, denn: Anthroposophie ist mehr als Naturkosmetik und Waldorfschulen.

Jürgen Kuberski

I.     Entstehung und Wirkungsbereiche der Anthroposophie

1. Die Entstehung der Anthroposophie

Rudolf Steiner: Idealist, Materialist, Theosoph

Die Anthroposophie und ihre Ausprägungen gehen direkt auf Rudolf Steiner zurück. So ist es kaum möglich, diese zu verstehen, ohne das Leben Steiners näher zu betrachten. Steiner wurde am 27. 2. 1861 an der ungarisch-kroatischen Grenze in Kraljevec geboren, das zu Österreich-Ungarn gehörte (heute zu Kroatien).1 Schon als Kind las Steiner sehr viel und eignete sich in vielen Bereichen Wissen an. 1879 begann Steiner an der Technischen Hochschule in Wien ein naturwissenschaftliches Studium, das er aufgrund seiner finanziellen Verhältnisse 1883 ohne Abschluss beenden musste. In dieser Zeit vertiefte er sich in Goethes Weltanschauung, dessen Auffassung von der Metamorphose und der Realität einer idealen Pflanze ihn sehr anzog. So arbeitete Steiner als Privatlehrer und wirkte an der Herausgabe von Goethes naturwissenschaftlichen Schriften mit, wofür er 1890 nach Weimar zog.2 1891 promovierte er in Rostock zum Dr. phil., eine angestrebte Professur misslang.3 Steiner hatte in seiner Weimarer Zeit eine stark materialistische Weltanschauung und verteidigte den bekannten Zoologen und Evolutionsphilosophen Ernst Haeckel mehrfach gegen Kritiker.4 Er wurde zu einem glühenden Verehrer von Friedrich Nietzsche, verfasste 1895 ein bewunderndes Buch über ihn5 und arbeitete kurzzeitig im Nietzsche-Archiv mit.6 Zu dieser Zeit identifizierte sich Steiner auch mit dem »individualistischen Anarchismus«7. 1897 zog Steiner nach Berlin, um dort als freier Schriftsteller und Lehrer einer Arbeiter-Bildungsschule zu arbeiten, doch seine finanziellen Verhältnisse waren prekär, bis er am 31.10.1899 Anna Eunike heiratete, eine Witwe mit fünf Kindern, bei der er schon in Weimar gewohnt hatte.8

In Berlin lernte Steiner einen Kreis von adligen Theosophen kennen, die ihn einluden, einen Vortrag über Nietzsche zu halten. Die Theosophische Gesellschaft war 1875 von der Deutschrussin und Spiritistin Helena P. Blavatsky (1831-1891) mit dem Ziel gegründet worden, die »latenten göttlichen Kräfte im Menschen« zu untersuchen und zu entwickeln.9 Nun wandte sich Steiner immer mehr der Theosophie zu, die er zuvor scharf abgelehnt hatte,10 und hielt in diesem Kreis Vortragsreihen über die Mystik und das »Christentum als mystische Tatsache«.11 Jedoch hat sich Steiner nie zu seinem Gesinnungswandel bekannt, sondern immer versucht, die Kontinuität seines Denkens aufzuzeigen, was Zeitgenossen sehr verwunderte.12

Steiner wurde 1903 Generalsekretär der Theosophischen Gesellschaft in Berlin. Die baltendeutsche Schauspielerin Marie von Sivers wurde seine enge Mitarbeiterin und – nachdem sich seine Frau von ihm getrennt hatte und gestorben war – seine zweite Frau. Steiner wurde von Annie Besant (1847-1933), der Nachfolgerin Blavatskys, in die »Esoterische Schule« der Theosophie eingeführt und veröffentlichte ab 1903 viele Artikel13 und grundlegende Bücher der späteren Anthroposophie: »Theosophie. Einführung in übersinnliche Welterkenntnis und Menschenbestimmung« (1904) und »Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?« (1904). Als intelligenter und sehr belesener Vortragsredner zog er viele Zuhörer an. Manche Zeitgenossen sprachen von einem nahezu »hypnotischen Blick« Steiners, andere lobten sein rhetorisches Geschick.14 Steiners Theosophie bot für viele Menschen in der Wirtschaftskrise nach dem Ersten Weltkrieg Halt und Erklärungen.

Die Entstehung der Anthroposophischen Gesellschaft

Steiner übernahm viele Inhalte der Theosophie, setzte jedoch einen eigenen Schwerpunkt. So betonte er vor allem die Linie der deutschen Idealisten und die christlich-mystischen Traditionen (Rosenkreuzertum).15 Zwischen der neuen internationalen Leiterin Annie Besant und Steiner kam es daher zu immer größer werdenden Meinungsverschiedenheiten, besonders als Besant 1911 begann, den jungen Inder Krishnamurti (1895-1986) als Inkarnation von Christus auszugeben. Die Mehrheit der deutschen Theosophen löste sich mit Steiner von der Theosophischen Gesellschaft und gründete am 28. 12. 1912 die »Anthroposophische Gesellschaft«.16 Mit der Namensgebung »Anthroposophie« als »Weisheit vom Menschen« im Unterschied zur »Theosophie« (»Weisheit von Gott«) gab Steiner den Kurs an und definierte: »Anthroposophie ist ein Erkenntnisweg, der das Geistige im Menschenwesen zum Geistigen im Weltall führen möchte.«17 Hauptsitz der Bewegung wurde Dornach bei Basel, wo das erste Zentralgebäude entstand. Es wurde zunächst »Johannesbau« und seit 1917 »Goetheanum« genannt.

Der Beginn des Ersten Weltkriegs im Juni 1914 brachte manche äußeren und inneren Probleme mit sich. Ab 1917 begann Steiner, vermehrt zu politischen Themen Vorträge zu halten und Artikel zu veröffentlichen, woraus eine Initiative entstand, die eine »Dreigliederung« des Staates zum Ziel hat. Weitere Wirkungsbereiche der Anthroposophie wurden von Steiner in den nächsten Jahren in rascher Folge angestoßen. Die Waldorfschulen (1919), die anthroposophische Medizin (1920), die Christengemeinschaft (1921) und die biologischdynamische Landwirtschaft (1922). Sie werden im nächsten Kapitel näher dargestellt.

In der Silvesternacht von 1922 wurde das Goetheanum in Dornach durch ein Feuer völlig zerstört, eine herbe Enttäuschung für Steiner und die Anthroposophische Gesellschaft. Diese war zudem durch Streitigkeiten zerrüttet und wurde daher bei der Weihnachtstagung 1923 neu gegründet, wobei Steiner mehr Leitungsverantwortung übernahm. Hinzu kamen viele Vortragsreisen, die er in dieser Zeit unternahm. Durch all das war Steiner sehr geschwächt. Er starb am 30. 3. 1925 an einer Krankheit in Dornach. Nach seinem Tod kam es zu einem heftigen Streit über die Rechte an Steiners Werk und die Führung der Anthroposophischen Gesellschaft, der erst Jahrzehnte später beigelegt werden konnte. Nach seinem Tod wurde Steiner von vielen Anthroposophen als Führer und Erlöser verehrt,18 eine Art Personenkult um Steiner ist bis heute wahrzunehmen. Die heutige Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft (Dornach) hat etwa 46 000 Mitglieder, Tendenz sinkend. Es gibt weltweit 78 Landesgesellschaften, zur deutschen Gesellschaft mit ihrer Zentrale in Stuttgart gehören derzeit etwa 20 000 Mitglieder.

2. Die Wirkungsbereiche der Anthroposophie

Die Anthroposophie ist vor allem durch ihre vielfältigen Wirkungsbereiche bekannt geworden. Steiner hat in verschiedenen Kulturbereichen Impulse gegeben, die zum Teil von anderen Anthroposophen weiterentwickelt wurden.

Kunst: Mysteriendramen, Eurythmie und Architektur

Mysteriendramen und Eurythmie

Steiner hat schon als Generalsekretär der deutschen Theosophischen Gesellschaft den Anstoß gegeben, die theosophischen Inhalte auch künstlerisch umzusetzen. Sein erstes Mysteriendrama wurde 1910 in München uraufgeführt und zeigte den Weg der Seele in die übersinnliche Welt. Dabei wurden Themen wie Reinkarnation, Meditation, geistige Mittler und Selbsterlösung anschaulich dargestellt. Steiner betonte, dass es sich bei den »geistigen Wesenheiten« und ihrem Handeln nicht um eine Allegorie oder Symbolik handelte, sondern um eine ›realistische‹ Schilderung konkreter geistiger Vorgänge.19

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