1.

VIEL EIFER UM NICHTS

MITTWOCH

Endlich nahm ich mir die Zeit, mich nach einem karierten Hemd umzusehen. Ich liebe es, nachmittags durch die Gegend zu streifen. Vor der katholischen Kirche lief ich Hajdú & Co. in die Arme. Hajdú grinste hämisch und ließ mich wissen, dass der alte Sík eine Aktennotiz gemacht habe, er sei sauer gewesen, dass ich eine wichtige Vorlesung geschwänzt hatte. Er solle mir mit der läppischen Universität nicht auf die Nerven gehen, antwortete ich. Ihm sei es egal, sagte er, er habe mich bloß vorgewarnt. Sík werde uns die Hölle heißmachen und uns beim Examen auflaufen lassen, immerhin sei es nicht irgendeine x-beliebige Universität. Solche Sachen. Das mit dem Examen befürchtete ich allerdings auch. Dann luden mich Hajdú & Co. – Hajdú und seine Frau – auf einen Drink zu sich ein. Nach ein paar Kognaks fing Hajdús Frau an, mit ihren frisch erworbenen Schallplatten zu prahlen. Ganz große Kunst, sagte sie. Irgendwie hatten wir dann aber vergessen, sie aufzulegen und uns die große Kunst anzuhören. Bei den Platten fiel mir Sylvie Vartan ein, ihre unglaubliche Beliebtheit. Wie im Chor antworteten sie, dass sie Schlager ablehnten und sich nur ernste Musik anhören würden. Dann kramte Hajdús Frau Gedichte aus einem schwarzen Pappkarton hervor und begann, sie laut aufzusagen. Hajdú & Co. machen beide Lyrik, sie laden ständig Leute ein und tragen ihnen ihre Elaborate vor. Das klinge alles ganz erträglich, sagte ich, als sie fertig war, und erzählte, was für schöne Hemden ich in der Stadt gesehen hätte. Hajdú meinte, es sei völlig absurd, wegen ein paar läppischer Hemden der Vorlesung fernzubleiben. Egal, sagte ich, ich würde versuchen, morgen wieder da zu sein. Da fiel mir ein, dass ich mit Tornadosz im Klub eine Verabredung hatte, er hatte versprochen, Geld zu organisieren, damit wir was trinken könnten.

Ich sagte, es sei wirklich sehr angenehm bei ihnen, aber jetzt müsse ich gehen, ja. Vom Kognak beflügelt, baten sie mich zu bleiben. Ich dachte, wenn ich bliebe, würden sie mich bis zum jüngsten Tag mit ihren Gedichten traktieren. Ich sagte, ich käme lieber ein anderes Mal wieder.

Vor dem Klub wurde mir übel. Das passiert mir oft, wenn ich reingehen will. Trotzdem drückte ich die Klinke hinunter, denn ich wusste nicht, wo ich sonst hätte hingehen können. Ich fragte Tornadosz, ob alles in Ordnung sei.

Erst mal begleite ich die kleine Schwarze nach Hause, sagte er.

Und dann?

Dann gehen wir.

Wohin?

Ist doch egal, wir werden sehen.

Hier im Klub kennen sich alle, wie die Nutten in einem Provinznest. Ich kann mich an jeden beliebigen Tisch setzen, überall kennt man mich. Ich suchte mir eine größere Runde aus, setzte mich ans Tischende und wartete auf Tornadosz. Branko hat Acesal geschluckt, sagte eines der Mädchen, von der ich nur wusste, dass sie einen schicken Wagen fuhr und ihre Mutter mit hohen Tieren verkehrte. Ich nickte und fragte, warum er es getan habe. Nur so, aus Sport, und um die Wirkung zu testen. Er renne schon den ganzen Abend hier herum und erzähle von dem großartigen Erlebnis. Olga, die neben mir saß, eine äußerst unberechenbare Person, blickte mich gereizt an. Es sei nicht aus Sport gewesen, sagte sie, er habe einen viel ernsteren Grund gehabt. Olga war sehr blass.

Geht es dir nicht gut?

Doch, sagte sie.

Die Blässe machte sie schön, das war mir gleich aufgefallen. Ja. Ein schönes Kleid, das du da anhast, sagte ich.

Warum kommst du mir immer mit solchen Albernheiten?, fragte sie.

Irgendwas muss man ja sagen.

Irgendwas muss man ja sagen … ihr seid komplett degeneriert, sagte sie.

Ich tat, als hätte ich es nicht gehört. Sie sagt immer das Gleiche. Sie rückte ein Stück näher an mich heran und begann, in ihrer Tasche, in der ein unbeschreibliches Chaos herrschte, herumzukramen, fand ein Stück Papier, zog es hervor, schrieb was darauf und drückte es mir in die Hand. »Ihr seid degeneriert«, las ich. Ich steckte den Zettel in meine Hosentasche, vielleicht würde ich ihn noch brauchen, dachte ich. Das Getuschel der beiden ist sehr verdächtig, rief jemand in die Runde, da braut sich doch was zusammen. Die Leute am Tisch lachten. Olga sah wirklich besorgniserregend aus.

Ist dir was zugestoßen?

Ich war beim Arzt, aber es ist zu spät, sagte sie.

Was?

Von Heirat kann keine Rede sein. Er ist mitten im Studium, sein Vater würde ihn sofort aus dem Haus jagen.

Ihr Gesicht war kreidebleich.

Ich bring dich nach Hause. Unterwegs kannst du mir alles erzählen.

Das ist nett, Blue, ich kann mich kaum auf den Beinen halten.

Auf dem Weg zu ihr nach Hause wurde ich ziemlich ernst und sagte, auf mich könne sie immer zählen, ich sei ihr bester Freund. Ich war schon immer dein bester Freund, wiederholte ich. Dann schwiegen wir. Vor ihrer Haustür ermunterte ich sie, sich nach einem Anderen umzusehen, einem, der besser zu ihr passte.

Unsinn.

Wieso? Es dürfte doch nicht so schwer sein, es laufen genug Leute herum.

Warum auch nicht, dachte ich bei mir. Ein Idiot von einem Ehemann ist allemal besser als zu verbluten. Ewig warten und sich stur stellen ist dumm. Wir treiben schon einen für dich auf, sagte ich.

Man muss sich nicht gleich in die Hosen machen, sagte sie.

Mir sei es eben nicht gleichgültig, was mit ihr passiere, sagte ich.

Du bist ständig unter Druck, hast Angst, und deshalb willst du dauernd was Neues auftreiben. Irgendwas oder irgendjemand.

Irgendwas muss man ja machen, sagte ich.

Nervös suchte sie in ihrer Handtasche nach dem Haustürschlüssel. Sie solle den gesamten Inhalt auskippen, schlug ich vor, dann finde sie ihn.

Es müsste etwas Wichtiges passieren, etwas Entscheidendes, sagte sie.

Plötzlich langweilte sie mich, ihre Sturheit, ich lasse besser die Finger von ihr, dachte ich. Es kommt, wie es kommt. Doch sie redete weiter.

Ich habe keine Ahnung, was ich tun soll. Wüsste ich es, dann traute ich mich nicht mehr, es zu tun. Es geschieht mir also recht. Mit der Abtreibung, meine ich.

Wir sollten uns ein anderes Mal darüber unterhalten, wenn sie nicht mehr so aufgewühlt sei, sagte ich und ließ sie vor der Haustür stehen.

Im Klub wartete Tornadosz schon. Lass uns gleich gehen, sagte ich. Immer wenn wir beschließen, uns anderswo zu betrinken, schleichen wir uns aus dem Klub wie Diebe. Wir gingen in ein Café. Nur wenige Tische waren besetzt. Ich bestellte mir einen Kognak. Ich berichtete Tornadosz von Olgas seltsamem Benehmen, sagte, dass es mich nicht wunderte, wenn sie eine Dummheit machen würde.

Sie hat was vor, irgendwas, ich spüre es. Sie ist in einem komischen Zustand.

Sie soll tun oder lassen, was sie für richtig hält. Misch du dich nicht ein, das macht es nur schlimmer, sagte Tornadosz.

Wir tranken viel. Meine neue Freundin schwimmt in Geld, prahlte er. Warum besorgst du dir nicht auch eine Frau, die Geld hat? Seine Überheblichkeit ging mir auf die Nerven.

Ich denke nicht daran, sagte ich. Dann fing er an, mich zu belehren.

Du brauchst eine Frau mit Geld. Ohne kommst du heute nicht weiter. Alles andere ist vollkommen nutzlos.

So hat er geredet. Er sei zu blauäugig, sagte ich. Warum sollte sich durch eine reiche Frau irgendwas ändern? Das ist absurd, der Gedanke dreht einem den Magen um. Tornadosz redete Unsinn. Glauben müsse man, man brauche nur einen starken Glauben, wiederholte er hartnäckig. Ich hielt dagegen, lachte über ihn, argumentierte, lachte ihn aus, aber er ließ sich nicht beirren. Er sagte, er würde sogar an Gott glauben, wenn das zu was nütze wäre, ja.

FREITAG

Csicsi hatte sich die Haare schneiden lassen. Jetzt sah ich, wie schmutzig ihr Nacken war. Vielleicht war er schon immer so schmutzig, dachte ich. Sie war sichtlich froh, mich zu sehen.

Lange nicht gesehen. Und? Hast du endlich dein Diplom?

Lass uns über was anderes reden, sagte ich. Sie legte gleich los und prahlte, sie habe jetzt eine ganze Menge Geld und so. Sie könne mir sogar welches leihen, wenn ich wollte. Schließlich wisse sie ja, dass ich nie Geld habe. Am Ende gab sie mir aber keins. Immerhin fand ich heraus, wenn auch nicht so leicht, denn sie gab sich gern geheimnisvoll, woher sie das Geld hatte. Von irgendeinem angesehenen Typen, jeden Monat fünfzigtausend.

Er wird noch um deine Hand anhalten.

Er sei verheiratet, sagte sie und lud mich in ein Café zum Kuchenessen ein. So war Csicsi. Dann erzählte sie von dem Mann, wie kultiviert und anständig er sei, und dass er von ihr nichts weiter verlange, als gequält zu werden. Das gefiele ihm sehr, er traue sich bloß nicht, seiner Frau davon zu erzählen, denn sie sei ebenfalls eine kultivierte und anständige Person, der er obendrein seine Karriere verdanke.

Ist er glücklich?

Ich glaube schon. Ich muss mir nur immer wieder neue Methoden für ihn ausdenken.

Wirklich glücklich?

Ja, bestimmt.

Die Sache wurmte mich plötzlich irgendwie. Es habe hier noch nie einer behauptet, wirklich glücklich zu sein, sagte ich. So etwas gab es bei uns nicht. Ich wurde sogar ziemlich wütend, wie immer, wenn sie wirres Zeug redete. Dass man aus dem einen oder anderen Grund mal glücklich sein kann, weiß ich auch. Aber dass dieser Typ wirklich glücklich war, konnte ich mir nicht vorstellen.

Doch, er ist es, beharrte Csicsi.

Man ist nicht glücklich, wenn man gequält wird, sagte ich.

Versuch du es auch mal, provozierte sie mich weiter, und fasste nach meiner Hand.

So etwas würde ich niemals versuchen, nicht einmal mit dir, sagte ich ernst.

Sie lachte, das bräuchte ich ihr nicht zu sagen, sagte sie und ließ meine Hand los, als wollte sie sie nie wieder anfassen.

Du bist wirklich eine originelle Nutte, Csicsi, sagte ich.

Sie war nicht gekränkt. Stattdessen bestellte sie einen Kognak für mich. Die Männer gafften sie im Vorübergehen unverhohlen an. Sie war allerdings auch eine selten schöne Frau, bei ihrem Anblick wurden die meisten Männer sofort schwach. Wer sie kannte, liebte sie, ich auch, wir stellten uns bloß ziemlich ungeschickt an.

Pud sagte ich nicht, dass ich Csicsi getroffen hatte. Auch Pud liebte sie. Ich hatte ihm schon oft versprochen, ihn Csicsi einmal vorzustellen, und in der Vorfreude darauf hatten wir jedes Mal ordentlich einen gehoben. Dabei erfand ich die schönsten Geschichten über Csicsi und erzählte sie ihm, lauter absurde intellektuelle Märchen, die Pud sämtlich für wahr hielt. Mit der Zeit bekam Csicsi die Gestalt der idealen Frau. Wir berauschten uns an dem Gedanken, eines Tages, wenn wir reich wären, die tollsten Klamotten zu tragen und Csicsi die wertvollsten Geschenke vor die Füße zu legen. Interessanterweise kam zwischen Pud und mir wegen Csicsi nie Eifersucht auf, sonst allerdings gerieten wir ziemlich oft aneinander. Als Pud einmal im Zimmer war und ich deshalb Tanja nicht hereinbitten mochte, bellte er mich an, ich sei ein eifersüchtiger Egoist. Im Fall von Csicsi war es aber anders, wir vergötterten sie gleichermaßen. Sie wurde zu unserem Idol, und dabei spielte es überhaupt keine Rolle, dass alles doch nur erdichtet und erträumt war. Ich hatte jedenfalls großen Spaß daran, meinen Freunden die schönsten Erfindungen über Csicsi aufzutischen.

Jetzt erwähnte ich Pud gegenüber nur beiläufig, was für eine schöne Frau aus Olga geworden sei. Er pflichtete mir bei. Was für ein netter Kerl Pud doch sei, dachte ich. Nur dass er wegen der bevorstehenden Prüfungen momentan ziemlich verwirrt war. Sobald die Termine näherrückten, wurde er immer hysterischer, was umso komischer war, als er nie eine Prüfung ablegte. Nur locker bleiben, sagte ich zu ihm, es wird sowieso nichts daraus, lass uns lieber ein lustiges Ding drehen. Da wurde er sauer. Du bist auch nicht besser, sagte er. Wer weiß, sagte ich, vielleicht doch. Es brachte ihn jedes Mal in Rage, wenn einer behauptete, besser zu sein als er. Ich zum Beispiel hätte meinen Schein vom alten Sík gekriegt, sagte ich selbstzufrieden. Das sei keine Kunst, sagte er, der Alte gebe den Schein doch jedem. Dann nahm er seinen elektrischen Rasierer und fuhr sich damit im Gesicht herum. Das war das Zeichen, dass er die Unterhaltung für beendet hielt. Ich begann, in einem Buch zu blättern, stellte fest, wie langweilig es war, und schaute mir dann die Fotos in Puds Sexblättern an. Auf seine nackten Frauen war Pud besonders stolz.

Die sind doch ziemlich schwach, deine Ladys, sagte ich.

Er setzte den Rasierer ab, von Frauen hast du keine Ahnung, sagte er. Eigentlich waren die Frauen auf den Bildern wirklich sehr ansehnlich, oberste Liga, und es gab einem ein gutes Gefühl, so viele schöne nackte Frauen auf einmal zu sehen. Keine glich der anderen. Wenn unsere Mädchen sie sehen würden, würde sich ihnen der Magen umdrehen, dachte ich.

Hör zu, Pud. Ich muss mit dir reden. Es ist wichtig. Der alte Sík besteht darauf, dass ich eine ganz bestimmte Arbeit schreibe. Wenn nicht, lässt er mich nicht zur Prüfung zu, auf gar keinen Fall, hat er gesagt.

Na und? Ist ganz normal, jeder kriegt doch eine Seminararbeit.

Wiederhol dich nicht ständig.

Was soll ich nicht wiederholen?

Dass er jedem eine Aufgabe stellt. Dass er jedem den Schein unterschreibt.

Dafür wird er doch schließlich bezahlt.

Er hat das Thema vorgegeben, und ich finde es ziemlich vertrackt. Der Titel ist: Das Leben ist kurz, die Kunst ist lang. Irgendein Zitat von Philostratos. Darüber soll ich schreiben.

Ich weiß, sagte er und lachte mir ins Gesicht.

Mir kam die Galle hoch, ich dachte, gleich zertrümmere ich seinen Rasierer, schlage ihn kurz und klein. Ich würde dir am liebsten eine reinhauen, sagte ich, was wiederum ihn wütend machte. Halt die Klappe, sagte er. Erst wenn du aufhörst, Mist von dir zu geben, sagte ich. Er verdrehte mir den Arm, warf mich aufs Bett. Ich mache einen Knoten aus dir, ächzte er. Der Arm tat mir weh. Hältst du endlich die Klappe? Ja, nickte ich. Grinsend legte er den beschissenen Rasierer auf den Tisch.

Die Kunst ist lang, das Leben ist kurz. Exakt. Der gute Philostratos hat es letztes Jahr gesagt, und er hat es vorletztes Jahr gesagt. Schon immer hat er das gesagt. Seit ich denken kann ist es das Lieblingsthema des alten Sík.

Ich fühlte mich elend.

Dann ist es ja völlig egal, sagte ich. Ich hab gedacht, es wäre das erste Mal.

Jetzt weißt du es wenigstens, sagte er triumphierend und pustete die Haare aus dem Sieb des Rasierers.

Ein lächerliches Thema, gib’s zu.

Du willst die Arbeit doch nicht etwa schreiben?, fragte er und begann, sich auf den nackten Bauch zu trommeln.

Ich hätte dem Alten schon beinahe vorgeschlagen, den Titel umzudrehen, das Leben sei lang und die Kunst kurz. Das wäre viel vernünftiger.

Pud lachte widerlich. Dann fing er auch noch an zu trällern wie eine Schwuchtel. Dass Pud schwul sei, vermuteten viele.

Ohne Philostratos, musst du wissen, kann sich der Alte das Universum gar nicht vorstellen, sagte er. Und auch keine Zukunft. Und du willst mit ihm diskutieren? Er gibt dir doch einen Tritt in den Arsch, dass du aus dem Saal fliegst. Du solltest die Seminararbeiten vom letzten Jahr durchsehen und einfach abschreiben. Alle machen das so. Ich besorge dir ein paar schöne alte Skripte, du nutzt sie für deine Zwecke und damit hat sich’s. Ich will auch nicht mehr darüber reden.

Hör zu, Pud, die Arbeit, von der du sprichst, hat doch ursprünglich jemand nach seinen eigenen Vorstellungen geschrieben. Verstehst du, es gab einen, der sie als Erster geschrieben hat. Es mag ja sein, dass sie von einem anderen abgeschrieben und an den nächsten weitergereicht wurde, und sie ging dann von Hand zu Hand, aber damit nahm nur die große Lüge ihren Lauf.

Lass die Klugscheißerei. Irgendeiner. Na und? Wer erinnert sich noch daran? So ist es am einfachsten und demzufolge am richtigsten.

Und wenn wir es doch … umdrehen würden?

Pud platzte der Kragen. Einen solchen Idioten wie mich habe er sein Leben lang noch nicht gesehen. Er ließ lauter Unflätigkeiten vom Stapel, ich kann es gar nicht wiedergeben. Ich wollte ihn beschwichtigen. Warum zerbrach ich mir auch den Kopf über solche Albernheiten. Die Kunst ist so, und das Leben ist so.

Mit wem hast du es heute Nacht getrieben, Pud?

Puds Gesichtszüge entspannten sich augenblicklich. Mit Maja, sagte er, einem fantastischen Mädchen. War es gut?, fragte ich. Pud liebte es, von seinen nächtlichen Erlebnissen zu berichten. Seiner Meinung nach war Sex das Einzige, worauf man sich verlassen konnte. Es war gut, sagte er, nur dass Maja zügellos und irgendwie unbeholfen sei. Aber wenn man sie zähme, benehme sie sich wie ein kleines Lamm. Und so weiter. Mich interessiere der Sex neuerdings nicht mehr, sagte ich, um ihn zu provozieren. Laut lachend schlug er sich auf den Bauch. Ich sei ein Ochse, sagte er. Ich widersprach ihm nicht. Pud, sagte ich, ich wüsste eine tolle Frau für dich. Olga. Sie geht oft in den Klub, du kannst sie dort treffen. Pud nickte, er sagte, er kenne sie, sie sei wirklich in Ordnung. Ich würde sie ihm zuspielen, wenn er wolle, sagte ich. Er machte große Augen, schien der Sache nicht zu trauen. Ich schwor ihm, dass er sich darauf verlassen könne. Wir beschlossen, am übernächsten Tag gemeinsam in den Klub zu gehen. Olga werde bestimmt dort sein. Jetzt nahm Pud ernst, was ich sagte. Heute und morgen würde er mit Maja zusammen sein, sagte er, und dann irgendwas vorschützen, irgendwas Offizielles, weshalb er verhindert sei. Dumm sei nur, dass er kein Geld habe und nicht wüsste, wo er welches herbekäme. Er brauche nicht viel, sagte ich, denn Olga sei ganz gut ausgestattet. Das ist gut, nickte Pud vielsagend.

Nachdem er gegangen war, befiel mich schreckliche Langeweile, ich wusste nichts mit mir anzufangen. Eine Zeitlang ging ich gedankenlos im Zimmer auf und ab, dann blätterte ich in Puds Zeitschriften, große weibliche Hintern, daneben Werbetexte, die versprachen, das Leben schöner zu machen. Da fiel mir ein, dass ich Erzsi einen Brief nach Zagreb schreiben wollte. Ich hatte es vollkommen vergessen. Ich hatte gehört, dass es großen Wirbel um sie gegeben habe, und ich dachte, ein paar Zeilen würden sie bestimmt aufmuntern. Ich holte ein Blatt Papier hervor, aber es fiel mir nichts ein. Schließlich löste ich das Problem auf einfache Weise: Ich konnte nicht länger hier in diesem Zimmer vor mich hinmodern, stand also auf und ging. Zuerst machte ich einen Spaziergang am Donaukai, dann ging ich zu Gurman, vielleicht sitzt dort jemand, den ich kenne, dachte ich. Ich zählte mein Geld und bestellte einen doppelten Kognak. Ich musste feststellen, dass ich schrecklich arm war. Ja. Mein einziger Trost war, dass die Zeit verging. Ein paar Jahre unbemerkt überspringen, das wäre eine gute Lösung.

Da setzte sich jemand zu mir an den Tisch und begann eine Unterhaltung. Bot mir eine Zigarette an. Er schien ganz in Ordnung. Ich sei Student, sagte ich, worauf er sich ebenfalls vorstellte, sagte, er sei Ingenieur und arbeite in einem großen Planungsbüro. Wir unterhielten uns über Sport und Politik, das Übliche. Ich fand ihn sympathisch, war er doch Fan vom FC Vojvodina, genau wie ich. Er schien mich auch zu mögen. Er fragte, ob ich keine ernsthaftere Beschäftigung hätte, als zur Universität zu gehen. Hätte ich nicht, sagte ich. Daraufhin unterbreitete er mir ein Angebot. Er habe von mir gehört und wisse, dass ich oft in den Klub käme und ein zuverlässiger Junge sei, wir könnten ins Geschäft kommen. Er sprach sehr klar, wie jemand, der sich seiner Sache sicher war. An einem guten Deal, und dieses Wort machte mich ganz fiebrig, sei ich durchaus interessiert, sagte ich. Ich versicherte ihm, ich sei voller Ambitionen. Vor ein paar Jahren hätte ich mich sogar beinahe in der Politik versucht, man hätte mir beinahe eine wichtige Funktion anvertraut, doch dann habe man mich irgendwie vergessen. Ich wisse nicht, weshalb, möglicherweise seien meine Unterlagen abhanden gekommen. Durcheinander wie ich war, redete ich solch albernes Zeug. Er war viel direkter. Ich könne sein Privatsekretär werden. Eine anständige Tätigkeit, sie passe zu einem jungen Mann wie mir. Er erklärte noch, was ich zu tun hätte, und am Ende war ich überzeugt, eine ordentliche Anstellung gefunden zu haben. Wir verabredeten uns für den nächsten Tag im Restaurant des Hotels Putnik.

SAMSTAG

Ich berichtete Pud von meinem Erlebnis. Was für Aufgaben ein Privatsekretär habe, verstand er nicht ganz. Misstrauisch fragte er mich, ob der Ingenieur nicht schwul sei. Ich glaube nicht, sagte ich und erklärte ihm ausführlich, worin meine Arbeit in Zukunft bestand.

Ist nicht wahr, brummte er, nahm den Rasierer und befahl mir zu schwören, dass ich die Wahrheit gesagt hätte. Du fotografierst heimlich die Mädchen, wenn sie sich im Bett des Ingenieurs ausziehen?

Ja. Dann entwickle ich die Bilder, und so schnappen wir uns die Mädchen.

Das ist widerwärtig.

Ich finde nicht, dass es widerwärtig ist.

Du Idiot. Deinesgleichen zu erpressen und zu verkaufen. Leute, zu denen du gehörst.

Die interessieren mich nicht. Ich kriege mindestens dreißigtausend.

Ein ganz mieser Job, sagte Pud, er war wirklich nicht in der Lage, nüchtern zu denken. Es hatte keinen Sinn, mit ihm zu diskutieren. Als ich wieder erwähnte, dass die Sache mit Olga langsam in Gang komme, beruhigte er sich. Ein hoffnungsloser Egoist, dieser Pud. Aber ich wollte ihn trotzdem nicht auflaufen lassen.

Mein Freund möchte dich gern kennenlernen, sagte ich Olga. Sie war noch bleicher als ein paar Tage zuvor, es war, als habe sie Gift genommen. Fast bereute ich schon mein Vorhaben, weil es doch Pud war, den ich ihr aufhalsen wollte, dann aber dachte ich, egal, sei es drum.

Mir soll’s recht sein, sagte Olga.

Für weitere Erklärungen hatte ich keine Zeit, ich musste ins Hotel Putnik. Der Ingenieur war pünktlich, und wir wurden uns schnell einig. Ich würde dreißigtausend bekommen, er gab mir einen Vorschuss, und ich sollte mit der Arbeit gleich am nächsten Tag anfangen. Ich verabschiedete mich und suchte Tornadosz auf. Meine zukünftige Arbeit gefiel ihm ungemein. Pud sagt, sagte ich, dass ich nun ein Spitzel geworden sei, ein Spitzel derer, die unsere Feinde waren.

Wenn die dir Geld dafür geben, dass sie diese kleinen Nutten in ihre Betten kriegen, warum denn nicht, sagte Tornadosz.

Tornadosz war wirklich ausgesprochen intelligent.

MONTAG

Ich begab mich in mein Versteck, um von dem großen blonden, nervösen Mädchen, das mein Arbeitgeber heute Abend in seine Wohnung gebracht hatte, Fotos zu machen. Mein Gott, der erste Auftrag meines Lebens. Der Wind trug scheußliche Frühlingsblumendüfte ins Zimmer. Auf Gerüche reagiere ich empfindlich, sie machen mich zappelig. Blumen! Das hatte gerade noch gefehlt.

Das Mädchen lächelte verlegen.

Lass uns was trinken, sagte der Ingenieur. Das Mädchen nickte. Musik? Magst du das Ave Maria?

Darüber kamen mir Hem und der Maria-Kult in den Sinn. Hem und ich hatten am Donauufer gestanden, und er erzählte, er habe große Scheu vor Mädchen, er bringe es nicht über sich, sie zu berühren, weil sie doch Engel seien. Wenn er es könnte, würde er über jedes Mädchen, das er kannte, ein Gedicht schreiben. Wenn sie Engel wären, hatte ich zu ihm gesagt, würden sie sich, wenn wir sie mit unseren Händen berühren, vor ihren Kleidern ekeln, sie würden sie vielleicht ins Feuer werfen. Und sich in ihre Zimmer einschließen und nackt herumgehen. Doch Hem blieb dabei. Es stimmte zwar, dass ich Tanja immer mal teure internationale Modeblätter aus der Hauptstadt mitbrachte, weil ich dachte, Hem könnte irgendwie recht haben. Doch Engel gab es für mich nur in den Modeblättern und nicht im wirklichen Leben. Hem war manchmal leichtgläubig, das war sein Problem.

Die Blonde zog sich aus. Ich stellte die Linse ein. Auf dem Foto würde sie schon ein richtiges Engelsgesicht haben.

Nicht, nicht, flüsterte das große blonde, nervöse Mädchen. Ich will mich nicht nackt ausziehen. Nur den Slip.

Plötzlich begann ich zu schwitzen, ich litt fürchterlich. Das banale schnellere Atmen des Ingenieurs konnte ich trotzdem deutlich hören. Er war sichtlich bemüht, den starken Mann herauszukehren. Ich liebe dich, ich liebe dich, wiederholte er. Das Mädchen starrte zur Zimmerdecke. Sicher?, fragte sie. Sicher, sagte der Mann. Gekonnt zog er sie aus, nur mit ihrer Unterwäsche bekam er Probleme. Dann machte sie die Beine breit, starrte aber immer noch zur Decke. Sie hatte große, tote Kuhaugen. Nicht einmal ihre Wimpern bewegten sich, als der Ingenieur in sie eindrang.

Es sind ihre Augen, die ich im Bild festhalten müsse, dachte ich und richtete die Linse behutsam auf sie. Tatsächlich waren es Augen wie die einer toten Kuh.

Sie gab kurze Schreie von sich. Schön, schön, wiederholte sie mit matter Stimme, so mag ich es. Sie spreizte ihre Zehen. Ich drückte den Auslöser, während sich ihre Muskeln in den Beinen spannten.

Der Körper des Ingenieurs lag jetzt ruhig da. War’s schön?, fragte er das Mädchen und streichelte ihr einmal über die Haare. Ja, sagte sie.

Dann schwieg sie. Auch der Mann schwieg. Es war so still, als wäre irgendwo eine dünne Ader geplatzt. Nun – ich habe den Menschen gesehen. Er spannt seine Muskeln, seine Augen sind an die Zimmerdecke gerichtet, er ist glücklich, zufrieden und er schweigt. So muss es schon immer gewesen sein, nur konnten wir es nicht beweisen. Ein Bild hält aber alles fest für immer. Das ist der Beweis, und er ist wichtig, sonst würde man uns unterstellen, dass wir verrückt seien. Ihr sollt Beweise sammeln und den Dritten Weltkrieg beginnen, oder aber geht ins Bett und sucht dort nach Beweisen. Und so weiter.

Plötzlich lachte das Mädchen auf. Ich habe schreckliche Gewissensbisse, sagte sie.

Es hat so sein müssen, sagte er.

Ich beschmutze mich, sagte sie und schüttelte den Kopf.

Frauen beschmutzen sich, sagte er.

Das meine ich nicht, sagte sie nervös. Ich finde es sogar sehr angenehm, verstehst du nicht?

Der Mann zündete sich eine Zigarette an.

Blut macht mir keine Angst. Als ich sagte, dass ich es genau so mag, da habe ich gelogen.

Der Mann lächelte. Er legte noch einmal das Ave Maria auf. Ich wusste, dass du lügst, sagte er. Ich habe auch gelogen. Na und? Was zum Teufel hätte ich denn anderes tun sollen? Jeder lügt. Jeder, ohne Ausnahme. Man gibt es bloß nicht zu. Weil es ungeschickt wäre. Ich hab jetzt nicht die Zeit, dir das zu erklären. Du wirst schon noch lernen, was ungeschickt ist und was nicht.

Das Mädchen setzte sich im Bett auf, sie wirkte jetzt frech und aufmüpfig, schlug die Beine übereinander. Ihre Schenkel waren genauso muskulös wie die der Kellnerin, die neulich vom Chefredakteur einer Zeitung abgeschleppt worden war. Sie hatte, während sie den Wodka auf den Tisch stellte, ihren Rock hochgehoben, dass man sogar ihren Slip sehen konnte. Der Chefredakteur blinzelte und gab ihr ein ordentliches Trinkgeld. Nach Feierabend folgte sie ihm wie ein kleiner Hund. Mein Vater liest gelegentlich die Artikel des Chefredakteurs und wundert sich jedes Mal, warum er so viel lügt. Wäre er kein Lügner, würde auch die Kellnerin ihren Rock nicht bis zum Slip hochziehen, und fertig.

Aber wenn doch …, das Mädchen fuhr sich nachdenklich mit der Hand über den Schenkel. Plötzlich verstummte sie. Sie drückte ihr Gesicht in das Kissen, liebkoste ihren eigenen Körper. Und wenn doch.

Wenn was?

Wenn es doch die Wahrheit gewesen wäre?

Der Mann trat ans Fenster. Was weiß ich. Woher soll ich das wissen? Kann schon sein. Das wird sich noch herausstellen. Wir könnten es darauf ankommen lassen. Wir können es ja versuchen. Viele versuchen es. Aber geh du einstweilen ins Badezimmer, Ofélia. Nach seinem letzten Satz lachte er laut auf, als hätte er einen guten Witz erzählt.

Die junge Frau erhob sich. Jetzt erst sah ich, wie schön sie war. Schlank und schön. Sie hielt ihren Busen mit den Händen bedeckt und sah aus wie eine Statue. Ich griff nach dem Fotoapparat. Doch dann überlegte ich es mir anders. Das wäre schon ziemlich unverschämt gewesen.

Ich legte den Apparat weg und flüchtete hinaus an die frische Luft. Ich wünschte mir, Tanja zu treffen. Wo könnte ich sie jetzt finden? Viele Menschen waren unterwegs. Es tat mir gut, in die Nacht einzutauchen, zu verschwinden. Die dunkle Nacht, würde ein Klugscheißer sagen. Eine Zeitlang streifte ich durch die engen Seitenstraßen, erspähte Liebespaare aus dem Augenwinkel. In den belebten Straßen würden sie nicht so ohne weiteres herumknutschen. Aber hier in diesen schmalen Gassen wisperten sie, flüsterten, ächzten, gurrten. Ich kann gar nicht sagen, wie idiotisch ich mich dabei fühlte. Da kam mir eine gute Idee, ich dachte, ich könnte Csicsi besuchen. Wir könnten die ganze Nacht reden. Vielleicht. Ich durchstöberte die Cafés, die Gartenlokale, aber ich fand sie nirgends. Dann stand ich vor ihrer Wohnungstür, aber auch zu Hause war sie nicht. Ich setzte mich auf die Treppe und wartete. Ein Typ begleitete ein Mädchen nach Hause, sie blieben an der Ecke stehen, direkt vor meiner Nase. Magst du mit heraufkommen, hörte ich sie sagen, mein Alter ist auf einer Besprechung, seine Partei ist ständig auf Achse, du verstehst, und hinterher fährt er noch zu seinem Chef in die Vojvodina, um ihm in den Arsch zu kriechen. Vor eins kommt er nicht nach Hause. Und deine Mutter? Sie schläft wie ein Stein. Finde ich gut, dass dein Vater ein Parteifritze ist und sich für die Zukunft abrackert, sagte er. Zukunft? Gute Idee, sagte sie, lass uns gehen. Sie schmiegte sich eng an den Mann. Sie schafften es kaum die Treppe hinauf.

Bald darauf kam Csicsi, sie schritt daher wie ein kleines Mädchen. Ja.

Da bin ich, sagte sie und setzte sich neben mich auf die Treppe. Sie steckte sich eine Zigarette an.

Hast du getrunken?

Ja. Mein Typ hat mich zum Abendessen nach Cortanovci eingeladen. Und ich höre, sagte sie lachend, dass wir jetzt in derselben Branche sind. Mehr oder weniger, stimmt’s?

Ich nickte.

Jetzt hast du’s auch geschafft, bist voll dabei.

Ich sagte, sie solle den Mund halten. Ich nähme die Sache ernst. Immerhin gehe es um ein gutes Geschäft. Doch sogleich bereute ich den schroffen Ton.

Wir sind noch Kinder, nicht, Csicsi? Stimmt doch, oder? Unsere Väter leben noch und sie bewundern uns. Sie überschütten uns mit Lob. Ich hab in der Zeitung gelesen, dass wir ein kleiner Haufen Lügen und ein großer Haufen Wahrheit seien. Das hat einer geschrieben, der als besonders ehrlich gilt. Und im Übrigen habe alles keinen Sinn, schrieb er noch.

Ich will nur sauber bleiben, was anderes ist mir nicht wichtig, sagte Csicsi zögernd.

Bei diesem Wort lief es mir kalt den Rücken hinunter, sauber sein wollen, was für eine Banalität! Vom bloßen Gedanken daran kriegt man Schüttelfrost.

Frierst du?

Nein.

Doch, du frierst.

Nein, sagte ich.

Aber ich sehe es doch.

Ich schwieg. Sie zog ihren Mantel aus und legte ihn mir über die Schulter.

Keine Sorge, ich hab einen Pullover an, sagte sie. Jetzt siehst du aus wie ein kleines Mädchen.

Das macht nichts, sagte ich, und du siehst aus wie ein kleiner Junge.

Ich denke oft, dass wir Kinder sind. Als wir uns damals Geld besorgen wollten … Erinnerst du dich?

Ja, ich erinnere mich. Es war zu der Zeit, als ich Tanja kennengelernt habe. Ich wollte mit ihr einen Ausflug machen, nach Kamenica. Hatte aber nicht genug Geld.

Und da bin ich zum Schuldirektor hinaufgegangen, er hat mich ausgezogen, hat mich auf die Schenkel geküsst und dazwischen. Dabei wiederholte er ständig, was ich für ein tolles Mädchen sei.

Und dann hast du mir das Geld gebracht. Ich stand vor dem Hauseingang und wartete auf dich und das Geld. Wir haben mit Tanja Riesling getrunken, Forelle gegessen, sind richtig herumgekommen. Aber lassen wir das. Es war zu verrückt. Und wir haben uns alles nur vorgemacht, Csicsi, jetzt weiß ich es.

Bitte verschon mich damit.

Wir sind dumm, und wir sind naiv.

Das macht uns nicht zu Ausnahmen, sagte sie.

Damit wollte ich mich nicht zufriedengeben. Eines schönen Tages würden wir hier verschwinden, sagte ich zu ihr. Wenn alles untergehen wird, werden wir nicht untergehen. Wir sind wie abgetretene Fußmatten. Es kann nur besser werden. Ja.

Ich will schlafen gehen, sagte sie.

Ich behüte deinen Schlaf, sagte ich zum Trost.

Du bist richtig gut, sagte sie.

Ich fragte sie, ob der Typ wirklich glücklich sei, den sie für Geld quäle, ob es ihm wirklich so großartig gehe. Ja, unbedingt, sagte sie. Irgendwie wollte es mir nicht in den Kopf.

Ich würde ihn gern kennenlernen.

Ich werde ihn dir vorstellen. Er ist sehr bekannt, steht oft in den Zeitungen.

Zum Abschied streichelte ich ihr über den Arm, dann trennten wir uns. Weil ich keine Lust hatte, in den Klub zurückzukehren, ging ich nach Hause. Ich hatte zu nichts Lust. Es war heute so viel passiert. Arme Csicsi! Als ich die Zimmertür öffnete, erblickte ich Pud, seine behaarte Brust, er trommelte sich triumphierend auf den Bauch. Er sei auch gerade erst nach Hause gekommen, sagte er. Und dass Olga wirklich eine ganz scharfe Frau sei. Er nannte mich einen echten Kumpel, der ihn mit einer so tollen Frau zusammengebracht habe. Pud war sehr zufrieden.

MITTWOCH

In letzter Zeit schlafe ich ziemlich miserabel, wenn einer die Rollladen auch nur leicht berührt, springe ich sofort aus dem Bett. Ich träume schreckliche Dinge. Ein schlechtes Zeichen.

Die morgendliche Stille und der erste Sonnenschein taten mir gut, sie halfen, meine Gedanken an die schlechten Träume zu verscheuchen. Der Briefträger klopfte an und schob einen Brief durch die Lamellen, der Umschlag segelte im langsamen Bogen ins Zimmer. Ein Brief, sagte Pud. Er stürzte sich sofort auf den Brief, wenn Post kam, wurde er immer ganz aufgeregt. Er befürchtete, dass seine Eltern die Märchen über das Studium eines Tages satt hätten – schwere Zeiten, eine Prüfung abzulegen sei nicht mehr so einfach wie nach dem Krieg, denn inzwischen gebe es eine ganze Menge Fachleute, man müsse den Lehrern Geschenke machen und sich bei ihnen einschmeicheln usw. –, und dass sie ihn zwingen würden, das Ganze abzubrechen und unverzüglich nach Hause zurückzukommen. Dass er kein Geld mehr von ihnen bekäme. Sein Leben hing an einem seidenen Faden. Im Grunde rechnete er täglich mit diesem Brief seiner Eltern. Mit seinen kurzen dicken Fingern hob er ihn vom Teppich auf. Für dich, sagte er mit spürbarer Erleichterung.

Dass ich Briefe bekomme, passiert nicht oft. Ich erkannte die schönen runden Buchstaben von Tanja, ihre kindliche Schrift auf dem Briefumschlag. »Offensichtlich finden wir nicht die Zeit, uns einfach zu treffen. Schrecklich. Ich bin schlaff, und ich durchschreite diese Phase meines Lebens wie eine Mondsüchtige. Manchmal bekomme ich Angst, und ich frage mich, was mit mir los ist, doch dann geht alles genauso weiter wie bisher – ein Missgeschick jagt das nächste. Bin labil, habe einen labilen Charakter, ich werfe mein Selbstwertgefühl anderen vor die Füße, Leuten, die viel dümmer und bedeutungsloser sind als ich. Allmählich werde ich mir dieser grausigen Tatsachen bewusst. Warum? Weil ich genug habe. Genug von allem. Man müsste irgendwas Neues anfangen …« Pud setzte sich im Bett auf.

Was ist das?

Tanjas metaphysische Wehwehchen.

Sollen wir aufstehen?

Nein.

Wir müssen was essen.

Ab heute essen wir nicht mehr.

Das geht nicht.

Das geht. Wir treten in einen Hungerstreik.

Warum?

Aus Prinzip. Aus Protest gegen den allgemeinen Stumpfsinn, schrie ich unter der Bettdecke.

Pud fluchte. Sein Bett knarrte. Er stand wieder auf, und als erstes begab er sich wie üblich zur Toilette, wo er die Politika von der Vermieterin nach neuesten Nachrichten absuchte. Dass Kennedy ermordet worden war, erfuhr er auch auf dem Klo.

Kurze Zeit später hämmerte jemand wie wild gegen die Rollladen, viel lauter als der Briefträger. Es war Tornadosz. Ich reichte ihm den Schlüssel hinaus. Er hatte eine Flasche Aprikosenschnaps dabei. Er habe einen Haufen Geld, sagte er, zwei Journalistinnen seien verliebt in ihn. Er holte die Gläser, schenkte aufgeregt ein. Es gehörte zu seinen Gewohnheiten, zu uns zu kommen, wenn er sich betrinken wollte. Er brachte auch Pud ein volles Glas zur Toilette. Auf dem Rückweg sagte er, Pud überlege, sich ein Auto zu beschaffen. Ein Auto zu haben sei ganz wichtig, sagte ich. Tornadosz’ Augen leuchteten. Wir würden zum Meer fahren und uns nach reichen Frauen aus dem Ausland umsehen. Das sei das einzige, wozu er wirklich Lust habe, sagte er, man brauche bloß ein Auto und sonst nichts. Pud kam herein. Wir brauchen unbedingt ein Auto, sagte er überzeugt und schenkte sich ein weiteres Glas voll. Gestern war ich oben in der Burg, sagte er, sah die schönsten Frauen, verdammt, wie sie von den Bonzen in schicken Autos vorgefahren wurden, Frauen laufen ja nicht gerne zu Fuß. Ich hätte die größte Lust gehabt, sie alle den Berg hinunterzuprügeln. Hast du ein Auto, hast du auch Frauen. Es ist einfach peinlich, Leuten in die Augen zu sehen, ohne ein Auto zu haben. Wenn ich einmal die Schweine meines Vaters verkaufe … Mitten im Satz hielt er inne. Immer wenn er Probleme kriegt, will er gleich die Schweine verkaufen, bis er es sich anders überlegt, weil er begreift, dass sie nicht ihm gehören, sondern seinem Vater, der sich ein Leben lang abgerackert hat. Ich stand auf und zog mich rasch an. Ich sagte, ich hätte zu tun und müsse zum Ingenieur. Nutte, stieß Pud angeekelt hervor. Vom Schnaps war er schon ganz rot im Gesicht. Du dienst dich denen an wie eine Nutte, sagte er. Du leistest Beihilfe. Alle wollen uns drankriegen. Tornadosz sah die Sache nüchterner und meinte, dass ich doch dafür wenigstens ordentlich bezahlt würde. Pud winkte ab, sagte, für eine so himmelschreiende Schweinerei sei das viel zu wenig. Die hauen uns übers Ohr, wir verkaufen uns weit unter Preis. Ich ließ sie stehen und ging. Es war unsinnig, sich auf eine Diskussion einzulassen. Ich habe genug zu tun, und was ich tue, füllt mich fürs Erste aus. Ohne eine Aufgabe ist man nichts wert.

In der Wohnung des Ingenieurs angekommen, machte ich mich an die Entwicklung des Films. Die Aufnahmen gefielen dem Ingenieur ungemein. Sie waren auch wirklich gut gelungen. Heute Abend hast du frei, du musst bloß die Blonde irgendwo auf dem Korso erwischen und ihr die Bilder zeigen. Ich nickte. Wenn sie sie sieht, wird sie weich, sagte er. Ich konnte den Abend vor Ungeduld kaum erwarten. Ich ging zu dem Haus, in dem die Blonde wohnte, setzte mich auf eine Bank in der Nähe und wartete. Warten ist eine Spezialität von mir. Wenn es sein muss, kann ich Stunden warten, ich nutze die Zeit, um über mich nachzudenken. Es dauerte nicht lange, bis sie aus der Haustür trat und