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Doris Dörrie

Happy

Ein Drama

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Erstausgabe erschien 2001 im Diogenes Verlag

Alle Rechte vorbehalten,
insbesondere das der Aufführung
durch Berufs- und Laienbühnen
und das des öffentlichen Vortrags,
auch einzelner Abschnitte

Die Rechte sind nur von der Diogenes Verlag AG,
Sprecherstraße 8, CH-8032 Zürich, zu erwerben

Umschlagillustration:
Jack Vettriano,
›Something in the Air‹, 1999

Mit freundlicher Genehmigung
der Portland Gallery, London

 

 

 

 

Alle Rechte vorbehalten

Copyright © 2012

Diogenes Verlag AG Zürich

www.diogenes.ch

ISBN Buchausgabe 978 3 257 23355 1 (4. Auflage)

ISBN E-Book 978 3 257 60088 9

Die grauen Zahlen im Text entsprechen den Seitenzahlen der im Impressum genannten Buchausgabe.

[5] Erste Szene

Flug über Berlin bei Nacht. Anfangs nur glitzernde, unscharfe Lichter, dann erkennt man Gebäude, Straßen, Häuser. Schließlich ein Wohnhaus mit erleuchteten Fenstern, ein Fenster – durch das wir in eine ziemlich ärmliche Einzimmerwohnung sehen. Emilia, 30, allein. Sie ist ungeschminkt, trägt schlabberige Allerweltsklamotten, hört ganz laut Musik und tanzt dazu. Überhört fast das Klingeln an der Haustür. Macht endlich auf. Es ist Felix, 32, er trägt einen smarten Anzug, der nicht wirklich gut sitzt. Beide gehören nicht unbedingt zu den Gewinnern, so viel ist auf den ersten Blick schon klar.

FELIX  Ich klingle schon seit fünf Minuten.

EMILIA  ’tschuldigung. Ich hab nur ein bißchen getanzt… Aggressionen rauslassen, damit ich nachher nicht meine Pumpgun aus der Handtasche hole und alle umlege.

FELIX  Wie du aussiehst!

EMILIA  Wie seh ich denn aus?

FELIX  Scheiße. Scheiße siehst du aus.

EMILIA  Selber.

FELIX  Wir haben eben prima zusammengepaßt. Komm her, altes Haus, laß dich küssen.

[6] Emilia wendet sich ab.

EMILIA  Willst du was trinken? Wir haben noch Zeit, und ich will nicht die erste sein, sonst muß ich erzählen wie’s mir geht.

Emilia gibt ihm ein Glas.

FELIX  imitiert Ooooh, Felix, long time no see… Bussi, Bussi… Wie geeeht es dir?

EMILIA  Sie haben dich lange nicht gesehen.

FELIX  Nach unserer Trennung haben sie mich behandelt, als hätte ich Lepra.

EMILIA  Sie haben eben automatisch angenommen, daß du das Schwein bist, das gegangen ist. Also wie geeeeeht es dir?

FELIX  Willst du das wirklich wissen?

EMILIA  Ich weiß nicht.

FELIX  Wenn ich sage, gut, bist du sauer, weil ich nicht mehr leide. Wenn ich sage, schlecht, bist du sauer, weil du Schuldgefühle bekommst. Warum fragst du dann?

EMILIA  O Gott, machen wir jetzt den ganzen Abend so weiter?

FELIX  Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee war, daß wir zusammen da hingehen. Schüttet das Glas in sich hinein.

EMILIA  Sie wollen uns beide als Freunde behalten. Ist doch eigentlich ganz nett.

FELIX  Ich war nie mit Boris und Dylan befreundet.

EMILIA  Du bist nur vier Jahre lang jeden Sonntag mit ihnen Fußballspielen gegangen…

[7] FELIX  Zum Beispiel.

EMILIA  Okay, markier nur den starken Mann.

FELIX  Willst du nicht was anderes anziehen?

EMILIA  Warum sollte ich?

FELIX   Damit nicht jeder gleich sieht, daß du unsere Trennung nicht verkraftest.

EMILIA  Was wäre denn, wenn’s so wäre?

FELIX  Ich wäre geschmeichelt.

EMILIA  seufzt theatralisch Ich verkrafte unsere Trennung nicht.

FELIX  Ach, Putzi. Du bist doch schließlich gegangen.

EMILIA  Nur weil ich die Mutigere von uns beiden bin.

FELIX  Komm, gib mir noch einen, ich muß mir Mut für unsere Freunde antrinken. Setz dich her zu mir, so wie früher.

Er klopft auf den Platz auf dem Sofa neben sich. Emilia setzt sich. Sie ist traurig.

FELIX  Ach, Mensch, du bist ja wirklich ganz kümmerig…

EMILIA  Kümmerig…

FELIX  Was ist denn los?

EMILIA  Nix.

FELIX  Jetzt kannst du mir die Wahrheit sagen. Wir sind nicht mehr zusammen, du brauchst mir nichts mehr vorzumachen – ich hau nicht ab in meine Höhle und knalle die Tür zu.

EMILIA  Gibt ja auch keine Tür mehr außer die zum Klo.

FELIX  Du mußt hier raus aus diesem Loch.

[8] Emilia zuckt die Schultern und wirkt noch trauriger als zuvor. Felix rutscht ein bißchen näher und legt ihr den Arm um die Schultern.

EMILIA  seufzt Ich komme mir so, …so zurückgelassen vor. So, als wäre ich plötzlich zu langsam. Ihr rennt alle weiter, und ich komme nicht mehr mit.

FELIX  Was meinst du denn damit?

EMILIA  Ach, als wir noch zusammen waren, hat es nichts gemacht, daß ich nur diesen blöden Job als Sekretärin am Max Planck habe, das war eher Nebensache. Die anderen, Charlotte und Anette, hat das auch gar nicht so interessiert, aber jetzt plötzlich ist überall der Faden gerissen, und ich bin mit einem Mal weniger als vorher…

FELIX  Weil wir uns getrennt haben?

EMILIA  Sie kommen mir alle so von oben herab vor. Und Boris fragt immer so beschissen gütig, wie’s mir geht. Als hätte ich ’ne Krankheit. Und Anette bezahlt immer für mich, wenn wir Kaffeetrinken gehen, wie für die arme alte Tante, der man mal was Gutes tun muß…

FELIX  Du übertreibst.

EMILIA  Na ja, guck dir mal an, wie ich lebe und wie die anderen. Bei Dylan und Charlotte werden dir heute abend die Augen übergehen in ihrer neuen Wohnung, ein verdammter Palast ist das, …aber es ist gar nicht das Geld, sondern viel mehr, daß sie alle so tun, als könnte ihnen das nicht passieren, daß sie sich trennen. Sie sind so viel besser, so viel gescheiter, sie können so viel besser lieben, als wir das konnten…

FELIX  Blödsinn.

[9] EMILIA  Na ja, wir haben es ja wirklich vermasselt.

FELIX  Warum eigentlich?

Pause. Beiden fällt nicht mehr so recht ein, warum eigentlich.

FELIX  Eine richtig gute Liebesgeschichte ist immer eine kurze Geschichte.

EMILIA  Was ist denn das jetzt wieder für ein Quatsch! Du sagst immer einfach Sätze, nur um sie auszuprobieren. Das macht mich wahnsinnig.

FELIX  Es ist aber wahr.

EMILIA  Ist es nicht. Wir haben es einfach nicht gepackt.

FELIX  Hier hast du noch einen Satz: In jeder Beziehung gibt es einen richtig guten Tag.

EMILIA  stöhnt Einen einzigen Tag, ja? Und welcher Tag war denn ein richtig guter Tag bei uns, deiner Meinung nach?

FELIX  Als wir ganz am Anfang mal auf der Autobahn von Eching zurück in die Stadt im Gewitter zwei Stunden im Stau gestanden sind. Es war so gemütlich wie in einem Zelt, die Welt gab’s nicht mehr, der Regen ist aufs Autodach geprasselt, und du hast mir erzählt, daß du als kleines Kind geglaubt hast, die braunen Kühe geben Kakao und die weißen Milch. Und später sind wir bei Charlotte und Dylan, als sie noch in der Bauerstraße gewohnt haben und wir auf ihre Katze aufgepaßt haben, weil sie in Italien waren, ins Bett gegangen, und du hast mir dann Spaghetti mit Petersilie gekocht. Mehr gab’s nicht im Kühlschrank, nur dieses eine Bund halb vertrocknete [10] Petersilie. Aber das waren die besten Spaghetti meines Lebens.

EMILIA  An den Tag kann ich mich überhaupt nicht erinnern.

FELIX  Ja, ja, das mußt du jetzt sagen – ist ja klar… Selbst diesen einen einzigen Tag – nimm ihn mir weg, mach ihn fertig, trampel auf ihm rum, schmeiß ihn weg!

EMILIA  Nein, ich kann mich wirklich nicht erinnern.

FELIX  Streng dich an, bitte! Sonst weiß ich nicht mehr, ob er wirklich passiert ist in meinem Leben.

EMILIA  Ich schwör dir, ich weiß es nicht mehr. Ich kann mich an die Katze erinnern, daß sie Diabetes hatte und wir ihr jeden Morgen eine winzige Spritze aus dem Kühlschrank geben mußten…

FELIX  …du hast mir deine ganze Kindheit erzählt, im Auto, im Gewitter…

EMILIA  Ich weiß es nicht mehr! Ist doch auch jetzt nicht mehr wichtig, dieser eine Tag.

FELIX  Ist er doch. Er gehört zu mir.

EMILIA  So wie du diesen Tag beschreibst, klingt er, als hättest du ihn mit jeder x-beliebigen Frau verbringen können…

FELIX  Das ist wieder typisch.

EMILIA  Was?

FELIX  Daß du ihn niedermachst.

EMILIA  So habe ich das gar nicht gemeint. Es kam mir nur alles gerade ziemlich zufällig vor.

FELIX  Ich habe mir dich ausgesucht. Damals.

EMILIA  Nee, mein Lieber, das war andersrum. Du hast alles immer nur geschehen lassen.

[11] FELIX Du solltest dir was anderes anziehen. Komm, wir zeigen es denen. Wir werden umwerfend aussehen.

EMILIA  Keine Lust.

FELIX  Ich wette, die beiden Weiber sind aufgebrezelt bis zu den Haarspitzen.

EMILIA  Na und?

FELIX  Willst du bemitleidenswert aussehen?

EMILIA  Vielleicht rufe ich Anette an. Charlotte hat von ’nem kleinen Abendessen geredet, und nachher hat sie dann ein Abendkleid an und es spielt ’ne Bigband.

FELIX  Ich mag Charlotte.

EMILIA  Ich weiß.

FELIX  Ich mag auch Anette.

EMILIA  Ich weiß.

FELIX  Mit beiden habe ich nichts gehabt, falls du das meinst.

EMILIA  Es ist mir egal. Jetzt ist es mir egal.

FELIX  Findest du es nicht komisch, daß wir uns mal so gut gekannt haben?

EMILIA  Ja. Jetzt sehe ich dich manchmal an und erkenne dich gar nicht richtig. Als wäre ich kurzsichtig geworden…

FELIX  Komm, zieh dir was anderes an.

EMILIA  Gleich.

Sie riecht an ihm.

EMILIA  Du riechst auch ganz anders.

FELIX  Und du bist anders.

EMILIA  Hast du schon mal jemand anders…

[12] FELIX  Und du?

EMILIA  grinst Du zuerst.

FELIX  Wirklich? Ich fasse es nicht!

EMILIA  Du zuerst.

FELIX  Ich hab nicht gedacht, daß du so schnell…

EMILIA  Du zuerst.

FELIX  Okay. Aber du mußt weggucken. Ich kann’s dir nicht erzählen, wenn du mich anguckst.

EMILIA  Na, komm. Erzähl’s mir.

FELIX  Ich hab ihr beim Bäcker das letzte Kürbiskernbrot vor der Nase weggekauft. Sie war so enttäuscht, daß ich das Brot zurückgegeben habe und die Verkäuferin gebeten habe, es in der Mitte durchzuschneiden. Daraufhin war sie so gerührt, daß sie mich auf ’nen Kaffee eingeladen hat.

EMILIA  Name!

FELIX  Keine Namen. Wir nennen sie Else.

EMILIA  langsam Wir nennen sie Else.

FELIX  Else war hübsch und jung, und ich war geil. Ich hatte seit unserer Trennung keinen Sex mehr, also sind wir nach drei Cappuccino, wo mir schon ganz zittrig war, zu mir.

EMILIA  Wie hast du Else so schnell dazu gekriegt?

FELIX  Sie hatte sich auch vor ein paar Monaten getrennt, sie war auch geil, es war ein schöner Tag… Du weißt doch, wie so was geht. Es war alles sehr spontan. Wir sind also zu mir nach Hause, haben uns auch gleich ausgezogen, und los ging’s. Sie hatte einen klasse Körper, eigentlich alles prima…

EMILIA  Aber…

[13] FELIX  …aber…

EMILIA  …aber du hast an mich gedacht…

FELIX  Nein, das war es nicht. Ich hab an gar nichts gedacht, es ging alles ganz gut, selbst das Kondom habe ich in nullkommanix allein drüber gehabt…

EMILIA  Glückwunsch.

FELIX  Danke. Ja, das ging alles glatt, alles kein Problem – und dann plötzlich hab ich gemerkt, daß es sich so anfühlt, als würde ich den Rasen mähen oder eine Glühbirne wechseln, …und kurze Zeit später sagt sie zu mir: Summst du immer dabei?

EMILIA  Was?

FELIX  Ja, ich habe wohl gesummt.

EMILIA  Das ist nicht dein Ernst!

FELIX  Doch. Ich habe ihr auch geglaubt, denn genau so hat es sich angefühlt. So hmmmmmmmmmm… Aber ich hätte genausogut eben was anderes machen können.

EMILIA  Ist sie nicht böse geworden?

FELIX  Nein. Wir waren dann fertig, haben uns wieder angezogen, ich habe ihr noch ein Glas Wasser gegeben, das war’s.

EMILIA  Schrecklich. Arme Else.

FELIX  Nein. Es war nicht schrecklich. Nur ein bißchen seltsam. Und eigentlich war ich ganz froh, daß es so war. Es war eine Aktivität unter vielen. Keine Gefühle, kein Drama…

EMILIA  Wie mit mir.

FELIX  Tja, …du nimmst halt alles immer sehr ernst.

EMILIA  Und du hast es lieber unverbindlich.

FELIX  Bist du eifersüchtig?

[14] EMILIA  Schon lange nicht mehr. Eifersucht ist Selbsthaß.

FELIX  Wow, was für eine Erkenntnis. Nur ein bißchen spät.

EMILIA  Entschuldige, daß ich so langsam bin mit meinen Erkenntnissen.

FELIX  Du bist dran.

EMILIA  Hab keine Lust mehr.

FELIX