Dank

Diese leicht verrückten Briefe an den „Super, Mann!“ in uns gäbe es nicht ohne meinen wunderbaren Männergesprächskreis in Oberstedten. „Seid gegrüßt, ihr Helden.“ Bei den Rotwein-seligen Treffen unserer Kamin-Runde diskutieren wir regelmäßig leidenschaftlich über die Frage, was unser Mann-Sein eigentlich so kompliziert macht. Das war und ist derart anregend, dass wir den hemmungslosen Spott unserer Gemahlinnen gerne in Kauf nahmen und nehmen.

Mein Dank geht deshalb zuallererst an Dieter Berthold, Klaus Dittl, Hans-Georg Drape, Ralf Jakob, Friedhelm Kreft, Lutz Morawitz, Matthias Müller, Ralf Muth, Martijn Peereboom, Christoph Schlageter, Horst Spiesberger, Mario Strazza und Awraam Zapounidis. Sie alle haben zu diesem Buch beigetragen. „Toll, dass es euch gibt. Ihr zeigt mir immer wieder, dass wir auf unsere Männlichkeit zu Recht stolz sein können. Lasst die Mädels doch kichern.“

Dass meine Frau Miriam unermüdlich verkündet, sie hätte sich das mit der Hochzeit möglicherweise noch mal überlegt, wenn sie alle Facetten meines männlichen Wesens gekannt hätte, stimmt mich natürlich nachdenklich – doch danke ich ihr umso mehr, dass sie mich geduldig und in großer Güte erträgt. Und wenn ich noch nicht in allen Rollen perfekt bin, dann … ja, dann … dann bin ich eben nicht in allen Rollen perfekt. „Liebe dich aber umso mehr.“

Meine Kinder haben auf ihre Weise ebenfalls dazu beigetragen, dass ich die Bedeutung und die Bewertung meiner Männer-Rollen noch einmal ganz neu überdacht habe. Seit diese beiden Energie-Bündel bei uns hausen, sind ganz andere Dinge wichtig geworden – und ich bin ein Mann geworden, der auch mal höchst engagiert „Der kleine Hobbit“ vorliest. Wow!

Nicht zuletzt danke ich all den Männern, die mir geholfen haben, meine eigene Identität zu finden. Und ich verneige mich vor dem „Tourismus-Verein Saiser Alm“, der dieses Manuskript freundlicherweise für mich zum Verlag geschickt hat. Mitten in der Hochsaison. Das war allerdings eine Frau. Manchmal sind sie also doch sehr praktisch.

Fabian Vogt

Super,
Mann!

Briefe an all die Mannsbilder in uns

Mit Illustrationen von Thees Carstens

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 9783865065469

© 2013 by Joh. Brendow & Sohn Verlag GmbH, Moers

Titelgrafik und Innenillustrationen: Thees Carstens

Satz: Brendow PrintMedien, Moers

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2013

www.brendow-verlag.de

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Männer-Fantasien

Warum ich dieses Buch gerade so geschrieben habe

Brief an den Träumer

Brief an den Ängstlichen

Brief an den Ehemann

Brief an den Liebhaber

Brief an den Vater

Brief an den Sohn

Brief an den Berufstätigen

Brief an den Sportler

Brief an den Freund

Brief an den Kulturfreak

Brief an den Glaubenden

Brief an den Autofahrer

Empfänger glücklich verzogen

Dank

Männer-Fantasien

„Super, Mann!“ ist ein Buch für … Männer. Ihr wisst schon, was ich meine: echte Männer! Helden des Alltags! Die Herren von Welt! Die Jäger im Dschungel der Postmoderne! Die Krieger des Lichts! Die Macher im Anzug, im Designerpulli oder im Blaumann! Die Zampanos! Die vor Virilität strotzenden Kerle, die der Gesellschaft lässig zeigen, wo der Hammer hängt und die Post abgeht. Sprich: die ganzen dominanten Testosteron-Bomben, die einfach alles im Griff haben, sei’s die Hilti, den Golfschläger, die Aktienkurse oder ihre Frauen …

… zumindest hat mir das mal einer erzählt. Also: Wie das angeblich abläuft mit dem Mann-Sein. Der Typ war aber nur 1,65 Meter groß und stand – so mein Eindruck – total unter dem Pantoffel seiner äußerst gewichtigen Frau. Da hätte ich wahrscheinlich auch so wirres Zeug von mir gegeben. Puh!

Jungs, mal ehrlich: Es gibt doch keinen Mann, der nicht gern ein echter Mann wäre. Ein forscher Eroberer des Abenteuerlands „Leben“. Ist doch so! Wenn wir uns beschreiben müssten und nur zwischen „Mann“ oder „Memme“ wählen dürften, dann würde ja wohl keiner so bescheuert sein und sich bei „Memme“ melden. Nur stellt sich da natürlich schnell die äußerst komplexe Frage: Wer oder was ist ein „echter Mann“? Wisst Ihr’s?

Ich wusste es lange nicht und habe deshalb dem Verlag dieses Buch vorgeschlagen, quasi als unterhaltsamen Klärungsprozess. Ja, weil ich die Wahrheit wissen wollte. Die Wahrheit und nichts als die reine Wahrheit.

Denn mal ganz ehrlich: Wie Brad Pitt sehen die meisten von uns ja nicht aus. Leider. Auch an Orlando Bloom und George Clooney kommen wir – zumindest die überwiegende Mehrzahl von uns – unter ästhetischen Gesichtspunkten nicht ran. Statt eines drallen „Sixpacks“ á la Schwarzenegger haben wir in der Regel einen ausgeprägten Waschbär-Bauch. Ewig den coolen John Wayne raushängen lassen, ist auch nicht mehr so ganz angesagt. Und ob Til Schweiger, Boris Becker und Dieter Bohlen tatsächlich mannhafte Vorbilder für uns Männer der Zukunft sind, ist nicht nur in den Medien äußerst umstritten. Ja, selbst Bond … James Bond, die ewig smarte Doppel-Null mit der Lizenz zum Löten, der Frauen-ins-Bett-Locker mit dem unwiderstehlichen Charme des Siegers hat neuerdings massive psychische Probleme, muss sich erst mal selbst finden, fängt am Ende gar an zu flennen und weiß überhaupt nicht mehr so recht, ob Geheim-Agent wirklich so ein Bringer-Job ist. Ich fass es nicht. Da bin ich nicht gerührt, da werde ich geschüttelt.

Sprich: Mit den traditionellen Männerbildern aus Film, Funk und Fernsehen lässt sich die Frage, was ein „echter Mann“ ist, nicht ernsthaft und überzeugend beantworten. Jedenfalls nicht mehr. Kurz und gut … bzw. kurz und schlecht: Das Elend ist groß. Oder anders ausgedrückt: Mann-Sein erweist sich anscheinend als unfassbar kompliziert. Finde ich jedenfalls. Keine Vorbilder, völlige Verunsicherung und viele verdrehte Vorstellungen.

Dazu kommt noch, dass wir Männer ja seit einigen Jahren auch noch von wilden Amazonen gebetsmühlenartig erzählt bekommen, wir müssten endlich die verborgenen, sanften Seiten in uns entdecken und ausleben. Die einfühlsamen Facetten. Die weiblichen Eigenschaften. Die weichen Charakterzüge: „Wein doch! Lass es raus! Stell dich deinen tiefsten Gefühlen, du zarte Seele.“ Weil die emotionale Intelligenz angeblich ja nicht nur die kognitive Intelligenz, sondern vor allem die Muckis schlägt.

Viele sagen zwar, das sei vor allem Alice-Schwarzer-Humor, trotzdem setzt diese Forderung den wahren Gentleman in uns ordentlich unter Druck. Denn wir möchten den Frauen ja gefallen. Das bedeutet: Weil wir Männer auch Meister der Anpassung sein wollen, bemühen wir uns mit allen Kräften und mit zunehmender Verzweiflung, den verschiedenen Männerbildern in der Gesellschaft gerecht zu werden. Stark wollen wir sein … und zugleich schwach. Bestimmend … und diskussionsfreudig. Kantig … und flexibel. Durchsetzungsfähig ... und anschmiegsam. Draufgängerisch … und zurückhaltend. Würdig … und total humorvoll. Aktiv … und doch in uns ruhend. Offen … und so weiter …

Ja, wir spazieren ernsthaft stundenlang durch stinklangweilige Wälder, obwohl wir es zum Kotzen finden, nur um zu signalisieren: „Schaut her, ihr Frauen, wir sind ja so unfassbar romantisch und naturverbunden.“ Was für eine Perversion des Mann-Seins! Nebenbei: Dürften wir unterwegs ein Wildschwein mit der bloßen Faust erlegen, sähe die Sache vielleicht anders aus. Dürfen wir aber nicht. Und wer es als Mann in der Boutique vor den Umkleidekabinen wagt, den gefühlten 356. Pullover seiner Begleiterin („Na, wie findest du den hier?“) nicht auch noch mit dem Kommentar: „Also, der steht dir wirklich hervorragend“ zu versehen, obwohl die Liebste darin aussieht wie eine leicht vergammelte Presswurst, gilt als unsensibel und verroht.

Um es auf den Punkt zu bringen: Der modernde Mann will es allen recht machen. Wirklich allen. Und macht damit eher schlechte Erfahrungen. Aufgerieben zwischen schier endlosen Ansprüchen unterschiedlichster Personen, Institutionen und Vorstellungswelten, hechelt er verwirrt seiner undefinierten Männlichkeit hinterher – ohne sie jemals einzuholen. Wie denn auch? Er weiß ja nicht mal, wem oder was er da eigentlich nachjagt. Wie soll man etwas erreichen, dessen Erscheinungsbild und Position man gar nicht kennt? Oder anders gesagt: „Wie soll ich denn mein Mann-Sein überzeugend leben, wenn ich es nicht definieren kann?“ Was für ein trauriges Bild.

Ja, es muss einfach mal gesagt werden – und zwar ohne jede Larmoyanz: Männer haben’s echt nicht leicht. Was vor allem daran liegt, dass es heutzutage eben nicht nur einen Anspruch an den Mann gibt – „Sei ein guter Ernährer!“ – sondern Dutzende. Jede und jeder hat eine diffuse Vorstellung davon, was einen Mann ausmacht und konfrontiert uns schonungslos mit all diesen radikalen Anforderungen. Ist doch so! Irgendwie sollen wir alles gleichzeitig sein: wunderbare Ehemänner, großartige Väter, fürsorgliche Söhne, erfolgreiche Geschäftsleute, gute Freunde, fleißige Haushaltsgehilfen, leidenschaftliche „Lover“ und glaubensstarke Visionäre. Kein Wunder, dass wir oft nicht mehr wissen, wo uns der Kopf steht.

Höchste Zeit also für eine fröhliche Erkundungsreise: Was ist ein wahrer „Super-Mann“? Tja, wer sagt uns, welche Eigenschaften unser Mann-Sein gesund und stark machen? Und wie können wir gerne und ungehemmt Männer sein und bleiben, ohne dabei oberflächlichen Macho-Klischees auf den Leim zu gehen oder die Menschheit unter unserem Profilierungswahn leiden zu lassen? Das muss doch machbar sein. Himmel hilf!

Nun: Weil solche Selbsterfahrungstrips allzu oft bierernst und ziemlich unentspannt daherkommen, geht es in diesem Buch in erster Linie darum, sich mal unterhaltsam mit den unterschiedlichen Männer-Rollen auseinanderzusetzen, denen wir so gerne genügen wollen. Heiter und gelassen. Das Mann-Sein ist schon herausfordernd genug. Und vielleicht hilft ja gerade ein unverkrampfter Blick auf unsere Rollen, unserer männlichen Sehnsucht Schritt für Schritt auf die Schliche zu kommen. Würde mich freuen, wenn es klappt.

Herzlich
Fabian Vogt

PS: Liebe Frauen, die Ihr dieses Buch in die Hände genommen habt, um endlich zu begreifen, warum Eure Macker sich so verhalten, wie sie es tun, denkt daran: Wenn wir erst echte Männer sind, dann haben wir es nicht mehr nötig, uns als solche aufzuspielen. Ihr solltet diesen Aufklärungsprozess also mit allen Kräften fördern. Und vielleicht seid Ihr ja nach dieser Lektüre etwas gnädiger mit uns. Ganz bestimmt sogar.

Warum ich dieses Buch
gerade so geschrieben habe

Ich komme gerne abends nach Hause. Sehr gerne sogar. Nach einem langen Arbeitstag. Der Körper ist matt. Der Geist hat sich wund kommuniziert. Die Seele hängt noch halb auf der Autobahn. Und die Aussicht auf ein süffiges Glas Rotwein in meinem Ohrensessel erscheint mir wie ein Vorgeschmack auf das Paradies.

Doch dann steht meine Frau in der Tür. Wie ein übereifriger Feldwebel. Nicht etwa bösartig. Oder gar mit Nudelholz. O nein. Sie sieht wundervoll aus. In ihrem ausgeleierten Labber-Shirt. Liebenswert und attraktiv. Und ihre Absichten sind ganz rein. Sie möchte mir nur – verantwortungsbewusst, wie sie ist – so etwas wie einen knappen Überblick über das Tagesgeschehen geben … und meine sich daraus ergebenden Pflichten sanft andeuten. Meist klingt das dann ungefähr so:

Hallo! Gut, dass du endlich da bist! Wurde auch Zeit. Die Heizung gluckert seit heute Mittag so komisch. Schau doch bitte mal nach. Im Bad wird es gar nicht mehr warm. Ach ja, deine Mutter war auf dem Anrufbeantworter, sie wartet auf einen Rückruf. Was ganz Dringendes.

Unser Sohn hat vorhin einen riesigen Spiderman aus Pappmaschee und Fango gebastelt, den du dir unbedingt angucken musst. Na, vielleicht soll das Schlamm-Ding auch Dumbledore darstellen. Irgend so ein Fantasy-Wesen eben. Ja, er wartet im Garten auf dich.

Dieses hemmungslose Schluchzen ist übrigens unsere Tochter. Sie versteht Mathe nicht und heult seit über einer Stunde rum. Na, ich versteh’s auch nicht. Kümmer du dich bitte. Ihr müsst nur noch die Aufgaben 2 bis 49 machen. Das sollte in knapp einer Stunde erledigt sein. Morgen schreibt sie außerdem eine Arbeit in Biologie. Wiederhole doch bitte mit ihr noch mal alle Grundarten der Quastenflosser und das Paarungsverhalten schlesischer Frettchen.

Ist das Brot, das du mitbringen solltest, in der Tasche? Sag ja nicht, dass du es vergessen hast.

Warte. Richtig, da war noch was: Dein Kollege braucht dringend eine Kopie des Vertragsentwurfs mit Hamburg. Ganz dringend sogar. Na, er sagt: Bis Mitternacht reicht.

Da fällt mir ein: Du bist doch heute dran mit Geschirrspülmaschine ausräumen. Und mit Treppe fegen. Von dem Elektronikschrott, der seit vier Wochen zum Bauhof soll, ganz zu schweigen.

Außerdem fragt Alex, ob du heute Abend mit ihm in den neuen „Hobbit“-Film oder in „Stirb langsam 14“ gehen willst. Na, ich glaube ja nicht, dass das gut für dich wäre.

Sag mal, ist dir eigentlich bewusst, dass du in letzter Zeit gar nicht mehr so oft joggen warst? Ich finde, man sieht’s auch. Da an den Hüften – und hier im Gesicht.

Was noch? Genau! Hast du, wie besprochen, das Hotel für die Herbstferien gebucht? Da waren ja nur noch sehr wenige Zimmer frei. Und ich will auf jeden Fall Blick zum Meer. Auf jeden Fall!

Außerdem bricht der Kaninchenstall auseinander. Nicht, dass unser Hoppelchen ausbüxt. Mich würd’s ja freuen, aber die Kinder wären untröstlich.

Nicht zu vergessen: Der Steuerberater braucht kurzfristig eine umfangreiche Rückmeldung über deine unfassbaren Nebenverdienste als Autor von Männer-Büchern.

Die Nachbarn wollen jetzt doch klagen, wenn unsere Äpfel weiter in ihre Einfahrt plumpsen. Wurde ziemlich laut heute.

Davon mal abgesehen: Es wäre doch total schön, wenn wir zwei mal wieder einen Abend ganz für uns hätten.

Manchmal nimmt mich meine Frau dann noch zärtlich in den Arm, streichelt mir einmal beruhigend über die Wange und flüstert mir ins Ohr: Du siehst müde aus, mein Schatz. Sehr sogar. Du solltest dringend etwas entspannen. Aber bitte erst, wenn du die ganzen Sachen erledigt hast.

Und dann kommt er, der schneidende, der einzigartige Satz, der wie ein Damoklesschwert über fast der Hälfte der Menschheit hängt: Sei ein Mann!

O ja, das wäre ich gerne. Wenn ich nur endlich wüsste, wie. Wie geht das? Ich sage mal so: Wenn ich meiner Frau glauben soll, dann hat Mann-Sein etwas damit zu tun, dass ich all die Rollen ausfülle, in denen sie mich braucht. Und in denen die Welt mich braucht. Und in denen mich die Gesellschaft Europas so gerne erfolgreich sehen möchte.

Denn: Ist euch das aufgefallen? Innerhalb der zwei Minuten, die der allabendliche Rapport meiner Frau im Schnitt dauert, spricht sie rund 10 bis 12 unterschiedliche Profile an, 10 bis 12 männliche Bewährungsfelder, rund ein Dutzend Herausforderungen, denen ich mich zu stellen habe. Ja, schon bei einem einzigen Nach-Hause-Kommen, wie ich es eben beschrieben habe, wird mir ein ganzes Panoptikum an Typen vorgesetzt, in die ich hineinschlüpfen und deren Zuständigkeiten ich – bitte schön – erledigen darf. Vom Reparateur über den Erzieher. Vom Laufburschen bis zum Organisator. Und vom Kulturfreak bis zum Haushaltsgehilfen. Letztlich bis zum „Retter der Menschheit“. Und weil in jedem lässigen Mann von Anbeginn der Welt ohnehin der Wunsch steckt, der „Retter der Menschheit“ zu sein, reiben wir uns darin auf, jede dieser Rollen bis zur Perfektion auszufüllen und zu vollenden.

Um es gleich zu Beginn zu sagen: Grundsätzlich habe ich da gar nichts dagegen. Ja, ich merke, dass ich das sogar möchte. Ich möchte gerne den vielfältigen Aufgaben und Anforderungen gerecht werden und Vater, Sohn, Kollege, Freund, Ehemann, Sportler, Glaubender und was weiß ich noch alles sein. Es ist eine unvorstellbare Bandbreite an Wesenszügen, die ich nicht missen möchte – und die das Leben bunt und abwechslungsreich macht. Aber es ist eben auch überaus anstrengend. Zeitraubend, nervenaufreibend und manchmal ziemlich frustrierend.

Deswegen gestehe ich hier offen: Bisweilen schaue ich doch ein wenig neidisch auf meinen Großonkel Hellwig, der sein Leben lang zu Hause keinen Finger krumm gemacht und alles, wirklich alles meiner Großtante Roswitha überlassen hat. Bis heute unvorstellbar, dass Hellwig sich etwa selbst ein Wurstbrot schmiert, ein kühles Bier aus dem Getränkekeller holt, den Rasen mäht oder eine Glühbirne wechselt. Er wüsste wahrscheinlich gar nicht mehr, wie das geht. Wenn er es denn überhaupt je wusste. Sein reizendes Lebensmotto lautet: „Ich hab die Knete heimgebracht, dafür soll Rosi es mir schön machen. Und zwar dalli.“

Ich habe meiner Frau dieses bewährte, traditionsreiche und klar strukturierte Beziehungsmodell mal mit einer brillanten Power-Point-Präsentation vorgestellt. Aber sie wollte nicht. So überhaupt gar nicht! Ja, sie war nicht mal bereit, wenigstens darüber nachzudenken. Sehr schade. Andererseits: Wenn ich Hellwig da so bräsig sitzen sehe, wie er seine „Haussklavin“ scheucht … nee, das ist es dann wohl auch nicht. Obwohl …

Dass das klassische Männerbild in den letzten Jahrzehnten einen umfassenden Wandel erlebt hat und Frauen zu Recht aus dem überlieferten Käfig patriarchaler Strukturen ausgebrochen sind, ist einerseits ein Segen, es stellt uns gebeutelte Männer der Neuzeit aber vor einige Problemchen, die es früher einfach nicht gab: In den erstaunlichen Epochen, in denen nur die Frauen für die Kindererziehung, den Haushalt, die Versorgung der Eltern und die Gestaltung der Kontakte zuständig waren, galt das Territorium der Männer als klarer abgesteckt und vor allem als eindeutig definiert. Mann wusste, was man zu tun hat. Heute ist – so zumindest mein Eindruck – die Bandbreite wesentlich größer. Und das hat klar erkennbare Konsequenzen.

Vor allem findet sich der Mann des 21. Jahrhunderts eben in einer (ziemlich unschönen) Zerrissenheit wieder. Von allen Seiten zerrt und reißt es an ihm. Perfekt soll und will er ja – wie gesagt – nicht nur in einer Rolle sein, sondern, bitte schön, in jeder. Und da sind wir mittendrin im Dilemma. Denn: Wie ich es auch mache, ist es falsch. Kümmere ich mich intensiv darum, im Beruf erfolgreich zu arbeiten, dann vernachlässige ich meist unweigerlich die Kinder. Treibe ich zu viel Sport am Wochenende, dann habe ich keine Zeit, mit meiner Frau essen zu gehen. Sorge ich dafür, dass im Garten alles tipptopp ist, dann leiden meine Freundschaften darunter. Und übernehme ich im Haushalt voller Hingabe immer mehr Aufgaben, dann schauen mich meine Kollegen bald ziemlich mitleidig an.

Es scheint fast, als käme man aus dem ungnädigen Sog der vielfältigen und miteinander konkurrierenden Rollen gar nicht mehr raus. Als könne man nie alle so vollkommen erfüllen, dass man in dem Gesamtkonzept Zufriedenheit findet. Mann-Sein wird deshalb immer mehr zu einer wahren Sisyphos-Aufgabe.

Außerdem führt die Zerrissenheit gleichzeitig dazu, dass man im Normalfall ja vor lauter Trubel gar nicht genügend Zeit hat, den einzelnen Herausforderungen seines Mann-Seins mal etwas konzentrierter und intensiver auf den Grund zu gehen. Die divergierenden Rollen in Ruhe etwas genauer zu betrachten. Nun: Genau das möchte ich in diesem Buch gerne machen, das heißt, in die einzelnen Betätigungs- und Identifikationsfelder des Mannes eintauchen, sodass wir als Männer eine reale Chance haben, mit ihnen produktiv umzugehen und sie bewusst zu gestalten.

Denn natürlich muss ich diese Rollen in meinem Leben – und wahrscheinlich auch in verschiedenen Lebensphasen – immer gewichten. Ich muss entscheiden, wie viel Raum ich einem bestimmten Zug meines Mann-Seins geben kann, darf und möchte. Und ich muss ernsthaft prüfen, was mir an welcher männlichen Rolle wie wichtig ist. Zu einem solchen Entscheidungsprozess gehört aber, dass ich die Potentiale und Risiken jeder Rolle auch kenne. Je konkreter ich sie mir vor Augen führe, desto aktiver werde ich sie ausfüllen können. Garantiert.

Ich bin der festen Überzeugung: Es ist eine höchst komplexe Herausforderung, dem eigenen Mann-Sein auf die Schliche zu kommen und in dem Wirrwarr der zahllosen Rollen endlich einmal eine überschaubare Grundordnung herzustellen. Ja, das ist – im wahrsten Sinne des Wortes – „was für Männer“. Vor allem aber ist es eine bewegende Angelegenheit, für die wir möglichst viele Gedankenanstöße, Inspirationen, Bilder und Ideen brauchen. Es gibt einfach zu wenige Orientierungspunkte, die uns helfen, uns im unübersichtlichen Labyrinth der Geschlechter dauerhaft zurechtzufinden.

Das – nicht weniger, aber auch nicht mehr – will dieses Buch leisten. Es ist kein Ratgeber, kein Selbsthilfebuch, kein Nachschlagewerk und auch kein umfassendes Kompendium maskuliner Verhaltensmuster. Ich bin ja kein Psychologe. Ich möchte mit diesen kleinen „Ausflügen“ in die Niederungen männlicher Handlungsfelder einfach Lust machen, die Buntheit der Rollen im Dasein eines Mannes klarer und selbstbewusster wahrzunehmen. Und zwar so, dass wir Mannsbilder etwas gelassener daran gehen können, uns als Männer wohlzufühlen. Fröhlich, entspannt und … ja, mannhaft.

Trotzdem ist der Umgang mit den verschiedenen Männer-Rollen mehr als nur ein heiteres Gedankenspiel. Viel mehr sogar. Denn die Gestaltung und die Gewichtung solcher Rollen in einem Persönlichkeitsprofil haben ja ganz schnell existenzielle Folgen. So treffe ich zum Beispiel immer öfter auf Männer, die ernsthaft glauben, sie könnten das Glück ihres Lebens dadurch finden, dass sie kurzerhand eine bestimmte Rolle in ihrem Dasein austauschen. Sei es, dass sie einen neuen Job anfangen, sich eine neue Frau suchen oder einem neuen Hobby frönen. Die Hoffnung dahinter klingt dann so: „Wenn ich in einer Rolle meines Lebens einen radikalen Wechsel gestalte, dann wird sich der Rest schon fügen. Dann wird alles gut.“ Was sich meist sehr bald als Irrtum herausstellt. Oftmals sogar als ziemlich fataler.