Copyright: © der deutschen Ausgabe: Junfermann Verlag, Paderborn 2013

Copyright: © der Originalausgabe: Eshkol Rafaeli, David Bernstein & Jeffrey Young, 2011

Originalausgabe: Die Originalausgabe ist 2011 unter dem Titel „Schema therapy: distinctive features“ bei Routledge erschienen.

Übersetzung: Guido Plata, Bremen

Coverfoto: © fotolinchen

Covergestaltung / Reihenentwurf: Christian Tschepp

Alle Rechte vorbehalten.

Erscheinungsdatum dieser eBook-Ausgabe: 2013

Satz & Digitalisierung: JUNFERMANN Druck & Service, Paderborn

ISBN der Printausgabe 978-3-87387-833-4
ISBN dieses eBooks: 978-3-87387-934-8

Einleitung

Der Begriff „Kognitive Verhaltenstherapie (KVT)“ hat sich heute weitgehend als Sammelbezeichnung für evidenzbasierte, zeitlich begrenzte Therapien zur Behandlung von Störungen auf der Achse I des DSM etabliert. Dessen ungeachtet wird KVT-Modellen zur Behandlung von Persönlichkeitsstörungen und anderen überdauernden Mustern von beziehungsrelevanten und emotionalen Schwierigkeiten zunehmend Aufmerksamkeit gewidmet. Eines der führenden Modelle ist dabei die Schematherapie, die ursprünglich von Young (1990) vorgestellt und in jüngerer Zeit von Young et al. weiter elaboriert wurde (Young, Klosko & Weishaar, 2003; deutsche Ausgabe: Young, Klosko & Weishaar, 2008: Schematherapie. Ein praxisorientiertes Handbuch. 2. Aufl., Paderborn: Junfermann Verlag).

Die Schematherapie ist ein integrativer Ansatz, der Elemente aus der kognitiven Therapie (und der KVT im Allgemeinen), der Bindungs- und Objektbeziehungstheorie sowie der Gestalttherapie und der Erlebnistherapie zusammenführt. Unser Ziel hier ist die Darstellung der Merkmale, die die Schematherapie im Feld der kognitiven Verhaltenstherapien hervorheben. Wie wir in den kommenden Kapiteln ausführen werden, gibt es sowohl theoretische als auch praktische Unterscheidungsmerkmale. Einige übergreifende Unterscheidungsmerkmale verdienen es allerdings, bereits an dieser Stelle erwähnt zu werden. Erstens bezieht sich die Schematherapie im Gegensatz zu eher traditionellen KVT-Ansätzen explizit auf die Entwicklung (Ätiologie) gegenwärtiger Symptome und nicht ausschließlich auf die Faktoren, die diese Symptome aufrechterhalten. Zweitens legt sie großes Gewicht auf die Beziehung zwischen Therapeut und Klient sowie darauf, innerhalb dieser Beziehung ein korrigierendes emotionales Erlebnis und eine empathische Konfrontation bereitzustellen. Drittens setzt sie ein klares Ziel, das der Therapeut anstreben sollte: dem Klienten dabei zu helfen, die eigenen zentralen emotionalen Bedürfnisse zu verstehen und Wege zu lernen, diese Bedürfnisse in einer adaptiven Weise zu erfüllen, was die Veränderung von seit Langem etablierten kognitiven, emotionalen, relationalen und verhaltensbezogenen Mustern erfordert.

Die erste Hälfte dieses Buches (Kapitel 1–15) stellt das von Schematherapeuten vertretene Therapiemodell detailliert vor. Dieses Modell widmet universellen zentralen emotionalen Bedürfnissen große Aufmerksamkeit (Kap. 1) und umfasst die Annahme, dass maladaptive Schemata (Kap. 2 und Kap. 3) auftreten, wenn diese Bedürfnisse nicht erfüllt werden. Außerdem postuliert es die Existenz von drei breitgefächerten und maladaptiven Bewältigungsstilen:

  1. Sich-Fügen[1],
  2. Vermeiden und
  3. Überkompensation (vorgestellt in Kapitel 3 und detailliert ausgeführt in den Kapiteln 5–7).

In den vergangenen Jahren führte die Verfeinerung und weitere Ausarbeitung der Schematherapie zur Entwicklung eines zusätzlichen Konstrukts, dem der sogenannten Modi, das heute eine zentrale Rolle in der Arbeit von Schematherapeuten spielt. Wir werden dieses Konzept zunächst allgemein vorstellen (Kap. 8) und anschließend die Hauptarten von Modi, denen Therapeuten in der klinischen Praxis begegnen, eingehender betrachten (Kap. 9–13). Schließlich beenden wir den theoretischen Teil des Buches mit einer Diskussion derjenigen therapeutischen Verfahren, die zentrale Elemente der Schematherapie sind: begrenztes Reparenting und empathische Konfrontation (Kap. 14–15).

Die zweite Hälfte des Buches (Kap. 16–30) befasst sich mit der Anwendung der Schematherapie. Sie beginnt, wie auch die Therapie, mit der Phase der Einschätzung und Edukation (Kap. 16–18) und dem daraus hervorgehenden Fallkonzept, das dem Klienten vorgelegt wird und als Leitlinie für die nachfolgende Behandlung dient (Kap. 19). Anschließend werden vier große Gruppen therapeutischer Werkzeuge erkundet, die dem Schematherapeuten zur Verfügung stehen; dies sind im Einzelnen relationale, kognitive, emotionsfokussierte und verhaltensbezogene Techniken (Kap. 20–23), ergänzt durch spezifische Ideen für die Arbeit mit Modi (Kap. 24). Die nächsten Kapitel (25–27) thematisieren die Anwendung der Schematherapie bei bestimmten Klientengruppen (Menschen mit Borderline-, narzisstischer und antisozialer Persönlichkeitsstörung sowie Paare mit Beziehungsproblemen). Kapitel 28 dreht sich um das Zusammenspiel zwischen Schematherapie (für langfristige Probleme) und anderen KVT- und evidenzbasierten Behandlungen (für akutere Störungen oder Symptome auf der Achse I des DSM). Kapitel 29 kehrt zum begrenzten Reparenting zurück, diesmal aus einer praktischen Perspektive. Und Kapitel 30 betont, wie wichtig es ist, den Schemata und Bewältigungsstilen des Therapeuten in der Therapiesituation und auch in der Supervision Aufmerksamkeit zu widmen, während diese in Kontakt mit den Bedürfnissen, Schemata, Bewältigungsstilen und Modi des Klienten kommen.

Der letztgenannte Aspekt stellt eine weitere besondere Eigenschaft der Schematherapie dar, insbesondere im Vergleich mit anderen Ansätzen zur Behandlung von Persönlichkeitsstörungen oder langfristigen sozialen Problemen: Sie ist ein entschieden von Mitgefühl und Menschlichkeit geprägter Ansatz. Die Kernannahme dieser Therapie ist, dass jeder Mensch Bedürfnisse, Schemata, Bewältigungsstile und Modi hat – und dass diese bei den Klienten, die wir behandeln, lediglich stärker ausgeprägt und weniger flexibel sind.

15. Empathische Konfrontation

Die empathische Konfrontation ist – neben dem begrenzten Reparenting – eine der beiden zentralen Säulen des schematherapeutischen Ansatzes (Young et al., 2003 / 2008). Bei der empathischen Konfrontation bringt der Therapeut den Klienten in Kontakt mit seinen maladaptiven Verhaltensweisen und Kognitionen, aber auf eine empathische, nicht urteilende Weise. Diese Technik funktioniert nur, wenn der Therapeut echtes Mitgefühl mit dem Klienten hat. Das bedeutet, er muss in der Lage sein, einerseits die Gründe für die betreffenden Verhaltensweisen seines Klienten, gleichzeitig jedoch auch die kontraproduktive Natur dieser Reaktionen und die Notwendigkeit ihrer Veränderung empathisch zu erfassen. Die Sprache der Schematherapie mit ihren Begriffen Schemata, Bewältigungsreaktionen und Modi erleichtert empathische Konfrontation, indem sie Therapeut und Klient eine einheitliche Gruppe von Konzepten und ein gemeinsames Vokabular liefert, mit dem die maladaptiven Bewältigungsversuche des Klienten verstanden werden können. Diese Konzepte sind moralisch und emotional ohne Wertung, da sie maladaptives Verhalten als Konsequenz kontraproduktiver Muster ansehen und nicht als Folge moralischer Defizite.

Empathische Konfrontation kann dazu verwendet werden, dem Klienten außerhalb oder auch innerhalb der Therapiesituation sein kontraproduktives Verhalten vor Augen zu führen. Dabei kann die empathische Konfrontation innerhalb der Therapiesituation extrem machtvoll sein, da sie beiden Parteien die Chance eröffnet, das Verhalten des Klienten zu untersuchen, während es im „Hier und Jetzt“ der therapeutischen Beziehung stattfindet. Hierdurch kann der Therapeut dem Klienten die Hindernisse aufzeigen, die Intimität und der Erfüllung seiner emotionalen Bedürfnisse entgegenstehen.

Empathische Konfrontation kann entweder mit der ursprünglichen Sprache der Schematherapie von Schemata und Bewältigungsreaktionen durchgeführt werden oder mit der elaborierteren Sprache von Modi und Modusarbeit. Wir veranschaulichen dies am Beispiel von Robert, einem jungen Mann, der im Kindesalter körperlich und emotional misshandelt wurde und nun häufig in hitzige Streitereien mit seinem Chef geriet. Es ist leicht, die Gründe nachzuempfinden, aus denen der Klient in diese Konflikte verwickelt wurde. Aufgrund der Art seiner im Kindesalter erlittenen Misshandlungen erwartete Robert, dass andere Leute es darauf anlegten, ihn zu verletzen oder zu erniedrigen (Schemata Misstrauen / Missbrauch und Unzulänglichkeit / Scham), und vermutete dies auch bei seinem Chef.

Als Robert noch ein Kind war, stellte das Aufbegehren gegen seine Eltern seine einzige Möglichkeit dar, ihren Misshandlungen entgegenzutreten und seine Selbstachtung zu bewahren (eine überkompensierende Bewältigungsreaktion). Es war für Robert nur natürlich, seinem Chef die Stirn zu bieten, da sich dieser ebenfalls ausfallend verhielt. Da Roberts Reaktionen jedoch in der Vergangenheit begründet waren, gingen sie oft zu weit. Seine Versuche, sich selbst zu schützen, wurden von anderen als extrem und überzogen wahrgenommen. In der Folge konnten andere Personen Roberts legitimen Unmut über seinen Chef nicht nur nicht verstehen, sie betrachteten ihn außerdem als wuterfüllt und unkontrolliert.

Der Therapeut verwendete die Konzepte von Schemata und Bewältigungsreaktionen, die Robert in der Schematherapie bereits erlernt hatte, um diesem sein kontraproduktives Verhalten zu verdeutlichen. Indem er den Konflikt zwischen Robert und seinem Chef in den Rahmen von Schemata und Bewältigungsreaktionen einordnete, konnte er selbst die Gründe für Roberts Verhalten in einer fürsorglichen und nicht urteilenden Weise nachfühlen, während er gleichzeitig auf deren kontraproduktive Folgen hinwies. Dieser Ansatz ermöglichte es Robert, seine Interaktionen mit seinem Chef auf realistischere und weniger schemageleitete Weise zu sehen und sich in diesen Interaktionen einen weniger konfrontativen Stil zu eigen zu machen.

Hätte der Therapeut stattdessen in den Begrifflichkeiten der Modi gesprochen, wäre der Grundansatz der empathischen Konfrontation derselbe geblieben. Allerdings wären Begriffe wie „Ihre ‚Misshandeltes-Kind-Seite‘“ und „Ihre ‚Verärgertes-Kind-Seite‘“ durch Schemata oder Bewältigungsreaktionen ersetzt worden. So hätte der Therapeut beispielsweise sagen können:

„Wenn Ihr Chef Sie kritisiert, dann ist da eine Seite von Ihnen, die ‚Misshandeltes-Kind-Seite‘, die sich so fühlt, als ob sie erneut misshandelt würde, wie es Ihre Eltern damals mit Ihnen getan haben. Es ist nicht überraschend, dass Sie dann wütend werden und den Spieß umdrehen, indem Sie wiederum Ihren Chef attackieren. Als Sie ein Kind waren, war dies Ihre einzige Möglichkeit, um Ihre Selbstachtung zu bewahren. Wenn Sie aber heute mit Ihrem Chef streiten, sieht er diese Seite an Ihnen, die sich misshandelt oder herabgewürdigt fühlt, nicht. Er sieht nur Ihre ‚Verärgertes-Kind-Seite‘ und fühlt sich angegriffen. Das Ergebnis ist, dass Sie nicht bekommen, was Sie benötigen, nämlich Mitgefühl und Verständnis. Das ist es, was Sie von Ihrem Chef wollen; und es ist auch das, was Sie von Ihren Eltern wirklich dringend benötigt hätten.“

30. Schemata des Therapeuten

Ebenso wie die Klienten haben auch Therapeuten oftmals frühe maladaptive Schemata, die auf ihren eigenen schmerzlichen Lebenserfahrungen basieren. Die Heilung der eigenen Schemata ist eine exzellente Vorbereitung darauf, anderen zu helfen. In dem Maße, in dem die eigenen Schemata bestehen bleiben, können Therapeuten jedoch auch anfällig für Schemaaktivierung bleiben. Tatsächlich ist dies fast unvermeidlich, da die Schemaheilung nur in seltenen Fällen gänzlich abgeschlossen wird. Zu Zeiten ungewöhnlich starken Stresses, oder wenn Klienten „den richtigen Knopf drücken“, können die eigenen Schemata ausgelöst werden. Normalerweise haben Therapeuten einen Modus Gesunder Erwachsener, der sich der eigenen Schemata bewusst ist und korrigierend eingreifen kann, wenn diese Schemata die gerade durchgeführte Behandlung zu beeinträchtigen drohen. Unter bestimmten Umständen oder bei bestimmten Klienten jedoch kann die Schemaaktivierung ernstere Probleme verursachen, insbesondere dann, wenn sie mit ungesunden Formen der Bewältigung kombiniert wird.

Ein sicheres Zeichen dafür, dass die Schemata und Bewältigungsreaktionen des Therapeuten mit der Therapie interferieren, sind Grenzverletzungen: Entweder gestattet der Therapeut dem Klienten, seine Grenzen zu überschreiten, oder der Therapeut überschreitet die Grenzen des Klienten. Ein Beispiel für den erstgenannten Fall wären Therapeuten, die Klienten erlauben, überzogene Ansprüche an sie zu stellen oder sie respektlos oder missbräuchlich zu behandeln. Selbstaufopferung, Überhöhte Standards / Übertrieben kritische Haltung und Streben nach Zustimmung und Anerkennung sind die am häufigsten bei Therapeuten zu beobachtenden Schemata. Viele Therapeuten kommen aus Familien, in denen sie gelernt haben, extrem aufmerksam gegenüber den Bedürfnissen und Gefühlen anderer zu sein, und vielleicht auch die Pflege eines Angehörigen wie eines Eltern- oder Geschwisterteils übernommen haben. Aus diesen Erfahrungen können positive Motivationen für die Bereitstellung therapeutischer Dienstleistungen erwachsen. Allerdings können sie den Therapeuten auch anfällig gegenüber bestimmten Fallstricken machen, wie etwa, sich auf Kosten der eigenen Bedürfnisse zu sehr auf die des Klienten zu konzentrieren (Schema Selbstaufopferung); sich zu hart gegenüber sich selbst oder den Klienten zu verhalten (Schema Überhöhte Standards / Übertrieben kritische Haltung) oder zu abhängig von der Anerkennung des Klienten als Quelle für das Selbstwertgefühl zu sein (Schema Streben nach Zustimmung und Anerkennung).

Manche Therapeuten widmen ihren Klienten zu viel von ihrer Zeit oder Aufmerksamkeit. Beispielsweise gestattete ein Therapeut Julie, einer Klientin mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung, ihm täglich lange E-Mails zu senden, auf die zu antworten er sich verpflichtet fühlte, selbst wenn er sehr beschäftigt war. Julie fand dieses tägliche Maß an Aufmerksamkeit sehr befriedigend, für den Therapeuten jedoch war es schließlich zu viel. Die Mutter des Therapeuten hatte an einer Borderline-Persönlichkeitsstörung gelitten. Als Kind hatte er sich für die emotionale Betreuung seiner Mutter zuständig gefühlt und seine eigenen Bedürfnisse und Gefühle zugunsten der ihrigen vernachlässigt. Infolge seines Schemas Selbstaufopferung reagierte er auf die Ansprüche der Klientin, indem er ihr noch mehr Zeit widmete. Er erkannte nicht, welchen Preis ihm dies abverlangte, bis es zu spät war. Erst nach einer Supervision zu diesem Fall sah er sich in der Lage, Julies E-Mail-Versand Grenzen zu setzen und so zu einer zufriedenstellenden Lösung zu gelangen.

Die Schemamodi des Therapeuten können außerdem zu Grenzüberschreitungen des Klienten beitragen. So reagieren beispielsweise manche Therapeuten auf die Wut, die Aggression oder das herabwürdigende Verhalten ihrer Klienten damit, dass sie allzu beflissen und unterwürfig werden (Modus Bereitwillig Sich-Fügen). Je schikanierender, erniedrigender oder wütender der Klient wird, desto „lieber“, ruhiger im Tonfall und nachgiebiger wird der Therapeut. Eine Therapeutin hatte einen Patienten, Ron, der seine Sitzungen in tiefem Schweigen verbrachte. Ron starrte auf den Boden und reagierte auf die Fragen der Therapeutin mit einsilbigen Antworten. Er strahlte Feindseligkeit aus, die er durch seine stillschweigende Weigerung, sich aktiv in die Therapie einzubringen, ausdrückte. Die Therapeutin war eine sanfte Frau der leisen Töne, die Schwierigkeiten damit hatte, sich ihren eigenen Ärger einzugestehen. Ihr war beigebracht worden, ein „braves Mädchen“ zu sein, das keine Widerworte äußerte und anderen stets zu gefallen versuchte (Modus Bereitwillig Sich-Fügen). In Reaktion auf Rons Schweigen versuchte sie beharrlich, ihn zur Mitarbeit zu bewegen. Sie suchte nach Themen, die sie in der Sitzung mit ihm besprechen könnte, und war jederzeit höflich und freundlich. Innerlich fühlte sie sich mit jeder vergangenen Sitzung wertloser und inkompetenter. Eines Tages, nach sechs Monaten Therapie mit Ron, brach sie in ihrer Supervisionssitzung weinend zusammen und sagte, dass sie es nicht mehr aushalte. Der Supervisor empfahl ihr, Ron zu konfrontieren und seinem feindseligen, zurückgezogenen Verhalten Grenzen zu setzen. In der nächsten Sitzung tat sie dies mit Erfolg, und diese Intervention markierte einen Wendepunkt sowohl in der Therapie als auch in der persönlichen und beruflichen Weiterentwicklung der Therapeutin.

Ein weiterer möglicher Fallstrick für Schematherapeuten besteht darin, dass die Konzentration auf Bedürfnisse und Reparenting die eigenen unerfüllten Bedürfnisse des Therapeuten auslösen kann, die dann am Klienten ausgelebt werden. Beispielsweise könnte ein Therapeut mit einem starken Schema Emotionale Entbehrung die Liebe, die er als Kind vermisst hat, in seiner Beziehung zu seinen Klienten suchen. Möglicherweise hätte der Therapeut eine Fantasie von perfekter Liebe, die er in seiner Rolle als Therapeut stellvertretend erlebt, indem er für seine Klienten zu einem vollkommen liebenden und alles gebenden Elternteil wird. Leider beinhalten solche Situationen das Risiko, aus dem Ruder zu laufen und zu Grenzverletzungen zu führen, etwa wenn der Therapeut eine romantische Beziehung mit einer Klientin eingeht. In derartigen Fällen ist fast immer eine starke Schemaaktivierung auf Seiten des Klienten im Spiel. Nicht nur fortdauernde Grenzverletzungen sind ein Zeichen dafür, dass die Schemata des Therapeuten ausgelöst wurden; auch Distanzierung vom Klienten kann darauf hindeuten. Therapeuten mit einem Schema Emotionale Entbehrung beispielsweise können sich unbehaglich fühlen, wenn sie auf der emotionalen Ebene mit ihren Klienten umgehen. In solchen Fällen könnten sie ihre Klienten auf subtile Weise, wenngleich auch ohne sich dessen bewusst zu sein, den Mut nehmen, ihre Emotionen auszudrücken, etwa indem sie kritisch werden (Modus Strafender Elternteil) oder übermäßig intellektualisieren (Modus Distanzierter Beschützer). Wenn Therapeut und Klient dieses Unbehagen teilen, kann das Ergebnis eine ungewollte „Übereinkunft“ darüber sein, Emotionen vollkommen auszuklammern. Sie führen dann nur noch intellektuelle Diskussionen, um das Unbehagen zu vermeiden, das sie beide bei emotionalen oder intimeren Themen empfinden würden. Ihre Modi Distanzierter Beschützer verstärken sich wechselseitig. Vielleicht sprechen sie über die Schemata des Klienten, aber sie tun dies in einer abgehobenen Weise, die letztlich keine Veränderungen herbeiführen kann.

Ebenso können sich Therapeuten mit einem starken Schema Emotionale Entbehrung von Intimität bedroht fühlen, da diese ihre eigenen unerfüllten Bedürfnisse auslöst. Auf das Bedürfnis ihres Klienten nach Nähe reagieren sie mit Distanzierung und Loslösung, und dieser Rückzug ähnelt vielleicht den in ihrer Kindheit liegenden Ursprüngen ihrer eigenen emotionalen Defizite.

Beim Umgang mit schwierigeren Klienten, wie solchen mit Borderline-, narzisstischer oder antisozialer Persönlichkeitsstörung sollten auch erfahrene Therapeuten sicherstellen, dass ihnen ein hinreichendes Maß an Unterstützung zur Verfügung steht. Supervision, Peer-Supervision (Intervision) und die eigene Therapie des Therapeuten können Fallstricke vermeiden helfen oder auch die Therapie wieder auf den richtigen Weg bringen, nachdem die Schemata des Therapeuten ausgelöst wurden. Wir sind der festen Überzeugung, dass gute Schematherapeuten sorgfältig auf die Unterstützung achtgeben sollten, die sie benötigen und verdienen, damit sie diese komplexe und nuancenreiche Therapie auf eine Weise durchführen können, die wirksam für ihre Klienten und erfüllend für sie selbst ist.

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Anmerkungen

[1] Die Terminologie ist in Fach- und Patientenbüchern nicht immer einheitlich. Mitunter wird dieser Bewältigungsstil auch mit „Sich-Ergeben“ bezeichnet.

Eshkol Rafaeli, David P. Bernstein & Jeffrey Young
Schematherapie

Reihe
Therapeutische Skills kompakt
Band 4

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